Vortrag - Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für
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Vortrag - Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für
Neuroenhancement - Gehirndoping am Arbeitsplatz Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V. „Tüchtig und/oder süchtig? Neue und alte Süchte in der Arbeitswelt“ Hannover, 27. März 2014 Heinz Kowalski, ehemal. Direktor des Instituts für Betriebliche Gesundheitsförderung BGF GmbH Köln und Hamburg Kowalski-Consulting-Health Heinz Kowalski [email protected] Uralter Wunsch: Leistungssteigerung Auf natürlichem Weg: - regelmäßiges Training von Körper und Geist Historisch: Stoffe aus der Natur Johanniskraut (Hypericum perforatum) - Stimmungsaufheller, Antidepressivum Fliegenpilz (Amanita muscaria) -Rauschmittel, Glücksbringer (bei Wikipedia Auflistung von 108 Pflanzen) Medizinische Mittel – auch zur Leistungssteigerung Psychostimulanzien wie Amphetamine (1930er Jahre) Antidepressiva (1950er Jahre) Modafinil und Demenzmittel (1990er Jahre) Aktuell: Medikamente mit erheblichem Rausch- und Suchtpotenzial auf dem Markt „Medikamentenmissbrauch ist nach Tabak- und Alkoholsucht das drittgrößte Missbrauchsproblem in Deutschland“ (Gaßmann et al. 2013) Was ist „Hirndoping“? Die missbräuchliche Einnahme verschreibungspflichtiger Medikamente und illegaler Drogen durch Gesunde zum Zwecke der geistigen Leistungssteigerung und/oder der affektiven Verbesserung. Unterschied zum Doping im Sport: dort nur körperliche Leistungsfähigkeit verbotene Substanzen (Regeln und Liste der WADA) „dope“ = Drogen verabreichen (in Südafrika wurde bei Dorffeiern von Einheimischen ein schwerer Schnaps getrunken, der sog. „Dope“) Neuroenhancement: noch junge Studienlage I 2008 in „Nature“ (Maher): 20 % der Befragten aus 60 Ländern gaben an, Medikamente zur Steigerung von Konzentration und Gedächtnisleistung ohne medizinische Gründe genommen zu haben Problem aller Studien seither: Begriffsdefinition „leistungssteigernde Mittel“ (Spektrum vom Traubenzucker bis zum pharmakologischen Neuroenhancement) Begriffsverwirrung auch durch „Viagra fürs Gehirn“, „HappyPills“, „Smart Drugs“ usw. Studienlage II 2009 DAK-Gesundheitsreport „Doping am Arbeitsplatz“ (IGES-Befragung 3.017 Beschäftigte, 20-50 Jahre: - 4,9 % hatten konsumiert - 10,5 % kannten Konsumenten - 21,4 % hatten Mittel angeboten bekommen - 20,3 % sahen keine Risiken - 1-1,9 % Anteil mit „potenten Wirkstoffen“ Studienlage III Noch: 2009 DAK, „welche Mittel zur Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit?“ (ergänzend zur Befragung wurden Arzneiverordnungen ausgewertet) - Methylphenidat (z.B. Ritalin®) (Aufmerksamkeit, Konzentration) - Modafinil (z.B. Vigil®) (Daueraufmerksamkeit) - Studienlage IV Noch 2009 DAK: „welche Wirkstoffe zur Verbesserung und Kompensation emotionaler und körperlicher Befindlichkeiten?“ - Fluoxetin (z.B. Fluctin®) bei Depressionen stimmungsaufhellend bzw. antriebssteigernd - Metroprolol (z.B. MetoHEXAL®) dämpft den stimulierenden Effekt des Sympathikus auf das Herz Studienlage V KOLIBRI-Studie des RKI (2011) n 6.142, 19-97 Jahre (Konsum leistungsbeeinflussender Mittel in Alltag und Freizeit) Verwendung leistungsbeeinflussender Mittel ohne mediz. Notwendigkeit, reduziert auf Neuroenhancer: 1,5 % (1,8 % bei Frauen, 1,3 % bei Männern) steigend bei Beschäftigten mit üb. 40 Wochenarbeitsstd. Studienlage VI HISBUS-Studie (2012) 8.000 Studenten -84 % hatten von Substanzen der geistigen Leistungssteigerung gehört -70% kannten jedoch keine solchen Konsumenten -12 % hatten Substanzen eingenommen (Neuroenhancer) -5 % mit pharmak. Hirndoping (Neuroenhancement), bei Langzeitstudenten bis 12 % Pressemitteilung des HIS: „Die Ritalin-Legende“ Studienlage VII Weitere Studien, z.B.: USA 119 Collegs und Universitäten: 6,9 % (Medien stürzen sich auf Ausreißer, z.B. ARD-Panorama: „für 25 % der amerikanischen Studenten gehören Mittel wie Ritalin zur Prüfungsvorbereitung“, tatsächlich lag die Häufigkeit zwischen 0 % - 21 Hochschulen - und 25 % - eine einzige Hochschule) Prävalenz Gesamtbevölkerung USA: 1,4 % Nationale Strategie zur Drogen- und Suchtpolitik Bundeskabinett 15.02.2012 - 1,4 Millionen Menschen sind medikamentenabhängig (Alkohol: 1,3 Millionen) - 4- 5 % der häufig verordneten Medikamente haben Suchtpotential Maßnahmen: „Klärung des Problemumfangs, Förderung der Entwicklung zielgruppenspezifischer Präventionsaktivitäten im Bereich des Kraftsports“ Offene Frage: Ob und wie weit führt Gehlrndoping bzw. Neuroenhancement zur Sucht oder nicht? Deutsche Hauptstelle für Suchtgefahren e.V. I Position von 2011: Bei im Zusammenhang mit Hirndoping genannten stimulierenden Wirkstoffen Methylphenidat und Modafinil sieht die DHS ein hohes psychisches Abhängigkeitspotential (Suchtrisiko). Bei den anderen Wirkstoffen sind dagegen keine Abhängigkeitsphänomene festgestellt worden. DHS II DHS rät: -Keine Wirksamkeit gegenüber Placebos -Keine Verbesserung der Leistungsfähigkeit -Keine Gedächtnisleistungsverbesserung -Alternativen: ausreichend Schlaf, Entspannungsmethoden, Zeitmanagement, regelmäßig Sport, ausgewogene Ernährung, Gespräche mit Freunden etc., Selbstwahrnehmungstrainings usw. Neues Problem: Crystal Meth (Methamphetamin) Sachbericht des Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) n 400, Hamburg-UKE, Februar 2014: -steigende Relevanz von Amphetamin/Methamphetamin -Konsumierende, auch mit beruflichem Kontext -nicht nur Droge der schwulen Partyzsene Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung (10.03.2014): -Prävention des Missbrauchs bedeutet hohe Herausforderung -mit Akteuren vor Ort die Studienergebnisse diskutieren etc. Weiter, weiter weiter ..... FAS vom 23. März 2014 über „Rico“: „Manchmal machte er eine Woche kein Auge zu, dann schlief er 2 Stunden.“ „Crystal wirkte bei ihm wie eine Adrenalinspritze.“ „Ohne die Nase bin ich nicht mal mehr zum Brötchenholen gegangen.“ „Wenn ein gutes Essen eine Dopaminausschüttung vom Faktor 60 hat, liegt guter Sex bei 120 und ein Amphetaminrausch bei 2.500.“ Relevanz des Neuroenhancement für die Arbeitswelt 1,5 % Prävalenz sind bei 40 Mio Beschäftigen immerhin 600.000 Betroffene Neuroenhancement verstärkt den zunehmenden Trend zur Einnahme leistungsteigender Mittel 30,1 % klagen über Müdigkeit, Mattigkeit, Erschöpfung ... (hohes Arbeitstempo, hohe Verantwortung, große Arbeitsmenge ...) Herausforderung für die BGF - durch zunehmende Berichterstattung dürfte ein Bedarf in den Betrieben entstehen - derzeit gibt es keine speziellen Angebote von KKn, BGn - in Suchtseminaren wird das Thema ggf. mit behandelt - für Reduzierung/Bewältigung der Stressursachen gibt es zahlreiche Angebote - Neuroenhancement sollte mit speziellen Angeboten aufgegriffen werden (BGF-Institut z.B. mit „Resilienz statt Ritalin“) Literaturauswahl Badura, B. et al.: Fehlzeiten-Report 2013 - Verdammt zum Erfolg – die süchtige Arbeitsgesellschaft. Springer-Verlag, Berlin Heidelberg Gaßmann, R. et al. (2013): Hirndoping, der große Schwindel. Beltz Juventa, Weinheim Iga (Initiative Gesundheit & Arbeit, 2014): Hirndoping am Arbeitsplatz - Einflussfaktoren und Präventionsmöglichkeiten für Unternehmen www.iga-info.de Zusammenfassung 400.000 Betroffene im Beruf u.a. Belastungsfolge Suchtpotential gering, aber ggf. psychische Abhängigkeit Einstiegs-Substanz? Hohe Krankheitsgefahr bei Crystal Meth Entdeckt Pharmaindustrie den Neuroenhancement-Markt? Kassen, BGn, Betriebsärzte, Suchtberater usw. müssen das Thema aufgreifen und aufklären Was können Unternehmensverantwortliche tun? - Achtsamkeit!!! - Arbeitsmenge, Arbeitszeit, Überstunden, Wochenendarbeit, Mails um 23.34 h, Reizbarkeit, äußeres Erscheinungsbild? ... - Gespräche mit Betriebsarzt/-ärztin (Auffälligkeiten bekannt?) - BGF/BGM installieren/erweitern, Suchtthema aufnehmen einschließlich Neuroenhancement/Crystal Meth, Vorträge Seminare ... Vielen Dank für Ihre (Dauer-)Aufmerksamkeit - ad multos Annos Kontaktdaten: www.kowalski-consulting-health.de Kowalski-Consulting-Health E-Mail: [email protected] Telefon: (02261)43686 Mobil: 0160-8856396 Wallstr. 16, 51702 Bergneustadt