Besondere Herausforderung für die Immobilienwirtschaft

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Besondere Herausforderung für die Immobilienwirtschaft
Immobilienrecht
Corporate Governance
Besondere Herausforderung für
die Immobilienwirtschaft
Corporate Governance ist heute in der gesamten Wirtschaft ein wichtiges Thema. Der heterogene Immobilienmarkt bringt für Unter­
nehmen aus der Immobilienbranche aber besondere Fragestellungen mit sich. Die Branche hat daher eigene Standards entwickelt –
und zeigt damit, dass gute Unternehmensführung kein Selbstzweck ist.
Von Karin Barthelmes-Wehr, Judith Hollmann und Dr. Volker Wiegel
C
orporate Governance hat über die letzten Jahre
aufgrund von großen Skandalen und Firmenzusammenbrüchen in allen Bereichen der Wirtschaft
vermehrt an Bedeutung gewonnen. Dies gilt auch
für die Immobilienwirtschaft. Neben einem in der Vergangenheit häufiger anzutreffenden intransparenten Verhalten,
bei dem die Rollenverteilung und Interessenlage von Vertragsparteien mitunter nicht in der wünschenswerten Weise
offengelegt war – was zu einem bisweilen zweifelhaften Ruf
der Immobilienwirtschaft führte –, war der Zusammenbruch
des US-amerikanischen Wohnungsimmobilienmarkts 2008
Auslöser der internationalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise, die sich bis heute im Rahmen der Staatsschuldenkrise
noch fortsetzt.
Branche zeigt Initiative
Der Begriff der Corporate Governance bezeichnet die Grundsätze verantwortungsvoller Leitung und Überwachung eines
Unternehmens (Unternehmensführung). Ziel der Corporate
Governance ist, das Unternehmensverhalten insgesamt zu
beeinflussen; dabei geht es nicht nur darum, legales Handeln der Organisation und ihrer Mitglieder sicherzustellen,
sondern auch darum, in gesellschaftlicher und ökologischer
Hinsicht Verantwortung für die unternehmerischen Entscheidungen und Handlungen zu übernehmen.
Als Reaktion auf die aufgedeckten Missstände und Skandale
wurde im Jahr 2002 der Deutsche Corporate Governance
Kodex (DCGK) als freiwillige Regulierung kapitalmarktorientierter Unternehmen verabschiedet und seitdem
weiterentwickelt. Der Kodex hat zum Ziel, das deutsche
Corporate Governance System transparent und nachvollziehbar zu machen. Er will nach Angabe der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex das
Vertrauen der internationalen und nationalen Anleger, der
36 · BUJ-Sonderedition Bau- & Immobilienrecht 2016
Kunden, der Mitarbeiter und der Öffentlichkeit
in die Leitung und Überwachung deutscher
börsennotierter Gesellschaften fördern. Der
Kodex enthält Empfehlungen, von welchen die
Gesellschaften abweichen können,
die dann aber verpflichtet sind, die
Abweichungen offenzulegen und
jährlich zu begründen („comply or
explain“). Dies ermöglicht den Gesellschaften die Berücksichtigung
branchen- oder unternehmensspezifischer Bedürfnisse. So soll der Kodex der Regierungskommission zufolge
zur Flexibilisierung und Selbstregulierung
der deutschen Unternehmensverfassung beitragen.
Der Immobilienmarkt ist insbesondere durch seine
Heterogenität nicht mit anderen Märkten vergleichbar. Zum einen unterscheidet sich jede Immobilie von
anderen durch Lage, Größe und Nutzung, zum anderen
gehören der Immobilienbranche die unterschiedlichsten
Professionen und Marktsegmente wie Bau, Entwicklung,
Finanzierung, Vermarktung, Nutzung et cetera an. Dies
hat zur Folge, dass die Immobilienmärkte vergleichsweise intransparent sind und es Anteilseignern von
börsennotierten Immobiliengesellschaften entsprechend schwer fällt, Immobilientransaktionen zu
bewerten. Daher, und vor dem Hintergrund von
damaligen Skandalen, wurde im September
2002 die „Initiative Corporate Governance der
deutschen Immobilienwirtschaft e.V.“ (ICG) mit
dem Ziel gegründet, Leitlinien zu entwickeln,
die auf den Grundsätzen einer transparenten
und professionellen Unternehmensführung
in der Immobilienwirtschaft basieren.
Karin Barthelmes-Wehr ist Geschäftsführerin der ­Initiative Corporate
Governance der deutschen Immobilienwirtschaft e.V., die sie seit ihrer
Gründung begleitet. Zuvor war sie bei Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen der Immobilienbranche im Bereich Executive Search und
Konferenzen tätig.
Judith Hollmann ist Rechtsreferendarin in dem ­Bereich Recht, Revision
und Compliance der LEG ­Immobilien AG. Sie studierte in Bonn Rechts­
wissenschaften und absolviert seit 2015 ihr Rechtsreferendariat im Bezirk
des Landgerichts Düsseldorf.
Dr. Volker Wiegel ist General Counsel & Compliance Officer der LEG
­Immobilien AG. Er studierte in Freiburg, Berlin und Hagen Rechtswissenschaften und Volkswirtschaftslehre mit Auslandsaufenthalten in London
und Los Angeles. Von 2007 bis 2013 war er in einer amerikanischen Kanzlei in Frankfurt tätig. Seit 2013 ist Volker Wiegel General Counsel der LEG
Immobilien AG, seit 2016 hat er zudem die Funktion des Compliance
­O fficers inne.
Immobilienrecht
Sie sollen zu einer Verbesserung des Ansehens und der
Wettbewerbsfähigkeit deutscher Immobilienunternehmen
beitragen. Die ICG wird von führenden deutschen Immobilienunternehmen getragen und kooperiert mit dem Zentralen
Immobilien Ausschuss e.V. (ZIA), einem der bedeutendsten
Interessenverbände der Branche.
Die ICG entwickelte umgehend nach Gründung die „Grundsätze ordnungsgemäßer und lauterer Geschäftsführung
der Immobilienwirtschaft“, die sogenannten „10 Gebote“
für alle deutschen Immobilienunternehmen. Diese Gebote
basieren auf dem Konzept des „Ehrbaren Kaufmanns“ und
umfassen insbesondere die sachgerechte Bewertung des
Immobilienvermögens sowie die Transparenz und Fairness
im Umgang mit Geschäftspartnern, Mietern, Mitarbeitern
sowie der Öffentlichkeit, um das Vertrauen in die Immobilienwirtschaft zu stärken.
Eigener Kodex als Ergänzung
Im Jahr 2003 erstellte die ICG zudem den „Corporate
Governance Kodex der deutschen Immobilienwirtschaft“
(iDCGK). Dieser Kodex erfasst die Besonderheiten der
deutschen Immobilienwirtschaft – die sich von anderen
Wirtschaftszweigen zum Teil erheblich unterscheidet –, die
vom DCGK nicht entsprechend spezifisch geregelt sind. Um
diese immobilienspezifischen Themen zu adressieren, hat
die ICG den DCGK um branchenspezifische Anmerkungen
ergänzt und in einem kombinierten Dokument, in dem diese
Ergänzungen entsprechend markiert sind, veröffentlicht.
Der iDCGK wird laufend aktualisiert und an den DCGK
angepasst. Wesentliche Klarstellungen und Ergänzungen
des iDCGK zum DCGK betreffen die Bewertung von Immobilienvermögen und den Ausweis in der Bilanz, Immobilientransaktionen, bei denen die Organe der Unternehmen
sowie das Unternehmen selbst involviert sind, Regelungen
zur Vermeidung von Interessenkonflikten, Überwachungspflichten des Aufsichtsrats bei Immobilientransaktionen
ab einer bestimmten Größe sowie Mindestanforderungen
an die Qualifikation und Erfahrung von Vorstands- und
Aufsichtsratsmitgliedern.
Im Fokus des iDCGK stehen, entsprechend der Anwendbarkeit des DCGK auf kapitalmarktnahe Gesellschaften, deutsche börsennotierte oder zur Börsennotierung vorgesehene
Immobiliengesellschaften. Die Anwendung wird aber auch
anderen Kapitalgesellschaften empfohlen, die Immobiliengeschäfte betreiben.
Umsetzung in der Praxis
Die Aufstellung von Standards für gute Unternehmensführung führt dann zu einer Verbesserung der Transparenz,
wenn diese auch von den betroffenen Unternehmen umgesetzt werden beziehungsweise die Nichtumsetzung erläutert
und entsprechend veröffentlicht wird.
Zur Umsetzung der Besonderheiten des iDCGK empfiehlt es
sich, sowohl die Geschäftsordnungen für den Aufsichtsrat
wie auch für den Vorstand entsprechend zu konkretisieren und bei der Zielsetzung zur Zusammensetzung des
Aufsichtsrats und Vorstands die Vorgaben des iDCGK zu
beachten. Überdies ist es empfehlenswert, sich im Rahmen
einer jährlichen Abfrage bei den Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern die Übereinstimmung mit den spezifischen
Regelungen zum Umgang mit Interessenkonflikten bestätigen zu lassen.
Die Berichterstattung über die Einhaltung des iDCGK erfolgt üblicherweise im Rahmen der Veröffentlichung des
Jahresabschlusses. Seitens der börsennotierten, im DAX
oder MDAX geführten Immobiliengesellschaften berichten
beispielsweise die Vonovia SE oder die LEG Immobilien AG
zum Umfang der Einhaltung des iDCGK.
Auch eine internationale Koalition, zu deren Gründungsmitgliedern die Initiative Corporate Governance der deutschen
Immobilienwirtschaft (ICG) gehört, entwickelt derzeit den
ersten globalen Ethikkodex für die Immobilienbranche. Die
Immobilienrecht
„International Ethics Standards Coalition“ (IESC) besteht
aus rund 70 internationalen Verbänden und Organisationen.
Der Standard liegt mittlerweile als Entwurf vor und befindet
sich in der Konsultationsphase. Er soll im Folgenden von
den Mitgliedern der Koalition in ihren Organisationen und
Ländern verbreitet und implementiert werden. Hierdurch
soll für eine Vereinheitlichung geltender ethischer Grundsätze in der Immobilienbranche gesorgt werden.
Verantwortungsbewusstsein zeigen
Ziel der Koalition ist es, durch Implementierung des Ethikkodexes das Risiko für Investoren, Unternehmen und die
Öffentlichkeit insgesamt zu verringern und die Rolle ethischer Fragen in der Immobilienwirtschaft neu zu bestimmen.
Corporate Governance verfolgt das Ziel, Anteilseignern
Transparenz und Gewissheit über den wirtschaftlichen
Zustand ihres Unternehmens zu verschaffen und diesen
Zustand aufrechtzuerhalten. Gute und transparente Corporate Governance ist daher eine wesentliche Voraussetzung
für nachhaltigen Unternehmenserfolg. Sie fördert ferner
das Vertrauen der Anleger, Mitarbeiter, Geschäftspartner
sowie der Öffentlichkeit in die Leitung und Überwachung
des Unternehmens.
Insbesondere aufgrund der zunehmenden Internationalisierung und des dadurch bedingten steigenden Wettbewerbs
auf dem deutschen Immobilienmarkt sollten die Leitungsorgane von Immobiliengesellschaften zu einer Einhaltung der
Corporate-Governance-Regelungen beitragen. Denn gerade
in der kapitalintensiven Immobilienbranche können Fehlentwicklungen mitunter gesamtwirtschaftliche Auswirkungen
haben und – insbesondere in der Wohnungswirtschaft – eine
Vielzahl von Mietern in dem Grundbedürfnis nach einer
angemessenen Wohnung betreffen.
Das Verantwortungsbewusstsein der Immobilienwirtschaft
zu guter und transparenter Unternehmensführung zeigt
sich in Initiativen wie der ICG. Die Umsetzung und Weiterentwicklung dieser Regelungen nebst der Berichterstattung
darüber hilft, die Transparenz der Immobilienwirtschaft
zu erhöhen und das Vertrauen von Investoren, Kunden und
Mitarbeitern weiter zu stärken.

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