Beitrag zum Seminar - NaturFreunde Hessen
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Beitrag zum Seminar - NaturFreunde Hessen
Beitrag zum Seminar: Partner für den Frieden - Mit Hamas und Fatah reden Evangelische Akademie Bad Boll, 11.-13. Juni 2010 Ferien vom Krieg Schritte zur konkreten Utopie einer friedlichen Welt Helga Dieter, Wilfriede Dieter, Rüdiger Pusch und das Team „Dass Frieden so schön sein kann, habe ich nicht gewusst!“ (ein 12jähriger Junge aus Bosnien, der zum ersten Mal unter einer warmen Dusche stand) „Streitbarer Pazifismus als menschenrechtlicher Realismus“ – so beschreibt das ‚Komitee für Grundrechte und Demokratie‘ seine Position in der Kontroverse mit Befürwortern von „Humanitären Interventionen“ bei den Grünen und der SPD. Was das heißt, versucht die Aktion ‚Ferien vom Krieg‘ beispielhaft zu realisieren. Wenn jede TeilnehmerIn während dieser zwei Wochen auch nur einen Schritt zur konkreten Utopie einer friedlichen Welt gemacht hat, so wären das insgesamt bisher 22.000 Schritte. Wir sind uns aber sicher, dass die meisten TeilnehmerInnen viele Schritte auf dem Weg zum Frieden gegangen sind und auch andere dazu bewegt haben. Im Sommer 1994, auf dem Höhepunkt des Bosnienkrieges, initiierten Hanne und Klaus Vack vom ‚Komitee für Grundrechte und Demokratie‘ die Aktion ‚Ferien vom Krieg‘. Kinder und Jugendliche aus Flüchtlingslagern wurden ans Meer eingeladen, um sich körperlich und seelisch zu erholen, wieder lachen zu lernen und weinen zu dürfen. Soweit dies während der blutigen Kämpfe möglich war, kamen die Kinder der Kriegsparteien gemeinsam zu den Freizeiten, was nach 1996 zur Regel wurde. Seitdem hat Helga Dieter die Koordination des Projekts übernommen. Schon zwei Jahre nach dem Massaker in Srebrenica gelang das Undenkbare: Muslimische Kinder, die aus Srebrenica deportiert wurden, machten gemeinsam Ferien mit serbischen Kindern, die inzwischen als Flüchtlinge in den Häusern der Muslime in Srebrenica lebten. Die befürchteten Tätlichkeiten zwischen den Kindern und Jugendlichen blieben aus. Es war, als spürten sie, dass sie eine historische Mission erfüllten. In den letzten Jahren gab es bei den Jugendlichen (14-18 Jahre) ein immer stärker werdendes Bedürfnis nach Informationen über die Eskalation der Gewaltspirale. Die offizielle Stilisierung der eigenen Gruppe ausschließlich als Opfer stieß auf immer größere Skepsis. In Familie und Schule herrschte zu diesen Fragen bleiernes Schweigen. Deshalb können die Jugendlichen nun in friedenspädagogischen Arbeitsgruppen die Ursachen der jeweiligen Konfliktgeschichte, die psychischen Mechanismen von Ausgrenzung und Hass sowie die politischen und ökonomischen Interessen der Kriegsherren erarbeiten. Viele TeilnehmerInnen lernen dabei, dass die Frage nach der Schuld nicht so einseitig zu beantworten ist, wie ihnen in Familie, Schule, Presse und Politik die heimische Propaganda weismachen wollte. Sie entwickeln gemeinsam Strategien, wie sie zu Hause in Schulen und Jugendgruppen ihre Erfahrungen verbreiten können. Im Sommer 2009 entschlossen sich die 100 TeilnehmerInnen einer Freizeit spontan zu einer Friedensdemonstration durch eine noch immer zwischen Kroaten und Muslimen geteilte Stadt. Dazu trugen alle die selbst bedruckten T-Shirts: „Verschieden! – Na und?“ „Wir können zusammen leben, sogar unter einem Dach, das ist eine phantastische Erfahrung!“ (Eine Palästinenserin am Ende des Seminars) Nach acht Jahren „Ferien vom Krieg“ waren wir davon überzeugt: Frieden ist machbar, wenn man nicht auf Politiker und Institutionen setzt, sondern der heranwachsende Generation auf Graswurzelebene die Chance zum gleichberechtigten Dialog gibt. Die Unterstützung durch viele tausend SpenderInnen machte uns Mut, die „Ferien vom Krieg“ auf eine andere Krisenregion zu erweitern. Da wir diese Arbeit als exemplarische friedenspolitische Praxis verstehen und nicht als Solidarisierung mit einer bestimmten Opfergruppe, wäre theoretisch eine Ausweitung auf Jugendliche der Hutu und Tutsi, Eritreer und Äthiopier, aus Kabul und New York oder von einem der 30 anderen Kriegsschauplätze auf der Welt denkbar. Praktisch entschieden wir uns für den Nahen Osten, wo sich mit dem Ausbruch der Zweiten Intifada die Situation gerade zuspitzte. Schon die Anreise spiegelt die asymmetrische Beziehung wider. Die Israelis setzen sich ins Flugzeug und sind ein paar Stunden später in Deutschland. Die Palästinenser haben eine Menge bürokratischen Aufwand und oft auch Ärger, bis sie ein Visum erhalten. Dann müssen sie bis Jericho zum Grenzübergang nach Jordanien durchkommen. Dazwischen haben sie, je nach Entfernung und politisch aktueller Situation, mehrere Checkpoints zu passieren und sind dort manchmal Schikanen und Erniedrigungen ausgeliefert. In den ersten Jahren, während der zweiten Intifada, war oft tagelang Ausgangssperre und die TeilnehmerInnen schlichen bei Nacht unter Lebensgefahr über enge Pfade, die Militärfahrzeuge nicht passieren können. Entsprechend müde und kaputt kommen die palästinensischen TeilnehmerInnen an. Am ersten Tag organisiert das deutsche Team Workshops zum Eisbrechen (Jonglage, Sketchs o.ä.) und Spiele zum Kennenlernen. Am nächsten Tag beginnt das Seminarprogramm, das bei unseren verschiedenen Partnerorganisationen ähnlich geplant ist, aber oft unterschiedlich verläuft. Die Arbeit findet in gemischten Kleingruppen statt, die während der zwei Wochen mit je einem israelischen und einem palästinensischen Moderator (Friedenspädagogen) kontinuierlich zusammen bleiben. Zunächst schildern die TeilnehmerInnen ihre Familiensituation und Lebensumstände (personal narrative). Dabei werden die sozialen und kulturellen Unterschiede deutlich. Dann soll jede-r über die persönliche Konfrontation mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt berichten. Es schließen sich die Familiengeschichten (family narrative) der letzten drei Generationen an. Viele der jüdischen TeilnehmerInnen sind emotional aufgewühlt, wenn sie von der Diskriminierung Verfolgung, Flucht und Vertreibung oder der Ermordung von Familienmitgliedern im Holocaust berichten. Selbst die Kinder aus jüdischen Einwandererfamilien aus Nordafrika oder Südamerika sind durch dieses kollektive Trauma von Ängsten gepeinigt. In einigen Familien gibt es Opfer von Terroranschlägen, die gestorben sind oder nun als Behinderte einen hohen Pflegeaufwand beanspruchen. Die PalästinenserInnen erzählen von ihren Vorfahren, die seit Jahrhunderten in der Region lebten, früher als Nomaden, viele aber auch als Händler in den alten Städten. Unter ihnen sind auch viele Flüchtlinge und Vertriebene, deren Familien seit der „Nakba“ (Katastrophe) in elenden Lagern wohnen. Sie erzählen von dem Schlüssel zum Haus der Vorfahren, den die Großeltern wie ein Heiligtum aufheben. Er ist das Symbol, dass der Anspruch auf Rückkehr der Flüchtlinge nicht aufgegeben wird. Fast alle haben Verwandte, die als Flüchtlinge oder wegen der aussichtslosen wirtschaftlichen Situation im (westlichen) Ausland leben. In den meisten Familien haben die Väter, Brüder oder Onkel in israelischen Gefängnissen gesessen-häufig auch die palästinensischen Teilnehmer selbst. Einige beklagen auch nahe Verwandte, die von der israelischen Armee erschossen wurden. Diese Familienschicksale werden anfangs noch strategisch gegen die andere Seite gewendet: z.B. nehmen die Palästinenser die jüdische Geschichte in der Diaspora als Beleg dafür, dass diese keinen Anspruch auf eine Heimat in Palästina haben. Umgekehrt leiten die Israelis aus der Vergangenheit vieler palästinensischer Familien als Nomaden und Viehzüchter ab, das Land sei wüst und leer gewesen bis die jüdischen Einwanderer es in eine blühende Oase verwandelten. Doch diese kollektiven Mythen werden bald brüchig. Die Palästinenser sitzen jungen Juden gegenüber, die in Israel geboren wurden und häufig schon in der dritten Generation dort leben und dieses Land selbstverständlich als ihre Heimat betrachten. Ihnen dies abzusprechen fällt im Laufe des Gruppenprozesses immer schwerer. Manchmal gibt es allerdings Hardliner, die die anderen davon abhalten wollen, Verständnis für diese Verwurzelung der Israelis zu entwickeln. Die Israelis sitzen jungen Palästinensern gegenüber, die stolz ihre alte Kultur repräsentieren, mit Musik und Literatur vertraut sind und keineswegs das Bild vom Kameltreiber oder fanatischen Terroristen erfüllen. Dazwischen gibt es auch „nationale“ Sitzungen, die immer wichtiger werden, je mehr sich die unterschiedlichen Meinungen innerhalb der Israelis oder der Palästinenser ausdifferenzieren. Dabei ist meist ein gegenläufiger Prozess zu beobachten. Während die Palästinenser zunächst als geschlossene Gruppe kommen und gehen, auch äußerlich durch die Kufyia als Palästinenser identifizierbar, sind die Israelis ein bunter Haufen aus unterschiedlichen Einwanderungsgruppen, Kriegsdienstverweigerern und Soldaten, gläubigen und säkularen Juden. Sie müssen sich während des Seminars oft erstmals damit auseinandersetzen, was ‚ jüdisch‘ oder ‚israelisch‘ für sie bedeutet. Besonders sephardische Juden (aus Nordafrika), deren Essen, Musik und Tradition der palästinensischen Kultur näher stehen als der in Israel vorherrschenden europäisch-jüdischen Kultur, fühlen sich verunsichert und zerrissen. Darauf reagieren einige Askenasi (Juden mit europäischen Wurzeln) mit offenem Rassismus. Für manche ist diese Selbstfindung bzw. nationale Verortung schwieriger als die Verständigung mit den Palästinensern. Für andere ist es wichtig, dass sich die jüdische Gruppe gemeinsam präsentiert und vor den Palästinensern keine Differenzen oder gar Streitereien offensichtlich werden. In den palästinensischen Gruppen, die zunächst als Kollektiv auftreten, vollzieht sich meist ein gegenläufiger Prozess. Der deutet sich an, wenn nicht mehr alle gemeinsam zu den Mahlzeiten oder Workshops eintreffen, sondern einzeln kommen. Oft machen sich die Frauen zuerst selbständig. Manchmal gibt es einzelne Hardliner, die die Anderen davon abhalten wollen, in den Workshops verschiedene Meinungen zu äußern oder gar in der Freizeit persönliche Gespräche mit den Israelis zu führen. In der uninationalen Gruppe werden diese Differenzen dann thematisiert. Nach etwa zehn Tagen ist das Vertrauen meist so gewachsen, dass auch in den gemeinsamen Sitzungen der Gruppendruck nachlässt und individuelle Positionen vertreten werden. In einem ganztägigen Workshop bereiten die nationalen Gruppen eine Präsentation (Sketche, Infotafeln, Symbole usw.) für die je anderen vor nach der Leitfrage: Was ist typisch für mein Land? Dabei kann es heftige interne Auseinandersetzungen geben. Insbesondere die Israelis haben in der Regel Probleme, eine einheitliche Darstellung zu entwickeln. Nach der gegenseitigen Präsentation und Diskussion stehen die geschichtlichen Erzählungen (historical narrative) in verschiedenen Phasen auf dem Programm, wobei es sowohl um historische Fakten als auch um kollektive Mythen geht. (Eine Heimat für die Juden vs. die Katastrophe (Nakba) für die Palästinenser? Jüdische Einwanderung vs. Rückkehr der Flüchtlinge? Jerusalem – Heilige Stadt für alle oder politische Hauptstadt für wen? Die Mauer: Schutz oder Landraub? Selbstverteidigung: Selbstmord-Attentate vs. Armee-Bombardierungen? Friedensverhandlungen: Dekrete vs. Verhandlungen? Der ideale Staat: national-religiös oder multinational-säkular? Realpolitische Perspektiven vs. Visionen und Hoffnungen?) Diese Problemfelder werden in den verschiedenen Gruppen mit unterschiedlicher Gewichtung bearbeitet. So spielen die Friedensverhandlungen im Konzept von ‚Breaking Barriers‘ keine zentrale Rolle, im Programm von Avig und Tawasul läuft die Bearbeitung der Konfliktpunkte auf die fiktiven Friedensverhandlungen hinaus. Diese Planspiele sind in der Ausbildung von Friedenspädagogen bei Neve Shalom-Wahat al Salam entwickelt worden. Bei unseren Seminaren wurde das Konzept modifiziert. Während in der Friedensschule eher ergebnisorientiert gearbeitet wird, arbeiten wir eher prozessorientiert d.h. die Friedensschule analysiert historische Verhandlungsprotokolle (z.B. Oslo) nach Fehlern und Blockaden der Politiker. Dann werden Wege aus diesen Sackgassen gesucht bis ein Kompromisspapier unterzeichnet werden kann. In unserem Konzept ist der Weg auch das Ziel. Es wird ausdrücklich aufgefordert, von den historischen Vorlagen zu abstrahieren und eigene Visionen zu entwickeln. Dabei steht auch die persönliche Kompromissbereitschaft auf dem Prüfstand. (Würde ich bei einem Landtausch unser Haus aufgeben? usw) Seit 2007 gibt es auf dringenden Wunsch von beiden Seiten auch jeden Sommer ein Frauenseminar, in dem die Genderperspektive bei den jeweiligen Konfliktpunkten durchgängig miteinbezogen wird. Wer glaubt, dass der feministische Blick von beiden Seiten durch einen sanfteren, kompromissbereiten Ton begleitet wird, -der irrt! Die deutsche Geschichte ist ein heikles Thema. Manche palästinensische TeilnehmerInnen halten den Holocaust für Propaganda Israels, um die Besatzung zu rechtfertigen, oder sie vergleichen das Leiden des palästinensischen Volkes mit der Judenverfolgung in Nazi-Deutschland. Das ist für die jungen Menschen aus Israel unerträglich, manche brechen den Dialog an dieser Stelle ab. Wir haben uns deshalb entschieden, dass die Thematisierung der deutschen Verbrechen die Aufgabe der deutschen Gastgeber ist. Das kann auf verschiedene Weise geschehen (Gedenkstätten, Zeitzeugen, Museen o.ä.). Seit zwei Jahren hält Helga Dieter einen Lichtbildvortrag, in dem sie, von biografischen Bezügen ausgehend, die Entwicklung des Terrors darstellt: von den Mechanismen totalitärer Propaganda bis zur fabrikmäßigen Ermordung der europäischen Juden in den KZs. In der ersten Gruppe kritisierten palästinensische TeilnehmerInnen an dem Vortrag heftig, dass nun klar sei, dass die deutschen Veranstalter aus Schuldgefühlen Partei für die jüdische Seite ergreifen würden usw. In der zweiten (Frauen-) Gruppe gab es starke Emotionen der Frauen aus Israel, dass der Vortrag nicht genügend auf den Holocaust fokussiert sei. In der dritten Gruppe reagierten beide Gruppen interessiert und dankbar. Für die palästinensische Seite sei es wichtig gewesen, dass diese Aufklärung durch die deutschen Gastgeber erfolgt sei. Israelische TeilnehmerInnen betonten, dass sie neue Aspekte kennen gelernt hätten. Im Sommer 2009 beschrieb ein junger Israeli seine aufgewühlten Gefühle im Land der Täter (s.u.). Es gäbe noch viel über die Arbeit und die sozialen Prozesse in den Gruppen bzw. der freien Zeit zu erzählen. Das wird in unseren jährlichen Broschüren und im Internet anschaulich und vielfältig dokumentiert. Angesichts der Kontroverse um diese Tagung, wollen wir nun stärker auf analytische, verallgemeinerbare Aspekte und die Bedeutung gleichberechtigter Dialoge eingehen. Sind Dialogprozesse ein Instrument der Friedenspolitik oder Schönrederei der Gewaltverhältnisse? Gefährden sie gar die TeilnehmerInnen? Es ist eigentlich banal: Wenn Kriegsparteien Frieden schließen wollen, müssen sie verhandeln. Um den Frieden zu erhalten, müssen Feindbilder abgebaut und die Gewalteskalation muss aufgearbeitet werden. In den modernen Kriegen sind Friedensschlüsse mehr und mehr ein Dekret der mächtigen Staaten geworden wie z.B. in Dayton. Die Einstellung der Kämpfe soll durch internationale Militärpräsenz gesichert werden wie in Bosnien. Die offizielle zivile Konfliktbearbeitung ist dabei nur ein Feigenblatt am Rande. Mit Selbstverständlichkeit wird behauptet, die relative Ruhe in Bosnien sei der Präsenz von ca 30 000 UN-Soldaten geschuldet. Wieso eigentlich? Warum ist die friedliche Koexistenz nicht ein Ergebnis der Aktion „Ferien vom Krieg“ und anderer Projekte? Mehr als 20 000 Kinder und Jugendliche haben zu Hause, in der Schule und Freunden erzählt, wie problemlos sie mit den angeblichen Feinden unter einem Dach gewohnt, zusammen Spaß gehabt und diskutiert haben. Die Soldaten dagegen leben isoliert und werden oft ausgetauscht. Wer kann wirklich beurteilen, ob die Präsenz der Soldaten oder die Erfahrungen der Kinder und Jugendlichen einen nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklung des Friedens haben? Nachdem die Politiker meist nicht willens oder in der Lage sind, den Friedensprozess nachhaltig auszuhandeln, bleibt als Hoffnung nur der soziale Druck auf Graswurzelebene. In der Generation, die den Krieg führte, ist der Blutzoll meist so hoch und die Feindbilder sind so verfestigt, dass sie zu Schuldeingeständnissen nicht fähig und zu Kontakten mit den Anderen nicht bereit ist. Die jungen Leute wollen dagegen ein normales Leben ohne ständige Angst führen. Viele sind neugierig auf die „Anderen“, die in ihrer Vorstellung gefühllose, brutale Monster sind. Am Ende des Seminars sind alle, auch die fanatisch-nationalistischen darüber erstaunt, dass sie tatsächlich zwei Wochen unter einem Dach gewohnt haben. Viele schrieben uns danach, dass ihr Weltbild über Gut und Böse einstürzte und sie sich danach freier fühlten. Sie sind stolz und glücklich, etwas aufgebaut zu haben, was die Erwachsenen nicht schaffen – und Politikern traut nach diesen Erfahrungen kaum noch jemand zu, einen gerechten Frieden zu schaffen. Viele haben Angst vor der Rückkehr, nicht nur vor Bomben und Terror, sondern auch vor dem Unverständnis, das ihnen in der Familie und von Freunden entgegen schlagen wird. Unbeherrschbare Gewaltausbrüche? Sowohl in Bosnien als auch im Kosovo hatten uns Repräsentanten der UN und erfahrene Mitarbeiter von NGOs dringend von gemeinsamen Feriengruppen abgeraten: „Das gibt Mord und Totschlag zwischen den Jugendlichen! Das kann niemand verantworten!“ warnten sie. Doch unsere Erfahrungen lehrten das Gegenteil. Auch bei den brisantesten Gruppenkonstellationen und bei 20.000 TeilnehmerInnen gab es keine tätlichen Auseinandersetzungen. Als wir im Jahre 2001 versuchten, Kontakte zu Personen und Organisationen der Friedensbewegung in Israel und Palästina zu knüpfen, um Gruppen für die Begegnungen von jungen Menschen beider Seiten zu finden, kamen massive Warnungen von Friedensaktivisten auf beiden Seiten: Das sei nett gemeint aber viel zu gefährlich, weil es bei Selbstmordattentaten oder Bombenangriffen in der Heimat unweigerlich zu Schlägereinen käme. Diese Verantwortung könne niemand übernehmen! Obwohl diese Situation schon im ersten Sommer eintraf und jedes Jahr schlimmer wurde (2002-2005 Zweite Intifada, 2006 Libanonkrieg, 2009 Gazakrieg) führte dies bisher bei über 1200 Teilnehmerinnen aus Israel und Palästina noch nie zu Tätlichkeiten. Gefühlsausbrüche gibt es oft, doch werden sie als Schmerz und Trauer, aber auch als Wut und Rachephantasien ausgedrückt. In einer schönen Umgebung, unter gleichberechtigten Bedingungen, mit empathischen Moderatoren herrscht kein Faustrecht. Mit denen reden wir nicht Doch nicht nur wegen der möglichen tätlichen Auseinandersetzungen, sondern auch aus politischen Gründen lehnten Friedensgruppen in Israel und Palästina unsere Einladung zu gemeinsamen Seminaren ab. Das hat uns völlig überrascht. Nach dem Scheitern des OsloVertrages gab es faktisch keine Beziehungen mehr. „Die Zeit der Verhandlungen und Gespräche ist vorbei!“ wurden wir von beiden Seiten beschieden. In Israel stand für die Friedensbewegung das Zusammenleben mit der palästinensischen Minderheit (den Arabern) auf der Tagesordnung (Neve Shalom-Wahat al Salam, Givat Haviva, Sadaka Reut u.a.) und der Kampf gegen die Regierung für das Ende der Besatzung. ‚Peace Now‘, die Dachorganisation vieler Friedensgruppen, ordnete sich 2004 der Politik von Peres und Sharon unter, wonach es auf palästinensischer Seite keinen Verhandlungspartner gebe und verkürzte ihren zentralen Slogan von ‚Raus aus Gaza – lasst uns miteinander sprechen!‘ auf die Forderung: ‚Raus aus Gaza.‘ Nicht, dass die Friedensbewegung in Israel ihr Ziel, das Ende der Besatzung, aufgegeben hätte, sie wollte es aber nun innenpolitisch durchsetzen. Das kann man als eine Art Paternalismus oder Stellvertreterpolitik aus der Position der Stärke interpretieren. Es war letztlich ganz im Sinne der herrschenden Blockadepolitik der israelischen Regierung. Propaganda und Vorurteile wirken bekanntlich dort am besten, wo es keine Kontakte gibt. (Inzwischen sind wieder Kontakte gewachsen). Auch auf palästinensischer Seite stieß die Idee von Dialogseminaren zwischen Jugendlichen auf Ablehnung. „Gespräche zwischen Kriegsgegnern sind kein Kinderspiel. Dazu gibt es Aktivisten, Organisationen und Politiker! Erst muss die Besatzung beendet werde, dann kann man auf gleicher Augenhöhe kommunizieren. Sonst ist das die Vorspiegelung falscher Tatsachen! Es wird so getan, als sei ein Dialog möglich, das verschleiert die Gewaltverhältnisse und nutzt den Besatzern.“ Ähnlich argumentieren auch heute noch einige Palästinenser und ihre Unterstützer gegen unser Projekt. Faktisch wird in dieser Argumentation das mögliche Ergebnis eines Verständigungsprozesses zu dessen Voraussetzung gemacht. Es geht bei dieser Verweigerung um Stolz, Dominanz und Definitionsmacht der schwächeren Seite. Wie es dann auf friedlichem Wege zu Veränderungen kommen kann, bleibt im Dunkeln. Letztlich ist diese Verweigerung des Dialogs das Spiegelbild der Blockadepolitik Israels. Unsere Erfahrung ist: Die Herstellung der Gleichheit in der Realität kann nur durch einen gleichberechtigten Dialog angebahnt werden. In fast allen Statements der palästinensischen TeilnehmerInnen betonen diese am letzten Tag des Seminars: Die wichtigste Erfahrung war die Gleichbehandlung, der Dialog auf Augenhöhe. Das führt häufig zu der ungewöhnlichen Situation, dass die palästinensische Seite dominiert. Zum Beispiel hat der israelische Koordinator seit Jahren nicht nur alle Organisationsarbeiten dem Kollegen aus der Westbank überlassen, sondern auch die Moderation bei den Teamsitzungen, die dieser kompetent und souverän leitet. Die israelischen Facilitator erkennen dies mit Respekt an. Das ändert nichts an der Besatzung, aber es zeigt, wie produktiv eine gleichberechtigte Zusammenarbeit sein kann. Die Argumente für die Ablehnung von Dialogprojekten zeigten auf beiden Seiten gleichermaßen eine Fixierung an den Staat und Institutionen, gepaart mit Misstrauen gegen die Unberechenbarkeit sozialer Bewegungen. Die Ablehnung von Gesprächen mit der Hamas, wie sie im Vorfeld dieser Tagung durch eine propagandistische Kampagne in Israel gefordert wurde, überrascht nicht - angesichts der jahrelangen Nichtbeachtung der gewählten palästinensischen Repräsentanten und politischen Institutionen durch die verschiedenen israelischen Regierungen. Allerdings ist bisher auch nicht bekannt geworden, dass die Hamas zu einem Dialog mit der israelischen Regierung bereit wäre. Bei unserem Konzept, das mehr auf die enge Kooperation einer jungen, wachsenden Friedensbewegung auf beiden Seiten baut, hätten wir, über den Austausch von Statements hinaus, keine wirksamen Ergebnisse von diesem Gespräch erwartet. Doch um der wechselseitigen Ignoranz einerseits und Dämonisierung andererseits entgegenzuwirken, hätte die Tagung Zeichen setzen können. Der größte Skandal ist, dass die Bundesregierung unliebsame Meinungsäußerungen über den Hebel der Visavergabe verbietet. Das ist grundgesetzwidrig. Auch unser Dialogprojekt ist abhängig von der Erteilung von Visa, wobei es dieses Jahr wieder große Schwierigkeiten gibt. Unsere Zielgruppe, „normale“ junge Leute, die wegen der wirtschaftlichen Situation oft kein festes Arbeitsverhältnis haben, die sich ein Studium nicht leisten können, nicht aus Parteien und Ämtern kommen, auch nicht aus den zahlreichen Programmen der „education for leadership“ usw. erweist sich zunehmend als genau die Gruppe, die von den Visabehörden unter den Generalverdacht gestellt wird, bindungslos zu sein und nach Europa flüchten zu wollen. Zurzeit ist es noch eine Zitterpartie, ob nicht unser Verständigungsprojekt durch Verweigerung der Visa „gekippt“ wird. Überlegungen zur Täter-Opfer-Dialektik Dies ist eine Tagung zur Solidarität mit den unterdrückten Palästinensern und die entsprechenden Unterstützergruppen nehmen teil. In der Tat ist richtig, dass die Besetzung weiter Gebiete Palästinas seit 1967, und die seither gegen alle vertraglichen Vereinbarungen fortgesetzte Besiedlung dieser Gebiete völkerrechtswidrig sind und die Bombardierung Gazas mit Phosphor- und Clusterbomben als Kriegsverbrechen angeklagt werden müssten. Bei unseren Seminaren stellt sich das Problem der Parteinahme schwieriger. Dialogprojekte würden sich mit einseitigen Schuldzuweisungen ihre Handlungsoptionen verbauen. Dieses Problem wird konkret, wenn die örtlichen BetreuerInnen oder TeilnehmerInnen vom deutschen Team Solidarität und Parteilichkeit für die Leiden und Opfer ihrer jeweiligen Gruppe erwarten oder fordern, insbesondere, wenn sie unter großen Erschütterungen ihre Verletzungen preisgegeben haben. Es ist in solchen Situationen sehr schwierig, „nur“ Empathie mit den persönlichen Leiden auszudrücken aber die Bekundung solidarischer Parteilichkeit mit einer Opfergruppe zu vermeiden. Eine detaillierte Analyse der Gewalteskalation oder die biografischen Leidensgeschichten einiger TeilnehmerInnen zeigen dann auch immer wieder die wechselseitige Dynamik der Gewaltakte auf. Wie viele Freiheitskämpfer wurden nach ihrem „Sieg im Volkskrieg“ zu Schlächtern? Auch noch die schwächsten Opfer, wie die deportierten Frauen aus Srebrenica, riefen nach dem bosniakischen Nationalhelden Naser Oric und seiner Soldateska, um sie zu rächen. Was würden viele Palästinenser mit den Juden tun wollen, wenn sie selbst deren Waffen hätten? Opfer sind nicht die besseren Menschen und Täter können schnell zu Opfern werden. Das ist oft eher eine Machtfrage als eine der Moral. Den Weg aus der Befangenheit in der „Solidaritätsfalle“ der Friedensarbeit weist auf persönlicher Ebene zu einer der Psychotherapie entlehnten „professionellen Distanz“, der sich unsere deutschen MitarbeiterInnen verpflichtet fühlen –und auf politischer Ebene zu einem „streitbaren Pazifismus“, wie ihn das „Komitee für Grundrechte und Demokratie“ vertritt. Die Täter-Opfer-Dialektik in Überlegungen von Teilnehmern Elai aus Israel: Ich begann, über den Holocaust in der Weise nachzudenken, dass ich mich fragte, warum ich nach Deutschland fliegen musste, um mit palästinensischen Studenten über das Leiden zu reden, das ihnen von meinem Land zugefügt wird. Wie konnte es geschehen, dass wir ausgerechnet hier über Menschenrechte belehrt werden müssen? … Wir sind ein sehr kämpferischer Staat, weil wir dazu gezwungen sind, weil wir nie wieder eine unterdrückte Minderheit sein wollen. Es sieht aber so aus, dass wir Opfer unseres Bemühens wurden, nie wieder Opfer zu werden, und dass wir dabei andere zu Opfern gemacht haben. In Deutschland war ich sowohl mit dem Volk, das uns zu Opfern gemacht hat, konfrontiert als auch mit denjenigen, die wir eben deswegen zu Opfern gemacht haben. Natürlich muss ganz klar sein, dass ich den israelisch-palästinensischen Konflikt nicht mit dem vergleichen will, was die Deutschen uns antaten. Wer hier Ähnlichkeiten zu sehen meint, der weiß entweder nicht, was in den besetzten Gebieten vor sich geht, oder er weiß nicht, was die Nazis taten, oder er belügt sich selbst. Aber wir verdienen keinen Preis dafür, dass wir nicht sind wie die Nazis. Zwei Jungen aus Bosnien: Nermis, ein 16jähriger Bosniake aus dem Waisenhaus in Tuzla und Idriz, ein gleichaltriger Serbe aus Banja Luka freundeten sich kurz nach dem Krieg bei den „Ferien vom Krieg“ eng an. Eines Tages meinten sie erstaunt: Theoretisch kann es sein, dass mein Vater Deine Eltern umgebracht hat und Dein Vater meine Eltern umgebracht hat. Nun hocken wir beide in Waisenhäusern. Was für ein Irrsinn!