Kinostart in Deutschland ist am 30.05.2013

Transcrição

Kinostart in Deutschland ist am 30.05.2013
Begleitmaterial für den Unterricht
Spielfilm l Österreich 2012 l 112 min
Sprachen:
deutsch, englisch – FSK 12
Regie, Drehbuch:
Barbara Albert
Kamera:
Bogumił Godfrejów
Schnitt:
Casting:
Kostümbild:
Szenenbild:
Maskenbild:
Musik:
Ton:
Sounddesign & Mischung:
Produzenten:
Koproduzenten:
Produktion:
Koproduktion:
Drehorte:
Förderung:
terreich,
Monika Willi
Lisa Oláh
Veronika Albert
Enid Löser
Martha Ruess
Lorenz Dangl
Dietmar Zuson
Tobias Fleig
Barbara Albert, Bruno Wagner
Alex Stern, Janine Jackowski, Jonas Dornbach, Maren Ade
coop99 (Österreich)
Alex Stern Film, Komplizen Film
Wien, Berlin, Polen, Siebenbürgen (Rumänien)
Österreichisches Filminstitut, Filmfonds Wien, Filmstandort Ös-
Fernsehbeteiligung:
Fertigstellung:
Verleih:
Kinostart:
Polish FIlm Institute
ORF (Film/Fernseh-Abkommen), SWR, ARTE
August 2012
Real Fiction Filmverleih
30. Mai 2013
2
Inhaltsverzeichnis
Inhalt und Besetzung ...........................................................................................................4
Drehbuch, Regie: Barbara Albert ........................................................................................5
KURZBIO .......................................................................................................................... 5
AUTORINNENSTATEMENT ............................................................................................. 6
REGIESTATEMENT ......................................................................................................... 7
INTERVIEW ................................................................................................................... 8-9
Darsteller ....................................................................................................................... 10-12
MUSIKLISTE .................................................................................................................. 12
Pressestimmen ................................................................................................................... 13
Bildungsziele, Themen, Unterrichtsfächer .......................................................................14
ANKNÜPFUNGSPUNKTE FÜR DIE PÄDAGOGISCHE ARBEIT ................................... 15
Modul 1: Geschichtsbewusstsein und audiovisuelle Medien .........................................16
ARBEITSAUFTRAG 1-1: HISTORISCHE QUELLEN...................................................... 18
ARBEITSAUFTRAG 1-2: RECHERCHE ÜBER SIEBENBÜRGENER-SACHSEN ......... 19
ARBEITSAUFTRAG 1-3: ORAL HISTORY ALS HISTORISCHE QUELLE ..................... 20
Modul 2: Standpunkte und Argumente .............................................................................21
ARBEITSAUFTRAG 2-1: DISKUSSION: DIE BIOGRAFIE DER FIGUR SITA ................ 21
ARBEITSAUFTRAG 2-2: VERSTECKT – VERDRÄNGT – VERARBEITET –
UND FERTIG? ................................................................................................................ 24
Modul 3: Persönliche Verantwortung – Damals und heute .............................................25
ARBEITSAUFTRAG 3-1: PERSÖNLICHE VERANTWORTUNG –
DAMALS UND HEUTE ................................................................................................... 26
ARBEITSAUFTRAG 3-2: PERSÖNLICHE VERANTWORTUNG –
WAS WÜRDE ICH TUN? ................................................................................................ 27
Modul 4: Mit Bildern erzählen ............................................................................................28
ARBEITSAUFTRAG 4-1: MIT BILDERN ERZÄHLEN ..................................................... 29
ARBEITSAUFTRAG 4-2: VERGLEICH VON FILMSTILLS ............................................. 30
Kontakt................................................................................................................................. 35
RÜCKFRAGEN UND BUCHUNGEN .............................................................................. 35
3
Inhalt und Besetzung
SYNOPSIS
Sita ist eine junge Frau von 25 Jahren, lebt in Berlin und studiert Germanistik. Nebenbei
macht sie kleine Jobs und bewegt sich im Großstadtleben mit einer hohen Frequenz.
Eines Nachts landet Sita im Atelier eines israelischen Fotokünstlers und etwas an Jocquin
berührt Sita auf ungewohnte Weise. Er geht ihr nicht so schnell wieder aus dem Kopf, wie sie
es eigentlich angenommen hatte.
Zum 95. Geburtstag ihres geliebten Großvaters fährt Sita nach Wien, wo auch ihr Vater Lenzi
mit seiner neuen Frau und einem gemeinsamen kleinen Sohn lebt. Am Abend nach dem
großen Fest stößt Sita in der Wohnung ihres Vaters auf ein Foto, das ihren Großvater in SSUniform zeigt.
Gegen den Willen ihres Vaters beginnt Sita in der Vergangenheit ihres Großvaters zu kramen. Ihr wird zunehmend klar, dass nicht nur ihr Großvater, sondern auch ihr Vater ihr einiges verschwiegen haben. Sita bleibt hartnäckig: ein Dokument in einem Wiener Archiv führt
sie nach Polen, ein Erinnerungsfoto des Großvaters nach Warschau.
Sita dringt immer tiefer in die Abgründe ihrer Familie vor. Auf dieser Reise in die Vergangenheit der älteren Generationen begegnet sie unerwartet Jocquin wieder. Sitas Perspektive auf
ihr eigenes Leben verdichtet sich. Als sie selbst an den Rand der Erschöpfung gelangt, muß
sie erkennen, dass sie selbst die Schuld nicht abarbeiten kann.
BESETZUNG
Sita
Archiv-Mitarbeiter in Warschau
Gerhard als junger Mann
Anna Fischer
Łukasz Czapski
Lucas Amesberger
Gerhard Weiss
Alte Frau in Siebenbürgen
Sita als Kind
Hanns Schuschnig
Ekaterina (Kati) Kreh
Stella Aschauer
Lenzi, Sitas Vater
Hausbesetzer
Seda
August Zirner
Bartek Gudejko
Maja Samchanova
Jocquin
Arzt
Joshua
Itay Tiran
Bernhard Köttnitz
Franciszek "Franek" Norman
Silver
Sebi
Jugendlicher (Raimund)
Daniela Sea
Tobias & David Gollner
Karl-Alexander Seidel
Michael Weiss
Chor
Model (Sara)
Winfried Glatzeder
Capella "Ars Musica"
Leoni Tenius
Marianne, Sitas Mutter
unter der Leitung von
DÖW-Mitarbeiterin
Almut Zilcher
Maria Magdalena Nödl
Heidi Baratta
Gunther
Milli als Kind
Sedas Bruder
Wanja Mues
Leoni Stella Berger
Ramzan Magomadov
Junge Frau
Milli als junge Frau
Student im Hörsaal
Emily Cox
Marija Ognjanoska
Konstantin Gerlach
Gerda, Lenzis Frau
Milli als ältere Frau
Kristina Bangert
Martha Flaschka
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DREHBUCH, REGIE: BARBARA ALBERT
KURZBIO
Barbara Albert wurde 1970 in Wien geboren. Sie studierte zunächst Theaterwissenschaft,
Germanistik und Publizistik bevor sie 1991 mit dem Regie- und Drehbuchstudium an der
Wiener Filmakademie begann. Sie arbeitete als Regie- und Schnittassistentin und spielte als
Schauspielerin unter anderem in "Memory of the Unknown" (Regie: Natalie Alonso Casale)
und "Crash Test Dummies" (Regie: Jörg Kalt) mit. Ihren international erfolgreichen Kurzfilmen folgte der erste Langspielfilm "Nordrand", der 1999 bei den Filmfestspielen in Venedig
gezeigt wurde. Nina Proll gewann den Marcello Mastroianni-Preis als beste Nachwuchsschauspielerin. Im selben Jahr gründete Barbara Albert gemeinsam mit Martin Gschlacht,
Jessica Hausner und Antonin Svoboda die Produktionsfirma coop99. Barbara Albert fungierte als Co-Autorin bei "Grbavica" (Goldener Bär bei der Berlinale 2006), "Slumming" (im Wettbewerb der Berlinale 2006), "Das Fräulein" (Goldener Leopard in Locarno 2006) und "Struggle" (Cannes 2003). Außerdem schrieb sie das Drehbuch zum Spielfilm "Auswege" (Regie:
Nina Kusturica, Berlinale 2004, Perspektiven des jungen Films). Als Produzentin war Barbara Albert mitverantwortlich für "Darwin's Nightmare" (Hubert Sauper), "Die fetten Jahre sind
vorbei" (Hans Weingartner) und "Schläfer" (Benjamin Heisenberg).
Daneben war (und ist) sie als Gastprofessorin und Lektorin an mehreren Hochschulen in Österreich und Deutschland tätig (Wiener Filmakademie, ifs Köln, KHM Karlsruhe, FH St. Pölten). 2007 wurde ihr Sohn Tristan Sunny geboren, seit 2010 lebt sie in Berlin.
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AUORINNENSTATEMENT
DIE LEBENDEN ist ein Film über Schuld und Verantwortung. Nicht nur über die Schuld der
Täter einst, sondern auch über Schuld und Verantwortung jeder einzelnen Person heute.
Im Mittelpunkt des Films steht eine Figur, SITA. Sie ist die zentrale Figur, um die alles kreist und pulsierendes Herz des Films. Eine junge, energiegeladene Frau, die, ständig auf der Suche, dabei auf dem Grat des alten und neuen Europa wandelt.
Das Wegschauen des Vaters ist der konventionelle Umgang mit der Familienschuld, Sita
stellt sich dagegen, will hinschauen – und kann nur dadurch verzeihen. Erst durch ihr Akzeptieren der Vergangenheit ihres Großvaters wird ein Verzeihen möglich, und erst durchs Verzeihen der Weg für einen Neuanfang geebnet.
Meine eigene Familie kommt väterlicherseits aus Siebenbürgen, Rumänien – und so bin ich
mit den Themen Verlust der Heimat und Entwurzelung aufgewachsen (auf ganz andere Weise habe ich in meinen Filmen NORDRAND und SOMEWHERE ELSE bereits das Thema behandelt). Die Siebenbürger Sachsen sind durch den Zweiten Weltkrieg gleichermaßen zu Tätern und Opfern geworden.
Meine Großtante wurde in russische Gefangenschaft verschleppt – andere Verwandte wurden aufgrund ihrer freiwilligen Meldung zur SS oft aufgrund von Kriegsverletzungen als
Wachpersonal in Konzentrationslagern eingesetzt.
Dem Drehbuch liegen viele Reisen an die Orte, die auch Sita besucht, aber auch Recherchen im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands in Wien, im Jüdischen Museum in Warschau und in Archiven in Berlin, zugrunde.
Über meinen Großonkel und Schriftsteller Dieter Schlesak (zuletzt: „Capesius – der Auschwitzapotheker“) konnte ich viel handgeschriebenes Material und Aufzeichnungen von Interviews mit Auschwitz-Überlebenden sowie Tätern einsehen. Aber auch Texte von Daniel Jonah Goldhagen („Schlimmer als Krieg. Wie Völkermord entsteht und wie er zu verhindern
ist“) haben mich beeindruckt.
In den letzten Jahren hat es einige AutorInnen und FilmemacherInnen gegeben, die mit der
eigenen Familiengeschichte an die Öffentlichkeit gegangen sind (z.B. Marcus J. Carney in
„The End of the Neubacher Project“, Malte Ludin in „2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß“,
Claudia Brunner und Uwe von Seltmann in „Schweigen die Täter reden die Enkel“, Kathrin
Himmler in „Die Brüder Himmler“).
Ich wollte über die eigene Familiengeschichte hinaus eine Allgemeingültigkeit und eine Verbindung zum Heute schaffen. Unter anderem aus diesem Grund sind die Figuren der politischen Aktivistin SILVER und die Figur der SEDA, eine Frau, die aus Tschetschenien geflohen
ist, entstanden.
Ich wollte Zusammenhänge hinterfragen, nicht Buße für alte Schuld einfordern.
Nicht das Wiederkauen der Schuld war mir ein Anliegen, nicht der Versuch, das Grauen 1:1
zu zeigen, sondern eine ganz neue Fragestellung hat mich beschäftigt: Wo liegt unsere Verantwortung heute? Wo beginnt Menschenverachtung? Wo führt sie hin? Wer sind die Täter,
wer die Opfer heute?
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REGIESTATEMENT
Gesichter und Körper als Zentrum des Films, Gesichter und Körper, die sich immer mehr verlieren, irritiert sind, ‚die Welt nicht mehr verstehen’, aus dem Konzept gebracht sind und abstürzen, den Boden verlieren. Getriebene und vertriebene Menschen – und dann immer wieder dazwischen leuchtende Einzelfiguren, die etwas wollen, die leben, die Fragen stellen und
pulsieren. Der Umgang mit dieser Energie war auch Zentrum meiner Regieüberlegungen.
Der Anspannung, ausgedrückt durch die bewegte Kamera und die nahen Einstellungen auf
Gesichter in der Stadt (Berlin und Wien), stehen die Weite des trüben Winterhimmels (in
Warschau) und der siebenbürger Wiesen gegenüber. Neben diesen Landschaften woll5te ich
Gesichter und Körper zu eigenen Landschaften werden lassen.
"Die Lebenden" ist auch ein Film über das Bild.
Sita, die als Praktikantin im TV-Sender Bilder sammelt, Bilder, die später relativiert werden,
und Bilder, die Sita im Zuge ihrer Recherche findet. Bilder von Vergangenem, Bilder, die immer nur einen Ausschnitt der Wahrheit zeigen.
In der Kameraarbeit haben wir versucht, Sitas Irritation über die Familienvergangenheit, aber
auch über sich selbst, ihre eigenen Gefühle, auszudrücken. Neben ungewöhnlich nahen Einstellungen, die der Weite der Welt (=Landschaft und Stadt) gegenüber stehen, gibt es auch
Einstellungen, in denen die Figuren am Rand stehen. Sie kippen aus dem Bild, aus der Welt.
Der Energie des Films entspricht eine ‚pulsierende’, ‚atmende’ Kamera mehr, als eine ‚elegische’. Wir wollten versuchen, Bilder zu schaffen, die einen beinahe physisch berühren, die
einem nahe gehen, ohne dass wir je absichtsvoll Grausamkeit und Leid zeigen.
Auch unterstützen für mich Nahaufnahmen den Versuch, verstehen zu wollen, genau hinsehen und untersuchen zu wollen, woher Gewalt, Verachtung und vielleicht auch der Verlust
von Mitgefühl kommen.
Sita, die sich auf ihrer Vespa, mit der Bahn oder dem Flugzeug – oder auch einfach laufend –
bewegt, repräsentiert den schnellen Pulsschlag des Heute. Michael Weiss und Gerhard
Weiss in ihrer Umgebung, dem Stuttgarter Reihenhaus, dem Altersheim und Siebenbürgen,
stehen für die Vergangenheit.
So ist "Die Lebenden" vielleicht auch als Roadmovie zu verstehen.
Im Kontrast dazu friert der Film dann aber in einem Moment fast ein. Wenn wir mit Sita im
Stuttgarter Reihenhaus sind, entspricht der Rhythmus Sitas Einsamkeit – im Hintergrund der
Albtraum, den Sitas Großvater in den Videoaufnahmen verkörpert.
Das Hin- und Wegschauen sollte hier als Thema mitschwingen. Der Blick auf den Täter und
SS-Offizier Gerhard Weiss ist ein undeutlicher Blick, ein Blick auf ein Videobild in niedriger
Auflösung – oder ein zensierter Blick: der Blick auf den Hausschuh, das Tischbein. Ich will
mit dem verbotenen Blick spielen, will tabuisierte Blicke aufdecken, ohne ‚reißerisches’ Material zu verwenden.
Das Musikkonzept des Films beruht auf den zwei Polen, zwischen denen sich Sita bewegt.
Auf der einen Seite ihr pulsierendes Leben als junge Frau in Berlin, auf der anderen Seite die
alte Musik des Vaters, die die Welt verkörpert, aus der sie, geprägt von ihrer siebenbürgischen Herkunft, kommt. Am Ende des Films wird sich die alte Musik verwandelt haben. Das
Henry Purcell Thema aus der Oper "King Arthur" hat der Filmkomponist Lorenz Dangel zu
diesem Zweck ganz neu arrangiert (Gesang Monica Reyes).
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INTERVIEW
mit Gunther Baumann / Celluloid
Eine junge Frau von heute erkundet die Nazi-Vergangenheit ihres Großvaters: Das ist ein
ungewöhnlicher Plot für einen Spielfilm im Jahre 2012, also 67 Jahre nach dem Ende der
Diktatur.
Ich habe mich mit diesem Thema, ausgelöst durch Geschehnisse in meiner Familie, seit Jahren beschäftigt. Ich finde aber auch, dass 2012 ein reichlich später Termin für so einen Film
ist: Weil die Tätergeneration stirbt und weil es nur noch wenige gibt, die darüber authentisch
sprechen können – vorausgesetzt, sie sind überhaupt bereit dazu. Es geht um Täterschaft,
um Schuld und Verantwortung. Ich war aber häufig mit dem Einwand konfrontiert, so ein Thema wolle niemand mehr. Das sei schon oft genug durchgekaut worden.
Wie haben Sie auf diesen Einwand geantwortet?
Ich sagte, es gibt zwar viele historische Filme, die zeigen, dass die Täter böse und dass die
Opfer gut waren, aber es gibt nicht so viele Filme, die sich auf die Grauzonen konzentrieren.
Ich wollte einen Mann zeigen, der eigentlich ein lieber Opa ist – doch hinter seiner Fassade
werden plötzlich tiefdunkle Flecken sichtbar. Sita, die 25-jährige Hauptfigur des Films, gerät
dadurch in einen Gewissenskonflikt: Wie stehe ich jetzt zu dem Mann? Es wäre zu einfach,
den Großvater, der einst KZ-Wachmann in Auschwitz war, als Monster zu stilisieren. Daraus
lernen wir nichts, das hilft uns nicht. Denn wir ahnen selber, dass das Böse auch in uns
schlummern könnte – dass wir selbst zu Tätern werden könnten.
Inwieweit ist der Großvater aus dem Film eine authentische Figur?
Mein Großvater stammte aus Siebenbürgen, wo viele junge Männer zur SS gingen: aus
pragmatischen Gründen - weil sie mehr bezahlt bekamen als bei der rumänischen Armee aber auch aus Überzeugung. Er war später selbst Wachmann der SS, sagte aber, dass er
nie jemanden umgebracht habe. Ich habe mit meinem Großvater nie darüber gesprochen. Er
starb 1999, während ich „Nordrand“ drehte, und ich habe das alles damals noch gar nicht gewusst. Ich recherchierte seine Geschichte erst nach seinem Tod. Ich hätte ihn sehr gern zu
seiner Vergangenheit befragt. Vielleicht ist auch deshalb der Film entstanden.
Haben Sie Ihrem Großvater posthum verziehen?
Ich bin nicht in der Position, ihm zu verzeihen. Es wäre anmaßend. Da nähme ich mich zu
wichtig in dieser Geschichte. Am Anfang, als ich erfuhr, was geschehen war, spürte ich viel
Erschütterung und Scham. Schuldgefühle helfen aber nicht weiter. Ich habe diese Geschichte, psychologisch gesprochen, integriert. Ich verstehe, wo ich herkomme, und kann auf dieser Basis aktiv schauen, wo ich Verantwortung übernehmen und dazu beitragen kann, dass
so etwas nicht mehr passiert.
Sie sind Mutter eines fünfjährigen Sohnes. Wie lässt sich das mit der aufreibenden Arbeit
einer Filmregie verbinden?
Ich habe mit Titus Selge einen Mann, der auch Regisseur ist und der das alles kennt. Wir
wechseln uns in der Kinderbetreuung ab. Die intensive Zeit beim Dreh von „Die Lebenden“
dauerte vier Monate. Das war heftig und für uns alle nicht einfach, da ich dauernd unterwegs
war. Es gibt Regisseurinnen, die mit einem Baby zum Set kommen, aber das könnte ich
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nicht.. Denn bei einem Filmdreh und im Familienleben gibt es höchst unterschiedliche Energien. Das Filmemachen und die Familie sind sehr schwer zusammenzubringen.
Beim Festival Cannes gab es heuer die Klage, dass keine Filme von Regisseurinnen eingeladen wurden. Ist das Geschlecht wichtig beim Filmemachen oder ist das egal?
Wenn in Cannes kein Film einer Frau im Wettbewerb läuft, dann macht mich das richtig wütend. Ich finde es problematisch, wenn bei einem Festival, das das Welt-Filmschaffen repräsentiert, keine einzige Frau am Start ist. Vielleicht ist es ja so, dass Frauen Filme anders erzählen als Männer. Aber da möchte ich mich gar nicht weit vorwagen. Ich selbst möchte nicht
in die Schublade Frauenfilm gelegt werden. Schließlich gibt es so viele unterschiedliche Arten Filme zu erzählen.
Warum gibt es so viel weniger Frauen als Männer im Regisseursberuf?
Es gibt gar nicht weniger. Sie kommen nur nicht so viel zum Arbeiten. Es scheint noch immer
die seltsame Ansicht verbreitet zu sein, dass das Filmemachen für Frauen so eine Art Hobby
ist und dass sie nicht ihre Familie damit ernähren müssen.
Sie sind, als Partnerin der Wiener Filmfirma Coop99, auch als Produzentin aktiv.
Das ist sehr wichtig. Die Coop99 ist für mich in einer Zeit, in der es immer schwieriger wird,
Filme zu finanzieren, eine Art Insel, die es schafft, auf vielleicht unorthodoxe Weise gute Projekte zu stemmen. Auch „Die Lebenden“: Weil ich selbst produziert habe, konnte ich diesen
Film machen. Es war aber sehr, sehr schwer, in Deutschland Produktionspartner zu finden,
bis die Komplizen-Film einstieg. Die sind auch richtige Komplizen geworden…
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Darsteller
ANNA FISCHER – Sita
Anna Fischer wurde am 18. Juli 1986 in Berlin geboren. Sie ist
im Fernsehen mit ihrer Darstellung ungewöhnlicher Figuren aufgefallen und hat dafür in den letzten Jahren mehrere Preise erhalten: 2009 den Deutschen Fernsehpreis als beste Nebendarstellerin in "Wir sind das Volk" und ebenfalls 2009 den AdolfGrimme Preis für die beste Hauptrolle im Mehrteiler "Teufelsbraten". 2006 wurde sie auf dem Max-Ophüls-Preis Filmfestival
‘entdeckt’; sie erhielt dort den Preis als beste Nachwuchsdarstellerin in "Liebeskind"
PREISE
2011 Gewinnerin DIVA AWARD als Schauspielerin des Jahres
2010 für ihr Schauspiel in "Groupies bleiben nicht zum Frühstück", "Wir sind die Nacht" und "Masserberg"
2009 Deutscher Fernsehpreis als Beste Nebendarstellerin in
den Mehrteilern "Die Rebellin" und "Wir sind das Volk
HANNS SCHUSCHNIG – Gerhard Weiss, Sitas Großvater
Hanns Schuschnig ist in Siebenbürgen geboren und war dort
viele Jahre an Theaterhäusern tätig. Sein umfangreiches Schaffen umfasst Inszenierungen vom Kammertheater über Freilichtspiele bis zur Oper, Bühnenbilder, Kostüme und Choreografien.
Als Schauspieler ist er nur gelegentlich (allerdings in bedeutenden Rollen) aufgetreten. Seine Filmografie beschränkt sich auf
"Die Lebenden".
AUGUST ZIRNER – Lenzi, Sitas Vater
August Zirner wurde 1959 als Sohn österreichischer Emigranten in
Urbana/Illinois in den USA geboren. Nach seinem Schauspielstudium
am Max-Reinhardt-Seminar in Wien, stand der vierfache Vater für
zahlreiche Theaterproduktionen in Wien, Hannover, Wiesbaden,
München, Salzburg oder Zürich auf der Bühne. Seit über 25 Jahren
ist August Zirner auch vom Bildschirm und von der Leinwand nicht
mehr wegzudenken.
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ITAY TIRAN – Jocquin, der Fotokünstler
Itay Tiran studierte ursprünglich Klavier am Petach Tivka Municipal
Conservatory und beendete sein Studium an der Thelma Yellin High
School of the Arts. Danach, 1999, begann er an der Beit Zvi Acting
School nahe von Tel Aviv seine Schauspielausbildung. Schon während seiner Ausbildung war er Ensemblemitglied am Cameri Theater
in Tel Aviv, wo er auch 2006 als "Hamlet" den "Best Actor Award",
einen Preis der Israelischen Theater, gewann. Neben regelmässigen
Auftritten in israelischen Fernsehserien spielte er in Filmen wie "Forgivness", "Beaufort" (Silberner Löwe bei den Filmfestspielen 2007 in
Venedig und Nominierung für die Academy Awards als bester fremdsprachiger Film 2008) oder "Lebanon" (Samuel Maoz-Goldener Löwe
in Venedig 2009), wo er in einer Hauptrolle zu sehen ist.
DANIELA SEA – Silver die Aktivistin
Die US-Amerikanerin Daniela Sea arbeitet als Schauspielerin, Filmemacherin und Künstlerin im Film-, Performance- und Musikbereich.
Einige Jahre verbrachte sie auf Reisen durch West- und Osteuropa
und durch Asien. Die Erfahrungen auf dieser Wanderschaft haben ihr
Verhältnis zum Leben und zu ihrer Arbeit stark beeinflusst. Mit 16
Jahren verließ sie die USA das erste Mal, um andere Lebensformen
zu erforschen. Die darauffolgenden Jahre haben sie - neben vielen
anderen Stationen - wie die Figur "Silver" nach Polen geführt, aber
auch ein halbes Jahr lang nach Indien, wo sie sich in der Zeit als
Mann ausgegeben hat.
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Zurück in den USA hat sie versucht, die Grätsche zwischen Bildender
Kunst, Independent Music und Schauspiel zu schaffen, um ihr exzentrisches Leben letztlich auf die Leinwand zu bringen. Bahnbrechend
war ihre Rolle als "Max" in der Fernsehserie "The L Word" (Showtime). Außerdem war sie in John Cameron Mitchells "Shortbus" und in
Jamie Babbit's "Itty Bitty Titty Committee", Amie Siegel's "Black
Moon" und Erika Vogts "Geometric Persecution" zu sehen.
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Als Regisseurin debütierte sie mit dem Experimentalfilm "Stick, Stick,
Stuck" mit Dawn Kasper und Eden Batki. Derzeit arbeitet sie an einem Langspielfilm und einem Dokumentarfilmprojekt.
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Ihre Zusammenarbeit mit dem Musiker Will Schwartz ("Imperial Teen",
"Hey Willpower") lässt sie in Gallerien, Theatern und Museen in Los
Angeles auftreten. Das Stück "beach, a.k.a. untitled", in dem sie die
Migrations- und Genderbewegung mittels Sound, Film und Live Performance erforscht, hat sie nicht nur geschrieben, sondern spielt darin auch selbst die Hauptrolle.
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WINFRIED GLATZEDER – Michael Weiss, Sitas Onkel
Winfried Glatzeder ist der charmant schlaksige Paul in "Die Legende
von Paul und Paula" (1973). Mit dieser Rolle wird der Schauspieler
bis heute in Verbindung gebracht, der Film hat Kultstatus. Aber auch
in anderen Rollen, etwa als Doktorand Erwin Graffunda und als Till
Eulenspiegel macht sich der Darsteller bei der DEFA einen Namen
und wird Mitte der 70er Jahre zum Publikumsliebling. In rund 20 DEFA-Kino- und -Fernsehfilmen steht er vor der Kamera. 1982 verlässt
er mit seiner Familie die DDR.
MUSIKLISTE
Ifall – Gustav
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Musik: Eva Jantschitsch, Elise Mory, Oliver Stotz – Text: Eva Jantschitsch – Mit freundlicher Genehmigung von Mute International Ltd./Edition Stumm, Söder & Wacha und Chicks on Speed Records
Minuit Passé
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Musik & Text: Fabrice Mauss – Veröffentlich von Lili Louise Musique – Beniceformusic Publishing Mit freundlicher Genehmigung von Lili Louise Musique
Odessa – Caribou
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Musik & Text: Dan Snaith © Chrysalis Music Ltd. – Mit freundlicher Genehmigung von City Slang und Chrysalis
Music Holdings GmbH
Deadness – Darkstar
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Musik & Text: Aidan Whalley, James Young (P)&© Hyperdub 2010 – Veröffentlich von Warp Music Publishing –
Mit freundlicher Genehmigung von Hyperdub Ltd. und Warp Music Publishing
Marked – EMA
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Musik & Text: Erika M. Anderson – Veröffentlich von CEUSO – Mit freundlicher Genehmigung von CEUSO und
City Slang
Die Krähe (Eine Krähe war mit mir) D911, 15 c-Moll
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Musik: Franz Schubert – Text: Wilhelm Müller – aus "Winterreise" – Piano: Elena Gertcheva
Agresja
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Musik & Text: Ignacy Burzynski
Boat Turns Toward The Port – Soap & Skin
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Musik & Text: Anja Plaschg, Georg Janosievics 2012 Solfo. – Released under exclusive license to Play It Again
Sam Play It Again Sam is a label of the [PIAS] Entertainment Group 2012 © Strictly Confidential Belgium – Mit
freundlicher Genehmigung von Strictly Confidential Germany GmbH und [PIAS] Entertainment Group 2012
Von guten Mächten
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Musik: Otto Abel – Lyrics: Dietrich Bonhoeffer – © für Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Verlagsgruppe
Random House GmbH, München – Mit freundlicher Genehmigung von Merseburger Berlin GmbH und Gütersloher Verlagshaus
Minuit Passé
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Accoustic Version performed by Alev Lenz – Musik & Text: Farbrice Mauss – Veröffentlich von Lili Louise Musique – Beniceformusic Publishing – Mit freundlicher Genehmigung v. Lili Louise Musique & Alev Lenz
What Power art thou (aus King Arthur von H. Purcell)
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Deller Consort & Choir. Leitung Alfred Deller – © harmonia mundi s.a., 2012 – Mit freundlicher Genehmigung
der Harmonia Mundi s.a.
The End Of The World – The Base
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Musik: Arthur Kent – Lyrics: Sylvia Dee – © Copyright 1962 Edward Proffitt Music / Music Sales Corp. – Mit freundlicher Genehmigung der Bosworth Music GmbH, Berlin, PEERMUSIC (Germany) GmbH und The Base
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Pressestimmen
Unter großem Applaus feierte Barbara Albert mit ihrem neuen Film „Die Lebenden“ am
Dienstag auf dem Internationalen Filmfestival von San Sebastian seine Weltpremiere.
www.oe24.at
Die Art, wie hier die alte Geschichte von Schuldgefühlen der Täter-Nachkommen als kunstvolle Spurensuche betrieben und wie dabei einem jungen Publikum ganz undidaktisch viel
über jene Zeit der Barbarei vermittelt wird, ist meilenweit von dem entfernt, was in «Venuto al
mondo» als Spurensuche blosse Behauptung geblieben ist.
www.nzz.ch
„Die Lebenden“ ist Barbara Alberts bisher souveränster Film. Die Autorin/Regisseurin nähert
sich dem sperrigen Stoff mit cineastisch leichter Hand; sie lässt die Dinge fließen, ohne jemals belehrend zu wirken. So ist der Film ein großes Kinodrama, das nicht nur einen Blick
zurück wirft, sondern auch sehr heutige Themen verhandelt: Die Suche nach der eigenen
Identität (bei Sita). Und die Sehnsucht ihrer von Migration und Multi Kulti geprägten Generation nach Heimat und einer gemeinsamen europäischen Identität. Sehr sehenswert.
Celluloid, Gunther Baumann
Gerade weil Albert sich um Perfektion und dramaturgische Korrektheiten nicht schert, weil sie
subjektiv und voller Leidenschaft erzählt, ist "Die Lebenden" ein hochspannender Film geworden. Neben dem Mut dieser wunderbaren, sehr besonderen Regisseurin, und ihrem immer wieder großartigen Umgang mit Musik - Höhepunkt ist eine Elektro-Version von Purcells
"King Arthur" - ist dies der Film der Hauptdarstellerin: Anna Fischer umschifft hier viele Klippen und ist eine Schauspielerin, an der man sich nicht sattsehen kann.
Rüdiger Suchsland, Schwäbische Zeitung anlässlich der Hofer Filmtage
Sitas Blick auf die Welt ist weit offen, jedoch verunsichert; das spiegelt sich schön in den unruhigen Super-16mm-Handkamera-Bildern des aus Polen stammenden Bogumil Godfrejów
(der mehrmals, aktuell bei Was bleibt, mit Hans-Christian Schmid gearbeitet hat). Brüchige
Stimmungen und Befindlichkeiten zwischen Menschen in atmosphärisch wirksame Bilder zu
übersetzen und mit wesensgleicher Musik zu stützen, war schon immer eine Stärke von Barbara Albert.
Roman Scheiber, ray Filmmagazin
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Bildungsziele, Themen und Unterrichtsfächer
Für den Schulunterricht ab 8. Schulstufe;
Kinder- und Jugendbildung ab 12 Jahre (FSK 12)
THEMENBEREICHE
Gesellschaft, Ethik, Geschichte, Zeitzeugen, Politik,
Generationen, Wahrheit, Aufarbeitung, Werte, Wertschätzung
Selbstverwirklichung, Instrumentalisierung, Mut, Angst, Respekt
UNTERRICHTSFÄCHER
Geschichte, Politik, Sozialkunde, Gemeinschaftskunde, Erdkunde
Religion/Ethik, Psychologie, Philosophie, Deutsch,
fächerübergreifender Unterricht, Projektunterricht
ALLGEMEINE BILDUNGSZIELE
Leitvorstellungen, Wissensvermittlung, Kompetenzen,
Religiös-ethisch-philosophische Bildungsdimension
BILDUNGSBEREICHE
Sprache und Kommunikation, Mensch und Gesellschaft, Kreativität und Gestaltung
DIDAKTISCHEN GRUNDSÄTZE
Interkulturelles Lernen, Förderung durch Differenzierung und Individualisierung,
Stärken von Selbsttätigkeit und Eigenverantwortung, Herstellen von Bezügen zur Lebenswelt, Bewusste Koedukation und Geschlechtssensible Pädagogik
ALLGEMEINE ZIELSETZUNGEN
Selbstständiges Lernen und Handeln
Eigene Fähigkeiten und Bedürfnisse erkennen und weiterentwickeln
Handlungsbereitschaft entwickeln und Verantwortung übernehmen
Ein weltoffenes, gesellschaftlich-historisches Problembewusstsein ausbilden
Herausforderungen und Problemlagen erkennen, strukturieren und kreative Lösungsstrategien entwickeln
Kommunikative und kooperative Kompetenzen sowie Konfliktkultur entwickeln
Organisatorische Zusammenhänge begreifen und gestalten
VORSCHLAG
Projektunterricht anhand von „Die Lebenden“ – fächerübergreifend.
Wie kann der Zusammenhang zwischen historischem Unrecht und persönlicher Verantwortung (damals wie heute, als Nachkomme) aufgearbeitet werden?
Ist in dem Zusammenhang Gerechtigkeit möglich?
Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen?
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ANKNÜPFUNGSPUNKTE FÜR DIE PÄDAGOGISCHE ARBEIT
GENERATIONENAUSTAUSCH – PSYCHOLOGISCH, SOZIOLOGISCH, PHILOSOPHISCH
Beziehungsgeflecht Familie: Vertrauen, Verantwortung, Verdacht und Verdrängung:
Was will ich wissen? Wie weit darf ich mit meinen Fragen gehen?
Wie gehe ich mit den Antworten um?
Lebt die (Familien-)Geschichte in mir fort - auch in der Zukunft?
UMGANG MIT ZEITZEUGEN – GESCHICHTLICH, WISSENSCHAFTLICH, KREATIV
Wie kommt Vergangenheit ins Bild? Gibt es eine ‚richtige‘ Darstellung von Geschichte? Was
ist „wahr“, was ist Interpretation? Was sind historische Quellen?
Welche Rolle spielt „Oral History“ für die Geschichtsschreibung?
GESCHICHTE ENTDECKEN – POLITISCH, HISTORISCH, WISSENSCHAFTLICH
Unterschiedliche Versionen derselben „Geschichte“. Wer definiert, was war?
Ist Geschichte wirklich vergangen oder wird sie erst (immer wieder neu) geschrieben?
Welche Rolle spielt Geschichte für die Gegenwart?
Nähere Betrachtung der Rolle von TV und Medien für das vorhandene Geschichtsbild.
RECHERCHE HINTERGRUND – GESCHICHTLICH, MEDIENKOMPETENZ, WISSENSCHAFTLICHES ARBEITEN, INFORMELLES ARBEITEN
Anhand einer eigenständigen Recherche über die Fakten des 2. Weltkrieges und seiner historischen Aufarbeitung kann ein eigenständiges Bewusstsein entwickelt werden:
Welche Quellen sind glaubwürdig, welche nicht und warum ist das so?
Welcher Version der Geschichte kann ich glauben?
Dazu werden Anregungen und Quellen sowohl zum historischen Fakten rund um das Thema
2. Weltkrieg (Ostfront, Arisierung, Warschauer Ghetto und Konzentrationslager, SS und
Wehrmacht und deren Rolle im Krieg) zusammen gestellt als auch zur Aufarbeitung der Vergangenheit in Österreich (Stichworte: Staatsvertrag, Opfermythos, Entnazifizierung, Waldheimdebatte, Wehrmachtsausstellung, Neonazismus).
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Modul 1: Geschichtsbewusstsein und audiovisuelle Medien
Wie kommt Geschichte ins Bild bzw. in unser Bewusstsein?
Welche Rolle spielen dabei die Medien? Wie wird Geschichte gemacht?
Wie wird „Wirklichkeit“ gemacht? (Stichwort: Sitas Arbeit als Videoreporterin für eine Castingshow vs. „Oral History“ als Quelle der Geschichtsschreibung)
Eine Recherche der Voraussetzungen und Aufgaben für mediale Berichterstattung, und deren geschichtlichen Auswertung, dient dazu, die persönliche Wahrnehmung in seiner Gesamtheit zu betrachten und kritisch zu bewerten.
DIE GANZE WAHRHEIT – GIBT ES DIE?
Im Jahr 1986 warb die britische Zeitung „The Guardian“ mit einem TV-Spot um Leser, in dem
Sie ein und die selbe Situation aus drei verschiedenen Perspektiven zeigte – und damit die
Seher/innen zu drei völlig verschiedenen Schlussfolgerungen verleitete. Erst in der dritten
Einstellung für diese Szene zeigt der kurze Clip die gesamte Information – und sorgt so für
ein überraschendes Aha-Erlebnis.
Zu sehen ist der Spot auf Youtube:
The Guardian Commercial - Points of View (http://youtu.be/27XAhBu4XjE).
Bei der Auseinandersetzung mit der Geschichte, mit historischer Wahrheit, ist die Sache nicht
so einfach. Welche Betrachtungsweise, wessen Interpretation stimmt? Und kann man je sicher sein, dass man wirklich alle relevanten Informationen zu einem geschichtlichen Thema
kennt? Wer entscheidet eigentlich, was relevant ist und woher kann man Informationen beziehen?
Gerade im Kino ist die Grenze zwischen historischen Fakten und Fiktion oft sehr schwer zu
erkennen. „Er wolle keine ,Geschichtsstunde‘ geben, sondern Geschichte auf seine eigene
Weise erzählen, lautete die Erklärung von Regisseur Quentin Tarantino für seinen laxen Umgang mit der Faktizität historischer Zeitläufe.“ Sandra Nuy von der Universität Siegen untersucht in Ihrem Text Erinnerung und Fiktion (http://www.bpb.de/apuz/141905/erinnerung-undfiktion) die unterschiedlichen Zugänge zur historischen Wahrheit bei einigen Meilensteinen
der Kinogeschichte, die sich mit dem 3. Reich auseinander setzen, wie eben „Inglorious Basterds“ von Quentin Tarantino, „Schindlers Liste“ von Steven Spielberg oder „Shoa“ von Claude Lanzmann.
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„Film oder, allgemeiner, Medien schaffen somit nicht nur Räume, in denen die Auslegung von
Vergangenheit verhandelt wird, sondern sie nehmen auch Einfluss auf das "Wie" der Erinnerung.“ zitiert sie darin Harald Welzer1.
Autorin und Regisseurin Barbara Albert hat mit DIE LEBENDEN einen Film gedreht, in dem
die historische Wahrheit, die Ebene der Fakten, mit der persönlichen, autobiographischen
Familiengeschichte und – wie sie selbst sagt (vgl. Autorinnenstatement auf S. 5) – erfundenen Figuren: „Ich wollte über die eigene Familiengeschichte hinaus eine Allgemeingültigkeit
und eine Verbindung zum Heute schaffen. Unter anderem aus diesem Grund sind die Figuren der politischen Aktivistin SILVER und die Figur der SEDA, eine Frau, die aus Tschetschenien geflohen ist, entstanden.“
Zugleich thematisiert sie im Film selbst, wie „Geschichte gemacht wird“. In ihren Worten (vgl.
Regiestatement S. 6): "DIE LEBENDEN ist auch ein Film über das Bild. Sita, die als Praktikantin im TV-Sender Bilder sammelt, Bilder, die später relativiert werden, und Bilder, die Sita
im Zuge ihrer Recherche findet. Bilder von Vergangenem, Bilder, die immer nur einen Ausschnitt der Wahrheit zeigen.“
Wichtig ist daher, ein Bewusstsein zu entwickelt, was als historisch gesicherte Tatsache gelten kann, was Interpretation und was frei erfunden ist. Welche Teile einer Geschichte sind
künstlerische Ausschmückungen, bis wohin sind sie hilfreich, um einen historischen Zusammenhang oder auch „nur“ das Lebensgefühl einer vergangenen Epoche verständlich und
nachvollziehbar zu machen und ab wann wird die Geschichte verfälscht – sei es bewusst und
absichtsvoll oder unbewusst.
Eine umfassende Auflistung über Quellen („jede historische Informationsgrundlage“) für
historisches Arbeiten hat Mag. Heinz Berger vom Ludwig Boltzmann Institut für Historische
Sozialwissenschaften im Rahmen des Projektes „Geschichte Online“2 der Uni Wien zur Verfügung gestellt: http://gonline.univie.ac.at/htdocs/site/browse.php?a=4237&arttyp=k.
Empfehlenswert ist auch das Medienbegleitheft zum Thema: ZeitzeugInnen im Film im
BMUKK Medienpoool: http://www.bmukk.gv.at/medienpool/23373/thmbhzz_2012.pdf
Nachfolgend nun drei konkrete Vorschläge für Übungsaufgaben:
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1 Harald Welzer, Das kommunikative Gedächtnis. Eine Theorie der Erinnerung, München 2005; Interessant auch das
Fachbuch von Michael Elm: „Zeugenschaft im Film. Eine erinnerungskulturelle Analyse filmischer Erzählungen des Holocaust“, Berlin 2008 (vgl.: http://lernen-aus-der-geschichte.de/Lernen-und-Lehren/content/3955)
2 Das Projekt Geschichte Online (http://gonline.univie.ac.at) wurde vom Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte
und vom Institut für Geschichte der Universität Wien zusammen mit KooperationspartnerInnen historischer Institute an
den Universitäten Basel, Graz, Klagenfurt, Innsbruck, München, Salzburg und Wien durchgeführt.
ARBEITSAUFTRAG FÜR DEN UNTERRICHT MODUL 1 - 1:
HISTORISCHE QUELLEN
Teilt euch in zwei Gruppen auf.
Gruppe A:
Welche Art von Quellen nutzt Sita bei Ihrer Recherche über ihren Großvater?
Versucht, eine möglichst vollständige Liste zu erstellen.
Überlegt zu jeder Quelle folgende vier Fragen:
1.
Was für eine Art Quelle liegt vor (z.B.: gedruckter/handgeschriebener Text, Bild, Video,
Dokument, Erzählung etc.)?
2.
Aus welcher Zeit stammt die Quelle?
3.
An wen war die Botschaft der Quelle ursprünglich gerichtet?
4.
Wie glaubwürdig ist die Information der Quelle?
Gruppe B:
Besorgt euch eine Tageszeitung, ein Wochen- oder Monatsmagazin. Durchforstet sie nach
Inhalt en, die historische Informationen enthalten.
Unterscheidet dabei:
1.
Aktuelle Berichterstattung
Stellt euch vor, ein/e Historiker/in will in 100 Jahren genau die Ausgabe der Zeitung, die Ihr in
Händen hält, als Quelle verwenden. Wie verlässlich ist die Information, die er/sie darin
findet?
2.
Berichte über historische Themen
Wann beginnt Geschichte? Muss sich ein Artikel klar schon in der Überschrift und im Hauptthema darauf beziehen, damit er als Beitrag zu einem historischen Thema wahrgenommen
wird? Oder kann nicht auch ein Absatz zu der Vorgeschichte einer aktuellen Story schon als
eine Art „Geschichtsschreibung“ gesehen werden?
Achtet dabei auf folgende Punkte:
a.
Ist in den Artikeln belegt, woher eine Information stammt? Welche Arten von Quellen
werden in den Artikeln genannt?
b.
Sind Aussagen in den Artikeln exakt (Angaben zu Zeit, Ort, handelnden Personen)?
c.
Sind Aussagen zu Fakten und Meinungsäußerungen gut ersichtlich voneinander getrennt?
d.
Sind alle Informationen in der Zeitung/dem Magazin gleich glaubwürdig? Wenn nicht,
was ist glaubwürdiger, welchen Informationen traut ihr nicht?
Abschluss
Referiert wechselseitig eure Ergebnisse und vergleicht die Schlussfolgerungen, die sich aus
der Beantwortung der jeweils gestellten Fragen ziehen lassen. Sind Informationen aus zeitgenössischen Medien glaubwürdiger als Quellen aus den 3. Reich? Bzw. welche Art von Information kann aus welcher Quelle bezogen werden. Versucht, die wichtigsten Punkte in einer Liste festzuhalten.
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ARBEITSAUFTRAG FÜR DEN UNTERRICHT MODUL 1 - 2:
RECHERCHE ÜBER SIEBENBÜRGEN-SACHSEN
Teilt euch in zwei Gruppen auf.
Gruppe A:
Die eine Gruppe beschäftigt sich mit der Seite:
http://www.siebenbuerger.de/portal/land-und-leute/siebenbuerger-sachsen/
Gruppe B:
Die andere Gruppe beschäftigt sich mit der Seite:
http://de.wikipedia.org/wiki/Siebenbürger_Sachsen
Jede Gruppe macht eine Zusammenfassung der wichtigsten Aussagen.
Stellt eure Informationen gegenseitig vor und bewertet anhand folgender Kriterien die Glaubwürdigkeit der Quellen.
http://geschichtsunterricht.wordpress.com/2012/04/25/qualitatscheck-von-wikipedia-artikeln/
Abschluss
Reflektiert und diskutiert über die verschiedenen Stile und Methoden, wie das Thema behandelt wird. Was bedeutet das in Bezug auf die Recherche von Sita im Film? Was weiß sie über
die Wurzeln ihrer Familie als Siebenbürger Sachsen? Was will sie wissen? Welche Möglichkeiten stehen ihr zur Verfügung mehr über die Geschichte ihrer Familie zu erfahren? Welche
historischen Quellen stehen ihr zur Verfügung? Wie groß ist die Glaubwürdigkeit dieser Quellen?
Beschäftigt euch in diesem Zusammenhang mit dem Artikel „Geschichtskultur im Netz“:
http://lernen-aus-der-geschichte.de/Lernen-und-Lehren/content/10090
Sammelt Vor- und Nachteile dieser Entwicklungen, und diskutiert anschließend den möglichen Einfluss auf unser zukünftiges Geschichtsverständnis.
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ARBEITSAUFTRAG FÜR DEN UNTERRICHT MODUL 1 - 3:
ORAL HISTORY ALS HISTORISCHE QUELLE
Drei Kleingruppen erarbeiten anhand der verschiedenen Handouts zum Thema „Interview“
jeweils ein Plakat:
Gruppe A:
Lernmaterialien fur die interkulturelle Radioausbildung (2006) – Interaudio interkulturell
Quelle: InterAudio - Koordinierungsstelle für Interkulturellen Hörfunk
http://tinyurl.com/Checkliste-Radiointerviews
(http://interaudio.org/mos/interaudiodoc/handout/Handouts%20%28deutsch%29/InterviewCheckliste.pdf)
http://tinyurl.com/geschickt-fragen
(http://interaudio.org/mos/interaudiodoc/handout/Handouts%20%28deutsch%29/Interview
%20Geschickt%20fragen.pdf)
http://tinyurl.com/ZeitzeugInnen-befragen
(http://interaudio.org/mos/interaudiodoc/handout/Handouts%20%28deutsch%29/InterviewZeitzeugInnen%20befragen.pdf)
Gruppe B:
Impulsfragen zur Auswertung von Interviews
Quelle: Das Gedächtnis der Nation e.V.
http://tinyurl.com/Fragen-Interviewauswertung
(http://www.gedaechtnis-der-nation.de/bilden/schulen/elements/0/copytext_files/file/Zum
%20Umgang%20mit%20Zeitzeugen-Interviews.pdf)
Gruppe C:
Begegnungen mit ZeitzeugInnen des Holocaust im schulischen Rahmen
Quelle: erinnern.at - Ein Vermittlungsprojekt des BMUKK für Lehrende an Österreichs Schulen
http://tinyurl.com/Begegnung-mit-Zeitzeugen
(http://www.erinnern.at/bundeslaender/oesterreich/zeitzeuginnen/zeitzeugen-didaktikmethodik/GuidelinesSurvivorMeetingKurz.pdf)
http://tinyurl.com/Zeitzeugen-Didaktik
(http://www.erinnern.at/bundeslaender/oesterreich/zeitzeuginnen/zeitzeugen-didaktikmethodik)
Jede Gruppe präsentiert die wichtigsten Aussagen der Handouts anhand der Plakate.
Abschluss
Vergleich und Diskussion uber: Was sagen uns diese Anweisungen uber den Unterschied eines Interviews vor Ort und eines fur Medien gemachtes?
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Was sagt uns das uber Interviews, die wir zu sehen bekommen (Arbeit Sitas als TV-Praktikantin, die von ihrem Onkel gefilmten Videointerviews mit ihrem Großvater)?
Modul 2: Standpunkte und Argumente
Die unterschiedlichen Zugängen der Generationen zur „Wahrheit“ der eigenen Familiengeschichte: der Großvaters, der Vaters, der Onkel und in 3. Generation Sita selbst.
ARBEITSAUFTRAG FÜR DEN UNTERRICHT MODUL 2 - 1:
DISKUSSION DIE BIOGRAFIE DER FIGUR SITA IM FILM
Sammelt in kleinen Gruppen Informationen über die Hauptfiguren Sita, ihren Vater und Großvater:
Welche Berufe haben/hatten sie? Wie sind ihre Familienverhältnisse?
Haben sie Geschwister? Wie alt ist sie? Wie wohnt sie? Was wisst ihr von ihrem Charakter?
Tragt alles zusammen, was ihr über die Figuren erfahren habt.
Überprüft im Plenum, welche Informationen ihr tatsächlich im Film gesehen und gehört habt,
und welche ihr nur vermutet.
Diskutiert Sitas Verhalten in Bezug auf ihre Entdeckungen
Was war der Auslöser für Sitas Nachforschungen in Bezug auf ihre Familiengeschichte?
Was beginnt sie zu tun? Wie reagiert ihr Umfeld darauf – ihr Vater, Joquin?
Was haltet ihr von dem Satz des Vaters, „Was weißt du von mir? Du interessierst dich gar
nicht wirklich.“
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INPUT: BIOGRAFIEARBEIT – WAS IST DAS?
Die Kultur des Biografisierens – Einführung3
„Die Kultur des Biografisierens ist allgegenwärtig. An unterschiedlichsten Orten und zu unterschiedlichen Gelegenheiten erzählen Menschen ihre Geschichte. Sie ordnen zu, sortieren
sich und möchten gehört werden. Besonders für ältere Menschen ist dies von großer Bedeutung. Sie möchten etwas weitergeben, aber auch, vielleicht zum ersten und zum letzten Mal,
ihre Geschichte darstellen. Durch das Erzählen finden sie zu sich selbst, nehmen Kontakt
auf. Biografien sind keine eindimensionalen Zeitabläufe, sondern sind von Brüchen und Änderungen gezeichnet. Es geht nicht um das Erzählen und Erfassen der „wahren“ Geschichte,
sondern um die Differenz und Summe unterschiedlichster Lebensgeschichten und Erfahrungen. Jede Erzählung kann nur eine Momentaufnahme sein und ist nicht allgemein gültig, sie
ist abhängig davon, wem, wie, wo, weshalb und wann jemand erzählt. Die Diskrepanz von individuell erlebter Geschichte und „offizieller“ Zeitgeschichte kann groß sein, eine Herausforderung ist die Akzeptanz von Differenz und Sichtweisen auf Vergangenes und Geschichte.
Letztendlich geht es um persönliche Erinnerungen, die sich im Laufe eines Lebens ständig
verändern und die in ihrer Einzigartigkeit und Subjektivität zu respektieren sind. Erinnerung
bezieht sich auf bestimmte Orte und kann durch Gegenstände verstärkt werden.“
Moderationshinweise:
Der/die InterviewerIn achtet darauf, die Erzählung nicht zu beeinflussen oder zu bewerten.
Biografiearbeit soll Menschen unterstützen, sich zu erinnern und dies zugänglich zu machen.
Der Lernprozess verläuft auf der Ebene
- derer, die reflektieren
- derer, die leiten und
- derer, die rezipieren.“
„Biografiearbeit ist ganzheitlich. Sie enthält
- die individuelle Ebene (Lebensgeschichte, Erfahrungen, Begebenheiten, Erlebnisse),
- die gesellschaftliche Ebene (gesellschaftliche Ereignisse, die Lebenschancen bedingen
und Biografie beeinflussen) und
 die tiefenpsychologische Ebene (seelischen Schädigungen und Heilungen)“ 4
Abschluss
Diskutiert die biografischen Methoden von Sita im Film.
Welche Mittel stehen ihr durch die Arbeit ihres Onkels 30 Jahre vor ihr zur Verfügung?
Was könntet ihr in eurem eigenen Lebensumfeld tun?
Gibt es Geschichten, die euch interessieren, und die ihr gerne festhalten wolltet?
Was braucht ihr dafür?
22
3 Aus: http://www.politischebildung.at/upload/Lebensgeschichten_erinnern.pdf Stand: 14.11.2012
4 Aus: http://www.thomas-langens.de/archiv/biografiearbeit/SkriptBiografiearbeit.pdf Stand: 14.11.2012
Weitere Links zum Thema Biografiearbeit:
http://de.wikipedia.org/wiki/Biografiearbeit
http://www.pqsg.de/seiten/openpqsg/hintergrund-biographie.htm
http://www.thomas-langens.de/archiv/biografiearbeit/index.html
http://www.memoryschreibwerkstatt.de/mediapool/80/804223/data/Memory_e_V_Projekt_Lebensbuch.pdf
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ARBEITSAUFTRAG FÜR DEN UNTERRICHT MODUL 2 - 2:
VERSTECKT – VERDRÄNGT – VERARBEITET – UND FERTIG?
Das Verhältnis zur Geschichte verändert sich laufend. „Die Zeit heilt Wunden“ – sagt man –
vielleicht lässt sie aber auch nur „Gras über eine Sache wachsen“, die darunter weiter unverändert schlummert.
Teilt euch in vier Gruppen. Überlegt für jede Generation, welche Motive eine Rolle spielen
könnten, über die NS-Zeit zu sprechen – oder dieses Thema lieber zu verdrängen.
Gruppe A: Generation des Großvaters
Sie waren in der Zeit des Krieges erwachsen, auf Grund ihres Alters verantwortlich für das,
was sie taten – auch wenn sie nicht die Wahl hatten, ob sie auf der einen oder der anderen
Seite standen.
Unterscheidet drei Gruppen: Täter, Opfer und jene Personen, die Täter und Opfer zugleich
waren.
Lesetipp: Hanisch Ernst, Opfer-Täter - Mythos Referat beim 5. Zentralen Seminar;
Quelle: erinnern.at (774_Hanisch OpferTäter Mythos.pdf)5
Gruppe B: Generation des Vaters
Sie waren in der Zeit des Krieges noch kleine Kinder, verstanden wohl erst später, was in diesen Jahren wirklich vor sich ging. Dennoch wollten und wollen viele nicht über diese Jahre
sprechen.
Lesetipp: Reiter Margit, Die Generation danach. Referat beim 5. Zentralen Seminar;
Quelle: erinnern.at (776_Reiter, Die Generation danach.pdf)6
Gruppe C: Generation der Enkel – Sita
Sie sind im Frieden aufgewachsen, kennen die Geschichte nur aus Büchern. Trotzdem wollen viele verstehen und wissen, wie sie sich verhalten hätten. Anderen scheint die Zeit egal
zu sein oder sie sind mit wenig, oberflächlichem Wissen zufrieden. Versucht ihre Motive zu
beschreiben.
Lesetipp: Geneviève Hesse: Das schwere Erbe der NS-Zeit; Tagesspiegel, 13.1.20127
Gruppe D: Generation des Urenkel
Das seid im wesentlichen Ihr. Die meisten unter euch kennen persönlich niemanden mehr,
der den Krieg noch erlebt hat. Diese Zeit versinkt langsam im Nebel der Vergangenheit. Oder
doch nicht? Ihr seht, dass das Thema immer noch viele Menschen beschäftigt. Seid vielleicht
selbst neugierig. Warum ist das so – und was wollt ihr von dieser Zeit eigentlich wissen?
Lesetipp: Christia Staas: Was geht mich das noch an? Die Zeit, 4.11.20108
Abschluss
Berichtet wechselseitig von den Ergebnissen der Diskussion in der Gruppe. Findet ihr Überschneidungen der Motive in den verschiedenen Generationen? Was sind heute Gründe, weiter über die NS-Zeit zu sprechen?
24
5 http://www.erinnern.at/bundeslaender/oesterreich/e_bibliothek/seminarbibliotheken-zentrale-seminare/verbrechenverdrangen-leid-erinnern/774_Hanisch%20OpferTater%20Mythos.pdf/view
6 http://www.erinnern.at/bundeslaender/oesterreich/e_bibliothek/seminarbibliotheken-zentrale-seminare/verbrechenverdrangen-leid-erinnern/776_Reiter%2C%20Die%20Generation%20danach.pdf/view
7 http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/vergangenheitsbewaeltigung-das-schwere-erbe-der-ns-zeit/6027916.html
8 http://www.zeit.de/2010/45/Erinnern-NS-Zeit-Jugendliche
Modul 3: Persönliche Verantwortung - Damals und heute
Die Schüler/innen informieren sich über die Rahmenbedingungen und Handlungsalternativen
im 3. Reich. War es überhaupt möglich, Widerstand zu leisten? Welchen Preis musste man
zahlen, wenn man erwischt wurde? Gibt es eine Grenze zwischen „Mitläufer“ und „Mittäter“,
an der man individuelle Schuld objektiv festmachen kann?
Und: Wie ist das heute? Wo beginnt heute unsere Verantwortung? Ist es heute auch wichtig,
Widerstand zu leisten - und wogegen - oder ist heute, in einer Demokratie, ohnehin alles in
Ordnung?
Der Widerstand, sein Ausmaß und seine Bedeutung, ist nur im Zusammenhang mit dem Gesamtverhalten der ÖsterreicherInnen in der NS-Zeit, also unter Berücksichtigung des österreichischen Nationalsozialismus, der partiellen oder zeitweisen Zustimmung von Bevölkerungsgruppen zum System u. a. Faktoren, zu bewerten. Eine solche Beurteilung kann freilich
nicht in Form einer bloßen Gegenüberstellung von - größenordnungsmäßig geschätzten 100.000 WiderstandskämpferInnen mit 700.000 NSDAP-Mitgliedern erfolgen; denn die einen
hatten ihre gesamte Existenz zu riskieren, die anderen genossen alle Vorteile einer die alleinige Macht ausübenden Staatspartei. [...] Gemessen an der großen Zahl der Opfer waren die
praktischen Ergebnisse des Widerstandskampfes - etwa in Richtung einer Gefährdung des
NS-Regimes, einer ernstlichen Schädigung der NS-Kriegsmaschinerie oder der Erringung
der Hegemonie in der Bevölkerung - eher bescheiden. Die Befreiung Österreichs von der
NS-Herrschaft war nicht das Werk einer Revolution von unten oder eines nationalen Freiheitskampfes, sondern das ausschließliche Verdienst der alliierten Streitkräfte, von denen
mehr als 30.000 1945 auf österreichischem Boden gefallen sind. [...] Die weitere politisch-gesellschaftliche Entwicklung Österreichs stand freilich nicht im Zeichen der Widerstands
kämpferInnen und NS-Opfer; sie wurde von der Generation der Kriegsteilnehmer und ehemaligen Nationalsozialisten dominiert. 9
25
9 Aus: Wolfgang Neugebauer: Referat im Rahmen der Tagung "Widerstand in Österreich 1938-1945" im Parlament, Wien, 19.
Jänner 2005 (http://www.doew.at/thema/widerstand/tagung_wn.html#bedeut)
Widerstand zu leisten gegen ein totalitäres Regime, das terroristische Unterdrückungsmethoden anwendet, erfordert ein hohes Maß an Mut und die Bereitschaft, alles, auch das Leben,
zu riskieren. Dazu sind nur wenige Menschen bereit. In Österreich stieß die Organisierung
des Widerstandes 1938 auf beträchtliche Schwierigkeiten: Der kampflose UntergangÖsterreichs und die brutalen und massiven Verfolgungsmaßnahmen wirkten sich ebenso negativ
aus wie die erzwungene Flucht Tausender potentieller NS-Gegner.10
Das Gedenken an den Widerstand ist vielfach zu Ritualen erstarrt, man denkt an Kranzniederlegungen und Heldengeschichten. Peter Steinbach, Professor für Neuere und Neueste
Geschichte an der Universität Mannheim hat zu dieser Thematik anlässlich eines Jahrestages des Hitler-Attentates (nicht des einzigen11, aber des wohl spektakulärsten) vom 20. Juli
1944 den Podcast12 „Nach Hitler kommen wir“ gestaltet, in dem er sich mit Widerstand und
Erinnerungskultur befasst: http://lernen-aus-der-geschichte.de/Online-Lernen/content/10529.
Junge Menschen von heute sind aber weniger an dieser Art Gedenken, den Ritualen um
Kranzniederlegungen interessiert, sondern eher an der Frage, was für Schlüsse für das Leben heute aus den Erfahrungen dieser Zeit zu ziehen sind. Der Satz „Wehret den Anfängen“
ist allen geläufig – aber: was bedeutet der genau?
ARBEITSAUFTRAG FÜR DEN UNTERRICHT MODUL 3 - 1:
PERSÖNLICHE VERANTWORTUNG – DAMALS UND HEUTE
Widerstand und Engagement im Film
Sammelt Situationen im Film, in denen in der Gegenwart Widerstand geleistet wird, bzw. wo
sich jemand für etwas oder jemand anderen einsetzt.
Was macht die Figur der Silver in Warschau? Womit beschäftigt sich die Figur Jocquin?
Welche Gefühle könnten Sita dazu gebracht haben aus Warschau abzureisen?
Diskussion über das Thema Schuld
Im Film fallen die Sätze, „Die Wahrheit – als wenn damit schon alles gelöst wäre.“ und
„Das war nicht ich. Das war ein Anderer. Ich habe kein Schuldgefühl.“
„Das Wegschauen des Vaters ist der konventionelle Umgang mit der Familienschuld, Sita
stellt sich dagegen, will hinschauen – und kann nur dadurch verzeihen. Erst durch das Akzeptieren der Vergangenheit ihres Großvaters wird eine verzeihen möglich, und erst durch
Verzeihen der Weg für einen Neuanfang geebnet.“ Barbara Albert aus Autorinnenstatement
(Presseheft)
Was sagt ihr dazu?
Welche Möglichkeiten gibt es noch mit dem Bewusstsein der ‚Schuld‘ umzugehen?
Welche Möglichkeiten werden im Film noch praktiziert?
26
10 Aus der Online-Ausstellung des DÖW - Kapitel „Widerstand“ (www.doew.at/ausstellung)
direkter Link: http://de.doew.braintrust.at/chapter7.html
11 http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_aller_Attentate_auf_Adolf_Hitler
12 Direkter Link: http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2012/07/15/dlf_20120715_0930_8cb3ab81.mp3
Weitere Links zum Thema Schuld:
http://de.wikipedia.org/wiki/Vergangenheitsbewältigung
http://de.wikipedia.org/wiki/Schuld_(Ethik)
http://de.wikipedia.org/wiki/Scham-_und_Schuldkultur
ARBEITSAUFTRAG FÜR DEN UNTERRICHT MODUL 3 - 2:
PERSÖNLICHE VERANTWORTUNG – WAS WÜRDE ICH TUN?
„Was wurde ich tun, wenn … ?“
negative Vorurteile uber andere verbreitet werden?
ein Vorgesetzter (Lehrer etc.) einen Kollegen (Schuler) demutigt?
Passanten belästigt werden?
ein Erwachsener ein Kind schlägt?
in einer Gruppe uber Abwesende herabsetzend geredet wird?
ein Tier gequält wird?
Andersdenkende beleidigt werden?
mir ein »Skandal« bekannt wird?1
Überlegt, welche Handlungsoptionen ihr in den jeweils genannten Situationen habt – und
was ihr glaubt, dass ihr wirklich tun würdet (bzw. getan habt, in Situationen, die ihr schon erlebt habt).
Diskutiert in der Gruppe uber die Ergebnisse in Bezug auf eure eigene Zivilcourage und dem
Verständnis fur die Handlungen anderer in Extremsituationen.
Weiterführende Links zum Thema
„Was würde ich tun wenn...?“
http://friedenspaedagogik.de/themen/handeln_in_gewalt_und_gefahrensituationen/was_wuer
de_ich_tun_wenn
Interview mit Gewaltexperten Günter Gugl: „Schweigen ist Mittäterschaft“
http://friedenspaedagogik.de/blog/wp-content/uploads/2009/07/zivilcourage_taz_19_7_09.pdf
Kenne Deine Rechte - Das Menschenrechtsportal von Jugendlichen für Jugendliche
http://kennedeinerechte.at/
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Modul 4: Mit Bildern erzählen
Die Inszenierung des Films steht im Mittelpunkt des letzten Moduls, hier geht es um die Sensibilisierung für die filmische Gestaltung. Anhand von Standfotos veranschaulichen sich die
Schüler/innen, wie der Film das Verhältnis zwischen den Generationen durch die Bildausschnitte und Perspektiven kommentiert und wie Geschichte erzählt wird.
Barbara Albert - Auszüge aus dem AFC-Interview 13
„Im Grunde ist der Film eine Coming-of-Age-Geschichte, ein Entwicklungsroman, in dem es
um Sitas Idenditätssuche geht. [...] Ich wollte für diesen Film eine sehr nahe, sehr direkte und
sehr bewegte und moderne Kamera. [...] Ich wollte bei diesem Thema keine getragenen Bilder. Wenn etwas im Film getragen ist, dann ist es die Musik [...] Ich wollte Frische, Lebendigkeit, Energie vermitteln. [...] Ich wollte zum einen, dass Sita durch schnelle Songs etwas Heutiges bekommt. Ihre Familie hingegen ist sehr stark der alten Musik verbunden. [...] Ein wesentlicher Punkt war die Entscheidung, auf Super-16 mm zu drehen, das macht durch seine
Körnigkeit stark diesen „filmischen“ Look aus, der ein wenig „old school“ wirkt. Die Super-16
mm Kamera machte es Bogumił auch leichter, mit Handkamera zu drehen und somit die
Schauspieler noch besser zu begleiten. Gleichzeitig gefiel mir gut, dass in einem Film, in
dem es um Vergangenheit geht, diese deshalb präsent ist, weil er mit dem Medium spielt. [...]
Fotos zeigen immer wieder, dass es die Vergangenheit gegeben hat, auch wenn es nur Momentaufnahmen sind. Sie zeigen die Vergänglichkeit, die Erinnerung an etwas Vergangenes,
egal ob es beschönigend ist wie die Erinnerung des Großvaters an Mühlenthal oder die
Schrecken der Konzentrationslager: Es ist immer etwas Vergangenes und immer mitten unter
uns. [...] Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass man diese Erfahrungen nicht szenisch darstellen kann. Ich finde, man muss die Leute selbst sprechen lassen. Das ist stär
ker, weil die Bilder im eigenen Kopf entstehen. Bilder davon wären kitschig oder falsch und
nie der Realität gerecht geworden.“
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13 Das komplette Interview hier: http://www.afc.at/jart/prj3/afc/main.jart?rel=de&reserve-mode=active&contentid=1164272180506&artikel_id=1337152302688
ARBEITSAUFTRAG FÜR DEN UNTERRICHT MODUL 4 - 1:
MIT BILDERN ERZÄHLEN
Mediensprache – Filmtechnologie – Brainstorming, Diskussion
Beachtet die Stilmittel des Films, wie Schauplätze, Kostüme, Verhalten der Figuren, Musik,
Sprache, Filmschnitt.
Welche Rolle spielt im Film die Musik - im Leben des Vaters, im Leben von Sita, im Film
selbst?
Welcher Schnitt wurde für die Erzählung gewählt?
Sind die Handlungen immer kontinuierlich nachvollziehbar, oder springen sie von Moment zu
Moment?
Was bedeutet das für das Realitätsbewusstsein der Protagonistin bzw. für die Zuschauer?
Welchen Einfluss haben die verschiedenen Filmtechnologien in Bezug auf das Gefühl von
‚Wahrheit‘?
Man sieht zu Beginn den jungen Mann im Kamerabild, und von der Seite, wie er vor der Kamera steht. Doch auch dieses Bild wurde von einer Kamera aufgenommen, die technologisch
hochwertiger ist, und die man nicht sieht und auch nicht spüren soll. Was erzählt uns das
über unser Gefühl von Realität, wenn wir einen Film sehen? Was ist Realität im Film? Wie
stark ist der Machteinfluss der Technologie?
Diskutiert über eure Sehgewohnheiten – im Kino, im Fernsehen, im Internet, auf dem Handy.
Was wisst ihr von den Bildern, die ihr seht, wenn sie nicht von euch selbst sind?
Wie ist es für euch Bilder zu sehen, die ihr selbst aufgenommen habt?
Was bedeutet das für eure Perspektive auf die Realität, die ihr selbst erlebt habt?
Beschreibt den Unterschied der Videobilder vom Interview mit dem Großvater und den Interviewaufnahmen der Castingvideos vom Anfang.
Welches Ziel verfolgt die Aufnahme, in der man den Großvater hört, während man Schuhe
und Tischbeine sieht?
Was bedeutet es für die Interviewsituation, wenn die Kamera schwenkt und plötzlich die
Großmutter zu sehen ist?
Versucht euch die Situation vorzustellen, in der diese Aufnahmen entstanden sind.
Welche Form hat Sita gewählt, um von ihrem Großvater etwas von seiner schuldhaften Vergangenheit zu erfahren?
Abschluss
Analyse eines Films
Aus: http://www.mediamanual.at/mediamanual/leitfaden/filmgestaltung/filmanalyse/index.php
Stand: 14.11.2012
Diskutiert die abschliessenden drei Fragen aus diesem Text.
Welche Fragen würdet ihr stellen, um den Film „Die Lebenden“ zu analysieren?
29
ARBEITSAUFTRAG FÜR DEN UNTERRICHT MODUL 4 - 2:
VERGLEICH VON FILMSTILLS
Beschreibt zunächst, was ihr auf den Filmstills seht. Analysiert anschließend die Gestaltung
der Bilder im Hinblick auf den Kamerastil. Füllt dazu jeweils zu zweit folgende Tabelle aus:
Lesetipp: filmABC Materialien 01: Einführung
http://www2.mediamanual.at/pdf/filmabc/01-filmabc_mat_einfuehrung.pdf
Moderationshinweis: VOR DEM AUSTEILEN DER BÖGEN
Die erste Aufgabe lautet:
Beschreibt das Bild in eigenen Worten. Ein/e Mitschüler/in, der /die das Bild vorher NICHT
ANSEHEN darf, soll versuchen, es nach deiner/eurer Beschreibung auf ein Blatt Papier zu
skizzieren.
Nach dieser Übung folgt der Bildvergleich:
Element des Kamerastils
Beschreibung / Funktion & Wirkung
Filmstill Nr.
Filmstill Nr.
Einstellungsgröße
Kameraperspektive
Bildkomposition
Farbe
Licht
Beantwortet folgende Fragen:
Welche Emotion drückt das Bild aus?
Was sagt das Bild über die Protagonistin / den Protagonisten aus?
Welche Beziehung drückt das Bild aus zwischen den Personen auf dem Bild (bzw. – wenn
nur würde man aus eine Person auf dem Bild ist) zwischen der Person und dem Betrachter?
30
Gruppe A
Still 1
Still 2
31
Gruppe B
Still 3
Still 4
32
Gruppe C
Still 5
Still 6
33
Gruppe D
Still 7
Still 8
34
Kinostart in Deutschland ist am 30.05.2013
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Real Fiction Filmverleih
Laura Solbach
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