Spectrum Ando war blass vor Neid

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Spectrum Ando war blass vor Neid
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'MANNA' Delikatessencafé
Maria-Theresien-Straße 3
6020 Innsbruck, Österreich
Ando war blass vor Neid
SAMMLUNG
Spürbar, greifbar, überschaubar: von kleineren Bauten, größeren Eindrücken und
dem, was man Atmosphäre nennt. Das Haus Hitz am Bodensee und das Gasthaus
"Manna" in Innsbruck.
ARCHITEKTIN
von Liesbeth Waechter-Böhm
In der Architektur vermitteln die kleineren Bauten nicht selten die größeren Eindrücke. Da
lässt sich einfach alles so richtig unmittelbar erfahren. Konzepte sind überschaubar und
fast automatisch zu lesen, die Materialsprache erspürt man geradezu hautnah, Details
kann man beinahe greifen - und irgendwie verdichtet sich doch alles zu jener höchst
unscharfen Kategorie, die man Atmosphäre nennt.
Spectrum
Rainer Köberl
BAUHERRIN
Hansjörg Kuen
Siegfried Spögler
FUNKTION
Hotel und Gastronomie
BAUENDE
2004
MITARBEIT PLANUNG
Rainer Köberl hat auch große MPreis- Märkte gebaut, die viel Beachtung gefunden haben. Werner Burtscher
Hier ist von zwei kleineren Bauten aus der jüngsten Zeit die Rede - einem Einfamilienhaus Aufgrund der Bildrechte kann es zu Unterschieden
am Bodensee, das er gemeinsam mit Paul Pointecker geplant hat, und dem Lokal "Manna" zwischen der HTML- und der Printversion kommen.
in der prominenten Innsbrucker Maria-Theresien-Straße.
Es war schon komisch, dass ich nicht einmal gemerkt habe, dass am Haus Hitz - Hanglage
mit wunderbarem Seeblick - an der Rückseite die Autobahn vorbeiführt. Ich habe es erst
durch das Fenster des Elternbadezimmers gesehen, das unten mattiert und oben klar ist.
Gar nicht reizlos.
Das Haus steht auf der Schweizer Seite des Bodensees. Der See liegt allerdings im
Norden, die Autobahn im Süden. Was sich so gar nicht gut anhört, ist in Wirklichkeit kein
Problem. Denn Köberl und Pointecker haben ein Atriumhaus geplant, das effektiv
wegblendet, was unangenehm ist, und echte Qualitäten schafft. Es ist ein Haus mit einem
"kalten" Herzen. Und das ist nicht negativ gemeint: Alles dreht sich auf der Wohnebene um
dieses Atrium, dieses große Zimmer ohne Dach.
Das Haus sprengt natürlich das heterogene Bild solcher Ortschaften total. Es steht da wie
ein Monolith, schwarz und gläsern - Letzteres in einem doppelten Sinn, denn auch die
schwarze Fassade ist aus Glas, aus Formglas, jenem - ich wurde belehrt: schwefelhaltigen
Schaum, den man üblicherweise zur Dämmung von Dächern verwendet. Die Fassade ist
also Haut im engen Wortsinn, einfach so darübergezogen über den Hausorganismus.
Und der ist nicht gerade klein. Zugeschnitten für Eltern, vier Kinder und die Mutter der
Bauherrin, außerdem für ein Büro mit fünf Arbeitsplätzen. Der Bauherr betreibt Schuh- und
Modegeschäfte, aber auch eine Firma, die sich mit Gebäudereinigung beschäftigt.
Letzteres sollte eine ganz spezifische Bedeutung erhalten: Denn genau vor einem Jahr
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wollte die Familie einziehen. Diese Hoffnung hat aber ein Schwelbrand gründlich zunichte
gemacht. Es mussten danach nicht nur alle "weichen" Teile des Hauses erneuert werden,
auch die Sichtbetonflächen im Haus waren schwarz. Und da dieses Haus überhaupt keine
geputzten Wände hat, kann man sich das Ausmaß der Bescherung vorstellen. Der Bauherr
hat jedenfalls all seinen Ehrgeiz als Gebäudereiniger in dieses Problem gesteckt.
Herausgekommen ist dabei der schönste Sichtbeton, den ich jemals gesehen habe. Eine
Oberfläche wie Sandstein, einfach makellos. Ando würde vor Neid erblassen.
Das Haus ist folgendermaßen organisiert: Unten liegen der Bürobereich, der
Wirtschaftsraum und das Apartment für die Mutter der Bauherrin. Eine sehr schöne, luftige,
leichte Treppe führt dann ins Wohngeschoß hinauf. Und da ist man zum ersten Mal mit
dem rundum verglasten Atrium konfrontiert, Küche, Ess- und Wohnbereich bilden ein
barrierefreies Raumkontinuum, und es schließt der "Kindertrakt" an. Für die Küche hat
Köberl eine ungewöhnliche Lösung gewählt. Die Erschließung der Kinderzimmer führt
durch den Küchenbereich hindurch. Der besteht nur aus zwei Zeilen, die eine mit einer
Nische für einen kleinen Esstisch und Blick nach draußen, die andere mit Blick zum Atrium.
Und der Gang dazwischen ist auch der Weg zu den Kinderzimmern. Komischerweise
scheint das überhaupt kein Problem zu sein.
Sehr schön sind die Materialien. Wenn man ins Haus hineinkommt, sind die
Garderobenschränke mit einem schwarzen, textilen Material bespannt. Das Motiv der
schwarzen Außenhaut setzt sich hier also - in einer Innenraumvariante - fort. Es gibt viel
Holz - Eiche, gedämpfte Akazie, Zeder. Und rundherum überall dieser unglaubliche
Sichtbeton.
Köberl hat im Wohngeschoß einige kleine Maßnahmen gesetzt, die viel für die
Wohnqualität im Haus bringen. Zum Beispiel gibt es eine durchscheinende
Kunststofffassade, die sich aufschieben lässt und in der warmen Jahreszeit ein Wohnen
hinaus ins Freie ermöglicht. Und auf der höchsten Ebene ist dem Elternschlafzimmer eine
Terrasse vorgelagert, die den Blick auf den Bodensee großartig in Szene setzt. Dabei ist
die Brüstung ungewöhnlich "dick", dafür aber nur 60 Zentimeter hoch.
Köberl hat in Innsbruck, wie eingangs erwähnt, auch ein Kaffeehaus/Restaurant realisiert.
Dabei gibt es einen gleichsam direkten "Link" zur Küchenlösung am Bodensee. Denn die
Erschließung zu den Bürogeschoßen im Haus darüber führt durch das Lokal hindurch.
Erstaunlich, dass das genehmigt wurde. Andererseits: Man hätte das Erdgeschoss - das
Lokal erstreckt sich über zwei Ebenen - zumindest nicht für diesen Zweck nutzen können,
wenn auch noch eine separate Erschließung notwendig gewesen wäre. Das
denkmalgeschützte Haus aus dem 15. Jahrhundert ist nämlich nur 3,80 Meter breit, misst
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dafür in der vollen Parzellentiefe aber 30 Meter. Extreme Bedingungen, die ungewöhnliche
Lösungen herausfordern.
Ungewöhnlich ist vor allem, dass das Konzept des Architekten einen Rundumgang durch
die beiden Ebenen des Lokals ermöglicht. Man geht unten hinein, in die Tiefe und kann
dort ins Obergeschoß hinauf-, zurück- und wieder hinuntergehen. Sicher wurde diese
Lösung erst durch die räumlichen Zwänge suggeriert. Aber sie macht aus der Platznot in
der Breite eine Tugend: Köberl schlägt den Gästen einen Einbahnverkehr vor, sie
brauchen nicht umzudrehen und wieder an den selben besetzten Tischen vorüberzugehen,
die sie gerade passiert haben.
Auch vom Material her gibt es Verwandtschaften mit dem Haus Hitz. Viel Holz - Eiche,
gedämpfte Akazie, Zeder, aber auch Stein, osttiroler Serpentin - schafft eine gediegene
Atmosphäre. Wäre es kein Klischee, ich würde sagen: englischer Klub. Köberl hat eine Art
architektonisches Pausenzeichen geschaffen. Einen Ort, der beruhigt.
Spectrum, 24.12.2005
WEITERE TEXTE
MANNA Delikatessencafe in Innsbruck, aut. architektur und tirol, 09.05.2006
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