dr. jekyll und mr. hyde
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dr. jekyll und mr. hyde
M ECH ATRON IK M ERCEDE S -BENZ 280 SL & 280 SE DR. JEKYLL UND MR. HYDE Die mit modernen Bauteilen verbesserten Klassiker mag man finden, wie man will. Beim Fahren machen die von Mechatronik brillant modifizierten Autos mächtig Spaß Robert Coucher // Ian McLaren 62 M Ä R Z 2 014 OCTA N E OCTA N E M Ä R Z 2 014 63 M ECH ATRON IK M ERCEDE S -BENZ 280 SL & 280 SE D er Himmel erstrahlt in diesem intensiven Blau, einem Kobaltblau, wie es einem nur in Afrika begegnet. Die Hitze ist brutal, sporadisch kommt vom Indischen Ozean eine Brise, die das Überleben etwas erleichtert. Aber auch nur etwas. Der Ozean ist eine Tagestour entfernt; im Osten, hinter den Bergen, hinter Tälern und Schluchten und noch mehr Bergen. Die Gegend ist unschlagbar schön. Weinberge, das Licht perfekt ... Wir sitzen auf dem Franschhoek Pass, mit schussbereiten Kameras in Wartestellung. Unten ziehen – von uns nicht beachtet – Autos vorbei, die voneinander kaum zu unterscheiden sind. Wir sind auf einem Gipfel, von unserer Klippe aus, schwindelerregend hoch, haben wir auch einen ernüchternden Blick auf die Touristen-Enklave Franschhoek Village, aber auch die ganze Sicht auf die Kap-Halbinsel bis zum weit entfernten Tafelberg. Das Kap der guten Hoffnung, das ganze Grandiose daran, berührt einen jedes Mal aufs Neue. Auch wenn man da – wie ich – aufgewachsen ist. Einige Kiefern spenden etwas Schatten, aus dem heraus wir beobachten, wie sich der spärliche 64 M Ä R Z 2 014 OCTA N E Verkehr die Serpentinen hinauf windet. Gelegentlich ein schwer beladener Lieferwagen, vor allem aber Pkw, von denen einer so aussieht wie der andere. Dann ein anderer Sound, noch ganz unten aus dem Tal. Grollend und tief. Das Geräusch wird leiser und lauter, es nähert sich, lässt einen erzittern. Es ist lebendig und aufregend. Dann sind sie zu sehen: Zwei Sportwagen blitzen in der Sonne auf. Wie Fische, die aus dem Wasser springen, sind sie einen Moment lang zu sehen, dann verschwinden sie wieder hinter Bergkuppen. Doch der Sound bleibt – das markante Donnern großvolumiger Achtzylinder-Motoren am Limit. Der Fotograf schaltet seine mit Teleobjektiv versehene Nikon auf Dauerfeuer. Die beiden eisblauen Autos sind nur noch drei Kurven entfernt. Der Klang der Motoren wird im Widerhall der Felswände zu einer donnernden Symphonie. Als die beiden Mercedes um die Kurve biegen, flüchten Paviane, die uns beobachtet haben, in den nahen Fynbos. Es bleibt einem kaum Zeit, sich klarzumachen, dass hier zwei Veteranen aus den 1960ern mit dem Tempo moderner Sportwagen an der Linse vorbei- jagen. Der Sound ist ungebändigt, attackiert die Sinne. Durch die Fußsohlen ist die Kraft der Motoren zu spüren. Und schon sind sie weg. Lassen uns allein mit dem Zirpen der Grillen und der vor Hitze flimmernden Luft. So ein Blick auf zwei vorbeirasende Mercedes ist etwas ganz Besonderes. Die Sicht vom Fahrersitz aus ist natürlich noch besser. Mercedes-Benz gehörte nicht immer zu den radikalsten oder wagemutigsten Herstellern, doch die Marke hat immer danach gestrebt, höchste Qualität in puncto Technik und Verarbeitung abzuliefern. Von den 1950ern bis in die frühen 1990er war praktisch jeder normale Mercedes ein fantastisches Stück Technik. Dann übernahmen die Erbsenzähler das Ruder und die Marke wurde gezwungen, die Qualität auf dem Kosten-Altar zu opfern. Typisch für diese Entwicklung war die in Südafrika gefertigte und besonders häufig kritisierte C-Klasse. Inzwischen ist Mercedes-Benz zurück und die zwei Modelle, die hier zu sehen sind, sind zwei großartige Beispiele für die Hoch-Zeiten, zu denen sich die Marke wieder aufschwingen möchte. Obwohl: Wenn man sie sich genauer ansieht ... OCTA N E M Ä R Z 2 014 65 M ECH ATRON IK M ERCEDE S -BENZ 280 SL & 280 SE Der 280 SL ist anscheinend ein 1969er-Modell, sieht aber aus wie neu. Nagelneu. Der 280 SE 3.5 scheint ein ähnlicher Jahrgang zu sein, aber auch der sieht so aus, als sei er gerade vom Band gelaufen. Beide kauern tief auf mit modernen 205/65-Reifen bestückten Barock-Leichtmetallfelgen. Vorgestellt wurde der W113 – die Pagode – 1963 als 1295 Kilo schwerer 230 SL mit einem wunderbaren 2306-ccm-Reihensechszylinder. Wofür er stand, war zunächst nicht ganz klar, denn er ersetzte zugleich den 190 SL und den 300 SL. Um beim Spagat zwischen beinhartem Sportwagen und untermotorisiertem Tussie-Auto die Männer nicht aus dem Blick zu verlieren, nahm Eugen Böhringer mit einem leicht aufgebohrten 230 SL 1963 an der extrem harten Rallye Spa–Sofia–Liège teil – und sicherte sich vom Fleck weg den Sieg. Vergleichbar mit dem E-Type war die Pagode bei Männern und Frauen schnell beliebt, in Übersee ganz besonders. Trotz Böhringers Einsatz vielleicht kein Sportwagen, aber ein sportlicher Tourer, mit dem jeder auch auf dem Hollywood Boulevard punktet. Der erste richtige SL. Der 230 SL wuchs zum 250 SL, schließlich 1967 mit 2778 ccm und Benzineinspritzung zum 280 SL. Der hatte noch mehr Dampf, aber auch ein weicheres Fahrwerk; mit 1360 Kilo war er nicht mehr ganz so Qualität, solide, durch und durch. Die Spaltmaße sind auf den Millimeter genau super leicht. Die 24.000-DM-Pagode schaffte 200 km/h und beschleunigte in neun Sekunden auf 100. Original-Pagoden sind heute sehr begehrt, weil sie so gut gebaut waren, praktisch sind, auch weil man leicht Ersatzteile bekommt – und weil es so viel Spaß macht, sie zu fahren. Der Cabrio-Look hilft ebenfalls. Interessanterweise liegt der Wert des viersitzigen W111-Cabriolets über dem des SL, weil von dem Flachkühler nur 1232 Stück gebaut wurden – vom 280 SL dagegen 23.800. Die zweitürigen Versionen des W111 wurden 1961 als 220 SEb Coupé und Cabriolet vorgestellt. Schon da mit 30.000 DM auf dem Preisschild, etwa dem Dreifachen der Limousine mit Grundausstattung. Die begehrenswerteste Version war die letzte, sie ging 1969 für über 40.000 Mark an den Start. Das 280 SE 3.5 Cabriolet wog satte 1570 Kilo, war aber mit dem wunderbaren 3499-ccm-V8 ausgestattet, der laut Werksangabe 205 km/h erreichen und in neun Sekunden auf 100 km/h beschleunigen sollte. MECHATRONIK 280 SE CABRIOLET 3.5 MOTOR 4966 ccm, Alu-V8, drei Ventile pro Zylinder, Benzin einspritzung MOTORLEISTUNG 306 PS bei 5600 U/min DREHMOMENT 430 bei 2700 U/min KRAFTÜBERTRAGUNG NAG 5-Gang-Automatik LENKUNG servo-unterstützte Kugelumlauflenkung FAHRWERK vorne Einzelradaufhängung mit TrapezDreieckquerlenker, Lu federung und Gummizusatzfedern, Teleskopdämpfer, Torsionsstabilisator; hinten Eingelenk-Pendelachse mit Schubstreben, Lu federung, Gummizusatzfedern, Teleskopdämpfer, Torsionsstabilisator BREMSEN Scheiben rundum, ABS LEERGEWICHT ca. 1570 kg HÖCHSTGESCHWINDIGKEIT 0–100 km/h in 7 Sek., 233 km/h OCTA N E M Ä R Z 2 014 67 M ECH ATRON IK M ERCEDE S -BENZ 280 SL & 280 SE Beide stehen für das, was deutsche Ingenieurskunst ausmacht. Qualität, solide, durch und durch. Beim Lack könnte man denken, es handle sich hier um eine Doppelglanz-Lackierung und der Chrom scheint doppelt so dick wie bei jedem anderen Auto. Die Spaltmaße sind auf den Millimeter genau, die schweren Türen schließen mit einem extrem befriedigenden, satten Geräusch. Auf die Finger aufpassen: Falsch platziert, werden sie sauber abgetrennt! Die Lederausstattung ist eindeutig neu. Zweifelsfrei gilt dasselbe für die Teppiche und das Holz. Beide Autos haben ein Becker-Radio, das nach Sixties aussieht, tatsächlich aber ein Navi mit allem Pipapo enthält. Als Nächstes bemerkt man die modernere Führung des Automatik-Wählhebels – und schließlich am Heck eine Plakette: ein »M« mit stilisierten Flügeltüren über dem Wort »Mechatronik«. Die Autos sind bildhübsch, aber sie sind nicht, was sie zu sein scheinen. Sie sehen fast zu hundert Prozent original aus, nur die Reifen und die geduckte Haltung deuten etwas anderes an. Öffnet man die Motorhauben, dann wird klar – und vermutlich für immer unvergesslich – wofür »Mechatronik« steht. In beiden Autos befindet sich ein moderner V8-Motor. Von Mercedes-Benz. Bei der Pagode ist es ein 4,3-Liter, wie er ab der Jahrhundertwende in der E-Klasse eingesetzt wurde, beim größeren Cabrio ist es die 5-Liter-Version derselben Motorenfamilie M 113. Ganz bestimmt wunderbare Motoren. Bis 2010 wurden sie in etlichen Modellen von Mercedes und AMG eingesetzt – E-Klasse, S-Klasse, Roadster, Geländewagen, alles. Sie sehen nicht nur nagelneu aus, sie sind es auch: Leistung wie bei einem Neuwagen der Oberklasse, abgeriegelt bei 230 km/h, Kat, Zylinderlaufbuchsen aus Silitec, Doppelzündung (mit zeitversetzter Ansteuerung der Kerzen). Das also ist das Besondere an einem Mechatronik-Mercedes: abgesehen von den breiten Reifen optisch so original und in Top-Zustand, dass man auch bei einem Concours punkten könnte, nur der Antrieb ist fabrikneu und alles ist rückbaubar in den Originalzustand. Die Firma, gegründet 1997 und seit 2001 in Pleidelsheim bei Stuttgart angesiedelt, bietet vollen Restaurierungs-Service für jeden Mercedes an. Die hier abgebildeten Modelle sind MercedesBenz-Klassiker, die entsprechend heutigen Anforderungen überarbeitet wurden. Bei Mechatronik werden die Autos bis zur letzten Schraube zerlegt und dann gemäß Kundenwünschen komplett neu aufgebaut. Wünsche umfassen moderne B-Motoren, Ge- triebe, Bremsen und aufgewertete Fahrwerke, aber auch Komfort-Ansprüche wie beheizte Sitze, Klimaanlagen, Sound-Systeme usw. Wer ein Fahrzeug im perfekten Originalzustand bevorzugt, dem baut die Firma Mechatronik einen hundertprozentigen Concours-Sieger. Doch manche – wie die Besitzer dieser beiden Autos – wollen etwas anderes. Beide Besitzer verfügen über eine beneidenswerte Sammlung klassischer Autos, doch beide lieben es auch, einfach nur zu fahren. Sie wollten einen Klassiker, der den Härten des täglichen Einsatzes im Straßenverkehr gewachsen ist – und das bekamen sie. Warum nehmen sie dafür nicht einfach einen neuen Mercedes? Weil ein Klassiker besser aussieht – Punkt. Die Polster der Pagode sind gut gefedert – eben nicht »wie neu«, sondern wirklich nagelneu. Der SL springt leise an, die Automatik rastet ein, er setzt sich bereitwillig in Bewegung, in den Gassen des Dorfes er weist er sich als extrem reaktionswillig. Ich habe schon eine Reihe SL gefahren und der originale Reihensechszylinder ist so kernig, drehmomentstark und reaktionsfreudig, wie es ein Qualitätsmotor aus den 1960ern nur sein kann. Doch bei den ersten ernsthaften Tritten aufs Gaspedal des M-SL bringt mich die Drehfreudigkeit der Maschine MECHATRONIK MERCEDES-BENZ 280 SL MOTOR 4266 ccm; Alu-V8, drei Ventile pro Zylinder, Benzineinspritzung LEISTUNG 279 PS bei 5750 U/min DREHMOMENT 400 Nm bei 3000 U/min KRAFTÜBERTRAGUNG NAG 5-Gang-Automatik LENKUNG servo-unterstützte Kugelumlauflenkung FAHRWERK vorne TrapezDreieckquerlenker, Schraubenfedern, Kurvenstabilisator, Teleskopdämpfer; hinten Einzelradaufhängung mit Eingelenk-Pendelachse, Längsschubstreben, Schraubenfedern, Gummizusatzfedern und Ausgleichsfeder BREMSEN Scheiben rundum, ABS LEERGEWICHT ca. 1360 kg HÖCHSTGESCHWINDIGKEIT 0–100 km/h in 6 Sek., 233 km/h 68 M Ä R Z 2 014 OCTA N E OCTA N E M Ä R Z 2 014 69 M ECH ATRON IK M ERCEDE S -BENZ 280 SL & 280 SE schier aus der Fassung. Sie dreht so schnell hoch, dass man denken könnte, die Kupplung rutscht durch. Aber nein, es ist nur die Reaktionsfreude des V8, die einen überrascht. Für die Fahrt die steile Passstraße hinauf ist jeder Gang recht – dank reichlich Drehmoment bei jeder Drehzahl. Die Fahreigenschaften bleiben geschmeidig, und das clever überarbeitete Fahrwerk mit seinen Eibach-Federn und KW-Dämpfern ist der Aufgabe mehr als gewachsen. Das moderne Bremssystem mit ABS erlaubt es, auf den Geraden voll aufs Gas zu steigen und dann den Anker zu werfen und das Auto sich auf die kurvenäußeren Räder lehnen zu lassen. Dann kann man auch schon wieder Gas geben, weil die Automatik in Sekundenbruchteilen den richtigen Gang wählt. Es dauert einige Kilometer, bis sich das Hirn darauf kalibriert hat, dass hier die Geschwindigkeit eines modernen Sportwagens von einem gefühlt übermotorisierten 1960er-Klassiker produziert wird. Doch die Fahrzeugdynamik ist der Leistung mehr als gewachsen und schon bald ist es der persönliche Mut, der hier auf dem Prüfstand steht. Die Türen schließen mit einem extrem befriedigenden, satten Geräusch artiges Handling und eine derartige Reaktionsfreudigkeit an den Tag legt, ist kaum nachvollziehbar. Man kann cruisen – oder mit einem beherzten Tritt aufs Gaspedal 300 Pferdchen die Sporen geben und den restlichen Verkehr hinter sich lassen ... bergauf! Was für exquisite Mercedes, was für eine Art, das tägliche Fahren aufzupeppen, was für ein Spaß! Nach einem aufregenden Nachmittag voller Fahrspaß sitzen und genießen wir im HugenottenViertel bei einem Glas Sauvignon Blanc den Anblick der langsam abkühlenden Mercedes-Benz-Klassiker. Beide Autos sind perfekte Aushängeschilder ihrer Marke, restauriert auf dem höchstmöglichen StanNun ist das größere Cabrio dran und nach dem dard – und von einem der führenden Mercedesscharfen SL fühlt es sich etwas klobig an. Doch es Benz-Spezialisten überarbeitet. Beides sind automobile Kunstwerke, doch bevor hat einen V8 mit noch ’ner Schippe mehr Drehmoment, kombiniert mit einer kürzeren Übersetzung. wir in andere Sphären abheben, erinnere ich mich lieber an die rohe Gewalt und den Spaß, den sie mir Entsprechend aggressiver erstürmt es den Berg. Wenn überhaupt, ist die Servolenkung noch bei der Hatz den Berg hinauf bereitet haben – und präziser als die des SL. Vielleicht weil ich viel breche in lautes Lachen aus. Diese Autos sind wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde, schneller fahre als in der leichteren Pagode. Das Cabrio ist schwerer, aber es geht mit dem Gewicht halbe-halbe. Die bleibende Erinnerung an sie ist die sehr souverän um. Dass ein Fullsize-Cabrio ein der- dieser fabelhaft monströsen Leistungsfähigkeit. A Qualifying Round Of The 2014 Hero Cup, In Association With Photo: Francesco Rastrelli Woodcote Park Preston - Leeds Edinburgh Woodcote Park Thousand Mile Trial 12th - 19th July 2014 An Exciting Event Exclusively for Pre-War Cars In commemoration of the first motorsport event to take place in Great Britain, HERO will re-run the event for pre-war cars and follow the original trial route, where possible, and complete the thousand miles in 7 days. Enquiries: Tel.: +44 (0)1656 740 275 . [email protected] . www.heroevents.eu 70 M Ä R Z 2 014 OCTA N E