Das Grabtuch von Turin
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Das Grabtuch von Turin
Dr. Thomas Schlager-Weidinger Eine Menge Stoff: Das Grabtuch von Turin Kapitelübersicht Beschreibung Das Turiner Grabtuch – ein Objekt der Wissenschaften Der historische Befund Der naturwissenschaftliche Befund Der gerichtsmedizinische und kriminologische Befund Der theologische Befund Resümee 1 1/7 Beschreibung Das Grabtuch von Turin ist ein altes Leinentuch, das 4,36 Meter lang und 1,10 Meter breit ist und welches ein Ganzkörperbildnis der Vorder- und Rückseite eines Menschen zeigt. Unumstritten ist, dass es sich bei dem Tuch um eine Singularität (d.h. eine vereinzelte Erscheinung) handelt, und zwar v. a. durch folgende Eigenschaften: >> 2/7 1. Die Abbildung ist verzerrungsfrei nach Art einer fotografischen Projektion auf eine plane Fläche, also kein Kontaktabdruck. Trotzdem zeigt sie Vorderund Rückseite der abgebildeten Person in voller und identischer Größe. >> 2 3/7 2. Die Abbildung ist nach Helligkeitsparametern ein Negativ. Erst neuzeitliche fotografische Technik erlaubt die Umkehrung, die ein stufenlos abgeschattetes, vollkommen realitätsechtes „Schwarzweißfoto“ ergibt. Die Entstehung durch Malerei ist damit kaum denkbar. >> 4/7 3.Die Abbildung zeigt einen nach der Art Jesu gekreuzigten Mann mit Spuren von Geißelung, Dornenkrönung, Annagelung und Brustöffnung. Auffällig ist, dass jene Details, welche zunächst in der christlichen Ikonografie anders dargestellt wurden, mit den Ergebnissen moderner archäologischer Forschung übereinstimmen: die Spuren der Dornenkrone ergeben keinen Kranz, sondern eine Haube; die Hände erscheinen nicht in der Fläche, sondern in der Wurzel durchbohrt; die Beine müssten am Kreuz seitlich angewinkelt, nicht ausgestreckt gewesen sein. >> 3 5/7 Gegenüberstellung von Positiv und Negativ >> 6/7 Am Grabtuch sind des weiteren Brandschäden, Wasserflecken, aufgesetzte Flicken und Falten feststellbar. Am augenfälligsten sind wohl zwei der Länge nach verlaufende dunkle Streifen, die an mehreren Stellen von diversen Flecken und Flicken unterbrochen werden. Dabei handelt es sich um Spuren eines Brandes im Jahre 1532. Das Tuch lag damals in einem silbernen Schrein. Aus der Symmetrie der Schäden ist zu ersehen, wie das Tuch gefaltet war: zweimal, also in vier Schichten, der Länge nach und in zwölf Schichten der Breite nach, zusammen also in 48 Schichten. An einer Ecke war der Silberschrein bereits so erhitzt, dass an dieser Stelle das Tuch durch alle Schichten versengt und etwa dreieckige Löcher durchgebrannt wurden, die später mit Leinenstücken überdeckt wurden. Außerdem kann man entlang der Mitte und an den Rändern rhombusförmige Flecken erkennen, welche durch Löschwasser verursacht wurden. Faltung des Tuches Schematische Darstellung der Brandschäden und der Faltung am offenen Tuch >> 4 7/7 Einige kleine, regelmäßig angeordnete Brandlöcher (auf der Vorderansicht beiderseits der Hände, auf dem Rückenbild in Höhe der Oberschenkel) sind älter. Sie können bereits vor 1516 nachgewiesen werden, wie auf einer Kopie des Turiner Grabtuches ersichtlich wird; diese wird Albrecht Dürer zugeschrieben. Das Turiner Grabtuch – ein Objekt der Wissenschaften > Die wissenschaftlichen Rahmenbedingungen >> Naturwissenschaften >> Humanwissenschaften >> Theologie >> Wissenschaftliche Methoden >> Gütekriterien für empirische Untersuchungen > Die Sindonologie 5 Die wissenschaftlichen Rahmenbedingungen Sowohl für die Naturwissenschaften als auch für die Humanwissenschaften ist das Turiner Grabtuch ein äußerst interessantes Forschungsobjekt. Für die Theologie ist dieses nur von geringer Bedeutung. Die Sindonologie umfasst verschiedene wissenschaftliche Forschungs- bzw. Untersuchungsmethoden aus den unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen, deren Ergebnisse sich letztlich ergänzen sollen bzw. nicht widersprechen dürfen. Die empirischen Untersuchungen müssen selbstverständlich den wissenschaftlichen Gütekriterien (Reliabilität, Objektivität, Validität) entsprechen. Naturwissenschaften Die Naturwissenschaften stehen nach traditioneller Auffassung den Geisteswissenschaften bzw. in einem moderneren Begriffsverständnis den Humanwissenschaften gegenüber. Allerdings ist diese ausschließliche Zweiteilung der Wissenschaften in zwei große Kategorien heute weitgehend nicht mehr begriffliche Grundlage: Als prominentestes Beispiel für eine Wissenschaft, die weder als Natur- noch als Geisteswissenschaft einzuordnen ist, gilt die Mathematik, die den Strukturwissenschaften zugeordnet wird. Naturwissenschaften sind Wissenschaften, die sich mit der unbelebten und belebten Natur befassen, diese zu beschreiben und zu erklären versuchen. Die traditionellen Gebiete der Naturwissenschaften – Physik, Chemie und Biologie – prägen auch heute noch nachhaltig das verbreitete Bild der Naturwissenschaften. In der Gegenwart wird der Begriff Naturwissenschaften jedoch deutlich weiter gezogen. 6 Humanwissenschaften Unter den Humanwissenschaften versteht man all die Wissenschaftsgebiete, die sich mit dem Menschen als Forschungsobjekt befassen, d.h. Anthropologie, Humanbiologie, Humanethologie, Medizin, Geschichtswissenschaft, Archäologie, Soziologie, Politikwissenschaft, Geographie, Ethnologie, Volkskunde, Psychologie, Pädagogik, Pflegewissenschaften sowie verwandte und interdisziplinäre Richtungen. Mit diesem Begriff wird auf die Tendenz zum interdisziplinären Arbeiten reagiert, die zunehmend frühere Unterscheidungen zwischen Geisteswissenschaften und Sozialwissenschaften einerseits und den Naturwissenschaften andererseits relativiert. 1/2 Theologie Die Theologie (griech. θεολογία, theología, von θεός, theós, „Gott“ und λόγος, lógos, „Lehre“) ist wörtlich die Lehre von Gott, allgemeiner die Lehre von Glaubenssystemen und Glaubensdokumenten. Die christliche Theologie versteht sich als - wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Quellen des Glaubens (Biblische Theologie und Historische Theologie), - der systematischen Analyse und Darstellung des Glaubens (Systematische Theologie: besonders Fundamentaltheologie und Dogmatik) - und der Glaubenspraxis (Praktische Theologie). Viele der in der Theologie üblichen Analysesysteme und Methoden werden auch im Bereich der Linguistik, der Philosophie oder der Geschichtswissenschaft verwendet. Dies ermöglicht den wissenschaftlichen Diskurs zwischen evangelischen, katholischen, orthodoxen, jüdischen, atheistischen und andersgläubigen Wissenschaftlern, wie er zum Beispiel in der Religionsgeschichte und in der Biblischen Wissenschaft (Exegese) üblich ist. Dennoch hat jede Theologie ihr Spezifikum in der Art und Weise, wie sie ihren "Gegenstand" (Materialobjekt) und ihren methodischen Zugang (Formalobjekt) definiert. >> 7 2/2 Für die Theologie ist das Grabtuch von geringer Bedeutung, da der Glaube in erster Linie von der Beziehung zum auferstandenen Jesus, als auch von Zeugnissen des Neuen Testamentes geprägt wird – und nicht von einem Gegenstand. „Da kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte: Friede sei mit euch! Dann sagte er zu Thomas: Streck deinen Finger aus - hier sind meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete ihm: Mein Herr und mein Gott! Jesus sagte zu ihm: Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. Noch viele andere Zeichen, die in diesem Buch nicht aufgeschrieben sind, hat Jesus vor den Augen seiner Jünger getan. Diese aber sind aufgeschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen.“ (Joh 20,27-31) „Die geheimnisvolle Faszination des Grabtuches wirft Fragen über die Beziehung dieses geweihten Leinens zum historischen Leben Jesu auf. Da das aber keine Glaubensangelegenheit ist, hat die Kirche keine besondere Befugnis, zu diesen Fragen Stellung zu beziehen.“ (Papst Johannes Paul II. am 24. Mai 1998) 1/2 Wissenschaftliche Methode Alle wissenschaftlichen Methoden folgen dem gleichen Ansatz, um ein Problem zu untersuchen. Die wissenschaftliche Arbeitsweise setzt voraus: > Anwendung logisch strukturierter Überlegungen auf alle Beobachtungen > Formulieren einer Hypothese > Zurückweisung oder Bestätigung der Hypothese durch Versuche und Vergleiche >> 8 2/2 Wissenschaftliche Methode Beobachtung >> Beschreibungen und Messungen Beobachtung Mustererkennung >> Ursache und Wirkung von Zusammenhängen und Tendenzen Gesetz IDEE ;-) Theorienentwicklung >> Hypothesen aufstellen und testen Experimente >> Tests kreieren und durchführen, um zu beweisen/widerlegen, dass die Hypothese zu einer Theorie führt Theorie (Voraussagen) Modifizierung der Theorie Experimente (weitere Beobachtungen) Erfolg bzw. Misserfolg 1/2 Gütekriterien für empirische Untersuchungen Die Reliabilität stellt neben der Validität und der Objektivität eines der drei wichtigsten Gütekriterien für empirische Untersuchungen dar. Diese bauen aufeinander auf. Ohne Objektivität keine Reliabilität, ohne Reliabilität keine Validität. Beispiel: Als Standardbeispiel wird oft der Intelligenzqotient herangezogen. Betrachtet man die drei Gütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität, so sind die ersten beiden Gütekriterien gut erfüllt: Der Intelligenzquotient lässt sich unabhängig vom Beobachter feststellen und das Testergebnis lässt sich auch wiederholen. Die Validität, also die Gültigkeit, lässt sich aber bezweifeln, da oft kritisiert wird, das der Intelligenztest keine genaue Aussage über die wahre Intelligenz macht. >> 9 2/2 Die Reliabilität (Zuverlässigkeit; Messgenauigkeit; Wiederholbarkeit) bezeichnet die formale Genauigkeit wissenschaftlicher Untersuchungen. Reliable wissenschaftliche Ergebnisse sind frei von Zufallsfehlern, d.h. bei Wiederholung eines Experimentes unter gleichen (!) Rahmenbedingungen würde das gleiche Messergebnis erzielt. Reliabilität ist also ein Maß für die Replizierbarkeit der Ergebnisse unter gleichen Bedingungen. Objektivität (Beobachterübereinstimmung) ist eine Eigenschaft, die der Haltung eines Beobachters oder der Beschreibung einer Sache oder eines Ereignisses zugeschrieben werden kann. Im Fall der Beschreibung bezeichnet Objektivität die Übereinstimmung mit der Sache oder dem Ereignis ohne eine Wertung oder subjektive Verzerrung, im Fall des Beobachters das erfolgreiche Bemühen um eine solche Übereinstimmung. Mit Validität (von lat. validus: stark, wirksam, gesund; Gültigkeit) wird in erster Linie das argumentative Gewicht einer (vornehmlich wissenschaftlichen) Feststellung bzw. Aussage, Untersuchung, Theorie oder Prämisse bezeichnet. Sie gilt vor allem für empirische Untersuchungen als Inbegriff des Vorhandenseins exakter methodisch-logischer Qualitätskriterien. 1/2 Sindonologie Die Wissenschaft des Grabtuchs nennt sich Sindonologie (aus dem Griechischen sindón, das für Leichentuch und auch für eine Bekleidung im Markusevangelium verwendet wird). Ray Rogers (links), Chemiker, Mitglied des Shroud of Turin Research Project (STURP) von 1978 Die Sindonologie ist eine sehr kontroverse Wissenschaft, in der sich Authentizitätsbefürworter und Gegner teilweise unversöhnlich gegenüberstehen. Auch sind im Umfeld dieser Wissenschaft viele populärwissenschaftliche oder schlichtweg pseudowissenschaftliche Publikation entstanden, in denen fragwürdige Theorien verbreitet werden, welche zum Teil auf angeblich heimlichen und unautorisierten Probenentnahmen und entsprechenden Messungen beruhen und deswegen wissenschaftlich nicht überprüfbar sind. >> 10 2/2 Ein besonderes Problem der Sindonologie dürfte auch sein, dass Wissenschaftler nur eingeschränkt und selektiv Zugang zum Grabtuch haben, was Verschwörungstheorien begünstigt und unabhängige Forschung erschwert. So wird etwa dem STURP-Projekt (Shroud of Turin Research Project) von Kritikern vorgeworfen, dass viele Mitglieder mehr religiös als wissenschaftlich motiviert sind und einige gleichzeitig Mitglied einer „Gilde des Heiligen Grabtuches“ (engl. Holy Shroud Guild) sind, einer katholischen Organisation welche es sich zur Aufgabe gemacht hat, die „Sache“ des Grabtuches zu fördern. Der naturwissenschaftliche Befund > Die Fotografie als Beginn der modernen wissenschaftlichen Erforschung > Theorien zur Entstehung des Negativabdrucks > Radiocarbondatierung (C14-Test) > Pollenanalyse > Gewebeuntersuchung > Mikroskopische Untersuchung > Chemische Untersuchung > Datierung durch Lignin-Vanillin-Zerfall 11 1/3 Die Fotografie als Beginn der modernen wissenschaftlichen Erforschung Am 28. Mai 1898 wurde der Turiner Ratsherr und Rechtsanwalt Secondo Pia, ein geschätzter Amateurfotograf, eingeladen, das Turiner Grabtuch - zum ersten Mal in der Geschichte - zu fotografieren. Und weder er noch sonst jemand dachte daran, dass sich damit eine Sensation vorbereitete. Im stillen Dunkel der Kathedrale stand er vor dem Tuch, das in ganzer Länge ausgebreitet war, eingefügt in einen Rahmen und geschützt durch eine Glasplatte. Es war vergilbt von den Jahrhunderten durchzogen von Spuren alter Brandstellen, restauriert mit Flicken. Zwischen all den Hinweisen auf schwere Beschädigungen hob sich vom elfenbeinfarbenen Tuch ein sepiafarbener Schatten ab, der ein Abdruck eines Gesichts zu sein schien sowie zweier Arme, die Hände überkreuzt. An den Rändern schien die Farbe in ein Nichts zu verschwimmen. Je mehr die Augen sich an die Situation anpassten, um so dramatischer wurde der Anblick. Denn von dem Tuch begann sich allmählich die Gestalt eines Körpers abzuheben, etwa so, wie die Umrisse eines Ertrunkenen auf dem Wasser aufsteigen. >> 2/3 „Negativ“ „Positiv“ Fotographisch war das Bild, das sich zeigte, kaum festzuhalten, - aber Pia gab nicht auf. Dickköpfig, wie er war, korrigierte er sich mehrmals und machte dann an jenem lauen Abend des 28. Mai mit großen Fotoplatten von 50 mal 60 Zentimeter doch noch technisch korrekte Aufnahmen. Das erste Negativ, das sich langsam auf der in das Entwicklungsbad gelegten Platte entwickelte - und die er dann vor Aufregung fast fallen ließ - sollte sich wie ein Lauffeuer über die ganze Welt verbreiten. >> 12 3/3 Im Anschluss an Pias Entdeckung begannen die wissenschaftlichen Diskussionen um das Tuch. Hatten sich alle Argumente bis dahin nur auf gemalte Kopien oder Berichte von Augenzeugen stützen können, so war es jetzt möglich, das Bildnis tausendfach zu vervielfältigen und jedem zugänglich zu machen. Außerdem ließen sich nun dank der Verstärkung der Kontraste auf der Fotografie viele zuvor unbekannte Einzelheiten erkennen. Scheinbar nur Details, sind sie doch von wesentlicher Bedeutung in der wissenschaftlichen Analyse des Tuches. Trotzdem muss festgehalten werden, dass auf dieser Aufnahme nicht alle wichtigen Einzelheiten zu erkennen sind; handelt es sich doch um keine Detailaufnahmen, sondern um ein Abbild des gesamten über 4m langen Tuches. 1931 wiederholte der Fotograf Giuseppe Enrie die Prozedur. Seither steht es fest: Es handelt sich um keine Malerei. Entsprechende Versuche, das Gegenteil zu beweisen, verliefen im Sand. Wie jedoch der Negativabdruck entstand, ist bis heute ein Rätsel. Theorien zur Entstehung des Negativabdrucks Welcher der nun folgenden Theorien man auch eher zugeneigt ist, eines ist klar, man bewegt sich hier nach wie vor auf dem Felde der Spekulation und ein endgültiges Ergebnis gibt es in dieser Frage noch nicht. [>> Die Beschaffenheit des Grabes als Voraussetzung] > Chemische Vaporographie: „Verfärbung“ des Tuches aufgrund aufsteigender Dämpfe > Kontaktabdruck: Entstehung des Abdruckes durch eine direkte Berührung des Tuches mit dem Körper > Das TG als sich „entwickelndes“ Bild: Das Abbild wird erst durch einen natürlichen chemischen Prozess im Laufe der Zeit sichtbar > Entstehung durch Versengung: Das Abbild entsteht durch Hitze > Die Theorie vom „thermonuklearen Strahlenblitz“: Das Abbild als fotographischer Abdrucke augrund einer thermonuklearen Strahlung 13 1/2 Chemische Vaporographie: Paul Vignon entwickelte diese Theorie, um die Entstehung des Tuchbildes zu erklären. Vom gesalbten Leichnam aufsteigende, peroxidhaltige oder vom Schweiß stammende ammoniakhaltige Dämpfe hätten das mit Myrrhe- und Aloeflüssigkeit getränkte, aber straff aufgelegte Tuch stellenweise oxidieren lassen, also gedunkelt. Es handelt sich also hier nicht um einen Kontaktabdruck, also einer Berührung des Körpers mit dem Tuch, sondern um eine „Verfärbung“ des Tuches - also eher etwas, das einer Projektion gleichkommt aufgrund aufsteigender Dämpfe (vapor = lat. Dunst). Diese Verfärbung sei letztlich durch die Reaktion der vom Tuch aufgesogenen Lösung von Aloe und Myrrhe entstanden, durch die Bildung von Ammoniumkarbonat, dessen Dämpfe in der feuchten Atmosphäre zwischen Haut und Leintuch die Fasern direkt proportional zum Kontakt mit dem Körper dunkel verfärbt hätten. Deshalb ist die Färbung dort am stärksten, wo das Tuch den Körper berührt, und wird schwächer, je weiter Tuch und Körper auseinander liegen. Dies würde auch den Negativcharakter des Abbildes erklären, außerdem liegt auch hier der Ursprung für die „Entdeckung der 3.Dimension“ im Tuchbild. >> 2/2 „Negativ“ „Positiv“ Die Experimente mit Aloe und Myrrhe, die Vignon mit Hilfe des Chemikers René Colsons an sich selbst durchführte, blieben teilweise unzufriedenstellend, da die so erzielten Abdrücke recht verschwommen und verzerrt waren, wie ein vergleichbarer Abdruck von Prof. Judica-Cordiglia zeigt: Ein viel versprechender Ansatzpunkt für weitere Forschungen war aber trotzdem gefunden worden und seine Theorien fanden zu späterer Zeit erneut Beachtung. 14 Kontaktabdruck: Gemeinsam mit der Theorie der chemischen Vaporographie war diese Annahme eine der ersten, die von den Grabtuchforschern entwickelt wurde. Der wesentliche Unterschied zu voriger besteht darin, dass hier die Entstehung des Abdruckes auf eine direkte Berührung des Tuches mit dem Körper zurückgeführt wurde. Wie bereits erwähnt, führte Vignon auch Versuche in diese Richtung durch. Wilcox beschreibt diese folgendermaßen: „Er klebte sich einen Bart von der ungefähren Größe und Form des Originals auf dem Turiner Tuch ins Gesicht, legte sich auf einen Tisch und befahl zwei Helfern, sein Gesicht mit rötlichem Kalkpulver zu bestreuen. Dann legten die Assistenten ein Leinentuch über Vignons Kopf, drückten es fest gegen das Gesicht und versuchten durch leichtes Reiben die Konturen auf das Leinen zu übertragen. Sie hatten tatsächlich Erfolg: nach dem Abschluss des Experiments befand sich wirklich ein Negativbild Vignons aus rötlichem Kalkstaub auf dem Gesichtstuch. Aber die Wiedergabe war unvollkommen: [...] Das ganze wirkte eher wie ein Zerrbild und kam in keiner Weise an die Genauigkeit des Abbildes auf dem Turiner Grabtuch heran“.* (* aus: Wilcox, Robert K.: Das Turiner Grabtuch. Ein Beweis für die Auferstehung Jesu, Düsseldorf-Wien 1978, 94) Das Turiner Grabtuch als sich „entwickelndes“ Bild: Hierbei geht man von der Annahme aus, dass ein natürlicher chemischer Prozess das Abbild auf dem TG erst im Laufe der Zeit sichtbar machte, quasi „entwickelt“ hat. Die Grundlagen für diese Theorie sind jedoch ähnlich zu den vorangegangenen, besonders der chemischen Vaporographie. Hautsekrete und/oder Öle (eventuell auch Aloe und Myrrhe) hätten durch Direktkontakt mit der Gewebezellulose und/oder mit den Auftragemitteln chemische Verbindungen ergeben, welche im Laufe der Zeit eine Dunkelfärbung hätten verursachen können. Schweiß oder Kochsalz ergibt hierbei, auf ölhaltiges Tuch vor dem Erhitzen aufgetragen, Bräunungsstellen, welche in der Farbe jenen des Abbildes auf dem Grabtuch weitgehend entsprechen. Es ist darum damit zu rechnen, dass auch der Zeitfaktor bei der Bildentstehung eine Rolle spielte. Obwohl diese Experimente durchaus brauchbare Resultate erzielten, wäre eine Übertragung zum Beispiel lückenfreier und unverzerrter Gesichtseinzelheiten und anderer Details nach dieser Methode unmöglich gewesen. Auch die im Abbild gespeicherte dreidimensionale Information ließe sich allein mit dieser Hypothese kaum erklären. Trotzdem erscheint diese Hypothese zumindest für eine teilweise Erklärung der Entstehung der Bildspuren relativ plausibel. 15 Entstehung durch Versengung: Diese Annahme erscheint bei einem ersten Blick auf das Turiner Grabtuch recht plausibel, wirken doch die Bildspuren wie in das Tuch „eingebrannt“. Ein in den 1960-er Jahren durchgeführter Versuch mit einem erhitzten Medaillon, welches dann auf ein Leinenstück gedrückt wurde, brachte ein dem Charakter des Abbildes auf dem Turiner Grabtuch recht ähnliches Ergebnis. Wo das Taschentuch direkt auf den Metallteilen zu liegen gekommen war, waren die Verfärbungen am dunkelsten, wo der direkte Kontakt aber fehlte, war die Verfärbung ganz zart oder das Tuch behielt überhaupt seine ursprüngliche Farbe. Dennoch ist natürlich dabei zu bedenken, dass sich ein menschlicher Körper anders verhält als ein Metallstück, insofern stellt sich die Frage, wie realistisch diese Einschätzung ist. Die Theorie vom „thermonuklearen Strahlenblitz“: Manche Wissenschaftler sprechen von einem ähnlichen Vorgang wie er auch bei der Atombombenexplosion in Hiroshima zu beobachten war. Unter der ungeheuren Energieentladung hatten sich Gegenstände wie fotografische Abdrucke auf Mauerwänden eingebrannt. Skeptiker schütteln den Kopf. Experte Luigi Gonella präzisiert: "Es sieht so aus, ich betone: es sieht so aus, als hätte eine unbekannte Strahlung stattgefunden. Eine Strahlung, die Permanenter Schatten infolge des Strahlenblitzes von Hiroshima. aber vollkommen andersartig ist, als jene, die durch die Atombombenexplosion in Hiroshima bewirkt wurde. Amerikanische Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass es keinerlei materielle Restspuren auf dem Leinen gibt, weder Spuren von Farbe, noch Aloe oder Myrrhe." 16 1/4 Die Beschaffenheit des Grabes als Voraussetzung eines Abdruckes: Wichtig ist hierbei festzuhalten, dass es sich wohl um zwei verschiedene Abbildungsvorgänge für Bild- und Blutspuren handelt. Erstens scheinen die Blutspuren zuerst auf das Tuch gekommen zu sein, da sich darunter keine Bildspuren ausmachen lassen. So auch der Grabtuchforscher Bulst : „Unter den Blutstellen sind die Fasern nicht verfärbt. Die Blutspuren müssen also vor der Entstehung des Körperbildes auf das Tuch gekommen sein und das Tuch gegen die Einwirkung jener Faktoren abgeschirmt haben, die das Körperbild bewirkten“. Zweitens haben sie das Tuch durchdrungen, während die Bildspuren nur an der Oberfläche zu sehen sind. Und drittens sind die Blutspuren auch von dem charakteristischen Negativeffekt des Turiner Grabtuches ausgenommen; sie erscheinen auf dem Original wirklich dunkel und auf dem fotografischen Negativ hell, also wie bei einem „echten“ Negativ. Von den Befürwortern der Echtheit – wird die These vertreten, dass Jesus in einer Art Arcosol-Troggrab bestattet worden sei. >> 2/4 Man hat sich dieses Grab so vorzustellen: ein Felsengrab, bei dem in die Felsbank unter dem Felsgewölbe ein etwa sargförmiger Trog eingehauen war. Diesen Grabtypus gab es in Palästina bereits seit der Eisenzeit und es entspricht auch dem Grab, welches unter Konstantin aufgefunden wurde. Nun konnte man bei einem Begräbnis das Leichentuch am Boden des Troges ausbreiten, wo es relativ eben auflag. Die obere Hälfte des Tuches, mit der man Arcosol-Troggrab. das Grab dann abdeckte, wurde von den umlaufenden Felsrändern gehalten. Es senkt sich in der Mitte nur so weit, bis es auf dem Körper aufliegt. So lag auch die obere Tuchhälfte nahezu eben, die Verzerrungen beim Frontbild sind infolgedessen geringfügig. Dies sollte also eine relativ straffe Spannung des Tuches über dem Körper ermöglichen, um so ein recht gleichmäßiges Abbild entstehen zu lassen. Kritiker betonen, dass „Arcosol-Gräber erst in der frühen byzantinischen Periode entstanden sind, also etwa 200 Jahre nach Jesu Grablegung. Davor gab es eine kurze Periode spätrömischer Schaftgräber. >> 17 3/4 Der am weitesten verbreitete und typische Grabbau der Zeit Jesu war das kôkim-Grab, und ganz offensichtlich war auch das Grab, in das sie Jesus legten, ein solcher Grabbau. Folgende Abbildung verdeutlicht dieses Szenario. Rekonstruktion eines Kôkim- Grabbaues >> 4/4 Gegen die Theorie des Arcosol-Grabes ist folgender Einwand ernst zu nehmen: „Und was ist mit dem Rücken? Wenn das Tuch flach über dem Körper war, damit das Negativbild entstehen konnte, wie ist dann eigentlich das Negativbild vom Rücken entstanden? Da kann doch die Theorie mit dem Arcosol-Grab nicht stimmen. Denn da muss der Leichnam sehr wohl in direktem Kontakt mit dem Tuch gewesen sein, oder haben wir uns vorzustellen, dass der Körper zwischen dem oberen und unteren Teil des Tuches geschwebt ist oder was?“ (aus: Dirnbeck, Josef: Jesus und das Tuch. Die „Echtheit“ einer Fälschung, Wien-Klosterneuburg 1998, 154.) 18 Die Radiocarbondatierung Mit Hilfe der Radiocarbondatierung - auch C14-Methode genannt - lässt sich das Alter organischer Stoffe bestimmen. Dabei macht man sich zunutze, dass in der Stratosphäre ständig radioaktiver Kohlenstoff-14 unter dem Einfluss kosmischer Strahlung aus Stickstoff-14 entsteht, wobei ein Neutron durch ein Proton ersetzt wird. Mit einer Halbwertszeit von 5730±40 Jahren zerfällt das Kohlenstoff- wieder in das Stickstoffisotop. Da Erzeugung und Zerfall im Gleichgewicht stehen, ist der C14-Anteil im Kohlenstoffgehalt der Atmosphäre weitgehend konstant. Geht man von einem konstanten Verhältnis der beiden Kohlenstoffisotope aus, dann lässt sich dieses für die Altersbestimmung heranziehen. Denn über die Photosynthese gelangen beide Kohlenstoffisotope in die Nahrungskette. Stirbt nun eine Pflanze oder ein Tier, dann wird auch kein Kohlenstoff mehr aufgenommen; d.h. der Bestand an vorhandenem Kohlenstoff-14 wird durch den radioaktiven Zerfall immer kleiner. Je weniger C14 in einem Gegenstand ist, umso älter ist er. 1/5 >> 2/5 Drei Forschergruppen aus Arizona, Oxford und Zürich bestimmten 1989 das Alter des Tuches mittels Radiocarbon-Methode; veröffentlicht wurden die Resultate im Fachblatt Nature. Die Zürcher Gruppe um Georges Bonani vom ETH-Institut für Teilchenphysik erhielt dafür 52,8 Milligramm Probenmaterial. „Dieses Stück wurde zuerst in zwei Teile unterteilt. Von der ersten Hälfte wurden drei Proben hergestellt, die unterschiedlich gereinigt wurden, um eventuelle Verunreinigungen feststellen zu können. >> 19 3/5 Die Proben der zweiten Hälfte wurden zu einem späteren Zeitpunkt analysiert“, berichten die Zürcher Forscher. „Alle Proben ergaben übereinstimmende Resultate.“ Die ETH datierte die Proben auf ein Alter von 676 Jahre, die Wissenschafter der University of Oxford auf 750 Jahre und die Physiker der University of Arizona auf 646 Jahre. Das heißt: Wenn das Tuch höchsten 750 Jahre alt ist, kann es dann Jesus von Nazareth umhüllt haben? Leinenfäden vom TG unter dem Elektronenmikroskop (links in 1ooofacher, rechts in 8ooofacher Vergrößerung). Die deutlich sichtbaren Kontaminationen sind teilweise, da mit den Fasern des Tuches verwachsen, kaum zu entfernen und stellen insofern einen erheblichen Unsicherheitsfaktor für die Exaktheit der Karbondatierung dar. >> 4/5 Aber schon bald nach der Veröffentlichung dieses Ergebnisses wurden Zweifel angemeldet. Ein wichtiges Argument war, dass der Rand des Tuches kunstgestopft sei, also Fäden enthalte, die jünger seien. Ein anderer Kritikpunkt (von Werner Bulst in „Betrug am Turiner Grabtuch, Der manipulierte Carbontest“) war auch, dass die Stelle, an der die Probe entnommen wurde, sichtbar gründlich verunreinigt war. Es ist eine der Ecken, an der das Tuch früher und durch Jahrhunderte bei Ausstellungen wohl (ahnungslos) mit bloßen Händen gehalten wurde. Hitze, Schweiß, Ruß von Fackeln und Kerzen haben durch die Jahrhunderte besonders an diesen Stellen auf das Tuch eingewirkt. Die Ausstellung des Grabtuches in Turin im Jahre 1578 (zeitgenössische Darstellung aus dem gleichen Jahr). Das Tuch wurde bei zahlreichen Ausstellungen - sechs Jahrhunderte lang - offen und ungeschützt gehalten, unter Einfluss von Fackeln, Kerzen und dgl., wie hier dargestellt. Vor allem die Ecken des Tuches litten unter dieser Handhabung. >> 20 5/5 Eine weitere Kritik bezieht sich auf die Verpackung der Teststücke: Die ganze Prozedur der Textilprobenentnahme wurde auf Video und Foto dokumentiert. So liest man es auch im offiziellen Bericht in „Nature“, alles sei festgehalten worden, „except for the wrapping of the samples in foil and their placing in containers [...]“. Dass hier wieder die Kritiker des Tests einhaken, ist wohl leicht vorherzusehen und da der Vorgang ja nicht dokumentiert wurde, gab es reichlich Anlass zu Spekulationen, und es ist dies die Geburtsstunde verschiedenster „Betrugstheorien“, wie z.B. der Theorie von den „vertauschten Proben“, wie sie von Karl Herbst vertreten wird. Man mag nun zu diesen Versuchen, die Tests zu diskreditieren, stehen wie man will, es erscheint tatsächlich „unwissenschaftlich“ gerade einen der wichtigsten Momente, nämlich die „Verpackung“ der Teststücke nicht zu dokumentieren. Detailaufnahme vom Abschneiden des Teststücks für den Karbontest am 21. April 1988. Dieser Vorgang wurde durch Videokamera dokumentiert - im Gegensatz zur Beschickung und Versiegelung der Metallkapseln mit den verschiedenen Proben. 1/2 Die Gewebeuntersuchung: Die Webart ist ein Drei-zu-eins-Köper. Das Tuch zeigt ein seltenes Fischgrätenmuster, dessen Streifen 10 bis 12 cm breit sind. Das Material der Fäden ist aus Flachs gewonnenes Leinen, enthält aber geringe Spuren von Baumwolle der Gattung Gossypum herbaceum. Diese Baumwollart ist typisch für den Orient seit dem 7. Jahrhundert vor Christus. Vermutlich wurde auf dem Webstuhl vorher ein Baumwolltuch gewebt. An das Tuch ist ein etwa handbreiter Längsstreifen angenäht. Er ist an beiden Enden etwas kürzer als das Originaltuch. Er ist von der gleichen Webart, aber nicht mit Baumwolle verunreinigt, und auf einem anderen Webstuhl genäht. Das Durchschnittsgewicht des Grabtuches liegt zwischen 20 und 23 mg pro Quadratzentimeter. >> 21 2/2 Stoffstück aus Israel (ca. 100 v. – 100 n.Chr.) 12Megapixel Nikon DXM1200 Die Schweizer Textilkonservatorin Mechthild Flury-Lemberg hat im Sommer 2002 das Turiner Grabtuch in wochenlanger Arbeit von Flicken befreit und gesäubert. Die Arbeit wurde nötig, nachdem das Leinentuch am 12. April 1997 bei einem Brand in der Turiner Kathedrale in letzter Minute gerettet werden konnte. Die Spezialistin ist überzeugt, dass die Webart und die fein gearbeiteten Nähte der Qualität anderer Textilien entsprechen, die im südlichen Israel gefunden und auf das Jahr 73 AD datiert wurden. Gegenüber dem Schweizer Tages-Anzeiger sagte sie: „Ich glaube, dass es das Tuch ist, das uns vom historischen Christus überliefert ist. Ich kenne keinen Grund, der dagegen spricht. Aber ein Beweis ist das natürlich nicht.“ 1/4 Die Pollenanalyse (Palynologie) Als Palynologie bezeichnet man dem Wortsinn nach die "Lehre vom ausgestreuten Staub". Da der Blütenstaub in erster Linie aus Pollen besteht verwendet man auch die Bezeichnung Pollenanalyse. Palynologie ist die Wissenschaft, die rezente und fossile Palynomorphe, einschließlich der Pollen, Sporen, Dinoflagellatenzysten und weiteren Mikrofossilien studiert. Die Palynologie ist eine interdisziplinäre Wissenschaft. Sie ist ein Teilbereich der Geowissenschaften (Geologie) und der Biologie, besonders der Botanik (Paläobotanik). >> 22 2/4 Mit besonderen Instrumenten wird von den zu untersuchenden Geweben etwas Staub abgehoben, der dann sorgfältig in Spezialbehältern aufgehoben wird. In diesem Staub sind Pollen enthalten, wie sie von den Pflanzen in der Reifung in relativ großen Mengen ausgeschüttet werden und dann sich überall, wohin sie der Wind trägt, als verschwindend kleine Partikeln - eben als Staub ablagern. Pflanzen können durch die jeweils charakteristischen Pollen identifiziert werden. Es ist bemerkenswert, dass im trockenen Zustand solche Pollen sich unbegrenzt erhalten. Werden sie durch Feuchtigkeit auf einer Oberfläche fixiert, so bildet sich eine Ablagerung, die dort, wo das möglich ist - wie bei einem rauhen Stoff - haften bleibt. Nun bilden sich aufeinander folgende Schichten, die jeweils einem Zeitraum entsprechen, so dass eine Datierung möglich wird - jedenfalls eine relative, d. h. der Aufeinanderfolge. Der noch junge Zweig der Wissenschaft, den die Elektromikroskopie ermöglicht hat, nennt sich Paläobotanik. >> 3/4 Prof. Dr. Max Frei-Sulzer war der Gründer und für viele Jahre auch der Leiter der wissenschaftlichen Abteilung der Züricher Polizei. Er hatte ganz neue mikrobiologische Methoden in die Kriminalistik eingeführt. Beides - Pflanzengeographie und Mikrobiologie - ermöglichten ihm Forschungen und Erkenntnisse am Turiner Tuch. Am 23.11.1973 begann Max Frei mit der Abnahme von Proben vom Turiner Grabtuch, und zwar „konnte Dr. Frei an 12 Stellen des Tuches mit Haftstreifen Materialproben (je 10 bis 20 cm2) abnehmen. Die Methode erwies sich als so erfolgreich, dass bei der Direktuntersuchung des Tuches Anfang Oktober 1978 von ihm weitere Materialproben und mit nochmals 36 Haftstreifen Proben für spätere Untersuchungen in verschiedenen Instituten abgenommen wurden“. Zur Auswertung der Proben, die zum großen Teil noch unklassifizierte Pollen enthielten, unternahm Frei „sieben ausgedehnte Forschungsreisen in alle Länder, die für das Turiner Tuch, sollte es echt sein, in Betracht kamen, also in den Nahen Osten, einschließlich Kleinasien bis Konstantinopel und Zypern“. Nach neun langen Jahren der Forschung konnte er von den 59 Pollenarten 58 bestimmen, und er kam zu folgendem Ergebnis: Die Mehrzahl der Pollen auf dem TG stammt von nichteuropäischen Pflanzen. >> 23 4/4 Chrysanthemum coronarium Capparis aegyptia Cistus creticus Zygophyllum dumosum Genauer heißt das, von den insgesamt 58 Pflanzenarten kommen 17 in Westund Südeuropa vor, 19 sind im Mittelmeerraum verbreitet. Interessant ist, dass 44 der Pflanzenarten in Jerusalem gefunden wurden, 14 davon wachsen ausschließlich in dieser Gegend. 23 weitere wurden in Südanatolien gefunden, mit einer Art, die ausschließlich dort beheimatet ist. 14 Pflanzenarten wurden in Konstantinopel gefunden, darunter wieder eine Art, die ausschließlich dort wächst. [...] Selbstverständlich wachsen die in Jerusalem gefundenen Pflanzenarten nicht ausschließlich dort. 16 Pflanzenarten wurden sowohl dort wie im Raum Urfa nachgewiesen. [...] Entscheidend für die Beurteilung ist die Gesamtheit der typisch Jerusalemer Flora, die sich in den Pollen auf dem Turiner Tuch manifestiert. Ähnliches gilt für die südanatolischen Arten“. Als Bestätigung für Freis Ergebnisse können die pollenanalytischen Forschungen der Universität von Tel Aviv gelten, wonach „alle Pflanzenarten, von denen Pollen auf dem Turiner Tuch vorhanden sind, auch schon vor 2000 Jahren in Palästina [wuchsen]“.* (* zitiert aus: Bulst, Werner und Heinrich Pfeiffer: Das Turiner Grabtuch und das Christusbild. Band I: Das Grabtuch. Forschungsberichte und Untersuchungen, Frankfurt am Main 1987) 1/3 Mikroskopische Untersuchung Auf dem Tuch sind keine Pinselstriche erkennbar (wie sie für ein Gemälde typisch wären). Es konnten auch keine Farbpigmente von Malerfarben entdeckt werden. Das Bild hat keine Umrisslinien (wie ein Gemälde). In der unmittelbaren Nähe der Brandflecken ist die blasse Farbe des Bildes unverändert. Das Bild ist also gegen Hitze stabil. Die Verfärbung der Fasern des Tuches, die in ihrer Gesamtheit das Punktraster des Bildes ergeben, ist nur leicht und an der Oberfläche der Fasern. An keiner Stelle ist die Verfärbung in die Vertiefungen des Gewebes eingedrungen. Sobald sich der Faden entsprechend des Webmusters abwärts neigt, verschwindet die Verfärbung. Die Färbung des Tuches betrifft nur die Oberseiten der obersten Fasern. Wenn man die Fasern mit einem dicken Haarzopf vergleicht, sind nur die zehn äußersten Haare gefärbt. >> 24 Sogar an Stellen, die mit dem bloßen Auge dunkler erschienen – Augenbrauen, Nase usw. – drang die Färbung nicht tiefer ein. Die größere Dunkelfärbung entsteht nicht dadurch, dass die einzelnen Fasern dunkeler sind, sonder dass die Dichte der gefärbten Fasern höher ist. Alle gefärbten Fasern haben die gleiche blasse Sepiafarbe. (Sepia ist der schwarzbraune Farbstoff, der aus dem Tintenbeutel des Gemeinen Tintenfisches = Sepia hergestellt wird und zum Schattieren von Zeichnungen verwendet wird). An keiner Stelle trat die Verfärbung von einer gefärbten auf eine nicht gefärbte Nachbarfaser über. Es fand keine Ausbreitung der Farbe durch die Kapillarität der Poren statt. Es finden sich keine Partikel von färbenden Substanzen (Farbpigmente) auf dem Tuch. 2/3 Die Fäserchen, die den Abdruck trugen, waren an der Oberfläche erodiert und angegriffen. Sie waren früher vergilbt als die Fäserchen neben ihnen, die keinen Abdruck trugen. Sie waren also schneller gealtert. Dieses Pixelmuster von angegriffenen Fäden und noch besser intakten Fäden ergibt das Bild. Dort, wo das Blut die Leinenfasern bedeckte, konnte nach Entfernen des Blutes keine Färbung der Leinenfasern entdeckt werden. Dort, wo Blutflecken sind, gibt es unter den Blutflecken also kein Bild. Das Blut hat die Fasern versiegelt. >> 3/3 Das Blut hat das Gewebe durchdrungen. Es muss sehr dickflüssig gewesen sein, was darauf hindeutet, dass der Mann im Tuch sehr viel Körperflüssigkeit durch Schwitzen verloren hat. Es sind auch Flecken von Blutserum (Blut ohne Blutkörperchen) vorhanden. 25 1/3 Die chemische Untersuchung Die Mikroproben von den Blutflecken im Tuch ergaben die AzobilirubinReaktion; dadurch wurde nachgewiesen, dass die Flecken Bilirubin enthalten, den Farbstoff des Blutes. Die Röntgenfluoreszenzanalyse ergab Eisen, das Bestandteil des Blutfarbstoffes ist. Es handelt sich um menschliches Blut der Blutgruppe AB. Die Farbreaktion mit Bromkresolgrün ergab eine positive Reaktion auf Serumalbumine. Die Blutflecken stammen von menschlichem Blut mit allen seinen Bestandteilen. >> 2/3 "Ich glaubte, etwas Falsches entdecken zu können, das sich mit Leichtigkeit entlarven lässt. Aber ich verließ Turin in höchstem Maße verunsichert. Unsere Instrumente erbrachten nicht den erhofften Erfolg. Wenn das Leichentuch ein Gemälde wäre, hätten sich die Farben nach dem Feuer im Jahr 1532 verändert. Vor allem aber bewegt mich die Frage, weshalb das Bild niemals das ganze Leinen durchdrang, sondern sich nur auf der Oberfläche befindet? Wieso blieb unter den Blutstropfen das Gesicht unversehrt? Wieso ist die Farbe der Blutflecken karmesinrot und warum weisen diese Flecken einen Hof auf?" Dr. Ray Rogers, Mitglied des Laborstaffs der Atombomben-Versuchsanstalt im texanischen Los Alamos. Seine Aufgabe: Die chemische Analyse der bei Nuklearexplosionen entstehenden Rückstände. Rogers, der Herkunft nach Protestant, ein Skeptiker, der zugibt, nur seinen Instrumenten zu glauben, ging wie viele andere auch nach Turin, um der Sache mit dem Leinen auf den Grund zu gehen. >> 26 3/3 Mit den Blutspuren beschäftigte sich auch der amerikanische Wissenschaftler Alan Adler. Adler, ein Physiker und Chemiker jüdischer Herkunft, nahm 1997 an einem Kongress in Turin teil. Dabei meinte er, die karmesinrote Färbung des Blutes deute darauf hin, dass es sich um einen Mann handelt, dessen Wunden als er in das Tuch gewickelt wurde, bereits von gestocktem Blut bedeckt waren: "Es handelt sich nicht nur um gestocktes Blut, sondern um das Blut eines Mannes, der sehr viel gelitten hat, bevor er starb(!). Ultraviolette Aufnahmen weisen eindeutig Höfe von Blutwasser innerhalb der Blutflecken auf." Weniger eindeutig sind die chemischen Untersuchungsergebnisse der Gekreuzigten-Abbildung; diese wird heute überwiegend durch Dehydration – also durch Entzug von Wasserstoff - und damit Verfärbung der obersten Faserschicht erklärt. 1/3 Datierung durch Lignin-Vanillin-Zerfall Dr. Ray Rogers gelang es im Dezember 2003 von L. Gonella, welcher 1988 bei der Probenentnahme für die Radiokarbondatierung zugegen war, kleine Proben zu erhalten, die laut Gonella von dem zur Radiokohlenstoffdatierung verwendeten Probenstück stammen, deren Entnahme allerdings undokumentiert ist. Seine Untersuchungen führten R. Rogers, der bereits Mitglied des STURP-Teams von 1978 war, zu dem Ergebnis, dass in der Radiokarbonprobe im Gegensatz zu den 1978 bei den STURP-Untersuchungen genommenen Proben der Stoff Vanillin, ein Zerfallsprodukt des im Flachs enthaltenen Lignins, enthalten ist. Zusätzlich enthalten demnach die Radiokarbonproben Gummiarabikum, was auf einen erst ab dem Mittelalter verwendeten Farbstoff schließen lässt. Ferner zeigt Rogers, dass die 1973 von Prof. Raes für textilische Untersuchungen an der praktisch gleichen Stelle wie die Radiokohlenstoffdatierung entnommenen Proben ebenfalls Vanillin und Gummiarabikum enthalten. Da das Gummiarabikum chemisch leicht entfernbar ist, schließt er, dass die Reinigungsprozeduren bei der 1988 durchgeführten Radiokohlenstoffdatierung diese beseitigt haben müssen. Das Vanillin ist sowieso ein Zerfallprodukt des Stoffes und beeinflusst eine Radiokohlenstoffdatierung nicht. Deswegen sei eine Verfälschung der Radiokohlenstoffdatierung an sich auszuschließen, >> 27 2/3 allerdings glaubt Rogers zeigen zu können, dass der Probenort nicht repräsentativ für das Grabtuch ist. Zu diesem Schluss kommt er durch Berechnung der Zeit, die benötigt wird, bis die Vanillin-Konzentration, welche mit der Zeit abnimmt, unter der Nachweisgrenze liegt, so dass er ein minimales Alter für die STURP-Proben erhält. Diese minimalen Alter hängen stark von der angenommenen Umgebungstemperatur ab, bei einer Temperatur von 25 °C kommt R. Rogers auf ein minimales Alter von 1.300 Jahren, bei 20 °C bereits auf ein minimales Alter von 3.000 Jahren. Demnach müsste also der überwiegende Teil des Grabtuches, von dem die STURP-Proben stammen, älter sein als der Ort, von dem die Radiokarbonproben stammen. Rogers schließt daraus, dass im Mittelalter kunstvoll ein Flicken in das Originaltuch eingewebt wurde, der bei der Entnahme der Proben als solcher nicht erkannt wurde, und daher versehentlich das Alter einer gestopften Stelle gemessen wurde. Allerdings hat die neue Datierung einige Schwäche: Das mit dieser Methode datierte minimale Alter hängt stark von der Umgebungstemperatur ab (deshalb der sehr große Bereich von 1300 bis 3000 Jahren), insbesondere können kurze Zeiten mit hohen Temperaturen das gemessene Alter sehr stark erhöhen. Zum anderen ist diese neue chemische Datierungsmethode noch nicht mit Hilfe von anderen Proben bekannten Alters validiert, sondern wurde bisher nur im Zusammenhang mit dem Grabtuch verwendet. >> 3/3 Aus der Erfahrung mit anderen chemischen Datierungsmethoden ist aber bekannt, dass man zunächst genau testen muss, ob das Ergebnis auch durch andere Faktoren beeinflusst wird, etwa die Zusammensetzung des Ausgangsstoffes, Anwesenheit anderer Substanzen und auch die Art der Probenentnahme und Lagerung. Vanillin kann prinzipiell durch viele Faktoren zerstört werden, was ein künstlich hohes Alter vortäuschen würde. Die Aussagekraft dieser Datierung (bzw. ob eine Datierung auf diese Art überhaupt möglich ist) lässt sich erst dann beurteilen, wenn diese Methode systematisch mit anderen Proben validiert wurde. Baumwollfasern aus dem Carbonteststück – mit Gummi ummantelt! 28 Der gerichtsmedizinische und kriminologische Befund Den Anstoß zur exakten ärztlichen Forschung zum Turiner Grabtuch gab Dr. Barbet, Chefchirurg des Josefskrankenhauses in Paris. Er hat als erster die auf den neuen Fotografien klar erkennbaren „Blutspuren“ untersucht. In weiterer Folge nahmen sich immer mehr Ärzte und Gerichtsmediziner des Grabtuchs an und vervollständigten so die Erkenntnisse über den „Mann im Tuch“. Im Zentrum steht hierbei die Analyse anatomischer Fragen und die Beschreibung der Wunden aus dem Blickwinkel der Gerichtsmedizin. Die Herangehensweise erfolgt also wie bei einem Mordfall, bei dem es nun gilt anhand der zugefügten Wunden und sonstiger Körpermerkmale die Todesursache herauszufinden. Der gerichtsmedizinische und kriminologische Befund > Allgemeiner Befund > Dreidimensionalität > Die Handwunde > Wunden im Kopfbereich > Die Fußwunde > Spuren einer Geißelung > Die Seitenwunde 29 Allgemeiner Befund Die Gerichtsmedizin bestätigt, dass es sich hier um das Abbild eines ca. 1,81 m großen Mannes in völliger anatomischer Korrektheit handelt. Als gesichert gilt auch, dass es sich bei den Blutspuren um echtes Menschenblut der Gruppe AB handelt. Klar ist, wer immer auch hier auf dem Leichentuch dargestellt ist, musste ein schlimmes Martyrium erlitten haben und vieles weist darauf hin, dass es sich dabei um den Leichnam eines Gekreuzigten handelt. Auffallend ist der stark gedehnte, in extremer Einatmungsstellung fixierte Brustkorb, das eingezogene Epigastrium (Oberbauch) und das heraustretende Hypogastrium (Unterbauch). Das sind typische Kennzeichen für den Leichnam eines Menschen, der an den Armen hängend gestorben ist. Durch das Festbinden der Arme im Stile einer Kreuzigung ist nach einiger Zeit nur mehr eine schwache Zwerchfellatmung möglich, was Zustände von Atemnot auslöst und letztendlich nach einigen Stunden zum Tod durch Erstickung führt. Wunden im Kopfbereich Bereits am Kopf bzw. am Gesicht finden sich vielerlei Wunden und Blutungen, welche die Gerichtsmedizin dokumentieren konnte, so folgende oberflächliche Gesichtswunden: 1. Schwellung beider Augenbrauen; 2. eingerissenes rechtes Augenlid; 3. große Schwellung unter dem rechten Auge; 4. geschwollene Nase; 5. dreieckige Wunde auf der rechten Wange mit Spitze zur Nase weisend; 6. Schwellung an der linken Wange; 7. Schwellung an der linken Seite des Kinns. Am Hinterkopf finden sich einige deutliche Blutspuren, die von Blutungen von Hautwunden herrühren. Diese Blutspuren wurden am Genick von einer abwärtslaufenden „Linie“ angehalten. Dr. Willis dazu: „Man kann annehmen, dass sie durch etwas, das wie eine Dornenhaube aussieht, verursacht wurde, und sie scheint sich auf der Höhe zu befinden, wo die Dornenzweige am Hinterkopf zusammengehalten wurden“. Auf der Stirn finden sich ebenfalls zahlreiche kleine Blutgerinnsel, besonders hervorstechend ist dabei jenes von der Form einer umgekehrten „3“. Auch diese Art der Verletzungen deutet auf eine Dornenhaube hin. 30 1/3 Spuren einer Geißelung Die nächste Gruppe von Wundmalen sind eher oberflächlicher Natur, überziehen aber in einer ziemlich bemerkenswerten Regelmäßigkeit fast den gesamten Körper des Leichnams, wobei nur Kopf, Unterarme und Füße ausgenommen sind. Die Male weisen eine Größe von durchschnittlich vier Zentimetern auf und ihre Zahl wird sehr unterschiedlich geschätzt. Woher diese Verletzungen kommen, scheint ebenfalls klar. Eine nähere Betrachtung sowohl des Positivs wie des Negativs offenbart, dass es hantelförmige Spuren sind, die durchwegs in Dreiergruppen angeordnet sind und sich von einer horizontalen Achse aus über die Lenden fächerförmig zu beiden Seiten aufwärts zu den Schultern hin ausbreiten und von der rechten Seite abwärts zu den Beinen. Wir haben es deutlich mit den Spuren einer Geißelung zu tun, wobei die Lederriemen des Marterwerkzeugs offenbar mit doppelten Metallkugeln besetzt waren, die den Zweck hatten, den Schmerz zu vergrößern.* Die Geißelhiebe stammen von einem „flagrum taxilatum“, einer dreischwänzigen römischen Peitsche, an deren Schnurenden hantelförmige Bleikörper angebracht waren. (* Vgl. Wilson, Ian: Eine Spur von Jesus, Freiburg-Basel-Wien 1980, 42) >> 2/3 >> 31 3/3 Aus der Anordnung der Wunden, die vom Typ her Quetschungen sind, lässt sich schließen, wie die Geißelung wahrscheinlich abgelaufen ist. Da die Striemen so regelmäßig verlaufen, kann man annehmen, dass der Verurteilte nicht auf dem Weg zur Kreuzigung gegeißelt wurde, sondern dies bereits vorher als eigene Strafe vollzogen wurde. „Das lässt darauf schließen, dass der Verurteilte, an den Händen hochgebunden, hilflos den Schlägen ausgeliefert war“.* Außerdem lässt sich feststellen, dass alle Schläge von rückwärts ausgeführt wurden, auch die Wunden auf der Vorderseite wurden dem Verurteilten so beigebracht. Weiters lassen sich am Rückenbild auf der Höhe der rechten Schulter und etwas weiter unten auf der linken Seite durch die Geißelungsspuren hindurch Schürfwunden feststellen. „Diese Wunden könnten gut von Reibungen herrühren, die ein schwerer Gegenstand auf eine schon verletzte Partie der Haut ausübte“.** Es ist klar, in welche Richtung die Interpretation hier geht: diese Spuren wurden natürlich sofort als vom Tragen eines schweren Gegenstandes - des Kreuzes nämlich - herrührend gesehen. Ein Bluterguss am linken Knie und Quetschungen am rechten Knie sollten auch auf oftmaliges Niederfallen während des Ganges zur Hinrichtung deuten. (* aus: Bulst, Werner und Heinrich Pfeiffer: Das Turiner Grabtuch und das Christusbild. Band I: Das Grabtuch, Forschungsberichte und Untersuchungen, Frankfurt am Main 1987, 40.) (** aus: Dr. Willis, zit. nach: Wilson, Ian, Eine Spur, 44.) 1/3 Die Handwunde Von den Handwunden ist logischerweise durch die überkreuzte Position der Arme nur eine sichtbar; diese wurde aber sehr intensiv erforscht, zeigt sie doch einige interessante Details. Erstens kann man deutlich erkennen, dass die Wunde, die durch die Kreuzigung entstand, sich nicht inmitten des Handtellers befindet, sondern der Nagel offensichtlich durch die Handwurzel geschlagen wurde. Zweitens stellt sich die Frage, warum an beiden Händen der Daumen nicht zu sehen ist. Und drittens lässt sich aus dem Verlauf der Blutspuren die Position des Verurteilten am Kreuz errechnen. Versuche von Dr. Barbet mit amputierten Armen (und daran hängenden Gewichten) haben gezeigt, „dass ein Nagel in der Handfläche das Körpergewicht nicht hätte tragen können. Da Muskeln und Sehnen hier in Richtung der Finger verlaufen, wäre die Hand unter der Last des Körpers zerrissen worden“.* (* aus: Bulst, Werner und Heinrich Pfeiffer: Das Turiner Grabtuch und das Christusbild. Band I: Das Grabtuch, Forschungsberichte und Untersuchungen, Frankfurt am Main 1987, 34.) >> 32 2/3 Dr.Pierre Barbet, hat verschiedene anatomische Experimente zum Studium der Kreuzigungstechnik durchgeführt. Die beiden Röntgenaufnahmen zeigen die Durchnagelung der Handwurzel. Obwohl bei der Durchnagelung an dieser Stelle keine lebensnotwendigen Adern getroffen werden, wird ein wichtiger Nerv, der nervus medianus, verletzt. Dies ist deshalb von Bedeutung, da sich hier die Erklärung für die „verschwundenen Daumen“ am Tuchbild findet. Die Verletzung dieses Nervs bringt nämlich eine Lähmung des Daumens mit sich. Da am Kreuz beide Daumen an den Händen oben sind, sinken sie infolge dieser Lähmung herab. In dieser Position verbleiben sie, da die Leichenstarre sehr schnell eintritt. Werden nach der Kreuzesabnahme die Arme vor dem Körper gekreuzt, kommen die Daumen unter den Handflächen zu liegen. Und logischerweise kann nun auch auf dem darüber liegenden Leichentuch kein Abdruck der Daumen zu finden sein. >> 3/3 Nun zur Frage nach dem Verlauf der Blutspuren. Es gehen nämlich von der Handwunde zwei Blutgerinnsel aus, die ja eigentlich den Gesetzen der Schwerkraft folgend, senkrecht nach unten fließen müssten. Es ergibt sich bei genauerer Analyse, dass sich der Gekreuzigte im Laufe seines Todeskampfes wohl in zwei verschiedenen Positionen - nämlich hängend und stehend - am Kreuz befunden hat. Ein solcher Wechsel zwischen Stehen und erschöpftem Hängen war am Kreuz möglich, wenn das Kreuz eine Fußstütze hatte. Es ist historisch belegt, dass es solche Fußstützen gegeben hat. Eingesetzt wurden sie, um die Qualen des Gekreuzigten zu verlängern. Rekonstruktion der Kreuzigung aufgrund der verlaufenden Blutspuren 33 1/2 Die Fußwunde Betrachtet man die Vorderseite des Grabtuches, fällt auf, dass hier die Füße ganz fehlen, lediglich auf der Rückseite lassen sich die Abdrücke klar erkennen. Dies liegt in der Tatsache begründet, dass ja die Füße nicht völlig ausgestreckt ins Leichentuch eingeschlagen wurden, sondern zuerst das untere Tuchende über die Fußsohlen und Zehen hochgeschlagen wurde. Danach wurde das obere Tuchende (für den Betrachter die Antlitzseite) über die Füße gezogen und dabei unter den Fersen noch etwas eingeschlagen. >> 2/2 Es genügt jedoch die Ansicht auf der Rückseite, um Rückschlüsse auf die Art der Fußwunde ziehen zu können. Wilson zitiert Dr. Robert Bucklin, der folgende Zusammenfassung gab: „Im mittleren Teil dieses Fußabdruckes ist ein kleiner rechteckiger Fleck, etwas mehr zum Innen- als zum Außenrand hin. Diese Spur ist ganz eindeutig das Mal eines Nagels, und man kann sehen, dass der Nagel zwischen den Mittelfußknochen an der Fußsohle ausgetreten ist“*. Da die Fußwunde bei der Abnahme vom Kreuz wahrscheinlich nochmals aufgerissen wurde, liegt hier die Erklärung für den relativ starken Blutabdruck, den wir auf dem Tuch sehen. Außerdem sei das Tuch an der Stelle der rechten Ferse etwas faltig gelegen, „so dass sich diese Blutspur doppelt abbilden konnte. [...] Auch der dunkle Fleck unterhalb der Vorderansicht muss durch dieses Blut an der Fußsohle verursacht sein, zumal auch die doppelte Blutspur neben der Ferse nochmals zu erkennen ist“**. Durchgenagelte Ferse eines Gekreuzigten von Givat ha-Mivtar ( * aus: Wilson, Ian: Eine Spur von Jesus, Freiburg-Basel-Wien 1980, 50) (** aus: Bulst, Werner und Heinrich Pfeiffer: Das Turiner Grabtuch und das Christusbild. Band I: Das Grabtuch, Forschungsberichte und Untersuchungen, Frankfurt am Main 1987, 39.) 34 Die Seitenwunde Besonderes Interesse galt auch dieser Wunde, welche sich auf der rechten Seite des Körpers, also auf der linken Seite des Tuches, zwischen der fünften und sechsten Rippe befindet. Sie hat eine Größe von 4,5 x 1,5 cm und eine große Blutspur, - die besonders gut auf der Rückenansicht zu erkennen ist - , geht von ihr aus. „Form und Größe der Wunde entsprechen den blattförmigen Spitzen von Lanzen, die von römischen Hilfstruppen benutzt wurden“.* Interessant ist auch die Beobachtung, dass anscheinend nicht nur Blut alleine aus der Wunde ausgetreten ist, sondern man kann einige klarere Stellen erkennen, „die auf eine Vermischung einer hellen Flüssigkeit mit den [sic!] Blut hindeuten“**. Diese helle Flüssigkeit wurde vielfach als „seröse“ Flüssigkeit gedeutet, die sich bei schwerer körperlicher Misshandlung in Körperhohlräumen ansammeln kann und dann nach dem Lanzenstich mit dem Blut austrat. ( *aus: Bulst, Werner und Heinrich Pfeiffer: Das Turiner Grabtuch und das Christusbild. Band I: Das Grabtuch, Forschungsberichte und Untersuchungen, Frankfurt am Main 1987, 40) ( ** aus: Wilson, Ian: Eine Spur von Jesus, Freiburg-Basel-Wien 1980, 51) 1/5 Herstellen eines dreidimensionalen Bildes Mit Hilfe eines Mikrodensitometers wurden die Fotografien des Grabtuches eingescannt und durch ein Computerprogramm ein dreidimensionales Bild des Mannes im Grabtuch gemacht (Jackson, Jumper und Mottern in Albuquerque). Dies ist dadurch möglich, dass der Bildanalysator (VP 8) keine Farben wahr nimmt, sondern Lichtquanten zählt, d.h. die kleinsten Lichteinheiten. Auf dem Grabtuch sind im Bereich des Körperbildes durchwegs nur einzelne Faserspitzen verfärbt, und zwar immer in gleicher Intensität. >> 35 2/5 Das Analysegerät zählt diese verfärbten Fasern und wirft sie in Zahlenlisten aus. In Tausenden von Arbeitsstunden haben Studenten diese nüchternen Zahlen in dünnen Schichten ausgewertet. Bei der Zusammenlegung dieser Schichten ergab sich das plastische Modell eines Mannes, der dem Bild auf dem Turiner Grabtuch entsprach. Voraussetzung für die Möglichkeit, die dritte Dimension des Tuchbildes zu errechnen, ist, dass diesem Bild ein Körper zugrunde lag. Bei keiner sonstigen Fotografie und bei keinem Gemälde lässt sich sonst so etwas machen. Dreidimensionale Rekonstruktion des Mannes vom TurinerGrabtuch (c) Prof. L. Mattei >> 3/5 Es ging aber noch eine weitere Entdeckung mit jener der dritten Dimension einher. Und zwar zeigten sich auf dem dreidimensionalen Relief knopfartige Gegenstände auf den Augen des Mannes, die von den Münzexperten Prof. Filas (Chicago) und Prof. Whanger (Durham) als Prokuratorenmünzen identifiziert wurden, wobei eine davon mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem Jahr 29 n. Chr. – der Regierungszeit Pontius Pilatus - stammt. >> 36 4/5 Der Abdruck am rechten Auge lässt eine Inschrift U C A I erkennen und in der Mitte eine Art Hirtenstab, der sog. „lituus“. Als besonders hilfreich erweisen sich hierzu die markante Form des „lituus“ und ein Prägefehler. „Für den Numismatiker war die Deutung klar: Umfang und Form, Winkelstellung der Buchstaben und des Stabes erwiesen sich als deckungsgleich mit einer römischen Kupfermünze, die in dieser Art nur von Pilatus geprägt wurde. Ergänzt müsste die Umschrift lauten „Tiberiou Kaisaros“. Das „C“, das im Lateinischen wie „k“ gesprochen wird, ist ein Prägefehler, der auch bei andern Münzen dieser Art nachgewiesen ist“.* (*aus: Bulst, Werner: Betrug am Turiner Grabtuch. Der manipulierte Carbontest, Frankfurt am Main 1990, 58) >> 5/5 Archäologische Funde in Israel bestätigen den Brauch, Toten Münzen auf die Augen zu legen. Außerdem lässt sich anhand dieser Münzen auch die Datierbarkeit des Turiner Grabtuches ziemlich genau eingrenzen. Pilatus wurde im Jahr 26 n.Chr. Prokurator von Judäa. Nach dem Jahr 31 hatte er nicht mehr das Recht zur Münzprägung. Die folgende Überblendung zeigt wie diffizil eine mögliche Rekonstruktion sein kann. 37 Der historische Befund Der Brief von Geoffrey de Charnay an Papst Clemens VI. aus dem Jahr 1349 stellt die erste historisch verbürgte Aussage über die Existenz des Turiner Grabtuches dar. Bei weiter zurückliegenden Berichten von Tüchern mit dem Bildnis Christi ist nicht gesichert, ob diese mit dem Turiner Grabtuch identisch sind. Die Schwierigkeit ist dabei, dass zu früheren Zeiten sehr viele gefälschte Reliquien in Umlauf waren und es somit schwer ist, Berichte über mögliche echte Reliquien von Berichten über Fälschungen zu unterscheiden. Eine allfällige „Vorgeschichte“ ist daher nur hypothetisch rekonstruierbar. Der historische Befund > Die Geschichte des Grabtuches von 1349 bis heute >> zentrale historische Etappen > Rekonstruktionshypothesen der Geschichte des Grabtuches vor 1349 >> Mögliche historische Etappen des Grabtuches vor 1349 >> Ikonographentheorie >> Mandylion-Theorie >> Der Codex Pray – ein Zeugnis aus dem 12. Jahrhundert? >> Vergleich mit dem Schweißtuch von Oviedo und dem Schleier von Manoppelo >> Griechische und lateinische Buchstaben auf dem Turiner Grabtuch? 38 1/6 Die Geschichte des Grabtuches von 1349 bis heute Der hochverschuldete französische Adelige Geoffrey de Charnay schrieb 1349 an den Papst Clemens VI. einen Brief, in welchem er um die Erlaubnis bat, „die Gestalt bzw. ihr Abbild auf dem Schweißtuch unseres Herren Jesus Christus“ auszustellen. Diesem Antrag wurde stattgegeben, und das Grabtuch wurde erstmals 1357 in der kleinen Stiftskirche der Stadt Lirey in der Champagne der Öffentlichkeit präsentiert. Dadurch wurde Lirey zum Wallfahrtsort und hatte sich eine Einnahme-Quelle erschlossen, denn schon bald kamen zahlreiche Pilger nach Lirey, das in ganz Frankreich bekannt wurde. Geoffrey de Charnay verkaufte eine Gedenkplakette an die Pilger, von welcher ein Exemplar Ende des 19. Jahrhunderts unter dem Pont du Change aus der Seine gefischt wurde. Die Plakette zeigt das Ganzkörper-Abbild Jesu, wie es auf dem Grabtuch zu sehen ist. Das Pilgermedaillon von 1357 >> 2/6 Der große Pilgerstrom weckte das Interesse des Bischofs von Troyes, Henri de Poitiers. Er verlangte von Geoffrey genauere Auskunft über das Tuch, vor allem über seine Herkunft. Charnay antwortete, das Tuch sei ihm großzügig geschenkt worden; er sagte aber nicht, von wem. Der Bischof holte sich den Rat vieler Personen ein, welche allesamt erklärten, das Tuch könne nicht echt sein. Dem widersprach man in Lirey entschieden. Henri de Poitiers antwortete darauf, dass das Tuch künstlich bemalt worden sei (ohne es aber selbst gesehen zu haben). Er fand aber keine Unterstützung beim Papst, der Charnay sogar weitere Privilegien gewährte. 1356 fiel Geoffrey als königlicher Bannerträger in der Schlacht von Poitiers, als er mit seinem Körper eine Lanze abfing, die dem König zugedacht war. Seine Witwe Jeanne de Vergy ließ das Grabtuch aus der Kirche von Lirey holen und zog sich in die Festung Montfort en Auxois zurück. Bischof Henri de Poiters hatte den Befehl gegeben, das Tuch zu vernichten. Im Jahr 1389 richtete Geoffrey de Charnay II., der Sohn, ein Ersuchen an den Papst Clemens VII., das Tuch wieder in der Kirche von Lirey ausstellen zu dürfen, was dann noch im gleichen Jahr durch eine päpstliche Bulle gewährt wurde. Im Jahr 1390 kam eine zweite päpstliche Bulle, welche das Grabtuch als Reliquie anerkannte und die Gläubigen aufforderte, dieser Reliquie die gebührende Ehre zu erweisen. Dies alles geschah trotz des Widerspruches des amtierenden Bischofs von Troyes, Pierre d’Arcis. Ihm wurde in der 2. Bulle auferlegt, für alle Zeiten mit seinen Zweifeln zu schweigen. >> 39 3/6 Als Geoffrey de Charnay II. im Jahr 1398 starb, ging das Grabtuch in den Besitz seiner Tochter Margaret und ihres Gatten Humbert über, des Grafen de la Roche, und das Tuch wurde ab 1418 wieder in der Festung Montfort en Auxois aufbewahrt, danach in Saint-Hippolyte-sur-Doubs. Im Jahr 1453 tauschte die damals schon hoch-betagte Margaret das Grabtuch gegen das Schloß (!) Verambon bei Genf und die Einkünfte aus dem Gut Miribel bei Lyon ein. Ihr Tauschpartner war Herzog Louis von Savoyen. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurde das Grabtuch in die Kapelle der savoyischen Residenz Chambéry gebracht. In den folgenden Jahren wurde das Tuch oft ausgestellt. Am 4. Dezember 1532 zerstörte ein Brand die Schlosskapelle bis auf die Grundmauern. Das Grabtuch konnte in letzter Minute in Sicherheit gebracht werden. Aber die Hitze des Darstellung des Grabtuches (16. Jhdt.?) >> Plakat zur Ausstellung von 1898 4/6 Feuers brachte den silbernen Kasten, in dem es aufbewahrt war, an einer Ecke zum Schmelzen. Aber es entstanden nur wenige Brandlöcher, und zwar an Stellen, an denen das Bild nicht ist. Zwei Jahre später wurden die Stellen von Klarissinnen-Nonnen mit Flicken vernäht, und das Linnen erhielt ein Futter aus holländischem Tuch. 1537 brachte man das Tuch in die EusebiusKathedrale in Vercelli, 1561 kam es wieder nach Chambéry zurück. Am 17. September 1578 überführte man das Grabtuch nach Turin, wo es bis heute aufbewahrt wird; im selben Jahr wurde es auch ausgestellt. Im Jahr 1898 wurde es aus Anlass der 50-Jahr-Feier des italienischen Königreiches acht Tage lang ausgestellt. In dieser Zeit konnte Secondo Pia das erste Foto machen, und er konnte als erster Mensch das Abbild im Positiv sehen. Vom 2. bis zum 23. Mai 1931 wurde es nochmals ausgestellt – anlässlich der Hochzeit des Prinzen Umberto von Piemont. Commendatore Guiseppe Enrie machte während dieser Zeit neue, bessere und präzisere Aufnahmen. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde das Tuch in die Abtei von Monte Vergine (Avellino) gebracht. Nach Kriegsende kehrte es nach Turin zurück. >> 40 Dr. Frei bei der Pollenabnahme (1973) 5/6 Die erste Untersuchung durch eine wissenschaftliche Kommission fand am 16. Juni 1969 unter Aufsicht von Kardinal Pellegrino statt. Am 1. Oktober 1972 kletterte ein Unbekannter über das Dach des herzoglichen Palazzos, brach in die Kapelle ein und legte Feuer an den Altarschrein, in welchem das Tuch aufbewahrt wurde. Aber eine Asbestschicht auf der Innenseite des Schreins verhinderte die Vernichtung der Reliquie. Am 24. November 1973 entnahmen Experten von zwei berühmten italienischen Universitäten am Tuch Proben, an Hand deren untersucht werden sollte, ob sich am Tuch echtes Menschenblut befindet. Die Untersuchungen kamen angeblich zu keinem Ergebnis. Am Abend vorher, also am 23. November 1973 hatte der Schweizer Kriminologe und Wissenschaftler, Dr. Max Frei-Sulzer das Tuch mit sterilen Tesafilmstreifen bekleben dürfen, an denen Pflanzenpollen haften blieben. Max Frei untersuchte in den folgenden Jahren diese Pollen akribisch und kam zu dem Ergebnis, dass das Tuch zur Zeit seiner Kreuzigung und danach in Jerusalem war, später im nahem Osten und in Byzanz.Im Frühjahr 1977 gründete sich in Albuquerque eine Initiative von amerikanischen Wissenschaftlern, das „STURP = Shroud of Turin Research Project“. >> 6/6 1978 durften die Wissenschaftler dieses interdisziplinären Forschungsprojektes, darunter einige der weltweit angesehensten Experten auf ihrem Gebiet, aufgeteilt in Arbeitsgruppen, das Grabtuch im Königspalast von Turin 120 Stunden lang nach allen Regeln der Kunst und nach den damals modernsten Methoden untersuchen. 1983 wurde das Turiner Grabtuch Ray Rogers (links), Chemiker, Mitglied des STURP von 1978 dem Hl. Stuhl vererbt. 1988 wurde das Grabtuch wissenschaftlich mit der C-14 Methode untersucht, die das Alter eines Materials über den Zerfall von Kohlenstoff bestimmt; als Ergebnis stellten die Forscher "mit 95 Prozent Sicherheit" fest, der Stoff sei erst zwischen 1260 und 1390 gewebt worden.Bei einem weiterem Feuer in der Turiner Kathedrale am 12. April im Jahre 1997 wurde es durch den Feuerwehrmann Mario Trematore unversehrt gerettet, der in letzter Minute das die Reliquie umgebende Panzerglas zertrümmerte. Das Tuch wurde zuletzt 1998 zum hundert-jährigen Jubiläum der ersten Fotografie des Tuches und im Großen Jubeljahr 2000 öffentlich ausgestellt. 2002 sind 30 Flicken von einer Textilexpertin entfernt worden, so dass das Turiner Grabtuch am Rand anders aussieht als noch auf sämtlichen älteren Fotos. Die nächsten Ausstellungen sind 2010 und im Jubeljahr 2025 vorgehen. 41 1/2 Zentrale historische Etappen des Turiner Grabtuches: 1349: Brief von Geoffrey de Charnay an Papst Clemens VI. 1357: Präsentation des Grabtuches in der Stiftskirche der Stadt Lirey. 1389: Ansuchen von Geoffrey de Charnay II. an den Papst Clemens VII., das Tuch wieder in der Kirche von Lirey ausstellen zu dürfen, was dann noch im gleichen Jahr durch eine päpstliche Bulle gewährt wurde. 1390: eine zweite päpstliche Bulle anerkennt das Grabtuch als eine verehrungswürdige Reliquie. 1532: am 4. Dezember wurde das Grabtuch durch einen Brand in der Kapelle von Chambéry schwer beschädigt. 1578: am 17. September überführte man das Grabtuch nach Turin, wo es bis heute aufbewahrt wird; öffentliche Ausstellung. 1898: wurde es aus Anlass der 50-Jahr-Feier des italienischen Königreiches acht Tage lang ausgestellt und von Secondo Pia fotografiert. >> 2/2 1931: vom 2. bis zum 23. Mai wurde es nochmals ausgestellt – anlässlich der Hochzeit des Prinzen Umberto von Piemont und von Guiseppe Enrie fotografiert. 1972: Brandanschlag 1973: erste konkrete wissenschaftliche Untersuchungen (Blut-und Pollenanalyse) wurden vorgenommen. 1978: Beginn der systematischen Erforschung durch die STURP-Gruppe 1983: das Grabtuch wird dem Heiligen Stuhl vererbt. 1988: Radiocarbondatierung 1997: Feuer in der Turiner Kathedrale; Rettung durch einen Feuerwehrmann 1998: öffentliche Ausstellung anlässlich des 100jährigen Fotografierjubiläums 2000: öffentliche Ausstellung anlässlich des Großen Jubeljahres Die nächste Ausstellung ist 2010 vorgesehen. 42 1/10 Ikonographentheorie: Die Ikonographentheorie dient der möglichen Rekonstruktion der Geschichte des Turiner Grabtuches vor dem 14.Jahrhundert. Grundlegende Forschungsarbeiten haben vor allem Paul Vignon, Maurus Green, Edward Wuenschel, Werner Bulst und Ian Wilson in diesem Bereich geleistet. Anhand zahlreicher Christusporträts soll der Beweis erbracht bzw. erhärtet werden, dass das Grabtuch eine jahrhundertelange Tradition hat. Mit der Zeit Konstantins im 4. Jahrhundert beginnt sich eine Wende in der Art der Christusporträts abzuzeichnen, diese erscheinen nun mehr ein „echtes“ Abbild Christi sein zu wollen und weisen bereits die Merkmale des uns bekannten Christusbildes auf: Bärtig und mit schulterlangem, in der Mitte gescheiteltem, glattem oder nur wenig gewelltem Haar, schon früh als Brustbild und als Rundschildbild, typische Formen des römischen Porträts. Dieses Bild wird in verhältnismäßig kurzer Zeit zum „klassischen“ Christusbild“. >> 2/10 Trotzdem bestanden noch weiterhin die alten „bartlosen“ Christusbilder neben den neuen Porträts. Während das „alte junge“ Jesusbild vor allem in Heilungs- und Wunderszenen Anwendung findet, wird Jesus in Passionsszenen nun bärtig dargestellt. Beispielhaft für die neue Form sind wiederum Darstellungen in den römischen Katakomben. Bulst weist nun mit Nachdruck darauf hin, dass in diesen Bildern eine Übereinstimmung mit den wesentlichen Bildmerkmalen des Turiner Grabtuches gegeben ist. Also das in der Mitte gescheitelte, gering gewellte schulterlange Haar und der volle Bart. „Diese Übereinstimmung ist um so auffallender, als es unter den unzähligen echten römischen Porträts nichts auch nur entferntes Vergleichbares gibt“*. Es sei natürlich auszuschließen, dass diese Porträts direkt nach dem Vorbild des Turiner Grabtuches entstanden seien, vielmehr handelt es sich um eine Abhängigkeit vom ersten Christusbild dieses Typs, welches sich in der Apsis der Laterankirche befindet. Christusbild in der Apsis der Lateranbasilika ( *aus: Bulst, Werner und Heinrich Pfeiffer: Das Turiner Grabtuch und das Christusbild. Band I: Das Grabtuch, Forschungsberichte und Untersuchungen, Frankfurt am Main 1987, 99) >> 43 3/10 Wichtig sind in diesem Zusammenhang sind aber v.a. Christusbilder, die aus der Zeit Justinians I. (52765) stammen -, da sie eine noch größere Ähnlichkeit zum Bild auf dem Turiner Grabtuch aufweisen, als es die konstantinischen Bilder taten. Dies geht soweit, dass sogar Asymmetrien des Gesichtes, die am Turiner Grabtuch vorhanden sind, sich auch in diesen Ikonen wieder finden. Christus Pantokrator (~ 560 n.Chr.) enkaustische Malerei / Holz Sinai - Katharinenkloster >> 4/10 Die Markierungen bezeichnen folgende Merkmale: 1.) Ein Querstreifen auf der Stirn, 2.) Das dreiseitige „Quadrat“ auf der Stirn, 3.) Eine V-Form auf der Nasenwurzel, 4.) Eine zweite V-Form innerhalb des unter 2.) genannten Zeichens, 5.) Eine hochgezogene rechte Augenbraue, 6.) Eine geschwollene linke Wange, 7.) Eine geschwollene rechte Wange, 8.) Ein vergrößerter linker Nasenflügel, 9.) Eine Schwellung zwischen Nase und Oberlippe, 10.) Eine starke Linie unter der Unterlippe, 11.) Eine unbehaarte Zone zwischen Lippe und Bart, 12.) Der geteilte Bart, 13.) Ein Querstrich über dem Hals, 14.) Stark geschwollene eulenhafte Augen, 15.) Zwei lose Haarsträhnen, vom Apex der Stirn herabfallend. >> 44 5/10 Justinian I. war (was für den griechischen Osten nicht selbstverständlich war) ein großer Bilderfreund. Erfreulicherweise ist aus seiner Zeit an bildlichen Darstellungen viel erhalten geblieben in Gebieten, die von den späteren Bilderstürmen nicht erreicht wurden. 548 gründete Justinian das Katharinenkloster am Sinai - vier Jahre nach der Rettung Edessas. Im Katharinenkloster sind aus dessen Anfangszeit zwei bedeutende Christusbilder erhalten: das Christusbild in dem großen Apsismosaik und die berühmte enkaustische Ikone, die nach K. Weitzmann, dem Erforscher des Klosters, aus kaiserlicher Werkstatt stammt und wohl ein persönliches Geschenk des Kaisers war. Christusikone (Sinai; ~ 560 n.Chr.) Prof. A. D. Whanger (Duke Universität, Durham/USA) hat mit einer von ihm entwickelten Methode unter Verwendung von zwei Projektoren und polarisiertem Licht eine interessante Entdeckung gemacht: Das Antlitz der Ikone stimmt nicht bloß - wie schon zahllose Christusbilder vorher - in den charakteristischen Porträtmerkmalen, sondern bis in die >> 6/10 Proportionen mit dem Antlitz auf dem TG überein. Sie sind deckungsgleich, sogar in Unregelmäßigkeiten wie der geschwollen erscheinenden rechten Wange. >> 45 7/10 >> 8/10 Ein weiteres Experiment von Prof. Whanger zeigt, dass nicht nur Christusdarstellungen wie die enkaustische Ikone, sondern selbst so extrem verkleinerte Christusporträts wie auf byzantinischen Münzen die gleichen Proportionen haben wie das Antlitz auf dem Turiner Grabtuch. Wie die zahlreichen Büsten römischer Kaiser in verschiedenen Formaten zeigen, stand die römische Reproduktionstechnik auf sehr hoher Stufe, gerade auch wenn es sich um Übertragungen in andere Größenordnungen handelte. Vergleich vom Antlitz Christi auf dem Turiner Grabtuch und auf einer Byzantini. Solidus Münze (692-695 n.Chr.); interessant hierbei sind nicht nur die gleichen Proportionen, sondern auch die beiden Querstriche am Hals. >> 46 9/10 Byzantini. Solidus Münze (692-695 n.Chr.) >> 10/10 Byzantini. Tremissis Münze (692 n.Chr.) 47 1/12 Rekonstruktionshypothesen der Geschichte des Grabtuches vor 1349 Skizze der (vermuteten) Stationen des TG >> 2/12 Die mögliche Geschichte des Grabtuches von 1204 bis 1349 n. Chr. Es gibt den Bericht eines fränkischen Ritters, Robert de Clari, der am vierten Kreuzzug teilnahm. Dieser Kreuzzeug wurde durch den Dogen Dandolo nach Konstantinopel umdirigiert und die Kreuzfahrer eroberten und plünderten die christliche Stadt. De Clari erzählt von einem Besuch in der Kirche „Unsere Frau, die Heilige Maria von Blachernai“ (Blachernai oder „die Blachnernen“ ist das um 1150 entstandene neue kaiserliche Stadtviertel in Byzanz mit Palästen, Gärten und Kirchen). Dort sei ein Grabtuch aufbewahrt worden, „in welches unser Herr eingehüllt war, das jeden Freitag aufgerichtet wurde, so dass die Figur unseres Herren deutlich gesehen werden konnte.“ Er berichtet weiter: „Keiner, weder Grieche noch Franzose wusste, was mit dem Grabtuch geschehen war, als die Stadt eingenommen wurde“. Am 1. August 1205 übergab Theodoros Angelos Komnenos, ein Verwalter des letzten rechtmäßigen byzantinischen Kaisers dem Papst Innozenz III. ein Gesuch über die Rückgabe der geplünderten Schätze Konstantinopels. Darin heißt es: „Beim Aufteilen der Beute erhielten die Venezianer die Gold- Silber- und Elfenbeinschätze, die Franken die Heiligenreliquien, deren allerheiligste das Tuch ist, in das unser Herr Jesus Christus nach seinem Tod und vor seiner Auferstehung gewickelt wurde... Wir wissen, dass diese heiligen Gegenstände in Venedig, in Gallien und an anderen Orten der Plünderer aufbewahrt werden, das heilige Tuch aber wird in Athen verwahrt...“. >> 48 3/12 Dies wird bestätigt durch Nikolaus von Otranto, dem Abt des süditalienischen Klosters Casole. Zusammen mit dem päpstliche Legaten Benedikt von S. Susanna, Bischof von Porto, besuchte er Athen und sah dort insgeheim das Tuch. Es war im Besitz von Othon de la Roche, Herzog von Athen. Er übergab das Tuch vermutlich dem Orden der Tempelritter. Zwischen 1307 und 1314 fand der von Philip dem Schönen, König von Frankreich betriebene grausame Prozess gegen den Templerorden statt, der mit der Auflösung des Ordens und der öffentlichen Verbrennung des letzten Ordensmeisters, Jacques de Molay endete. Ein Vorfahre von Geoffrey de Charny, der ebenfalls Geoffrey de Charnay hieß, hatte gemeinsam mit de Molay den Scheiterhaufen bestiegen. Man kann also vermuten, dass das Grabtuch im Besitz der Tempelritter war und dass jener Geofrey de Charnay, der das Grabtuch 1357 in Lirey ausstellte, das Tuch von seinem Vorfahren, dem gleichnamigen Templerritter geerbt hatte. Oder seine Frau, Jeanne de Vergy hatte es von ihrem Vorfahren Othon de la Roche geerbt. >> 4/12 Die mögliche Geschichte des Grabtuches von 944 n. Chr. bis 1204 n. Chr. Um das Jahr 1050 n. Chr. dichtete der Mönch Christophoros von Mytilene über das Jesusbild: „Du hast deine Züge auf das Grabtuch gedrückt, du, der du als Toter in das Grabtuch als dein letztes Kleid gehüllt wurdest“. Das Tuch, schreibt der Mönch, sei aus Edessa gekommen. Um das Jahr 950 n. Chr. verfasste der Mönch, Geschichtsschreiber und Theologe Symeon Metaphrastes, auch Symeon Logothetes genannt, den Prosatext „Synaxarion“ über das Grabtuch. Der Text war für das „Fest des Heiligen Grabtuches“, das in Byzanz immer am 16. August gefeiert wurde. Symeon berichtet, dass das Grabtuch im Jahr 944 n. Chr. per Schiff nach Konstantinopel gebracht wurde. Dort traf es am 15. August ein und wurde am 16. August in einem feierlichen Umzug in die Hagia Sophia gebracht. Das Tuch war mit einem Goldrahmen im „persischen“ Stil eingefasst. Es war viermal gefaltet, und zwar so, dass obenauf das Antlitz Christi zu sehen war. Diese Knickspuren kann man heute noch feststellen. Der Körper Christi war nicht zu sehen. Man empfand das Abbild des nackten Körpers Christi wohl als unpassend und unerwünscht. >> 49 5/12 Die mögliche Geschichte des Grabtuches von 544 n. Chr. bis 944 n. Chr. Der um das Jahr 530 n. Chr. in Syrien geborene Historiker, Anwalt und kaiserliche Präfekt Euagrios Scholastikos schreibt, dass im Jahr 544 n. Chr. der persische König Chosrau I. Anuschirwan die Stadt Edessa belagerte. Einem Traum des Bischofs Eulalios folgend, fanden die bedrängten Edesser auf dem höchsten Tor der Stadt in einem zugemauerten Hohlraum das Grabtuch. Es war einige Jahrhunderte zuvor von einem anderen Bischof eingemauert worden und der genaue Aufbewahrungsort war in Vergessenheit geraten. Aber die Erinnerung, dass die Stadt einst das Grabtuch besessen hatte, war immer noch lebendig. Bald darauf brach im Lager der Perser ein Brand aus; entmutigt gaben sie die Belagerung auf. Im Jahr 545 n. Chr. schlossen die Byzantiner unter Justinian und die Perser einen Waffenstillstand. In Edessa wurde eine große Kirche eingeweiht, welche die Hagia Sophia in Byzanz zum Vorbild hatte. In einer Seitenkapelle rechts von der Apsis wurde das Grabtuch aufbewahrt. Man nannte es das „Acheiropoeton“, das „nicht von Hand gemachte“ oder auch das „theoteuktos eikon“, das „von Gott gemachte Bild“. Schon damals war das Tuch so zusammengefaltet, wie es später in Konstantinopel ankam und es befand sich schon damals in dem emailverzierten persischen Schmuckrahmen. Das Tuch wurde bei besonderen Gelegenheiten und einmal im Jahr an Ostern ausgestellt. >> 6/12 Seit dem Jahr 544 n. Chr. trat ein Wandel in der Art ein, wie Christus in der Kunst dargestellt wurde (>> Ikonographentheorie). In der Spätantike wurde Christus bartlos und wie ein junger Gott dargestellt. Nachdem man das Grabtuch in Edessa ausstellte, wurde Jesus auf Gemälden, Fresken, Mosaiken, Vasen und Münzen mit langen Haaren, Mittelscheitel und Bart dargestellt. Diese Art der Darstellung orientierte sich an dem Abbild auf dem Grabtuch. Im Jahr 636 n. Chr. wurde der byzantinische Kaiser Herakleios, der sich den unaufhaltsam vordringenden Truppen der Moslems entgegenstellte, in den Schluchten der Jarmuk vernichtend geschlagen. 638 wurde Jerusalem erobert, und im gleiche Jahr fiel auch Edessa in islamische Hand. Edessa kapitulierte und blieb von einer Plünderung verschont. Die Edesser durften weiterhin ihrem christlichen Glauben anhängen und relativ frei ihrem Handel nachgehen. Das Grabtuch war die ganze Zeit in der großen Kirche von Edessa geblieben und hatte den Krieg unbeschadet überstanden. Im Jahr 678 n. Chr. wurde die große Kirche in Edessa durch ein Erdbeben beschädigt, aber das Grabtuch blieb unversehrt. Da aber der bilderfeindliche Islam die Ausstellung des Grabtuches nicht gestattete, gab es ab 638 keine Ausstellungen und Prozessionen mit dem Grabtuch. Das Christentum sank zu einer Subkultur herab. Christen und Juden mussten Erkennungsbänder und abzeichen tragen. In dieser islamischen Zeit erhielt das Grabtuch die Bezeichnung „Mandil“ (arabisch für „Tuch“). Ins Griechische übertragen wurde daraus „Mandylion“. >> 50 7/12 Im Jahr 942 n. Chr. eroberte der byzantinische General Johannes Gurgen die Stadt Nisibis und rückte bis vor Edessa vor. Kaiser Konstantin VII. Porphyrogennetos („der in Purpur Geborene“) trat mit den Arabern in Verhandlungen ein mit dem Ziel, dass ihm das Grabtuch ausgehändigt werde. Die Araber willigten unter folgenden Bedingungen ein: Rückzug der byzantinischen Truppen aus dem gesamten Gebiet, die Zusage, Edessa nicht mehr anzugreifen, die Freilassung von 300 jungen adeligen Gefangenen ohne Lösegeldzahlung sowie 1200 Silberdenare. Der byzantische Kaiser nahm den Handel an und erhielt dafür das Grabtuch, „auf dem das Gesicht Christi aufgedrückt war“, wie der Araber Al Masudi schrieb. Das Tuch traf dann im Jahr 944 n. Chr. in Konstantinopel ein. Erst im Jahr 1098 wurde Edessa von den Kreuzfahrern erobert und im Jahr 1144 von den Arabern wieder zurückerobert und viele seiner Kirchen und wertvollen Bauten zerstört. Nach 1340 stürzte die Kuppel der großen Kirche, in welchem das Grabtuch bis 944 aufbewahrt worden war, ein. >> 8/12 Die mögliche Geschichte des Grabtuches von 131 n. Chr. bis 544 n. Chr. Im Jahr 131. n. Chr. brach in Jerusalem der Aufstand des Bar Kochba aus, bekannt als der „zweite Jüdische Krieg“. Kaiser Hadrian eroberte Jerusalem und ließ die Stadt dem Erdboden gleichmachen. 135 war der Aufstand niedergeschlagen. Alle jüdischen und christlichen Spuren wurden in Jerusalem und ganz Judäa ausgetilgt. Juden und Christen flohen nach Edessa, das sich 233 Jahre zuvor zu einem unabhängigen Königreich, das „Reich von Osrhoene“, erklärt hatte und es immer noch war. Seine Könige trugen meist den Namen „Abgar“. Das Grabtuch muss wohl mit diesen judenchristlichen Exilanten nach Edessa gelangt sein. Zuvor, so vermutet Maria Grazia Siliato, war das Tuch in Qumran vergraben. Erst in Edessa habe man dann entdeckt, dass sich auf dem Tuch im Laufe der langen Lagerzeit ein Bild Christi entwickelt hatte. Dies ist durchaus plausibel, weil das Abbild möglicherweise durch eine Alterung der Leinenfasern zustande gekommen ist. Dort, wo die Leinenfasern mit dem Schweiß des Körpers in Berührung kamen, wurden sie angegriffen und alterten schneller, was die schwach gelblich-schattierte Färbung hervorrief. Mit großem Erstaunen wird man in Edessa entdeckt haben, dass auf den Tuch wie durch ein Wunder ein Abbild Christi entstanden war. >> 51 9/12 Derjenige, der das Tuch nach Edessa brachte, soll Addai gewesen sein, Sohn des Apostel Thaddäus. In Edessa wurde die erste christliche Kirche erbaut, und das Königreich Osrhoene nahm um 170 n. Chr. das Christentum als offizielle Religion an. Im Jahr 212 besetzte der römische Kaiser Caracalla Edessa, stürzte die Dynastie der Abgariden und gründete eine römische Militärbasis, die „Colonia Edessorum“. Die Ausübung der christlichen Religion wurde verboten. In dieser Zeit nach 212 versteckte ein Bischof, dessen Namen nicht bekannt ist, das Grabtuch in einer Nische im oberen Teil der Stadtmauer von Edessa und ließ die Nische zumauern. Es gab nur wenige Zeugen, die an der Aktion teilnahmen, und so geriet die Lage des Versteckes in Vergessenheit, bis es im Jahre 544 wiederentdeckt wurde. >> 10/12 Die mögliche Geschichte des Grabtuches von 30 n. Chr. bis 131 n. Chr. In dem apokryphen (nicht in die Bibel aufgenommenen) „Hebräer-Evangelium“ heißt es, Jesus selbst habe nach seiner Auferstehung das Grabtuch dem „Diener des Priesters“ übergeben. Wer das war, ist unbekannt. Das Tuch war mit Blut getränkt und damit nach dem jüdischen Gesetz unrein. Diese Unreinheit übertrug sich gemäß den jüdischen Vorstellungen auf jeden, der es berührte. Deshalb wurde es im Verborgenen aufbewahrt. Die heilige Nino (gest. um 355) berichtet, das Tuch hätte sich eine Zeitlang im Besitz der Frau des Pontius Pilatus befunden. Danach hätte es der Heilige Lukas bekommen, der es an einem geheimen Ort aufbewahrte. Das „Schweißtuch“ dagegen hätte Petrus besessen. Im Jahr 66 n. Chr. brach in Judäa ein Aufstand der Juden gegen die Römer aus. Ein Teil der Juden, die sich vor der Rache der Römer fürchteten, flohen noch Norden in das Gebiet der „Dekapolis“, des „Zehnstädtebundes“, das außerhalb der römischen Provinz Syrien lag. Hier war man außerhalb der Grenzen des römischen Reiches und fürs erste einmal sicher. Die Römer schlugen den Aufstand brutal nieder und zerstörten im Jahre 70 den Tempel in Jerusalem. Unter den Juden, die in die Dekapolis flohen, waren viele Christen. Ihre Situation hatte sich im Jahr 68 n. Chr. stark verschlechtert, weil sie sich nicht an >> 52 11/12 dem Aufstand beteiligt hatten und nun von jüdischen Patrioten angeklagt wurden, nicht für die jüdische Sache Partei ergriffen zu haben. Auf ihrer Flucht nach Pella, einer der Städte der Dekapolis, kamen die Judenchristen am Kloster Qumran vorbei. Haben sie dort das Grabtuch zurückgelassen und wurde es in einem der berühmten Tonkrüge in der Wüste versteckt ? Wir wissen es nicht. Als dann im Jahr 131 n. Chr. der zweite jüdische Krieg ausbrach, geriet auch Qumran in den Einflussbereich der Römer. Ob man das Grabtuch vorher aus Qumran nach Edessa brachte ? In der Symeon Metaphrastes zugeschriebenen Festpredigt des Jahres 955 wird berichtet: Abgar V. von Edessa (15 n. Chr. bis 50 n. Chr.), genannt Ukkama, hätte, als er von den Wundern Jesu hörte, einen Boten nach Jerusalem gesandt, der Jesus einladen sollte, nach Edessa zu kommen, um ihn von seiner Krankheit zu heilen. Jesus hätte an Abgar einen handschriftlichen Brief geschickt (was wohl nur eine Legende ist), um ihm mitzuteilen, dass er selbst nicht kommen könne, er aber einen Jünger schicken werde, der Abgar heilen solle. Nach der Kreuzigung Jesu hätten dann die Jünger einen Boten zu Abgar geschickt. Dieser Bote hätte König Abgar das Grabtuch gebracht. Der Name des Boten sei Thaddäus gewesen, in syrischer Sprache „Addai“. Er vollbrachte in Edessa Wunderheilungen und missioniert für das Christentum. So habe er auch mit Hilfe des Grabtuches die gelähmten Beine Abgars geheilt und gleich seinen Aussatz dazu. >> 12/12 Das Mandylion von Edessa aus der Privatkapelle des Papstes im Vatikan. Holger Kersten und Elmar R. Gruber vermuten, dass ein Vertrauter von Thaddäus, der königliche Goldschmied Aggai, das Tuch vor der Übergabe an König Abgar so gefaltet habe, dass nur das Gesicht Christi sichtbar war. Aggai habe das Tuch in einen kunstvolles Behältnis eingefasst, das mit einem goldenen Netzgitter versehen war, durch das man das Antlitz Christi sehen konnte. So sei das „Mandylion“ von Edessa entstanden, das nach einer Vermutung des Historikers Ian Wilson mit dem Grabtuch identisch ist. Abgar starb im Jahre 50 n. Chr. und im Jahre 57 n. Chr. kam Ma’nu an die Macht, ein Herrscher, der zum Heidentum zurückkehrte. Das Oberhaupt der Christen in Edessa, Aggai, habe das Grabtuch oberhalb eines Torbogens eingemauert. Diese Version widerspricht natürlich der Theorie, dass das Grabtuch erst nach 131 nach Edessa gekommen sei. 53 1/2 Mögliche historische Etappen des Grabtuches vor 1349: Beachte: Zwischen den Jahren 544 und 1205 gibt es Quellen, welche von Tüchern mit dem Bild Christi berichten; es ist immer noch nicht gesichert, ob diese mit dem Grabtuch von Turin identisch sind. Die Berichte vor 544 sowie jene von 1205 – 1349 tragen starke legendenhafte Züge und scheiden daher als mögliche historische Quellen aus. ~ 544: Der Historiker Euagrios Scholastikos berichtet über die Belagerung von Edessa durch die Perser und die Auffindung eines Tuches mit dem Gesicht Jesu in einem zugemauerten Hohlraum in der Stadtmauer. 545: Waffenstillstand zwischen Byzantiner und Perser; in Edessa wird eine große Kirche geweiht, die ein Tuch aufbewahrt, „das nicht von Hand gemacht war“. 638: Edessa gerät unter arabische Herrschaft; das Tuch wird Mandil (= arabisch: Tuch) bzw. Mandylion genannt. 942: Kaiser Konstantin VII. Porphyrogennetos verhandelt mit den Arabern über die Herausgabe des Tuches, „auf dem das Gesicht Christi aufgedrückt war“, wie der Araber Al Masudi schrieb. 944: Das Mandylion kommt laut Symeon Metaphrastes nach Konstantinopel. >> 2/2 950: Der Mönch, Geschichtsschreiber und Theologe Symeon Metaphrastes verfasst den Prosatext „Synaxarion“ über das besondere Tuch. ~1050: Der Mönch Christophoros von Mytilene dichtete über das Jesusbild: „Du hast deine Züge auf das Grabtuch gedrückt, du, der du als Toter in das Grabtuch als dein letztes Kleid gehüllt wurdest.“ ~ 1192: Der Budapester Codex Pray enthält einige interessante Details, welche offensichtlich das Bild auf dem Turiner Grabtuch voraussetzen. 1203: Der Geschichtsschreiber Robert de Clari erwähnt, dass er ein Tuch mit dem Abdruck des Herrn in Konstantinopel gesehen habe. 1204: Während des 4. Kreuzzuges plündern die Kreuzritter Konstantinopel. Der Burgunder Othon de la Roche, Chef von Athen, bemächtigte sich mit seinen Rittern des neuen Blachernen-Palastes, den der Kaiser kurz zuvor gerade bezogen hatte und in dessen Marienkirche hinter Bronze- und Silbertüren das Grabtuch aufbewahrt wurde. 1205: Ein Verwandter des byzantinischen Kaisers fordert von Papst Innozenz III. die Rückgabe des Tuches, welches sich seiner Ansicht nach jetzt in Athen befände: „Die Gallier erhielten die Heiligenreliquien, dessen allerheiligster Teil das Tuch ist, in das unser Herr Jesus Christus nach seinem Tod und vor seiner Auferstehung gewickelt wurde.“ 54 1/3 Mandylion-Theorie Beim Mandylion handelt es sich um ein im 6.Jahrhundert in der Stadt Edessa (dem heutigen in der Osttürkei gelegenen Urfa) aufgefundenes Tuch mit dem „Abbild“ Jesu darauf. Wichtig ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass auf dem Tuch nur das Gesicht Jesu, nicht aber sein ganzer Körper zu sehen ist. Dokumentiert ist die Existenz dieses „Tuches von Edessa“ für den Zeitraum vom 6.Jahrhundert bis 1204; in diesem Jahr verschwand es aus Konstantinopel. In einem Satz könnte Wilsons These folgendermaßen zusammengefasst werden: das was für uns heute (und seit der Mitte des 14. Jahrhunderts) das Turiner Grabtuch ist, ist identisch mit dem so genannten „Mandylion“, auch „Bild von Edessa“ genannt, welches 1204 in Konstantinopel verloren ging. Mit der Identifizierung beider Tücher als ein und demselben Gegenstand, versucht er die so offensichtlichen Lücken in der Geschichte des Turiner Grabtuches zu schließen. An weit schweifenden und detailreichen Erklärungen dafür mangelt es ihm nicht. >> 2/3 Die vierfache Faltung des Grabtuchs (»Tetradiplon«), bei der die Fläche mit dem Antlitz oben zu liegen kommt, ohne dass sonstige Körperpartien sichtbar sind. In dieser Form wurde das Tuch wohl in Edessa und Konstantinopel aufbewahrt und diente als Vorbild zahlloser Christusporträts. >> 55 3/3 „Wenn man das Mandylion und das Grabtuch vergleicht - beide kommen offensichtlich darin überein, dass sie ein geheimnisvoll eingedrücktes Abbild Jesu auf Tuch tragen -, entdeckt man einige Merkmale von möglicherweise größerer Bedeutung. Eines davon ist, dass die bekannten Aufenthaltsorte des Mandylion [...] nicht von dem abweichen, was bis jetzt von der geografischen Herkunft der türkischen Pollen auf dem Grabtuch bekannt ist, die von Dr.Frei ermittelt wurden. Ein anderes Merkmal ist, dass der Zeitpunkt der Wiederentdeckung des Mandylion im sechsten Jahrhundert mit dem Aufkommen eines neuen Typus des Bildnisses Jesu in der Kunst zusammenfällt. Noch ein weiteres ist die Ähnlichkeit des in einem Sepia-Ton gehaltenen Antlitzes auf den von Künstlern gemalten Kopien des Mandylion mit einem Antlitz, das sich von dem herleiten lässt, das auf dem Grabtuch von Turin zu sehen ist. Letzteres wird bekräftigt durch die reichhaltige und übereinstimmende literarische Überlieferung, dass das Bild des Mandylion, genau wie das auf dem Grabtuch, acheiropoietos sei - ein griechisches Wort, das „nicht von Hand gemacht“ bedeutet. [...] Als Letztes, aber keineswegs Geringstes kommt hinzu, dass die Periode der bekannten Geschichte des Mandylion mit einer verhältnismäßig kleinen Lücke fast den ganzen fehlenden Zeitraum der Geschichte des Turiner Grabtuches ausfüllen würde.“* * aus: Wilson, Ian: Eine Spur von Jesus, Freiburg-Basel-Wien 1980, 128. 1/2 Der Codex Pray – ein Zeugnis aus dem 12. Jahrhundert? Die Salbung Jesu und das leere Grab (Codex Pray, Budapest 1192/95) Der Budapester Codex Pray aus dem Jahr 1192 (oder 1195) enthält einige interessante Details, welche offensichtlich das Bild auf dem Turiner Grabtuch voraussetzen: die Lage des Leichnams, die völlige Nacktheit (einmalig!), die Haltung der Arme und Hände, v.a. allem aber die fehlenden Daumen. Auf dem unteren Bild soll offenbar die ungewöhnliche Gewebestruktur des Turiner Grabtuchs wiedergegeben werden. Entscheidend für die Datierung des Turiner Grabtuches ist, dass die älteren Brandlöcher auf der oberen Tuchhälfte in gleicher Anordnung wie auf dem Grabtuch wiedergegeben sind. Sie sind älter als die Brandschäden von 1532, denn sie sind bereits auf der Kopie von 1516 abgebildet. Demnach ist kaum zu bezweifeln, dass dieses Doppelbild das Grabtuch von Turin voraussetzt, das somit zumindest vor 1195 existiert haben muss. Die Radiokarbondatierung ins 13. Jahrhundert kann - so einige Befürworter der Echtheitsthese - nicht stimmen. Dass dieses Bild gerade in einem ungarischen Codex erscheint, erklärt sich daraus, dass die damalige ungarische Königin eine byzantinische Prinzessin war. >> 56 2/2 Parallelen der dargestellten Brandlöcher im Codex Pray von 1192 bzw. 1195 und auf einer gemalten Kopie aus dem Jahr 1516 mit denen des Turiner Grabtuches. Die Brandlöcher auf dem Bild des Codex Pray (1192/95) Die Brandlöcher auf dem Rückenbild des TG Das Rückenbild von einer Kopie des TG (1516), auf dem die gleichen Brandlöcher wiedergegeben sind 1/8 Vergleich mit dem Schweißtuch von Oviedo und dem Schleier von Manoppelo Zwar ist auf dem Schweißtuch von Oviedo keine Abbildung zu sehen; aus einem Vergleich der vorhandenen Blutspuren auf dem Schweißtuch mit jenem „Blutspuren-Muster“ auf dem Turiner Grabtuch schließen jedoch Authentizitätsbefürworter, dass die Tücher denselben Kopf bedeckten. Die zahlreichen punktförmigen Wunden werden der Dornenkrone beim Tod Christi zugeschrieben. Die Blutgruppen auf den beiden Tüchern decken sich: sowohl auf dem Schweißtuch von Oviedo als auch auf dem Grabtuch von Turin befinden sich Blutspuren mit der seltenen Blutgruppe AB. Auf einer weiteren noch relativ unbekannten Reliquie, dem Schleier von Manoppello in den italienischen Abruzzen, findet sich das Bild eines Mannes mit geöffneten Augen, dessen Gesichtsverletzungen sich mit denen der Tücher von Turin und Oviedo decken. Nach neueren Theorien war das Volto Santo zusammen mit dem Turiner Grabtuch und dem Schweißtuch von Oviedo ursprünglich im gleichen Grab in Jerusalem , bewiesen werden konnte dies jedoch nicht. >> 57 2/8 Das Schweißtuch von Oviedo, auch Sudario von Oviedo, ist ein blutverschmutztes Leinentuch, das in Oviedo in Spanien aufbewahrt wird. Es wird behauptet, dieses Tuch sei nach dem Tod Jesu Christi um seinen Kopf gewickelt gewesen, was allerdings sehr umstritten ist. Das heilige Schweißtuch (Sudarium Domini) ist stark verschmutzt und zerknittert. Die Ausschnitt des Schweißtuches von Oviedo (rechts), dunklen Flecken sind symmetrisch angeüberlagert vom Antlitz des Turiner Grabtuches (links) nach Blandina Paschalis Schlömer ordnet, man kann jedoch im Gegensatz zum Turiner Grabtuch kein Bild erkennen. Das Sudarium und das Turiner Grabtuch nahmen verschiedene Wege, wie durch Pollenanalyse bestätigt werden konnte, deren Aussagekraft jedoch von vielen kritischen Wissenschaftlern angezweifelt wird. Erstmals dokumentiert ist es im Jahre 614 durch einen Bericht Bischofs Pelagius, wonach es nach dem Einfall der Perser im Jahre 614 in Palästina von dort nach Alexandria überführt wurde, aber schon 616 über Nordafrika nach Spanien gebracht wurde. Es existiert kein Nachweis des Schweißtuches von Oviedo vor dem 7. Jahrhundert und mit der Radiokarbonmethode wurde das Alter ebenfalls auf das 7. nachchristliche Jahrhundert datiert (Baima Bollone (1994), Book of Acts of the 1st International Congress on the Sudarium of Oviedo, 428-429). >> 3/8 Allerdings gibt Bollone selber an, dass seine Untersuchung noch höchst unzuverlässig wäre und man auch andere Indizien berücksichtigen müsse. Die Wunden auf dem Tuch, die den Verletzungen aus der Dornenkrone Jesu Christi zugeordnet werden, stimmen angeblich mit denen des Turiner Grabtuchs überein, so dass Authentizitätsbefürwortern behaupten, dass es sich höchstwahrscheinlich um denselben Mann handelt. Diese Aussagen beruhen allerdings auf einer "Polarized Image Overlay Technique" genannten Methode, deren Resultate von einigen Wissenschaftlern als unzuverlässig und höchst subjektiv angesehen werden. Aber vor allem fällt auf, dass auch das Material des Tuches mit dem des Turiner Grabtuches identisch ist, jedoch nicht die Webart. Kritiker halten das Tuch für eine von vielen ähnlichen Fälschungen, die seinerzeit im Umlauf waren. Was den Bezug zum Turiner Grabtuch betrifft, wird zum Beispiel eingewendet, dass, wenn das Schweißtuch zwischen Körper und Grabtuch gelegen haben könnte, es die Entstehung des Bildes auf dem Grabtuch behindert haben müsste. Befürworter der Echtheit des Tuches wenden gegen diese These ein, dass sich das Schweißtuch nur kurz am Kopf Jesu befunden habe, beispielsweise bei der Abnahme vom Kreuz zum Transport ins nahe gelegene Grab. Das Schweißtuch wird dreimal im Jahr in der Kathedrale San Salvador in Oviedo gezeigt: am Karfreitag, am Tag der Kreuzerhöhung (14. September) und am Tag des Apostels Matthäus (21. September). >> 58 4/8 Der Schleier von Manoppello, auch als Volto Santo von Manoppello bekannt, ist eine Ikone auf einem hauchdünnen Tuch, die in dem kleinen italienischen Städtchen Manoppello in den Abruzzen als Reliquie verehrt wird. In den letzten Jahren wurde das Tuch aufgrund der Rätselhaftigkeit seiner Herkunft, seines Materials und des sich darauf befindlichen Gesichtes bekannt. Das Volto Santo (ital. „Heiliges Antlitz“) ist ein 17,5 cm breiter und 24 cm hoher Schleier, der in Manoppello seit 1638 in der Kapuzinerkirche Santuario del Volto Santo auf dem Tarignihügel außerhalb der Stadt aufbewahrt wid. Das Tuch wird in einer doppelseitig verglasten Monstranz seit den 1960er Jahren in einem verglasten Tresor über dem Altar ausgestellt, nachdem es zuvor in einer dunklen Seitenkapelle stand, in der es für den Betrachter kaum erkennbar war. Es wurde seit Jahrhunderten nicht mehr aus dem Rahmen genommen und konnte bislang nur mit Hilfe von Mikroskopen und ultraviolettem >> 5/8 Licht untersucht werden. Bei dem Trägermaterial handelt es sich dem Augenschein nach um ein hauchzartes Tuch aus Byssus, auch Muschelseide genannt, ein Stoff, der aus den äußerst feinen und widerstandsfähigen Ankerfäden der im Mittelmeer lebenden edlen Steckmuschel gewonnen wird. Der Stoff war in der Antike und im Mittelalter einer der kostbarsten überhaupt. Muschelseide kann angeblich nicht bemalt und nur leicht gefärbt werden und da bei den Untersuchungen des Tuches keine Farbreste entdeckt werden konnten, ist die Feinheit der Linien bis jetzt unerklärlich. Das Handwerk der Byssusherstellung ist heute allerdings fast ausgestorben, weshalb es schwer ist, die Möglichkeiten seiner Verarbeitung zu beurteilen. Die beiden oberen Überlagerung des Volto Santo mit einem Negativ des Turiner Grabtuches nach Blandina Paschalis Schlömer >> 59 6/8 dreieckigen Zwickel bestehen aus einem anderen Material, wahrscheinlich Seide, und wurden offensichtlich später angefügt. Das Gesicht ist von beiden Seiten des Tuches, das so fein ist, dass man eine Zeitung dahinter lesen kann, gleichermaßen, wenn auch spiegelverkehrt wie auf einem Dia, zu sehen. Im Gegenlicht hingegen wird das Tuch so transparent wie klares Glas. Der Schleier zeigt das Gesicht eines Mannes mit langen Haaren, Bart, geöffneten Augen und leicht geöffnetem Mund; seine Zähne sind erkennbar. Auf dem Gesicht sind rötliche Flecken sichtbar, die von einigen als Wunden durch Folterungen oder Geißelungen interpretiert werden. Erstaunlich ist, dass die Proportionen des Gesichtes und die Lage der Wunden mit denen des Antlitzes auf dem Turiner Grabtuch übereinstimmen. Alle bisher möglichen Messungen lassen auf die Abbildung ein und der selben Person schließen, wobei bemerkenswert ist, dass sowohl das Material der Tücher als auch die Art der Bildnisse völlig gegensätzlich sind. Das Gesicht auf dem Schleier lässt ikonographisch eine gewisse Nähe zur toskanischen Vor- und Frührenaissance erkennen, ist jedoch derart untypisch, dass eine Zuordnung zu einer kunstgeschichtlichen Epoche oder Schule nicht möglich ist. Die künstlerische Qualität der Darstellung scheint mäßig. Das wenig vorteilhaft wirkende Gesicht erscheint auf Reproduktionen flach, Mund und Augen wirken gezeichnet und Nase und Mund befinden sich nicht in einer Linie. >> 7/8 Der Schleier zeigt das Gesicht eines Mannes mit langen Haaren, Bart, geöffneten Augen und leicht geöffnetem Mund; seine Zähne sind erkennbar. Auf dem Gesicht sind rötliche Flecken sichtbar, die von einigen als Wunden durch Folterungen oder Geißelungen interpretiert werden. Erstaunlich ist, dass die Proportionen des Gesichtes und die Lage der Wunden mit denen des Antlitzes auf dem Turiner Grabtuch übereinstimmen. Alle bisher möglichen Messungen lassen auf die Abbildung ein und der selben Person schließen, wobei bemerkenswert ist, dass sowohl das Material der Tücher als auch die Art der Bildnisse völlig gegensätzlich sind. Das Gesicht auf dem Schleier lässt ikonographisch eine gewisse Nähe zur toskanischen Vor- und Frührenaissance erkennen, ist jedoch derart untypisch, dass eine Zuordnung zu einer kunstgeschichtlichen Epoche oder Schule nicht möglich ist. Die künstlerische Qualität der Darstellung scheint mäßig. Das wenig vorteilhaft wirkende Gesicht erscheint auf Reproduktionen flach, Mund und Augen wirken gezeichnet und Nase und Mund befinden sich nicht in einer Linie. Bemerkenswert ist, dass der Schleier von Manoppello wie das Grabtuch von Turin einzigartig zu sein scheint; die Kunstgeschichte kennt kein gleichartiges Bildnis. Es wirkt auf den ersten Blick gemalt, erscheint jedoch bei wechselndem Lichteinfall plastisch und lebendig. Die Farben changieren zwischen verschiedenen Gold-, Bronze-, Braun- und Rottönen ähnlich wie die Farben auf einem Schmetterlingsflügel. Lässt sich das Bildnis auf dem Turiner Grabtuch als fotografisches Negativ eigentlich erst richtig erkennen, >> 60 8/8 entzieht sich der Schleier der fotografischen Reproduktion: Das je nach Bewegung und Blickwinkel sich ständig wandelnde Bildnis auf dem Schleier lässt sich nur in der unmittelbaren Anschauung erfahren, insbesondere bei den zweimal jährlich stattfindenden Prozessionen durch den Ort. Deutung als "Schweißtuch der Veronika" Der römische Kunsthistoriker Heinrich Pfeiffer S.J. ist nach zwanzigjähriger Forschung zum Schleier von Manoppello überzeugt, dass es sich bei dem Tuch um das eigentliche Sudarium bzw. das Schweißtuch der Veronika (von lat./griech.: vera eicon = wahres Bild) handelt, der einst wichtigsten und meistverehrten Reliquie der Christenheit. Offiziell befindet sich das seit dem Jahr 708 in Rom bezeugte Tuch in der, als mächtigen Tresor angelegten, Kapelle innerhalb des Veronikapfeilers im Petersdom, der über dem Grundstein der Kirche errichtet wurde. Auf diesem fast schwarz gewordenen Tuch ist allerdings nichts mehr zu erkennen. Pfeiffer kommt aufgrund ikonographischer Untersuchungen zu dem Schluss, dass das Schweißtuch der Veronika seit dem Sacco di Roma 1527 oder dem Abriss der alten Petersbasilika 1608 verschwunden und durch ein anderes Tuch ersetzt worden sei. Vom Vatikan wurde diese bereits früher laut gewordene Vermutung allerdings nie bestätigt. Nach der örtlichen Überlieferung wurde das Volto Santo bereits 1506 von einem Unbekannten nach Manoppello gebracht, wirklich bezeugt ist es dort jedoch erst seit dem Jahr 1638, als es den Kapuzinern übergeben wurde. 1/2 Griechische und lateinische Buchstaben auf dem Turiner Grabtuch? 1997 wurde durch die Wissenschaftler André Marion und Anne-Laure Courage mit modernen Methoden der Computeranalyse, unter anderem einer digitalen Verstärkung von Farbvariationen auf der Grabtuchoberfläche, angeblich Inschriften neben dem Antlitz sichtbar gemacht. Es handelt sich hierbei um etwa einen Zentimeter große griechische und lateinische Buchstaben aus den ersten Jahrhunderten nach Christus. An der rechten Kopfhälfte steht „ΨΣ ΚΙΑ“. Dieses wird als ΟΨ ΣΚΙΑ (ops = Kopf; skia = Schatten) interpretiert. An der linken INSCE (inscendat = er mag hinaufgestiegen sein) oder IN NECE (in necem ibis = du wirst in den Tod gehen) und ΝΝΑΖΑΡΕΝΝΟΣ (nnazarennus, ein stark falsch geschriebenes „der Nazarener“ auf Griechisch), an der unteren HSOY, der Genitiv von „Jesus“, doch der erste Buchstabe fehlt. >> 61 2/2 Angesichts solcher fantastischer Spekulationen ist es nicht verwunderlich, wenn es immer wieder zu ähnlichen Äußerungen wie auf dem folgenden Bild kommt: Der theologische Befund > Die relevanten Bibelstellen (Vorbemerkung und Synopse) > Philologische Probleme der exegetischen Forschung > Passion und Auferstehung des Jesus von Nazareth 62 1/2 Die relevanten Bibelstellen (Vorbemerkung) Die meisten Exegeten sind eher zurückhaltend, wenn das Turiner Grabtuch zur Sprache kommt, denn aus den Begräbnistexten allein lassen sich weder die Echtheit noch die Unechtheit des Turiner Grabtuches ableiten. Die Bibeltexte dürfen selbstverständlich nicht wortwörtlich verstanden werden, sondern bedürfen einer Interpretation, die sich auf die historisch-kritische Methode stützt. Passions- und Osterberichte gehören demnach verschiedenen Textschichten an. Während die Passionsgeschichte als Wiedergabe eines historisch gesicherten Geschehens gelten kann, sind die Ostererzählungen von ihrer literarischen Gattung her Verkündigungsgeschichten mit einer ganz bestimmten Aussageabsicht. Das heißt, diese sind nicht als historische Tatsachenberichte anzusehen, sondern als theologische Entfaltung des Auferstehungsglaubens zu bewerten. Und dieser Interpretation folgend gehört auch das Begräbnis Jesu bereits zu den Ostererzählungen und darf somit nicht mehr als historisch exaktes Ereignis angesehen werden. >> 2/2 Die relevanten Bibelstellen (Synopse) Mk 15,46: Josef kaufte ein Leinentuch, nahm Jesus vom Kreuz, wickelte ihn in das Tuch und legte ihn in ein Grab, das in einen Felsen gehauen war. Dann wälzte er einen Stein vor den Eingang des Grabes. Mt 27,59f: Josef nahm ihn und hüllte ihn in ein reines Leinentuch. Dann legte er ihn in ein neues Grab, das er für sich selbst in einen Felsen hatte hauen lassen. Er wälzte einen großen Stein vor den Eingang des Grabes und ging weg. Lk 23,53: Und er (Josef von Arimathäa) nahm ihn vom Kreuz, hüllte ihn in ein Leinentuch und legte ihn in ein Felsengrab, in dem noch niemand bestattet worden war. Joh 19,40: Sie nahmen den Leichnam Jesu und umwickelten ihn mit Leinenbinden, zusammen mit den wohlriechenden Salben, wie es beim jüdischen Begräbnis Sitte ist. Joh 20,6b-7: Da kam auch Simon Petrus, der ihm gefolgt war, und ging in das Grab hinein. Er sah die Leinenbinden liegen und das Schweißtuch, das auf dem Kopf Jesu gelegen hatte; es lag aber nicht bei den Leinenbinden, sondern zusammengebunden daneben an einer besonderen Stelle. 63 1/3 Philologische Probleme der exegetischen Forschung Die exegetische Forschung hat in diesem Zusammenhang mit folgendem philologischen (d.h. sprachwissenschaftlichen) Problem zu tun: die Bezeichnung für das Tuch bzw. die Tücher und auch die Art der „Einwickelung“ des Leichnams sind alles andere als eindeutig und können daher zur Untermauerung der persönlichen Überzeugung des betreffenden Grabtuchforschers in die für ihn passende Richtung interpretiert werden. So bezeichnen die von den Synoptikern (Mt, Mk, Lk) verwendeten Verben eneiléo (Mk) und entylísso (Mt und Lk) verschiedene Arten des Verhüllens oder des Einwickelns; so macht es einen großen Unterschied, ob Jesus „eingewickelt“ (im Sinne von einbandagiert), oder eben „verhüllt“ worden ist, was den Vorgang eines Abdruckes aber erst ermöglicht. >> 2/3 Das Tuch selbst wird von den drei Synoptikern als sindon (σινδών) bezeichnet. Die meisten Bibelübersetzer, auch die neue deutsche Einheitsübersetzung, verstehen darunter ein großes Leinentuch, das sowohl als Kleidungsstück wie auch als Decke oder eben als Leichentuch Verwendung finden konnte. Die im Johannesevangelium verwendeten Begriffe othónia und sudárion sind schwierig in der Hinsicht, da sie augenscheinlich etwas anderes bezeichnen als die sindón der Synoptiker. Allein schon die Tatsache, dass es sich um zwei Tücher verschiedener Größe und Verwendungsart handelt, bereitet den Exegeten Kopfzerbrechen und führt folglich - wieder einmal - zu unterschiedlichen Interpretationen. Laut Bulst ist othónia „[...] ein vieldeutiges Wort. Es kann „Binden“ bedeuten, vor allem in ärztlicher Sprache. Es kann aber auch alles aus Leinwand Gefertigte meinen. [...] So versteht sich, dass manche Schrifterklärer, von Augustinus angefangen [...], diese othónia mit der sindón der synoptischen Evangelien gleichsetzen“*. Diese Gleichsetzung erweist sich aber als nicht ziel führend, da othónia in Verbindung mit dem Verb deo niemals „einhüllen“, sondern nur „binden“ bedeuten kann. ( *aus: Bulst, Werner und Heinrich Pfeiffer: Das Turiner Grabtuch und das Christusbild. Band I: Das Grabtuch, Forschungsberichte und Untersuchungen, Frankfurt am Main 1987, 78) >> 64 3/3 Das Wort sudárion (=Schweißtuch) ist ebenfalls nicht so eindeutig, wie man zunächst meinen möchte. Erstens ist man sich über die Größe dieses Tuches (die Vermutungen reichen von der Größe einer Serviette bis hin zu den Ausmaßen eines Schultertuches) nicht einig. Das führte dazu, dass einige Forscher in diesem sudarión die sindón der Synoptiker zu entdecken glaubten. Das sei aber, laut Bulst, eine unrichtige Schlussfolgerung, da aus dem Textzusammenhang eindeutig klar werde, dass dieses Tuch in irgendeiner Weise „um das Gesicht herumgebunden wurde“*. In welcher Weise es nun genau Verwendung fand, ist jedoch nicht so eindeutig zu sagen, bedeckte es nur locker das Gesicht, wurde das Gesicht damit verbunden oder benutzte man es als „Kinnbinde“? Interessant hierbei ist jene These, dass der Evangelist Johannes gerade durch die besondere Betonung, dass das Tuch „auf/über den Kopf gelegt“ (epi tes kephales) war, andere Deutungsmöglichkeiten ausschließen wollte.** ( *aus: Bulst, Werner und Heinrich Pfeiffer: Das Turiner Grabtuch und das Christusbild. Band I: Das Grabtuch, Forschungsberichte und Untersuchungen, Frankfurt am Main 1987, 78) (** Vgl. Kersten, Holger und Elmar R. Gruber: Das Jesus Komplott. Die Wahrheit über das „Turiner Grabtuch“, München 1992, 278) 1/14 Passion und Auferstehung des Jesus von Nazareth* Nach Urteilssprechung brutal gegeißelt Nach der Urteilsverkündigung wurde Jesus - wohl mit den anderen beiden Verurteilten - den Soldaten übergeben, die sogleich mit den Vorbereitungen zur Hinrichtung begannen. Dazu gehörte als erstes die Geißelung. Die Geißelung fand auf dem Markt vor dem Herodespalast – also in der Öffentlichkeit – statt. Die zu Geißelnden wurden entkleidet, nackt auf den Boden geworfen oder an eine Säule fest gebunden – mit nach oben gestreckten Händen. Nun konnten die Folterknechte ungehindert zuschlagen. Als Folterwerkzeuge dienten Lederpeitschen, die mit Knochen und Metallstückchen durchsetzt waren. Aus historischen Quellen des Josephus Flavius ist bekannt, dass Menschen so gegeißelt wurden, „bis die Eingeweide bloß lagen“. Durch die Geißelung konnten Menschen bis auf die Knochen zerfleischt werden. Die Geißelung konnte so furchtbare Wunden herbei führen, dass das Opfer nicht selten während der Tortur gestorben ist. Wie es aussieht, wurde Jesus bis an die Grenzen des Erlaubten traktiert. Den auf ihm aufgeschulterten Kreuzesbalken vermochte er nämlich nicht mehr alleine zu tragen, obwohl der Weg nach Golgota nicht sehr weit war. Auch der schnelle Tod Jesu könnte mit der brutalen Geißelung zusammen hängen. (* aus: Schlager Stefan: Christen und der Christus. Eine Entdeckungsreise: Ungewohntes, Bewegendes, Herausforderndes, Linz 2004, 40-48) >> 65 2/14 … verspottet und misshandelt Renate Wandel, Geißelung Die Geißelung alleine reichte noch nicht aus. Bis zum Abmarsch nach Golgota spielten einige der Soldaten den drei Verurteilten noch übel mit. Dabei dürfte im Besonderen der verurteilte „König der Juden“ zum Spott gereizt haben. Unter lautem Gejohle und mit bissigen Bemerkungen überreichten sie dem „Judenkönig“ die Insignien bzw. ein Spott-Ornat: einen alten, vielleicht rot gefärbten Soldatenmantel als königlichen Purpur, eine schnell aus irgendwelchem Gestrüpp oder Geäst zusammen gewundene Haube als Krone und einen Rohrstock als Szepter. Dem so Ausstaffierten huldigte man spöttisch. Dieses „Spiel“ ging bald in Misshandlungen über. Jesus wurde angespuckt und geschlagen. Glaubhaft berichten Matthäus und Markus von Stockschlägen auf den Kopf, so dass die Dornenkrone bzw. -haube, die eigentlich zum SpottOrnat gehörte, zum Marterinstrument wurde. Von Faustschlägen ins Gesicht ist im Johannesevangelium zu erfahren. >> 3/14 Golgota Nach dem Todesurteil, der Geißelung, dem Spott und der Misshandlung wurde Jesus gemeinsam mit den beiden Zeloten nach Golgota geführt. Dabei war es üblich, dass die Verurteilten den Kreuzesbalken selber zur Hinrichtungsstätte tragen mussten. Auf diesen Kreuzesbalken wurden sie später gebunden oder genagelt und an einem Pfahl hochgezogen. Aus dem Hinweis, dass die Soldaten nach der Kreuzigung aus Jesu Kleidern „vier Teile machen, für jeden Soldaten einen“ (Joh 19,23), kann darauf geschlossen werden, dass der Trupp um Jesus aus vier Söldnern und einem Centurio (Mk 15,39.44 parr.) bestand. Vorausgesetzt, dass der Prozess im Herodespalast stattfand, war der Weg vom Prätorium bis nach Golgota in der Luftlinie kaum mehr als 250 bis 300 Meter. Auf zwei Drittel seiner Strecke verlief der „Kreuzweg“ durch das Viertel der Reichen und Mächtigen, wo in prächtigen und luxuriösen Villen jene Hohenpriester und Ältesten wohnten, die als Hauptverantwortliche Jesu Tod betrieben haben. Jesus war durch die Geißelung jedoch so geschwächt, dass er den Weg nicht mehr schaffte. Die Soldaten reagierten sofort darauf und zwangen einen zufällig Vorbeikommenden, für Jesus den Kreuzesbalken zu tragen. Der Name dieses Mannes ist bis heute bekannt: Simon von Kyrene - wohl ein Jude aus der nordafrikanischen Hafenstadt Kyrene. >> 66 4/14 In Golgota angekommen, begann nun die Kreuzigung. Da die damals schädelförmige – und etwa 10 Meter hohe - Erhebung in einem Felsgelände vor der Stadtmauer lag - an einer Ausfallstraße -, konnten sehr viele Menschen das abschreckende Geschehen wahrnehmen. Es war damals üblich, den Delinquenten vor der Hinrichtung einen Rauschtrank zu verabreichen. Jesus lehnte diesen Trank jedoch ab. Die Kreuzigung selbst war wiederum der Willkür der Soldaten überlassen. Sie kreuzigten, wie es ihnen gerade „gefiel“. So schreibt der Historiker Josephus Flavius: „In ihrer Erbitterung nagelten die (römischen) Soldaten die (jüdischen) Gefangenen zum Hohn in den verschiedenen Körperlagen an ...“. In der Regel wurden die Delinquenten nackt an den Kreuzesbalken geheftet und dann auf den Pfahl hinaufgezogen. Wahrscheinlich wurde Jesus zwischen den beiden Zeloten gekreuzigt – und dabei als „König der Juden“ verspottet, mit dem „Ehrenplatz“ in der Mitte. Bei den Hinrichtungen war es Brauch, das jeweilige Verbrechen öffentlich bekannt zu machen. Für gewöhnlich vermerkte man es auf einer kleinen hölzernen Tafel, die man dem Verurteilten auf seinem Weg zum Richtplatz voran trug oder um den Hals hängte. Es ist zu vermuten, dass auf der hölzernen Tafel, die wohl neben dem Kreuz Jesu postiert war, auf Aramäisch und Griechisch zu lesen war: >> 5/14 König der Juden (aramäisch: MALKA DIHUDAJE bzw. griechisch: HO BASILEIUS TON IOUDAION). Nachdem die Soldaten ihre grausame Arbeit beendet hatten, verteilten sie die Habseligkeiten der Hingerichteten per Los. Jesus wurde also – wie Zahllose vor ihm und nach ihm – „zum Beuteobjekt degradiert“. Um das Sterben qualvoll zu verlängern, wurde den Gekreuzigten in der Mitte des Kreuzesbalkens ein Sitzpflock als „Stütze“ gegeben – der Grund dafür: Den am Kreuz Hängenden quälen Durst, rasende Kopfschmerzen und hohes Fieber. Aufgrund der schweren Verletzungen und des starken Blutverlustes (Geißelung) kommt es zu Schockzuständen. Der Kreislauf schwankt hin und her und droht zusammenzubrechen. Die Hängelage führt zu Atemnot, die ihrerseits dazu zwingt, sich immer wieder unter unsäglichen Qualen hoch zu ziehen und aufzurichten. Unter dem Gewicht des Körpers drohen die Glieder zu zerreißen. Lovis Corinth, Der rote Christus (1922) >> 67 6/14 Der Tod In seinen letzten Stunden dürfte Jesus neben den körperlichen Qualen noch eine weitere – fast unerträgliche geistig-seelische Not – erfahren haben, die im Gefühl gipfelte, von Gott verlassen zu sein. Gott scheint ferne, als habe er sich demonstrativ zurück gezogen. Obwohl Jesus sich in seinen Worten und Taten ganz dem Kommen Gottes verschrieben hatte, schweigt nun Gott! In dieser Situation rang nun der „Gottesreich-Verkünder“ mit seinem Gott – „er wendet sich ohne Gott an Gott! Er legt alle Angst ... Gott zu Füßen“ (Heinrich Schlier). Dieses Ringen drückte Jesus – so schreibt es der Evangelist Markus – mit den gerade noch schaffbaren Anfangsworten des Psalmes 22 aus: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Trotz der erfahrenen Gottesferne richtet sich Jesus also – in einem letzten Akt des Vertrauens – an seinen Gott. Der Psalm 22 gehört zu den individuellen Klageliedern des Alten Testaments. In ihm klagt ein anonymer Beter über Todeskrankheit, falsche Anklage, Verleugnung und Verrat, Rechtsnot, Verfolgung, Einsamkeit, Schuldgefühle und schließlich über Gottverlassenheit und Gottferne. Dennoch mündet dieser Psalm in eine Hoffnung: „Du aber, Herr, halte dich nicht fern! Du, meine Stärke, eil mir zu Hilfe. Entreiße mein Leben dem Schwert …“. Markus schreibt, dass Jesus schließlich mit einem lauten Schrei verschied. Als vermutlicher Todestag Jesu gilt Freitag, 7. April des Jahres 30. >> 7/14 AUFERWECKT VON DEN TOTEN Nach der Liquidierung Jesu ging ein Mann namens Josef von Arimatäa zu Pilatus und bat ihn um die Leiche des Gekreuzigten. Ohne dieses mutige Engagement Josefs, einer bekannten Persönlichkeit in Jerusalem, hätten die Römer Jesus vermutlich in das offizielle Massengrab für Verbrecher werfen lassen. Pilatus gewährte Josef jedoch die Bitte, wunderte sich aber zuvor noch, dass Jesus so schnell gestorben ist. Nach der Aushändigung der Leiche an Josef wurden in aller Schnelle Vorbereitungen für ein ordnungsgemäßes jüdisches Begräbnis getroffen – es blieb angesichts des in Kürze beginnenden Festes nur sehr wenig Zeit. Was sonst diskret im geschützten Rahmen geschah, musste nun auf Golgota rasch und in aller Öffentlichkeit – wohl unter den Blicken neugieriger Gaffer - durchgeführt werden: Die Leiche reinigen und in ein Tuch hüllen. Aufgrund des Zeitdruckes ist ein Begräbnis in größter Einfachheit anzunehmen. Was für eine Hochachtung aber musste Josef von Arimatäa vor Jesus gehabt haben, dass er diesem Mann – einem öffentlich hingerichteten und bloß gestellten Schwerverbrecher - sein Grab überließ! >> 68 8/14 Von den Jüngern Jesu war zu dieser Zeit nichts zu sehen und zu hören. Sie standen ihrem Meister in seinen schwersten Stunden nicht bei. Einige Zeit später traten sie jedoch in Jerusalem wieder an die Öffentlichkeit – diesmal mutig, offenherzig, einsatzfreudig. Als Grund für die Veränderung ihres Verhaltens gaben sie eine Erfahrung an, die sie mit den Worten ausdrückten: „Gott erweckte Jesus von den Toten“. Dieses Ereignis veränderte das Leben der Apostel - und selbstverständlich auch der Frauengruppe um Jesus - von Grund auf. Für den Glauben an den Auferweckten setzten sie nun ihre Existenz aufs Spiel. Was aber ist mit Auferweckung gemeint? Wie ist Auferweckung möglich? Matthias Grünewald, Die Auferstehung (1515) >> 9/14 Rembrandt, Er ist auferstanden; Feder- u. Pinselzeichnung (um 1655) Entstehung des Auferweckungsglaubens Den Glauben an die Auferweckung gibt es nicht erst seit der Auferweckung Jesu. Diese Hoffnung ist älter und hat sich bereits im frühen Judentum entwickelt: Es dauerte ungefähr 1000 (!) Jahre, bis hier Menschen im 3./2. Jahrhundert v. Chr. den entscheidenden Durchbruch zu diesem Glauben schafften. In dieser langen Zeit konnte das Volk Israel aber seinen Gott „hautnah“ kennen lernen. Und so kam es zur Überzeugung: Weil sich Gott jahrhundertelang in der konkreten Geschichte als treu und menschenliebend erwiesen hat, deshalb wird er auch über den Tod hinaus treu bleiben und die Verstorbenen nicht alleine lassen, sondern zum Leben erwecken! Auf Grundlage dieses so lange gereiften und mühsam errungenen Glaubens waren die Männer und Frauen um Jesus letztlich in der Lage, ihre so ganz anderen OsterErfahrungen zur Sprache zu bringen. >> 69 10/14 Unbekannter Flämischer Meister, Auferstehung (um 1400) Das neutestamentliche Auferweckungszeugnis In den neutestamentlichen Schriften finden wir nirgendwo Texte, die Auskunft geben, wie die Auferweckung Jesu „genau vor sich ging“. Bei den Ostertexten handelt es sich nämlich nicht um Reportagen, sondern um Glaubenszeugnisse. Nicht das „Wie“, sondern das „Dass“ der Auferweckung Jesu stand dementsprechend im Zentrum. Folglich wurde die neue und alles umwälzende „Nachricht“ von der Auferweckung Jesu zunächst nur in dem einfachen Satz ausgedrückt „Der Herr erweckte Jesus aus den Toten.“ Die ursprüngliche Ostererfahrung war somit eine Gotteserfahrung – die Erfahrung, dass Gott in die Welt eingriff. Es ist sehr interessant, dass sich dieser alte Satz in beinahe allen Schriften des Neuen Testamentes findet. Relativ früh erweiterte man jedoch dieses ursprüngliche Osterzeugnis: Jesus und seine Stellung rückten nun in den Blickpunkt und es kamen z. B. die Ostererscheinungen, das neu gesehene Sterben Jesu am Kreuz oder sein zukünftiges Kommen in Herrlichkeit hinzu. >> 11/14 Die wohl bekannteste dieser Formeln findet sich in Paulus’ ersten Brief an die Korinther: Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe: Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift, und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift, und erschien dem Kephas (= Petrus), dann den Zwölf. Danach erschien er mehr als fünfhundert Brüdern zugleich; die meisten von ihnen sind noch am Leben, einige sind entschlafen . ... Als letztem von allen erschien er auch mir ... (1 Kor 15,3 - 8) Mit dem neuen „österlichen Blick“ auf Jesus einher geht ein Begriffswechsel: Es wird nun auch von „Auferstehung“ gesprochen. Während das Wort „Auferweckung“ die Initiative ganz bei Gott sieht, legt das Wort „Auferstehung“ den Hauptaugenmerk auf das Handeln Jesu. >> 70 12/14 Die Ostererzählungen Karl Schmidt-Rottluff, Gang nach Emmaus, Holzschnitt, 1918 Im Neuen Testament gibt es neben den alten Formeln noch die etwas jüngeren Ostererzählungen. Diese Erzählungen sind wohl in erster Linie keine historischen Tatsachenberichte. Vielmehr handelt es sich bei den österlichen Grabes- und Erscheinungserzählungen um „spätere Verkündigung“, bei denen man das Osterbekenntnis und die ursprüngliche Ostererfahrung erzählerisch entfaltet hat. Die Ostererzählungen dienen somit der „Veranschaulichung des Osterbekenntnisses“. Mit ihrer Hilfe soll auch gezeigt werden, was das Osterereignis eigentlich bedeutet. Trotz dieser „Verkündigungsabsicht“ können in den einzelnen Erzählungen geschichtliche Erinnerungen mitschwingen (z. B. die Erscheinung in Galiläa, die Erscheinung in Emmaus vor dem Jünger Kleopas, ...). >> 13/14 Franz Kohler, Der ungläubige Thomas Der Osterglaube wurde durch Begegnungen mit dem Auferstandenen ausgelöst Noch eines ist wichtig: Im Neuen Testament wird der Osterglaube nicht durch die Entdeckung des leeren Grabes ausgelöst. Alleine die Begegnungen bzw. „Erscheinungen“ sind das ausschlaggebende Ereignis, durch das Männer und Frauen um Jesus zum Glauben an die Auferstehung Jesu gekommen sind. Das gilt auch für Paulus. In seinem ersten Brief an die Korinther stellt er sich in eine Reihe mit den ersten Osterzeugen (vor allem mit Petrus) und bestätigt auf diese Weise die den Osterglauben auslösende Begegnung mit dem Auferweckten. Dabei fällt auf, dass das Neue Testament diese Ostererfahrungen deutlich von Träumen oder Phantasien unterscheidet. Ebenso wichtig wie die schriftlichen Osterzeugnisse sind jedoch auch die gelebten Osterzeugnisse: Am neuen Leben der Anhängerinnen und Anhänger Jesu zeigte sich eindrücklich, wie verändernd diese Männer und Frauen die Auferweckung Jesu erlebt haben müssen. >> 71 Fra Angelico, Auferstehung Jesu und Frauen am Grab (1440/41) 14/14 Dem leeren Grab hingegen kommt in den Paulusbriefen wie in den Evangelien für die Entstehung des Osterglaubens keine wesentliche Bedeutung zu. Es ist anzunehmen, dass die Grabesgeschichten (Gang zum Grab, Verkündigung des Engels am leeren Grab …) der Verkündigung und der Veranschaulichung der Auferweckung dienen, weniger aber historische Berichte sein wollen. Dementsprechend vertreten namhafte Theologen die gut begründete Ansicht, dass die Jünger vom leeren Grab Jesu nicht einmal wussten. Andere Theologen wiederum haben einsichtige Argumente für das Wissen der Jünger um das leere Grab (sonst hätte sich z. B. in Jerusalem der Glaube an die Auferstehung Jesu nicht halten können). Gemäß dem heutigen Wissensstand bleibt die Frage, ob das Grab leer war oder nicht, offen. Für die Auferstehungsthematik spielt das aber nur eine nebensächliche Rolle: Auferstehung im biblischen Sinn meint nämlich nicht die Wiederbelebung eines Leichnams, sondern die volle post-mortale Verwirklichung dessen, was sich im Laufe eines Lebens (an persönlicher Identität) herausgebildet hat. 1/9 Resümee Augrund der Einzigartigkeit dieses Objektes werden die Gütekriterien für empirische Untersuchungen – und somit deren Wissenschaftlichkeit - nur unzureichend erfüllt: > Die Objektivität der Wissenschaftler ist in bezug auf das Turiner Grabtuch fragwürdig; die im Hintergrund stattfindende Echtheitsdebatte führt sehr häufig zu (Be)Wertungen oder subjektiven Verzerrungen. > Die Reliabilität (Zuverlässigkeit) ist bei einigen Untersuchungsmethoden nicht gegeben, da eine Wiederholung des Experimentes unter gleichen Rahmenbedingungen - v.a. wegen des begrenzten Testmaterials und des beschränkten Zugangs - nicht möglich ist. > Auch die Validität (Gültigkeit) einzelner Ergebnisse ist zu hinterfragen, da deren Aussagekraft - v.a. angesichts der Vielfalt der methodischen Zugänge - nur von geringer Bedeutung für das „Gesamtwerk Grabtuch“ sind. >> 72 2/9 Trotz dieser wissenschaftstheoretischen Einschränkungen liefern die spezifischen Untersuchungen aus der Medizin, der Pollenanalyse, der Fotografie, der Anthropologie, der Archäologie, der Biologie, der Chemie, der Geologie, der Ikonographie, der Numismatik, der Holographie, der Radiologie, der Kunstgeschichte, der Geschichtsforschung und der Theologie interessante und beachtenswerte Ergebnisse. In den letzten 30 Jahren wurden Untersuchungen getätigt, die einerseits mit dem - Material des Tuches in Verbindung stehen (Gewebe- und Pollenanalyse, chemische und mikroskopische Untersuchungen) und anderseits mit dem - abgebildeten Menschen (medizinische und kriminologische Untersuchungen; kunstgeschichtliche Analysen bezüglich der Christusdarstellungen, die ev. auf dem Grabtuch basieren). Die Interpretation dieser Resultate erlaubt folgende Schlussfolgerungen: >> 3/9 Die Pollenanalyse konnte nachweisen, dass von den insgesamt 58 - auf dem Grabtuch gefundenen - Pflanzenarten 17 in West- und Südeuropa vorkommen, 19 davon sind im Mittelmeerraum verbreitet. Interessant ist, dass 44 der Pflanzenarten in Jerusalem gefunden wurden, 14 davon wachsen ausschließlich in dieser Gegend. Die Ergebnisse der Palynologie stehen somit nicht im Widerspruch zur „Geschichte“ des Turiner Grabtuches – vom Ursprung in Jerusalem über Konstantinopel und Frankreich bis hin nach Turin. Die Gewebeuntersuchung bestätigt, dass die Webart und die fein gearbeiteten Nähte der Qualität anderer Textilien entsprechen, die im südlichen Israel gefunden und auf das Jahr 73 n. Chr. datiert wurden. >> 73 4/9 Der gerichtsmedizinische und kriminologische Befund konstatiert, dass es sich um das Grabtuch eines gekreuzigten Mannes handelt, der vorher gegeißelt und mit einer Dornenhaube gekrönt worden ist. Die Spuren der mit unzähligen kleinen Bleikugeln versehenen Peitschen sind auf dem Leinen ebenso nachweisbar wie die Spuren des Dornengeflechts. Der Leichnam weist eine von einem Lanzenstich herstammende Seitenwunde auf. Vor allem die Details – wie die Durchnagelung der Handwurzel und die Abdrücke der „flagrum taxilatum“, einer dreischwänzigen römischen Peitsche, sowie die Dornenhaube anstatt der in der Kunst dargestellten Dornenkrone – sprechen für die Entstehung im ersten Jahrhundert. Vertreter der Ikonographentheorie, welche anhand zahlreicher Christusporträts den Beweis erbringen wollen, dass das Grabtuch von Turin eine jahrhundertelange Tradition hat, stellten Hypothesen auf, die es als gerechtfertigt erscheinen lassen, die Existenz des Turiner Grabtuches vor dem 13. bzw. 14. Jahrhundert anzusetzen. >> 5/9 Der Radiocarbontest von 1989 brachte ein Ergebnis, das den oben angeführten wissenschaftlichen Ergebnissen völlig widersprach: das Grabtuch soll demnach aus dem 13. bzw. 14. Jahhundert stammen. Wie kann nun dieses Ergebnis mit den anderen, positiven Erkenntnissen in Einklang gebracht werden? Kann man die Ergebnisse der anderen wissenschaftlichen Disziplinen wegen der Ergebnisse dieses einen Tests einfach ignorieren? Wie sicher und wissenschaftsmethodologisch einwandfrei ist dieses Messverfahren überhaupt und wie seriös erfolgte dieser konkrete Radiocarbontest? Nur ein neuerlicher Test, der auch ausreichend dokumentiert wird, oder aber die Anwendung neuer Messverfahren zur Bestimmung des Gewebealters können hier eine Klärung bringen. >> 74 6/9 Der immer noch unerklärliche Negativabdruck (für den es in der Kunst nichts Vergleichbares gibt), als auch die inkludierte dreidimensionale Entschlüsselung unterstreichen die Einzigartigkeit dieses „Objektes“. Die Perfektion des Tuches von Turin ist als „Gesamtwerk“ sehr beachtlich. Kein Fälscher des Mittelalters hätte m.E. alle medizinischen, physiologischen und physikalischen Gegebenheiten so exakt berücksichtigen können, wie das Bild auf dem Grabtuch von Turin sie uns offenbart. Die perspektivische Verkürzung der (etwas angezogenen) Beine, den genauen Verlauf des Blutes bei bestimmten Bewegungen, manche mit freiem Auge kaum sichtbaren, jedoch exakt den damaligen Gepflogenheiten entsprechenden Geißelspuren, die eingezogenen Daumen, die Wunden an den Handwurzeln statt in den Handflächen wie in der Kunst sonst bei Kreuzesdarstellungen üblich, die Blütenpollen und unzählige andere Einzelheiten weisen eine Vollkommenheit auf, die überzeugt. >> 7/9 Das Turiner Grabtuch provoziert immer auch die „Echtheitsfrage“; diese jedoch fokussiert mehrere Aspekte, sodass sie nicht mit einem einfachen Ja oder Nein beantwortet werden kann. Wie im naturwissenschaftlichen Befund dargestellt, gibt es gewichtige Argumente für die Echtheit des Alters von 2000 Jahren und der Herkunft des Tuches aus Israel. Ebenso gibt es ernstzunehmende Argumente für die Echtheit des Abbildes eines gegeißelten und gekreuzigten Mannes; die anatomischen Details im Zusammenhang mit der Kreuzigung sprechen gegen eine mögliche Fälschung im Mittelalter. >> 75 8/9 Ob der Abdruck am Turiner Grabtuch jedoch vom „echten“ Jesus (dem Christus) stammt, kann nicht beantwortet werden; für den Glauben spielt das jedoch keine Rolle. Bei aller Wichtigkeit der Datierungsfrage gilt es zu bedenken, dass die Mehrzahl der Jünger ihren Glauben er- und gelebt haben, ohne etwas vom Grabtuch zu wissen. Die Berichte aus den Evangelien „zeichnen“ uns ein viel deutlicheres, ganzheitlicheres und reichhaltigeres Bild von Jesus von Nazareth, indem sie uns sein Denken, Fühlen und Handeln nahe bringen. Das Abbild eines Toten kann nicht mit der Beziehung zum Auferstandenen und Gegenwärtigen konkurrieren, wohl aber dazu anregen, sich immer wieder mit der besonderen Geschichte des Jesus von Nazareth auseinanderzusetzen. 9/9 was ist wirklich? was ist wahr? forschungsergebnisse in buchstaben und zahlen ausgedrückt? was objektiv durch objektive abbildbar gemacht? oder seine worte gesprochen am berg, die taten gewirkt am ufer des sees? was ist wirklich? was ist wahr? 76 ENDE schlaWei-production, 2007 77