Automobilindustrie in Ungarn
Transcrição
Automobilindustrie in Ungarn
AUTOMOBILINDUSTRIE AUTOMOBILINDUSTRIE Automobilindustrie in Ungarn Foto: Daimler Selbst wenn man multiple Agenturmeldungen – von der Ankündigung der Investitionsentscheidung über die Grundsteinlegung, das Richtfest bis zum Produktionsstart – auf die tatsächliche Zahl der Investitionsvorhaben reduziert, gibt es eine große Zahl von Belegen dafür, dass Ungarn für den internationalen Fahrzeugbau zu einem wichtigen Standort geworden ist. Umgekehrt profitiert Ungarn selbst massiv von diesen Investitionen. Von Dirk Wölfer In Ungarns Automobilsektor sind gut 700 Unternehmen tätig, das sind nicht einmal zwei Prozent aller Firmen im verarbeitenden Gewerbe, die Zahl der Mitarbeiter macht hingegen mit gut 72.000 schon rund 12% des verarbeitenden Gewerbes aus. Damit ist die Automobilindustrie ein unverzichtbarer Pfeiler der ungarischen Wirtschaft, der zudem produktiver ist als andere Branchen. Mit 12% der Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe erbringt die Branche über 16% des Umsatzes und mehr als 17% der Wertschöpfung. Diese höhere Produktivität widerspiegelt sich auch in den Einkommen der Beschäftigten: die durchschnittlichen Bruttolöhne in der Branche lagen 2012 um fast 20% über dem Durchschnitt des verarbeitenden Gewerbes. Ein Merkmal des Fahrzeugbaus in Ungarn ist, dass er sehr stark von ausländischen Unternehmen geprägt ist. Sie beschäftigen über 80% der Mitarbeiter und erbringen mehr als 90% des Umsatzes und der Bruttowertschöpfung der Autobranche in Ungarn. Ungarische Autohersteller in Zahlen Hersteller Produktionsbeginn Mitarbeiter Motorenproduktion (Stück) – 600.000 1992 1000 Suzuki 1992 3.100 180.000* Audi 1994 8.663 33.553 Mercedes-Benz 2012 3000 100.000** Quelle: Firmenangaben – 1.915.567 ** Stand Juli 2013. Alle anderen Angaben für 2012 – Zur Jahrhundertwende konstruierte der Budapester Ingenieur István Csonka für die ungarische Post ein Briefsammel-Auto – zwei Exemplare des dreirädrigen Gefährts wurden von der Firma Ganz produziert und im November 1900 in Dienst gestellt. Dies gilt heute als Geburtsstunde des ungarischen Automobilbaus. Vor dem ersten Weltkrieg wurden im Land zehn Automarken gefertigt, in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts gab es bereits fünf Autohersteller. Einige produzierten ausländische Fabrikate in Lizenz, aber es gab auch eigene Entwicklungen – das 1924 vorgestellte „Magomobil“ (abgeleitet vom Hersteller MÁG) wurde selbst nach Japan und Indien exportiert, es gab sogar ein „Magosupersix“ mit einem Sechs-Zylinder-Motor. Die technische Kreativität ungarischer Ingenieure war weltweit anerkannt. Der Ungar József Galamb war maßgeblich an der Entwicklung des legendären T-Modells und an der Einführung der Fließbandproduktion bei Ford in den Vereinigten Staaten beteiligt. Infolge der Produktionsabsprachen im sozialistischen Wirtschaftsblock „RGW“ wurde Ungarn in den 70er und 80er Jahren zum größten Busproduzenten Europas. Bis zu 12.000 Busse der Marke „Ikarus“ wurden jährlich in die „Bruderländer“ geliefert – im Tausch bezog Ungarn seine PKWs bis zur Wende komplett aus dem Ausland. 4 Ungarns größte Fahrzeugbauer Vier große Automobil- und Motorenwerke, sowie die ihnen zuliefernden Unternehmen mit in- und ausländischer Beteiligung prägen die Automobilwirtschaft Ungarns. Gyôr: Audi Anfang Juni begann in Gyôr, in dem mit einer Investition von 900 Millionen Euro errichteten neuen Automobilwerk die Produktion des viertürigen Modells des Audi A3. Das ist das erste Modell, dessen komplette Fertigung im Gyôr stattfindet. Im Werk werden neben den 9.600 Arbeitsplätzen längerfristig weitere 2.100 entstehen. Außerdem bietet Audi durch die Zulieferer Arbeit für weitere 15.000 Menschen in Ungarn. 110 Jahre automobile Tradition Fahrzeugproduktion (Stück) General Motors (Opel) * geplante Kapazität 2013 Rund die Hälfte des Produktionswertes der Fahrzeugindustrie entfällt auf die PKW-Produktion, die andere Hälfte auf die Herstellung von Bauteilen und Komponenten, von Motoren über Kabelbäume und Bremsen bis zu elektronischen Bauteilen. Die Zulieferer produzieren aber bei weitem nicht nur für die im Land ansässigen Fahrzeughersteller (derzeit Audi, Mercedes, Opel und Suzuki), sondern überwiegend für den Export. Die ungarischen Produktionsstandorte sind dabei häufig von strategischer Bedeutung, d.h. sie liefern einen beträchtlichen Teil des Gesamtbedarfs der jeweiligen Firmengruppe an den betreffenden Bauteilen und Komponenten. Während in der Industrie insgesamt ca. 58% der produzierten Güter ins Ausland geliefert werden, sind es im Fahrzeugbau 93% (2011). Zum Vergleich: Die ungarische pharmazeutische Industrie liefert „nur“ 82% der Medikamente ins Ausland, die Lebensmittelindustrie 33%. Die Ausfuhren der Branche übersteigen ihre Einfuhren deutlich. 2012 exportierte Ungarns Fahrzeugindustrie Güter im Wert von 14,2 Mrd. Euro, 02 | 2013 Wirtschaft in Ungarn Spezial Bei der Audi Hungaria, die in diesem Jahr ihr 20-jähriges Jubiläum feiert, wurden 2012 insgesamt 1,9 Millionen Motoren und mehr als 33.000 Fahrzeuge produziert. Im vergangenen Jahr wurde mit der Produktion von elf neuen Motorvarianten begonnnen und darüber hinaus wurde auch der zweimillionste Sechszylinder-Dieselmotor und der fünfhunderttausendste Achtzylindermotor produziert. Die Entwicklungstätigkeit wurde, neben dem seit 10 Jahren arbeitenden Motorenentwicklungszentrum, durch eine Gesamtfahrzeugentwicklung erweitert. Kecskemét: Mercedes Im Mai begann die Fertigung des zweiten Modells (der CLA), im Werk Kecskemét von Mercedes-Benz. Daimler produziert dieses Modell vorerst ausschließlich an diesem Standort. Bei der Werkseröffnung Ende März 2012 begann die Produktion mit der das entsprach 18% des ungarischen Gesamtexports. Zugleich lagen die Einfuhren bei 6,3 Mrd. (9% des Gesamtimports), so dass die Branche einen Ausfuhrüberschuss von 7,9 Mrd. Euro erwirtschaftete. Alle anderen Wirtschaftszweige zusammen produzierten ein Defizit von rund einer Milliarde Euro. (Anmerkung des Autors: Diese Angaben basieren auf sämtlichen Ausfuhren der zur Automobilbranche gehörenden Firmen, sie enthalten also auch Exporte, die nichts mit Fahrzeugen zu tun haben). Größter Partner für den ungarischen Fahrzeugbau ist in nahezu jeder Hinsicht Deutschland. Wirtschaft in Ungarn Spezial 02 | 2013 B-Klasse, und bis heute wurden über hunderttausend Fahrzeuge hier produziert. Ende Juli rollte der hunderttausendste MercedesBenz made in Kecskemét vom Band. Beim attraktivsten Arbeitgeber der Region arbeiten mehr als dreitausend Mitarbeiter. Das Unternehmen arbeitet mit 25 ungarischen Zulieferern, von denen sechs vom eigenen Standort des Mercedes-Werkes kommen. Zwei Unternehmen sind aus der Region Kecskemét und weitere 17 Unternehmen aus anderen Landesteilen. Szentgotthárd: Opel Anfang Juli wurde angekündigt, dass Opel weitere 60 Millionen Euro in den Kapazitätsausbau seines ungarischen Motorenwerks in Szentgotthárd investieren wird. Mit diesem Schritt wird die Jahreskapazität des Werkes um zusätzliche 70.000 Tausend Motoren steigen, es werden über 100 neue Arbeitsplätze geschaffen, und dadurch wird das Werk Szentgotthárd ab 2015 eine Million Motoren im Jahr produzieren können. Esztergom: Suzuki Jedes vierte Zulieferunternehmen des ungarischen Werkes von Suzuki ist ein Unternehmen in ungarischer Hand. Im Werk selbst werden 3.100 Mitarbeiter beschäftigt und bieten über 330 bis 340 heimische Teilezulieferer Arbeit für insgesamt 20.000 bis 30.000 Menschen in Ungarn. Anfang September wurde mit der Produktion des neuen Modells SX4 S-Cross begonnen; es soll in einer Stückzahl von hunderttausend Stück produziert werden. 2013 werden voraussichtlich insgesamt 180.000 Fahrzeuge in der Stadt an der Donau produziert. Rund 42% aller Ausfuhren der Branche gehen nach Deutschland, beim Import sind es sogar 47%, allein gegenüber Deutschland erwirtschaftete Ungarn in der Branche einen Überschuss von drei Milliarden Euro. Auch bei den Direktinvestitionen im Fahrzeugbau liegen deutsche Firmen ganz vorn. Ungarns Wirtschaft ist auch im internationalen Vergleich stark von der Automobilindustrie geprägt. Fast vier Prozent der Bruttowertschöpfung kommt aus dem Fahrzeugbau – damit ist Ungarn sogar etwas mehr ❙ „Autonation“ als Deutschland. 5