Wenn die Persönlichkeit büschelweise schwindet

Therapiebedingter Haarverlust bei Chemotherapie
Wenn die Persönlichkeit
büschelweise schwindet …
Nürnberg – Diagnose: Krebs. Allein in
Bayern trifft diese Nachricht rund 28.5001
Frauen jährlich. Eine Diagnose, die Angst
macht. Doch damit nicht genug: Die meist
unumgängliche Chemotherapie steigert
die psychische Belastung noch. Denn
während dieser Therapie ziehen sich die
Haarwurzeln nach und nach zurück und
bieten dem Haar keinen Halt mehr. Nach
ungefähr zweiwöchiger Therapie fallen
die Haare aus – für die Betroffenen eine
Katastrophe. Die Diagnose Krebs ist vordergründig durch die Erfahrung von
Ohnmacht und Verlust gekennzeichnet.
Doch insbesondere für die betroffenen
Frauen tritt zum Verlust der Gesundheit
auch das Gefühl, ein Stück Persönlichkeit
und sexuelle Identität einzubüßen, denn
volles Haar ist seit jeher ein Sinnbild für
weibliche Schönheit, Attraktivität und
Verführung.
Wenigstens ein bisschen
Selbstvertrauen kann die
Nürnberger Friseurmeisterin Martina Narius ihren
Kundinnen zurückgeben.
Sie hat sich insbesondere auf die Beratung
von Chemopatientinnenund deren Versorgung mit Vollhaarersatz spezialisiert.
Grundsätzlich rät sie, sich rechtzeitig über
sämtliche Möglichkeiten zu informieren, die
es gibt. Denn die Auseinandersetzung mit
verschiedenen Angeboten sowie den eigenen Wünschen und Vorstellungen bewahrt
nicht nur ein Stück Normalität und
Eigenverantwortung, sondern lenkt das
Denken in eine positive Richtung.
Bereits vor dem Einsetzen des Haarausfalls
sollte die natürliche Farbe durch eine
Haarprobe bestimmt und festgehalten werden. Das erleichtert die Farbwahl für den
Haarersatz. Für einen Beratungstermin sollten
die Ratsuchenden ein bis zwei Stunden Zeit
einplanen. Und sich von einer Person ihres
Vertrauens begleiten lassen. „Wir versuchen
immer, einen Termin außerhalb der offiziellen Öffnungszeiten im Studio zu finden.
Eine Beratung am Krankenbett ist viel zu
unpersönlich und belastet, um hier zu einem
vernünftigen Ergebnis zu kommen.“ Das
leuchtet ein. Denn dieser Termin im
Friseursalon ist ein ganz besonderer: Oft fließen Tränen, der Blick in den Spiegel fällt
schwer.
Die Beratungen erfordern nicht selten
ein hohes Maß an Fingerspitzengefühl und neben der fachlichen
Beratung auch psychologisches
Einfühlungsvermögen, denn
nicht jede Kundin kann sich
anfangs mit der Tatsache
abfinden, dass die Kopfhaut
durch die Chemotherapie
empfindlich wird und
das Tragen einer Perücke anfangs unmöglich macht. Die Vorstellung, sich mit Tüchern oder einer Art
Turban zu behelfen, ist für manche Kundinnen geradezu ein Alptraum. Und so werden
diese Alternativen in der Regel auch nur für
eine Übergangszeit akzeptiert. Früher oder
später wollen fast alle Patientinnen sich wieder mit Haaren auf dem Kopf im Spiegel
betrachten können. Und das können sie
auch, sogar ohne Perücke. Nach Ende der
Raquel Welch, Signature Collection
of Wigs & Hair Additions
Therapie wachsen die Haare nämlich wieder
nach - meist dichter als vorher, manchmal
sogar gewellt oder gelockt!
1) Die Angabe beruht auf dem Jahresbericht 2003 im
Hinblick auf das bevölkerungsbezogene Krebsregister
Bayern der Uni Erlangen
Hintergrundinformation Perücken
Folgende Perücken-Produkte sind
auf dem Markt:
• die reine Tressenperücke (*1)
• die geknüpfte Perücke
• die Tressenperücke mit geknüpftem
Monofilament (*2) am Oberkopf
• und die geknüpfte Perücke mit
geknüpftem Monofilament am
Oberkopf.
Perücken gibt es in:
• Synthetikhaar
• Synthetik - und Echthaarmischung
• Echthaar in unterschiedlicher Qualität.
Die durchschnittliche Lebensdauer der
Perücke beträgt bei korrekter Pflege ca.
zwei Jahre.
(*1) Tressen
Einzelne "Leinen / Schnüre", an denen
die Haare maschinell befestigt werden.
Grundsätzlich gibt es je drei
(*2) Monofilament (Mono)
verschiedene Varianten:
Sehr feiner Netzeinsatz auf dem
• die Perücke in Standardgröße
• die nach den Maßen des Kopfumfangs Kopfoberteil der Perücke, an den die
einzelnen Haare direkt angeknüpft wergefertigte Perücke
• sowie die nach den genauen Maßen des den. Selbst bei frei-liegender Kopfhaut
ist so nicht zu erkennen, dass eine
gesamten Kopfes gefertigte Perücke.
Perücke getragen wird. Nur sehr hochwertige Perücken verfügen über ein
Monofilament.
Hintergrundinformation
Perücken
Hauptbestandteil aller Perücken ist
asiatisches Menschenhaar. Das Haar ist
widerstandsfähig, bis zur chemischen
Aufhellung meist dunkel und am besten zu verarbeiten. Bis zu 80 % werden aus Japan und China importiert.
Bedeutungslos hingegen werden Importe aus Indien. Europäisches Haar
spielt kaum eine Rolle auf dem
Perückenmarkt.
Die Normalität soweit wie möglich zu bewahren, war vielleicht der Grund für Raquel
Welch - eines der großen Sexsymbole in den
1960er und 1970er Jahren – ein Stückchen
Schicksal selbst in die Hand zu nehmen:
Nach einer Chemotherapie begann sie, eigene Perückenmodelle zu entwerfen, die sie
jetzt erfolgreich über das deutsche Unternehmen ellen wille vertreibt.
Raquel Welch, Signature Collection of Wigs & Hair Additions
Leistungsübersicht der Krankenkassen
Informationsstand Februar 2007 – alle Angaben ohne Gewähr.
Keine Angaben gemacht haben:
BARMER Bayern, Techniker Krankenkasse (Bayern),
Siemens Betriebskrankenkasse, BKK vor Ort
Krankenkasse
Mhplus
Betriebskrankenkasse
AOK Bayern
DAK
BIG Die Direktkrankenkasse
Mitglieder
305.215
3.080.022
ohne Familienversicherte
ca. 6 Millionen
215.000 Mitglieder und
305.000 Versicherte
Zuzahlung bei
Synthetikperücken
maximal 255 Euro
bei Frauen maximal 255 Euro
bei Männern bis zu 409 Euro
maximal 350 Euro
bis 350 Euro
Zuzahlung bei
Echthaarersatz
in Ausnahmefällen
(z.B. bei Unverträglichkeit)
bis zu 380 Euro
wenn im Einzelfall medizinisch notwendig 715 Euro
maximal 800 Euro
bei Kindern sogar
1.000 Euro
bis 350 Euro
Rahmenvertrag mit
speziellen Zulieferern
nicht vorhanden
nicht vorhanden
mit verschiedenen
Anbietern vorhanden.
In naher Zukunft wird
es auch ein Internetportal dazugeben
nicht vorhanden
Angaben des Patienten für Haarersatz
ärztliche Notwendigkeitsbescheinigung und einen
Kostenvoranschlag für den
Vollhaarersatz
es genügt eine ärztliche
Verordnung
es genügt eine ärztliche
Verordnung
ärztliche Verordnung mit
entsprechender Diagnose
und Kostenvoranschlag
Weitergehende
Informationen
Medizinhotline der mhplus
(nur für mhplus-Versicherte:
01803 / 202525)
AOK Kunden können sich an
ihren Betreuer vor Ort in 250
Geschäftsstellen in Bayern
wenden
Beratung durch die
DAK -Mitarbeiter
Beratung durch die
Mitarbeiter der BIG
Das Haar
in der Suppe
Bei einer Chemotherapie oder krankheitsbedingtem Haarausfall übernehmen die Krankenkassen in allen Fällen zumindest einen Teil
der Kosten, in Einzelfällen aber auch die
Gesamtkosten für den Vollhaarersatz. Der
behandelnde Arzt kann die Perücke problemlos frei verordnen. Das bedeutet, dass
sein Budget dadurch nicht belastet wird.
Doch weder für den Arzt noch für die
Patientinnen sind die unterschiedlichen
Qualitäten und Verarbeitungen nachvollziehbar. Die Betroffenen wollen nur eines: Der
Haarersatz soll so wenig auffallen wie irgend
möglich. Die Kassen zahlen ihren Versicherten in der Regel jedoch nur eine Perücke aus
Kunsthaar. Kein Wunder: Echthaar-Perücken
sind wesentlich teurer.
anteilig an den Kosten. Die Mehrkosten von
mehreren Hundert Euro muss der Patient
selbst tragen. Besonders teuer sind Perücken,
die bei Sportaktivitäten und beim Schlafen
getragen werden und heftigen Stürmen zum
Trotz auf dem Kopf bleiben sollen. Hier
beteiligen sich die Kassen in der Regel nicht.
Hintergrundinformation
Perücken
Raquel Welch, Signature Collection
of Wigs & Hair Additions
Im Gegensatz zu einer Kunsthaarperücke, für
die das Krankenkassenmitglied lediglich 10
Euro Zuzahlung trägt, muss es für eine Echthaar-Perücke erheblich tiefer in die Tasche
greifen. Hier beteiligen sich die Kassen nur
Langes Synthetik- oder Echthaar eignet
sich grundsätzlich nicht für eine längerfristige Versorgung. Nicht jeder Farbund Frisurenwunsch unterliegt der
Leistungspflicht der Krankenkassen. So
werden schulterlange Perücken z.B.
meist abgelehnt.
Die Versorgung mit Vollhaarersatz ist ein
Balanceakt zwischen Berufsehre, Fantasiepreisen und Krankenkassenrealität. Nicht enden wollende Auseinandersetzungen, die
nicht selten auf Betreiben der Kassen vor
Gericht enden, sind die Folge. Denn natürlich
gibt es auch in diesem Bereich schwarze
Schafe. Aktenkundig ist der Fall eines Zweithaarspezialisten, der eine ganz normale Echthaarperücke mit 5.000 Euro berechnet hatte.
„Er wollte die Krankenkasse und deren Versicherte regelrecht abzocken“, so ein Insider.
Alfons Lukas, Spezialist in Sachen Haarersatz
bei der Deutschen Angestellten Krankenkasse, kennt die Lücken, die der ebenso
große wie unübersichtliche Marktes den
Anbietern offeriert. Der erfahrene Sachbearbeiter genehmigt im Monat bundesweit rund
1.000 Vollhaarersatzperücken.
„Somit liegt allein das
Jahresbudget unserer
Krankenkasse für diesen
Bereich bei knapp
4 Mio. Euro.“
Friseurmeisterin Martina Narius hat
sich unter anderem auf die
Beratung von Chemopatientinnen
spezialisiert.
Foto: privat
„Es geht eben nur mit guter Aufklärung und
umfangreicher Information“, so Martina
Narius. Die will sie liefern. Doch vor allem
will sie als Spezialistin für Vollhaarersatz eine
gute und modisch ausgerichtete Versorgung
für ihre Kundschaft sicherstellen.
„Ich will nicht nur trösten, sondern ich will
den Menschen, die ich berate, ein Stück
Lebensqualität zurückgeben.“ Sie kämpft
gegen die schwarzen Schafe in ihrem Metier
und gegen die Uneinsichtigkeit der
Krankenkassen. Außerdem plant sie die
Gründung einer Interessengemeinschaft zur
Durchsetzung fairer Konditionen auf allen
Ebenen.
Weitere Informationen unter:
Frisurenatelier
Löwenberger Straße 65
90475 Nürnberg
Telefon: 0911 / 83 51 71
www.frisurenatelier-narius.de