Vollbild - eLiechtensteinensia
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EIN BLICK AUS D E M F E N S T E R SCHLOSS VADUZ AUF DEM PORTRÄT VON FRANZ WILHELM I. VON HOHENEMS-VADUZ (1662) ELISABETH CASTELLANI ZAHIR «Anbei übersende ich endlich die Photographien der Ansicht von Schloss Vaduz auf dem Porträt des Gr. F. W. von Hohenems. Der Photograph Hesse hat die Aufnahmen schon am Tage nach Ihrem Hiersein gemacht, wurde dann aber telegraphisch nach Meran abberufen .... und so hab ich die Abdrücke erst nach wiederholtem Kopierens bekommen. 2 Exemplare habe ich, von Ihrer gütigen Erlaubnis Gebrauch machend, hier behalten. ... Ein Versuch, die Ansicht photographisch zu vergrössern, ist nicht gut ausgefallen, da die Rauh(?)seiten des Papiers der Originalphotographie sich störend bemerkbar machten.» EIN BLICK AUS DEM FENSTER ELISABETH CASTELLANI ZAHIR So berichtete Hofrat Franz von Wieser (1848 bis 1923) am 18. Juni 1906 von Innsbruck an den fürstlichen Kabinettsrat Carl von In der Maur (1852-1913) nach Vaduz. Das besagte, 1906 in Vaduz bekanntgewordene, Bild verschwand alsbald wieder aus dem hiesigen Blickfeld. Es lag nur in einer schlechten Schwarzweissreproduktion in einer Publikation von 1930 vor und galt bis vor kurzem als verschollen. Dann tauchte es überraschenderweise 1993 in Hohenems wieder auf (Abb. 1) als Exponat der Ausstellung «Die Porträtsammlung der Grafen von Hohenems aus dem Städtischen Museum in Policka [Tschechien]», die im Palast Hohenems gezeigt wurde. 1 2 3 4 DAS BILD Das Bild ist Bestandteil der einst berühmten, an die 1500 Gemälde umfassenden Hohenemser Kunstsammlung, die im Kern ins 16. Jahrhundert zurückreicht und einst von Graf Jakob Hannibal I. (1530-1587) und seinem Sohn Graf Kaspar (1573-1640) angelegt wurde. Ein Teil davon, darunter 87 Gemälde, meist Porträts von Mitgliedern der Familie Hohenems, wurde dann 1803 aus dem Palast Hohenems nach Schloss Frischberg ins böhmische Bistrau verbracht und befindet sich heute im städtischen Museum in Policka [Tschechien] in Verwahrung. Ob das Bild aus Policka mit demjenigen von 1906 identisch ist, muss derzeit noch offen bleiben, da es einige Ungereimtheiten gibt und auch die Möglichkeit einer Kopie nicht auszuschliessen ist. Für unsere Bildbetrachtung spielt diese Frage aber keine ausschlaggebende Rolle und wir sind froh über den aufgetauchten Fund. Es handelt sich um ein Ölbild in schmalem schwarzem Rahmen im Format 192 x 105 cm. Der 5 6 7 1) HALV. Schlossbau, 18. Juni 1906. 2) Siehe Elisabeth Castellani Zahir: Die Wiederherstellung von Schloss Vaduz 1904-1914. Burgendenkmalpflege zwischen Historismus und Moderne. Band 1 und Band II. Vaduz. 1993 [= Castellani 1993]. Die folgenden A u s f ü h r u n g e n sind als e r g ä n z e n d e r Nachtrag zu verstehen, der aufgrund neuer Erkenntnisse notwendig wurde. 3) Castellani 1993 I, S. 43, A b b . 37 sowie S. 319, A n m . 8. - Franz von Wieser e r w ä h n t das Bild noch 1920 in seinem Rechenschaftsbericht ü b e r die Schlossrenovierung mit der Bemerkung: «Das Porträt ist jetzt im Besitz S. D. des regierenden F ü r s t e n von Liechtenstein [Johann II.].»; siehe auch Rudolf Rheinberger: Eine bisher unveröffentlichte Darstellung der Baugeschichte der Burg Vaduz (Rechenschaftsbericht Franz von Wieser 1920), in: J B L 77 (1977), S. 63. A n m . 9 [= Wieser 1920]. 4) Die Ausstellung i m Palast in Hohenems dauerte vom 29. M a i bis zum 3. Oktober 1993. Zur Ausstellung erschien ein Faltprospekt «Die P o r t r ä t s a m m l u n g e n der Grafen von H o h e n e m s » mit kurzen Angaben zur Sammlungsgeschichte [= Faltprospekt 1993]. Ausstellung und Prospekt wurden von Frau Dr. Christine Spiegel betreut, der ich f ü r die Bereitstellung der im Artikel verwendeten Reproduktionen danken m ö c h t e . Die Vermittlung ü b e r n a h m Norbert W. Hasler, auch ihm sei an dieser Stelle Dank ausgesprochen. 5) Die wechselvolle Geschichte der Hohenemser P o r t r ä t s a m m l u n g ist recht gut dokumentiert, die neueste Publikation stammt von Andrea Fischbach: «Was in dafern v e r b r o c h e n » . Die Gemäldegalerie der Grafen von Hohenems. Eine Untersuchung der Motivvielfalt anhand von Inventaren des 17. Jahrhunderts. In: Vierteljahreszeitschrift f ü r Geschichte und Gegenwart Vorarlbergs, 46. Jahrgang, Heft 3 (1994), S. 313-327 [= Fischbach 1994]. E r g ä n z e n d zur dort a u f g e f ü h r t e n Literatur seien noch e r w ä h n t Wenzel Schaffen Die G e m ä l d e - S a m m lung im Schlosse Frischberg des A . H . K. Privatgutes Bistrau in B ö h m e n . Wien, 1881 [= Schaffer 1881], sowie Ilse Fingerlin: Die Grafen von Sulz und ihr B e g r ä b n i s in Tiengen am Hochrein. Stuttgart, 1992, S. 42. 6) Erstens: Das quellentlich gesicherte Todesdatum von Franz Wilhelm I. von Hohenems am 19. September 1662 stimmt nicht mit demjenigen auf der Bildinschrift (10. Dezember 1662) ü b e r e i n . Darauf machte schon Joseph Bergmann aufmerksam. (Joseph Bergmann: Die Reichsgrafen von und zu Hohenems in Vorarlberg. Dargestellt und beleuchtet in den Ereignissen ihrer Zeit, vom Jahre 1560 bis zu ihrem Erlöschen 1759. Mit Rücksicht auf die weiblichen Nachkommen beider Linien von 1759-1860. Wien, 1861. S. 104 [=Bergmann 1861].) Zweitens: A u f der bei Ludwig Welti: Geschichte der Reichsgrafschaft Hohenems und des Reichshofes Lustenau. Innsbruck. 1930 [= Welti 1930] auf Tafel 26 abgebildeten Schwarzweissreproduktion (evtl. die schlechte Vaduzer Fotovorlage von 1906, von der Franz von Wieser in Innsbruck Doubletten z u r ü c k b e hielt) ist das Wappen nicht sichtbar und der Gesichtsausdruck ein anderer. Drittens: Wieso konnte sich das Gemälde 1920 in Besitz des regierenden Fürsten von Liechtenstein befinden (Wieser 1920, siehe A n m . 3), wenn es immer Bestandteil der Hohenemser Porträtgalerie in Bistrau war, wie die E r w ä h n u n g e n aus den Jahren 1861 (Bergmann 1861, S. 104) und 1881 (Schaffer 1881. S. 25 f.) sowie das jetzige Auftauchen in Policka nahelegen? Gibt oder gab es mehrere Bilder? 7) Bergmann 1861, S. 102, sowie der Hinweis i m Faltprospekt 1993. Auch bei dem 1993 i m Palast in Hohenems ausgestellten Bild bleibt die Frage offen, ob es mit dem 1906 in Vaduz bekanntgewordenen Bild identisch ist oder ob es sich um eine Kopie handelt, und welches dann das Original w ä r e . 125 Künstler oder die ausführende Künstlerin ist bislang unbekannt. Dargestellt ist lebensgross und als Ganzfigur, der Betrachterin und dem Betrachter frontal zugewandt, mit leicht nach vorne ausschreitender Beinstellung, ein Edelmann in höfischer Kleidung, der den Bildraum majestätisch ausfüllt: Graf Franz Wilhelm I. von Hohenems (1628-1662). Das Bild ist oben links mit dem reich gezierten Familienwappen der von Hohenems, einem goldenen Steinbock auf blauem Grund, bezeichnet und beschriftet mit «FRANC: WILHELM: COMES IN ALTA EMBS GALARA & VADVZ. DNUS IN SHELLENBERG: OBIJT DIE 10 XBRIS Ao: 1662» [Franz Wilhelm Graf in Hohenems, Gallara und Vaduz, Herr in Schellenberg, gestorben 10. Dezember des Jahres 1662]. Franz Wilhelm befindet sich in einem Innenraum mit einem Fenster im Hintergrund rechts oben neben der Inschrift, das die perspektivische Tiefe einer Architekturdarstellung eröffnet. Es handelt sich um die Südseite von Schloss Vaduz mit der Umfassungsmauer einer Gartenanlage. 8 9 Abb. 1: Graf Franz Wilhelm I. von HohenemsVaduz im Jahr 1662. 126 Das Ölbild aus der ehemaligen Hohenemser Gemäldegalerie, das 1993 im Palast Hohenems in Hohenems (Vorarlberg) ausgestellt war, befindet sich heute im Städtischen Museum von Policka (Tschechien). Die kompositorischen Mittel sind gekonnt eingesetzt. Der hohe Horizont liegt im oberen Bildviertel auf Nasenhöhe der dargestellten Person, verbindet Wappenkartusche, Gesicht des Grafen und das Hauptgeschoss der Burg, reiht also die wichtigsten inhaltlichen Bildelemente auf einer waagerechten Linie: Herkunft, Person, Besitz. Der für Innen und Aussen einheitliche Horizont knapp unterhalb der Augen ist subtil gewählt, denn er erlaubt dem Grafen, /zeraözublicken auf diejenigen, die das Bild betrachten - und sie nicht anzublicken. Er wahrt damit herrschaftliche Distanz und verbietet sich jegliche Familiarität. Die Bildmittelachse geht durch die senkrechte Körpermitte des Porträtierten. Sie ist gekennzeichnet durch die Bezeichnung «Alta Embs» [Hohenems] in der Inschrift, sein beleuchtetes Gesicht und seine linke, vor der Brust ruhende Hand. Die Vertikalität wird unterstrichen durch die herablaufenden Schmuckstreifen seines Gewandes. Die fast unmerkliche Körperdrehung nach links lässt die Figur weniger starr erscheinen und erzeugt eine leichte, unbewusst wahrgenommene Spannung. Ein Meisterstück ist die kompositorische Verbindung von Innen und Aussen, wo in per- EIN BLICK AUS DEM FENSTER ELISABETH CASTELLANI ZAHIR spektivischer Verlängerung der Seitenkante des Beistellmöbels im Vordergrund, markiert durch Franz Wilhelms lässig daraufgelehnte rechte Hand, eine dynamische Diagonale in leichter Versetzung von links unten nach rechts oben durch die Gartenmauer des Schlosses im Bildfenster weiterläuft und dort einen architektonischen Tiefenraum erschliesst, der das Schloss Vaduz recht eigentlich zum zweiten Bildmittelpunkt macht. Dieser Hauptdiagonalen entspricht eine ausgleichende formale Gegenbewegung von links oben nach rechts unten, deren Hauptträger das breite Bandelier bildet, welches den Vornamen des Grafen «Franc» in der Inschrift mit Wappenkartusche und Degen in einer Richtungsdynamik verbindet, ein Verweis auf den ritterlichen Edelmann namens Franz. Alle genannten Kompositionslinien, d.h. die beiden Diagonalen sowie die Mittelachse, kreuzen sich in der vor die Brust gelegten linken Hand des Grafen, die damit den zentralen Bildpunkt abgibt. Soweit eine erste Bildannäherung. Sie gibt uns einen Hinweis auf die doppelte Funktion des Gemäldes als Porträt und Vedute. Ein Porträt erfüllt mit unterschiedlicher Akzentsetzung drei Aufgaben: memoriale, repräsentative und exemplarische. Eva Kuby: «Ein Bildnis sollte einer gemalten Person ähnlich sein und an sie erinnern - auch nach ihrem Tod. Rang und Status in Familie, Beruf und Öffentlichkeit sollte ein Porträt ebenso widerspiegeln wie gleichzeitig die besonderen Fähigkeiten und Eigenschaften der Person herausstellen.» 10 8) Die Grafschaft Gallarate i m Mailändischen wurde von den Hohenemsern 1578 erworben und nach dem Tode Graf Kaspars 1640 an seinen jüngsten Sohn aus zweiter Ehe und Studiengenosse Franz Wilhelms, Franz Leopold (1620-1642) vererbt. 1655 wurde die Herrschaft aus wirtschaftlichen E r w ä g u n g e n von Franz Wilhelms ältestem Bruder Karl Friedrich unter Vorbehalt des Titels an die Visconti verkauft (Welti 1930, S. 145). 9) Die Inschrift ist in leicht v e r ä n d e r t e r Schreibweise abgedruckt bei Bergmann 1861, Nr. XXVII, S. 104, und bei Schaffer 1881, Nr. 21, S.25. 10) Eva Kuby: Porträts. Niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts der SOR-Rusche-Sammlung. In: Architektur, Kunst- und Kunstgeschichte in Nord- und Westdeutschland (AKK), 1995, Heft 1, S. 14 [= Kuby 1995]. Abb. 2: Gräfin Eleonora Katharina von HohenemsFürstenberg (1662). Ehepaarpendant zu Abb. 1. Das Ölbild aus der ehemaligen Hohenemser Gemäldegalerie, das 1993 im Palast Hohenems in Hohenems (Vorarlberg) ausgestellt war, befindet sich heute im Städtischen Museum von Policka (Tschechien). 127 Die Vedute definiert Andrea Fischbach folgendermassen: «Bei einer Vedute handelt es sich um eine sachlich treue Ansicht einer Stadt oder Landschaft» - wir ergänzen Burg beziehungsweise Schloss - und verweist darauf, dass die Vedute als wichtige historische Hilfsquelle die schriftlichen und mündlichen Überlieferungen ergänzen kann. Wir werden das Hohenemserbild also sowohl auf die abgebildete Architektur, das Schloss Vaduz, wie auf die dargestellte Person, Franz Wilhelm I. von Hohenems-Vaduz, hin differenziert befragen, denn beide Motive stehen in einem künstlerischen, inhaltlichen und symbolischen Zusammenhang. 11 B I L D Q U E L L E F U B DIE SCHLOSSR E S T A U R I E R U N G 1906 Zurück in das Jahr 1906. Stolz wird im Protokoll der insgesamt 6. Baukommissionssitzung seit Beginn der Wiederherstellungsarbeiten, die auf dem Schloss am 8. und 9. Juli stattfand, unter Punkt 1 vermerkt: «Die Kommission konstatiert zunächst mit Genugtuung, dass die neu aufgefundene Ansicht des Schlosses Vaduz von 1662 die Richtigkeit der bisher durchgeführten Restaurierungsarbeiten in erfreulicher Weise bestätigt. Das Obergeschoss des Südwestbaues konnte nicht in dem Sinne dieser Ansicht ausgeführt werden, weil dasselbe die Zinnenbekrönung des Kapellenbaues sowie zum Teile auch das Auslugtürmchen verdeckt.» (Abb. 3) Teilnehmer an dieser zweitägigen Konferenz in Vaduz waren Prinz Franz von Liechtenstein sen., der Bruder des Regierenden Fürsten Johann IL (Wartenstein, Niederösterreich) und sein Neffe Prinz Franz jun., Excellenz Graf Hans von Wilczek und seine Tochter Gräfin Elisabeth Kinsky-Wilczek (Wien), Dr. Franz Ritter von Wieser (Innsbruck), Baumeister Alois Gstrein (Brixen) sowie Egon Rheinberger und Landesingenieur Gabriel Hiener (Vaduz). Der Protokolltext ist widersprüchlich und die nachträgliche historische Rechtfertigung durch die neue Bildquelle für die Rekonstruktionen bei Schloss Vaduz ist unklar. Im Gegenteil, das Bild aus dem 17. Jahrhundert widerlegt die historische 12 13 Abb. 3: Südseite von Schloss Vaduz (1662). Ausschnitt aus Abb. 1. 14 128 EIN BLICK AUS DEM FENSTER ELISABETH CASTELLANI ZAHIR Richtigkeit der im März beschlossenen und teils bereits begonnenen Baumassnahmen eindeutig, die Alois Gstrein auf einer Zeichnung vom 12. März 1906 festgehalten hatte (Abb. 6): Es handelte sich nämlich dabei um den Verzicht auf eine turmartige Ausgestaltung des baufälligen Saalbaues , so wie es 1905 noch vorgesehen war (Abb. 5 und 8), zugunsten einer einstöckigen Lösung mit angewärmtem Satteldach, sowie um die Rekonstruktion von 16 Zinnen und «Auslugtürmchen» beim benachbarten Kapellenbau. Alte Zinnen waren am Baubestand hier innen und aussen tatsächlich noch ablesbar gewesen (Abb. 9 und 10) und man machte sich eifrig an den Rückbau, der bis Mitte 1907 auch durchgeführt wurde (Abb. 7 und 9). Gleichzeitig wurde der ebenfalls noch original im Mauerverband vorhandene innere Zinnenkranz des Saalbaues gegen die Hofseite - auf dem Hohenemserbild natürlich nicht sichtbar - freigelegt und ist bis heute gewahrt (Abb. 10). Auch der nach Bekanntwerdung der historischen Schlossansicht im Juli 1906 neu beschlossenen Gotisierung der Fenster im Kapellentrakt - im Protokoll heisst es deutlich «Die Fenster in dem Saale des Kapellenbaues sind gothisch a u s z u f ü h r e n » - spicht das grosse nachmittelalterliche Rundbogenfenster auf dem Gemälde (Abb. 3) Hohn. Ein Vergleich mit dem vorhandenen Baubestand auf der Fotografie von 1880 (Abb. 4), wo eben dieses gerundete Renaissancefenster zu sehen ist, bestätigt die ältere Abbildung aus dem 17. Jahrhundert. In diesem Falle widersprechen sowohl Bildquellen wie Baubefund der reiner Phantasie entsprungenen Detailgestaltung, die sich lediglich auf das allgemeine Wissen gründete, dass es diesen ältesten Burgteil schon in gotischen Zeiten gegeben hatte. gung dazu, sie in das Wiederherstellungsprogramm von Schloss Vaduz aufzunehmen. Der Garten wurde dann tatsächlich noch 1915/16 rekonstruiert und besteht bis heute. Über die restliche Gestalt von Schloss Vaduz zu Ende des 17. Jahrhunderts gibt die Bildquelle, da sie nur die Südseite zeigt, keine Auskunft. So bleiben viele Fragen notgedrungen unbeantwortet, so z.B. auch die Existenz einer Zugbrücke, um nur eine der umstrittensten, aber 1911 dennoch durchgeführten Rekonstruktionsmassnahmen zu nennen. Dass für Schloss Vaduz 1904 durchaus der Anspruch auf ein wissenschaftliches, den modernen denkmalpflegerischen Grundsätzen entsprechendes und durch historische Quellen belegbares Wiederherstellungskonzept bestand, haben wir in unserer Untersuchung nachweisen können, und Gab es überhaupt etwas, das von den bis anhin durchgeführten Baumassnahmen «in erfreulicher Weise bestätigt» wurde? Nun, belegt werden konnte durch die Hohenemser Bildquelle die Richtigkeit des schon 1905 durchgeführten Aufbaus des Bergfrieds was Proportionen, Höhe sowie Zinnenkranz und Zeltdachbekrönung betraf. Die im Gemälde angedeutete Gartenanlage mit Umfassungsmauern im Südbereich der Burg gab vielleicht die Anre- 19) Zum Umbaujahr 1905 siehe Castellani 1993 I, S. 135-146. 15 16 17 18 20 21 11) Fischbach 1994, S. 318. 12) Siehe den Stand der Umbauarbeiten f ü r 1906 mit genauen Quellenangaben bei: Castellani 1993 I, S. 149-162. 13) HALV, Schlossbau, Protokoll 9. Juli 1906. 14) Zu den Kommissionsmitgliedern siehe Castellani 1993 1, S. 117-134. 15) Der Saalbau wurde wegen Baufälligkeit schon im 18. Jahrhundert um sein oberstes Geschoss abgetragen und mit einem flachen Pultdach versehen: siehe Wieser 1920, S. 72; Castellani 1993 I, S. 28-34. 16) Zum Kapellenbau siehe auch Castellani 1993 I, S. 28. Neue Erkenntnisse zur Baugeschichte der Schlosskapelle St. A n n a in Vaduz erbrachte dann eine a r c h ä o l o g i s c h e Notgrabung im A p r i l und im M a i 1995 (vgl. hierzu den Jahresbericht 1995 der Archäologie Liechtenstein). 17) Castellani 1993 I, Abb. 198. 18) Protokoll 9. Juli 1906 (siehe A n m . 12), Punkt 5. - Siehe Castellani 1993 1, Abb. 178 u. 179. 20) Castellani 1993 I, S. 307-309. 21) Zur Brückendiskussion siehe Castellani 1993 I, S. 29 f., S. 249 f., 257-259 sowie A b b . 32 mit der von Egon Rheinberger zeichnerisch imaginierten Brücke. 19 129 Abb. 4: Südansicht von Schloss Vaduz auf einer Fotografie von 1880. Links der im 18. Jahrhundert teilweise abgetragene und mit einem Pultdach versehene Saalbau, in der Mitte der Kapellenbau mit den noch ablesbaren Zinnen und rechts das dachlose Südrondell. Abb. 5: Südwestseite von Schloss Vaduz, Zeichnung Egon Rheinberger (1905). Ursprüngliche Rekonstruktionsabsicht mit turmartigem Saalbau (siehe Abb. 8). Abb. 6: Südwestseite von Schloss Vaduz, Zeichnung Alois Gstrein März 1906. Revidierte Rekonstruktion (Ausführung) mit niederem Saalbau, Auslugtürmchen und Zinnen auf dem Kapellenbau. Abb. 7: Südansicht von Schloss Vaduz, Ausführungsvariante von Alois Gstrein 1907. EIN BLICK AUS DEM FENSTER ELISABETH CASTELLANI ZAHIR J RA 1 tili ; tf • . I! - '—-v" — -:t " ^ i '1 f r .1 Abb. 8: Südwestliche Hofseite von Schloss Vaduz, Zeichnung Alois Gstrein März 1905. Ursprüngliche Rekonstruktionsabsicht mit turmartigem Saalbau (siehe Abb. 5) und innerem Wehrgang vor Kapellen- und Saalbau. Abb. 9: Südansicht von Schloss Vaduz. Foto um 1906. Abb. 10: Südliche Hofseite von Schloss Vaduz auf einer Fotografie aus den Umbaujahren 1906/07. Man hat das oberste Geschoss des Kapellentraktes abgetragen und die alten Zinnen freigelegt. 131 auch, dass es nicht konsequent angewendet wurde, sondern in der Realität oftmals Kompromisse zum Zuge kamen. In der Frage des Wertes historischer Abbildungen als Quelle für «richtige» Rekonstruktionen gingen die Meinungen weit auseinander. Vertraten die Burgenforscher Otto Piper (1841-1921) und Bodo Ebhardt (1865-1945) schon um die Jahrhundertwende die Ansicht, historische Abbildungen seien wissenschaftliche Hilfsmittel und sollten bei Burgwiederherstellungen vermehrt benutzt werden , so wies der Kunsthistoriker und «Antirestaurator» Georg Dehio (1850-1932) anhand des Beispiels von Heidelberg aus grundsätzlichen Überlegungen heraus nach, dass historische Abbildungen als Quellen für Rekonstruktionen keinen Wert hätten, denn «es sind nämlich die ältesten der in Frage stehenden Zeugnisse nicht älter als das Ende des 16. Jahrhunderts ; durch nichts wird verbürgt, dass diese die unveränderte erste Bauidee wiedergeben. ... Mehr als das Allgemeinste verrraten sie nicht. Wer danach bauen will, muss seiner Phantasie einen grossen Spielraum geben.» Diese skeptische Einschränkung trifft grundsätzlich auch auf das Hohenemser Gemälde zu, welches den Bauzustand des Vaduzer Burgkomplexes in einer Zeitstellung aus dem späten 17. Jahrhundert dokumentiert und zudem nur eine Aussenfront (Südseite) zeigt. Dehio nahm 1901 kein Blatt vor den Mund, als er Kollegenschelte verteilte: «Den Raub der Zeit durch Trugbilder ersetzen zu wollen, ist das Gegenteil von historischer Pietät. Wir sollten unsere Ehre darin suchen, die Schätze der Vergangenheit möglichst unverkürzt der Zukunft zu Überliefern, nicht, ihnen den Stempel irgendeiner heutigen, dem Irrtum unterworfenen Deutung aufzudrücken.» Die Warnung stiess nicht nur 1906 auf taube Ohren - auch unsere derzeitig wieder sehr populären postmodernen Rekonstruktionsfanatiker schlagen derartige Argumente - trotz der Charta von Venedig 1964 in den W i n d . DAS ÄLTESTE P O R T R Ä T V O N SCHLOSS VADUZ 22 23 24 25 26 27 28 132 Mit dem Gemälde von 1662 liegt nun zwar nicht die erste, aber die älteste realistische Abbildung der Burg ob Vaduz vor. Die früheste derzeit bekannte Ansicht von Schloss Vaduz ist bereits nachmittelalterlich und stammt aus der Zeit um 1600, was, wie schon Dehio bemerkte, allgemein üblich zu sein scheint. Auf einem Prospekt der Herrschaften Vaduz und Schellenberg dominiert Schloss Vaduz vom Berg herunter über die Landschaft und bildet als grösste Einzelarchitektur den Bildmittelpunkt. Das Schloss ist jedoch nicht wirklichkeitsgetreu dargestellt, die vielerlei turmartigen Gebäudeteile stehen lediglich als Zeichen für «feste Burg». Schloss Vaduz zeugt auf diesem minuziösen Landschaftsinventar, das aus der Vogelschau alle Burgen, Dörfer, Felder, Wälder und weitere Einzelheiten in den Herrschaften präsentiert, von seiner wichtigen politischen Funktion als Herrschaftssitz unter den Sulzern. Aus diesem Bild spricht das Bedürfnis des regierenden Hauses nach repräsentativer Abbildung seiner Besitzungen. Ebenfalls aufgrund seiner politischen Bedeutung, diesmal allerdings nicht mehr als Mittelpunkt der Herrschaft, sondern als persönliches Attribut des Herrschers selbst, findet Schloss Vaduz nun auf dem Porträt des Grafen Franz Wilhelm I. von Hohenems-Vaduz (Abb. 1) seinen Platz zugewiesen. Auf dem Hohenemser Gemälde ist die südliche Schauseite (Abb. 3) im Sinne eines markanten und aussagekräftigen Profils dargestellt: Zum ersten Mal haben wir - im Unterschied zu der oben erwähnten zeichenhaften Darstellung von 1600 - ein Porträt der Burg mit Realitätsgehalt vor uns: Vor einer dramatischen Wolkenkulisse erscheinen die von links nach rechts hochgestaffelten Gebäudeteile hell erleuchtet und kumulieren im rot aufragenden Bergfried. Gerade noch erahnen lässt sich am linken Bildrand das im Schatten liegende Wachhaus über dem Schlosstor zum talseitigen Westzwinger. Anschliessend erhebt sich der südwestliche Saalbau (Palas) mit einer stark beleuchteten linken Gebäudekante über mehrere Geschosse. 29 30 EIN BLICK AUS DEM FENSTER ELISABETH CASTELLANI ZAHIR Er ist in den oberen beiden Stockwerken mit repräsentativen, versprossten Rundbogenfenstern versehen, insgesamt vier, und wird von einer nicht überdachten Plattform mit Zinnenkranz abgeschlossen, auf deren hinterem Teil sich im Schatten rechts ein kleiner dunkler Turm erhebt. Hinter den beiden oberen besonders grossen Fenstern unter den Zinnen des Saalbaues befindet sich spätestens seit Sulzerzeiten der repräsentative Festraum von Schloss Vaduz, der sogenannte Schöne Saal. Der anschliessende und um ein Geschoss höhergeführte Kapellenbau zeigt keine Zinnen, sein Dachabschluss bleibt im Vagen. Dieser Teil ist zu Beginn des 17. Jahrhunderts von den Hohenemsern über dort tatsächlich vorhanden gewesenen Zinnen im Rahmen des Burgausbaues als Garnison für Soldatenkammern um ein Geschoss aufgestockt worden, war also relativ neu. Das bereits erwähnte grosse Rundbogenfenster auf der Höhe des Schönen Saals - es ist zu sehen auf der Fotografie von 1880 (wie übrigens auch das rechts darüberliegende Rechteckfenster) - sind Zeugen des Sulzischen Umbaus zur Renaissanceresidenz im 16. Jahrhundert. Den Abschluss der Gebäudegruppe zum rechten Bildrand hin bildet das Südrondell, ebenfalls aus Sulzerzeiten, mit seinen massigen Wehrgeschossen und der darüberliegenden dünnwandigen originalen Wohnetage mit vielen rechteckigen Fensteröffnungen. Die Rundbastion wird überhöht durch den Bergfried, über dessen im Schatten liegenden Zinnenkranz ein rotes Zeltdach die Burganlage wie eine Fürstenkrone schmückt. Im Vordergrund sind die Umfassungsmauern einer grosszügigen Gartenanlage zu sehen, die wahrscheinlich unter Franz Wilhelm I. entstanden ist, vielleicht aber auch schon von seinem Onkel Franz Maria angelegt wurde. Auffallend sind die roten Ziegel-Bedachungen von Gartenmauern, Nebengebäuden und Bergfried. Bis auf das grobe Quaderwerk des Wehrniveaus vom Südrondell sind die restlichen Gebäudeteile nicht steinsichtig gemalt, sondern erscheinen in einem einheitlichen, schmutzweisslichen Farbauftrag, was auf Verputz schliessen lässt. 31 32 Der im Gemälde dargestellte Bauzustand entspricht - nach heutiger Kenntnis - der Bauge- schichte von Schloss Vaduz, so wie es sich nach dem Ausbau unter den Sulzern im 16. Jahrhundert und nach den Eingriffen unter Graf Kaspar von Hohenems (1573-1640), der 1613 Burg und Herrschaft (Reichsgrafschaft Vaduz und Herrschaft Schellenberg) von den Sulzern erwarb, als frühneuzeitliche Residenz und Garnison in vorliechtensteiner Zeiten darstellte. Es ist ein Gemisch von mittelalterlichen Wehrbaurelikten, von denen der bezinnte turmartige Saalbau und der Bergfried zeugen, frühneuzeitlichen Verteidigungsanlagen für Artillerie wie das Südrondell und barockem Komfort für das aristokratische Repräsentationsbedürfnis. Letzteres belegen die grossen Sprossenfenster 33 34 35 22) Castellani 1993 I, S. 101-116 (Forschungen, Grabungen und Dokumentation 1904) sowie Castellani II. S. 198-205 (Die Problematik der modernen G r u n d s ä t z e am Beispiel von Vaduz). 23) Castellani 1993 I, S. 101. A n m . 2. 24) Auch in Vaduz datiert die älteste bekannte Bildquelle aus der Zeit um 1600 (Castellani 1993 I. S. 318 und A b b . 375). 25) Georg Dehio: Was wird aus dem Heidelberger Schloss werden? In: Georg Dehio, Alois Riegl (Hrsg.): Konservieren, nicht restaurieren. Streitschriften zur Denkmalpflege um 1900. Braunschweig,Wiesbaden, 1988, S. 39 [=Dehio 1901]. 26) Dehio 1901, S. 37. 27) Die Prinzipien der modernen Denkmalpflege, wie sie die Jahrhundertwende unter Georg Dehio und Alois Riegl als den herausragendsten Exponenten mit dem Schlachtruf «Konservieren, nicht r e s t a u r i e r e n » intellektuell vorgedacht hatte, wurden 1964 in der «Charta von Venedig» international sanktioniert und i m Europäischen Jahr f ü r Denkmalpflege 1975 p o p u l ä r gemacht. Siehe Deutsches Nationalkomitee f ü r Denkmalschutz (Hrsg.): Texte zum Denkmalschutz und zur Denkmalpflege. Bonn, 1993, Dokument 8. 28) Vgl. hierzu: Deutsches Zentrum f ü r Handwerk und Denkmalpflege, Propstei Johannesberg (Hrsg.): Johannesberger Texte 3. Fulda, 1995. 29) Castellani 1993 I, S. 319, A n m . 4. 30) Kopie nach einer Federzeichnung von Hanno von Halem. Castellani 1993 I, A b b . 375. 31) Zum Schönen Saal siehe Castellani 1993 I, S. 33 f. 32) Zur Gartenanlage siehe Castellani 1993 I, S. 46. 33) Castellani 1993 I. S. 3 5 - 4 2 . 34) Ebenda, S. 4 3 - 4 6 . 35) Rekonstruierter Schlossgrundriss der Residenz i m 17. Jahrhundert mit Gartenanlage bei: Castellani 1993 I, Abb. 38. 133 und der Lustgarten vor der eigentlichen Burganlage, bezeichnenderweise prominent im Bild Vordergrund inszeniert und höchst wahrscheinlich die Baumassnahme des neuen Besitzers Franz Wilhelm I. von Hohenems-Vaduz. Franz Wilhelm musste die Bildidee der Kombination von eigenem Konterfei und der seines Besitzes nicht erfinden, sondern es nur seinem Grossvater nachtun. Dieser, Graf Kaspar von Hohenems, hatte sich 1617, vier Jahre nachdem auch Schloss Vaduz ihm gehörte, von Lukas Kilian (1537-1637) zusammen mit seinen Stammschlössern in Kupfer stechen lassen: Auf dem Porträtmedaillon (Abb. 11) mit seinem Brustbild sind, neben Wappen und Grafenkrone am rechten Bildrand, auf der linken Seite oben als Felsenburg Alt-Ems und unten der durch Kaspar fertiggestellte neue gräfliche Renaissancepalast Hohenems dargestellt - letzterer war übrigens ehemals mit einer grosszügigen Gartenanlage versehen gewesen, die das ideelle Vorbild für Vaduz abgegeben haben dürfte. Auf Kaspars Porträtmedaillon ist Schloss Vaduz noch nicht mit dabei, bei seinem jüngeren Enkel dann rückte es selbstverständlich in den Mittelpunkt, da es die einzige Burg war, die Franz Wilhelm I. nach Teilung des Hohenemsischen Besitzes ganz allein gehörte. Eine lateinische Inschrift am unteren Bildrand preist die Vorzüge des Grossvaterhelden: «Glücklicher Graf, den so viele [siegreiche] Kämpfe der Vorfahren und so gewichtige [heilige] Tempelbezirke der deinen ehren, Du, ihre vorzügliche Zierde, der Du Deinen Völkern an den lieblichen Ufern des Rheines als ein die Gerechtigkeit und Billigkeit überaus hochschätzender Landesherr [kräftigen] Rechtsschutz gewährst.» 36 L„« KiU. E X O H N Ä N X F A N I g V D Q , P O N Ü E E A TANTA TVOB.VM . T V DECTS C M N E T V T S , I I H E N V M B V M P R O P T E R A M C E N V M PER P O P V X O S DAS I V R A , OBSERVANTISSIMT-S _£.gVT. Abb. 11: Graf Kaspar von Hohenems im Alter von 44 Jahren auf einem Stich von Lukas Kilian, datiert 1617. Links oben der Stammsitz Alt-Ems, links unten der neue Palast in Hohenems 37 38 F R A N Z W I L H E L M I. V O N H O H E N E M S - V A D U Z . . . Wer war denn nun unser Held, der Enkel Kaspars? Franz Wilhelm (L), des Grafen Jakob Hannibal II. (1595-1646) und der Fürstin Franciska Katharina von Hohenzollern-Hechingen (geb. 1598, vermählt 1620) zu Beginn des Jahres 1628 zweitgeborener Sohn (von insgesamt fünf Kindern), war der Stifter 39 134 EIN BLICK AUS DEM FENSTER ELISABETH CASTELLANI ZAHIR der jüngeren oder Vaduzer Linie des reichsgräflichen Hauses von und zu Hohenems. Als Heranwachsender stand er - zusammen mit seinem älteren Bruder Karl Friedrich (1622-1675) und seinem Onkel Franz Leopold, genannt Franziskus, (1620-1642) - unter den Fittichen seines Grossvaters Graf Kaspar von Hohenems. In Innsbruck sowie in Mailand erhielt er eine sorgfältige, einem jungen Adeligen angemessene Ausbildung. Franz Wilhelm war ein durchschnittlicher Schüler, erledigte brav, was von ihm verlangt wurde und tat sich weder positiv noch negativ hervor. Im Jahre 1646, nach dem Tod des Vaters, erhielt er als achtzehnjähriger Jüngling die Grafschaft Vaduz zu eigen, die vorher sein kinderloser und vier Jahre zuvor verstorbener Onkel Franz Maria (1608 bis 1642), zwölftes und letztes Kind seines Grossvaters Kaspar aus erster Ehe, besessen hatte. Der Onkel hatte noch in seinem Todesjahr am 9. Februar 1642 seine Hochzeit mit Susanna Hedwig Freiin von Raming auf Schloss Vaduz gefeiert. Der Neffe folgte ihm nach und feierte 1649 ebenfalls, auf Schloss Vaduz, seiner neuen Besitzung, die eigene prunkvolle Hochzeit mit der um einige Jahre älteren Eleonora Katharina Landgräfin von Fürstenberg (1620-1670), mit der er am 14. Februar in der Schlosskapelle von Stühlingen die Ehe geschlossen hatte. Der Bräutigam war 21-jährig, die Braut hingegen bereits 29 Jahre alt. 40 41 42 leben im Jahre 1759 erlosch das Geschlecht der Reichsgrafen von Hohenems im Mannesstamm. ... UND E L E O N O R A V O N H O H E N E M S VADUZ - FÜRSTENRERG Unser Hohenemser Gemälde steht nicht alleine. Es ist Teil eines Ehepaarporträts und hat sein Pendant im Konterfei seiner Gemahlin Eleonora Katharina von Hohenems-Fürstenberg (Abb. 2). Eleonora Katharina war die Tochter des 1631 zu Wien verstorbenen Grafen Wladislaw I. von Fürstenberg, Reichshofratspräsident, und seiner dritten Gemahlin Lavinia von Gonzaga-Novellara. In der Ehe von Eleonora Katharina und Franz Wilhelm wur48 43 44 45 Franz Wilhelm I. starb schon 34-jährig am 19. September (und nicht am 10. Dezember, wie im Bild angegeben) 1662 zu Chur und ruht in der Familiengruft zu Hohenems. Eleonora Katharina erreichte ein respektables Alter von 50 Jahren und verschied am 18. Februar 1670 an den Folgen einer schmerzhaften Wassersucht. Unter den Kindern des Ehepaars heiratete der Jüngste, Franz Wilhelm II. (1654-1691), die Prinzessin Louise Josefa von Liechtenstein (1670-1736); so wurden das Gräfliche Haus Hohenems und das Fürstliche LIaus Liechtenstein noch gegen Jahrhundertende verschwägert. Nach seinem Tod gebar die junge Liechtensteinerin einen Sohn, Franz Wilhelm III. (1692-1759); er wurde k.u.k. Generalmajor und Festungskommandant von Graz. Mit dessen Ab46 47 36) Andreas Ulmer: Die Burgen und Edelsitze Vorarlbergs und Liechtensteins historisch und topographisch beschrieben. Dornbirn, 1925 (Nachdruck Dornbirn. 1978), A b b . S. 225. 37) Fischbach 1994, S. 313. - Ludwig Welti: Graf Kaspar von Hohenems 1573-1640. Innsbruck, 1963 [=Welti 1963], Farbtafel I (Die Hohenemser Kulturlandschaft um 1613). 38) Welti 1963, S. 4.34 f. - Der Kupferstich befindet sich in der Graphischen Sammlung von Schloss Vaduz. 39) In den meisten Biografien w i r d 1627 als Geburtsjahr angegeben. Franz Wilhelm I. ist aber w ä h r e n d eines Hoflagers in Enisheim (Elsass) kurz vor dem 9. Januar 1628 geboren. Welti 1963, S. 262 f. 40) Ein Kinderbildnis von Franziskus befindet sich im Liechtensteiner Landesmuseum (Norbert Hasler: Kinderbildnisse der Hohenemser Grafen Franziskus (1620-1642) und Franz Karl Anton (1650-1713) aus den Sammlungen des regierenden F ü r s t e n von Liechtenstein i m Landesmuseum, In: J B L 83 (1983), S. 215-218). 41) Welti 1963, S. 3 4 6 - 3 6 1 . 42) Der Bruder Karl Friedrich behielt als Ältester die hohenemsischen Stammlande. Nach dem Tode Franz Wilhelms I. 1662 übernahm der ältere Bruder K a r l Friedrich die vormundschaftliche Regierung in Vaduz bis zu seinem Tode 1675 (Welti 1930, S. 121, 145). 43) Wiesor 1920, S. 64, A n m . 9. Wieser verwechselt in seinem Bericht einen Grafen « F r a n z Markus» (?) mit Graf Franz Maria. 44) Welti 1963, S. 329. 45) Bergmann 1861, S. 61 f. 46) Ebenda, S. 62. 47) Welti 1930, S. 152. 48) Welti 1963, S. 264, A n m . 2. 135 den in den vier Jahren zwischen 1650 und 1654 fünf Kinder geboren, zwei Töchter und drei Söhne, die alle das Erwachsenenalter erreichten - eine physich erstaunliche, aber zeittypische Leistung für adelige Frauen. In der Ausstellung im Palast in Hohenems wurden 1993 beide Bilder gezeigt und hingen nebeneinander. Sie stehen als Doppelbildnis in der Hohenemser Ahnengalerie nicht vereinzelt d a und werden in der älteren Literatur über die Porträtgalerie in Bistrau auch gemeinsam erwähnt. Auf dem bereits vorgestellten Gemälde steht, wie wir gesehen haben, Franz Wilhelm L, 34-jährig, lebensgross vor der Betrachterin und dem Betrachter. Der junge Graf ist barhäuptig, mit braunen, natürlich herabfallenden Haaren und gekleidet in der vornehmen, kostbaren Aufmachung der höfischen Tracht des absolutistischen Zeitalters.- Der schwarze, knielange, mit Silberborten besetzte Rock mit bauschigen Ärmeln, das hellblaue Seidenhemd mit gefältelten Manschetten, der feingewirkte, fast durchsichtige Kragen vermitteln einen Eindruck von Reichtum und Wohlhabenheit. Den Degen links am breiten Bandeliere und in hohen, mit weissem Leder besetzten Stulpenstiefeln steht er vor uns - mit einem nach innen gekehrten Blick, der allerdings nicht so recht zu der protzigen Haltung passen will. Stellen wir das zugehörige weibliche Gegenstück daneben (Abb. 2), wird die leichte Linksdrehung verständlicher, denn er kehrt sich seiner Gattin zu, die, ebenfalls lebensgross und frontal stehend, sich ihrerseits ihm in leichter Körperdrehung zuwendet und ihrem Gatten eine Rose - Zeichen der Liebe zustreckt. In der Linken, mit der sie sich auf einem Tisch leicht abstützt, hält sie einen geschlossenen Fächer. Die Inschrift oben links verrät Identität, gesellschaftliche Stellung und Herkunft: «ELEONORA CATHARINA COMITISSA IN ALTA EMBS. NATA COMTISSA A FÜRSTENBERG» [Eleonora Katharina Gräfin in Hohenems. Geborene Gräfin zu Fürstenberg]. Sie ist als etwas füllige Dame mittleren Alters - sie war zu dem Zeitpunkt 42 Jahre alt und hatte mindestens fünf Geburten hinter sich dargestellt, mit vollem Gesicht und - analog zu 49 50 51 136 ihrem Gatten - offenen, natürlich herabfallenden Haaren. Gekleidet in einem kostbaren, bodenlangen schwarzen Samtgewand mit weissen und geschlitzten Ärmeln und offenem Halsausschnitt entspricht Eleonoras vornehme Kleidung nicht nur ihrem sozialen Stand, sondern auch auch dem neuen Modeideal, das im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts den Frauen erlaubte, das steife Mieder abzulegen und ein erweitertes, von transparenten Spitzenborten bedecktes, Dekollete zu zeigen. Der Bildaufbau auf dem Porträt Eleonora Katharinas entspricht demjenigen ihres Gatten: eine lebensgrosse, bildfüllende Figur, Inschrift und Hohenemser Wappen; es fehlen Jahreszahl mit Todesdatum (die Dame lebte ja noch, als das Bild in Auftrag gegeben bzw. gemalt wurde) und die A n gabe von Land- oder Immobilienbesitz, wie Schloss Vaduz auf dem Bild ihres Mannes oder die Hohenemser Paläste auf dem Porträt des Grafen Kaspar von Hohenems. Was Eva Kuby für die holländische Malerei herausfand, trifft ebenfalls auf unser Hohenemser Doppelbildnis zu: «Besonders augenfällig sind die Posen bei der immer wieder gleichen Rechts-LinksZuordnung der Ehepaarpendants. Die Ehepartner, die den Betrachter anblicken, sind auf getrennten Tafeln einander zugewandt dargestellt, die Frau rechts, der Mann links. Das von links einfallende Licht modelliert dem Herrn ein markantes, plastisches Gesicht, der Ehefrau ein flaches Gesicht. Haltung und Lichtgestaltung dienten dazu, die Zusammengehörigkeit der beiden Porträtierten zu unterstreichen. Die Lichtführung wies der Frau klischeehaft - die Rolle eines zurückhaltenden Wesens z u . » Im katholischen Adel am Hochrhein war das nicht anders als bei den bürgerlichen Protestanten Hollands. Ein Vergleich der beiden Konterfeis mit anderen Bildnissen aus der Hohenemser Porträtgalerie macht deutlich, dass sie in einer sehr normierten Bildtradion standen, in welcher einzelne Elemente wie Familienwappen und Inschrift ständig auftauchten oder wie zum Beispiel der Tisch am linken Bildrand, auf dem die Rechte der dargestellten Person Halt finden kann, zumindest häufig anzutreffen waren. 52 53 54 EIN BLICK AUS DEM FENSTER ELISABETH CASTELLANI ZAHIR SCHWEDEN, SCHULDEN UND SCHÖNER SCHEIN Franz Wilhelm wurde hineingeboren in die verrohten Zeiten des Dreissigjährigen Krieges, in denen die heimatlichen Stammlande in Vorarlberg sowie seine späteren Herrschaften in Vaduz und Schellenberg von Schwedengefahr, Truppenaufmärschen, Hungersnöten, Pest und Hexenwahn ständig heimgesucht wurden. Dazu von seinem verschwenderischen Vater als junger Mann bereits mit hohen Schulden belastet, trieb Franz Wilhelm I. von Hohenems-Vaduz selber bei beschränkten Einkünften einen grossen Aufwand und ruinierte sich finanziell unter anderem mit dubiosen Kriegsspielen für den spanischen König. Er führte als absolutistischer Fürst einen zwar zeitgemässen, aber für seine ökonomischen Verhältnisse zu kostspieligen Haushalt; die luxuriöse Bekleidung auf den Porträts der Ehegatten will den schönen Schein zumindest nach aussen hin wahren. Der Hohenemser Graf der Vaduzer Linie blieb damit allerdings der Familientradition treu und erhöhte standesgemäss die Schuldenlast. Inwieweit Franz Wilhelm die von seinem Grossvater Kaspar seit den 1725er Jahren forcierte Idee eines emsischen Fürstentums mit dem Ziel einer geeinten Herrschaft auf der ganzen Rheinstrecke zwischen Bodensee und Luziensteig auf Kosten des Hauses Österreich noch aktiv verfolgte, kann an dieser Stelle nur aufgeworfen, aber nicht beantwortet werden. Die Vorstellung eines emsischen Territorialstaates zwischen der Schweiz und Österreich dürfte auch unter wirtschaftlichen Erwägungen für Franz Wilhelm von Interesse gewesen sein. Aber dazu kam es nicht mehr. Im Gegenteil, die Hohenemser Misswirtschaft und Unbeliebtheit der Grafenfamilie in der Bevölkerung nahm Überhand, und unter seinem ältesten Sohn Ferdinand Karl (1650-1693) wurde den Llohenemsern durch kaiserliche Verfügung die Regierung in der Grafschaft Vaduz und Herrschaft Schellenberg entzogen und der Boden für den Übergang an das Haus Liechtenstein vorbereitet - mit dem man nun immerhin verwandt war. 55 56 57 F E R N S E H E N IN DIE V E R G A N G E N H E I T Mit diesem Beitrag haben wir versucht, die Möglichkeiten und Grenzen des historischen Blicks auf den verschiedensten Ebenen auszuloten. In dem 1906 und dann wieder 1993 in Vaduz bekannt gewordenen Gemälde aus dem 17. Jahrhundert mit der ganzfigurigen Darstellung von Franz Wilhelm I. von Hohenems liegt die älteste und für lange Zeit einzige (!) wirklichkeitsgetreue Darstellung von Schloss Vaduz vor. In der Annahme, dass das Bild - wie auch sein Pendant mit der Frau Gemahlin kurz vor oder nach dem auf dem Bild befindlichen Datum 1662 gemalt sein dürfte, wobei die Abklärung einer eventuellen Kopie noch der vertieften kunstwissenschaftlichen Forschung bedarf, haben wir den Bauzustand aus späthohenemsischen Zei58 49) Stammtafel nach Bergmann bei Schaffer 1881. - Siehe Elisabeth Castellani Zahir: «... Ich und meine Tochter Elisabeth». Gräfin Kinsky-Wilczek (1859-1938). In: Inventur. Zur Situation der Frauen in Liechtenstein. Bern, Dortmund, 1994, S. 162. 50) Z. B. Jakob Hannibal I. und Hortensia Borromea von Hohenems (1578), die in der Hohenemser Ausstellung 1993 zu sehen waren (Abb. Faltprospekt 1993); das junge Ehepaar Kaspar und Eleonora Philippina (1597) (Abb. Welti 1963, Tafel 1); Jakob Hannibal II. und Anna Sidonia von Teschen (1617) (Abb. Welti 1963, Tafel 20). 51) Die beiden D o p p e l p o r t r ä t s aufgetrennten Tafeln, zwei Brustbilder und zwei ganzfigurige Bilder von Franz Wilhelm I. und Eleonora Katharina von Hohenems-Vaduz, sind a u f g e f ü h r t bei Bergmann 1861 (Nr. 27, 28, 30 u. 31 ), Schaffer 1881 (Nr. 21, 62, 77 u. 78 [das Brustbild Eleonores ist mit 1663 datiert]). - Welti 1930 bildet das ganzfigurige E h e p a a r p o r t r ä t auf den Tafeln 26 und 27 ab. 52) Kuby 1995, S. 18, siehe dort Abb. 5. 53) Ebenda, S. 14 f. 54) So bei den Ganzfigurenbildern von Jakob Hannibal I. (1578). Kardinal Markus Sittich III. (1595) und Kaspar von Hohenems (1614). die in der Hohenemser Ausstellung 1993 zu sehen waren (Abb. Faltprospekt 1993). 55) Welti 1930, S. 118. 56) Ebenda, S. 106 - 115. 57) Castellani 1993 L S. 44 - 47. 58) Die zu Beginn der Liechtensteiner Herrschaft. 1721 angefertigten Heber-Ansichten stellen den vorhandenen und projektierten Architekturbestand von Schloss Vaduz zwar sehr detailreich vor. sind aber kein wirklichkeitsgetreues Abbild der Burganlage. Siehe Castellani 1993 I. S. 47-52 (mit Abb.) und S. 318 f. 137 ten vor uns, der ein authentisches Bild der Südseite (Abb. 3) zeigt und damit die wichtigsten Gebäude des nachmittelalterlichen Vaduzer Burgkomplexes wiedergibt: Burgtor zum Westzwinger, Saalbau, Südrondell und Bergfried sowie Gartenanlage. Die Bildquelle ist als Ergänzung zu zeitgenössischen Schriftquellen für die Bauforschung von unschätzbarem Wert. Sie ist als Begründung für mögliche Rekonstruktionen, wie es die Zeit der Jahrhundertwende, auch damals schon vergeblich, versuchte, jedoch untauglich. Das in der Würde der ganzfigurigen Darstellung gehaltene Herrscherbildnis von Franz Wilhelm I. von Hohenems-Vaduz (Abb. 1) - seinerseits nur die linke Hälfte des zusammengehörigen Ehepaarporträts mit Eleonora-Katharina von Hohenems-Fürstenberg (Abb. 2) - konnte in seinen formalen und inhaltlichen Strukturen als Herrschaftslegitimation für die Vaduzer Linie der Hohenemser Reichsgrafen entschlüsselt werden. Dass dies zu einer Zeit stattfand, in der sich das Haus Hohenems im finanziellen wie politischen Niedergang befand, ist tragisches Schicksal des dargestellten gerade 34-jährigen Grafen. Sein nach innen gekehrter Blick ist vielleicht das Ehrlichste auf dem Bildnis aristokratischer Repräsentation. Abb. 12: Südansicht von Schloss Vaduz auf einer Fotografie von 1909 138 EIN BLICK AUS DEM FENSTER ELISABETH CASTELLANI ZAHIR BILDNACHWEIS Abb. 1,2,3: Mestke muzeum a galerie, Policka (Tschechien) Abb. 6, 7, 8: Nachlass Alois Gstrein, Archiv Denkmalpflege Bozen (Südtirol). ANSCHRIFT DER A U T O R I N Dr. Elisabeth Castellani Zahir Holbeinstrasse 77 A CH-4051 Basel Abb. 4, 9, 10, 11, 12: Hausarchiv der Regierenden Fürsten von Liechtenstein, Vaduz Abb. 5: Familienarchiv Rheinberger, Vaduz. 139