Erziehungsfragen sind ganz natürlich. Eine Elterninformation

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Erziehungsfragen sind ganz natürlich. Eine Elterninformation
Erziehungsfragen sind ganz natürlich
Eine Elterninformation der MAG ELF – Amt für Jugend und Familie der Stadt Wien
Tricks für Tics
Mag. Sonja Schuster
Klinische- und Gesundheitspsychologin
Ist Ihr Kind im Grunde intelligent, höflich und freundlich, verhält es sich aber dennoch irgendwie
komisch, wofür Sie keine Erklärung finden? Meldet die Lehrerin ebenfalls, dass es durch gewisse
Laute oder Geräusche, gelegentliches Zucken, unruhiges Herumgehüpfe, blinzeln oder ähnliches
auffällt?
Ein Grund, sich viele Fragen zu stellen:
•
•
•
•
Ist mein Kind hyperaktiv?
Ist es ängstlich oder nervös?
Belasten es familiäre oder soziale Probleme?
Ist es krank?
...oder leidet es unter Tics?
Was ist das?
Das Wort Tic stammt aus dem französischen und hat mit Tick (wie „Jemand tickt nicht richtig“) nichts
gemeinsam.
Generell kann man Tics in zwei Gruppen einteilen: motorische und vokale Tics.
Motorische Tics sind unwillkürliche, plötzlich eintretende, wiederholende und nicht kontrollierende
Bewegungen. Am häufigsten treten sie im Kopf- und Gesichtsbereich auf, seltener am Rumpf und an
den Beinen. Unter vokalen Tics versteht man das unwillkürliche Hervorbringen von Geräuschen und
Lauten. Die meisten Tics sind schwach ausgeprägt und kaum wahrnehmbar, können aber manchmal
auch häufiger und stärker auftreten und somit viele Lebensbereiche eines Kindes beeinflussen.
Beispiele:
motorisch
verbal
einfach
z.B.
Blinzeln, Schulterzucken,
Kopfrucken, Augenverdrehen,
Grimassieren usw.
z.B.
Räuspern, Pfeifen, Husten,
Schnüffeln, Grunzen, lautes
Ein- und Ausatmen,
Schnauben, Quicken,
Schreien, usw.
komplex
z.B.
Hüpfen, Klatschen, Berühren,
in Hocke gehen, bizarre Arm
und Beinbewegungen usw.
z.B.
Wörter, Sätze, Kurzaussagen,
usw.
Servicetelefon der MAG ELF: 4000 – 8011
Impressum: Medieninhaber und Herausgeber: Stadt Wien – MAG ELF – Amt für Jugend und Familie
1030 Wien, Rüdengasse 11
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Betroffene Kinder können die Geräusche und Bewegungen nicht kontrollieren und sollten dafür
keinesfalls getadelt werden. Bestrafungen von Eltern und LehrerInnen hilft den Kindern nicht und
schadet ihrer Selbstachtung.
Ein Tic ist ungefähr vergleichbar mit Schluckauf. Man kann Schluckauf zwar für eine gewisse Zeit
unterdrücken, spürt dann aber, dass der Druck auf das Zwerchfell immer stärker wird und man nach
einer gewissen Zeit nachgeben muss. Oft bemerken Kinder Tics gar nicht. Meistens sind es Eltern, die
aufmerksam werden und sich überlegen, ob sie Erziehungsfehler gemacht haben oder ob es andere
Ursachen für dieses Verhalten ihrer Kinder gibt.
Wie häufig treten Ticstörungen auf?
Die häufigste Ticstörung ist die vorübergehende Ticstörung, sie tritt bei bis zu 10 % der Kinder auf,
wobei Buben dreimal häufiger als Mädchen davon betroffen sind. Eltern und LehrerInnen nehmen
dies wahr und führen solche Verhaltensänderungen häufig auf Nervosität oder Stress zurück. Dauern
die Tics länger als ein Jahr, spricht man von chronischen Tics, die weniger als 1 % der Kinder
betreffen.
Wie ist der Verlauf?
Tics treten in der Regel erstmals im Alter zwischen 2 und 15 Jahren auf, wobei das Durchschnittsalter
des Beginns bei 7 Jahren liegt. Im Alter von 10 bis 11 Jahren entwickeln manche Kinder sensorische
Vorgefühle, d. h. sie können einen nahenden „Tic“ bereits im Vorfeld erkennen (z.B. kribbeln,
Verspannung). In der Pubertät verstärken sich die Tics gewöhnlich und lassen zwischen dem 16. und
26. Lebensjahr meistens nach (ca. 70 %). Bei einigen Betroffenen verschwinden die Symptome ganz,
nur wenige Personen müssen lernen, ein Leben lang damit umzugehen.
Ältere Kinder und Erwachsene können das Ausführen von Tics häufig für eine gewisse Zeit (Minuten
bis Stunden) willkürlich verzögern oder unterdrücken. Das erfordert sehr viel Anstrengung und
Konzentration und ist für die Betroffenen unangenehm. Es führt zu einer gewissen „Aufstauung“,
meist folgt danach eine Steigerung der Tic-Frequenz.
Intensität und Häufigkeit der Tics unterliegen Schwankungen. Bei gewissen Situationen, wie z.B.
Stress und Ermüdung nehmen die Tics häufig zu, während sie bei Ablenkung, Entspannung, zu
Ferienzeiten und im Schlaf abnehmen.
Ein Kind mit Tics ist in der Regel genauso leistungsfähig und intelligent wie seine Altersgenossen und
sollte, wie alle anderen auch, seinen Neigungen und Begabungen entsprechend gefördert werden.
Egal ob Sport, Musik, Gruppenaktivitäten, Reisen usw. Ihr Kind sollte, außer bei wirklicher Gefahr,
nicht eingeschränkt werden.
Was sind die Ursachen einer Ticstörung?
Die Ursachen sind bis heute nicht ganz erforscht. Eine neurologische Komponente ist zumindest
gesichert. Als Risikofaktoren gelten verschiedene Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen, ein
niedriges Geburtsgewicht und Infektionen mit Streptokokken. Ticstörungen können auch genetisch
vererbt werden.
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Tics oder schlechte Angewohnheiten
Nicht selten liegen diesen fixierten Bewegungen zunächst sinnvolle Mechanismen zugrunde (z. B.
Jugendliche mit langen Haaren vollführen eine gewisse Kopfbewegung, um die Haare aus dem
Gesicht herauszubringen. Schleicht sich nun ein solcher Mechanismus ein, bleibt dieser bestehen,
auch wenn die Frisur geändert wird, Sehstörungen können zum Blinzeltic führen). Kinder neigen in
der Regel auch zum Imitieren von auffälligen Bewegungen. Diese werden zunächst interessant
empfunden, nachgeahmt und im eigenen Gebrauch fixiert.
Welche Behandlungen gibt es?
Eine Behandlung ist nicht unbedingt erforderlich. Sie hängt von der Beeinträchtigung des Kindes,
aber auch von der Reaktion der Umwelt ab. In manchen Fällen können Tics bizarr, angstauslösend
und störend sein. Nicht selten bewirken die Symptome, dass das Kind ausgelacht und von seinen
Altersgenossen zurückgewiesen, sogar beschimpft wird. Machen die Eltern auch noch Vorwürfe kann
das Kind zunehmend aus dem seelischen Gleichgewicht kommen. Die Schwierigkeiten können sich im
Laufe der Entwicklung eventuell noch verstärken, gerade wenn Jugendliche in eine schwierige
Entwicklungsphase treten. In solchen Fällen ist eine psychologische, therapeutische und/oder
medikamentöse Behandlung notwendig, um eine Linderung des Leidenzustandes beim Kind zu
bewirken.
Zur Behandlung von Ticstörungen eignen sich verhaltenstherapeutische Ansätze, sie können eine
Reduktion der Symptome bewirken. Das „Habit reversal training“, eine verhaltenstherapeutische
Technik, indem der/die PatientIn lernt Tics „umzuleiten“ (anstelle eines Tics eine andere Bewegung
zu vollführen), scheint im Moment die beste Behandlung zu sein. Entspannungsverfahren, wie
autogenes Training oder progressive Muskelrelaxation können manchmal eine kurzanhaltende
Symptomreduktion erzielen.
Die medikamentöse Behandlung ist möglich, allerdings können dabei Nebenwirkungen wie
Müdigkeit, Appetitanregung mit Gewichtszunahme oder auch innere Unruhe auftreten.
Wie kann man negative Auswirkungen auf das soziale Umfeld verhindern?
Viele Kinder werden aufgrund ihrer Tics gehänselt, isoliert oder gar bestraft. Um Ausgrenzungen zu
vermeiden, sind eine frühzeitige Information des Umfeldes und eine sensible Behandlung des Kindes
besonders wichtig. Viele Eltern befinden sich auf einer Gratwanderung zwischen erzieherischer
Notwendigkeit, verständnisvollem Umgang und Überbehütung. Sie fragen sich, ob gewisse
Handlungen Ausdruck der Störung oder Verhaltensauffälligkeiten sind, die korrigiert werden müssen.
Eltern, die ein an Tics leidendes Kind haben, sollten sich unter keinen Erfolgsdruck bringen lassen. Je
mehr Sie einen Erfolg erwarten, umso mehr Druck verspürt das Kind, dem Sie eigentlich helfen
möchten. Das Kind möchte natürlich den Erwartungen der Eltern gerecht werden. Die Folge: die Tics
werden stärker. Akzeptieren Sie die Störung und vermitteln Sie ihrem Kind, dass Sie es lieben. Sie
sollten sich auch immer wieder vor Augen führen, dass ihr Kind die Tics nicht bewusst einsetzt, um
jemanden zu ärgern. Es ist möglich, dass die Symptome in der Schule unter Stress häufiger auftreten
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als zuhause. An und für sich sind Kinder mit Ticstörungen in ihrer geistigen Leistungsfähigkeit nicht
beeinträchtigt, allerdings kann es aufgrund verschiedener Tics (z.B. Streckung der Arme während des
Schreibens, Lautäußerungen, Verdrehen des Kopfes während des Lesens) zu
Aufmerksamkeitsminderung und Lerndefizite kommen.
Tipps für den richtigen Umgang:
Oft helfen einfache Tricks wie den Finger oder ein Lineal zum Lesen zu verwenden, Prüfungen in
speziellen Räumen durchzuführen, um zusätzlich Hänseleien zu verhindern etc. Auch die
Verwendung einer Schreibmaschine oder eines Computers kann das Kind sehr entlasten.
Einfache Tics stören in der Regel kaum. Bei komplexen Tics wie spontanes Hüpfen oder Springen,
sollte den Kindern von Zeit zu Zeit die Möglichkeit gegeben werden, sich „auszuticken“ oder
Entspannungsübungen durchzuführen. Da es vielen Kindern in der Schule oft sehr peinlich ist, wäre
es sinnvoll, wenn es einen Raum gäbe, wo das Kind ungestört ist und es niemand beobachten kann.
Da Tics unwillkürlich auftreten und die betroffenen Kinder sie nur sehr schwer steuern können, sollte
man, soweit es möglich ist, Sicherheit vermitteln. Eine Aufforderung wie „Lass das“, bewirkt zumeist
genau das Gegenteil. Belastung, Anspannung und Stress führt zu einer Symptomerhöhung.
Sport stellt oft eine gute Möglichkeit dar, sich „abzureagieren“. Manche können sich hierbei
„austicken“, ohne dabei besonders auffällig zu erscheinen. Vor allem Rückzugsverhalten und
Ausgrenzung sollte man unbedingt verhindern, da es dadurch zu weiteren Verhaltensauffälligkeiten
kommen kann.
Ein letzter Tipp: Behandeln Sie ihr Kind so, wie sie ein Kind ohne Ticstörung behandeln würden –
liebevoll und konsequent!
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