Epilepsie beim Hund, was tun? - SVK
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Epilepsie beim Hund, was tun? - SVK
Medizin Bilder einer neurologischen Untersuchung. Epilepsie beim Hund, was tun? Fotos: zVg Foto: animals-digital.de «Alles war wie immer. Max lag abends im Körbchen und plötzlich sprang er auf. Er lief in die Mitte des Raumes, fiel zur Seite und ruderte mit den Beinen. Zusätzlich speichelte er extrem, fletschte die Zähne, setzte Urin ab und jaulte schrecklich. Danach blieb er kurz liegen, erkannte niemanden der Familie mehr und lief für etwas fünfzehn Minuten rastlos umher …» So oder so ähnlich kann sich die Beschreibung anhören, wenn ein Tier einen epileptischen Anfall hatte. Oft ist es schwierig, die Vorgeschichte richtig zu deuten, da epileptische Anfälle sehr unterschiedlich aussehen können. Meistens hängt es von der genauen Beobachtung der Besitzer ab, ob ein epileptischer Anfall erkannt wird oder nicht. Besonders sogenannte fokale Anfälle sind oft nicht einfach als solche zu identifizieren. Von med. vet. Karina Raith Was tun während eines Anfalls? • Vorsicht: Tiere können um sich beissen! Lieber Hände weg von einem Tier im Anfall. • Hund sichern: Möbel aus dem Weg räumen, Treppen sichern und so weiter. • Falls vorhanden Notfallmedikament (vom Tierarzt) in Anus, Nase oder Maul spritzen. • Hund beruhigen, falls er wieder bei Bewusstsein und keine Gefahr mehr für den Besitzer ist. 68 © Schweizer Hunde Magazin 3/10 Verschiedene Anfallsarten – Generell gibt es verschiedene Arten von Anfällen, je nachdem welcher Ort im Gehirn vom «Gewitter», das heisst der unkontrollierten Entladung von Nervenzellen, betroffen ist. Bei generalisierten Anfällen verliert das Tier vollständig die Kontrolle über den eigenen Körper und ist nicht mehr ansprechbar (bewusstlos). Es liegt meist auf der Seite und zeigt starke Ruderbewegungen oder Streckkrämpfe. Häufig setzen Hunde bei einem generalisierten Anfall Urin und/oder Kot ab und zeigen vermehrtes Speicheln. Bei fokalen Anfällen hingegen sind die Tiere noch bei Bewusstsein oder aber sie sind etwas eingeschränkt in der Wahrnehmung und Reaktion auf ihre Umwelt. Meist ist nur eine, manchmal auch mehrere Muskelgruppen betroffen, sodass das Tier während des Anfalls noch stehen und gehen kann. Fokale Anfälle führen zum Beispiel zum unkontrollierten Zucken oder Versteifen einer Gliedmasse. Auch das Augenlid, die Lefze oder die Ohren können zucken. Bei primär fokalen, sekundär generalisierten Anfällen zeigen die Tiere zunächst einen fokalen Anfall, der sich dann zu einem generalisierten Anfall entwickelt. Nach einem epileptischen Anfall sind die Tiere oft verstört, manchmal desorientiert, extrem anhänglich, hungrig, durstig, teilweise blind oder wie betrunken. Diese Erholungsphase nach dem eigentlichen Anfall (Iktus) wird postiktale Phase genannt und kann mehrere Stunden andauern. Falls ein generalisierter epileptischer Anfall nach fünf Minuten nicht von selbst aufhört, spricht man von einem Status epileptikus. Hierbei handelt es sich um eine lebensbedrohliche Situation, die nicht unterschätzt werden darf. Es muss in jeden Fall ein Tierarzt aufgesucht werden, da durch die andauernde Aktivität im Gehirn Folgeschäden entstehen können. Ausserdem können durch die Beeinträchtigung der Steuerung des zentralen Nervensystems wichtige Körperfunktionen ausfallen, so zum Beispiel die Steuerung von Atmung, Blutdruck und Temperatur, und das Tier kann sterben. Beim Menschen beträgt die Todesrate während eines Status epileptikus rund zehn Prozent. Epilepsie, was nun? Während eines epileptischen Anfalls kommt es zu unkontrollierter, gleichzeitiger Entladung vieler Nervenzellen im Gehirn. Viele verschiedene Ursachen können dazu führen, dass die Reizschwelle von Nervenzellen herabgesetzt ist und sich Nervenzellen derartig explosiv entladen. Steht einmal fest, dass der eigene Hund epileptische Anfälle hat, beginnt die Detektivarbeit. Das heisst, es muss herausgefunden werden, weshalb es zum sogenannten Gewitter im Gehirn kommt und wie man helfen kann. Beim Tierarzt sollte eine eingehende Allgemeinuntersuchung stattfinden, um mögliche andere Ursachen wie zum Beispiel eine Herzerkrankung als Ursache des Anfalls auszuschliessen. Eine Blutuntersuchung ist ebenfalls unumgänglich, da zum Beispiel ein Unterzucker, Leber- und Nierenerkrankungen oder hormonelle Störungen ebenfalls zu epileptischen Anfällen führen können. In jedem Fall muss eine neurologische Untersuchung mit Test aller Reflexe durchgeführt werden. Diese Untersuchung ist essentiell, um das weitere Vorgehen zu planen. Generell kann jeder Hund jeden Alters epileptische Anfälle bekommen, jedoch sind manche Ursachen bei älteren Hunden wahrscheinlicher als bei jüngeren Hunden. So leiden ältere Hunde häufiger an Gehirntumoren, während jüngere Hunde oft eine genetische Epilepsie, Missbildungen des Gehirns oder Stoffwechselerkrankungen haben, die zu Anfällen führen. Das bedeutet, Epilepsie ist noch nicht die Diagnose! Epilepsieformen Etwa ein bis zwei Prozent der gesamten Hundepopulation leiden unter Epilepsie, wobei manche Rassen stärker betroffen sind als andere. Man unterscheidet zwischen der primären oder idiopathischen und der sekundären oder symptomatischen Epilepsie. > Wie können Besitzer bei der Diagnosefindung helfen? • Video-Aufnahmen der Anfälle machen • Aufzeichnungen (Uhrzeit, Dauer etc.) zu den Anfällen • alle Unterlagen von bisher durchgeführten Untersuchungen (Blut- und Röntgenbilder) • Ahnentafel Ihres Tieres • sonstige Besonderheiten (z. B. aus dem Ausland, Unfall als Welpe, Geschwister haben auch Anfälle) © Schweizer Hunde Magazin 3/10 69 Medizin Risiken verbunden ist. Jedoch sollte man bedenken, dass diese Therapie einem Tier möglicherweise noch ein langes, beschwerdefreies Leben ermöglichen kann. Eine Kernspintomographie eines Hundes mit Gehirntumor (rote Pfeile). Bild links vor Kontrastmittelgabe, Bild rechts nach Kontrastmittelgabe. Bei der symptomatischen Epilepsie liegt ein pathologischer Prozess im Gehirn oder anderen Organen vor, der zu den Anfällen führt. Zum Einen besteht die Möglichkeit, dass Stoffwechselerkrankungen wie Unterzucker, Leber- oder Nierenerkrankungen zu Anfällen führen können. Bei diesen Fällen sind normalerweise Auffälligkeiten in der neurologischen Untersuchung und/oder Blutanalyse zu sehen. Die andere Möglichkeit ist, dass das Gehirn selbst infolge einer Entzündung, einer Unterversorgung mit Blut und Sauerstoff (Infarkt, Hypoxie [Sauerstoffmangel im Gewebe]) oder eines Gehirntumors erkrankt ist. Auch ein Schädel-Hirn-Trauma kann durch Blutungen oder Erschütterungen direkt zu Anfällen führen oder durch Narbenbildung im Gehirn Monate nach dem Trauma epileptische Anfälle hervorrufen. Der Vorbericht und insbesondere die neurologische Untersuchung geben Hinweise auf eine derartige Erkrankung. In diesem Fall muss eine weiterführende Diagnostik gemacht werden, um eine Diagnose zu bestätigen. Hierzu zählen zum Beispiel die Kernspintomographie oder Computertomographie. Mit beiden Verfahren werden Schnittbilder des Gehirns angefertigt, um zum Beispiel Gehirntumore sichtbar zu machen. Eine andere Untersuchung ist die Abnahme (Punktion) und Analyse des Gehirnwassers, mit der Entzündungen des Gehirns und der Gehirnhäute festgestellt werden. Bei der idiopathischen Epilepsie handelt es sich um eine Funktionsstörung des Gehirns und es liegen keine sichtbaren Veränderungen im Gehirn oder an anderen Organen vor. Das heisst, alle uns möglichen Untersuchungen inklusive Kernspintomographie, Computertomographie, Untersuchung der Gehirnflüssigkeit haben ein negatives Ergebnis. Die Tiere sind zwischen den Anfällen klinisch absolut unauffällig. Bei dieser Form der Epilepsie stellen sich beim Hund die ersten Anfälle in der Regel im Alter von ein bis fünf Jahren ein. Die Allgemeinuntersuchung, die Blutanalyse und die neurologische Untersuchung sind bei dieser Erkrankung unauffällig. Bei einigen Rassen wurde die genetische Disposition nachgewiesen. Die idiopathische Epilepsie tritt in bestimmten Familien gehäuft auf, was darauf hinweist, dass eine genetische Ursache oder eine genetische Mitbeteiligung ursächlich ist (siehe Kasten Seite 71). 70 © Schweizer Hunde Magazin 3/10 Punktion der Gehirnflüssigkeit in Narkose. Normalerweise ist die Flüssigkeit klar. Bei diesem Hund war sie hochgradig verändert. Unter dem Mikroskop waren Entzündungszellen zu sehen. Der Hund hatte eine Hirnhautentzündung (Meningitis). Die Häufigkeit der Anfälle ist sehr variabel und nimmt erfahrungsgemäss bei unbehandelten Tieren zumeist mit der Erkrankungsdauer zu. Die Therapie Die Therapie der symptomatischen Epilepsie besteht immer darin, die Grundursache zu behandeln. Zum Beispiel werden Entzündungen im Gehirn mit Medikamenten behandelt. Bei manchen Gehirntumoren gibt es die Möglichkeit einer Operation oder einer Bestrahlungstherapie. Man muss bedenken, dass die Tierneurologen meist nur eine Verdachtsdiagnose über die genaue Art der Erkrankung des Gehirns geben können. Es wäre sehr wichtig zu wissen, um welche Art von Tumor oder Entzündung es sich handelt, um dem Tier die richtige Therapie zu geben. Hier steckt die Tiermedizin jedoch noch etwas in den Kinderschuhen und Gehirnbiopsien werden derzeit noch nicht routinemässig entnommen. Es ist bekannt, dass eine Operation oder Ähnliches, besonders im Bereich des Gehirns, immer mit grossen Bei der idiopathischen Epilepsie existiert keine behandelbare Ursache. Es kann lediglich mit Medikamenten versucht werden, die Anfälle zu unterdrücken. Dies erscheint sinnvoll, da die Anfälle erfahrungsgemäss bei unbehandelten Tieren zumeist mit der Erkrankungsdauer zunehmen. Wenn mehr als zwei Anfälle in sechs Monaten aufgetreten sind, raten wir zu einer Therapie. In der Schweiz ist kein antiepileptisches Medikament für Tiere zugelassen, sodass wir uns humanmedizinischer Medikamente bedienen müssen. Wichtig bei der Epilepsie-Therapie ist, dass die Tabletten regelmässig gegeben werden müssen, da sich sonst kein wirksamer Spiegel im Blut aufbauen kann. Erst nach ein paar Wochen Tablettengabe hat sich dieser im Blut stabilisiert und die Medikamente wirken. Falls ein Tier innerhalb einer Stunde nach Tablettengabe erbricht, sollte vorsichtshalber die gleiche Dosis noch einmal gegeben werden. Generell sprechen circa 70 Prozent der Hunde auf die Therapie an. Es besteht immer die Möglichkeit, falls ein Medikament alleine nicht wirkt, zwei Medikamente miteinander zu kombinieren und deren Wirkmechanismen in Kombination auszunutzen. Keine Therapie ohne Nebenwirkungen! Die Nebenwirkungen sind individuell verschieden. In den ersten Tagen sind die Tiere meist wie betrunken, zeigen einen torkelnden Gang, haben vermehrt Hunger und Durst oder sind sehr müde und schlapp. Dies sollte sich aber nach etwa zehn Tagen wieder normalisieren. Eventuell bleibt der grössere Hunger und Durst bestehen und manche Tiere nehmen vermehrt an Gewicht zu. Es werden auch Nebenwirkungen bei der Blutanalyse sichtbar, sodass, neben der regelmässigen Blutspiegel-Kontrolle der Medikamente (jährlich), auch die anderen Blutwerte (Leber- und Nierenwerte, Elektrolyte, Blutbild) kontrolliert werden sollten. Lebensqualität Eine Therapie ist immer nur dann sinnvoll, wenn sie dem Tier eine gute Lebensqualität ermöglicht. Dies ist das höchste Ziel. Man muss jedoch bedenken, dass die Schmerzgrenze der einzelnen Besitzer sehr unterschiedlich ist. So können die einen Besitzer einen Anfall im Monat tolerieren, während andere dies nicht mit ansehen können und bei einem derartigen «Therapieversagen» eine Die Schweizerische Vereinigung für Kleintiermedizin SVK/ ASMPA ist eine Fachsektion der Gesellschaft Schweizerischer Tierärzte GST/SVS. Ihr gehören ca. 600 praktizierende Kleintierärztinnen und -ärzte, Universitätsdozentinnen und -dozenten sowie andere speziell in Kleintiermedizin und -chirurgie interessierte Tierärztinnen und Tierärzte an. Auf diesen Seiten präsentieren wir Ihnen jeweils einen von einer ausgewiesenen Spezialistin oder einem Spezialisten verfassten Artikel über ein Thema zur Gesundheit bzw. zu Krankheiten von Hunden. Im Internet finden Sie uns unter www.kleintiermedizin.ch Euthanasie bevorzugen. Es gilt jedoch die Flinte nicht zu schnell ins Korn zu werfen, da man bei der EpilepsieTherapie relativ viel Geduld mitbringen muss. Neue Behandlungsmethoden In letzter Zeit werden vermehrt neuere Antiepileptika aus der Humanmedizin bei therapieresistenten Tieren verwendet. Therapieresistente Hunde sind Tiere, die bereits die «normalen» Medikamente in einer ausreichenden Dosierung erhalten, was mittels Wirkspiegel im Blut nachgewiesen wurde, und trotzdem weiterhin epileptische Anfälle zeigen. Die Erfahrungswerte mit diesen neuen Antiepileptika sind relativ gering und es existieren bislang noch keine Langzeitstudien. Über andere Therapiemöglichkeiten wie Homöopathie, Akupunktur, spezielle Diäten existieren keine aussagekräftigen Studien. Zum Teil erfahren wir von Besitzern, das die eine oder andere alternative Methode geholfen habe, jedoch kommen uns häufiger Geschichten zu Ohren, dass Hunderassen, bei deder Hund nach etlichen Versuchen nen gehäuft Epilepsie mit alternativer Medizin im Status epibeschrieben wurde: leptikus, das heisst in einem lebensbedrohlichen Zustand, in eine Tierklinik • Beagle • Belgischer Schäferhund eingeliefert wurde. • Berger Picard • Berner Sennenhund • Bernhardiner Gentests • Boxer • Cavalier Kings Charles Wie bereits vorher erwähnt, sind die Spaniel meisten genetisch erforschten Epilepsi• Cocker Spaniel en polygenetisch bedingt. Das heisst, es • Collie ist nicht ein einzelnes Gen für die nied• Dackel • Deutscher Schäferhund rige Krampfschwelle des Gehirns ver• Flat Coated Retriever antwortlich, sondern eine Kombination • Fox Terrier mehrerer Gene oder anderer Faktoren. • Labrador Retriever Aus diesem Grund gibt es bisher nur bei • Lagotto Romagnolo sehr wenigen der uns bekannten rasse• Irish Setter typischen Epilepsien einen Gentest. Im • Pointer Rahmen der Zucht erscheint es extrem • Pudel sinnvoll, derartige Tests machen zu las• Sibirischer Husky sen, damit die Epilepsie möglicherwei• Welsh Corgi • Wolfsspitz se vollständig aus der jeweiligen Rasse • Zwergschnauzer eliminiert werden kann. © Schweizer Hunde Magazin 3/10 71