Die Bata-Geschichte
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Die Bata-Geschichte
14 WOZ Nr. 48 29. November 2012 D i e Bata- G e s c h i c h t e Der Schuster und seine Satelliten Thomas Bata wurde mit Unterstützung eines Zürcher Wirtschaftsanwalts zum weltgrössten Schuhfabrikanten. Eine Siedlung und ein neues Buch erzählen, wie er moderne Arbeitsverhältnisse vorwegnahm. Von K aspar Surber Tobias Ehrenbold steht, wo sich einst das Fabriktor befand. «Der Kerngedanke war: Kollektiv arbeiten, individuell wohnen.» Ehrenbold erklärt das Satellitendorf, das Schuhproduzent Bata ab 1932 hier in Möhlin im Aargauer Fricktal errichten liess: Die Fabrikgebäude sind modular aufgebaut, eine Einheit umfasst 6,15 auf 6,15 Meter. «Das erlaubte eine sparsame, aber moderne, kühne Bauweise.» Die Wohnhäuser aus rotem Backstein haben verschiedene Grundrisse. «Auch beim Wohnen konnte man sozial aufsteigen.» Eine Allee als zentrale Achse verbindet Fabrik und Häuser. Das Klubhaus mit Tennisplatz und Minigolf sowie ein Schwimmbad rundeten die Anlage ab. Der geplante Hafen und ein Flugplatz wurden nie realisiert. Seit 1990 steht die Fabrik im Bata-Park still. Die denkmalgeschützten Hallen dienen der Zwischennutzung. Die Häuser sind weiter bewohnt, zum Teil noch immer von «Batalianern», wie sich die ArbeiterInnen nannten. Im Klubhaus befindet sich ein Schuhoutlet. Die Anlage ist von jener Melancholie erfüllt, wie sie Ruinen der Moderne eigen ist: Obwohl verwittert, künden sie weiterhin von einer besseren Zukunft. «Ist das abgefahren, dachte ich, als ich das erste Mal hierherkam», erinnert sich Ehrenbold. Mittlerweile kennen alle den jungen Kulturwissenschaftler mit Dreitagebart. «Sali, Tobias», ruft eine Bewohnerin, die auf dem Velo vorbeifährt. Ehrenbold hat die Geschichte von Bata in der Schweiz erforscht und in einem spannenden Buch veröffentlicht. Es ist die Geschichte des «tschechoslowakischen Eindringlings», dem von der Konkurrenz übel m itgespielt wurde. Die Geschichte typischer Schweizer Finanzkonstrukte. Und von der Rationalisierung der Arbeit, in diesem Fall der Mitarbeit. «Die Menschen formen» Zu Beginn des 20. Jahrhunderts reist der Schuhmacher Thomas Bata, aufgewachsen in einem Dorf in Mähren, in die USA und lernt die Rationalisierung der Arbeitsabläufe kennen. Zurück in der Heimat, eifert er seinem Vorbild Henry Ford nach. Die Stadt Zlin wird für Schuhe, was Detroit für Autos ist: Täglich werden mehr als 100 000 Paar Schuhe hergestellt. Produziert wird am Fliessband, eigene Schiffe befördern den Export. Die Abteilungen werden zueinander in Wettbewerb gesetzt, den sozialen Frieden bewirken das Versprechen beruflichen Aufstiegs sowie Schulen und Spitäler. «Unser Ziel: bessere Schuhe, höhere Löhne, niedrigere Preise» lautet ein Slogan von Bata, der sich glei- chermassen an den Eigentümer, die Arbeiter Innen und die Kundschaft richtet. Wobei Bata nicht von Arbeitern, sondern von Mitarbeitern spricht. Sein Ziel ist es nicht, «einen Betrieb aufzubauen, sondern die Menschen zu formen». Als in der Wirtschaftskrise die Zölle steigen, entschliesst sich Bata, nicht mehr nur Schuhe zu exportieren, sondern standardisierte Quartiere nach dem Vorbild von Zlin. Diese sollen für den jeweiligen Binnenmarkt produzie ren. In der Schweiz wird Möhlin gewählt, wegen der idealen Lage und einer bäuerlichen Bevölkerung, die dringend Arbeit sucht und also formbar ist. Die Schuhindustriellen bekämpfen den Billiga nbieter heftig. Bata hat sich auf Stiefel und Turnschuhe spezialisiert: Konkurrent Bally bezeichnet Gummisohlen als Landesgefahr, sie machten dienstuntauglich. Der Bundesrat erlässt ein Bauverbot für Schuhfabriken. KommunistInnen demonstrieren in Möhlin gegen den «kapitalistischen Grossausbeuter», und auch der windige Journalist Rudolf Philipp kreuzt auf. In seinem Buch gegen «Diktator Bata» heisst es: «Er zwingt niemanden, das besorgt sein System.» Bata reagiert auf die Angriffe, indem es sich als typisches Schweizer Unternehmen inszeniert: Der 1. Mai, der festliche Tag der Mitarbeit, wird bald am 1. August gefeiert. Stiftung in St. Moritz In der Schweiz hat Bata allerdings auch einen wichtigen Partner: den Zürcher Wirtschaftsanwalt Georg Wettstein. Dieser entwirft für Batas Ländergesellschaften eine Holding namens Leader und, um das Vermögen der Familie durch den Krieg zu schleusen, die Bata Schuh Stiftung. Holding und Stiftung haben noch heute ihren Sitz im steuergünstigen St. Moritz, wo sich Bata und Wettstein erstmals trafen. Thomy, der Sohn von Bata, heiratete später Sonja, Wettsteins Tochter. Gemeinsam leiteten sie die Firma. Das Vermögen der heute 86-jährigen Sonja Bata und ihrer Familie wird auf über drei Milliarden Franken geschätzt, den Weltkonzern dirigiert ihr Sohn Tom von Lausanne aus. Bata ist mit 40 000 MitarbeiterInnen und 4600 Verkaufsläden immer noch der grösste Schuhhersteller. In der Schweiz betreibt er 55 Filialen. Autor Ehrenbold führt ins Vorzimmer des Direktionsbüros, wo er sein Buch geschrieben hat. Von der Firma suchte er keine finanzielle Unterstützung, weil ihm die Unabhängigkeit wichtig war. Die Akten hat er selbst zusammengetragen. Ein Manko, gerade hinsichtlich der Situation der Angestellten, sei das Fehlen von Grosse Ähnlichkeit: Enkel Thomas Georg und Familiengründers Thomas Bata. Ganz modern: Personalunterlagen. Die Arbeitsverhältnisse schätzt er ambivalent ein: «Zuerst war ich Bata gegenüber kritisch, zunehmend erkannte ich aber sein soziales Engagement. Die Anlage für die Arbeiter war ihrer Zeit voraus, wurde dann im Konsumaufbruch überholt.» Mit der Rationalisierung wurde es möglich, die Leistung der ArbeiterInnen zu vergleichen. «Sie sollten als Unternehmer denken, was nicht nur Freiheit, sondern auch Konkurrenz mit sich brachte.» Der Lift fährt aufs Flachdach, mit Aussicht über die Siedlung. Ehrenbold will weiter- WOZ Nr. 48 29. November 2012 15 Schuhverk auf heute Verkäuferinnen knacken aus Solidarität Kassencode Die BesitzerInnen von Schuhketten gehören zu den Reichsten im Land. Nirgendwo im Detailhandel sind die Löhne so tief. Eine Verkäuferin erzählt. Von K aspar Surber Sohn Thomas J. Bata 1984 vor dem Porträt des Der Bata-Park in Möhlin. Au s d e m e rwä h n t e n B u c h forschen, am liebsten international. Was ihn am meisten störe, sei die Scheinheiligkeit, mit der heute günstige Produkte gekauft werden, ohne dass nach den Lebensbedin gungen der Beschäftigten gefragt werde. In Indien hat Ehrenbold eine Schuhfabrik be sucht. «Dabei fiel mir auf, dass vor der Fabrik die gleichen Veloständer stehen wie in den dreissiger Jahren im ärmlichen Möhlin.» Tobias Ehrenbold: «Bata. Schuhe für die Welt, Geschichten aus der Schweiz». Verlag Hier + Jetzt. Baden 2012. 174 Seiten. 49 Franken. 3250 Franken brutto: So tief war ihr Lohn, bis 20 Uhr. «Wenn ich nach Hause zurück den sie nach drei Jahren Detailhandelslehre kam, war ich fixfertig.» Auch am Samstag und drei Jahren als Verkäuferin in einem musste sie im Laden stehen, einen Tag konn Schuhladen verdiente. 3500 Franken: Nur te sie dafür kompensieren. Einmal in der wenig höher lag der Lohn, den sie als stell Woche gab es Abendverkauf. Schliesslich vertretende Filialleiterin verdienen sollte. Da der ständige Druck auf die Öffnungszeiten: reichte sie die Kündigung ein. Nennen wir «Als sie von 18.30 Uhr auf 19 Uhr verlängert sie Nummer 270. So lautete ihr Code im Ge wurden, haben wir deswegen nicht mehr schäft, über den sie ihre Verkäufe eintippen Schuhe verkauft. Die Kunden, die vorher um musste. Womöglich war er auch 450. Wenn fünf vor halb sieben kamen, betraten den ihr Code oder die Schuhkette in der Zeitung Laden jetzt einfach um fünf vor sieben.» Für stünden, sie könnte bloss die die kurzen Pausen am Morgen Hälfte erzählen. Sie möchte und am Nachmittag existierte die alten Kolleginnen nicht Und dann ein Raum von zwei Quadrat erst der gefährden. metern. Er diente zugleich der «Die Grundsätze hingen Geschmack der Filialleiterin als Büro. im Umkleideraum: ‹Freund Kundschaft! lich sein! Zweimal fragen! Zu Geringe Wertschätzung satzverkäufe!›. Es war wie die «Am schlimmsten war die Kon tägliche Lektüre in der Bibel.» trolle.» Über den individuellen Die Fragen der Chefin: «Hast Kassencode wurden die Ver du die Kundin angesprochen? käuferinnen mit 0,1 Prozent Hast du ein Paar verkauft?» am Umsatz beteiligt. «Wenn Stundenlanges Stehen, Runter knien beim Anprobieren. Arbeiten, die der ich in einem guten Monat für 30 000 Franken Kunde gar nicht bemerkt: das grosse Um verkaufte, erhielt ich gerade einmal 30 Fran räumen in Frühling und Herbst. Preisschil ken.» Der Code diente also vor allem der Kon der aufstellen, Lampen einschrauben. Über trolle, um die Leistungen der Verkäuferinnen haupt, die Kundschaft: «Manche behandel zu registrieren. «Irgendwann reichte es uns», ten mich wie Dreck. Andere wiederum sahen sagt Nummer 270. In einem anarchistischen in mir einen Psychiater, erzählten mir ihre Akt knackten sie den Kassencode und sahen Lebensgeschichte. Einige kamen jeden Tag.» fortan nicht mehr nur den eigenen, sondern Und dann erst der Geschmack der den Umsatz aller Kolleginnen. «War eine im Kundschaft! «Öfter habe ich gedacht: Hey, Rückstand, überliessen ihr die anderen einen sorry, Junge!», erzählt die Mittzwanzigerin. Kunden. So kamen wir alle auf einen ähn Etwa wenn Männer Frauenstiefel kauften. lichen Umsatz.» Der Druck auf die Angestellten zahlt Aber schliesslich müsse die Beratung darauf abzielen, dass der Kunde mit der eigenen sich für die BesitzerInnen der Detailhan delsketten aus. «Mit tiefen Löhnen verdie Auswahl zufrieden sei. nen sie sich eine goldene Nase», sagt Nata lie Imboden von der Unia. Die Familie Bata «Gefahr» Gesamtarbeitsvertrag (Vermögen über drei Milliarden, vgl. Text Rund 8000 Personen arbeiten in der Schweiz links) oder die Familie Gaydoul-Schweri, im Schuhverkauf. Zu den Grossen der Bran die Navyboot-Eigentümerin (1,25 Milliar che zählen Dosenbach-Ochsner, Karl Vögele, den) sind Schuhmilliardärinnen. Die Detail Walder, Botty oder Bata. «Im Detailhandel händlerIngvar Kamprad (Ikea) oder die Fa gehören die Löhne im Schuhhandel zu den milie Brenninkmeijer (C&A) gehören zu den tiefsten», sagt Natalie Imboden von der Ge Reichsten in der Schweiz überhaupt. werkschaft Unia. Sie bewegen sich zwischen Nummer 270 arbeitet heute im Büro. 3100 und 3700 Franken. Vom Discounter «Vermutlich bleiben im Rückblick die ne Reno sind Löhne von 2700 Franken bekannt. gativen Erfahrungen stärker haften. Der Ein 13. Monatslohn ist nicht Standard. Zum Verkauf ist ein schöner Beruf. Nur die Wert Vergleich: Die Mindestlohninitiative fordert schätzung ist viel zu klein.» Zum Schluss, einen Lohn von 4000 Franken. Der Schwei was zeichnet einen guten Schuh aus? «Er zerische Schuhhändlerverband wehrt sich muss bequem sein, gut aussehen und super gegen einen Gesamtarbeitsvertrag. Zentral sitzen. Alles in einem! Und ich würde immer präsident Dieter Spiess bezeichnet ihn als darauf achten, den Preis nicht nur für die «Fehlentwicklung» und «Gefahr». Marke zu zahlen. Touristen aus den USA ha Der Arbeitstag von Nummer 270 dau ben sich kaputtgelacht, als sie bei uns die ho erte von 9 bis 19 Uhr, mit der Anfahrt von 8 hen Preise für Converse-Turnschuhe sahen.»