Reader Kinderarmut

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Reader Kinderarmut
ARMUT, ARBEITSLOSIGKEIT UND WOHNUNGSLOSIGKEIT WISE 2010/11
Reader
Lernissage „Kinderarmut“
Inhaltsverzeichnis
Daten, Zahlen, Fakten
Christina Prahl
Ursachen
Anikó Halla / Dorothee Helmstädt
Folgen
Daniel Kwon
Gesundheitliche Folgen
Sema Celik / Meral Kartal
Bildungsarmut
Beate Rintel
Armut aus Kindersicht
Isabelle Rodesch / Klara Domröse
„Zugabe“ (Prüfungsleistung/Poster aus 2009)
Kinderarmut und Soziale Arbeit
Mandy Cierpinski / Heike Gäbler
Christina Prahl
Daten, Zahlen, Fakten
Modul Theorie und Praxis Vertiefung: Armut, Arbeitslosigkeit und Wohnungslosigkeit
Christina Prahl ASH Dezember 2010
Daten, Zahlen, Fakten zu Kinderarmut in Deutschland
Definition relative Armut
Es
gilt
als
arm,
wer
mit
seinem
Einkommen
unter
unter
60%
des
Nettoäquivalenzeinkommen liegt. Das Nettoäquivalenzeinkommen stellt den Mittelwert
aller Einkommen eines Landes dar. Nach dieser Definition bezieht sich Armut
ausschließlich auf die materielle Ebene.
1997
2001
2005
2006
2008
Monatliches
Äquivalenzeinkommen in Euro
1.195
1.316
1.409
1.437
1.548
Armutsgrenze 60%
in Euro
717
790
845
862
929
Armutsquote in %
11,0
11,4
12,8
13,9
15,5
Quelle: Statistisches Bundesamt 2008 und 2010, eigene Darstellung
Lesehilfe: 2008 lag das durchschnittliche Äquivalenzeinkommen bei 1548 €. 15,5% hatten
ein Einkommen unter 929 € und gelten somit als arm.
Ein Rechenbeispiel
In Haushalten mit mehreren Personen rechnet sich das Äquivalenzeinkommen nach der
OECD Skala wie folgt:
1,0 für den ersten Erwachsenen im Haushalt
0,5 für jede weitere Person im Haushalt
0,3 für Kinder unter 15 Jahren
z.B. eine Familie mit 2 erwerbslosen Erwachsenen und zwei Kindern unter 6 Jahren im
ALG II Bezug: 359€ + 323€ + 215€ + 215€
1112€ : (1,0 +0,5 +0,3 +0,3) = 539 Euro/ Person. Diese Familie gilt nach den Zahlen von
2008 deutlich als als arm.
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Modul Theorie und Praxis Vertiefung: Armut, Arbeitslosigkeit und Wohnungslosigkeit
Christina Prahl ASH Dezember 2010
Aus
der
Tabelle
wird
weiterhin
deutlich,
dass
durch
den
Anstieg
des
Nettoäquivalenzeinkommen in der gesamten Gesellschaft immer mehr finanzielle Mittel
zur Verfügung stehen. Abhängig davon erhöht sich auf der anderen Seite der Betrag der
Armutsgrenze von 862 € (2006) auf 929 € (2008) und somit auch die Armutsquote auf
15,5% (= Vergrößerung der Lücke zwischen arm und reich).
Armut ist mehr als nur Einkommensarmut!
Über
die
Einkommensarmut
hinaus
verweist
der
EG-Ministerat
darauf,
dass
„Einzelpersonen, Familien und Haushalte die über so geringe (materielle, kulturelle und
soziale) Mittel verfügen, dass sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind die in den
Mitgliedsstaaten, in denen sie leben als Minimum annehmbar ist[.]“ (Butterwegge, Holm,
Zander 2003: S.17) arm sind und zeigt damit auf, dass es auch weitere Bereiche im Leben
gibt, die von Armut betroffen sind. Daher spricht man hier auch von soziokulturellem
Existenzminimum.
Definition Kinderarmut
Es existiert keine eigenständige Definition. Kinder gelten rechnerisch als arm, wenn sie in
einem Haushalt leben, der von Einkommensarmut (2008 < 929€) betroffen ist.
Bezugnehmend auf das errechnete Nettoäquivalenzeinkommen weiter oben, wird klar,
dass eine Familie im ALG II Bezug, in welcher das Kind auf das Sozialgeld nach §
angewiesen ist als arm gilt.
Somit gilt jedes Kind, was in einer Bedarfsgemeinschaft lebt und Sozialgeld bezieht als
arm.
Vorläufige Daten der Bundesagentur für Arbeit zu Bedarfsgemeinschaften von Oktober
2010:
Berlin
Deutschlandweit
Anzahl der Bedarfsgemeinschaften
317.507
3.378.279
Davon Personen mit ALG II Bezug
419.537
4.582.438
Davon Personen mit Sozialgeldbezug 149.175
1.717.687
Personen insgesamt
6.300.125
568.712
Quelle: Bundesagentur für Arbeit 2010, eigene Darstellung
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Modul Theorie und Praxis Vertiefung: Armut, Arbeitslosigkeit und Wohnungslosigkeit
Christina Prahl ASH Dezember 2010
Zusätzlich zu den gut 1,7 Millionen Kindern in Armut komme hinzu:
Kinder welche in einem Sozialhilfehaushalt (nach SGB XII) oder in einer Flüchtlingsfamilie
leben, sowie die Kinder, welche statistisch nicht erfasst werden (können), da sie und ihre
Eltern zwar anspruchsberechtigt sind, aber aus Scham, Unwissenheit oder anderen
Gründen keinen Leistungen beziehen.
Damit leben schätzungsweise 2,8 Millionen Kinder in Deutschland in Armut!!
(Butterwegge, Klundt, Belke-Zeng 2008)
Kritik: Auch bei dieser „Definition“ wird Armut ausschließlich auf die materielle Dimension
reduziert. Kinder erhalten keine an ihren Bedürfnissen ausgerichtete Geldleistungen,
sondern nur 60 % des ALG II Bezuges eines Erwachsenen.
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Modul Theorie und Praxis Vertiefung: Armut, Arbeitslosigkeit und Wohnungslosigkeit
Christina Prahl ASH Dezember 2010
Armutsbetroffenheit
Besonders von Armut betroffen sind:
- Familien mit Kindern (insbesondere Familien mit kleinen Kindern und mehr als 3 Kindern)
- Alleinerziehende im besonderen Maße
- Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund
- Arbeitslose
- aber auch Erwerbstätige!
(Hellmeister, Möls, Perrey, Rückin, Schmidtke 2005)
Betroffenheit von Armut in Deutschland nach Haushaltsmerkmalen 2001 und 2006.
Statistisches
Bundesamt
2008,
Angaben
der
Armutsquote
in
%
2001
2006
Kinder insgesamt
Kind(er) bis 17 Jahren
15,2
16,5
Haushaltsvorstand 35-54 Jahren
Singlehaushalt
13,0
20,4
Paarhaushalt ohne Kind
4,5
8,6
mit 1 Kind
7,3
13,9
mit 2 Kindern
8,7
12,4
mit 3 und mehr Kindern
23,3
13,9
mit 1 Kind
27,9
31,4
mit 2 und mehr Kindern
48,1
39,6
Paarhaushalt mit Minderjährigen
Einelternhaushalt
Quelle: Statistisches Bundesamt 2010, eigene Darstellung
2001 waren noch 23,3% der Paarhaushalte mit >3 Kindern armutsgefährdet, 2006 waren
es „nur“ noch 13,9%. Dafür hat sich aber die Quote für ein Paarhaushalt mit einem Kind
von 7,3% (2001) auf 13,9% (2006) erhöht. Es kann somit festgestellt werden, dass sich
das Armutsrisiko dramatisch erhöht, sobald ein Kind im Haushalt lebt.
Die gleiche Entwicklung gilt für Alleinerziehende (Einzelelternhaushalt). Kann man hier von
Familienarmut sprechen?
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Modul Theorie und Praxis Vertiefung: Armut, Arbeitslosigkeit und Wohnungslosigkeit
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Armutsgefährdung 2008 in Deutschland
Armutsgefährdungsquote (15,5%)
Arbeitslose ( 62%)
Erw erbstätige (6,8%)
Haushalt mit 2 Erw achsenen und 2 Kindern (7,7%)
Haushalt von allein Erziehenden (37,5%)
Kinder unter 18 Jahren insgesamt (15,0%)
0
10 20 30 40 50 60 70
Armutsgefährdung in %
Quelle: Statistisches Bundesamt 2010, eigene Darstellung
Kampagne
Das Zukunftsforum Familie e.V. hat mit verschiedenen Bündnispartnern eine Kampagne
ausgearbeitet
zum
Thema
Grundsicherung
für
Kinder.
Auf
der
Internetseite
http://www.kinderarmut-hat-folgen.de/ findet Ihre das Konzept und viele Informationen für
eine mögliche andere Politik, welche Kinder mehr in das Zentrum stellt.
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Modul Theorie und Praxis Vertiefung: Armut, Arbeitslosigkeit und Wohnungslosigkeit
Christina Prahl ASH Dezember 2010
Armutsforschung
Bis in die 1990er Jahre war Kinderarmut kein eigenständiges Forschungsgebiet. Vielmehr
wurden
Kinder
als
URSACHE
für
Familienarmut
oder
als
Angehörige
von
einkommensschwachen Haushalten gesehen. Ihre eigene Perspektiven blieben dabei
völlig unbedacht.
Im folgenden sollen zwei Forschungsansätze vorgestellt werden, wie sich dem Thema
Kinderarmut genähert werden kann.
Kinderarmut wir berechnet aus Einkommen der Eltern und/oder Sozialgeldbezug
(Einkommen als einziger Faktor von Armut) = Ressourcenansatz.
Die Berechnung kann jedoch nur ungenau sein, da dabei nicht festgehalten werden kann,
wie viel Geld letztendlich beim Kind ankommt.
Einkommen ist eine Schlüsselrolle von Armut, reicht jedoch bei der Betrachtung allein
nicht aus.
Der Lebenslagenansatz (nach Gerhard Weisser) bezieht Alltagswirklichkeiten (der
Kinder) mit ein und sieht Kinder als eigenständige Akteure in
- Arbeitslos
- Wohnen
- Bildung
- Gesundheit
- Freizeit
- soziale Netzwerke
(Butterwegge, Klundt, Belke-Zeng 2008)
Armut wird somit nicht nur als Verlust von materiellen Gütern, sondern auch als
„Einschränkungen
subjektiver
Handlungsspielräume“
und
„mehrdimensionaler
Problemlagen“ gesehen (Chassé, Zander, Rasch 2007: S. 18)
´
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Modul Theorie und Praxis Vertiefung: Armut, Arbeitslosigkeit und Wohnungslosigkeit
Christina Prahl ASH Dezember 2010
Zwei relevante Studien zu Lebenslagen von Kindern
Darüber hinaus gibt es noch Studien von UNICEF, dem Robert Koch Institut uva. welche
die Lebenslagen von (armen) Kindern untersuchen.
2. World Vison Kinderstudie (2010):
Untersucht die Lebenswelten von Kindern im Grundschulalter (6-11 Jahre) unter dem
Gesichtspunkt
von
subjektiven
Wohlbefinden
der
Kinder
und
objektiven
Lebensbedingungen in der Familie, Freizeit, Freundeskreis und Schule.
Die Mehrheit der Kinder ist mit ihren Lebensverhältnissen zufrieden. Hervorgehoben wird
jedoch, dass schon bei Kindern im Grundschulalter die sozialen Unterschiede bemerkbar
sind und das die Herkunft der Kinder den Alltag maßgeblich prägt. Die soziale Herkunft
wurde gemessen an der Bildungsposition der Eltern und der Einschätzungen der Kinder
zu den verfügbaren materiellen Ressourcen.
Ein kleiner Ausschnitt:
ARMUTSERFAHRUNG: 25% der Kinder macht auf finanzielle Einschränkungen der
Familie aufmerksam, davon 9% auf konkrete Armutserfahrungen (konkreter Zahlen siehe
2. World Vision Kinderstudie, Seite 19).
ELTERLICHE ZUWENDUNG: 13% der Kinder klagen über fehlende Zuwendung, davon
30% der Kinder, deren Eltern arbeitslos oder aus anderen Gründen nicht erwerbstätig sind
und im Falle einer Erwerbstätigkeit 31% der Kinder von allein Erziehenden. (2. World
Vision Kinderstudie, Seite 20)
ÄNGSTE: Kinder aus der Unterschicht haben am häufigsten Ängste vor schlechten Noten
(59%), immer mehr arme Menschen (53%) und Ängste davor bedroht oder geschlagen zu
werden (51%). (2. WorldVision Kinderstudie, S.30)
WERTSCHÄTZUNG: Hier wird deutlich, das vor allem die Kinder von multiplen
Benachteiligungen geprägt sind, eine eher geringe Wertschätzung (gemessen an der der
Wichtigkeit der eigenen Meinung) erhalten. 53% der Kinder mit einem Zuwendungsdefizit,
48% der Kinder mit Armutserfahrungen und 47% derjenigen, die über finanzielle
Beschränkungen berichten, verweisen auf eine geringe Wertschätzung der eigenen
Meinung. (2.World Vision Kinderstudie, Seite 31)
Eine Zusammenfassung der Studie sowie anschauliche Graphiken findet Ihr unter
http://www.worldvision-institut.de/kinderstudie_kinderstudie-2010_zusammenfassung.php
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Modul Theorie und Praxis Vertiefung: Armut, Arbeitslosigkeit und Wohnungslosigkeit
Christina Prahl ASH Dezember 2010
AWO-ISS Studie (1997-2012)
Hierbei handelt es sich um eine Langzeitstudie, in welcher Kinder zu ihren Lebenslagen
befragt (teilweise auch die Eltern), Erkenntnisse zu Zukunftschancen gewonnen, sowie
Bewältigungsstrategien von Kindern betrachtet werden.
Die AWO-ISS Studie ist in der BRD einer der wichtigsten Studie in der kinderorientierten
Armutsforschung und es wirken bekannte Namen mit wie Beate Hock, Gerda Holz und
Antje Richter mit.
Einer der zentralen Erkenntnis ist:
„Die Entwicklung der Kinder zeigt sich sehr differenziert, es gibt keine Automatismen
zwischen familiärer Armut und kindlichen Defiziten, aber eine Verbindung. Es kann nicht
automatisch der Schluss gezogen werden, „einmal arm – immer arm“ oder „einmal
multipel depriviert – immer depriviert.“ Die Lebensentwicklung von armen Kindern vollzieht
sich vielfältiger und komplexer.“ (AWO-ISS 2010, S. 4)
Auf der Internetseite
http://www.awo.org/standpunkte-und-positionen/kinderarmut.html
finden sich Zusammenfassungen aller Abschluss- und Zwischenberichte der Studie seit
1997.
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Modul Theorie und Praxis Vertiefung: Armut, Arbeitslosigkeit und Wohnungslosigkeit
Christina Prahl ASH Dezember 2010
Audio
Die Geschichten aus dem Buch „arme Kinder, reiches Land“ von Huberta von Voss sind
subjektive Darstellungen der Erzählenden und spiegeln deren Erfahrungen und
Wahrnehmungen wieder.
Sie sollen euch einen Einblick in das Leben in Armut geben, haben jedoch keinen
Anspruch auf Allgemeingültigkeit.
1. Abschied vom Kuscheltier
Wohnungslosigkeit einer Alleinerziehenden mit ihren 2 Kindern
2. Astronaut oder Bundeskanzlerin
Die Geschichte einer Familie, deren jüngstes Kind in die neue Grundschule der ARCHE
eingeschult wird.
3. Mülltonnenfresser
Kirchliche Nächstenliebe hilft einer Familie in Armut
4. Ohne jede Schonzeit
Eine Lobpreisung auf einen Arzt aus Berlin – Mitte, welcher sich für die Gesundheit von
Kindern einsetzt
5. Schatten einer verloren Kindheit
Geschichten einer Kindheit im Heim und bei Pflegeeltern
6. Sich unsichtbar machen
Eine Geschichte von Kindern die mit alkoholabhängigen Eltern aufwachsen
!! Alle Geschichten beinhalten Darstellungen von Gewalterfahrungen und können
ziemlich heftig sein !!
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Christina Prahl ASH Dezember 2010
Literatur
Bücher
Butterwegge, C., Klundt, M., Belke-Zeng, M. (2008): Kinderarmut in Ost- und Westdeutschland.
VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Chassé, K. A., Zander, M., Rasch, K. (2007): Meine Familie ist arm. Wie Kinder im
grundschulalter Armut erleben und bewältigen. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Hellmeister, H., Möls, C., Perrey, O., Rückin, U., Schmidtke, R. (2005): Armut und Reichtum.
Armutsverlauf, Armutsrisiko, Hartz IV, Kinderarmut, Krankheitsrisiko, Reichtum, Verteilung. SozioPublishing, Osnabrück
von Voss, Huberta (2008): Arme Kinder, reiches Land. Ein Bericht aus Deutschland. Rowohlt
Verlag, Reinbeck
World Vision (2010): Kinder in Deutschland 2010. 2.World Vision Kinderstudie. Fischer
Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main
Internet
Bundesagentur für Arbeit 2010
http://statistik.arbeitsagentur.de/nn_31990/SiteGlobals/Forms/Rubrikensuche/Rubrikensuche_For
m.html?
view=processForm&resourceId=210368&input_=&pageLocale=de&topicId=17514&year_month=2
01010&year_month.GROUP=1&search=Suchen (zuletzt abgerufen am 15.11.2010)
Jugend und Armut. Forschungsstand und Untersuchungsdesign der AWO-ISSLangzeitstudie „Kinder- und Jugendarmut IV“ 2010.
http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Publikationen/Quersc
hnittsveroeffentlichungen/Datenreport/Downloads/Datenreport2008PrivateHaushalte,property=file.
pdf (23.11.2010)
Statistisches Bundesamt 2008
Einkommen – Verteilung, Armut und Dynamik. In: Auszug aus dem Datenreport 2008.
http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Publikationen/Quersc
hnittsveroeffentlichungen/Datenreport/Downloads/Datenreport2008PrivateHaushalte,property=file.
pdf (16.11.2010)
Statistisches Bundesamt 2010
Pressemitteilung Nr.395 vom 29.10.2010
http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pm/2010/10/PD10__3
95__634,templateId=renderPrint.psml (11.11.2010)
World Vision (2010)
2. Kinderstudie. Zusammenfassung
http://www.worldvision-institut.de/kinderstudie_kinderstudie-2010_zusammenfassung.php
(11.11.2010)
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Anikó Halla / Dorothee Helmstädt
Ursachen
Ebenen der Ursachen von Kinderarmut
Dorothee Helmstädt und Anikó Halla
Ursachenbegriff (nach Butterwegge 2004, S.87)
In der öffentlichen Diskussion und in der Fachliteratur wird der Ursachenbegriff nicht einheitlich verwendet. Auslöser und Ursachen von Kinderarmut werden oft mit einander verwechselt, daher erscheint es wichtig zu sein, diese Begriffe vorerst zu unterscheiden.
 Ursachen ergeben sich aus strukturellen Zusammenhängen und gesellschaftlichen
Verhältnissen, in denen Menschen leben bzw. Kinder aufwachsen. Sie bilden die Voraussetzung für Pauperisierungsprozesse (Verarmung) und stellen die Ansatzpunkte
dar, aus denen Gegenmaßnahmen entwickelt werden können (vgl. Lutz 2010, S.11).
 Auslöser sind dagegen bestimmte Ereignisse im Lebenslauf von Eltern und Kindern.
Dazu gehören u. a.:
 Trennung
 Tod
 Verschuldung
 Mehrlingsgeburten
 Krankheit
Sie lösen soziale Abstiege aus oder lassen sie zur vollen Wirkung gelangen. Solche
Lebensereignisse gehören jedoch zum Leben dazu und können nicht verhindert werden.
Globalisierung
Der Globalisierungsprozess geht einher mit der Öffnung der Weltmärkte
und der daraus entstandenen weltweiten Konkurrenz unter den kapitalistischen Staaten. Im Sinne des neoliberalen Konzeptes, dass heute dominiert,
wird Globalisierung vorrangig als „Standortsicherung“ verstanden. (vgl.
Butterwegge 2004, S.88-90)
Die neoliberale Politik der letzten Jahrzehnte folgt dem Leitgedanken, in
erster Linie die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu sichern bzw. zu
erhöhen und sah sich aus diesem Grund legitimiert Kapitalbesitzer und
Spitzenverdiener zu privilegieren. (vgl. Butterwegge 2004, S.94)
Vor allem die Steuerpolitik der 80er und 90er Jahre ging zu Lasten von
ArbeitnehmerInnen und Familien. Sie verschob die Einkommensverteilung
zu Gunsten von UnternehmerInnen und Vermögenden. (vgl. Butterwegge 2004, S.95) Daneben
wird versucht durch Senkungen von Reallöhnen, Lohnebenkosten und Sozialleistungen den
Wirtschaftsstandort Deutschland zu verteidigen. (vgl. Butterwegge 2004, S. 90-91)
Insgesamt führt die Globalisierung bzw. die neoliberale Modernisierung überall auf der Welt
zu Pauperisierung, Entsolidarisierung und sozialer Polarisierung. (vgl. Butterwegge 2004, S.89)
Ein Globalisierungsprozess nach neoliberalem Modell teilt die Bevölkerung der jeweiligen
Länder in:
GewinnerInnen
und
VerliererInnen
Völlig Marginalisierte:
Geringverdienende:






Dauerarbeitslose
Deprivierte
Langzeitarbeitslose
Geringverdienende
prekär Beschäftigte
Kurzeitarme
(vgl. Butterwegge 2004 S, 93)
Arbeit
Der technische Fortschritt (Automatisierung, Computerisierung und
Digitalisierung) führte zu einem enormen Anstieg der Arbeitslosenzahlen, der sich zu einer strukturellen Massenarbeitslosigkeit manifestiert
hat. Vor allem Menschen mit Migrationshintergrund waren mit dem
Wegfall des landwirtschaftlichen und industriellen Sektors als erste von
Arbeitslosigkeit betroffen, da sie häufig als ungelernte Arbeiter nach
Deutschland kamen. Dies ist einer der Gründe, weshalb Kinder aus
Zuwandererfamilien auch zu den Gruppen mit erhöhtem Armutsrisiko
gehören. (vgl. Butterwegge 2010, S. 340)
Aufgrund des Strukturwandels von Arbeitsmarkt und Wirtschaft, aber
vor allem auch wegen wirtschafts- und sozialpolitischer Entscheidungen, die zur Deregulierung des Arbeitsmarktes und zur Flexibilisierung
der Beschäftigung geführt haben, ist das NormalNormalarbeitsverhältnis:
arbeitsverhältnis in Auflösung begriffen. (vgl. Butterwegge 2004, S.103)
Vollzeitbeschäftigungsverhältnis mit
umfassendem arbeits-, tarif- und sozialrechtlichem Schutz (Hanesch 2000, S. 234)
Normalarbeitsverhältnisse werden zunehmend zu
Gunsten von atypischen und häufig auch prekären
Beschäftigungsverhältnissen abgebaut, dazu zählen
z.B.: Teilzeitarbeit, geringfügige Beschäftigung, Zeit- und Leiharbeit, befristete Beschäftigung u.a. (Friedrich Ebert Stiftung 2001). Deutlich zugenommen hat daher die Anzahl der Personen, deren Einkommen trotz ein oder mehrerer Arbeitsverhältnisse nur knapp über der Ar-
„Je länger die Arbeitsmarktkrise andauert, desto
mehr droht sich ein ‚harter Kern‘ von Mehrfach- und
Dauerarbeitslosigkeit zu verfestigen und konzentrieren sich die Beschäftigungs- und Einkommensrisiken
auf sogenannte Problemgruppen des Arbeitsmarktes.“ (Hanesch 2000, S.233)
Die beschriebenen Entwicklungen hatten zudem die
Auflösung der Normalerwerbsbiografie zur Folge.
Prekäre Beschäftigungsverhältnisse sowie Phasen
der Arbeitslosigkeit oder der Um- und Nachqualifizierung sichern Familien weder ausreichend Einkommen noch den erforderlichen arbeitsrechtlichenund sozialrechtlichen Schutz. (Butterwegge 2004, S.104)
Dadurch werden die Arbeits- und Lebensbedingungen für Familien erheblich erschwert.
Familie
Obwohl die Normalfamilie nicht mehr die dominante Lebensform
ist, richtet sich die Familienpolitik der Bundesrepublik noch immer
an der traditionellen Hausfrauenehe aus. Ehe kann jedoch mit Elternschaft nicht mehr gleichgesetzt werden, da viele Ehen kinderlos
bleiben und Kinder vermehrt außerhalb der Ehe aufwachsen. Die
fehlende Anpassung der sozialen Sicherungssysteme an den gesellschaftlichen Wandel bewirkt das andere Lebens- und Liebesformen,
wie Ein-Eltern-Familien, „Patchwork-Familien“ oder Kinder in
gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, tendenziell materiell weniger abgesichert
Normalfamilie
sind. Die Begünstigungen
Patriarchaler Familientyp mit einem berufstätigen
bezüglich tradiEhemann und einer (nicht berufstätigen) Ehefrau
tioneller Normalfamilien bestehen z.B.
sowie ein oder zwei Kindern. (Ernährerehe bzw.
im Ehegattensplitting bei der Lohn- und
Hausfrauenehe) (Butterwegge 2002, S. 228/229)
Einkommenssteuer, in der Familienversicherung der gesetzlichen Kranken- und
Pflegeversicherung, in der Erziehungsgeldregelung etc. (vgl. Butterwegge 2004, S.109-111)
(www.boeckler-boxen.de/5911.htm#108748 [20.11.2010])
mutsgrenze liegen und damit nicht ausreichen, um ihre Familien zu versorgen. Dieses Phänomen wird auch als „working poor“ bezeichnet. (Butterwegge 2004, S.96)
Die Abnahme traditioneller Familien ist auf Pluralisierungs- und Individualisierungsprozesse in der Gesellschaft zurück zu
Pluralisierung
führen. (vgl. Butterwegge 2004, S.107108)
Zudem wird der Zerfall der Normalfamilie durch höhere Mobilitäts- und Flexibilitätserwartungen
des Arbeitsmarktes beschleunigt.
Pluralisierung von Lebensstilen heißt: Zunahme von gruppen-, milieu- und situationsspezifischen Ordnungsmustern
zur Organisation von Lebenslagen, Ressourcen und Lebensplanung. (Butterwegge 2004, S. 108)
Individualisierung
(vgl. Butterwegge 2004, 110)
Auflösung vorgegebener sozialer Lebensformen und Leit-
(www.wolkdirekt.com/sond
erweg-fussgaenger-_1015741.html [20.11.2010])
Die Erosion der klassischen Famibilder bei gleichzeitigem Bedeutungszuwachs von Arbeitslie als auch die Arbeitsmarktkrise
markt, Bildungssystem und Wohlfahrtsstaat. Dies Bedeutet
sind der Grund dafür, dass vor
für die Individuen, ihren Lebenslauf aktiv und selbstreflexiv
allem Frauen und Kinder bezügzu gestalten. (Joas 2007 S. 181)
lich ihrer Lebens-, Entwicklungsund Entfaltungschancen benachteiligt sind. (vgl. Butterwege 2004, S. 112)
„Kinderarmut ist daher – kausal gesehen – primär Mütterarmut.“ (Butterwegge 2004, S.
112)
Weder die (Versorgungs-)Ehe, als auslaufendes Lebensmodell, noch die Erwerbsarbeit bieten Frauen heutiger Generationen noch Existenzsicherheit. So
erfahren vor allem Frauen im gebärfähigen Alter Diskriminierungen auf dem
Arbeitsmarkt, welche durch Unterbrechungen der Erwerbsarbeit, im Zuge
der zumeist von den Frauen übernommenen Kinderbetreuungs- und Erziehungszeiten, verstärkt werden. Hier spielt die Unvereinbarkeit von Familie und Beruf eine große Rolle. Unzureichend ausgebaute öffentliche Kinderbetreuungsangebote (z.B. Kita´s, Ganztagsschulen,
Horte u.a.) ermöglichen es Frauen kaum einer Erwerbsarbeit nachzugehen, die ihnen ein existenzsicherndes Einkommen gewährleistet. (vgl. Butterwegge 2004, S. 112-113)
Dem zu Folge sind insbesondere Alleinerziehende, davon sind 9 von 10 Frauen (vgl. Bieligk
1996 zit. in Schniering 2006, S. 17), und Mehrkinderfamilien einem erhöhtem Armutsrisiko ausgeliefert. (vgl. Butterwegge 2004, S.113)
Eine weitere strukturelle Schieflage besteht in der fehlenden Konzentration familienpolitischer Maßnahmen insbesondere auf arme Familien. Häufig kommen die familienentlastenden
Leistungen gar nicht erst bei Familien mit geringem Einkommen an, sondern begünstigen
lediglich bessergestellte Familien und tragen damit nicht zur Reduzierung der Kinderarmut
bei. (vgl. Beisenherz 2002, S.98-100)
Sozialstaat
Mit der Auflösung der bürgerlichen Normalfamilie, die durch Individualisierungs- und Pluralisierungsprozesse vorangetrieben wurde, wächst
die Abhängigkeit anderer Familienformen von Markt und Staat. (vgl.
Butterwegge 2004, S.113)
Wenn der Fokus der Politik auf wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit
liegt und Standortsicherungspolitik im Vordergrund steht, nimmt das
System sozialer Sicherung zunehmend ab. (vgl. Butterwegge 2004, S.113)
Kinderarmut wird jedoch in großem Ausmaß von Umfang und Ausrichtung sozialstaatlicher Sicherungssysteme beeinflusst. (vgl. Fischer 2000, S.
15)
Familiäre Lebenslagen verschlechtern sich unter dem Einfluss des derzeitigen neoliberalen Konzeptes, indem:




arbeitsrechtliche sowie tarifrechtliche Bestimmungen beschnitten
steuerliche Belastungen der Unternehmen gesenkt
Sozialleistungen auf ein Minimum reduziert und
öffentliche Dienstleistungen privatisiert werden,
um die Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt nicht zu gefährden. (vgl. Butterwegge 2004,
S.117)
„Im Mittelpunkt steht der Markt, nicht der Mensch.“ (Butterwege 2004, S.117)
Gerade in einer Welt, in der immer mehr Lebensbereiche ökonomisiert werden, aber auch
Geld ungleicher denn je verteilt ist, brauchen Menschen staatliche Transferleistungen bei
Erwerbslosigkeit, Kindererziehung, Krankheit etc. umso mehr. (vgl. Butterwegge 2009, S.202-203)
„Nicht der Sozialstaat selbst, wohl aber sein Ab- bzw. Umbau auf der Basis neoliberaler Konzepte erzeugt Armut, auch und gerade bei Kindern.“ (Butterwege 2002, S.122)
Literatur - Ebenen der Ursachen von Kinderarmut
Beisenherz, Gerhard (2002): Kinderarmut in der Wohlfahrtsgesellschaft. Das Kainsmal der Globalisierung. Leske und Budrich. Opladen.
Butterwegge, Caroline (2010): Armut von Kindern mit Migrationshintergrund. Ausmaß, Erscheinungsformen uns Ursachen.1. Auflage. VS Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden.
Butterwegge, Christoph; Holm, Karin; Zander, Margherita u. a. (2004): Armut und Kindheit. Ein
regionaler, nationaler und internationaler Vergleich. 2. Auflage. VS Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden.
Butterwegge, Christoph; Klundt, Michael (Hrsg.) (2002): Kinderarmut und Generationengerechtigkeit. Familien- und Sozialpolitik im demographischen Wandel. Leske und Budrich. Opladen.
Butterwegge, Christoph (2009): Armut in einem reichen Land. wie das Problem verharmlost und
verdrängt wird. Gerechtigkeit im Wandel: Folgen der neoliberalen Hegemonie. Campus-Verlag.
Frankfurt am Main.
Fischer, Birgit (2000): Statt eines Vorwortes: Mit einer tief gespaltenen Gesellschaft ins 3. Jahrtausend?!, In: Butterwegge, Christoph (Hrsg) (2000): Kinderarmut in Deutschland. Ursachen, Erscheinungsformen und Gegenmaßnahmen. 2. Auflage. Campus-Verlag GmbH. Frankfurt/Main.
Freidrich Ebert Stiftung (2001): Prekäre Beschäftigungsverhältnisse: Die Bundesrepublik
Deutschland auf dem Wege in die Tagelöhnergesellschaft? ; Eine Tagung der Friedrich-EbertStiftung am 05. Juni 1996 in Leipzig. Elektronisch verlegt in Bonn: 2001. Online: URL:
http://library.fes.de/fulltext/fo-wirtschaft/00324002.htm#LOCE9E3. Zugriff am 20.11.2010
Hanesch, Walter (2000): Armut als Herausforderung für den Sozialstaat. In: Butterwegge, Christoph (Hrsg) (2000): Kinderarmut in Deutschland. Ursachen, Erscheinungsformen und Gegenmaßnahmen. 2. Auflage. Campus-Verlag GmbH. Frankfurt/Main.
Joas, Hans (fHrsg.) (2007): Lehrbuch der Soziologie. 3.überarbeitete und erweiterte Auflage.
Campus Verlag. Frankfurt.
Lutz, Ronald; Hammer, Veronika (Hrsg.) (2010): Wege aus der Kinderarmut. Gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen und sozialpolitische Handlungsansätze. Juventa. Weinheim München.
Mattes, Christoph (2010): Wege aus der Armut. Strategien der Sozialen Arbeit. Lambertus Verlag. Freiburg im Breisgau.
Schniering, Daniel (2006): Kinder- und Jugendarmut. Grundlagen, Dimensionen, Auswirkungen.
VDM Verlag DR. Müller. Saarbrücken.
Entstehung der Litfaßsäule in Bildern
Daniel Kwon
Folgen
Lernissage – 29.November 2010 –
Poster-Anleitung
Folgen von Kinderarmut
Begründung für das Format der Auflistung von Stichpunkten (trotz) des komplexen
Themas 'Folgen von Kinderarmut':
Es wurde mit Absicht das Format der Auflistung benutzt um sich die gravierenden
Auswirkungen nach und nach verdeutlichen zu können. Außerdem wurde nicht der
Versuch unternommen Oberbegriffe zu finden gebraucht, da alle Auswirkungen
miteinander verknüpft sind. Daher kann es sein, dass sich Schlagwörter an der einen oder
anderen Stelle ähnlich anhören; dies ist alles beabsichtigt. Alle Folgen durchziehen
Bereiche des Kinderalltags, Sozialisation, Persönlichkeitsbildung, Bildungsaspiration und
ihren Chancen sowie Strategien zur Lebensbewältigung, die zuhauf einen andauernden
Teufelskreis anstoßen.
Zusätzlich soll dieses Format dazu dienen, die immensen Lasten Im Alltag des Kindes,
das in Armut lebt, aus seiner Sicht mitverfolgen zu können. Folgende Beispiele zur
Veranschaulichung: Ausgrenzung im Alltag des Kindes wird meist verursacht durch
schlichte, einfache Wörter wie „NEIN!“, „DU NICHT!“, „HAU AB, WIR WOLLEN DICH
NICHT“. Die Frage nach dem 'warum?' scheint dem Kind meist früh auf der Hand zu
liegen, so dass es keiner weiteren Begründungen bedarf. Selbst subtilere
Ausgrenzungsmechanismen lernt das Kind schnell durchzublicken und sich diesen zu
entziehen.
Auch Stigmatisierungen und Mitleid seitens der Mitmenschen, Institutionen und der
Gesellschaft werden aus Sicht der Kinder in kurzen Wörtern herangetragen: „Och, du
armes Ding!“, „Wir sind da um dir zu helfen“ oder auch Umschreibungen wie „schwer
erziehbare Kinder“, „verhaltensauffällige Kinder“ u.ä.
Auch dient die Auflistung dazu, dem Leser die SCHLAGwörter im wahrsten Sinne des
Wortes in einem Zug über die Lippen bringen zu können. Es sei davor gewarnt, dass die
endlos erscheinende Reihe der möglichen Folgen von Kinderarmut unter Umständen
starke Kopfschmerzen u.ä. hervorrufen kann.
Messer:
AUSGRENZUNG
STIGMATISIERUNG
ÜBERDURCHSCHNITTLICHER LEISTUNGSDRUCK
ÜBERFORDERUNG
KEIN TROST DURCH ELTERN
VERBITTERUNG
SCHAM
SOZIALE ISOLATION
DEMÜTIGUNG
ANGST
EINSAMKEIT
OHNMACHTSGEFÜHLE
DEPRESSIVITÄT
GERINGE RÜCKZUGSMÖGLICHKEITEN
KAUM PERSÖNLICHE ENTFALTUNGSMÖGLICHKEITEN
KEIN RAUM FÜR PHANTASIE UND TRÄUME
UMZÜGE ZU SCHLECHT AUSGESTATTETEN STADTTEILE
SCHLECHTE WOHNVERHÄLTNISSE
SOZIALE BENACHTEILIGUNG DURCH DIE GESELLSCHAFT
GERINGE TEILHABEMÖGLICHKEITEN
KAUM FREIZEITMÖGLICHKEITEN
SCHLECHTE BILDUNGSCHANCEN
BENACHTEILIGUNG IM BEREICH SCHULE
MANGELNDE ALTERNATIVEN
NICHT ERNST GENOMMEN WERDEN
KEINE LERNUNTERSTÜTZUNG DURCH DIE ELTERN
BEEINTRÄCHTIGUNG DER SCHULISCHEN LEISTUNG
KÖRPERLICHE UNRUHE
PERSPEKTIVLOSIGKEIT
KOMPENSATIONSLOSIGKEIT
VIELE ZURÜCKWEISUNGEN IM ALLTÄGLICHEN LEBEN
KAUM STABILE BEZIEHUNGEN
GERINGE ERFAHRUNGEN VON EMPATHIE UND SOLIDARITÄT
VERTRAUENSVERLUST ZU MITMENSCHEN
VERTRAUENSVERLUST ZU INSTITUTIONEN
VERTRAUENSVERLUST ZUR GESELLSCHAFT
...
SPRITZE:
SORGE UM GESCHWISTER
HAUSHALTSFÜHRUNG
VERPFLICHTUNGEN & VERANTWORTUNGEN
ERWACHSENSEIN & KINDHEITSVERLUST
AUF SICH ALLEIN GESTELLT SEIN
PARENTIFIZIERUNGSMECHANISMEN
'VERERBUNG' VON ARMUT
KINDERARBEIT
APATHIE
Bereits erschlagen von den drastischen Folgen von Kinderarmut ?
Viele dieser Folgen werden sich im Verlauf sogar weiter verstärken. Verbitterung am
Leben, Perspektivlosigkeit und Misstrauen uvm. verstärkt sich, weil sich täglich Ablehnung
und Ausgrenzung anhäufen...
Viele dieser Auswirkungen lassen sich relativieren durch Resilienzvermögen und
erbauende Bewältigungsstrategien der in Armut lebenden Kinder.
Siehe Beitrag zu 'Bewältigungsstrategien armer Kinder'
Bildung
Kinder, die in von Armut betroffenen Familien aufwachsen, werden in ihrer
Bildungsaspiration stark gehemmt. Neben fehlender Ermutigung bis zu Ablehnung von
Bildungswegen in die Sekundarstufe II, weil der Schulbesuch eines Gymnasiums mit
schlicht mehr Geld verbunden ist, befinden sie sich im Bereich Schule auf Kriegsfeld:
Ausgrenzung, Stigmatisierung, Benachteiligung u.ä. stehen an der Tagesordnung des
Schulalltags. Die Versuche der Kinder die Arbeitslosigkeit der Eltern zu verheimlichen ist
auf Dauer fast unmöglich, weshalb sich die Kinder wiederholt entblößt fühlen. Viele jener
Eltern drängen darauf, dass ihr Kind möglichst schnell eigenes Geld verdient und damit
zur Entlastung der familialen Situation beitragen. Die knappe finanzielle Situation führt
oftmals zur Senkung der Bildungsansprüche, da das Geld für Güter des tägliches Lebens
ausgegeben werden muss. Ein Schulwechsel in ein niedrigeren Schulzweig verbindet das
Kind meist mit einem negativem Image und führt zu zusätzlicher Belastung. Frustration
und Enttäuschungen führt dazu, dass sie sich mehr und mehr an Gleichaltrige aus
ähnlichen sozialen Milieus orientieren, was unter Umständen dazu führt, dass sie an den
Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Außerdem sind diese Kinder durch eine starke
Raumbegrenzung belastet. Kein Raum für Rückzug, Entfaltung, Träume und Phantasien.
Freizeitmöglichkeiten wie sportliche und kreative Tätigkeiten in Vereinen bleiben ihnen
häufig verwehrt. Außerdem ist es äußerst schwer schwer schulische Abschlüsse ohne
Schulfreunde zu meistern.
Kinder bleiben selbst daheim auf sich allein gestellt, da Eltern häufig kein offenes Ohr für
schulische Probleme ihrer Kinder haben. Aus diesem Grund steht den Kindern kaum
jemand bei Hausaufgaben zur Seite. Die Institution Schule ist den genannten Eltern meist
ein unbeliebter Ort. Eltern scheuen sich auf Begegnungen mit Lehrer_innen, aus Angst vor
weiterer Stigmatisierung und aus Scham.
Der Abbruch von Eltern-Schul-Kontakten hat erhebliche Folgen:
Zunächst lernen die Eltern ihre Kinder weniger kennen, d.h. sie haben wenig Vorstellung
über den Schulalltag ihrer Kinder und wissen nicht, was sie beschäftigt und wo sie
eventuell große Schwierigkeiten haben, die gut Aufmerksamkeit gebrauchen könnten.
Auch haben viele dieser Eltern wenig Ideen über die Funktionen des Schulsystems.
Folglich sind die Kinder abermals auf sich alleine gestellt und bekommen dadurch den
Eindruck, dass jede kleinste Anerkennung selbst verdient werden muss. Erlebnisse der
Ratlosigkeit und Verzweiflung der Eltern führt dann zum Senkung des Selbstbewusstseins
und Defiziten in der Kommunikationsfähigkeit.
Des weiteren kann die fehlende Zusammenarbeit der Eltern im Bereich der Schule - und
Bildung und somit einem großen Teil der Alltagswelt der Kinder – dazu führen, dass die
Kinder sich auch von der Instanz Schule distanzieren, allmählich auch soziale Kontakte
abbricht und anfangen am Sinn der schulischen Ausbildung zu zweifeln und schließlich
ihre bildungsbezogenen Zukunftspläne verwerfen (Wechselprozesse: Weniger
Lernaspiration führt zu unbefriedigenden schulischen Leistungen...usw.).
Parentifizierung
Die Bezeichnung Parentifizierung kann auf unterschiedliche zwischenmenschliche
Beziehungen angewandt werden. Die vorliegende Auseinandersetzung beschränkt sich
auf die Eltern-Kind-Beziehung.
Parentifizierung ist eine unangemessene Rollenzuweisungen an Kinder. Das Aufbürden
der Last, als Kind die elterlichen Verpflichtungen auf sich zu nehmen. Oft wird dem Kind
die Rolle des Partnersubstituts (auch spousification genannt) zugewiesen.
Schädliche Auswirkungen hat Parentifizierung besonders, wenn das Kind für seine
Verfügbarkeit für die unerfüllten Bedürfnisse der Eltern nicht anerkannt wird. BoszormenyiNagy sieht dieses Phänomen als ein Ungleichgewicht des gegenseitigen Gebens und
Nehmens (Konzept der „Verdienstkonten“), was häufig eine ausbeuterische Tendenz
seitens des Elternteils mit sich bringt.
Die transgenerationale Weitergabe der Parentifizierung lässt sich durch das Konzept der
„Verdienstkonten“ erklären: Durch die Anstrengungen des Kindes bis hin zu zwanghaftem
Fürsorgeverhalten entsteht die Erwartung eines Gerechtigkeitsausgleichs. Aus Loyalität
zur Mutter oder Vater wird der Anspruch allerdings nicht an diese, sondern erst der
Nachfolgegeneration (also an die eigenen Kinder) aufgebürdet (vgl. Walper 2001). Auch
bleibt eine starke Sehnsucht nach Liebe und Fürsorge bestehen, die wiederum an die
eigenen Kinder herangetragen.
Gravierende Folgen haben die Kinder, da ihre persönlichen Bedürfnisse vernachlässigt
oder ignoriert werden. Die Anforderungen an das Kind sind nicht altersgemäß und
übersteigen die seinem Entwicklungsstand entsprechenden Fähigkeiten. Das Kind
akzeptiert dabei die suggerierte Rolle, die offenkundig Fürsorge und
Überverantwortlichkeit widerspiegeln. In der Forschung wird zudem unterschieden
zwischen instrumentellen und expressiven Rollen. Instrumentelle Rolle bedeutet für das
betroffene Kind die Übernahme von konkreten Aufgaben z.B. in der Haushaltsführung,
Einkommensaufbesserung u.ä. Die expressive Rolle fordert vom Kind sozioemotionale
Bedürfnisse der Mutter/Vater zu befriedigen, etwa wie Trost spenden, Konflikte schlichten
u.ä.
Auswirkungen der Parentifizierung auf Kinder
Parentifizierte Kinder wirken depressiv, ernst, pseudofrühreif und überverantwortlich.
Letztendlich bedeutet die Übernahme der Elternrolle den Verlust der Kindheit.
Sorglosigkeit, Lebhaftigkeit, Spontaneität gehen verloren. Dass die an sie
herangetragenen Erwartungen ihre Fähigkeiten übersteigen, stellt für die Kinder eine
extreme Belastung dar. Sie leiden unter Schuldgefühlen, haben ständig das Gefühl, nicht
genug getan zu haben und sind in ihren Augen für ihre Familie eine große Enttäuschung.
Häufig kennen sie ihre eigenen wahren Bedürfnisse nicht. Die alltäglichen Erlebnisse
führen dann dazu, dass sie sich oft sozial isolieren, da ein etwaiges Interesse an
Beziehungen zu Gleichaltrigen für die Eltern, die auf ihre Kinder angewiesen sind, eine
extreme Bedrohung darstellt. Aus Loyalität verzichten parentifizierte Kinder häufig auf
extrafamiliale Beziehungen. Im Bereich der Schule sind sie entweder ausgelaugt und
unaufmerksam, weil sie daheim den Laden schmeißen müssen, oder sie haben sich ein
zwanghaftes Perfektionsstreben angeeignet (workaholic children) und sind durch gute
Leistungen Pseudoreife und Hilfsbereitschaft bei Lehrer_innen beliebt, wodurch sie quasi
ein wenig unsichtbarer werden. Mit der Zeit verfestigen und intensivieren sich
Depressivität, ein fragiles Selbstwertgefühl, Identitäts- und Ablösungsproblemen bis hin zu
suizidalem Verhalten. Die Bedürfnisse anderer, mehr als die eigenen, zu erspüren und zu
erfüllen ist Grundlage ihrer Selbstdefinition und stellt bisweilen sogar die einzige
Existenzberechtigung dar. Im Wettrennen mit Familie und Bewältigung von Armutsnot
erleben erwachsen gewordene Kinder, die parentifiziert wurden, Zeiten, in denen sie
versagen und flüchten möglicherweise zu Alkohol oder Drogen. Die Lücke muss dann von
einem anderen Familienmitglied ausgefüllt werden, so dass es zur transgenerationalen
Weitergabe, sprich erneuter Parentifizierung kommt.
Literatur:
BAG KJS e.V.: Jugendarmut, Materielle und soziale Exklusion junger Menschen in
Deutschland, Ursachen, Erscheinungsfomren und Auswirkungen auf die Lebenswelten
Jugendlicher, KJS Verlag, Düsseldorf 2009
Butterwegge, Christoph, et al: Kinderamut in Ost- und Westdeutschland, VS Verlag für
Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005
Fischer,Jörg/Merten,Roland: Armut und soziale Ausgrenzung von Kindern und
Jugendlichen, Problembestimmungen und Interventionsansätze, Schneider Verlag
Hohengehren, Baltmannsweiler 2010
Flisch, Regula: Arm als Kind – arm für immer? Die Auswirkungen von Armut auf die
Lebenslage von Kindern, Schriftenreihe Praxis und Theorie der Sozialen Arbeit.
Diplomarbeiten der FHS St. Gallen, Fachbereich Soziale Arbeit, Edition Soziothek, Bern
2005
Greulich, Peter: “Hätt ich net geklaut, wär' ich arm dran gewese”, Ausgrenzung, Risikound Armutslagen bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen am Beispiel
Frankfurt/M., Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik: ISS-Pontifex, Frankfurt am
Main, 1998
Heekerens,Hans-Peter/Ohling, Maria: Kinderarmut, ein erweiterter Armutsbegriff, in:
Unserer Jugend, 61.Jg., S-329-338, Ernst Reinhardt Verlag München Basel 2009
Herz, Birgit (Hrsg.) et al: Kinderamut und Bildung, Armutslagen in Hamburg, VS, Verl. für
Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008
Holz,Gerda et al: "Zukunftschance für Kinder!? - Wirkung von Armut bis zum Ende der
Grundschulzeit" Endbericht der 3.AWO-ISS-Studie im Auftrag der Arbeiterwohlfahrt
Bundesverband e.V. 2006
Rahn, Peter/Chassé, Karl August: Children in Poverty in Germany: Reflections on recent
Social Work research, Journal of Social Work Practice Vol. 23, No. 2, June 2009, S.243252, Routledge Taylor & Francis Group
Redding, Andrea: Jugendarmut – Materielle und soziale Exklusion junger Menschen in
Deutschland, Ursachen, Erscheinungsformen und Auswirkungen auf die Lebenswelten
Jugendlicher, Aspekte Jugendsozialarbeit, Düsseldorf 2009
Schniering, Daniel: Kinder- und Jugendarmut in Deutschland, Grundlagen, Dimensionen,
Auswirkungen, VDM Verlag Dr.Müller, Saarbrücken 2006
Zander, Margherita: Kinderarmut: einführendes Handbuch für Forschung und soziale
Praxis, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2005
Speziell über Parentifizierung:
Graf, Johanna/Frank, Reiner: Parentifizierung: Die Last, als Kind die eigenen Eltern zu
bemuttern, in: Walper,Sabine/Pekrun,Reinhard:Familie und Entwicklung, Hogrefe Verlag
für Psychologie, Göttingen 2001
Weitere interessante Verschriftlichungen zum Thema Kinderarmut von folgenden
Autor_innen:
Beisenherz, Gerhard
Buhr, Petra
Butterwegge, Carolin
Hurrelmann, Klaus
Joos, Magdalena
Kilb, Rainer
Klocke, Andreas
Sema Celik / Meral Kartal
Gesundheitliche Folgen
Seminar: Armut, Arbeitslosigkeit und Wohnungslosigkeit
Dozentin: Susanne Gerull
Sema Celik
0036584
Lernisage
Kinderarmut
Gesundheitliche Folgen von Kinderarmut
Literaturliste:
Aid spezial, Abgehängt und allein gelassen? Herausforderung Ernährungsarmut, Bonn 2010.
http://www.focus.de/gesundheit/ernaehrung/news/ernaehrungsmaengel_aid_68538.html
http://www.fr-online.de/politik/doku---debatte/reiches-land--arme-kinder//1472608/2797492/-/index.html
http://www.kinderschutzbund-stralsund.de/ritalin-und-adhs/
http://www.linksfraktion.de/nachrichten/kinderarmut-macht-krank/
www.nationale-armutskonferenz.de/.../KinderarmutNAK2001.pdf
http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=6184
Raimund Geene, Carola Gold (Hg), Kinderarmut und Kindergesundheit, 1. Auflage, Bern
2009
http://www.sueddeutsche.de/wissen/kindergesundheit-gesundheitsrisiko-armut-1.9276
Thomas Kliche u. a., Prävention und Gesundheitsförderung in Kindertagesstätten, Eine Studie
zu Determinanten, Verbreitung und Methoden für Kinder und Mitarbeiterinnen, Weinheim
und München 2008.
http://www.zukunftsforumfamilie.de/_rubric/detail.php?rubric=Kinderarmut&title=Kinderarmut
03.01.2011
Folgen Mangelnder Ernährung
Kinderarmut
1
03.01.2011
Kein Geld für eine gesunde Ernährung
Im Supermarkt geht der Griff oft zu billigen,
industriell hergestellten Produkten
Der enorme Preisanstieg bei Lebensmitteln hat
diese Situation noch verschärft
viele leiden unter Essstörungen und Fettleibigkeit
Kinder aus armen Familien sind häufiger krank als
Gleichaltrige aus gut verdienenden Elternhäusern.
Oft fehlt ihnen das Bewusstsein für die
Gesundheitsvorsorge
2
03.01.2011
Ernährungsempfehlungen für
Kinder und Jugendliche
abwechslungsreiche, fettarme und schmackhafte
Lebensmittelauswahl
... geringe Gefahr einer Unter-/Überdosierung
...stärkere Geschmacksdifferenzierung
reichlich ungesüßte oder wenig gesüßte Getränke
(Obstsaftschorlen, [Mineral-]Wasser, Tees)
täglich frisches Obst und Gemüse
täglich eiweißreiche Milch und Milchprodukte
regelmäßig mageres Fleisch, Fisch, Eier
Frühstückscerealien (Getreide, Müsli, Haferflocken
etc.)
3
03.01.2011
Armut verschlechtert Gesundheit
Untersuchungsteams des Berliner
Robert-Koch-Instituts prüften dafür
von 2003 bis 2006 das
gesundheitliche Wohlbefinden von
insgesamt 17.641 Kindern und
Jugendlichen zwischen 0 und 17
Jahren in 167 Städten und
Gemeinden
4
03.01.2011
Demnach weisen Jungen und vor allem Mädchen mit
niedrigerem Sozialstatus deutliche Bewegungsdefizite auf:
40,4 Prozent der Mädchen und 36,2 Prozent der Jungen
zwischen drei und zehn Jahren mit geringem Sozialstatus
treiben weniger als einmal pro Woche Sport. Diese Jungen
und Mädchen zeigen auch ein
mangelndes Mundgesundheitsbewusstsein:
39 Prozent der Kinder zwischen 0 und 17 mit niedrigem
sozialem Status putzen nur einmal täglich oder seltener ihre
Zähne (mittlerer Sozialstatus: 28 Prozent; hoher
Sozialstatus: 22 Prozent).
Jugendliche aus Familien mit niedrigem
Sozialstatus rauchen zudem häufiger als
Jugendliche aus sozial höher gestellten Familien.
23,2 Prozent der befragten Kinder aus armen
Familien zeigten Hinweise auf psychische
Probleme (mittlerer Sozialstatus: 13,4 Prozent;
hoher Sozialstatus: 8,1 Prozent).
Jedes dritte sozial schlecht gestellt Kind wies 2004
bei seiner Einschulung therapiebedürftige
Entwicklungsstörungen oder
Verhaltensauffälligkeiten auf.
5
03.01.2011
Kinder und Jugendliche aus Familien mit
niedrigem sozioökonomischem Status sind mit 27,
6 Prozent fast doppelt so häufig von Essstörungen
betroffen wie Kinder aus Familien mit hohem
Status (15,6 Prozent).
Das Aufmerksamkeitsdefizit
Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) wurde
bedeutend häufiger bei Kindern mit niedrigem
sozialem Status als bei Kindern mit höherem
Status diagnostiziert.
Armut und Ernährung
- Armut wirkt sich auf das
Ernährungsverhalten der Kinder aus
Für fast alle armen Haushalte gilt dabei:
- Am Essen wird gespart
- Ernährung ist verbunden mit erhöhter
Nährstoffzufuhr
- Arme Schwanger ernähren sich oft
schlecht
6
03.01.2011
Armut und Ernährung
Armut und Ernährung
- Aus einem ungesunden
Ernährungsverhalten kann sich ein
gestörtes Eßverhalten entwickeln
⇒Soll seelische Belastungen
überdecken
7
03.01.2011
Armut und Ernährung
- Erhöhte Zufuhr von Zucker
⇒Konsequenzen für die Gesundheit
Armut und Ernährung
Handlungsmöglichkeiten
- Gemeinsames Frühstück
- „Die Tafeln“
- Lernküchen
8
03.01.2011
Literatur:
Deutsches Kinderhilfswerk e. V. (Hrsg.). Kinderreport
Deutschland 2004 – Daten, Fakten, Hintergründe. München
2004, S. 17-85
Kaiser, Astrid/ Charlotte Röhner (Hrsg.). Kinder im 21.
Jahrhundert. Münster 2000, S. 7 – 93
http://www.kinder-armut.de/
http://de.wikipedia.org/wiki/Armut
http://www.wdr.de/themen/politik/deutschland/kinderarmut/in
dex.jhtml
http://www.bpb.de/publikationen/79LBU9,0,0,Staat_und_Fa
milien_Familien_und_Kinderarmut_in_Deutschland.html
http://www.destatis.de/cgi-bin/wwwwais
9
Beate Rintel
Bildungsarmut
06.12.2010
Beate Rintel
Bildungsarmut in Deutschland
Definition von
Bildungsarmut
Relative
Bildungsarmut
Bezug zum Lebensort
üblichen
Durchschnittsabschluss
Absolute Bildungsarmut
Keinen höheren
Sekundarabschluss
Keine abgeschlossene
Berufsausbildung
1
06.12.2010
Pisa-Studie
Absolut bildungsarm ist der, der nur die
unterste der fünf Kompetenzstufen
erreicht hat.
Gefordert sind Handlungs- und
Sozialkompetenzen sowie Kompetenzen
aus den unterschiedlichen
Bildungsbereichen.
1. AWO-ISS-Studie
Entwicklungsbedingungen und
Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern
im Vorschulalter wurden verglichen.
Grundlage war die „kindzentrierte
Sichtweise“, die im Zusammenhang mit
der Familien- und der Haussituation,
sowie weiterer Dimensionen bewertet
wurden.
2
06.12.2010
1. AWO-ISS-Studie
Dimensionen:
Materielle Mangellage der Familie
Materielle Versorgung des Kindes
Kulturelle Versorgung des Kindes
Situation im sozialen Bereich
Psychische und physische Lage
1. AWO-ISS-Studie
Familiäre Armut führt nicht zwangsläufig
zu Auffälligkeiten oder zu
Beeinträchtigungen bei Kindern im
Vorschulalter
Risiko- und Schutzfaktoren können die
Entwicklung von Kindern beeinflussen
3
06.12.2010
2. World Vision
Kinderstudie 2010
Die soziale Herkunft bestimmt in
Deutschland über die Bildungschancen
von Kindern.
Bei gleichen Kompetenzen erhalten
Schüler aus den Oberschichten deutlich
häufiger eine Empfehlung für das
Gymnasium.
Auswirkungen von
Bildungsarmut
Der demographische Wandel zwingt das
rohstoffarme Deutschland zu
technologischer Wettbewerbs- und
Innovationsfähigkeit. Hoch qualifizierte
Arbeitnehmer sind notwendig.
Unzureichend qualifizierte Jugendliche
belasten die öffentlichen Haushalte.
4
06.12.2010
Auswirkungen von
Bildungsarmut
Die geburtenschwachen Jahrgänge der
Nachwendezeit verursachen einen
Mangel an ausbildungsfähigen
Jugendlichen.
Ein geringer Bildungsstand hat
Auswirkungen auf das zukünftige
Einkommen.
Ursachen von
Bildungsarmut
Die Lernleistungen der Kinder sind laut
Pisa abhängig vom Bildungsstand der
Eltern.
Die Einkommensarmut der Eltern laut
der 1. AWO-ISS-Studie.
Die Schullaufbahnentscheidung der
Eltern, welche ihre Kinder selten auf
höheren Schulen anmelden, als sie
selbst absolviert haben.
5
06.12.2010
Literatur
Becker, Rolf/ Lauterbach, Wolfgang (Hrsg.)
(2004):Dauerhafte Bildungsungleichheiten-Ursachen,
Mechanismen, Prozesse und Wirkungen. In:Becker,
Rolf/ Lauterbach, Wolfgang (Hrsg.) (2004): Bildung als
Privileg? Erklärungen und Befunde zu den Ursachen
der Bildungsungleichheit. Wiesbaden: Verlag für
Sozialwissenschaften.
Holz, Gerda (2005): Frühe Armutserfahrungen und
ihre Folgen im Vorschulalter. In: Zander, Margherita
(Hrsg.) (2005): Kinderarmut. Einführendes Handbuch
für Forschung und soziale Praxis. Wiesbaden: Verlag
für Sozialwissenschaften.
Literatur
Kampshoff, Marita (2005): Armutsprävention im
Bildungsbereich – Ansatzpunkte für
Chancengleichheit. In: Zander, Margherita
(Hrsg.)(2005): Kinderarmut. Einführendes Handbuch
für Forschung und soziale Praxis. Wiesbaden: Verlag
für Sozialwissenschaften.
Maaz, Kai/Baumert, Jürgen/Trautwein, Ulrich (2010):
Genese sozialer Ungleichheit im institionellen Kontext
der Schule: Wo entsteht und vergrößert sich soziale
Ungleichheit? In: Krüger, Heinz-Herrmann/RabeKleberg/Ursula/Kramer, Rolf-Torsten/Budde, Jürgen
(Hrsg.) (2010): Bildungsungleichheit revisited. Bildung
und soziale Ungleichheit vom Kindergarten bis zur
Hochschule. Wiesbaden: VS Verlag für
Sozialwissenschaften.
6
06.12.2010
Literatur
Schneekloth, Ulrich/ Pupeter, Monika (2010): Familie
als Zentrum: Bunt und Vielfältig, aber nicht für alle
Kinder gleich verlässlich. In: World Vision
Deutschland e.V. (Hrsg.) (2010): Kinder in
Deutschland 2010. Frankfurt am Main: Fischer
Taschenbuch Verlag.
Hock, Beate/Holz, Gerda/Simmedinger,
Renate/Wüstendörfer, Werner(1998-2000): Gute
Kindheit - Schlechte Kindheit? Armut und
Zukunftschancen von Kindern und Jugendlichen in
Deutschland. Abschlussbericht zur Studie im Auftrag
des Bundesverbandes der
Arbeiterwohlfahrt.http://www.awo.org/standpunkte-undpositionen/kinderarmut.html(15.07.2010)
Literatur
Bos, Wilfried/Hornberg, Sabine/Arnold, KarlHeinz/Faust, Gabriele/Fried, Lilian/Lankes, EvaMaria/Schippert, Kurt/Valtin, Renate (Hrsg.)
(2006):Lesekompetenzen von Grundschulkindern in
Deutschland im internationalen
Vergleich.http://www.dksb.de/CONTENT/SHOWPAGE.ASPX?CONTENT=
459&TPL=0 (21.08.2010)
Vogt, Stephanie (2010):Bildungsarmut.
In:http://www.armutszeugnisse.de/glossar/bildungsar
mut.htm(03.07.2010)
7
Beate Rintel
Bildungsarmut
In Klappkarten, die jeweils mit den einzelnen Buchstaben des Wortes: „Bildungsarmut“ versehen
waren, konnte der nachfolgende Text in Einzelpassagen nachgelesen werden.
Wie bei der Definition von Armut, lässt sich auch bei der Definition von Bildungsarmut
unterscheiden zwischen „relativer“ und „absoluter“ Bildungsarmut.
Als „bildungsarm“ oder auch „bildungsfern“ werden Menschen bezeichnet, die über keinen höheren
Sekundarabschluss und/oder über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen (Vogt, 2010).
Also legt eine Mindestgrenze den Maßstab fest, mit dem „absolute“ Bildungsarmut gemessen
werden kann.
Zur Bemessung von Bildungsarmut können formal erworbene Bildungsabschlüsse herangezogen
werden, die aber immer auch im relativen Bezug zum Lebensort üblichen Durchschnittsabschluss
bewertet werden müssen. Aber es besteht auch die Möglichkeit, einer relativen Bemessung von
Bildungsarmut, in dem alle Menschen in einem Bildung-Ressourcen-Gefüge betrachtet würden.
Danach wären dann beispielsweise alle als bildungsarm zu bezeichnen, die sich im unteren Quintil
befänden (Kampshoff, 2005, S. 219).
Im europäischen Vergleich wurden in der PISA-Studie zusätzlich Kompetenzen in
unterschiedlichen Bildungsbereichen als Maßstab verwendet. Auch erworbene Handlungs- und
Sozialkompetenzen sind als Grundlage zu bewerten (Vogt, 2010).
Die Kompetenzen sind in Kompetenzbereiche zusammengefasst worden und in hierarchische
Stufen aufgebaut. So sind in der PISA-Studie die als absolut bildungsarm angesehen, die nur die
unterste der fünf Kompetenzstufen erreicht haben. Im Internationalen Vergleich wird der relative
Wert deutlich. Hier erreichten in Deutschland leistungsschwächere Schüler/innen weniger Punkte,
wie für die Kompetenzstufe eins erforderlich gewesen wären. Hingegen sind in 14 der insgesamt
31 Teilnehmerstaaten, leistungsschwächere Schüler/innen noch innerhalb der Grenzen der
Kompetenzstufe eins zu finden. Ein weiteres Ergebnis war, der auffällige Zusammenhang von
sozialer Herkunft und Kompetenzarmut in Deutschland, dieser war in keinem der anderen
Teilnehmerstaaten so ausgeprägt. Soziale Ungleichheit ist demnach eng verknüpft mit Kinderarmut
im Bildungsbereich (Kampshoff, 2005, S. 220).
In der 1. AWO–ISS-Studie: „Armut im Vorschulalter“ wird als Grundbedingung die „kindzentrierte
Sichtweise“ festgelegt, die im Zusammenhang mit der Familien- und der Haushaltssituation und
unter Einbeziehung weiterer Dimensionen, aussagekräftig zu den Teilhabechancen und der
Entwicklung betroffener Kinder, Untersuchungen erstellt hat. Diese Grundbedingungen und
Dimensionen beschreiben eine benachteiligte Lebenslage, die immer auf der materiellen
Mangellage der Familie basieren. Weitere Dimensionen wurden benötigt, um im Vergleich zu
besser gestellten Kindern Entwicklungsbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten bewerten zu
können. Somit werden die materielle Versorgung des Kindes (Wohnen, Nahrung, Kleidung,
materielle Partizipationsmöglichkeiten), die „Versorgung“ im kulturellen Bereich (z. B. kognitive
Entwicklung, sprachliche und kulturelle Kompetenzen, Bildung), die Situation im sozialen Bereich
(soziale Kontakte, soziale Kompetenzen), sowie die psychische und die physische Lage
(Gesundheitszustand, körperliche Entwicklung) als Dimensionen der Lebenslage des Kindes
berücksichtigt (Hock, Holz, Simmedinger, Wüstendörfer, 1998-2000)
Wie die Studie belegt, führt familiäre Armut bei Kindern im Vorschulalter aber nicht zwangsläufig zu
Auffälligkeiten oder zu Beeinträchtigungen. Von den untersuchten armen Kindern lebten 23,6 % in
Wohlergehen. Diese Kinder waren in den zentralen Lebensbereichen nicht eingeschränkt.
Prozentual doppelt so viele nicht-arme Kinder lebten im Wohlergehen, gegenüber den armen
Kindern (23,6 % zu 46,4 %).
Bei den multiplen Deprivationserscheinungen war der Anteil der armen Kinder allerdings fast
dreimal so hoch wie der, der nicht-armen Kinder (36,1 % vs. 13,7 %). Sozialisationsprozesse und –
bedingungen ab der Geburt und in frühster Kindheit bilden die Grundlage für die weitere kindliche
Entwicklung sowohl bei armen, als auch bei nicht armen Kindern. Somit lassen sich sowohl Risikoals auch Schutzfaktoren ermitteln, die die Entwicklung von Kindern positiv oder auch negativ
beeinflussen können (Holz, 2005, S. 102, 103).
Wie aber die 2. World Vision Kinderstudie 2010 mit ihren Ergebnissen feststellt, bestimmt in
Deutschland die soziale Herkunft über die Bildungschancen der Kinder. Auffällig war in
besonderem Maße, dass bei gleichen Kompetenzen, Schüler aus den Oberschichten deutlich
häufiger eine Empfehlung zur Fortsetzung der Schullaufbahn an Gymnasien bekamen (Leven/
Schleekloth, 2010, S. 161, 162).
In diesem Zusammenhang hatte sich auch in der IGLU-Studie 2006 ein signifikanter und durchaus
nicht unbeträchtlicher Einfluss der sozialen Herkunft auf die Schullaufbahn-präferenzen der
Lehrkräfte gezeigt. Es wurde nachgewiesen, dass es sich um eine deutliche und mehrfache
Benachteiligung von Kindern aus unteren sozialen Lagen beim Übergang auf das Gymnasium gab
(Bos, Hornberg, Arnold, Faust, Fried, Lankes, Schwippert, Valtin, 2006).
Diese Benachteiligung ist von zwei Seiten her verursacht. Die Eltern ihrerseits wählen für ihre
Kinder häufig die Schulform aus, die sie selbst absolviert haben. So sind die Chancen, dass Eltern,
die selbst ein Gymnasium besucht haben, für ihre Kinder bei vergleichbaren Leistungen auch das
Gymnasium als weiterführende Schule auswählen, 8,84-mal höher, als bei Eltern, die maximal
einen Hauptschulabschluss besitzen (Maaz, Baumert, Trautwein, 2010, S. 77).
Bei den Lehrkräften beruht die Empfehlung primär auf den Noten des letzten Schulzeugnisses und
die Entscheidung ist eher von dem zu erwartenden Leistungserfolg, als von der
Schichtenzugehörigkeit abhängig (ebd.).
Aus diesen Zusammenhängen schlussfolgernd, ergibt sich, dass Bildungsarmut als ein Aspekt von
Armut bei Kindern auftreten kann und es Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Entwicklung der
Kinder gibt. Die Frage nach den Auswirkungen, Ursachen und Maßnahmen in Zusammenhang mit
Bildungsarmut wird auch in der Öffentlichkeit diskutiert. Nicht nur in den Fachgremien von
Lehramt, Pädagogik und Sozialwissenschaft werden Lösungen gesucht. Auch auf politischer
Ebene besteht Interesse, die zunehmende Anzahl von Schulabgängern ohne Schulabschluss oder
ohne höheren Sekundarabschluss zu minimieren. Dies geschieht auf dem Hintergrund, dass das
Bildungspotenzial in Deutschland nicht ausgeschöpft wird (Anger, Plünnecke, Seyda, 2007). Was
derzeit u. a. zur Folge hat, dass Deutschland einen zunehmenden Fachkräftemangel zu
kompensieren hat.
So hat Bildungsarmut nicht nur Auswirkungen auf das Individuum, welches ein erhöhtes Risiko von
Arbeitslosigkeit, prekären Lebensbedingungen und dem sich daraus ergebenden Mangel an
gesellschaftlicher Teilhabe trägt, sondern auf die gesamte Volkswirtschaft (ebd.).
Ein geringer Bildungsstand in Deutschland hat Auswirkungen auf das zukünftige Einkommen und
damit verbunden auch auf den sozialen Status des Einzelnen. Seine Chancen auf
gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen aber auch am beruflichen Leben verringern sich.
Eine höhere Qualifizierung verringert das Risiko den Arbeitsplatz zu verlieren und erhöht
gleichzeitig die Chance eine eventuelle Arbeitslosigkeit schneller zu überwinden. Dem zu Folge ist
Bildungsarmut mit dem erhöhten Risiko von Einkommensarmut verbunden, welche häufig
staatliche Unterstützung nach sich zieht (Anger/ Plünnecke/ Seyda, 2007).
Bei den gesellschaftlichen Auswirkungen von Bildungsarmut sind zwei Perspektiven zu
berücksichtigen.
Wegen der rohstoffarmen Lage ist Deutschland auf technologische Wettbewerbsfähigkeit und auf
Innovationsfähigkeit angewiesen. Im internationalen Wettbewerb können nur durch hoch
qualifizierte Arbeitnehmer neue wissensintensive Produkte entwickelt und hergestellt werden. Auf
dem Hintergrund des demographischen Wandels, ist die Standortsicherung als
Investitionsentscheidung der Unternehmen, von dem guten Bildungsstand der Arbeitnehmer
abhängig und damit ein entscheidender Faktor für die Wohlstandsentwicklung in Deutschland
(ebd.).
Bei der Frage nach den Ursachen gibt die PISA-Studie als Ergebnis der Analyse den Aufschluss,
dass in Deutschland Lernleistungen der Kinder abhängig sind von dem jeweiligen Bildungsstand
ihrer Eltern. So ist ein niedriger Bildungsstand der Eltern, der u. U. die frühkindliche Förderung
aber auch die nötige Unterstützung während der Schulzeit vermissen lässt, ein mögliches
Kriterium für guten bzw. nicht guten Lernerfolg der Kinder. Der Migrationshintergrund als
Hemmschuh für das Erlernen der deutschen Sprache, die als Voraussetzung zu erfolgreicher
Teilnahme am Unterricht unabdinglich ist und die Bildungsferne der Eltern sind als Merkmale zu
benennen, die in erheblichem Maße Einfluss auf die Entstehung von Bildungsarmut haben (Anger/
Plünnecke/ Seyda, 2007).
Die 1. AWO–ISS-Studie: „Armut im Vorschulalter“ belegte, dass die relative Einkommensarmut der
Eltern als weitere Ursache für die Bildungsarmut von Kindern zu benennen ist (Hock, Holz,
Simmedinger, Wüstendörfer, 1998-2000).
Ein weiterer Aspekt ist die Auswirkung auf den Bildungserfolg der Kinder durch die Ausstattung
von Schulen, Lehrmaterial, Gebäuden etc., aber auch die Anzahl des Lehrpersonals, welches mit
seinen Kompetenzen, aber auch mit der persönlichen Haltung zu bestimmten Schüler(inne)n
Einfluss nehmen könnte. Dieser Aspekt ist noch nicht in vollem Umfang gesichert (Anger/
Plünnecke/ Seyda, 2007).
Die Schullaufbahnempfehlungen für Kinder sind, wie voran bereits beschrieben, oft abhängig von
der Schichtenzugehörigkeit der Schüler/innen (Leven/ Schleekloth, 2010, S:161, 162).
Die soziale Herkunft von Schüler(inne)n, beeinflusst die Entscheidung zur Weiterempfehlung auf
eine höhere Schule und trägt damit bei, gesellschaftliche Segregationsprozesse zu fördern. Aber
auch der vergleichsweise frühe Schulwechsel der Kinder (in den meisten Bundesländern nach der
vierten Klassenstufe), mit der damit verbundenen Bildungsentscheidung der Eltern, hat langfristig
bindende, schwerlich revidierbare und sozial selektive Konsequenzen für ihre Chancen im
Bildungs-, Berufs- und Lebensverlauf (Becker/ Lauterbach, 2004, S. 26).
Eine spätere Korrektur dieser Entscheidung, ist nur noch schwer zu voll ziehen. Sowohl der
Aufstieg in eine höhere Schulform, als auch das Nachholen von Abschlüssen gestaltet sich
schwieriger und eher selten bei Kindern aus sozial schwächeren Schichten. Hin zu kommt, dass
die Entwicklung von Kompetenzen und fachlichen Leistungen für Schüler differenzieller
Schulformen sehr unterschiedlich ausfällt. Die Entwicklungsmöglichkeiten von Gymnasiasten sind
deutlich besser, als die von Realschülern und diese sind gegenüber Gesamtschülern und
Hauptschülern wiederum im Vorteil. Dazu kommen auch noch Differenzen in den
Leistungsentwicklungsmöglichkeiten bei den Schülern, zwischen einzelnen Schulen einer
Schulform (Ditton, 2010, S. 250). Schüler die nicht das Gymnasium besuchen, erlangen weniger
Kompetenzen und Fachwissen, welches für eine spätere Berufswahl und den Erhalt einer
Lehrstelle relevant ist. Ihre Chancen auf einen Berufsabschluss sind deutlich eingeschränkt.
Literatur:
Becker, Rolf/ Lauterbach, Wolfgang (Hrsg.) (2004):Dauerhafte Bildungsungleichheiten-Ursachen,
Mechanismen, Prozesse und Wirkungen. In:Becker, Rolf/ Lauterbach, Wolfgang (Hrsg.) (2004):
Bildung als Privileg? Erklärungen und Befunde zu den Ursachen der Bildungsungleichheit.
Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.
Bos, Wilfried/Hornberg, Sabine/Arnold, Karl-Heinz/Faust, Gabriele/Fried, Lilian/Lankes, EvaMaria/Schippert, Kurt/Valtin, Renate (Hrsg.) (2006):Lesekompetenzen von Grundschulkindern in
Deutschland im internationalen
Vergleich.http://www.dksb.de/CONTENT/SHOWPAGE.ASPX?CONTENT=459&TPL=0
(21.08.2010)
Hock, Beate/Holz, Gerda/Simmedinger, Renate/Wüstendörfer, Werner(1998-2000): Gute Kindheit Schlechte Kindheit? Armut und Zukunftschancen von Kindern und Jugendlichen in Deutschland.
Abschlussbericht zur Studie im Auftrag des Bundesverbandes der
Arbeiterwohlfahrt.http://www.awo.org/standpunkte-und-positionen/kinderarmut.html(15.07.2010)
Holz, Gerda (2005): Frühe Armutserfahrungen und ihre Folgen im Vorschulalter. In: Zander,
Margherita (Hrsg.) (2005): Kinderarmut. Einführendes Handbuch für Forschung und soziale Praxis.
Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.
Kampshoff, Marita (2005): Armutsprävention im Bildungsbereich – Ansatzpunkte für
Chancengleichheit. In: Zander, Margherita (Hrsg.)(2005): Kinderarmut. Einführendes Handbuch für
Forschung und soziale Praxis. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.
Maaz, Kai/Baumert, Jürgen/Trautwein, Ulrich (2010): Genese sozialer Ungleichheit im institionellen
Kontext der Schule: Wo entsteht und vergrößert sich soziale Ungleichheit? In: Krüger, HeinzHerrmann/Rabe-Kleberg/Ursula/Kramer, Rolf-Torsten/Budde, Jürgen (Hrsg.) (2010):
Bildungsungleichheit revisited. Bildung und soziale Ungleichheit vom Kindergarten bis zur
Hochschule. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Schneekloth, Ulrich/ Pupeter, Monika (2010): Familie als Zentrum: Bunt und Vielfältig, aber nicht
für alle Kinder gleich verlässlich. In: World Vision Deutschland e.V. (Hrsg.) (2010): Kinder in
Deutschland 2010. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag.
Vogt, Stephanie (2010):Bildungsarmut.
In:http://www.armutszeugnisse.de/glossar/bildungsarmut.htm(03.07.2010)
Zusätzliche Internetadressen:
http://www.bpb.de/publikationen/T3GDNK.html
http//www.bpb.de/publikationen/LEWNYY.html
Isabelle Rodesch / Klara Domröse
Armut aus Kindersicht
1. Kontaktherstellung mit Schule
Liebe Hortnerinnen, liebe Hortner
Wir sind Studierende der Sozialen Arbeit an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin und
möchten Ihnen gerne ein Kurzzeitprojekt vorstellen, was wir gerne mit Schülern und
Schülerinnen Ihrer Schule realisieren würden.
Als Studierende der Sozialen Arbeit beschäftigen wir uns während unseres Studiums mit
vielen gesellschaftspolitischen Fragen und untersuchen sowohl individuelle, als auch
strukturelle Problemlagen, mit denen die Menschen in ihrem täglichen Leben zu tun haben.
Dabei interessieren wir uns auch für persönliche Lösungsstrategien und versuchen diese zu
Tage zu fördern. Wir sind jetzt bereits im siebten Semester und beschäftigen uns momentan
mit „Armut, Arbeitslosigkeit und Wohnungslosigkeit“ im Rahmen eines selbst gewählten
Vertiefungsseminars. In diesem Kontext werden wir uns in vier Wochen schwerpunktmäßig
mit dem Thema „Kinderarmut“ in Deutschland beschäftigen und deren Ursachen, Folgen,
Bewältigungsstrategien in einer „Lernissage“ (einer Art Lernausstellung mit anschließender
Diskussion) darstellen. Hintergrund ist die Debatte um Armut in Deutschland, die uns
besonders vor dem Hintergrund der ALG-II-Regelungen beschäftigt.
Eine Mitkommilitonin und ich würden dazu gerne die wissenschaftliche Perspektive um eine
persönlichere, kindliche Perspektive ergänzen und dazu an einen Nachmittag mit den
Schülerinnen und Schülern spielerisch zum Thema „Armut“ arbeiten. Wir empfinden es als
wichtig, dass wir uns im Rahmen dieser „Lernissage“ nicht nur rein theoretisch mit dem
Thema auseinandersetzen, sondern auch Gesagtes, Geschriebenes, Gebasteltes der Kinder
selbst mit einfließen lassen. Es geht konkret um die Frage, wie Kinder „Armut“ eigentlich
selbst definieren, an was sie sie festmachen und wie bzw. wo sie sich ihrer Meinung nach
äußert. Wir werden Fragen nach Kinderrechten und –wünschen berühren und uns der
erlebten Armut hier in Deutschland zuwenden. Hierzu wollen wir malen, schreiben,
eventuell fotografieren und natürlich diskutieren und anschließend die Ergebnisse
zusammentragen und sie uns gegenseitig präsentieren. Die entstandenen Ergebnisse würden
wir gerne - sofern alle Beteiligten zustimmen - unserer 25köpfigen Seminargruppe vorstellen.
Methodisch würden wir Studierenden den Nachmittag selbstverständlich vorbereiten, gerne
auch in Zusammenarbeit mit Ihnen. Vielleicht haben Sie bereits ein Nachmittagsprogramm, in
das sich unsere Idee einfach einfügen ließe.
Der Zeitraum, den wir Ihnen gerne vorschlagen würden, liegt in der Woche vom 15.11.2010
bis 19.11.2010, da wir Studierenden dort eine vorlesungsfreie Blockwoche haben, die uns
Zeit für eigene Projekte einräumt.
Wir sind uns bewusst, dass wir uns recht kurzfristig an Sie wenden, hoffen aber, dass es ein
paar freie Nachmittagsstunden gibt, die sie uns eventuell zur Verfügung stellen wollen und
können.
Wenn Sie Interesse haben oder mehr wissen wollen, dann freuen wir uns über ein
persönliches Gespräch, in dem wir über alles Nähere sprechen können.
Bitte kontaktieren Sie uns jederzeit per Mail oder telefonisch.
Mit besten Grüßen
Isabelle Rodesch und Klara Domröse
(Studierende der Sozialen Arbeit)
1
2. Vorüberlegungen und Konzept
Wie in unserem Konzept bereits
geschrieben, haben wir uns überlegt,
dass uns aus dem großen Feld der mit
Armut in Verbindung stehenden Themen
die Definition des Wortes selbst am
meisten interessieren würde. Hierzu
haben
wir
uns
in
mehreren
Konzeptionstreffen gemeinsam überlegt,
wie
wir
ungefiltert
an
die
Armutsverständnisse
von
Kindern
herankommen und gleichzeitig aber auch
den Blick der Kinder hier nach
Deutschland richten könnten. Wir haben
uns Gedanken darüber gemacht, wie
direkt wir sie nach Armut fragen
könnten, ohne dass es zu unfreiwilligen
Bloßstellungen kommt. Zwischenzeitlich
haben wir erwogen, das Wort „Armut“
ganz außen vor zu lassen und uns statt
dessen durch die Hintertür (mit Fragen
zur Bewertung von Geld, Grundrechten
etc.) dem Thema dennoch zu nähern.
Letztendlich einigten wir uns darauf, dass
wir eine freie, assoziative Phase ganz
zum Anfang haben wollten, um
überhaupt unverstellt erfassen zu
können, welche Themen
oder
Situationen mit dem Begriff assoziiert
werden. Im nächsten Schritt wollten wir
anhand von Photos die Kinder dazu
animieren, zu überlegen, welche anderen
Themen
wie
mit
„Armut“
möglicherweise
zusammenhängen.
Hierzu haben wir uns vorerst Gedanken
darüber gemacht, welche, auch in der
Öffentlichkeit
vielmals
genannten,
Themen von dieser Lebenssituation
beeinflusst werden (Graphik S. 3). Um
Verwirrung zu vermeiden, haben wir uns
entschieden, nur den Begriff „Armut“,
nicht „Kinderarmut“ zu verwenden.
2
1. Stellen uns vor (Armut und was euch wichtig ist,
Konferenz)
Zeit:2min
2. Namenschilder austeilen
Zeit:5min
3. Namensspiel mit Geste
„Ich heiße Isa!“ hüpfen
„Isa“ hüpfen
Zeit:5min
4. Warming –Up
Zeit:5min
Klumpen (zu Zahlen oder Merkmalen
zusammenfinden)
Alle bewegen sich im Raum umher. Der Leiter
nennt eine Zahl. Nun müssen sich Gruppengrößen
zu genau dieser Zahl bilden. Wer keine Gruppe
findet scheidet aus. Variante: es bilden sich
Gruppen mit der selben Schuhgröße, derselben
Sockenfarbe, den selben Augenfarben.
Zum Schluss, die Zahl 4! Das sind dann die
Arbeitsgruppen!
5. ARMUT-Brainstorming (erst in Kleingruppen, dann
Zusammentragen in der Großgruppe)
Zeit:15-25
1) Was ist Armut?
2) Wo gibt es Armut?
3) Von wo kennst du Armut?
4) Wann bist du glücklich?
5) …
6. Diskussion, Themen lenken
Zeit:10min
Material: Bilder (Familie/Freunde, Schule, Freizeit)
Wir schauen was bei der Übung davor
rausgekommen ist… wieviel sie selbst über Armut
wussten und erzählen evt. Noch mehr über unser
Seminar.
Wir legen ein paar Bilder(Schule, Freizeit,…) in die
Mitte der Gruppe um die Diskussion weiter zu
fördern.
7. Malen
Zeit:20-30min
Material: Papier und Farben, im Hort nachfragen
für Wachsfarbe!
Jetzt nachdem ihr soviel gehört habt und
geredet habt, könnt ihr eure Gedanken bildlich
darstellen, was ihr über Armut denkt. Wie sieht
Armut aus?
Für Kinder die schnell malen, eine zweite Maloder Schreib-Aufgabe: Was denkst Du müsstet
jedes Kind haben?
Ein Teil der Bilder werden zusammen angeschaut:
Was könnt ich hier sehen?
*geplanter Ablauf (aus Zeitgründen mussten wir
leider einige Fragen aus Punkt 5 und den
gesamten Punkt 6 streichen)
2.1. Zusammenstellung der Vertiefungsthemen
Unterstützung durch soziales
Umfeld (Welchen Stellenwert
nehmen Familie/Freunde ein?)
Kinderrechte (auf was sollte jedes
Kind ein Recht haben?)
Bedeutungen/Wichtigkeiten
im Leben
(Wann bist du glücklich?)
Armut
Bildung (Sinn/Wichtigkeit
von Wissen, Schule)
Freizeit und Möglichkeit
für persönliche (Weiter-)
Entwicklung
Konkrete Positionierungsfragen zu
Wohnraum, (Taschen-)Geld, Arbeit,
Wahrnehmen können von
kulturellen Angeboten
3. Durchführung und Auswertung des Kurzzeitprojekts
Um kurz vor zwei sind wir im Hort der Schule am Falkplatz angekommen, in
der orangen Etage. Ein paar umgestaltete Klassenzimmer dienen als Horträume.
Die Hortnerin, mit der wir lediglich Telefonkontakt hatten, erkennt uns
unbekannterweise und wir sie. Sie kündigt uns an, sie wolle noch ein paar
Kinder aus der vierten Klasse zu den jetzigen Drittklässlern herüberholen, die
dann aber letztendlich keine Lust hatten. Alles wuselt auf den Fluren und in den
Horträumen herum.
Wir stecken uns unsere selbst gebastelten Namensschilder an, die auch die
Kinder bekommen werden. Als wir beginnen, sind es so um die 18 Kinder, von
denen allerdings einige vorher gehen, da sie Freizeitkurse der Schule besuchen
oder lieber etwas anderes machen wollen.
Wir bereiten einen Stuhlkreis vor, um uns und unser Anliegen vorzustellen,
was bereits länger dauert als geplant bis alle sitzen und sich ihrerseits die
Namensschilder angesteckt haben.
3
Die Kinder hören uns bis auf ein paar Zwischenfragen aufmerksam zu, als wir
erklären, dass wir uns in unserer „Klasse“ gerade viel mit dem Thema Armut
beschäftigen und gerne von ihnen wissen würden, ob und was sie bereits davon
gehört haben. Sofort gibt es eine Konkretisierungsfrage von Seiten eines
Kindes, ob wir mit Armut arme Menschen meinen oder wie oder was. Wir
antworten, dass wir genau darüber jetzt ausführlicher sprechen wollen.
Die Kinder sind sehr bereitwillig, dafür dass wir ihre Hortfreizeit beschneiden
und mit einem Thema kommen, was völlig aus dem Kontext gerissen ist,
obwohl die Schule, unserem Eindruck nach, schon als relativ engagiert in Sachen
Sozialem, Ökologischem bezeichnet werden kann (es gab ein Haiti-Hilfsprojekt
und die Schule selbst ist ausgezeichnet als „Berliner Klimaschule 2010“) und
daher das Reden über derartige Themen den Kindern nicht völlig neu sein
müsste.
Gerade einige Mädchen erlebten wir als sehr ambitioniert; einige von ihnen
haben sogar ihren Karateunterricht ausfallen lassen, um noch bleiben zu können
(„Ich finde es sehr interessant, ich weiß ganz viel über Armut“).
Die Kinder schöpften beim Erzählen sowohl aus ihrem Alltagserleben undbeobachtungen in ihrem sozialen Umfeld und dem näheren Kiez, sowie auch
aus Fernsehdokumentationen (Logo, Galileo) und aus dem Gelernten in der
Schule. Sie berichteten von Einzelschicksalen im Bekannten- und Freundeskreis,
aber auch von Bevölkerungsgruppen anderer Länder und ganzen
Flüchtlingsschicksalen, die von Armut betroffen sind (Haiti, Afrika, Brasilien).
Bei der Nachbereitung ist uns aufgefallen, dass oft ein kausaler Zusammenhang
zwischen Menschen, die auf der Straße Alkohol trinken und Armut/Armsein
her(aus)gestellt wurde, infolgedessen drehten sich viele Beobachtungen und
Geschichten der Kinder um „Penner“(Bezeichnung der Kinder),
Flaschensammler und Punks. Über diesen Punkt differenzierten sich dann auch
die Bewertungen aus; von Mitleid gegenüber denen, die aus `Frust trinken, weil
sie traurig sind, weil sie keinen Job haben´, über eine potenzielle Gefahr, die diese
Menschen darstellen können bis hin zu dem Vorwurf, dass es `doch blöd sei, die
Flaschen auf den Boden zu schmeißen, anstatt den Pfand noch einzulösen´. Immer
wenn es um die Menschen ging, die scheinbar ganz unten angekommen sind,
hatten wir schon den Eindruck, dass auch eine gewisse Stigmatisierung
(„Penner“, „die stinken“) mitschwang, die vielleicht aber auch als „Abgrenzung
nach unten“ angesehen werden kann. Ausgenommen dessen hatten wir den
Eindruck, dass die Kinder im Allgemeinen jedoch nicht so viel bewertet,
sondern eher verschiedene konkrete Situationen geschildert haben, teilweise
auch mit einem - für uns - erstaunlichen Maß an Reflexion.
Interessant war, dass anfänglich, als wir unsere erste, sehr frei formulierte
Frage „Was ist Armut?“ gestellt haben, viele Kinder mit der Nicht-Abdeckung
der Grundbedürfnisse geantwortet haben, also dem Fehlen von Geld, Häusern,
Essen
und
Trinken,
einige
andere
im
Gegenzug
eher
eine
Wohlstandsarmutsdefinition geliefert haben, also dem Fehlen von Glitzerjacken,
4
technischen Geräten wie Nintendo DS, Waschmaschine etc. Wieder andere haben
über die Beschaffenheit des Wortes ARMUT (zusammengesetzt aus Arm und
Mut) diskutiert und festgestellt, dass das `irgendwie gar nicht zusammenpasst´
und einige haben Armut nach ihrem Vorkommen differenziert („Es gibt arme
Menschen und arme Städte“). Einige Zitate illustrieren auch, wie konkret und
scheinbar offensichtlich arme Menschen ausgemacht werden können wie zum
Beispiel „Arm sind die, die mit Bierflaschen vor den Supermärkten stehen.“
Interessant erschien uns auch die Überlegung eines Kindes, welches meinte,
dass `ein Nachbar bald seine Wohnung verlieren würde´ und welches daraus
schlussfolgerte, dass das etwas mit Armut zu tun haben müsse. Dass das Kind
eine Lebenslage, die noch nicht prekär ist, aber vielleicht bald sein wird, bereits
als arm definiert, fanden wir beachtlich.
Hartz IV als Begriff ist nie gefallen, obwohl ein Kind meinte, dass die „ein
bisschen Geld vom Staat kriegen“. Auch hat niemand Armut mit sich selbst oder
seiner Familie in Verbindung gebracht und auch keine anderen
Mitschüler_innen als arm betitelt - mit einer Ausnahme, nämlich der Vorwurf
eines Kindes an eine jüngere nicht anwesende Mitschülerin, die sich `trotzdem
sie arm sei, immer diese Süßgetränke am Automaten kaufe´. Wir hatten zum Teil
befürchtet, dass die Kinder vielleicht stärker zu Verurteilungen neigen könnten
gegenüber der Einkommensstärke oder -schwäche ihrer Mitschüler_innen. Das
ließ uns zunächst vermuten, dass die Einkommensunterschiede in dieser Klasse
(in einer Schule im Prenzlauer Berg) vielleicht nur minimal sein. Jedoch haben
wir im Anschluss von der Hortnerin erfahren, dass die Hälfte der
Schüler_innen in Haushalten leben würde, in denen die Eltern ALG-II beziehen.
4. Reflexion
Wir haben Klein-, und Großgruppendiskussionen angeregt, sowie Namens- uns
Bewegungsspiele gemacht und am Ende freies Malen und Zeichnen des
Gesagten vorgeschlagen. Ursprünglich wollten wir noch eine Fotoübung
machen, die wir aber aus zeitlichen Gründen leider spontan streichen mussten.
Die Kleingruppendiskussion ist unterschiedlich ergiebig ausgefallen, manche
Gruppen haben eher rumgealbert und wenig über das Thema diskutiert, andere
haben sich sehr engagiert ausgetauscht und als wir herumkamen, uns ihre
Definitionen aufgezählt.
Würden wir so einen Projektnachmittag noch einmal machen, wäre es sinnvoll
eine Person zu haben, die nur mitschreiben und beobachten und die uns
anschließend eine Rückmeldung über interessante Zitate, Reaktionen,
Versäumnisse unsererseits oder gruppendynamische Prozesse geben könnte,
die uns im Eifer des Gefechts nicht aufgefallen wären. So waren wir in einer
Doppelrolle; einmal als aktive und reaktive Gegenparts der Kinder und einmal
als Beobachterinnen und Protokollantinnen des Geschehens. Unter anderem
5
darum, aber auch weil wir es nicht als unsere Aufgabe betrachtet haben, den
Kindern political correctness beizubringen, sondern sie frei und
möglichst ohne suggestive Lenkung erzählen zu lassen, haben wir uns wenig zu
dem Gesagten geäußert. Infolgedessen haben wir es jedoch vielleicht manchmal
versäumt, pädagogisch adäquat auf Geschildertes zu reagieren. Als
beispielsweise das Kind ihre Mitschülerin angeschuldigt hat, sich Dinge zu
leisten, die sie sich gar nicht leisten können kann, wäre es aber vielleicht
angebracht gewesen, auf vorher aufgestellte Gesprächsleitlinien (etwa des
Respekts vor der Privatsphäre der anderen Mitschüler_innen) zurückgreifen zu
können. Auch als es so lange um die „besoffenen Penner“ ging, wäre ein
Eingreifen unsererseits und auch eine Sensibilisierung der Kinder für mögliche
individuelle und strukturelle Ursachen von Armut oder Wohnungslosigkeit
sicher konstruktiv gewesen.
Jedoch im Angesicht der begrenzten Zeit, die uns für die Durchführung unseres
Projektes zur Verfügung gestellt wurde, hätten wir sicherlich die ethische
Dimension innerhalb der Auseinandersetzung mit „Armut“ nicht zufrieden
stellend einbringen können, dazu bedarf es dann einer weiterführenden,
nachhaltigen Beschäftigung mit derlei Themen zum Beispiel im Rahmen des
Unterrichts.
Projektidee und Umsetzung:
Isabelle Rodesch und Klara Domröse
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