Reif für die Insel - Ärztehaus

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Reif für die Insel - Ärztehaus
studium
Deutsche Mediziner auf Mallorca
Reif für die Insel
Auf der Lieblings-Urlaubsinsel der Deutschen lässt sich nicht nur faulenzen: Jedes
Jahr wandern etliche deutsche Ärzte nach Mallorca aus, um dort zu arbeiten.
Über hundert praktizieren mittlerweile auf „Malle“. Was ist so attraktiv daran,
unter spanischer Sonne zu schuften? Medizin-Auswanderer erzählen.
D
er Allgemeinmediziner Dr. med. Peter Fleischhauer
und seine Famulantin Anna Juhnke schwitzen. Es ist
September in Palma de Mallorca. Das Thermometer zeigt
immer noch mehr als 30° Grad. Und das kleine Zimmer der
Hausbesuchspatientin, die sie gerade untersuchen, besitzt
keine Klimaanlage. „Ein paar Lymphknoten am Hals sind
geschwollen, ihr Rachen ist leicht gerötet, sonst ist alles in
Ordnung. Sie haben einen ganz normalen grippalen Infekt“,
erklärt Peter Fleischhauer der sichtlich mitgenommenen
Patientin. Nein, die Schweinegrippe sei es nicht, beruhigt er
sie. Dafür hätten sich die Symptome viel zu schleichend
entwickelt. Ausreichend Flüssigkeit und Paracetamol gegen
die Kopfschmerzen und das Fieber, damit würde es ihr bald
wieder besser gehen. Die knapp vierzigjährige Deutsche
sinkt zurück auf ihr Bett. Seit einer Woche ist sie auf
­Mal­lorca. Nicht als Touristin, wie jedes Jahr mehr als drei
­Millionen Deutsche. Sie ist gekommen um zu bleiben!
„Die Patientin hat in Deutschland einige Schicksalsschläge erlitten“, sagt Anna Juhnke, die im sechsten Jahr an
der Charité in Berlin studiert. „Wahrscheinlich hofft sie, mit
der Sonne und dem schönen Klima hier glücklicher zu
­werden.“ Im Laufe der nun sechs Wochen ihrer insgesamt
zweimonatigen Famulatur hat Anna einige solcher Menschen
kennengelernt. „Es gibt bestimmt auch deutsche Familien,
die in tollen Villen wohnen. Aber bisher habe ich in Palma
vor allem kleine Wohnungen und Zimmerchen gesehen, zu
denen wir ganz viele Treppen hochsteigen mussten.“
Von Gevelsberg nach Palma – Lust statt Frust
In die Praxis von Peter Fleischhauer, die in der Nähe der Kathedrale im Herzen der Stadt liegt, kommen Patienten aller
Einkommensklassen – vom Millionär aus dem Südwesten der
Insel über die Kellnerin bis hin zum Rentner. Gemeinsam ist
den meisten von ihnen, dass sie Deutsche oder Österreicher
sind und ständig auf der Insel wohnen. Touristen sind die
wenigsten. Der Pool, aus dem der Allgemeinmediziner seinen
Patientenstamm schöpft, kann sich sehen lassen: 8.000
Deutsche haben auf Mallorca ihren festen Wohnsitz, die residencia, und geschätzte 50.000 leben ohne residencia hier.
Peter Fleischhauer kam vor zwei Jahren. Kein Schicksalsschlag trieb ihn, sondern der alltägliche Frust in seiner
hausärztlichen Praxis, die er 18 Jahre lang in Gevelsberg,
nahe Hagen, geführt hatte. „Mein Spaß an der Arbeit war
nach und nach verschwunden. Es kam immer mehr Bürokratie hinzu, und ich hatte immer weniger Zeit für meine
Patienten.“ Seit Anfang 2007 beschäftigte er sich intensiver
mit der Insel-Idee, abonnierte die zwei deutschen MallorcaZeitungen und besuchte Ärztehäuser auf der Insel. Am Ende
desselben Jahres kaufte er die Praxis von einem deutschen
Vorgänger und siedelte nach Palma um.
Von hundertvierzig auf fünf Patienten pro Tag
Mallorca hat die mit Abstand größte Arztdichte Spaniens.
Nahezu alle Spanier sind durch ihre monatlichen Sozialabgaben Mitglied in der gesetzlichen Gesundheitsversorgung
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Seguridad Social. Eine Privatversicherung ist freiwilliger Zusatz. Die Seguridad Social betreibt auf der Insel 45 Centros de
Salud und zwei Zentralkliniken. Deutsche Mediziner sind
seit 1989 zugelassen. Über hundert tummeln sich mittler-
sie zum Arzt gehen. Das liege an den privaten Rechnungen,
aber auch an den Entfernun­gen. Der Weg zum nächsten
deutschen Mediziner kann weit sein. „Einige meiner Patienten
weile hier. Sie alle praktizieren als Privatärzte in eigener
Praxis, einige noch mit Belegbetten in Privatkliniken. Keiner
von ihnen ist der Seguridad social angeschlossen.
Zuerst sei es eine „Riesenumstellung“ gewesen, sagt Peter Fleischhauer. „Die Krankheiten sind zwar gleich, aber in
Gevelsberg hatte ich in Spitzenzeiten 140 Patienten am Tag
– hier waren es am Anfang fünf. Nicht mehr im Minutentakt denken zu müs­sen, das
war komisch“ Inzwischen
sieht er jeden Tag zwar 15
­Patienten, aber dennoch: In
Deutschland könnte er das Dreifache verdienen. Auf Mallorca
wohnt er zur Miete und fährt ein uraltes Auto. Trotzdem ist
er zufriedener. „Ich habe endlich Zeit für eine vernünftige
Medizin.“ Allerdings merkt auch er, dass in diesem Jahr
zehn Prozent weniger Touristen kamen. Durch die Anschläge
der baskischen Terror-Organisation Eta und vor allem durch
die Weltwirtschaftskrise blieb ein Teil des Besucherstroms
aus. Große Sorgen macht Peter Fleischhauer sich nicht, aber
er sieht auch deutsche Kollegen, die scheitern: „Es ist ein
Kommen und Gehen.“
Norden dünner besiedelt ist, lohnt sich für die Praxen dort
etwa ein Ergometrie-Gerät nicht.
fahren aus dem Norden locker 60 Kilometer zu mir.“ Da der
El Arenal, L‘Arenal oder S‘Arenal?
Zum Strand geht Peter Fleischhauer selten. Trotz sinkender
Touristenzahlen ist es dort voll. Für viele Deutsche bleibt
Mallorca – „das 17. Bundesland“ – der Inbegriff eines InselTraums. Hier geht alles:
im tiefblauen Meer baden,
stille Klöster in den Bergen
besuchen oder entdecken,
wie Alkohol aus Plastikeimern schmeckt. Laut Statistik sind
55 Prozent aller Bundesbürger schon einmal da gewesen.
Fast könnte man vergessen, dass die Insel auch ohne Besucher
bewohnt ist: Etwa 900.000 Mallorquiner leben hier. Wie verhalten sie sich den deutschen Einwanderer gegenüber? „Sie
sind freundlich. Unwillkommen fühle ich mich nicht“, sagt
­Peter Fleischhauer. „Aber Kontakt habe ich vor allem zu
­Deutschen. Die Einheimischen schotten sich eher ab.“ Dolores
­Martinez, seine Sprechstundenhilfe, ist echte Mallorquinin.
Das hat ihm besonders am Anfang Türen geöffnet. „Wenn Dolores ein bisschen auf Mallorquí geflirtet hat, war dann zum
Beispiel doch ein Dauerparkplatz in der Tiefgarage frei.“ Die
Strandleben in Cala
Agulla, nahe der
Touristenhochburg
Cala Rajada im
Nordosten der
Insel. Die Wassertemperatur im
Oktober: 20,6°C.
Hierher kommen
vor allem Deutsche,
andere Orte sind
„fest in englischer
Hand“.
Die Patienten warten auf Mallorca
länger, bevor sie einen Arzt aufsuchen.
Lehrpraxis unter spanischer Sonne
Seine Famulantin Anna Juhnke freut sich, dass sie häufig
zum Strand gehen kann und trotzdem viel lernt. In den ersten vier Wochen hat sie in Palma bei einem Urologen famuliert. Dessen Praxis war an eine Klinik angegliedert, und
sie wurden öfter in die urologische Notaufnahme gerufen.
Engländer, Deutsche und Spanier mit Nierensteinen, Zystitis
und Kondylomen (Feigwarzen) hat sie dort gesehen. Diese
„komischen Geschwüre“ (O-Ton eines Patienten) durfte die
Famulantin selbst mit dem Laser entfernen. Fünf Patienten
am Tag war der Schnitt in der Urologie.
Bei Peter Fleischhauer könnte sie sogar ein PJ-Tertial
ableisten: Die Praxis ist anerkannte Lehrpraxis der Uni
­Bochum – die einzige auf der Insel – und bietet mit LuFu,
Langzeit-EKG, Ergometrie und Sonographie ein umfangreiches
diagnostisches Programm. Anders sei auf Mallorca nur, sagt
Peter Fleischhauer, dass die Patienten länger warten, bevor
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11.1.2010
ausland
Am 30. Juli erschüttert ein Bombenanschlag der baskischen Terrororganisation Eta die Insel:
In Palmanova, nahe Palma, sterben zwei Mitglieder der Guardia Civil, als in ihrem Fahrzeug eine
Bombe explodiert. Bei vier weiteren Anschlägen, alle am 9. August, kommt es zu Sachschäden.
fff
Praxis-Alltag in Palma: Die Famulantin Anna Juhnke hat bei der Patientin,
die an Schwindel leidet, eine ausführliche Anamnese erhoben. Jetzt
forschen Dr. Peter Fleischhauer und sie zusammen nach der Ursache.
Sprache des Inselvolks zu lernen, sei nicht so einfach: Zwar
verstehen alle kastilisch, also Hochspanisch, die Umgangssprache ist aber Mallorquí, ein inseltypischer Dialekt des
­Katalanischen. Es lohnt sich also nicht zu streiten, ob die
Hausbesuche von Finca zu Finca
Schinkenstraße am Ballermann 6 in El Arenal (kastilisch),
L’Arenal (katalanisch) oder in S’Arenal (mallorquinisch) liegt.
thopäden in der Gegend vorstellte, und der ihnen spontan
Räume bei sich anbot. Auch Michael Rösel gibt zu, dass er
weniger verdient als in Deutschland. „Aber es reicht schon.
Die Lebenshaltungskosten sind hier ja auch anders.“ Jetzt
im Sommer kommen eine ganze Menge Touristen, aber im
Winter hatte auch er mehr als die Hälfte Patienten mit residencía und einige wohlhabende Mallorquiner, die consultas
privadas eines Deutschen erhalten wollten. Auch Michael
Rösel berichtet, dass viele Patienten kränker zum Arzt
­kommen als in Deutschland. Ein Grund dafür sei,
dass sie schneller aus der
Klinik entlassen werden.
Bei seinen Hausbesuchen ist der Arzt oft lange unterwegs, denn die Wege von Finca zu Finca sind weit. Einen
Patienten mit einer chronischen Osteomyelitis besucht er
etwa regelmäßig und eine Patientin mit metastasiertem
Cervixkarzinom – grausame Krankheiten gibt es auch auf
wunderschönen Inseln. Heute wartet noch ein alter Herr
mit einem Speiseröhrenkarzinom auf ihn, der gerade eine
Pneumonie entwickelt. Anschließend steht insuläres Kontrastprogramm an: Er ist in Santanyí zu einer Vernissage
eines lokalen Künstlers eingeladen. Auch Michael Rösel
möchte auf Mallorca bleiben. „Selbst wenn wir wegziehen
sollten, nach Deutschland gehe ich nicht wieder zurück.“
In der Hauptstadt Palma wird Peter Fleischhauer inzwischen das Wochenende mit einem, wie üblich, sehr späten
Abendessen einleiten, und dabei kurz an seinen Praxisvorgänger denken. Der arbeitet im Moment noch auf einem
Kreuzfahrtschiff, möchte danach aber wieder in Deutschland Fuß fassen. „Ich drücke ihm die Daumen, dass er das
schafft – die Rückkehr in die Rödelei.“ .
Silja Schwencke
Am Anfang stand Reklame
Der deutsche Mediziner Dr. med. Michael Rösel hat in den
ersten Wochen nach seiner Ankunft einen Sprachkurs in
Mallorquí belegt. „Die Inselbewohner fangen an zu strahlen,
wenn ich den Dialekt ausprobiere. Ich finde die Mallor­
quiner klasse“, sagt der Facharzt für Allgemeinmedizin, der
aus der Nähe von Ingolstadt
hierher zog. Im Winter hatte
er allerdings auch Zeit zum
Sprachen lernen: Als er Anfang des Jahres die Praxis in Santanyí eröffnete, einem 3.000
Einwohner-Örtchen im Südosten der Insel, kamen pro Tag
null bis drei Patienten. „Ich habe dann viel Geld in die Werbung gesteckt“, sagt Michael Rösel. „Inserate in Zeitungen,
Flugblätter, kleine Plakate – nichts blieb unversucht.“ Jetzt
hat er fast soviel zu tun wie in Deutschland. Auch seine Frau,
ebenfalls Ärztin, und er sind nach Mallorca ausgewandert,
weil sie einen Systemwechsel wollten und vor allem weniger
bürokratischen Ärger. In Santanyí fanden sie eine gute
Schule – das gab letztendlich den Ausschlag für diesen Ort,
denn ihre Kinder sind sieben, fünf und vier Jahre alt.
Eine Finca und Praxisräume zu mieten, war kein großes
Problem. Die Praxis zog sogar kurz vor dem Start noch einmal um, als sie sich das Ehepaar bei einem deutschen Or-
Gute Mundpropaganda und Werbung
sind wichtig. Sonst kommt keiner.
interessa nte L i n k s
Homepages deutscher Mallorca-Mediziner
k Die Praxis von Dr. med. Peter Fleischhauer:
www.aerztehaus-palma.com
k Die Praxis von Dr. med. Michael Rösel:
www.medizincentrumsantanyi.es
www.thieme.de/viamedici
k Einen Famulaturbericht über die ebenfalls wunderschöne
Insel Sint Marteen (Saint-Martin) in der Karibik finden Sie hier:
www.thieme.de/viamedici/laender/karibik/
famulatur_sint_marteen.html
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Silja Schwencke schreibt als freie Mitarbeiterin für die
Via medici und arbeitet als wissenschaftliche Referentin
am Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin in
Berlin. Auf Mallorca war sie natürlich auch schon mal.
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