Interview mit Frontmann Der Graf

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Interview mit Frontmann Der Graf
„Geboren, um zu leben“
Ob bei Geburten, Hochzeiten oder Beerdigungen – die Lieder der Band
„Unheilig“ treffen offenbar mitten ins Herz der jeweiligen Situation. Einst
nur bejubelt von der Gothic-Szene, füllt „Der Graf“ mittlerweile ganze
Konzerthallen.
Warum der Bandname „Unheilig“?
Der Name „Unheilig“ ist mir vor Jahren eingefallen, als ich nach einem Namen
gesucht habe, wie ich meine Musik nennen will. Das war keine einfache Zeit. Ich
wusste nicht, wie es mit der Musik überhaupt weitergehen sollte. Mein großer Traum
war, immer Musiker zu sein, doch mein Weg war sehr lang. Irgendwann sagte meine
Mutter ‚Du musst ein bisschen Gottvertrauen haben’. Daraufhin habe ich über
Glauben und Religion sehr viel nachgedacht und gemerkt, dass ich ein sehr gläubiger
Mensch bin und fast jeden Tag bete. Aber ich kann mit einer formalen Religion nichts
anfangen. Ich übe meinen Glauben eher frei aus. Ich habe in der Bibel nachgeschaut,
wie diese Menschen genannt werden: Das sind die „Unheiligen“, also diejenigen,
die sich den Ritualen, Geboten und Verboten nicht unterwerfen. Da war mir klar, so
möchte ich gerne heißen. Für mich selber brauche ich die Religion nicht als Brücke
zum lieben Gott. Ich glaube, dass Religionen wichtig sind, weil sie für viele Leute
diese Brücke sind, weil sie sich dadurch dem lieben Gott näher fühlen.
Was ist dir denn dann heilig?
Alles was mit dem Leben zu tun hat! Meine Familie ist mir auf jeden Fall heilig. Ich
sehe den Namen „Unheilig“ auch nicht als Gegenpol zu „Heilig“.
Du bist gläubig, du machst es aber an keiner Konfession fest?
Ich habe bisher noch keine Religion für mich gefunden, die mein Leben so wiederspiegelt, dass ich mich da hundertprozentig zu Hause fühle. Brauche ich auch nicht,
für mich ist der liebe Gott überall. Ich brauche niemand anderen, der mir sagt ‚Wenn
du das so und so machst, bist du dem lieben Gott näher‘. Irgendwann wurde mir
klar, ich brauche nicht irgendwo hinzugehen, um Gott nahe zu sein, das kann ich an
jedem Ort der Welt.
Der Graf über den Bandnamen
„Unheilig“, seinen Glauben
und Erfahrungen im Hospiz
sondern auch um das Leben geht. Wobei ich ganz bezeichnend finde, dass ein Lied
mit dem Titel „Geboren um zu Leben“ bei einer Beerdigung gespielt wird. Das heißt
in dem Moment des Abschieds feiert man das Leben, die Erinnerung. Das ist eine
Herangehensweise, nach der sich viele Menschen sehnen und die ich sehr wichtig
und schön finde.
Heißt im Umkehrschluss „Geboren um zu Leben“,
dass man jeden Tag nutzen sollte?
Ja, auf jeden Fall. Ich bin in Sterbehospizen gewesen und auf Krebsstationen, weil die
Menschen sich das gewünscht haben. Danach war meine Sichtweise auf das eigene
Leben eine ganz andere. Der Glaube hilft da – ganz wichtig, ganz wertvoll. Ob es nun
der Glaube an Gott oder der Glaube an die Familie ist. Meine Definition vom eigenen
Glück ist eine ganz andere geworden: Mein Glück ist es, wenn ich gesund bin – das
war’s, Punkt. Und alles andere ist nebensächlich. Wenn du gesund bist, hast du alle
Möglichkeiten der Welt, etwas aus dieser Zeit zu machen. Und das sollte man auch
tun. Ich versuche, den Menschen, die ich liebe oder die mir nahe sind, näher zu sein.
Glaubst du an ein Leben nach dem Tod?
Ja, wir sehen uns alle wieder. Meine Vorstellung, dass wir uns alle irgendwo mal wiedersehen, hilft mir, im Leben klarzukommen. Ich fände es sonst alles ziemlich sinnlos.
Ich glaube auch daran, dass es den Leuten, die ich vermisse, da oben gut geht und
dass sie ab und zu mal vorbeigucken, wie es einem so geht, vielleicht das eine oder
andere Rädchen drehen, wenn man gerade Probleme hat. Diese Vorstellung hilft mir
und daran glaube ich.
„Der Graf“,
Sänger der Band
„Unheilig“
In der Kirche wird immer viel gesungen, hast du da auch Erfahrungen?
Ja, meinen ersten Kontakt zur Musik hab ich im Kinderchor einer katholischen
Gemeinde gehabt. Das war aber nur ganz kurz. Ich mochte den Pfarrer nicht.
Das lag wahrscheinlich daran, dass ich lieber im Sandkasten gespielt hab, als
zur Chorprobe zu gehen. Ich hatte als Kind eine sehr hohe, helle Stimme. Davon
waren alle sehr begeistert, aber ich hatte keinen Bock. Da gab es wichtigere
Dinge wie Gummibärchen oder Fahrradfahren. Aber mein erster Kontakt zur
Musik war dieser kirchliche Kinderchor.
Gehst du heute in die Kirche?
Es gibt Momente, wo ich immer noch dahin gehe. Das kann eine kleine Kapelle sein,
die ich als Ort suche, weil ich das Gefühl habe, dass es gerade notwendig ist. Es
gibt Momente, in denen ich in einer Kirche eine kleine Kerze anmache, obwohl
ich das auch zu Hause machen könnte. Ob es an der Ruhe liegt, keine Ahnung.
In dem Moment, wo ich diesen Schritt für mich mache, fühle ich mich den
Menschen näher, die leider nicht mehr da sind.
Hast du Rituale bevor du auf die Bühne gehst?
Ich bete vorher, jedes Mal. Meistens dann, wenn ich Angst habe zu versagen.
Aber ich bete nie, dass der liebe Gott das für mich regelt, sondern ich bitte
darum, dass er mir in dem Augenblick die Kraft gibt und einfach nur da ist.
Das reicht, wenn ich weiß, ich bin in diesem Moment nicht allein. Das ist für
mich ganz wichtig. Es gibt Auftritte, wo es ganz extrem ist, wenn ich krank bin
und mit einer Erkältung, Fieber oder Schüttelfrost auf die Bühne gehe. Aber
du gehst trotzdem raus, weil du nicht willst, dass die Leute ohne Konzert nach
Hause gehen.
Und das hilft dir?
Ja klar, der Glaube versetzt Berge. Dieser Spruch ist bei mir in diesem Moment
auf jeden Fall wirksam. Das ist für mich ganz wichtig.
Deine Musik versetzt auch Berge: „Geboren um zu Leben“
läuft bei Beerdigungen...
Es gibt pietätloserweise eine Hit-Liste mit Liedern zu Beerdigungen und da ist
„Unheilig“ ganz weit vorne. Ich war gespannt, wo unsere Lieder noch gehört werden
und habe bei Autogrammstunden nachgefragt. Es gibt Leute, die lassen „Mein Stern“
bei der Geburt im Kreißsaal laufen und „Unter deiner Flagge“ ist eines der meist
gespielten Hochzeitslieder. Da wusste ich, alles ist gut, weil es nicht nur um den Tod,
Interview: Marco Chwalek
Foto: picture alliance/dpa-Zentralbild
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www.kirche-bremen.de · bremer kirchenzeitung Dezember 2012
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