Tipps für Schmerzpatienten bei Hitze
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Tipps für Schmerzpatienten bei Hitze
27. Jahrgang 2011 Ehemals StK 3 I 2011 Editorial Was Du nicht willst … __________________ 2 Schmerzkonsil Was ist bei Schmerzpflastern und Hitze zu beachten? ____________________________ 4 Originalie Die sozialmedizinische Begutachtung von Schmerzsyndromen ___________________ 6 Palliativmedizin Patientenkontrollierte Analgesie (PCA) im Rahmen ambulanter Palliativmedizin _10 Kongresse/BVSD 2. BVSD-Kongress SPAS ______________12 Psychiatrie Schizophrenie und Schmerz ___________14 Der Deutsche Schmerz- und Palliativtag Mit bilanzierter Diät erfolgreich gegen die Migräne? ____________________________17 Schmerztherapie und Umwelt „CT-gesteuerte minimalinvasive“ Verfahren ____________________________18 Medizin und Recht Interessante Rechtsprechung zum Arztberufsrecht __________________20 Pharmakotherapie Arthroseschmerzen mit starken Opioiden wirksam und verträglich lindern _________22 Deutsche Schmerzliga _______________24 Der Schmerzfall aus der Praxis Neuropathische Schmerzen nach Halswirbelfraktur _____________________25 DGS Termine / Nachrichten ___________26 Bücherecke ________________________27 Tipps für Schmerzpatienten bei Hitze www.dgschmerztherapie.de ISSN 1613-9968 Editorial Was Du nicht willst … Liebe Kolleginnen und Kollegen, „Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.“ Dieses Sprichwort ist Ihnen seit Ihren Kindertagen geläufig. Es skizziert einen klaren Verhaltenskodex, mit der Aufforderung, bei andern alles zu unterlassen, was man selbst nicht erfahren möchte – eine Verhaltensregel also, die vernünftig für den zwischenmenschlichen Umgang ist und der zu folgen im Allgemeinen nicht schwierig sein sollte. Diffiziler wird dies alles mit der neutestamentlichen Aufforderung: „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst.“ Sie fordert auf zu proaktivem Handeln, sind wir doch auch bereit, für uns selbst und unser Wohlergehen in vielfacher Weise aktiv zu werden. Im Spannungsfeld zwischen diesen beiden Polen befin den sich viele Patienten mit chronischen Schmer zen in Deutschland: Anderen keinen Schmerz zuzufü gen erscheint nicht so schwierig, sich aktiv um ihre Sorgen und Leiden zu kümmern, stellt eine immense Heraus forderung dar. Schauspielerin, Journalistin und Ärztin zu einem Zeitpunkt, an dem die meisten Menschen das aktive Berufsleben ab schließen und sich den schönen und genussvollen Seiten des Lebens zuwenden, die Herausforderung angenommen, sich mit ihren vielfältigen Talenten um die Vergessenen, Ausge stoßenen und zu kurz Gekommenen in unserer Gesellschaft – die chronischen Schmerzpatienten – zu kümmern. Happy Birthday Jahrzehntelanges Engagement © M. Koch privat Dr. med. Marianne Koch, die am 19. August dieses Jahres ihren 80. Geburtstag feiern kann, hat diese Herausforderung für sich ganz persönlich angenommen. Wegschauen und sich Wegducken war in den vielen Berufen und Lebensbereichen, die Dr. Marianne Koch gelebt hat, nie ihre Lebenseinstel lung. So hat sie nach turbulenten Jahren in einem Leben als Marianne Koch in ihrem Arbeitszimmer, in dem sie unermüdlich für schmerzkranke Menschen wirkt. 2 Gerhard H. H. MüllerSchwefe, Göppingen Seit 1997 hat sie ihr Wissen und Ihre Erfahrung als Ärztin, ihre Intelligenz, ihre Empathie und ihre Popularität mit einer unglaublichen Schaffenskraft für die Belange schmerzkranker Patienten eingesetzt. In zahllosen Artikeln und Büchern, in Rundfunk und Fernsehsendungen, in unzähligen Vorträgen und Moderationen, in Gesprächen mit Journalisten, Politikern und Funktionären hat sie ihre Stimme für viele Menschen in Not erhoben und dafür gesorgt, dass das Leiden chronisch schmerzkranker Menschen öffentlich wahrgenommen wird. Als Präsidentin „zum Anfassen“ hat sie ihr Ohr jedem einzelnen Patienten und Gegenüber geliehen, sein Anliegen und seine Not zu ihrem Anliegen gemacht und Konsequenzen ergriffen. Höchstpersönlich hat sie sich in die Politik einge mischt, sei es in dringend einberufenen Gesprächen mit dem Vorstand der kassenärztlichen Bundesvereinigung, mit Minis tern, Gesundheitspolitikern aller Parteien oder, wie zuletzt, mit dem von ihr persönlich vor dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages vertretenen Anliegen, Patienten vor den oft verheerenden Folgen einer zwangsrabattierten Aus tauschpflicht von Opioiden zu bewahren. Nicht Repräsentieren, sondern Formen und selbst Gestal ten war stets ihr Anliegen – sei es in den Vorstandssitzungen der Deutschen Schmerzliga, die sie stets persönlich geleitet hat, in zahllosen Moderationen von Patientenforen und Infor mationsveranstaltungen und auf den Jahrestagungen der Lei ter regionaler Selbsthilfegruppen der Deutschen Schmerzliga. Vorbildlich für uns alle ist ihr unermüdlicher Einsatz, der nicht nur dem galenischen Prinzip „nihil nocere“ also niemanden schädigen, folgt, sondern oft unter großen Be schwerden, langen Reisestrecken, Termindruck und nicht SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.) Leserecho unser aller Dank und Anerkennung. Ihre Auszeichnung mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland 2002 ist nur ein äußeres Zeichen dieser Anerkennung. Viel wich tiger für sie selbst sind die Hoffnung, Zuversicht und Lebens perspektiven, die sie vielen Tausend Menschen in dieser Republik wiedergegeben hat. Liebe Marianne, heute, am 19. August 2011, an Deinem Geburtstag, gilt Dir unser aller Glückwunsch aber auch unser Dank. Es ist be glückend, mit Dir arbeiten zu dürfen und Dich zu erleben. Ich wünsche Dir und allen Patienten mit chronischen Schmerzen, dass Dir Deine Freude, Begeisterungsfähigkeit und Schaf fenskraft auch als Ehrenpräsidentin der Deutschen Schmerz liga lange erhalten bleibt. Ich freue mich auf viele Jahre enger Zusammenarbeit mit Dir. Herzlichst Marianne Koch geht als Präsidentin, kommt jedoch als neue Ehrenpräsidentin der Deutschen Schmerzliga immer angenehmen Gesprächspartnern Menschen mit chro nischen Schmerzen, leidende Menschen, in den Mittelpunkt ihrer Arbeit gestellt hat. Wer in so wunderbarer Weise seine Talente, Energie und Lebenszeit für andere einsetzt, verdient Dr. med. Gerhard H. H. Müller-Schwefe Präsident Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e. V. © matttilda – fotolia.com Neue Opioidphobie im Vormarsch Erfahrungen vieler Schmerzpatienten bestätigen den Trend, dass zunehmend auch qualifizierte Schmerztherapeuten von der Verordnung von Opioiden zurückschrecken und lieber riskante NSAR oder Coxibe verordnen. Dies zeigt der Leserbrief von A. G. aus Maintal/ Hochstad. S ehr interessiert habe ich Ihren Artikel „Die Scheiterhaufen brennen wieder“ in Ausgabe 2/2011 der „Schmerztherapie“ gele sen. Ich bin seit vielen Jahren Schmerzpatient, Mitglied der DSL, ehemaliges Mitglied Deutschlands ältester Selbsthilfegruppe für SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.) chronische Schmerzen (Frau Gibson) sowie Initiator einer neuen Selbsthilfegruppe für „Jun ge Menschen mit chronischen Schmerzen (U50)“ in Frankfurt am Main. Sinneswandel aus Angst vor Regress Auch ich musste jüngst feststellen, dass offen sichtlich eine – wie Sie es formulieren – „neue Opioidphobie um sich greift“. Besonders er schreckend finde ich jedoch, dass sich jene Entwicklung nun auch bei den Schmerzthera peuten zeigt. Von Ärzten anderer Disziplinen wie z.B. Orthopäde, kennt man dies ja bereits („Sie nehmen Opiate? Um Himmels willen! Bit te setzen Sie diese sofort ab!“). Ich war in jüngster Vergangenheit bei zwei Schmerzthe rapeuten. Beide versuchten bzw. versuchen mich, trotz bestehender chronischer Rücken schmerzen, dazu zu bewegen, das momentan verabreichte Opioid (Tilidin retard) abzusetzen und stattdessen mit Voltaren und Celebrex wei terzumachen. Gerade bei meinem früheren Schmerztherapeuten hat mich dies besonders gewundert, da dieser seit Jahren glühender Verfechter von Opioiden war. Deshalb auch der Wechsel zu einem anderen Schmerzthera peuten, welcher - wie gesagt - ebenfalls in die se Richtung tendiert. Licht im Dunkel? Mir drängt sich massiv der Eindruck auf, dass die bisher Opiate verordnenden Ärzte einge schüchtert werden. Patienten sprechen sogar von Regressen. Offenbar haben jene Ärzte bis her nicht die o.g. Ausgabe der „Schmerzthera pie“ gelesen. Sowohl Ihr Artikel als auch der Artikel „Licht im Dunkel der Leitlinien“ mit den Qualitäten der Kombination aus Oxycodon und Naloxon bei chronischen Rückenschmerzen hätte hier sicherlich für andere Vorgehenswei sen sorgen können. Mit freundlichen Grüßen A. G. 3 Schmerzkonsil Was ist bei Schmerzpflastern und Hitze zu beachten? Kann man mit transdermalen Schmerzpflastern problemlos in den Süden fahren oder verändert sich die Resorption bei Hitze dramatisch? Dürfen Patienten damit Sport treiben, unter den Sonnenschirm oder gar in die Sauna? Diese Fragen beantwortet Dr. med. Stefan Kusnik, Kinder- und Jugendklinik und interdisziplinäres Schmerzzentrum, Universitätsklinikum Erlangen. S eit Anfang der 1990er-Jahre erfreuen sich transdermale Systeme auch in der Schmerztherapie zunehmender Beliebtheit, nachdem schon zuvor für andere medizinische Indikationen Pflaster mit z.B. Nicotin, Nitro glyzerin und Scopolamin auf den Markt gebracht worden waren. Mittlerweile sind in der Schmerztherapie Pflastersysteme mit Fentanyl, Buprenorphin, Lidocain, Diclofenac und neuerdings auch Capsaicin verfügbar. Da zumindest von Fentanyl in der Zwischenzeit mehrere generische Produkte verfügbar sind und die Verschreibungsraten für transdermale Opioide in den letzten Jahren einen sprunghaften Anstieg verzeichnen, stellt diese Form der Medikamentenverabreichung „über die Haut“ einen wichtigen Faktor in der Gesamt bevölkerung dar. Deswegen und aufgrund der Tatsache, dass die transdermale Resorption aus solchen Pflastersystemen erheblich von der Hauttemperatur, der Hautfeuchtigkeit und weiteren lokalen Faktoren wie dem venösen Abtransport in den systemischen Kreislauf ab- hängt, stellt sich die Frage, inwiefern bzw. ob transdermal therapeutische Systeme (TTS) durch weitverbreitete Freizeittätigkeiten wie Sauna, Solarium, Sport, Fitness, aber auch durch lange Aufenthalte in der prallen Sonne oder Reisen in heiße Urlaubsländer beeinflusst werden. Da bisher ausführliche Studien zu diesem Thema fehlen, stützen sich die meisten Erkenntnisse auf Fallberichte. Saunaaufenthalt In den Fachinformationen vieler TTS finden sich explizite Hinweise darauf, dass bei einem Saunabesuch mit erhöhter Wirkstoffresorption aus dem Pflaster und somit unerwünschten Nebenwirkungen bzw. sogar Überdosierungen mit fatalen Folgen zu rechnen ist. Studien im Rahmen der Einführung des Fentanyl-TTS zeigen, dass bei einer Erhöhung der Hauttemperatur um 5 °C verdoppelte Fentanyl-Plasmaspiegel im Blut resultieren [1]. In einer noch nicht vollständig publizierten Untersuchung, die bei uns im Schmerzzentrum des Universitätsklinikums Erlangens durchgeführt wurde, fanden sich im Rahmen eines zehnminütigen Saunaaufenthaltes von chronischen Schmerzpatienten, die mit Buprenorphin-TTS in verschiedenen Dosierungen behandelt wurden, signifikant erhöhte Buprenorphinspiegel im Blut [2]. Eine erhöhte Rate an opioidtypischen Nebenwirkungen konnte dagegen nicht festgestellt werden. Auch war keine bessere Analgesie zu beobachten, obwohl ja durch die Hitze von einer Fragen, Kritik, Anregungen: Schreiben Sie der Redaktion! [email protected] 4 Stefan Kusnik, Erlangen schnelleren und besseren Anflutung des Bu prenorphins auszugehen ist. Außerhalb der Schmerztherapie existiert nur eine einzige Studie über Nicotin-TTS und Sauna [3]. Auf diesem Gebiet sind weitere Untersuchungen für die Zukunft also sicher wünschenswert und sinnvoll. Für Solariumbesuche existieren zum jetzigen Zeitpunkt noch keinerlei Daten oder Fallberichte, jedoch ist auch hier von einem ähnlichen Gefährdungspotenzial für TTS-Patienten wie bei einem Saunaaufenthalt auszugehen. Sport Newshan berichtet über einen Fall von Fentanyltoxizität bei einem HIV-Patienten, der im Rahmen eines Sommercamps bei extremer sportlicher und handwerklicher Tätigkeit in der prallen Sonne mit Miosis, Atemdepression und Koma aufgefunden wurde [4]. Zudem existieren Fallberichte bezüglich Überdosierungen bei Nikotin-TTS während der Ausübung von sportlichen Aktivitäten wie z.B. Squash, Karate und Eishockey [5]. Auch über symptomatische Überdosierungen nach Sport und einer heißen Dusche wurde in Einzelfällen berichtet [6]. Zudem existieren mehrere Studien über erhöhte Wirkstoffabgabe aus Pflastern bei sportlicher Betätigung wie Langstreckenlauf oder Hometrainer/Fahrradergometer [7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14]. Vor Kurzem veröffentlichten Lenz und Gillespie eine Übersicht über bisher publizierte Fallberichte und Studien zum Thema Ausdauersport und erhöhte Wirkstoffresorption aus transdermalen Systemen [15]. Heißes Wetter Für Clonidin-TTS existieren Daten über erhöhte Wirkstoffabgabe, wenn das Pflaster in den heißen Sommermonaten im Vergleich zu den kälteren Wintermonaten getragen wurde [16]. Beggs sieht in seiner Übersichtsarbeit sogar im Rahmen des zu erwartenden Klimawandels hin zu heißeren und feuchteren Wet- SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.) Schmerzkonsil/Infotelegramm terlagen ein Risiko für einen Anstieg von unerwünschten Nebenwirkungen durch erhöhte Freisetzungsraten aus transdermalen Systemen [17]. Zum Teil wird sogar gefordert, bei Reisen in heiße Länder vorher die Dosis des klebenden Opioid-TTS zu reduzieren oder für die Dauer der Urlaubsreise lieber auf orale Opioide umzusteigen [4]. Andere Einflussfaktoren Auch für beruflich bedingte Hitzeexposition wie z.B. bei der Arbeit an einem Hochofen sind Überdosierungen bei Fentanylpflastern beschrieben [18]. Außerdem existieren mehrere Fallberichte über erhöhte Wirkstoffabgaben aus transdermalen Pflastern nach versehentlicher, aber auch absichtlicher Applikation eines Heizkissens an der Pflasterstelle sowohl für Fentanyl [19, 20, 21, 22] als auch für Lidocain [23] und Nitroglycerin [24]. Dies ist vor allem auch im intraoperativen Kontext zu beachten, wo oftmals Heißluftsysteme o. Ä, am Patienten angebracht werden, um ein Auskühlen während der Operation zu vermeiden [25]. Anekdotische Berichte sind außerdem für Überdosierungen nach Anbringen einer Trockenhaube beim Friseurbesuch in unmittelbarer Nähe eines klebenden Fentanyl-Pflasters bekannt [26]. Kritisch zu bewerten ist darüber hinaus der Einsatz von transdermalen Systemen, wenn beim Patienten Fieber vorliegt. Hierfür sind ebenfalls bereits Fälle von Überdosierungen in der Literatur beschrieben worden [27]. In fast allen Fachinformationen der gängigen TTS wird auf eine erhöhte Gefährdung des Patien ten ab 38,5 °C Fieber hingewiesen. Lidocain Schwindel, Arrhythmien o. Ä.) zu achten. Sowohl eventuelle Begleitpersonen als auch das im Fall einer bedrohlichen Überdosis herbeigerufene Rettungsdienstpersonal sollten vermehrt auf Symptome einer solchen „Überdosis aus dem Pflaster“ achten. ■ Stefan Kusnik, Erlangen E-Mail: [email protected] Literatur beim Verfasser INFO-Telegramm SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.) Organ der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie Herausgeber Gerhard H. H. Müller-Schwefe, Schillerplatz 8/1, D-73033 Göppingen; Tel. 07161/976476, Fax 07161/976477 E-Mail: [email protected] Schriftleitung Thomas Cegla, Wuppertal; Oliver Emrich, Ludwigshafen; Klaus Johannes Horlemann, Kevelaer; Stephanie Kraus (verantw.), Stephanskirchen, Tel.: 08036/1031; Michael Überall, Nürnberg Beirat Christoph Baerwald, Leipzig; Wolfgang Bartel, Halberstadt; HeinzDieter Basler, Marburg; Günter Baust, Halle/ Saale; Klaus Borchert, Greifswald; Burkhard Bromm, Hamburg; Ingunde Fischer, Halle; Gideon Franck, Fulda; Gerd Geisslinger, Frankfurt; Hartmut Göbel, Kiel; Olaf Günther, Magdeburg; Winfried Hoerster, Gießen; Stein Husebø, Bergen; Uwe Junker, Remscheid; Uwe Kern, Wiesbaden; Edwin Klaus, Würzburg; Eberhard Klaschik, Bonn; Lothar Klimpel, Speyer; Bruno Kniesel, Hamburg; Marianne Koch, Tutzing; Bernd Koßmann, Wangen; Michael Küster, Bad Godesberg-Bonn; Klaus Längler, Erkelenz; Peter Lotz, Bad Lippspringe; Eberhard A. Lux, Lünen; Christoph Müller-Busch, Berlin; Joachim Nadstawek, Bonn; Thomas Nolte, Wiesbaden; Robert Reining, Passau; Robert F. Schmidt, Würzburg; Günter Schütze, Iserlohn; Harald Schweim, Bonn; Hanne Seemann, Heidelberg; Ralph Spintge, Lüdenscheid; Birgit Steinhauer, Limburg; Roland Wörz, Bad Schönborn; Walter Zieglgänsberger, München; Manfred Zimmermann, Heidelberg In Zusammenarbeit mit: Deutsche Gesellschaft für Algesiologie – Deutsche Gesellschaft für Schmerzforschung und Schmerztherapie; Deutsche Akademie für Algesiologie – Institut für schmerztherapeutische Fort- und Weiterbildung; Deutsche Gesellschaft für interdisziplinäre Palliativversorgung e. V.; Deutsche Schmerzliga e.V. (DSL); Gesellschaft für algesiologische Fortbildung mbH (gaf mbH); Gesamtdeutsche Gesellschaft für Manuelle Medizin e.V. (GGMM); Institut für Qualitätssicherung in Schmerztherapie und Palliativmedizin (IQUISP); Berufsverband der Schmerztherapeuten in Deutschland e.V. (BVSD). Mit der Annahme eines Beitrags zur Veröffentlichung erwirbt der Verlag vom Autor alle Rechte, insbesondere das Recht der weiteren Vervielfältigung zu gewerblichen Zwecken mithilfe fotomechanischer oder anderer Verfahren. Die Zeitschrift sowie alle in ihr enthaltenen einzelnen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Fazit Zusammenfassend ist nach Durchsicht der bisher verfügbaren Studien sowie der Fallberichte festzustellen, dass der Einsatz von TTS bei allen Settings, die mit einer erhöhten Hautpermeabilität einhergehen können (s.o.), äußerst kritisch zu prüfen ist, und im Zweifelsfall dem betreffenden Patienten eher dazu geraten werden sollte, sein wirkstoffhaltiges Pflaster wenn möglich vor der entsprechenden Situation zu entfernen. Allerdings ist hier zu berücksichtigen, dass auch nach dem Entfernen des Pflas ters noch relevante Wirkstoffmengen aus dem gebildeten subkutanen Medikamentendepot ins Blut abgegeben werden und somit kein sofortiger Stopp der Wirkstoffabgabe nach Entfernen des Pflasters resultiert. Falls ein Entfernen des TTS nicht möglich sein sollte, ist im Rahmen der oben genannten Situationen verstärkt auf dementsprechende Symptome einer Überdosierung (im Falle von Opioiden Übelkeit, Atemdepression, Miosis, Koma etc., bei Impressum Hinweis: Die in dieser Zeitschrift angegebenen Dosierungen – vor allem von Neuzulassungen – sollten in jedem Fall mit dem Beipackzettel der verwendeten Medikamente verglichen werden. Reiseratgeber für Schmerzen Ein neuer Sprachführer bietet Patienten mit chronischen Schmerzen Hilfe bei der Verständigung im Ausland und liefert schnell und übersichtlich die wichtigen Vokabeln in den Sprachen Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch und Türkisch. Dies ist ein kostenloser Service von Mundipharma und kann über die Website www.mundipharma.de (Infomaterial) bzw. über die kostenfreie Telefonnummer 0800/8 55 11 11 oder über die Website der Initiative Schmerz messen www.schmerzmessen.de (Service-Bereich) angefordert werden. Bezugspreis: Einzelheft 12,– Euro; Abonnement für 4 Ausgaben pro Jahr 40,– Euro (zzgl. Versand, inkl. MwSt.). Der Mitgliedsbeitrag der DGS schließt den Bezugspreis der Zeitschrift mit ein. Die Zeitschrift erscheint im 27. Jahrgang. Verlag: Springer Medizin © Urban & Vogel GmbH, München, Juni 2011 Leitung Corporate Publishing: Ulrike Hafner (verantw.) Redaktion: Dr. Melanie Leshel Druck: Stürtz GmbH, Würzburg Titelbild: © John Orsbun – Fotolia.com Inhaber- und Beteiligungsverhältnisse Die Urban & Vogel GmbH ist 100%ige Tochtergesellschaft der Springer Medizin Verlag GmbH, Heidelberg. Die alleinige Gesellschafterin der Springer Medizin Verlag GmbH ist die Springer-Verlag GmbH mit einer Beteiligung von 100%. Die Springer-Verlag GmbH ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der Springer Science + Business Media Deutschland GmbH. Die alleinige Gesellschafterin der Springer Science + Business Media Deutschland GmbH ist die Springer Science + Business Media Netherlands B.V., die 100% der Anteile hält. Die Springer Science + Business Media Netherlands B.V. ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der Springer Science + Business Media Finance S.àR.L. Die Springer Science+Business Media Finance S.àR.L. ist eine 100%ige Tochter der Springer Science+Business Media S.A. 5 Originalie Die sozialmedizinische Begutachtung von Schmerzsyndromen Die Begutachtung chronischer Schmerzsyndrome ist sehr komplex und nur im interdisziplinären Zusammenwirken von Gutachtern verschiedener Fakultäten zu bewerkstelligen. Sie muss reliabel sein (Übereinstimmungsgrad unterschiedlicher Beurteiler bei Erfassung und Interpretation diagnostischer Information) und auch valide (Zusammenhang: Pathologischer Befund hinsichtlich der Auswirkung auf das Befinden). Leider erfüllen viele Begutachtungen aus Gebieten wie der Orthopädie, Neurologie oder Neurochirurgie nicht diese Anforderungen, da sie meistens rein somatisch sind. Welche Kriterien an ein sozialmedizinisches Gutachten zu stellen sind, erläutert aus ambulanter schmerztherapeutischer Sicht Dr. med. Albert Hein, Geldern. B isher fehlen Leitlinien der entsprechenden Fachgesellschaften wie DGS oder DGSS. Die wirklichkeitsgetreueste Leitlinie finden wir unter AWMF-Online als S2-Leitlinie. Die Beschreibung des Gutachtens sollte auch nicht „schmerztherapeutisches“ Gutachten heißen, sondern eher als „Begutachtung von Schmerzen“ oder „unter besonderer Berücksichtigung von Schmerzen“ dargestellt werden. Hieraus erwächst die Verpflichtung des ärztlichen Sachverständigen zur Erstellung eines wissenschaftlich begründeten Gutachtens, das auf medizinische Erkenntnisse abstellt, die als allgemeingesichert gelten! Um diese Voraussetzung als Gutachter und auch diese Verpflichtung zu erfüllen, wird eine entsprechende gutachterliche Ausbildung vorauszusetzen sein (Tab. 1). Gutachten unter besonderer Berücksichtigung von Schmerzen werden hauptsächlich angefordert aus dem Bereich der sozialen Ab- sicherung des deutschen Staatsangehörigen (Tab. 2). Weitere Gebiete des Tätigwerdens im Rahmen der Schmerzbegutachtungen sind u. a. die Berufsgenossenschaften (gesetzliche Unfallversicherung, MdE), Haftpflichtversicherung (MdE), private Unfallversicherung (BdL = Beeinträchtigung der körperlichen- und geistigen Leistungsfähigkeit = Gliedertaxe). Leider ist das chronische Schmerzsyndrom als eigene Krankheitsentität bisher in keiner der vorliegenden Gesetzesverordnungen aufgenommen. Im Bundesversorgungsgesetz (BVG, Absatz 1 Satz 1) ist folgender Satz zu finden: Nach dieser Vorschrift ist die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen. Dabei sind seelische Begleiterscheinungen wie Schmerzen zu berücksichtigen! Für die Beurteilung ist maßgebend, um wie viel die Befähigung zur üblichen, auf Erwerb Tab. 1: Gutachterliche Ausbildung B esondere Kenntnisse über ursächliche Faktoren von Gesundheitsstörungen A uswirkung von Behinderungen ■ K entnisse über die für die Begutachtung wichtigen rechtlichen und versorgungsrechtlichen Begriffe ■ S tändige Informationen zu Gesetzen Verordnungen Verwaltungsvorschriften ■ S tudium der Fachliteratur ■ W enigstens eine Facharztanerkennung aus dem Bereich der schmerzversorgenden Fakultäten ■ Zusatzbezeichnung „Spezielle Schmerztherapie“ und Beteiligung an der Schmerztherapievereinbarung der KVen und der KK (besondere Qualifikation) ■ G rundkenntnisse im Sinne der psychosomatischen Grundversorgung (z. B. Anhaltspunkte für psychische Komorbidität) ■ E rwerb der Zusatzbezeichung „Sozialmedizin“ ■ S tändige Diskussion und Dialog mit Entscheidungsträger wie Richtern etc. ■ ■ 6 Albert Hein, Geldern gerichteten Arbeit und der Ausnutzung im wirtschaftlichen Leben durch die als Folgen einer Schädigung anerkannten Gesundheitsstörungen beeinträchtigt sind. Von Kritikern der Gutachten mit besonderer Berücksichtigung von Schmerzen wird immer als Grund für die unzureichende Berücksichtigung von Schmerzen die vermeintlich fehlende Messbarkeit genannt. Dem muss aber widersprochen werden, da die Qualifizierung mit einem Messinstrument nicht möglich ist, da Schmerz immer ein mehrdimensionales Erleben ist (Tab. 3). Für jeden dieser Einzelfaktoren gibt es aber valide Messinstrumente. Bereits in einem BGH-Urteil vom 14.04.1999 wird darauf hingewiesen, dass der Nachweis einer Erkrankung auch dadurch geführt werden kann, dass der Arzt seine Diagnose auf die Beschwerdeschilderung eines Patienten stützt. Schmerz ist immer als subjektiv einzuordnen. „Daher wird auch darauf hingewiesen, dass die Selbstschilderung der Kläger häufig unzuverlässig vor dem Hintergrund und der Überzeugung ist, dass sie für die empfundenen Schmerzen eine Rente oder Entschädigung verdient haben“! Von gutachterlicher Seite aus allerdings können Selbstbeurteilungsskalen und Fragebögen die Eigenschilderung der Beschwerden ergänzen und auch der Standardisierung von Befunden dienen. Wir weisen allerdings darauf hin, dass wegen der Wiedergabe von Einschätzungen diese Selbstschilderung keine Bedeutung als objektives Kriterium hat. Sie werden allerdings in Sozialgerichtsverfahren ausdrücklich gefordert. Hier ist anzumerken, dass die in Deutschland entwickelten Selbsteinschätzungsverfahren bei fremdsprachigen Probanden und Probanden aus anderen Kulturkreisen nicht valide SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.) Originalie anwendbar sind, da hier Schmerzempfindung und -schilderung oft andersartig verwurzelt und auch ausgeprägt sind. Ganzheitlicher Ansatz Die Diagnostik von Schmerzen setzt nach einhelliger Meinung ganzheitliche Sichtweisen voraus. Daher sollte ein Gutachter bei der Begutachtung von Schmerzen kein monodisziplinär ausgerichteter Gutachter sein, da er seinem Auftrag nicht gerecht werden kann. Ein Gutachter sollte daher grundsätzlich aus einer mit Schmerzen häufig konfrontierten Fakultät wie Allgemeinmediziner, Anästhesisten, Neurologen, Psychiater kommen mit zusätzlicher schmerztherapeutischer/psychosomatischer Ausbildung sowie mit erheblicher kommunikativer Kompetenz. Die Inhalte der Begutachtung sind in Tabelle zusammengefasst. Aus den vorhergegangenen Erörterungen folgt, dass Schmerzgutachten häufig kompliziert sind, sich häufig um eine widersprüchliche Befundgemengelage drehen und damit einen deutlich erhöhten Zeitaufwand erfordern. Sie sind daher als Gutachten mit hohem Schwierigkeitsgrad einzustufen, die nach dem Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz (JVEG § 9) mit 85 Euro pro Stunde honoriert werden sollten. Es ist darauf hinzuweisen, dass Diagnosen häufig nicht den Schweregrad der Schmerzsymptomatik erklären. Diagnosen wie z.B. „Zustand nach ...“ sind zu vermeiden, eher: „Restbeschwerden“. Es ist jeweils der sogenannte „Vollbeweis“ gefordert. Leidensdruck Eine weitere (häufig vom Sozialgericht geforderte Fragestellung innerhalb eines Gutachtens) ist die Beschäftigung mit dem sogenannten Leidensdruck. Leidensdruck ist nur dann anzunehmen, wenn sich Beeinträchtigungen im privaten und/oder beruflichen Alltagsleben und in der sozialen Partizipation nachweisen lassen, was im Gutachten immer detailliert darzustellen ist! Antragsteller mit psychisch (mit-)verur sachten bzw. unterhaltenen Schmerzen sind häufig einer Behandlung und auch Befragung/ Beobachtung schwer zugänglich (siehe hierzu auch gutachterbedingtes Psychosyndrom). Aber hier ist anzumerken, dass ein geringer Behandlungserfolg nicht zwangsläufig einen hohen Leidensdruck mit schweren Funktionsbeeinträchtigungen beweist! Hier ist oft nur eine Deutung möglich (hermeneutisch), die die Autonomie des Patienten beachtet. Ein Patient hat immer das Recht, sich gegen bestehende Daten- und Evidenzlage für und gegen ein Medikament zu entscheiden, ohne SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.) damit Rückschlüsse auf den Leidensdruck zu bieten. Leider wird genau diese Konstellation gerne von Kollegen der Rentenversicherung oder anderen Institutionen herangezogen, um Zweifel an der Schwere der Beeinträchtigung aufkommen zu lassen, wenn ein Proband wegen chronisch quälender Schmerzen noch keine entsprechende Behandlung erfahren hat. Simulation oder Aggravation? schmerzhafte Zustände. In den Fällen, in de nen nach dem Sitz und dem Ausmaß der pa thologischen Veränderungen eine über das übliche Maß hinausgehende, eine spezielle ärztliche Behandlung erfordernde Schmerzhaf tigkeit anzunehmen ist, können höhere Werte angesetzt werden. Dies gilt insbesonder bei Kausalgien und bei stark ausgeprägten Stumpfbeschwerden nach Amputationen (Stumpfnervenschmerzen, Phantomschmer Eine weitere Nachfrage innerhalb des Gutachtens bezieht sich auf die Konstellation des Vorliegens einer Simulation, einer Aggravation oder einer Verdeutlichungstendenz (Tab. 5). Tab. 2: Die vier Säulen der sozialen Drei Kategorien des Schmerzes In der Gutachtenssituation selbst sind drei Kategorien von Schmerz zu unterscheiden (Tab. 6). Eine weitere Besonderheit finden wir im Rahmen der Versorgungsmedizinverordnung vom Dezember 2008, die in keiner Weise das chronische Schmerzsyndrom als eigene Krankheitsentität ausdrücklich erwähnt. Wir finden lediglich folgenden Absatz: „Ähnliches gilt für die Berücksichtigung von Schmerzen. Die in der GdB/MdE-Tabelle ange gebenen Werte schließen die üblicherweise vorhandenen Schmerzen mit ein und berück sichtigen auch erfahrungsgemäß besonders Absicherung des deutschen Staatsangehörigen (Sozialmedizin) 1. Rentenversicherung 2. Krankenversicherung 3. Pflegeversicherung 4. Versorgungsmedizin (Verordnung vom 10. 12. 2008) Tab. 3: Qualifizierung des Schmerzes 1. sensorisch-diskriminativ 2. kognitiv 3. sozial 4. emotional-affektiv Tab. 4: Inhalte der Begutachtung ■ ■ ■ ■ ■ ■ D etailierte Exploration der Beeinträchtigung alltäglicher Aktivitäten und der sozialen Partizipation („Wer Schmerzen bei der Arbeit hat, hat diese auch in der Freizeit.“) E ingehende körperliche und psychopathologische Befunderhebung (z. B. Psychodynamik) mit Erfassung aller Schmerzlokalisationen und weiteren Körperbeschwerden. Schon bei drei Schmerzlokalisationen und weiteren Körperbeschwerden ist bei jedem zweiten Patienten in der Primärversorgung von einem psychisch relevanten Störungsbild auszugehen. E insatz spezieller Fragebögen und Skalen mit Diskussion der Ergebnisse im Kontext zu den übrigen Befunden (soweit möglich und sinnvoll). E ingehende differenzialdiagnostische Erwägung unter Berücksichtigung somatischer, psychischer und sozialer Aspekte („bio-psycho-soziales Kosntrukt“, „hermeneutische Deutung“) U mfassende Konsistenzprüfung der geklagten Beschwerden und Beeinträchtigungen im Kontext mit Exploration, erhobenen Befunden und Beobachtung („Gutachter als Detektiv“) und D iskussion der willentlichen Steuerbarkeit der geklagten Beschwerden und Beeinträchtigungen Tab. 5: Darstellungsformen des Schmerzes durch Patienten (oft symptomverstärkend) Simulationbewusstes und ausschließliches Vortäuschen einer krankhaften Störung zu bestimmten, klar erkennbaren Zwecken (eher selten) Aggravationbewusste verschlimmernde bzw. überhöhte Darstellung von Störungen (relativ häufig) Verdeutlichungstendenzenmehr oder weniger bewusster Versuch, den Gutachter in der kurzen, zur Verfügung stehenden Zeit vom Vorhandensein der Symptome/ Schmerzen zu überzeugen (evtl. Zusammenhang mit desinteressiertem und oberflächlichem Gutachter) 7 Originalie zen): Ein Phantomgefühl allein bedingt keine zusätzliche GdB/MdE-Bewertung.“ Weitere Erwähnungen von Schmerzen finden wir z.B. hier auch nur im Rahmen des Abschnittes Haltungs- und Bewegungsorgane, rheumatische Krankheiten unter der Überschrift Allgemeines: „Dieser Abschnitt umfasst Haltungsschä den, degenerative Veränderungen, osteopeni sche Krankheiten, posttraumatische Zustände, chronische Osteomyelitis, entzündlich-rheu matische Krankheiten, Kollagenosen und Vas kulitiden sowie nicht entzündliche Krankheiten der Weichteile. Der GdS für angeborene und erworbene Schäden an den Haltungs- und Bewegungs organen wird entscheidend bestimmt durch die Auswirkungen der Funktionsbeeinträch Tab. 6: Die drei Kategorien von Schmerz in der Gutachtensituation 1. Schmerz als Begleitsymptom einer körperlichen Störung. ■ „ Üblicher Schmerz“: kein Problem, z. B. in der UV oder in der Versicherungsmedizin bereits berücksichtigt. ■ „ Außergewöhnlicher Schmerz“: z. B. nach Amputationen, Stumpfphantomschmerz, Kausalgien (CRPS) 2. Schmerz als Ausdruck einer primären psychischen Erkankung ■ Depressive Erkrankungen (Konversionssymptomatik) ■ Psychoreaktiv (z. B. PTBS) oder Anpassungsstörung ■ Angst- und Panikstörung ■ Psychose ■ In Verbindung mit psychotropen Substanzen (schädlicher Gebrauch, Abhängigkeit 3. Körperlicher, zum Teil erklärbarer Schmerz mit psychischer Komorbidität (wohl die zahlenmäßig größte zur Begutachtung kommende Gruppe) ■ Fehlverarbeitung ■ D epressive und/oder ängstliche Reaktion bei Gewebeschädigung, Anpassungsstörung (siehe auch pschychoaktive Störung) ■ Gewebeschädigung bei psychischer Vorerkrankung („Verschlimmerung“) ■ F unktionelles Schmerzsyndrom bei psychisch bedingter Stressreaktion (bei andernorts klassifizierten Krankheiten) Tab. 7: Punkte, die im Gutachten berücksichtigt werden müssen 1. Detaillierte und umfassende Exploration des AST/Probanden (regelmäßig deutlich erhöhter Zeitaufwand) Vor Begutachtung gegenüber AST ■ Identifikation ■ Zweck und Ablauf der Begutachtung ■ Auftraggeber ■ Tatsache: Gutachten -> Entscheidungshilfe -> keine sofortige Entscheidung ■ Mitarbeit steht frei 2. Spezielle Schmerzanamnese Lokalisation, Häufigkeit, Charakter der Schmerzen (sensorsich/affektiv) ■ Abhängigkeit von Körperhaltung Tätigkeiten Tageszeiten ■ Undulation ■ Verlauf mit/ohne Remission 3. Bisherige Behandlungsmaßnahmen ■ Dauer ■ Intensität ■ Ergebnis ■ Häufigkeit/Regelmäßigkeit der Besuche bei einem Arzt oder Therapeuten ■ Dauer und Wirksamkeit der bisherigen Einnahme von Medikamenten ■ Eigene Bewältigungsstrategien (Coping: internales, externales, Katastrophisieren) symptomverstärkende und unterhaltende ärztliche Maßnahmen (Cave: Deutung der Medikamenten-Einnahmegewohnheiten (z. B. auf Leidensdruck zu schließen) lässt Patientenautonomie außer Acht. 8 tigungen (Bewegungsbehinderung, Minder belastbarkeit) und die Mitbeteiligung anderer Organsysteme. Die üblicherweise auftretenden Beschwerden sind dabei mitberücksichtigt. Außergewöhnliche Schmerzen sind ggf. zusätzlich zu berücksichtigen. Schmerzhafte Bewegungseinschränkungen der Gelenke können schwerwiegender als eine Versteifung sein. Bei Haltungsschäden und/oder degenera tiven Veränderungen an Gliedmaßengelenken und an der Wirbelsäule (z. B. Arthrose, Osteo chondrose) sind auch Gelenkschwellungen, musmuläre Verspannungen, Kontrakturen oder Atrophien zu berücksichtigen.“ Besondere Schmerzhaftigkeit So können auch bei WS-Beschwerden bei außergewöhnlichen Schmerzsyndromen auch ohne nachweisbare neurologische Ausfallserscheinungen (z. B. Postdyskotomiesyndrom) GdB/MdE/Werte über 30 in Betracht kommen. Zur Festlegung, wann es sich um eine besondere Schmerzhaftigkeit im Sinne der Vers. Med. Verordnung handelt, existieren bisher keine harten Kriterien. Hier sollte vonseiten unserer Fachgesellschaft eine entsprechende Grundlage gelegt werden, so dass hier die Unsicherheiten entsprechend behoben werden. Unser Vorschlag hierzu lautet: „Eine besondere Schmerzhaftigkeit ist dann anzuerkennen, wenn ein chronisches Schmerzsyndrom der Chronifizierungsstufe III nach Gerbershagen (auch hier sind entsprechende Nachbesserungskriterien hinsichtlich psychosomatischer Syndrome, Kopfschmerzsyndrome u. a. zu fordern) vorliegen. Weitere Indizien sind z. B. eine Medikamenteneinnahme der WHO-Stufe III (cave: Autonomie des Patienten beim Einnahmeverhalten), mehrere Antidepressiva, invasive Verfahren sowie eine starke psychische/psychosomatische Mitbeteiligung oder Verursachung der Schmerzen. Da auch dies eine speziell dauernde ärztliche Behandlung erfordert, ist hier die Therapie durch qualifizierte Schmerztherapeuten im Rahmen der Schmerztherapievereinbarung der KVen als weiteres Indiz heranzuziehen. Eine besondere Schmerzhaftigkeit würde z. B. nach unserer fachlichen Ansicht dann nicht vorliegen, wenn es sich nur um einen Chronifizierungsgrad I und II nach Gerbershagen, nur um Analgetika der WHO-Stufen I und II, Medikation aus dem allgemeinärztlichen Bereich, invasive Verfahren aus dem allgemeinärztlichen Bereich (Quaddeln), psychosomatische Grundversorgung als auch die Mitversorgung durch fachärztliche Schmerztherapeuten ohne besondere Qualifikation (Schmerztherapievereinbarung) handelt. SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.) Originalie Punkte, die im Rahmen der Begutachtung zu beachten sind, sind in Tabelle 7 aufgelistet. Die Beurteilung der Einschränkung der Partizipation ist mit das wichtigste Kriterium zur Beurteilung der Behinderung durch das Schmerzgeschehen. Hier sollte eine detaillierte Exploration des Tagesablaufes vorliegen (Tab. 8). Zu beachten ist immer: Wer Schmerzen bei der Arbeit hat, hat diese auch im üblichen sozialen Umfeld. Eine Fremdanamnese sollte nur in Abwesenheit des Probanden geschehen, aber mit seinem Einverständnis. Während der Begutachtung sollte auch eine Beschreibung der Beobachtung des Probanden erfolgen mit Gangbild, Verhalten, Körpersprache, Körperpflege, äußeres Erscheinungsbild, Sprache, Tonfall, mnestischen/kognitiven Funktionen, Selbstwahrnehmung, Kritikvermögen etc. Die anschließende körperliche Untersuchung sollte eine Ganzkörperuntersuchung beinhalten mit Berücksichtigung des Status von Herz, Lunge, Hals-Nasen-Ohrenbereich, Zahnstatus, Abdomen, neurologischer Status, muskulo-skelettales System (nach der NeutralNull-Methode) etc. Zusätzlich sollten fachspezifische Untersuchungen gefordert werden bei Vorliegen entsprechender Erkrankungen (z. B. neurologisch, EEG, NLG etc.) so wie auch evtl. einen Medikamentenspiegel (aber nur nach Aufklärung des Probanden). Berücksichtigt werden sollten hier allerdings die Bedarfseinnahme und die Unterschiede in der Verstoffwechslung. Als Tests sollten psychometrische Tests im Sinne einer Depressionsskala, eines TSDTestes, einer Phobieskala u. a. vorgenommen werden. Weiterhin ist die Psychodynamik mit einzubinden, wo versucht werden kann, Life-Events mit dem aufgetretenen Zeitpunkt der Schmerzen in Verbindung zu bringen (z. B. Partnerschaft, Beruf, Kindheit, sexueller Missbrauch, Verlusterlebnisse, Suizidalität). Die endgültige Diagnosestellung hat sich im Spannungsfeld objektivierbarer körperlicher Befunde (gleichbedeutend mit Krankheit) und subjektiver Seite des Krankseins zu bewegen. Hier ist jeweils das Individuum in seiner Gesamtheit betroffen (pathologisch entgleistes Regelsystem im bio-psycho-sozialem Bereich). Juristisch wird Krankheit definiert als anormaler körperlicher und/oder geistig/seelischer Zustand der funktionellen Regelwidrigkeit, hieraus folgen Funktionsminderung oder Funk tionsausfall. An dieser Stelle hat die Begründung zu folgen. SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.) Tab. 8: Beurteilung der Einschränkung der Partizipation (detaillierte Exploration des Tagesablaufes) ■ ■ Aktivitäten des täglichen Lebens (Nachtschlaf, Tagesmüdigkeit, Aufstehen, Toilette, Zubereitung und Besorgung der Nahrung, Haushalt, Putzen, Waschen, Bügeln, Auto- bzw. Radfahren) Verschiedene soziale Lebensbereiche (Hobbies, Sport, Vereine, Haustiere, Urlaubsreisen, Partnerschaft, Familienzusammenhalt etc.) => Indirekter Aufschluss: Wie weit hat die Symptomatik/der Schmerz die Organisation der Lebensführung übernommen? Der Schmerz regiert den Menschen. Hierdurch einzig brauchbarer Parameter bei mangelnden objektivierbaren Befunden der Beantwortung der entscheidenden Frage der Glaubwürdigkeit der Beschwerden und Leistungsbeurteilung. Weiterhin wird häufig auch eine Prognose hinsichtlich des weiteren Krankheitsverlaufes zu stellen sein, die sich an der bisherigen Chronifizierung und weiteren Chronifizierungsfaktoren zu orientieren hat. Sodann befolgt eine Beurteilung, ob die beklagten Beschwerden und die damit verbundenen Funktionsstörungen „ohne vernünftige Zweifel nachweisbar sind im Rahmen einer Konsistenzprüfung“. Hier ist einzugehen auf Diskrepanzen zwischen Beschwerdeschilderung und körperlicher/oder psychischer Beeinträchtigung in der Untersuchungssituation u. Ä.! Der Prüfung der willentlichen Steuerbarkeit (oft gefordert im RV-Verfahren) stehen ein sekundärer Krankheitsgewinn (bewusst/ unbewusst), eine Durchsetzung eigener Wünsche (Versorgung, Rente, Zuwendung, Entlastung von unangenehmen Pflichten) entgegen. Der Gutachter hat hier zu klären, ob die Schmerzerkrankung den Lebensablauf und die Lebensplanung übernommen hat, so dass eine Überwindung nicht mehr möglich ist (zunehmende Chronifizierung, zunehmende Verselbstständigung, Abnahme der bewusstseinsnahen Steuerbarkeit). Hierbei ist darauf zu achten, dass die Tatsache der lange andauernden Beschwerden eine bewusstseinsnahe Steuerbarkeit jedoch nicht ausschließt (z. B. Rückzug von unangenehmen Tätigkeiten, aber gleichzeitig die Beibehaltung von angenehmen Dingen). In der abschließenden gutachterlichen Bewertung der geklagten Funktionsstörungen soll beispielsweise darauf abgehoben werden, ob die geklagten Funktionsbeeinträchtigungen bestehen und willentlich oder durch Therapie nicht mehr überwunden werden können im Gegensatz dazu, dass der Gutachter zum Beispiel nicht davon überzeugt ist, dass die Funktionsbeeinträchtigungen in der geklagten Form bestehen. Die oft von der Rentenversicherung geforderte Reha vor Rente ist häufig frustran wegen bestehenden Rentenwunsches, da der Proband gerne die Erfolglosigkeit der Behandlung unter Beweis stellt. Daher sollte in der Reha grundsätzlich auf eine Trennung von Therapeut und Gutachter geachtet werden. Im Rahmen der weiteren möglichen Tätigkeitsbeschreibung ist sodann ein positiv-negatives Leistungsbild zu erheben. Weiterhin ist darauf zu achten, dass es zu erheblichen Unterschieden hinsichtlich der Geburtsjahrgänge bis zum Jahre 1961 und danach kommen kann im Rahmen der Beurteilung des Vorliegens einer Berufsunfähigkeit/ Erwerbsunfähigkeit, teilweiser Erwerbsminderung oder einer vollen Erwerbsminderung. Akzeptanz unzureichend Desillusionierend soll aber ein letzter Satz hinweisen auf die derzeitige Stellung der Gutachter im schmerztherapeutischen Bereich in der Rechtsprechung (Sozialgerichtsbarkeit, Dr. Steffen Roller, 05/2007): Die Beurteilung von Schmerz fällt nicht zwin gend in ein bestimmtes Fachgebiet. Notwendig sind vielmehr fachübergreifende Erfahrungen hinsichtlich der Diagnostik und Beurteilung von Schmerzstörungen! Wenn sich bereits ein Gutachter nach § 109 SGG eingehend mit dem geltend gemachten chronischen Schmerz befasst hat, scheidet die Benennung eines weiteren Arztes zur Er stattung eines algesiologischen Gutachtens aus, auch wenn dieser die Zusatzbezeichnung ‚Schmerztherapie‘ führt! Hier wartet also noch viel Arbeit, speziell durch unsere Fachgesellschaften, zur Institution alisierung der Begutachtung von Schmerzen durch spezialistiche Schmerztherapeuten im Sozialgerichtsbereich. ■ Albert Hein, Geldern 9 Palliativmedizin Patientenkontrollierte Analgesie (PCA) im Rahmen der ambulanten Palliativmedizin Eine Vielzahl der Palliativpatienten leidet unter Schmerzen, die eine parenterale Schmerztherapie erforderlich machen. Mit der Systematisierung der ambulanten Versorgung durch palliative Konsiliardienste (PKDs), spezialisierte Palliativpflegedienste oder SAPV-Teams steht heute ein Betreuungsangebot zur Verfügung, welches aufgrund seiner fachlichen Spezialisierung und kontinuierlichen Verfügbarkeit die bedarfsgerechte Anwendung von PCA-Pumpen auch in der häuslichen Behandlungssituation sicher ermöglicht, berichten Dr. med. Eberhard Albert Lux und Jana Heine, Krankenschwester von der Klinik für Schmerz- und Palliativmedizin, Klinikum St.- Marien-Hospital Lünen. I WalkMed WalkMed–PCA-Pumpe 10 Jana Heine, Lünen einem Teil der Tumorschmerzpatienten eine parenterale Schmerztherapie unumgänglich. Seit Jahren stehen tragbare Pumpensysteme verschiedenster Hersteller zur Verfügung, welche es dem Patienten erlauben, neben der kontinuierlichen Medikamentenzufuhr eine bedarfsadaptierte Medikamentengabe (Bolus) abzurufen, wobei mit diesen Pumpensystemen vorzugsweise eine intravenöse Medikamentenzufuhr erfolgt, gleichsam aber auch eine subkutane, epidurale oder intrathekale Medikation möglich ist. Tab. 1: Äquipotenzdosierungen von Neue Wege durch Palliativmetze und SAPV-Teams Opioiden [1] Mod. n. [1] neffektive Schmerztherapie ist bei Palliativpatienten ein häufiger Grund für Aufnahmen ins Krankenhaus, wobei die Mehrzahl der palliativ zu versorgenden Patienten den Wunsch äußern, ihre letzte Lebensphase häuslich verbringen zu können. Unzureichende Kenntnisse der Therapeuten hinsichtlich der Schmerztherapie wie auch organisatorische Lücken im Rahmen der häuslichen Patientenversorgung stehen der Realisationen dieses Patientenwunsches entgegen. Belastungsfähige Strukturen ambulanter Palliativversorgung wurden in Deutschland erst in den letzten Jahren aufgebaut. Trotz Beachtung aller Regeln des WHO-Stufenschemas zur Tumorschmerztherapie und der Anwendung alternativer Schmerzmittelapplikationen bei Unmöglichkeit der oralen Zufuhr wie transkutane Therapiesys teme oder bukkale/nasale Opioidzufuhr ist bei Eberhard A. Lux, Lünen Freiname Analgetische Äquivalenz zu Morphin Morphin 1 Buprenorphin 60–70 Hydromorphon 7,5 Oxycodon 2 Fentanyl 70–100 In der Vergangenheit war die häusliche Anwendung derartiger Pumpensysteme aufgrund unzureichender Organisationsstrukturen der ambulanten Palliativversorgung eher die Ausnahme. Palliativnetze und SAPV-Teams schließen heute diese Versorgungslücke. Im Bereich der KV Westfalen-Lippe regelt eine Vereinbarung zur Umsetzung der ambulanten palliativmedizinischen Versorgung von unheilbar erkrankten Patienten im häuslichen Umfeld die ambulante Versorgung von Pallia tivpatienten, wobei die Patienten durch den Hausarzt in die Organisationsstruktur des entsprechenden lokalen Palliativnetzes eingeschrieben und dem Koordinator des Palliativnetzes gemeldet werden. Dem Hausarzt steht regional gegliedert eine Gruppe qualifizierter Palliativmediziner (PKD) zur Verfügung, welche bei Bedarf sowohl eine Teil- als auch eine Vollversorgung der Patienten in Kooperation mit Pflegediensten oder spezialisierten Palliativpflegediensten übernehmen. Die Übergänge von allgemeiner Palliativversorgung (AAPV) zu spezialisierter ambulanter Palliativversorgung (SAPV) sind fließend und ermöglichen den Patienten eine kompetente ärztliche und pflegerische Betreuung rund um die Uhr. Durch diese Organisationsstruktur wurde erreicht, dass ca. 80% der Patienten häuslich versterben können. In anderen Regionen übernehmen SAPV-Teams die Versorgung definierter Palliativpatienten. SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.) Pallitativmedizin Parenterale Analgesie PCA-Pumpe Der Einsatz einer PCA-Pumpe ermöglicht sowohl die kontinuierliche als auch bedarfsgerechte Medikamentenzufuhr (Bolusfunktion). Zur Vermeidung von Analgetika-Überdosierung realisieren PCA-Pumpen Bolussperrintervalle, in denen der Patient sich keinen erneuten Bolus abfordern kann. Diese Intervalle kommunizieren mit dem substanzspezifischen Wirkeintritt und werden mit 20–30 Minuten gewählt. Die Bolusdosis orientiert sich an der Erfahrung, für einen Durchbruchschmerz 1/6-1/10 der Tagesdosis des Opioide zu wählen. Die Elektronik der PCA-Pumpen ermöglicht die Überwachung gegebener und verweigerter Boli und damit ein spezifisches Anpassen der Therapie (häufige Boli = wahrscheinlich zu geringe Basisrate, häufige verweigerte Boli = wahrscheinlich Bolussperrzeit zu lang oder Bolus zu klein). Heute ist eine Vielzahl unterschiedlicher Pumpenmodelle verfügbar, die sich im praktischen Einsatz bewährt haben. Diese Pumpen sind allerdings in ihrer Handhabbarkeit, Größe, Gewicht, in der Logik der Programmierung und zusätzlichen Optionen, der Größe des Medikamenten-Reservoirs etc. unterschiedlich. Die Medikamentenreservoirs müssen mit Inhaltsangaben beschriftet sein, und ein Pumpenpass mit Angaben zu Pumpentyp, (Notfall-) Telefonnummer/Adresse des betreuenden Arzt (bzw. Teams) sowie Dosierungen und Füllintervallen/Wiederbefüllungsdaten unterstützt eine sichere Handhabung des Systems. Eigene Erfahrungen Im Palliativnetz Lünen-Werne wurden während der vergangenen zwei Jahre 108 Patienten von insgesamt 964 versorgten Patienten im durch- SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.) Tab. 2: Kostenvergleich zwischen PCA und peroraler Schmerztherapie für 30 Tage Per oral Quelle: Daten des Palliativnetzes Lünen/Werne Dem Einsatz parenteraler und invasiver Schmerztherapieverfahren im Rahmen ambulanter Schmerztherapie bei Palliativpatienten widmeten sich in der nationalen und internatio nalen Literatur nur wenige Autoren. Es scheint allerdings so zu sein, dass etwa 10% der Palliativpatienten im Rahmen der Schmerztherapie ein parenterales Analgetikaregime benötigen. Gründe hierfür liegen in Resorptionsproblemen der Analgetika- bei den transkutanen Therapiesystemen in besonders trockener, faltenreicher Haut bei kachektischen Patienten, starkem Schwitzen, Fehlen eines fettreichen Unterhautgewebes oder lokaler Unverträglichkeitsreaktion, bei oraler Medikation in erster Linie in anhaltender oder wiederkehrender Übelkeit und in Erbrechen. Besonders augenscheinlich ist dies bei Patienten mit Darmobs truktion. PCA Pumpenmiete 6 Beutel à 15,90 6 Zuleitungen `s 29,50 Morphin ret 100 (3 x 1 Tbl.) MSI 600 mg Novaminsulfon (4 x 50 Tropfen) Novaminsulfon 30 g 6 Beutel für 5 Tage à 102,09 Euro 100 Tbl Morphin ret 100 192,30 Euro 300ml Novaminsulfon 50,16 Euro Gesamtkosten/Monat 242,46 Euro schnittlichen Alter von 65 Jahren mit einer PCA-Pumpe versorgt und neben Palliativärzten durch einen spezialisierten Palliativpflegedienst über eine durchschnittliche Zeit von 39 Tagen betreut. Die orale bzw. transkutane Medikation wurde in ihrer Dosis nach üblichen Umrechnungsfaktoren (siehe Tabelle 1) auf die parenterale Dosis (oral:parenteral = 3:1) umgerechnet. Gründe für das Wechseln einer oralen bzw. transkutanen Analgetikaapplikation auf eine parenterale Anwendung waren bei 78% der Patienten eine unzureichende Schmerzlinderung, 22% der Patienten litten unter therapierefrakTab. 3: Voraussetzungen für eine PCA-Therapie 1. Indikationsstellung (nicht invasive Behandlungsmöglichkeiten sind ausgeschöpft) 2. Patientenaufklärung 3. Stabiles Betreuungssystem mit 24-hBereitschaft 4. Möglichst nur ein PCA-Pumpe-Typ im Betreuungsteam (Bedienungssicherheit) 5. Geregelte Kooperation mit Apotheke 6. Verfügbarkeit von Ersatzmaterial und Medikamenten Weiterführende Literatur 1. Bausewein C, Roller S, Volz R. Leitfaden Palliativmedizin, Palliative Care. S. 349; Urban & Fischer München, Jena 3. Auflage 2007. 2. Lux E. Wie effektiv kann ambulante Palliativmedizin sein? Angewandte Schmerztherapie und Palliativmedizin 2009;2:30–35. 3. Schiessl C, Bidmon J, Sittl R, Griessinger N, Schüttler J. Patientenkontrollierte Analgesie (PCA) bei ambulanten Tumorpatienten. Schmerz 2007;21:35–42. 4. Swanson G, Smith J, Bulich et al. Patient-controlled analgesia for chronic cancer pain in the ambulatory settig: a report of 117 patients. J Clin 540,00 Euro 95,40 Euro 177,00 Euro 612,54 Euro 1.424,94 Euro tärer Übelkeit/Erbrechen und tolerierten eine orale Medikation (Dauer- oder Bedarfsmedikation) nicht. Die parenterale Schmerztherapie mittels PCA-Pumpe erfolgte bei 101 Patien ten über ein venöses Portsystem, bei sieben Patienten über einen subkutanen Zugang. Die Patienten erhielten regulär als Nichtopioid Novaminsulfon (4000 mg/24 h) und als Opioid Morphin. Bei Patienten mit einer glomerulären Filtrationsrate unter 60 ml/min verwendeten wir Hydromorphon bzw Buprenorphin. Das für 102 Patienten durchschnittlich mit NRS-Werten von 7,4 unzumutbar hohe Schmerzniveau reduzierte sich nach Einleitung der PCA-Therapie auf durchschnittlich 4,2, womit Patienten und Angehörige hochzufrieden waren. Zur Anwendung kam die PCA-Pumpe Walkmed® (WalkMed Infusion, LLC, Englewood, CO 80112, USA), wobei eine Standardlaufrate von 2 ml/h und eine Bolusgröße von 4 ml mit einer Sperrzeit von 20 Minuten angewandt wurde (Abb. 1). Bei gefülltem Pumpenreservoir (300 ml), welches neben der Pumpe in einer Tragetasche untergebracht ist, wog das PCASystem einschließlich der Tragetasche 800 g. Die Pumpe verfügt über einen Bolusrekorder, welcher die Anzahl der gegebenen und verweigerten Boli dokumentiert. Oncol 1989;7:1903–1908. 5. Classen B, Geck M, Hofmeister U, Weller H. Palliativmedizin: Perspektiven für die Palliativversorgung. Westfälisches Ärzteblatt 2011;2:11–15. 6. Diemer W, Meiering J, Burchert H. Krebsschmerz-Initiative Mecklenburg-Vorpommern. In: Aulbert E, Klaschik E, Schindler Th: Beiträge zur Palliativmedizin, Band 6, S. 80–95. Schattauer Verlag Stuttgart, New York, 2004. 7. Kern M, Wessel H, Ostgathe E: Ambulante Palliativbetreuung – Einflussfaktoren auf eine stationäre Einweisung am Lebensende. Palliativmedizin 2007;8:155–161. 8. http:www.KVWL.de. 11 Palliativmedizin/Kongresse Kosteneffektiv? Die Kosten parenteraler Schmerztherapie sind hoch (siehe Muster Rechnung, Tabelle 2), relativieren sich jedoch mit der zu erreichenden Schmerzreduktion, damit verbundenem Zuwachs an Lebensqualität und der Reduktion von Einsätzen ärztlicher Notdienststrukturen bzw. Einweisungen in Krankenhäuser. Eine Krankenhausbehandlung im Rahmen der Grenzverweildauer- z.B. kostet DRG J61c etwa 2000 Euro, nicht gerechnet der möglicherweise notwendige Krankentransport. Eine nicht erreichte adäquate Schmerzreduktion mit der Folge einer Krankenhauseinweisung kann somit erheblich höhere Kosten nach sich ziehen. Während der insgesamt 3.889 Behandlungstage versagte bei unseren 108 Patienten dreimal die Pumpe aufgrund eines irreparablen technischen Pumpendefektes, 20-mal häufiger waren ungeplante Einsätze des Palliativpflegedienstes aufgrund von Okklusionsalarmen, dekonnektierter/abgeknickter/undichter Infu- sionsleitung oder Fehllage der Portnadel/s.c. Nadel notwendig. Organisation Die Anwendung technischer Hilfsmittel in der häuslichen Patientenversorgung setzt ein stabiles Betreuungssystem voraus. Die Einbindung einer spezialisierten Apotheke mit umschriebenen Bestellmodalitäten und Lieferfristen ist unabdingbar, da die Medikamentenreservoirs GCP-gerecht hergestellt werden müssen. Im Falle von Funktionsausfällen muss zeitnah reagiert werden können, wobei Ersatzpumpe und Pumpenmaterial einschließlich der Medikamente jederzeit verfügbar sein müssen (Versorgungsdepot). In Ausnahmefällen können Medikamentenreservoirs durch ärztliches oder pflegerisches Personal zur Überbrückung der Versorgung befüllt werden. Das betreuende Team muss schnell und sicher Problemsituationen zu jeder Tages- und Nachtzeit beherrschen können (24-stündige Bereitschaft). Es ist sinnvoll, sich in Versorgungsregionen auf ein Pumpensystem zu einigen. Hierdurch ist es deutlich wahrscheinlicher, dass Pflegende wie Ärzte aufgrund des regelmäßigen Gebrauchs das Pumpensystem auch sicher handhaben (Tab. 3). Fazit für die Praxis Versagen im Rahmen der Tumorschmerztherapie orale/transkutane Opioid-Anwendungen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass mit parenteraler Analgetikaapplikation unter äquipotenter Opioidmedikation eine suffiziente Schmerztherapie erreicht werden kann. Diese ist mit PCA-Pumpensystemen – sofern sie in der Hand geschulter und regelhaft erreichbarer Anwender stattfindet – häuslich sicher anwendbar und trägt zum Gelingen ambulanter Versorgung von Palliativpatienten bei gebes■ serter Lebensqualität bei. Eberhard A. Lux und Jana Heine, Lünen 2. BVSD-Kongress SPAS Unter dem Eindruck einer katastrophalen Versorgungs- und Honorierungsrealität der Schmerztherapie in Deutschland fand vom 27.-28. Mai 2011 der 2. Berufspolitische Kongress „SPAS: Schmerz- und Palliativmedizin – Politik – Abrechnung – Strategie“ des Berufsverbandes der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V. (BVSD) in Berlin statt. Es berichtet vom „SPAS“ der DGS-Vizepräsident SanRat Dr. med. Oliver Emrich, Ludwigshafen am Rhein. K urz zuvor hatten in einer gemeinsamen Vorstandssitzung in Frankfurt DGS (Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie) und DGSS (Deutsche Gesellschaft zum Stu‑ dium des Schmerzes) gemeinsam ihr Kons trukt einer organisierten Berufspolitischen Vertretung der Schmertherapeuten massiv unterstützt und den BVSD als das originäre Organ der berufspolitischen Interessen in Deutschland bekräftigt. Personalia In der Delegiertenversammlung wurde der Vorstand neu gewählt. Prof. Dr. Dr. Joachim Nadstawek wurde zum neuen Vorsitzenden des Berufsverbandes der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerzund Palliativmedizin in Deutschland e.V. (BVSD) gewählt. Der 62-Jährige ist Leiter der Schmerzambulanz an der Bonner Universitätsklinik für Anästhesiologie und seit 2008 Vorstandsmitglied des BVSD. Der bisherige 12 BVSD-Vorsitzende, Dr. Reinhard Thoma, München, hat nach sechsjähriger Amtszeit aus privaten Gründen nicht mehr für dieses Amt kandidiert. Dipl.-Psych. Anne WillweberStrumpf, Göttingen, wurde in ihrem Amt als stellvertretende Vorsitzende bestätigt. Dr. Bernhard Arnold, Dachau (Schatzmeister), und Dr. Hubertus Kayser, Bremen (Schriftführer), wurden gleichfalls erneut in den Vorstand gewählt. Als neues Vorstandsmitglied wählte die BVSD-Delegiertenversammlung Dr. Mi chael Schenk, Berlin. Komplettiert wird der neue BVSD-Vorstand durch Priv.-Doz. Dr. med. Frank Petzke, Göttingen, und Dr. Oliver Emrich, Ludwigshafen, die von den schmerztherapeutischen Fachgesellschaften Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (DGSS) e.V. bzw. der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie (DGS) e.V. entsandt sind. Auf einer außerordentlichen Versammlung Anfang Oktober 2011 soll ein weiteres Vorstandsmitglied gewählt werden (aus der Pressemitteilung des BVSD). Oliver Emrich, Ludwigshafen Katastrophale Versorgung Zum Abschluss seiner Amtszeit stellte der BVSD-Vorsitzende Thoma zur Lage der Schmerztherapie in Deutschland fest (aus der Pressemitteilung des BVSD): ■ Die Versorgung chronischer Schmerzpa tienten verschlechtert sich. Grund sind anhaltende Honorarverluste für schmerztherapeutische Leistungen bis zu 40%. Dies ist das Ergebnis einer verfehlten Honorarpolitik durch die Selbstverwaltung von Kassen und Ärztevertretungen. ■ Vielen Kolleginnen und Kollegen bleibt derzeit nur noch die Rückkehr in ihr angestammtes Fachgebiet oder eine Quersubventionierung von schmerztherapeutischen Leistungen. Dies ist umso bedauerlicher, da wir in der Schmerztherapie von einer flächendeckenden Versorgung weit entfernt sind. ■ Wir brauchen jetzt die richtigen politischen Entscheidungen, sonst droht der Schmerztherapie das Aus. SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.) Kongresse Die sich durch die Honorierungsfehlsteuerung bereits heute abzeichnende Verschlechterung der Versorgungslage von chronischen Schmerzpatienten wird durch den fehlenden Nachwuchs von ausgebildeten Schmerztherapeuten noch verschärft, denn in fünf bis zehn Jahren werden etwa zwei Drittel der heute ambulant tätigen Schmerzärzte in den Ruhestand gehen. ■ Berlin – der Veranstaltungsort des diesjährigen SPAS-Kongresses Die Delegiertenversammlung des BVSD forderte deshalb die politischen Parteien, die Kassenärztliche Bundesvereinigung und den GKV-Spitzenverband auf, eine bundeseinheitliche Honorierung zu festen Preisen für die Teilnehmer an der Qualitätssicherungsvereinbarung zur schmerztherapeutischen Versorgung chronisch schmerzkranker Patienten gem. § 135 Abs. 2 SGB V (SchmerztherapieVereinbarung) umzusetzen. Programmatische Eckpunkte der BVSD-Tagung: Vertreter aus dem Bundesgesundheitsministerium, einigen Bundestagsfraktionen sowie G-BA, AWMF, IQWiG und KBV diskutierten über die aktuelle Versorgungssituation in der Schmerz- und Palliativmedizin. Medial wurde der Kongress u.a. begleitet von einem Beitrag im ARD-Mittagsmagazin: http://mediathek. daserste.de/sendungen_a-z/314636_ard-mittagsmagazin/7295750_medizinische-versorgung-schmerztherapeuten-gesuch. Die Lage bleibt schwierig, und einige wenige Beispiele zeigen, wie zum wiederholten Male die Analysen der BVSD-Vertreter auf Unund Fehlverständnis in der Politik und auch bei Standesvertretern treffen: Für den kurzfristig verhinderten Bundes gesundheitsminister Bahr erschien Frau Staatssekretärin Flach, die es in ihrem Grußwort an das Plenum geschafft hat, in 20 Minuten das Wort Schmerztherapie nicht ein einziges Mal zu gebrauchen, dafür aber in so ziemlich jedem Satz „Palliativmedizin und würdiges Sterben“. Sie verwies auf die Erfolge der jetzigen Koalition und Bundesregierung: Die Palliativversorgung sei durch die Schaffung gesetzlicher Grundlagen enorm verbessert worden, was sich darin zeige, dass Tausende Palliativmediziner mittlereile qualifiziert seien und an einer steigenden Zahl von Professuren. Die Gesellschaft würde zunehmend älter und damit steige die Notwendigkeit von Palliativmedizin. Die Politik setze sich deshalb weiter ein für eine Förderung der SAPV und AAPV, mit dem Ziel einer flächendeckenden Versorgung. Sie verwies in diesem Zusammenhang auch auf die Reform des Betäubungsmittelrechts (i.e. definiertes Dispensierrecht von Opiaten SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.) © Eishier – Fotolia.com Bundeseinheitliche Honorierung für Notärzte und die Zulassung von Cannabis als Fertigarzneimittel). Risikoselektion unvermeidlich? Prof. Dr. Dr. Nagel vom Deutschen Ethikrat, Chirurg aus Essen, vertrat die Auffassung, dass man Schmerz als Symptom nicht aus den anderen Fachdisziplinen herauslösen könne, weil es eben ein übergreifendes Symptom sei. Eine Trennung in psychisch und physisch sei auch nicht möglich. Deswegen habe Schmerztherapie auch nicht den Stellenwert wie andere medizinische Fachdisziplinen, sondern sei ein Teil derselben und müsse das auch bleiben. Auch an seiner Universität könne er das beobachten. Es gebe zwar einen Schmerzdienst, aber ansonsten wäre Schmerz bei den einzelnen Disziplinen geblieben. Er problematisierte, ob es wirklich sinnvoll sei, neben der Palliativmedizin auch eine eigenständige Schmerz medizin zu verankern. Dazu zeigte er ein Bild von Ferdinand Hodler, „die enttäuschte Seele“. Aussichten auf Implementierung von Schmerzmedizin sieht er weiter nicht, dafür aber die Palliativmedizin endlich so verankert, wie es geboten sei: Dazu zitierte er Hippokrates: „Der Heilkundige soll sich von jenen Patienten fernhalten, die schon ganz vo n der Krankheit überwältigt sind.“ Auf dieses Missverständnis habe die DG Chirurgie schon 1996 reagiert mit Formulierung von Grundsätzen zur Sterbebegleitung, denn es könne ja nicht sein, dass man am Ende des Lebens „nichts mehr tun könne“. Die BÄK habe dann 1998 nachgezogen. Alles in allem sieht er, dass es durchaus möglich sei, dass die Palliativmedizin und vor allem aber die Schmerztherapie zum Opfer der Risikoselektion im Gesundheitswesen werden könnten. Risikoselektion sei zwar nicht solidarisch, aber unter steigendem Kostendruck wohl Realität und nicht zu vermeiden. Taube Ohren Die Vertreter des BVSD in den Diskussionsrunden haben sich zwar ausgesprochen gut geschlagen, doch sind die treffenden Argumente doch teilweise auf die bekannt tauben Ohren gestoßen. Zwar zeigte sich MDB Terpe von den „Grünen“ sensibel für das Thema („Haben wir vor lauter Palliativ den Schmerz etwas vergessen?“), jedoch zeigte MDB Zilajew, CDU, Köln, im Stile eines Reiner Calmund, was wohl viele Gesundheitspolitiker wirklich denken: „Mit Ihrer Pressemitteilung sin se för mich nur noch ne Bittsteller, dene es nett primär um de eijene Kohle jeht.“ Übersetzt heißt dies, dass sein Credo ist, wobei er die Pressemitteilung des BVSD „Schmerztherapie retten durch wirtschaftliche Absicherung der Schmerztherapeuten“ hochhielt: „Auch euch geht es doch nur ums Geld“. Wörtlich: „Und kommt mir ja nicht mit unterversorgten Patienten. Das hat jede Medizinrichtung und stimmen tut das auch nicht. Schließlich haben wir das beste Gesundheitssystem der Welt“. Düstere Zukunftsperspektiven Diese Splitter vom Kongress SPAS zeigen, wo weiterhin die Baustellen sind. Dr. Jochen Leifeld, Schmerztherapeut in Schleswig-Holstein, fasste das treffend zusammen: „Fast überall in der Republik herrscht eher das Bild algesiologischer Versteppung: Einrichtungen werden aufgelassen, Wartelisten rechnen mit Jahren und Monaten, nicht Wochen und Tagen, und in den verlassenen Innenstädten pfeift kalter Wind durch hohläugige ehemalige Schmerzeinrichtungen, kein Telefon bimmelt mehr und die Alten an Rollatoren machen sich in den Straßen immer rarer ... ■ Oliver Emrich, Ludwigshafen 13 Psychiatrie Im Grenzgebiet menschlicher Leidensfähigkeit: Schizophrenie und Schmerz* Eine qualifizierte spezielle Schmerztherapie erfordert Grundkenntnisse in der Psychiatrie, da chronische Schmerzzustände auf psychischen Erkrankungen und Störungen beruhen können. Die Coenästhopathien gehören zu den schlimmsten Formen menschlichen Leidens. Nur wer daran denkt, kann eine angemessene Behandlung einleiten, erläutert Priv.-Doz. Dr. Roland Wörz, DGS-Leiter Bad Schönborn. D er Begriff Schizophrenie wurde von Eu gen Bleuler (1857–1939) geprägt. Be reits in jungen Jahren zum Direktor und Arzt der Psychiatrischen Pflegeanstalt Rheinau (Schweiz) gewählt, arbeitete er gemeinsam mit den psychisch Kranken und verbrachte die Freizeit mit ihnen. Dabei notierte er unentwegt eine Vielzahl von Beobachtungen. Nach ihm werden die Grundsymptome der Schizophre nie gebildet ■ durch kognitive Störungen, durch den Verlust des assoziativen Zusammenhangs mit unge wöhnlichem und oft logisch falschem Denk resultat, dem mangelnden Zusammenhalt der Denkinhalte, ohne dass die Zielvorstel lung erreicht wird, ■ durch affektive Störungen, mit Gleichgültig keit, unangemessener Modulation und Reso nanz, Gereiztheit oder Verflachung, ■ durch intellektuelle, affektive und voluntaris tische Ambivalenz. Kopfschmerzen, Parästhesien und Hyperästhesien Die schmerztherapeutisch relevanten Phäno mene ordnete er den sensorischen Störungen, Illusionen und Halluzinationen zu: „Von senso rischen Störungen, die wir zu den körperlichen zählen könnten, findet sich das Kopfweh sehr häufig, namentlich schon in der Anamnese. Viele unserer Patienten hatten von Jugend auf an Kopfweh gelitten; während der manifesten Krankheit findet man dieses Symptom oft in den verschiedensten Formen: als Druck im ganzen Kopf, hinter der Stirn und besonders häufig im Hinterkopf; als reißende, bohrende, ziehende, brennende Schmerzen, die sich meist von irgendeiner Stelle aus über den ganzen Kopf verbreiten. Es kann auch migrä neartigen Charakter annehmen und trotzdem wieder verschwinden, sodass man keine Be rechtigung hat, es als eine einfache Komplika tion anzusehen (…). Brennende Gefühle, Sau Roland Wörz, Bad Schönborn sen, Surren und Pochen an verschiedenen Stellen des Kopfes sind eine häufige Begleit erscheinung des Kopfwehs, kommen aber auch sonst vor. Alle möglichen Parästhesien sowie Hyperästhesien werden etwa beobach tet (…) die häufige Analgesie ist in anderem Zusammenhang erwähnt (…). Alle Organe können Sitz von argen Schmer zen sein; der Kopf wird so empfindlich, dass die leiseste Berührung der Haare entsetzlich wehtut; das ganze Gerippe schmerzt. Die Patienten werden geprügelt, gebrannt, man sticht ihnen glühende Nadeln, Dolche, Spieße in den Leib; die Arme werden ihnen aus- und eingerenkt; der Kopf wird ihnen nach hinten übergezogen; die Beine kleiner gemacht, die Augen heraus genommen, sodass sie sie im Spiegel als auch ganz aus dem Kopf herausragend sehen; man presst ihnen das Haupt zusammen; ihr Körper ist wie eine Ziehharmonika geworden, er geht auseinander und wieder zusammen; sie ha ben Eis im Kopf, sind ganz in einen Eiskeller gesteckt worden; im Körper ist siedendes Öl. Alle Organe werden herausgenommen, zer schnitten, gezerrt, umgedreht; der eine Hoden ist geschwollen; die Nerven, die Muskeln, alle möglichen Organe werden gespannt [1].“ Nozizeption und Schmerz bei schizophren Erkrankten In der Beziehung des nozizeptiven Systems und des Schmerzerlebens sind gegenläufige Prozesse zu beobachten: Einerseits wurde in älteren Erfahrungsberichten auf Indolenz ge genüber gefährlichen Krankheiten und Schä den hingewiesen, was zum Teil die verringerte Lebenserwartung der Betroffenen erklärt. So wurden Herzinfarkt, Appendizitis, Ulkusleiden und Peritonitis nach Darmperforation nicht er © photos.com PLUS Schmerzerlebnisse sind bei Schizophrenien oder affektiven Störungen keine Seltenheit. * Dem bedeutenden Schizophrenieforscher Gerd Huber zum 90. Geburtstag gewidmet. 14 SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.) Psychiatrie kannt [8]. Ein 43-jähriger Mann mit Schizophre nie hielt in einer akuten Psychose seine Hand in die Flammen eines Flüssiggasbehälters, „um sich zu wärmen“. Er erlitt Verbrennungen bis zu den Knochen, sodass der Unterarm am putiert werden musste [11]. Andererseits können im Rahmen der schizo phrenen Störungen Schmerzerlebnisse, Dysäs thesien, vielfältige Missempfindungen und Kör pergefühlsstörungen auftreten. Sie stehen bei der von Gerd Huber (1957) beschriebenen und so bezeichneten „coenästhetischen Schizophre nie“ im Vordergrund. Im Rahmen einer großen Verlaufsstudie traten Coenästhesien bei insge samt 73% der Schizophrenen zu irgendeinem Zeitpunkt auf. Solche qualitativ eigenartigen, oft bizarr geschilderten Erlebnisse können sich schon Jahre vor psychotischen Manifestationen und auch danach einstellen, sind allerdings für schizophrene Krankheiten nicht spezifisch [6]. Da Schmerzerlebnisse, unangenehme Miss empfindungen, bedrohlich erscheinende Leib gefühlsstörungen nicht nur Epiphänome sind, sondern auch Kausalität besitzen, subjektives Leiden, Beunruhigung, Ängste und Befürch tungen mit sich bringen, ist die sorgfältige Er hebung und Analyse von Beschwerden, Symp tomen und Vorgeschichte besonders wichtig. Bei Schizophrenie-Kranken können Schmerz erlebnisse auftreten ■ wie bei nozizeptiver, neuropathischer oder anderweitiger funktioneller Entstehung, ■ als qualitativ eigenartige Coenästhesien, die oft mit „als ob und doch anders“ oder „wie wenn“ geschildert werden und ■ als erkennbar psychotische Phänomene, als wahnhafte Produktionen bzw. als leibliche Beeinflussungserlebnisse, Leibhalluzinatio nen mit dem „Kriterium des Gemachten“ (die Schmerzen werden von fremden Menschen und Mächten gemacht) [6]. Kasuistiken (unerkannter Coenästhopathien) Eine bereits psychotherapeutisch vorbehan delte 22-jährige Frau S.J.E. klagte seit vier Jahren über Kopfschmerzen, angeblich nach einem Fahrradunfall. Es sei „ein Drücken im ganzen Kopf, wie ein Platzen nach innen (...), dröhnende Ohrgeräusche (...), Schulter-Na cken-Schmerzen, Schluckstörungen, ein Kloß gefühl, ständiges Husten bis zum Erbrechen (...), ein ständiges Hitzegefühl mit Brennen im ganzen Körper, Ohrgeräusche, wie wenn man eine Eisenstange über eine Säge zieht (...), Kopfdrücken wie eine innerlich am Schädel reibende flüssigkeitsgefüllte Kugel (...).“ Sie werde von Arzt zu Arzt geschickt, fühle sich nicht ernst genommen, ausgelacht, niemand habe eine Diagnose gefunden. SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.) Die 25-jährige Patientin P.W. schilderte, dass sie vor 17 Monaten „plötzlich von Unru he und Angst“ überfallen worden sei. Sie habe sich manchmal „wie programmiert, von außen gesteuert gefühlt“. Dann seien „bohrende Ge sichtsschmerzen (...), zusammenziehend (...), schließlich Kopfschmerzen wie ein Loch im Kopf (...), wie wenn jemand stark darauf geschlagen hätte“ aufgetreten. Manchmal fühle sie sich all gemein schlecht, „als ob alles weh tut“. Sie erle be oft einen „inneren Stress (...), einen inneren Druck im Bauch, wie ein Kräftestau“. Im Verlauf des diagnostischen Prozesses konnten bei der bedrückt, zögerlich, ambi valent, ängstlich wirkenden Frau schließlich Erlebnisse der Fremdsteuerung, imperatives und kommentierendes Stimmenhören eruiert werden. Erfreulicherweise bildeten sich die akustischen Halluzinationen, die Kopf- und Ge sichtsschmerzen auf Thioridazin völlig zurück, während ambivalente Verhaltensweisen, ruck artig-zackige Bewegungen, teils zwanghaftes Verhalten zunächst persistierten. Wiederholt wurde beobachtet, dass sie sich beim Hinaus gehen aus dem Haus plötzlich umdrehte und unverständliches Verhalten bot. Eine Langzeit neurolepsie wurde in die Wege geleitet. Coenästhesien, speziell Schmerzen und Missempfindungen, treten nach den Erhe bungen von Gisela Gross und Gerd Huber (1996) auch bei schizoaffektiven Psychosen und affektiven Störungen auf. Affektive Psychose mit Augen-, Rumpfund Beckenschmerzen Dem affektiven Formenkreis war die Erkrankung des 38-jährigen Patienten K.S. zuzuordnen. Im Alter von 24 Jahren machte er die erste Episode von drei bis vier Monaten mit Schmerzen am ganzen Körper, an Brust, Rumpf und Armen durch. Im Alter von 33 Jahren habe er sechs Wochen lang Augenschmerzen gehabt. Vor zwei Jahren habe er heftige brennende Schmerzen im Rücken und im Becken bekommen und seit vier Wochen habe er „immer die gleiche Taub heit am Kreuzbein“, ein Brennen und eine Schwellung am Penis. Seine aktuellen Rumpf- und Beckenschmer zen seien im Stehen und Sitzen gleich. Bei der Defäkation würde das Brennen im Becken zu nehmen. Manchmal würde er beim Joggen bei feuchtem Wetter ein Ziehen am linken Bein bis zur Achillessehne bekommen. Wegen „Pros tatabeschwerden“ nehme er Kürbiskerne ein. Nun sei eine Verschlimmerung eingetreten, deshalb komme er zu mir: „Es verbrennt alles von innen heraus.“ Bei regelrechtem neurolo gischem Befund fand sich psychopathologisch eine depressive Störung mit innerer Unruhe, Angst und Verzweiflung. Schizophrenie nach ICD-10 Die allgemeine Diagnose „Schizophrenie“ wird heute nach psychopathologischen Befunden bestimmter Dauer und dem Ausschluss einer anderen somatischen Erklärung gestellt. Diagnostische Kriterien sind mindestens ein eindeutiges Symptom (zwei oder mehr, wenn weniger eindeutig) der Gruppen 1–4 oder min destens zwei Symptome der Gruppen 5–8. Die folgenden Symptome müssen fast ständig während eines Monats oder länger deutlich vorhanden gewesen sein: 1. Gedankenlautwerden, Gedankeneingebung oder Gedankenentzug, Gedankenausbrei tung 2. Kontrollwahn, Beeinflussungswahn, Gefühl des Gemachten bzgl. Körperbewegungen, Gedanken, Tätigkeit oder Empfindungen; Wahnwahrnehmungen 3. Kommentierende oder dialogische Stimmen 4. Anhaltender, kulturell unangemessener und völlig unrealistischer Wahn 5. Anhaltende Halluzinationen jeder Sinnesmo dalität 6. Gedankenabreißen oder Einschiebungen in den Gedankenfluss 7. Katatone Symptome wie Erregung, Hal tungsstereotypien, Negativismus oder Stu por 8. „Negative“ Symptome wie auffällige Apathie, Sprachverarmung, verflachte oder inad äquate Affekte [3]. Differenziert werden die paranoide (para phrene), hebephrene, katatone Form und Schi zophrenia simplex. Weitere Unterformen sind undifferenzierte (atypische) Schizophrenie, postschizophrene Depression und das schizo phrene Residuum. Zu wenig beachtet wird die coenästhetische Schizophrenie. Bezüglich der Entstehung der Schizophrenien kann die Su che nach der singulären Ursache als geschei tert aufgefasst werden. Meines Erachtens hat sie sogar lange den Zugang zur angemes senen Komplexitätstheorie versperrt. Risikofaktoren Erwiesene Risikofaktoren sind: 1. Genetische Belastung als ein Hauptfaktor 2. Störung der Hirnentwicklung durch intraute rine oder perinatale Schädigung; damit ver bunden erhöhte Vulnerabilität gegenüber Stress (Vunerabilitäts-Stress-Modell [12]) 3. Missbrauch/Vernachlässigung 4. Stadt/Land 5. Gehäuft bei Immigranten 6. Cannabiskonsum. Eine Vernachlässigung in der Kindheit oder der Missbrauch erhöhen die Bereitschaft zur Er krankung. Das Aufwachsen in Großstädten geht mit doppelt so häufiger Inzidenz im Ver 15 Psychiatrie gleich zum Aufwachsen auf dem Land einher. Immigranten sind im Vergleich zur Bevölkerung des Einwanderungs- und Auswanderungs landes häufiger betroffen. Die erhebliche Gefahr der Auslösung schi zophrener Erkrankungen durch Cannabis ist validiert [2, 9]. Eine drastische Bestätigung er brachte das Großexperiment der Drogenlibera lisierung in der Schweiz in den 1990er-Jahren. Bevölkerungsuntersuchungen im Raum Zürich ergaben damals eine dramatische Zunahme von Psychosen. Deshalb ist nur die wohlüber legte Anwendung von Cannabis medizinisch verantwortbar. Die Gesamtproblematik kann hier nicht erörtert werden. Cannabis als Schmerzmittel Cannabis wird aber seit Jahrzehnten bei Krebskranken und bei AIDS-Patienten mit Übelkeit und Erbrechen, Fatigue und Kachexie zur Schmerzbehandlung und Muskelrelaxation empfohlen. Bei Querschnittsgelähmten und bei Multiple-Sklerose-Patienten liegen positive und negative Erfahrungsberichte vor [4, 10]. Beim Deutschen Schmerztag 2010 präsentierte Sven Gottschling ein Poster über acht Kinder © photos.com PLUS Cannabis wird als Schmerzmittel eingesetzt, kann jedoch Psychosen auslösen. 16 mit Schwerst-Mehrfachbehinderung. Alle Kin der litten an therapierefraktärer Spastik, wobei Baclofen ausdosiert war. Dronabinol (Tetra hydrocannabinol = THC) drei Monate bis fünf Jahre lang verabreicht erbrachte eine anhal tende Verringerung der Spastik und verbes sertes Durchschlafen. Sicher ist es keine Panazee, da Opioide allgemein stärker analgetisch wirken, besser evaluiert sind und es wirkungsvolle und gut untersuchte Antiemetika gibt. Nach den vorlie genden Erfahrungsberichten ist es jedoch eine medikamentöse Ultima-Ratio-Option. Differenzialdiagnose der Schizophrenien Bei eindeutiger Gehirnerkrankung, während einer Intoxikation oder während eines Ent zuges sollte Schizophrenie nicht diagnostiziert werden. Demnach darf die Diagnose einer funktionellen oder endogenen Psychose bei klinisch fassbaren neurologischen Befunden nicht gestellt werden. So finden sich in 5–8% aller schizophrenieformen Psychosen [3)] z. B. ■ Epilepsien, ■ zerebrale Traumata oder Tumoren, ■ Infektionen des ZNS, ■ zerebrovaskuläre Erkrankungen, ■ degenerative Erkrankungen. Bei weiteren 3% der schizophrenieartigen Psy chosen bestehen sekundäre Beeinträchtigun gen der Hirnfunktionen aufgrund internis tischer, metabolischer oder toxischer Erkran kung, z.B. ■ metabolische Störungen, ■ Autoimmunerkrankungen, ■ Hypo-/Hyperthyreoidismus, ■ Vitamin-B12-Mangel, ■ drogeninduzierte Psychosen und/oder, ■ medikamentös induzierte Psychosen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der sorg fältigen somatischen, psychopathologischen, algologischen und sozialen Diagnostik. Nur durch Beschwerden, psychopatho logische Phänomene und das Ergebnis der Schmerzanalyse lassen sich auch neurolo gische Krankheiten nicht hinreichend sicher ausschließen. Der 28-jährige Schmerzpatient T. M. listete schriftlich als Beschwerden von 15 Monaten Dauer auf: 1. Tumorartige Kopfschmerzen 2. Schwäche der linken Körperhälfte 3. Brennen in der linken Körperhälfte 4. Stromartige Strömungen im Gehirn 5. Druck über dem linken Auge 6. Gefühllosigkeit am ganzen Körper 7. Pulsieren an verschiedenen Stellen am Körper 8. Essen wirkt wie Gift auf Gehirn 9. Gesichtsschmerzen 10.Ständige Gelenkschmerzen 11. Energielosigkeit 12.„Wahnsinnige Schmerzen“. Bei der neurologischen Abklärung ergab sich mithilfe von MRT und Liquordiagnostik eine multiple Sklerose, welche entsprechend zu be handeln war. Fazit für die Schmerztherapie Differenzialdiagnostisch kommen bei auffal lenden Beschwerden und unangenehmen Missempfindungen Coenästhopathien bei Schizophrenien und affektiven Störungen (De pressionen) in Betracht. Dabei sind verschie dene neurologische und internistische Erkran kungen wegen der grundverschiedenen Diffe renzialtherapie mit Sorgfalt auszuschließen. Vor der Anwendung von Cannabis bei schweren Schmerzkrankheiten sollte eine psychiatrische Stellungnahme eingeholt werden, um gefähr liche Komplikationen wie die Auslösung von Psychosen möglichst zu vermeiden. ■ Roland Wörz, Bad Schönborn Literatur 1.Bleuler E. Dementia praecox oder Gruppe der Schizophrenien. Deuticke, 1911, Leipzig – Wien. 2.Degenhardt L, Hall W. Cannabis and psychosis. Curr Psychiat Rep 2002;4:91–96. 3.Dtsch Ges Psychiat Psychoth Nervenheilk (Hrsg). Behandlungsleitlinien Schizophrenie. Darmstadt; Steinkopff, 1998. 4. Elsner F, Radbruch L, Sabatowski R. Tetrahydrocannabinol zur Therapie chronischer Schmerzen. Schmerz 2001;15:200–2004. 5.Gottschling S. Cannabinoide bei Kindern mit Spastik und Schmerzen. Med Report 2010;34(13):11. 6.Gross G, Huber G. Pain in psychotic disorders. Neurol Psychiat Brain Res 1996;4:87–92. 7.Huber, G. Die coenästhetische Schizophrenie. Fortschr Neurol Psychiat 1957;25:491–520. 8.Jakubaschik J, Böker W. Gestörtes Schmerzempfinden bei Schizophrenie. Schweiz Arch Neurol Psychiat 1991;142(1):55–76. 9.Schneider U et al. Die Bedeutung des endogenen Cannabinoidsystems bei verschiedenen neuropsychiatrischen Erkrankungen. Fortsch Neurol Psychiat 2000;68:433–438. 10.Svendsen KB et al. Does the cannabinoid dronabinol reduce central pain in MS? Randomised double blind placebo controlled cross over trial. Brit med J 2004;329:253–258. 11.Virit O et al. Lack of pain in schizophrenia: A patient whose arm was burned and amputated. Gen Hosp Psychiatrie 2008;30:384–385. 12.Zubin J, Spring B. Vulnerability – A new view of schizophrenia. J Abnorm Psychol 1977;86(2):103–126. SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.) Der Deutsche Schmerztag 2011/Neurologie Mit bilanzierter Diät erfolgreich gegen die Migräne? Standard in der Prophylaxe von Migräneanfällen sind verschreibungspflichtige chemische Arzneimittel wie z.B. Propranolol oder Topiramat, die Compliance in der Langzeittherapie und damit der Einsatz ist aber aufgrund der Nebenwirkung eingeschränkt. Eine diätetische Behandlung mit der ergänzenden bilanzierten Diät Migravent® kann die Zahl der Migränetage deutlich verbessern, und das ohne relevante Nebenwirkungen, berichtet Privatdozent Dr. med. habil. Rüdiger Schellenberg, DGS-Leiter Hüttenberg, aufgrund einer offenen klinischen Studie. N euere Studien zeigen, dass die Pathophysiologie der Migräne mit einer Störung des mitochondrialen neuronalen Energiestoffwechsel des Gehirns einhergeht. Die damit verbundene Abnahme in der ATP-Konzentration kann Störungen der Ionenkanäle und damit Migränenattacken auslösen. Die Mikronährstoffe Magnesium, Riboflavin und Q10 spielen eine zentrale Rolle im mitochondrialen Energiestoffwechsel. Magnesium wird als Kofaktor einer Untereinheit der ATPSynthase benötigt. Riboflavin spielt als Precursor für die Koenzyme FMN und FAD eine wichtige Rolle in der Atmungskette und Coenzym Q10 transportiert Elektronen vom Komplex I und Komplex II auf Zytochrom C. Defizite an diesen Stoffen sind bei Migränepatienten beschrieben. Klinische Studien mit jeweils 600 mg Magnesium, 400 mg Riboflavin oder 150 mg Q10 als Monosubstanzen Abb. 1: Reduktion der Migränetage durch Migravent® 7 6 6,6 Migränetage pro Monat [n] 3,8 3,4 2 1 0 xxxxxx 4,6 3 1 Studiendesign In einer deskriptiven offenen Studie nahmen 31 Migränepatienten (Diagnose nach IHS-Kriterien IHS 1.1 und 1.2) über einen Zeitraum von drei Monaten in einer fixen Kombination täglich 2 x 2 Kapseln mit einer Tagesdosis von 600 mg Magnesium, 400 mg Riboflavin und 150 mg Q10 zusammen mit verschiedenen Vitaminen und Mineralstoffen/Spurenelemen ten in Form der ergänzenden bilanzierten Diät Migravent® von Orthoexpert® ein. Die Patienten hatten mindestens drei Migräneattacken pro Monat. Vor der Behandlung erfolgte eine einmonatige therapiefreie Run-inPhase zur Ermittlung der Baseline-Werte. Migräneattacken, Dauer, Schmerzintensität und Akutmedikation wurden von den Patienten in einem Tagebuch dokumentiert, das im Internet online zur Verfügung stand. Die Einträge erfolgten täglich zur Kontrolle der Compliance und über die komplette Studiendauer von vier Monaten. Zu Beginn und am Ende der Studie fand eine Arztvisite mit zusätzlicher Daten erhebung statt. Ermutigende Resultate 5 4 konnten eine Wirksamkeit in der MigräneProphylaxe zeigen. 2 3 Zeit [Monate] 4 1. Monat = Baseline / 2.−4.Monat = Therapie Angaben sind Mittelwerte SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.) 27 Probanden konnten deskriptiv ausgewertet werden. Vier Patienten mussten ausgeschlossene werden, drei aufgrund mangelnder Compliance und einer aufgrund eines Status migraenosus in der Run-in-Phase. Das durchschnittliche Alter der Studienteilnehmer betrug 37 Jahre, davon waren 23 waren Frauen und vier Männer. Alle Probanden hatten seit mindestens einem Jahr Migräne. In der Run-in-Phase kam es zu vier bis zehn Migränetagen. Eine Reduktion aller MigräneParameter (Migränetage, -dauer und -intensität sowie Einsatz von Schmerzmitteln) erfolgte schon nach einem Monat Einnahme von Migra- Rüdiger Schellenberg, Hüttenberg vent®. Nach drei Monaten Einnahme konnten die Migränetage um 47,6% gesenkt werden (Abb. 1; Baseline: 6,56 ± 1,83 [6], 1. Monat: 4,63 ± 1,67 [4], 2. Monat: 3,81 ± 1,86 [4], 3. Monat: 3,44 ± 2,26 [3]; Mittelwerte mit Standardabweichungen, Median in Klammer). An Akutmitteln wurden 54,4% weniger eingenommen (Migränetage mit Akutmittel, Baseline: 5,04 ± 2,14 [4], 1. Monat: 3,63 ± 1,88 [3], 2.Monat: 2,70 ± 1,86 [2], 3. Monat: 2,30 ± 2,27 [2]; Mittelwerte mit Standardabweichungen, Median in Klammer) und bei 51,9% aller Patienten wurde die Anzahl der Migränetage um mindestens 50% gesenkt. Patienten mit mehr als fünf aber weniger als neun Attacken in der Baseline-Phase profitierten noch deutlicher durch Migravent® , darunter hatten zwei Patienten überhaupt keine Migräneattacken mehr und vier Patienten eine Reduktion der Migränetage um 71%, 80%, 83% und 89%. Unerwünschte Ereignisse im Zusammenhang mit der bilanzierten Diät traten nicht auf, die Verträglichkeit wurde von allen Patienten als sehr gut bewertet. In einer abschließenden Bewertung gaben 22 von 27 Probanden an, die Therapie erneut einnehmen zu wollen. Fazit Die prophylaktische Einnahme von hoch dosiertem Magnesium, Riboflavin und Koenzym Q10 zusammen mit einer Vitamin- und Mineralstoffmischung in der ergänzenden bilanzierten Diät Migravent ® senkt die Ausprägung von Migränesymptomen deutlich und im vergleichbaren Maße wie publizierte Werte von chemischen Migräneprophylaktika. Vorteile von Migravent® sind neben der natürlichen Zusammensetzung die sehr gute Verträglichkeit und das Fehlen von Kontraindikationen. ■ Rüdiger Schellenberg, Hüttenberg Literatur beim Verfasser 17 Schmerztherapie und Umwelt Mehr „CT-gesteuerte minimalinvasive“ Verfahren: kein Benefit für Schmerzpatienten? Schmerztherapeutische „Blockaden“ nach dem Kapitel 30.7.2 EBM haben seit der Einführung des EBM 2000plus und der Anpassungen des EBM z.T. deutlich abgenommen. Zugenommen haben aber um ca. 100% die sog. CT gesteuerten Interventionen (Zahlen der KV Rheinland-Pfalz). Sowohl in radiologischen Instituten als auch in interventionell ausgerichteten orthopädischen und neurochirurgischen Praxen und Klinikambulanzen werden immer häufiger bildgebende Verfahren angewendet, um periradikuläre Therapien (PRT) oder Blockaden von arthrogenen Strukturen des Achsenskeletts, z.B. Facettenblockaden bzw. Facettendenervationen, durchzuführen. Diese Entwicklung ist nicht nur aufgrund der Strahlenbelastung dieser Techniken problematisch, warnt Dr. med. Oliver Emrich, Ludwigshafen. Wenig bekannt ist, dass der größte Beitrag zur mittleren effektiven Dosis der zivilisatorischen Strahlenexposition der Bevölkerung nicht durch Kernkraft oder durch natürliche Strahlung verursacht wird, sondern durch die medizinische Anwendung radioaktiver Stoffe und ionisierender Strahlung. Nach Angaben der Universität Zürich beträgt die lokale effektive Gesamtdosis einer lumbalen CT mindestens ca. 2 mSV oder sogar höher bis ca. 6 mSV. Jede Sitzung einer CT-gesteuerten Blockade besteht aber aus mindestens zwei Durchläufen (nativer Orien tierungsscan und Nadelpositionskontrolle, evtl. sogar bei Fehllagen mehrfach) und diese Durchläufe werden bei Erfolg oder Misserfolg auch mehrfach wiederholt, sodass weit höhere lokale Summendosen pro Behandlung erreicht werden können. Das Bundesamt für Strahlenschutz hat in seiner aktuellen Bekanntgabe der „aktualisierten Referenzwerte für diagnostische und interventionelle Röntgenuntersuchungen“ vom 22. Juni 2010 die Höhe der Strahlenexposition für CT im Bereich der LWS bei 16–42 mGy für den orientierenden Shot und für die Scanserie bei 250-500 mGy/ cm (bezogen auf das Dosis-Längenprodukt) festgestellt. Die Werte für diagnostisch/therapeutische Röntgen-(Bildwandler-)Durchleuchtungen liegen sogar bezogen auf das Dosisflächenprodukt um mindestens den Faktor 10 höher. (Dies sind die angewendeten Dosen, die die Betreiber von Geräten an das BfS übermitteln). Nutzen-Risiko? Den „wissenschaftlichen“ Hintergrund für diese minimalinvasiven Wirbelsäuleninterventionen bildet das Konzept der perineuralen/periradikulären Fibrose oder Entzündung bzw. der aktivierten Arthrose/Periostitis im Bereich von Wirbelsäulengelenkstrukturen. Eine Überlegenheit der bildgebenden CT-gesteuerten Blockade wurde zwar in einigen Übersichtsarbeiten dargelegt, Letztere beziehen sich aber auf eher spärliche und nicht kontrollierte Literaturbelege. Ebenfalls kaum belegt sind die Abrechnungshinweis: Berechnungsfähig nach EBM ist die CT-Steuerung nur dann, wenn der Arzt neben der CTSteuerung zusätzlich eine interventionelle Maßnahme durchführt. Für Radiologen bedeutet dies, dass sie die Blockade zusätzlich zur CT-Steuerung selbst erbringen müssen, um die EBM-Ziffer 34502 berechnen zu können. Die Alternative ist die Kooperation des Radiologen mit einem Orthopäden, Neurochirurgen oder Schmerztherapeuten. Letzterer rechnet dann z.B. eine Spinalnervenblockade nach EBM Nr. 30724 ab und der Radiologe die CT-Untersuchung von Teilen der Wirbelsäule nach EBM Nr. 34311 (1.940 Punkte). Der kooperierende Arzt rechnet in solchen Fällen die von ihm erbrachten Leistungen ab (zum Beispiel Punktio nen) und der Radiologe die durchgeführten CT-Untersuchungen. Diese Leistungen sind im EBM deutlich höher bewertet als eine Schmerzanalyse nach EBM Nr. 30702. Der gemeinsame Bundesausschuss, dessen Beschlüsse Richtliniencharakter in der medizinischen Versorgung haben, hat nun auch den Krankenhausbereich für die ambulante Behandlung mit diesen Methoden geöffnet. 18 © panthermedia.net Edward Bock LWS-Untersuchungen belasten meist üblichen Beimengungen hoher Dosen von Kortikoiden zur Lokalanästhesie, meist sogar in Kristall-Depotsuspensionen. Abgesehen davon, dass es sich dabei häufig um klassische „Off-Label“-Anwendungen handelt (d.h. Kortikoide sind für perineurale Anwendung gar nicht zugelassen), sind damit auch internis tische Risiken verbunden wie Stoffwechselinteraktionen (Diabetesentgleisung, Cushingoi de), die in der Regel wenig beachtet werden, aber gleichsam immer häufiger beobachtet werden können. Auch bezüglich der in anästhesiologischen Anwendungen definierten Sicherheitsprozeduren bei Anwendung von Lokalanästhetika bezüglich toxischer, allergischer UAWs oder unerwünschter Anästhesieausbreitungen bzw. Nebenwirkungen gelten in radiologischen/orthopädischen oder neurochirurgischen Abteilungen offenbar andere oder manchmal auch gar keine Regeln. Unkritischer Einsatz bei Rückenschmerz In der Praxis ist zu beobachten, dass diese Verfahren besonders häufig bei Rückenschmerz patienten angewendet werden. Nach radiologisch festgestellten mutmaßlichen Schmerzgeneratoren (z.B. Facettengelenkshypertrophie, Foramenstenosen, Spinalkanalstenosen, Bandscheibenprotrusionen oder Prolaps) werden häufig SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.) Schmerztherapie und Umwelt schon fast routinemäßig oder reflexhaft sehr zeitnah eine oder gar Serien dieser Blockaden, z.B. unter dem Namen „Mikrotherapie“,„minimalinva sive Blockade“ oder „PRT“ (periradikuläre Therapie), durchgeführt. Eine „harte“ klinische Indizierung nach eingehender neuroorthopädischer Untersuchung, die die Ergebnisse dieser Bildgebung mit dem klinischen Befund in Deckung brin- gen würde, findet vorher aber nur selten statt. Dabei ist die häufig geringe Relevanz angeblich pathogener radiologischer Befunde für das tatsächliche klinische Beschwerdebild mittlerweile gut bekannt. Die Patienten und Therapeuten gleichermaßen erhoffen sich aber vom technischen Aufwand der Injektionen besonders gute und anhaltende Therapieergebnisse. § 6 StrSchuV, (Strahlenschutzverordnung) Vermeidung unnötiger Strahlenexposition und Dosisreduzierung (1) Wer eine Tätigkeit nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 plant oder ausübt, ist verpflichtet, jede unnötige Strahlenexposition oder Kontamination von Mensch und Umwelt zu vermeiden. (2) Wer eine Tätigkeit nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 plant oder ausübt, ist verpflichtet, jede Strahlenexposition oder Kontamination von Mensch und Umwelt unter Beachtung des Standes von Wissenschaft und Technik und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auch unterhalb der Grenzwerte so gering wie möglich zu halten. Die gültige Strahlenschutzverordnung vom 20.7.2001 zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 29. August 2008 (BGBl. I S. 1793) geändert. Die Schwerpunkte der veröffentlichten Stellungnahme des Bundesumweltministeriums zur Novelle der StrlSchV: Die Grundsätze des Strahlenschutzes • Rechtfertigung für den Einsatz von radioaktiven Stoffen, • Einhaltung der Grenzwerte, • Pflicht zur Dosisbegrenzung und • -reduzierung werden an zentraler Stelle in der Verordnung verankert. Folgende zentrale Neuregelungen sind hervorzuheben: Der Dosisgrenzwert für die Bevölkerung wird von 1,5 auf 1 Millisievert abgesenkt, für Arbeitskräfte von 50 auf 20 Millisievert. Tab. 1: Ungefähre effektive Dosen häufiger Röntgen-Untersuchungen in mSv (Patient mit 75 kg) Röntgen Röntgen von Extremitäten (Hand, Fuß) Röntgen-Thorax (Brustkorb) Mammografie bds. Röntgen Brustwirbelsäule in 2 Ebenen Röntgen Lendenwirbelsäule in 2 Ebenen Röntgen Nieren (Ausscheidungsurografie) 0,01–0,1 0,05–0,1 0,2–0,6 0,5–0,8 0,8–1,8 2–5 Computertomografie Kopf Wirbelsäule Thorax (Brustkorb) Bauch (Abdomen, abhängig von der genauen Technik) Herz CT-Calcium-Scoring Herz CT-Koronarangiografie qCT (Knochendichtemessung) 2–4 2–11 6–10 10–20 2 10–15 0,05 Zum Vergleich: Transatlantikflug (San Francisco, hin und zurück) Berufspilot Rauchen einer Zigarette Reaktorunfall Tschernobyl am 26.04.1986 im ersten Jahr zusätzlich Reaktorunfall Tschernobyl am 26.04.1986 zurzeit noch zusätzlich ca. 0,1 bis ca. 5 mSv/Jahr ca. 0,07 ca. 1 mSv/Jahr (Bayern) ca. 0,016 mSv/Jahr Gerade chronische Rückenschmerzen sind aber in der Regel ein multifaktorielles und poly kausales Geschehen und erfordern, da sind sich alle Expertisen einig, ein – wenn möglich – multimodales Vorgehen. Monomethodisches Vorgehen ist hier häufig eher kontraproduktiv, und die Erfolge sind erfahrungsgemäß vergleichsweise spärlich und selten lang anhaltend. CT-Darstellung überflüssig? Deswegen stellt sich die Frage, ob man im Rahmen einer Schmerztherapie für die Routine einer diagnostisch/therapeutischen Blockade regelhaft einer Bildgebung wie CT oder Röntgen bedarf. Tatsächlich gibt es relativ eindeutige anatomische „Landmarks“ zur Steuerung von Injektionen und strahlungsfreie Alternativen wie z. B. Sonografie. Selbst wenn diese je nach Geschick und Erfahrung des Therapeuten zu Ungenauigkeiten führen mögen, ist damit aber noch nicht belegt, dass größere Genauigkeit zu besseren Ergebnissen führt. Andererseits wäre es geradezu widersinnig, einem Anästhesisten für die OP-Routine ein CT als Hilfsmittel für die Platzierung eines Periduralkatheters als Vorteil zu empfehlen. Eine ganze Reihe an Literatur belegt das „Legeartis“-Vorgehen anästhesiologischer Verfahren, die in der Regel gänzlich ohne Bildgebung auskommen (Niesel, Jankovic, Büttner/ Meier). Bildgebung wird nur für anatomische Ausnahmefälle empfohlen. Strenge Indikationen gefordert Es steht außer Frage, dass bei speziellen Indikationen, wo sich die Klinik der Beschwerden mit den Ergebnissen einer Bildgebung deckt, eine exakt platzierte diagnostische therapeutische Blockade im Wortsinne zielführend sein kann. Dies erschließt sich vorwiegend auch bei schwierigen anatomischen Verhältnissen (z. B. Adipositas, Wirbelsäulenfehlformen etc.). Im Rahmen der aktuellen Diskussion um die Unterschätzung von Gefahren medizinischer Strahlenexposition kann deshalb die CT oder Röntgen mit bildgebend gesteuerten, sog. „minimalinvasiven“ Verfahren im Bereich der Wirbelsäule keine einfache schmerztherapeutische Routine darstellen. Diese Verfahren können jedoch für (seltene) monokausale Schmerzgeneratoren (z.B. Facettenarthropathie, Foramenstenose), bei schwierigen anatomischen Verhältnissen und für bestimmte Prozeduren ausnahmsweise sinnvoll sein und sollten aber in diesen Fällen vorher klinisch zwischen den Behandlern konsentiert und in■ diziert werden. http://www.radiologie-gp.de/index.php?option=com_content&task=view&id=23&Itemid=26 Oliver Emrich, Ludwigshafen SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.) 19 Medizin und Recht Interessante Rechtsprechung zum Arztberufsrecht Wie schnell muss ein Vertragsarztsitz in einem MVZ wieder besetzt werden? Wann erhöht sich das Regelleistungsvolumen in einer Berufsausübungsgemeinschaft und wer hat Anspruch auf eine Sonderbedarfszulassung? Wann droht eine Zulassungsentziehung und wie schnell muss eine Abrechnung erfolgen? Diese Fragen beantworten aktuelle medizinrechtliche Entscheidungen, die Dr. Ralf Clement, Clement & Ziegler Rechtsanwälte, Tübingen, vorstellt. O © Infinite XX - fotolia.com bwohl seit der Einführung medizinischer Versorgungszentren als zugelassene Leistungserbringer in der vertragsärztlichen Versorgung in 2004 bereits etliche Jahre vergangen sind, gibt es immer noch offene rechtliche Fragestellungen. So unter anderem die Frage, ob für die Nachbesetzung einer Arztstelle in zulassungsbeschränkten Planungsbereichen eine Frist einzuhalten ist. § 103 Abs. 4a SGB V selbst nennt keine Frist. Die Zulassungsgremien ziehen deshalb gerne die zur Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes nach § 103 Abs. 4 SGB V entwickelte Spruchpraxis heran und gehen i. d. R. von einem Zeitraum von längstens sechs Monaten aus. Wegen des 20 sich zunehmend verschärfenden Ärztemangels entsteht so jedoch die Gefahr, dass Vertragsarztsitze für angestellte Ärzte, die nicht rechtzeitig wiederbesetzt werden können, untergehen. Die Problematik betrifft nicht nur medizinische Versorgungszentren sondern gilt in gleichem Maße für gemäß § 103 Abs. 4b SGB V bei Vertragsärzten angestellte Ärzte. Zur Nachbesetzung der Stelle eines angestellten Arztes im MVZ Allerdings bedarf es für die Nachbesetzung der Stelle eines angestellten Arztes in einem medizinischen Versorgungszentrum oder einer vertragsärztlichen Praxis ausweislich der Re- Ralf Clement, Tübingen gelung in §103 Abs. 4a bzw. 4b SGB V gerade keiner fortführungsfähigen Praxis, womit die Begründung für die sechsmonatige Frist zur Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes entfällt. Man könnte daher daran denken, für den Wegfall der Nachbesetzungsmöglichkeit von angestellten Arztstellen einen förmlichen Beschluss über die Ent- bzw. Einziehung des entsprechenden Vertragsarztsitzes zu fordern. Zu dieser Problematik gibt es nunmehr eine erste, im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergangene Entscheidung des LSG Baden-Württemberg. In dem streitgegenständlichen Fall war der ausscheidende Arzt zunächst mit 34 Wochenstunden und ab dem 01.10.2009 aufgrund eines entsprechenden Änderungsbeschlusses vom 23.09.2009 nur mehr in einem Umfang von 20 Wochenstunden als angestellter Arzt bei dem antragstellenden MVZ beschäftigt gewesen. Den Beschluss vom 23.09.2009 hatte der Zulassungsausschuss mit einer Nebenbestimmung versehen, nach der die Anstellung des Arztes, soweit sie nicht dem zeitlichen Umfang einer Vollbeschäftigung von über 30 Stunden entspricht, nur innerhalb von sechs Monaten nach Beginn der Anstellung bis zu einer Vollzeitbeschäftigung von mehr als 30 Stunden pro Woche erweitert werden konnte. Dies sollte auch für die Nach besetzung der Stelle mit einem angestellten Arzt gelten. Nach dem Ausscheiden des Arztes zum 31.01.2010 wurde beim Zulassungsausschuss erstmals in der Zulassungsausschusssitzung am 22.04.2010 ein wirksamer Antrag auf Genehmigung der Beschäftigung eines Nachfolgers für den ausscheidenden Arzt im Umfang von 40 Stunden, hilfsweise 20 Stunden, gestellt. Der Zulassungsausschuss hat daraufhin lediglich dem Hilfsantrag stattgegeben und den Antrag im Übrigen zurückgewie- SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.) Medizin und Recht sen. Die dagegen vom antragstellenden MVZ im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes eingelegten Rechtsmittel blieben erfolglos. Das LSG stützte seine Entscheidung insbesondere auf den Ablauf der vom Zulassungsausschuss gesetzten sechsmonatigen Frist. Verlängerung der Nachbesetzung beantragen Wird wie im vorliegenden Fall von den Zulassungsgremien bereits im Rahmen der Anstellungsgenehmigung eine Frist für die Nachbesetzung Arztstelle bzw. für eine Erhöhung des zeitlichen Umfangs derselben festgesetzt, sollte man künftig unbedingt darauf achten, ggf. rechtzeitig einen Antrag auf Verlängerung der Nachbesetzungsfrist zu stellen, wenn damit zu rechnen ist, dass diese nicht eingehalten werden kann. Dem Antrag auf Verlängerung der Nachbesetzungsfrist wird regelmäßig dann stattzugeben sein, wenn das MVZ bzw. der Vertragsarzt aus Gründen, die es nicht zu vertreten hat, nicht in der Lage ist, die Angestelltenstelle rechtzeitig wieder zu besetzen und Sicherstellungsgründe für einer Wiederbesetzung sprechen. Parallel dazu kommt ggf. auch ein Antrag auf Ruhen der Arztstelle in Betracht; ob ein entsprechender Ruhensantrag zulässig ist, ist allerdings ebenfalls noch nicht geklärt. Regelleistungsvolumen für Berufsausübungsgemeinschaften und MVZ Mit Beschluss des Bewertungsausschusses vom 22.12.2010 wurden die Zuschläge für die Erbringung von ärztlichen Leistungen in überörtlichen und fachübergreifenden Berufsausü bungsgemeinschaften und medizinischen Versorgungszentren mit Wirkung zum 01.04.2011 neu geregelt. Bei standortübergreifenden fach- und schwerpunktgleichen Berufsausübungsgemeinschaften und Praxen mit angestellten Ärzten der gleichen Arztgruppe wird das Regelleistungsvolumen zukünftig nur mehr dann um 10% erhöht, wenn ein Kooperationsgrad von mindestens 10% erreicht wird. Der Kooperationsgrad einer Praxis bzw. eines Medizinischen Versorgungszentrums ist definiert als die Summe der Arztfälle geteilt durch die Summe der Behandlungsfälle pro Quartal, wobei jeweils das Vorjahresquartal maßgeblich ist. Bei fach- und schwerpunktübergreifenden Berufsausübungsgemeinschaften, medizini schen Versorgungszentren und Praxen mit angestellten Ärzten, in denen mehrere Ärzte unterschiedlicher Arztgruppen tätig sind, erfolgt ein je nach Kooperationsgrad gestaffelter Aufschlag auf das Regelleistungsvolumen. Ab einem Kooperationsgrad von mindestens 10% SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.) erhöht sich das RLV ebenfalls um zunächst 10% und dann in 5%-Schritten jeweils um die Höhe des erreichten Kooperationsgrades bis zu einem maximalen Anpassungsfaktor in Höhe von 40%. Für eine Erhöhung des Ko operationsgrades ist es erforderlich, dass ein Patient die Praxis im gleichen Quartal mehrmals aufsucht und dabei von unterschiedlichen Ärzten der Praxis bzw. des MVZ behandelt wird. Bei nicht standortübergreifenden fachund schwerpunktgleichen Berufsausübungsgemeinschaften und Praxen mit angestellten Ärzten der gleichen Arztgruppe bleibt es bei der bisherigen Regelung, d. h. das Regelleis tungsvolumen wird unabhängig vom Kooperationsgrad pauschal um 10% erhöht. Sonderbedarfszulassung wegen eines besonderen Versorgungsbedarfs Das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 08.12.2010 – B 6 KA 36/09 R – seine Rechtsprechung zu den Voraussetzungen für eine Sonderbedarfszulassung im gesperrten Planungsbereich weiter präzisiert. Dabei hat es klargestellt, dass bei der Bemessung des für eine Sonderbedarfszulassung erforderlichen Versorgungsbedarfs der Bedarf für sogenannte einpendelnde Patienten mit zu berücksichtigen ist. Die Zulassungsgremien hatten diese bei der Bedarfsermittlung herausgerechnet. Für Schmerztherapeuten ist das Urteil insoweit interessant, als nach den vom BSG nicht beanstandeten Ausführungen der Vorinstanzen ein zusätzlicher Versorgungsbedarf insbesondere dann in Betracht kommen kann, wenn einem anderen auf demselben Fachgebiet tätigen Arzt eine Erhöhung der regelleistungsvolumenrelevanten Fallzahlen zugebilligt worden ist. Diese Argumentation lässt sich ohne Weiteres auf eine Erhöhung der Fallzahlbegrenzung für Schmerzpatienten gemäß Ziffer 6 der Präambel zu Kapitel 30.7 EBM übertragen. Auch diese wird regelmäßig ein Indiz für einen zusätzlichen Versorgungsbedarf darstellen. Vorschriften des Vertragsarztrechts beachten Die Praxis zeigt, dass es immer wieder einer Erinnerung daran bedarf, dass es sich bei den Vorschriften des Vertragsarztrechts um streng formale Regelungen handelt. Dies gilt insbesondere für die gemäß § 32 Abs. 2 Satz 1 Ärzte-ZV zwingend erforderliche Genehmigungen zur Beschäftigung vertragsärztlich tätiger Assistenten und das Verbot, für Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung von den Patienten Zusatzentgelte zu verlangen. Das Bayerische LSG hat mit Beschluss vom 05.01.2011 – L 12 KA 116/10 B ER – die Entziehung der Zulassung eines Orthopäden zur vertragsärztlichen Versorgung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung bestätigt, der mittels Strafbefehl zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr nebst Geldstrafe verurteilt worden war, weil er Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung als individuelle Gesundheitsleistungen abgerechnet und über mehrere Monate einen nicht genehmigten Assistenten beschäftigt hatte. Dem Strafbefehl lag eine Schadenssumme von 191.621,79 Euro zugrunde. Der betroffene Arzt war zuvor mehrfach aufgrund von Plausibilitätsprüfungen in Regress genommen und disziplinarisch zur Zahlung einer Geldbuße verurteilt worden. Unabhängig von den massiven vertrags ärztlichen Verstößen, die eine Zulassungsentziehung im konkreten Fall sicherlich rechtfertigen, zeigt die Entscheidung bezüglich des Vorwurfs der Beschäftigung eines nicht genehmigten Assistenten wieder einmal, dass es in der vertragsärztlichen Versorgung gerade nicht nur darauf ankommt, ob abgerechnete Leistungen auch tatsächlich erbracht wurden, sondern insbesondere auch da, dass die für eine ordnungsgemäße Leistungserbringung erforderlichen Genehmigungen eingeholt wurden. Hierauf ist insbesondere bei der Beschäftigung von Weiterbildungsassistenten zu achten, da deren Anstellungsgenehmigungen regelmäßig nur befristet erteilt werden. Zur Pflicht des Vertragsarztes zur pünktlichen Abrechnung Sozialgerichtliche Entscheidungen in vertragsärztlichen Disziplinarverfahren sind relativ selten. Das SG Marburg hat nunmehr in einer Entscheidung vom 02.02.2011 – S 12 KA 902/09 – zur Pflicht des Vertragsarztes zur peinlich genauen Abrechnung Stellung genommen und dargelegt, dass diese auch die Pflicht zur pünktlichen Abrechnung umfasst, da eine Kassenärztliche Vereinigung aufgrund der Regelungen zur Honorarverteilung regelmäßig darauf angewiesen ist, alle Abrechnungen innerhalb der Abgabefrist zu erhalten. Bei wiederholt verspäteter Abgabe der Abrechnungen rechtfertigt dies die Festsetzung einer Geld buße. Im streitgegenständlichen Fall hatte der Vertragsarzt über mehrere Jahre seine Abrechnungen teilweise erheblich verspätet eingereicht. Der Disziplinarausschuss hatte daraufhin eine Geldbuße in Höhe von m 3.000,00 festgesetzt und die Kosten des Disziplinarverfahrens, die ebenfalls vom Arzt zu tragen sind, mit m 2.500,00 bemessen. Beides wurde vom Sozialgericht nicht beanstandet. ■ Dr. Ralf Clement, Tübingen 21 Pharmakotherapie Arthroseschmerzen mit starken Opioiden wirksam und verträglich lindern © Foto : Küsters Starke Arthroseschmerzen, die eine Knie-Totalendoprothese erforderlich machen, können im Umfeld einer Operation mit der retardierten Fixkombination Oxycodon/Naloxon effektiv gelindert werden. Kommt dieses Opioid frühzeitig zum Einsatz, kann die Funktionalität und Lebensqualität der betroffenen Patienten schnell wiederhergestellt werden, belegt eine neue nicht interventionelle Beobachtungsstudie an über 80 Patienten, die Priv.-Doz. Dr. Jan Zöllner, Chefarzt am SRH Klinikum KarlsbadLangensteinbach vorstellte*. Die beiden Referenten des Presse-Round table Cordelia Schott (li.) und Jan Zöllner (re.). J ährlich werden laut Barmer GEK Krankenhausreport 2010 etwa 175.000 Erst-implantationen am Kniegelenk durchgeführt. Damit sind Knieimplantate nach Hüftimplantaten die zweithäufigste Endoprothese. Über 80 Patienten wurden in die Studie einbezogen und entweder mit Targin® oder mit anderen Analgetika behandelt. Im Beobachtungszeitraum von sechs Monaten fanden sechs Untersuchungstermine statt. Höhere Wirksamkeit und bessere Verträglichkeit Insgesamt beurteilten die Studienteilnehmer der Oxycodon/Naloxon-Gruppe ihre Behandlung deutlich positiver als die Patienten der Kontrollgruppe. Mit sehr gut bzw. gut beurteilten 32,6 bzw. 58,1% des Targin ®-Kollektivs, aber nur 10,8 bzw. 54,1% der Kontrollgruppe die Verträglichkeit der Therapie. Auch die Wirksamkeit bewerteten die mit der Fixkombination behandelten Patienten besser. Das Ergebnis lag bei 39,5 bzw. 53,5% für sehr gut bzw. gut. Im Vergleich dazu bewerteten 27,0% der Kontrollgruppe die Wirksamkeit mit sehr gut und 51,4% mit gut. 22 Deutliche Unterschiede ergaben sich auch bei der Erhebung des Knee Scores nach Larson1. Hier verbesserte sich die Oxycodon/ Naloxon-Gruppe während der schmerztherapeutischen Behandlung von durchschnittlich 42,1 auf 58,3 Punkte. Die Patienten der Kontrollgruppe starteten mit einem ähnlichen Wert von 42,5 Punkten, steigerten sich jedoch nur auf 50,8 Punkte. Unterschiedlich entwickelte sich auch die Fähigkeit der Patienten, während der Rehabilitation eine Physiotherapie durchzuführen. Zwei bis drei Tage nach der Knie-TEP-Implantation war nur ein geringer Teil der Patientenkollektive, 11,6% in der Oxycodon/Naloxon-Gruppe und 13,5% in der Kontrollgruppe, dazu uneingeschränkt in der Lage. Zum fünften Untersuchungstermin verbesserte sich dieser Anteil in der Oxycodon/ Naloxon-Gruppe um etwa das Fünffache auf 58,1%. In der Kontrollgruppe verdoppelte sich der Anteil auf 27,0%. In Bezug auf den HSSScore2 wiesen die meisten Patienten sowohl in der Oxycodon/Naloxon-Gruppe als auch in der Kontrollgruppe zum ersten Untersuchungstermin vor der Knie-TEP-Implantation schlechte Ergebnisse auf: 60,5% bzw. 54,1% fielen in diesen Bereich. Dies änderte sich deutlich im Laufe der Behandlung. Etwa vier Wochen nach der Operation lagen die Ergebnisse in der Oxycodon/Naloxon-Gruppe zu 26,8% im exzellenten Bereich und somit etwa ein Drittel über denen der Kontrollgruppe mit 19,4%. Bessere Lebensqualität und Funktionalität „Die abschließenden Untersuchungen zeigen, dass es mit einer adäquaten standardisierten Schmerztherapie möglich ist, ein sehr gutes funktionelles Ergebnis zu erreichen. Außerdem verbessert sich im Rahmen der Rehabilitation auch die Lebensqualität der Patienten“, so das Fazit Zöllners. „Zu erkennen ist, dass ein Verändern, Umsetzen oder Absetzen der kontinuierlichen Schmerztherapie zum Beispiel auf eine reine Bedarfsmedikation zu einem negativen Einfluss in den gewünschten Behandlungszielen führt.“ Kasuistik Wie wichtig eine effektive Schmerztherapie für den Erfolg der Rehabilitationsmaßnahmen ist, bestätigt auch die Kasuistik eines Patienten von Zöllner. Der sportlich aktive 63-jährige Allgemeinarzt litt unter deutlichen degenerativen Veränderungen im Bereich seines rechten Kniegelenkes mit zunehmender Fehlstellung, Einschränkung der Gehstrecke sowie Bewegungsschmerzen der Intensität 7–8 auf der numerischen Ratingskala3. Dies schränkte ihn stark ein, etwa beim Treppenlaufen, sodass er keine Hausbesuche mehr machen konnte. 2007 erfolgte die Implantation einer Knie- Endoprothese. Nach der Operation wurde der Patient zunächst mit zweimal täglich 20 mg/10 mg Targin® behandelt. Schon vier Wochen später konnte er stundenweise seine Tätigkeit als Allgemeinarzt wieder aufnehmen. Die Dosierung wurde nach sechs Wochen Therapie auf zweimal täglich 10 mg/5 mg Targin® gesenkt und nach zwei weiteren Wochen abgesetzt. Da die Schmerz-Intensität nur noch unter NRS 3 lag, waren auch sportliche Aktivitäten wieder möglich. * Presse-Roundtable „Starke Opioide für Mobilität und Aktivität von Schmerzpatienten: Mit Schmerzexperten im Dialog“, veranstaltet von Mundipharma am 29. Juni 2011 in Frankfurt am Main. 1 nee Score nach Larson: erfasst die Resultate einer KnieK TEP-Operation aufgrund der Kriterien Funktion, Schmerz, Anatomie, Bewegungsausmaß; 5 = schlechte Kniefunktion, 100 = sehr gute Kniefunktion 2 Hospita-for-Special-Surgery-(HSS-)Score: erfasst anhand der Kriterien Schmerz, Funktion, Bewegungsausmaß, Muskelkraft, Flexionsdeformität, Instabilität; Punktabzug für: Verwendung von Gehhilfen, Streckdefekten, Achsabweichungen nach Varus bzw. Valgus; Ergebnisse sind aufgeteilt in exzellent, gut, befriedigend, schlecht 3 Numerische Ratingskala (NRS) 0 = keine Schmerzen, 10 = stärkste vorstellbare Schmerzen SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.) Kongresse/Pharmakotherapie/Schmerzpreis/Internationale Presse Der Patient begann mit dem Radtraining auf der Straße mit dem Ziel, zehn Monate nach der Operation am Radrennen Trontheim–Oslo (560 km) teilzunehmen. Es erfolgte ein entsprechendes Aufbautraining unter medizinischleistungsdiagnostischer Kontrolle. Das Ziel wurde erreicht und die Strecke in 23 Stunden bewältigt. die Lebensqualität des Patienten verbessern. „Hier bewährt sich oftmals der frühzeitige Einsatz von starken Opioiden“, so Schott. Im Gegensatz zu den häufig verwendeten nicht steroidalen Antiphlogistika (NSAR) sind diese nicht organtoxisch und dadurch auch für die Langzeiteinnahme geeignet. dk/StK ■ Eine Knie-TEP-Implantation steht erst am Ende der Behandlungsmaßnahmen zur Arthrose. Doch schon zu Beginn der Therapie ist das Ziel, die Schmerzen schnell und effektiv zu lindern und die Gelenkfunktion zu verbessern. „Der Schmerz kann und muss sofort und nicht erst nach Abschluss diagnostischer Maßnahmen sinnvoll reduziert werden, damit der Betroffene seine Lebensqualität und Alltagsfunktionen erhalten oder wieder zurückgewinnen kann“, berichtete Dr. Cordelia Schott, Präsidentin der Interdisziplinären Gesellschaft für orthopädische/unfallchirurgische und allgemeine Schmerztherapie e.V. (IGOST). Zum einen ermöglicht dies den Patienten, eine für den Therapieerfolg relevante Physiotherapie durchzuführen. Zum anderen verhindert eine frühzeitige, effektive Schmerztherapie, dass die Schmerzen chronisch und damit zu einer eigenständigen Erkrankung würden. Dabei ist es wichtig, jeden Patienten individuell auf die für ihn geeignete Medikation in der optimalen Dosierung einzustellen. Das Analgetikum sollte starke Schmerzen wirksam, dauerhaft und verträglich lindern und somit © psdesign1 – fotolia.com Arthroseschmerzen frühzeitig mit starken Opioiden effektiv lindern Internationale Presse Rückenschmerzen rauben den Schlaf Schlafstörungen sind bei chronischen Rückenschmerzen weit verbreitet und verstärken die Pein am nächsten Tag. Welche Prozesse hinter den Schlafstörungen stehen, versuchten die Forscher um Kathi Heffner et al. mit einer Studie an 25 Patienten mit chronischem Rückenschmerz zu klären. Neben dem inflammatorischen Zytokin IL-6 im Plasma wurden bei diesen Patienten die Schlafqualität und die Depressivität abgefragt sowie das Niveau ihrer Schmerzen. Als Kontrollgruppe dienten 25 geschlechts- und altersgematchte gesunde Probanden. Nur bei den Rückenschmerzpatienten mit ausgeprägten Schlafstörungen fanden sich im Plasma höhere IL-6-Konzentrationen wie bei den Gesunden und die Höhe des IL-6-Spiegels korrelierte auch gut mit dem Ausmaß ihrer Schmerzen. Aufgrund dieser Befunde folgern die Autoren, dass Entzündungsprozesse bei chronischen Rückenschmerzen bei den begleitenden Schlafstörungen eine Rolle spielen können und therapeutisch auch an dieser Entzündungsstörung angesetzt werden sollte. Heffner K, France C, Trost Z, Mei N, Pigeon W. Chronic Low Back Pain, Sleep Disturbance, and Interleukin-6 . Clinical Journal of Pain 2011; 27(1):35–41. Starke Knieschmerzen erfordern oft Opioide. D e utscher Schmerzpreis 2012 ausges c h r i e b e n Die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e.V., Trägerin des Deutschen Schmerzpreises, verleiht seit 1986 zusammen mit der Deutschen Schmerzliga e. V. jährlich den DEUTSCHEN SCHMERZPREIS – Deutscher Förderpreis für Schmerzforschung und Schmerztherapie. Mit ihm werden Persönlichkeiten ausgezeichnet, die sich durch wissenschaftliche Arbeiten über Diagnostik und Therapie akuter und chronischer Schmerzzustände verdient gemacht oder die durch ihre Arbeit oder ihr öffentliches Wirken entscheidend zum Verständnis des Problemkreises Schmerz und den davon betroffenen Patienten beigetragen haben. Verliehen wird der Deutsche Schmerzpreis im Rahmen des Deutschen Schmerz- und Palliativtages 2012 in Frankfurt/Main. Er wird von der Firma Mundipharma Vertriebsgesellschaft mbH SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.) u. Co. KG, Limburg, gestiftet und ist mit 10.000 Euro dotiert. Nominierungen und Bewerbungen müssen bis spätestens 31. Oktober 2011 bei der Geschäfts stelle eingereicht werden. Die Wahl erfolgt durch eine unabhängige Jury und den wissenschaftlichen Beirat. Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e. V., Adenauerallee 18 · 61440 Oberursel Die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e. V. ist die größte europäische Schmerzfachgesellschaft. Ihr Ziel ist die Förderung der Algesiologie als der Wissenschaft vom Schmerz, die Verbesserung der schmerztherapeutischen Versorgung, die Fort- und Weiterbildung sowie die Gründung interdisziplinärer schmerztherapeutischer Kolloquien. Die Deutsche Schmerzliga e. V. ist die Interessenvertretung der Schmerzpatienten. Ihr Ziel ist eine bessere Lebensqua lität für Menschen mit chronischem Schmerz durch eine qualifizierte schmerztherapeutische Versorgung. Die Deutsche Schmerzliga vermittelt Informationen über den chronischen Schmerz sowie über dessen Diagnostik und Therapie und unterstützt die Bildung von Selbsthilfegruppen. In der Öffentlichkeit setzt sich die Deutsche Schmerzliga für die Anliegen der Schmerzpatienten ein. 23 Deutsche Schmerzliga / Patiententag Schmerztherapie im Patientenrechtegesetz und Ende der Austauschpflicht für Opioide! Das Recht auf Schmerztherapie sollte in das Patientenrechtegesetz aufgenom men werden. Zudem müssen starke Analgetika endlich aus der automatischen Austauschpflicht. Dies fordern in der Petition der Deutschen Schmerzliga über 72 000 Unterzeichner. Die Deutsche Schmerzliga erhielt 2006 für ihr Engagement den Deutschen Schmerzpreis D as Patientenrechtegesetz, das derzeit in Berlin vorbereitet wird, soll die Souveränität der Patienten stärken. „Das Recht auf Schmerztherapie gehört nach unserer festen Überzeugung ebenfalls in diesem Gesetz festgeschrieben«, forderte Dr. med. Marianne Koch, die Präsidentin der Deutschen Schmerzliga e.V. Doch die Versorgungsrealität zeigt, dass Patienten dieses Recht noch immer vielfach vorenthalten wird. Wie problematisch die Situation für viele Patienten noch immer ist, zeigt die Anfragestatistik der Deutschen Schmerzliga. Bei der Geschäftsstelle laufen pro Woche zwischen 200 und 300 Anfragen per E-Mail ein. Im vergangenen Jahr waren es rund 15.000. Hinzu kommen mehr als 6000 Briefe und mindestens ebenso viele Anrufe. Auch das Forum auf der Website der Patientenorganisation wird intensiv genutzt. rungen. Entzugssymptome wechselten sich mit Zeichen der Überdosierung ab. Er benötigte zusätzlich kurzwirksame Opiate, um Schmerzspitzen abzufangen. Rabattverträge gefährden Schmerzkranke Petition beim deutschen Bundestag Zu Beginn des Jahres reichte die Deutsche Schmerzliga zu Beginn des Jahres eine Peti tion beim Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages ein, um eine Gesetzesänderung zu bewirken: Starke Schmerzmittel sollen aus der automatischen Austauschpflicht herausgenommen werden. Mehr als 72 000 Menschen haben bislang diese Petition unterstützt. Daher wurde Dr. Marianne Koch zu einer öffentlichen Anhörung vor dem Petitionsausschuss am 9. Mai geladen. „Wir sprechen uns aus rein medizinischen und pharmazeutischen Gründen gegen eine medizinisch nicht indizierte Umstellung bei gut eingestellten Patienten aus – unabhängig davon, ob diese von einem Originalpräparat auf ein Generikum, von einem Generikum auf ein anderes oder von Generikum auf Originalpräparat umgestellt werden. Denn die Folgen einer solchen Umstellung sind immer dieselben: Mehr Schmerzen oder mehr Nebenwirkungen“, so Koch. StK ■ Apotheker sind seit Einführung der Rabattverträge dazu verpflichtet, Patienten ein wirkstoffgleiches Präparat auszuhändigen, mit dessen Hersteller die Krankenkasse des Patienten einen Rabattvertrag abgeschlossen hat. Nur der Arzt kann diesen Austausch ausschließen, indem er das „Aut-idem-Kästchen“ auf dem Rezept ankreuzt. Opioide sind bei einer Umstellung eine kritische Substanzklasse, erklärte Dr. med. Gerhard H. H. Müller-Schwefe. Durch eine Umstellung wird das Therapiegleichgewicht gestört, weshalb die Patienten vermehrt Schmerzen oder mehr unerwünschte Nebenwirkungen haben können. Diese Erfahrung machte Rolf Fahnenbruck, Vorstandsmitglied der Deutschen Schmerzliga, gleich mehrfach. Er wurde innerhalb von sechs Monaten fünfmal auf ein wirkstoffgleiches Präparat umgestellt und litt dadurch unter Schweißausbrüchen, Juckreiz, Gliederschmerzen und Schlafstö- P a t i ententag ein voller Erfolg Mehr als 1000 Patienten und Interessierte besuchten am Sonntag den Patiententag , SCHMERZ – DIABETES – OSTEOPOROSE – PARKINSON, der erstmals vier PatientenSelbsthilfeorganisationen zu einer gemein samen Veranstaltung zusammenbrachte: Die Deutsche Schmerzliga e.V. als Initiator des Patiententages, der Deutsche Diabeti ker Bund, das Kuratorium Knochengesundheit e.V. und die Deutsche Parkinson Vereinigung e.V, berichtete Birgitta Gibson von der Deutschen Schmerzliga. Ziel war es, die Besucher über die neuesten Behandlungsmethoden und Forschungsergeb nisse auf dem Gebiet der chronischen Er 24 krankungen Schmerz, Diabetes, Osteoporose und Parkinson umfassend zu informieren. Es fanden 24 Veranstaltungen mit namhaften Medizinern statt, die sehr gut besucht waren und von den Besuchern sehr positiv beurteilt wurden. Jeweils nach einem Arztvortrag hat ten die Patienten die Möglichkeit, Fragen zu stellen oder ihre Probleme zu schildern, die dann von den Referenten beantwortet wur den. Zum Schluss des Patiententages fand eine Podiumsdiskussion statt, in der die Be sucher die aktuellen Auswirkungen der Ge sundheitspolitik auf ihre Versorgung darstel len und mit den Ärzten und Vertretern der Patientenorganisationen auf dem Podium dis kutieren konnten. Positives Echo Die Besucher des Pa tiententages sprachen sich übereinstimmend für eine Fortsetzung der Veranstaltung im nächs ten Jahr aus und be dankten sich für das große Angebot an Infor mationen. Die Vertreter der vier Selbsthilfeorga nisationen auf dem Podium sagten zu, weiter den Weg der Zusammenarbeit unter dem Motto „Nur gemeinsam sind wir stark!“ zu planen. Birgitta Gibson, Frankfurt/Main SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.) Der Schmerzfall aus der Praxis Neuropathische Schmerzen nach Halswirbelfraktur Der Praxisfall Der 80-jährige Patient erlitt im April 2011 bei einem Sturz mit dem Fahrrad ein Hyperexten sionstrauma der Halswirbelsäule, Fraktur des Dens und hinteren Atlasbogens. Nach intensivmedizinischer Betreuung und Frührehabilitation bei einer partiellen linksseitigen Hemiparese kam es während der Frührehabilitation zunehmend zu Schmerzen sowohl im Bereich der osteosynthetisch versorgten Halswirbelsäule (C1 bis C4) wie auch im Hinterkopf und der Seite und Vorderseite des Halses. Darüber hinaus bestanden brennende und kribbelnde Schmerzen in der gesamten linken Körperhälfte. Befund und Verlauf Der geistig wache und interessierte Patient stellt sich vor mit der Fragestellung, ob die Schmerzen in diesem Ausmaß ertragen werden müssten. Insbesondere fällt ihm der Nachtschlaf schwer, da das Gewicht des Kopfes in Rückenlage im Bett zu massiven brennenden Schmerzen im Hinterhaupt führt. Seitenlage ist aufgrund der Verletzung und der noch frischen Osteosynthese für ihn nicht möglich. Der Nachtschlaf ist anhaltend schmerzbedingt gestört. Die maximale Schmerzintensität beträgt auf der visuellen Analogskala VAS 100 92. Das individuelle Behandlungsziel liegt bei 24. Die schmerzbedingte Beeinträchtigung der Lebensqualität (QLIP) ist mit einem Wert von 6 aus 40 massivst eingeschränkt. Gravierend sind insbesondere Dauerschmerzen, Schlafstörungen und die Unfähigkeit, die Schmerzen positiv zu beeinflussen. In der Hospital Anxiety/Depression Scale (HADS) finden sich auffällige Werte für Angst und Depressivität, wobei die Ehefrau des Patienten schildert, dass früher nie Anzeichen einer Depressivität oder Angststörung bestanden hätten. Es besteht eine deutliche Kraftminderung der linken Hand bei brennenden Schmerzen im Bereich der linken Handfläche. Hier liegt auch eine ausgeprägte dynamische Allodyniev vor mit Kraftminderung der linken oberen Extremität, die an der linken unteren Extremität geringer ausgeprägt ist. SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.) Der Untersuchungsbefund zeigt im Bereich der oberen Halswirbelsäule und des Hinterhauptes eine ausgeprägte mechanische Allodynie mit einschießenden Schmerzen bei Berührung, zudem eine statische Allodynie (Missempfindung bei Druck bereits bei 0,2 kp/cm². Die Operationsnarbe ist äußerlich reizlos, die Beweglichkeit der Halswirbelsäule nach Verblockung C1 bis C4 in allen Richtungen eingeschränkt. Daneben finden sich massiv verkürzte Muskeln im Bereich der Schulter-Nacken-Muskulatur mit aktiven Triggerpunkten im Bereich des Musculus trapezius und Musculus sternocleidomastoideus beidseits mit schmerzhafter Ausstrahlung in ihre Referenzzonen, ebenso des Musculus semispinalis capitis und Musculus splenius capitis beidseits. Versuche, in der Rehabilitation mit Injektionen von Lokalanästhetika im Bereich der Occipitalnerven eine Linderung herbeizuführen, waren ebenso wie Pregabalin ergebnislos geblieben. Therapie und Verlauf Die geklagten Beschwerden stellen ohne Frage ein gemischtes Schmerzsyndrom dar, bei dem sowohl neuropathische Komponenten im Sinne eines Complexen Regionalen Schmerzsyndroms mit ausgeprägter Allodynie sowie nozizeptive Komponenten eine Rolle spielen. Darüber hinaus ist es zu massiven Veränderungen des körperaufrichtenden Systems und der Muskulatur, insbesondere der Zervikalmuskulatur gekommen. Die von uns eingeleitet Therapie bestand zunächst in der Gabe von Oxycodon mit Naloxon 5/2,5 mg. Oxycodon war in klinischen Studien sowohl bei nozizeptiven als auch bei neuropathischen Schmerzen gut wirksam. Von daher lag es nahe, beide Aspekte der Schmerzen mit einer Substanz zu behandeln. Bei deutlicher Schmerzlinderung (Schmerzreduktion von VAS 92 auf jetzt 54 haben wir innerhalb von einer Woche die Dosis auf 10 mg Oxycodon/Naloxon (Targin® 10/5) gesteigert. Bei zweimal täglicher Einnahme sind die brennenden Schmerzen vollständig verschwunden. © Bildarchiv Müller-Schwefe Neuropathische Schmerzen nach Wirbelsäulenverletzungen gehören oft zu den problematischen Schmerzerkrankungen, die aufgrund der Dramatik der primären Unfallursache und ihrer Versorgung häufig übersehen werden. Opiate in einer gut verträglichen Galenik stellen eine Therapieoption dar, mit der sowohl nozizeptive als auch neuropathische Schmerzen effektiv und nebenwirkungsarm behandelt werden können. Klinischer Befund und Röntgenbild In dieser Zeit kam es zu einer deutlichen Besserung der Mobilität des Patienten, darüber hinaus haben sich die auffälligen Werte im HADS hinsichtlich Angst und Depressivität vollständig normalisiert. Der zuvor schmerzbedingte eingeschränkte Nachtschlaf (ein bis zwei Stunden pro Nacht) normalisierte sich ebenfalls auf jetzt sieben Stunden regelmäßigen Schlaf. Hierunter auch Besserung des Gesamtzustandes. Die unter Pregabalin ausgeprägten Gleichgewichtsstörungen und Müdigkeit trat unter Oxycodon mit Naloxon nicht auf, die kognitive Leistungsfähigkeit des Patienten blieb erhalten. Die unter Opioiden häufige Obstipation wurde unter dieser Therapie nicht beobachtet. Zusammenfassung Schmerzen mit nozizeptiver und neuropathischer Komponente treten nach Wirbelsäulenverletzungen und Osteosynthesen häufig auf. Die Therapie stellt gerade bei Betagten und Hochbetagten Patienten eine große Herausforderung dar, da kognitive Beeinträchtigungen, Beeinträchtigung des Gleichgewichts oder auch der Vigilanz die Rehabilita tionsfähigkeit erheblich einschränken. Auch gastrointestinale Nebenwirkungen limitieren häufig die Therapie mit stark wirksamen Analgetika. Oxycodon/Naloxon (Targin®) hat sich für diese gemischten nozizeptiv-neuropathischen Schmerzen auch für hochbetagte Patienten hervorragend bewährt. ■ Gerhard H. H. Müller-Schwefe, Göppingen 25 DGS Termine / Nachrichten DGS-Veranstaltungen Weitere Informationen zu den Seminaren erhalten Sie über die Geschäftsstelle des DGS Oberursel, Tel.: 06171/ 286060 Fax: 06171/ 286069, E-Mail: info@ dgschmerztherapie.de Die aktuellsten Informationen zu den Veranstaltungen und den Details finden Sie im Internet unter www.dgschmerztherapie.de mit der Möglichkeit der Online-Anmeldung. Interdisziplinäres Schmerzforum Siegen – ISS 20.09.2010 in Siegen; Regionales Schmerzzentrum DGS–Siegen Black Box Rückenschmerz? Myofasciale Verkettungen und Triggersyndrome 23.09.–25.09.2011 in Göppingen; Regionales Schmerzzentrum DGS–Göppingen September 2011 17. Ahrenshooper Schmerzsymposium – Was ist „Mixed Pain“? 24.09.2011 im Ostseebad Ahrenshoop; Regionales Schmerzzentrum DGS–Bielefeld Curriculum Algesiologische Fachassistenz – Kurs 3 16.09.–17.09.2011 in Kassel; Geschäftsstelle DGS Curriculum Spezielle Schmerztherapie, Block A 24.09.–25.09.2011 in Stuttgart; Geschäftsstelle DGS Curriculum Biofeedback-Therapeut DGS/Biofeedback-Trainer DGS – Ausbildungszyklus 2 – Grundlagenseminar 1 17.09.–18.09.2011 in Frankfurt am Main; Geschäftsstelle DGS Osteoporose im Jahr 2011: Aktuelle Updates 05.10.2011 in Gießen; Regionales Schmerzzentrum DGS–Gießen Oktober 2011 Curriculum Spezielle Schmerztherapie, Block B 08.10.–09.10.2011 in Stuttgart; Geschäftsstelle DGS Igel – Leistungen in der Schmerztherapie 10.10.2011 in Ludwigshafen; Regionales Schmerz- zentrum DGS–Ludwigshafen Opioidinduzierte Hyperalgesie 13.10.2011 in Miltenberg; Regionales Schmerzzentrum DGS–Miltenberg Curriculum Biofeedback-Therapeut DGS/Biofeedback-Trainer DGS – Ausbildungszyklus 2 – Grundlagenseminar 2 15.10.–16.10.2011 in Frankfurt am Main; Geschäftsstelle DGS Kopfschmerzen und Migräne - ein Update 19.10.2011 in Dinslaken; Regionales Schmerzzentrum DGS–Dinslaken Bergischer Schmerztag 2011 - Aktuelle Aspekte der Schmerztherapie 19.10.2011 in Wermelskirchen; Regionales Schmerzzentrum DGS–Remscheid Funktionelle Medizin 3 20.10.2011 in Bad Säckingen; Regionales Schmerzzentrum DGS–Bad Säckingen 14. Südwestdeutsche Schmerztage 21.10.–22.10.2011 in Göppingen; Regionales Schmerzzentrum DGS–Göppingen Neue DGS-Leiter DGS-Zentrum Burghausen Karl E. Steinbach, Burghausen Horst Bredstetter, Burghausen Wir begrüßen Herrn Karl E. Steinbach und Dr. Horst Bettstetter, Schmerzzentrum InnSalzach, als neue Regionalleiter in Burghausen. Der Leiter Karl E. Steinbach ist Facharzt für Anästhesiologie, Zusatzbezeichnung: Spezielle Schmerztherapie.Schwerpunkte: Interventionelle Therapieverfahren mit Bildwandler, Neuropathische Schmerzen, Kopfschmerzen, Psychosomatische Grund versorgung,Genehmigung zur Teilnahme an der Qualitätssicherungsvereinbarung zur schmerztherapeutischen Versorgung chronisch schmerzkranker Patienten gemäß §135 Abs.2 SGB V. Koleiter ist Dr. Horst Bettstetter,Facharzt für Anästhesiologie, Zu- 26 satzbezeichnungen: Spezielle Schmerztherapie, Palliativmedizin, Chirotherapie, Akupunktur (A-Diplom).Schwerpunkt: Interven tionelle Therapieverfahren mit Bildwandler Genehmigung zur Teilnahme an der Qualitätssicherungsvereinbarung zur schmerztherapeutischen Versorgung chronisch schmerz kranker Patienten gemäß §135 Abs. 2 SGB V seit 2010 erteilt von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern. DGS-Zentrum Bad Staffelstein Wir begrüßen Dr. med. Stefan Middeldorf als neuen Regionalleiter in Bad Staffelstein. Stefan Middeldorf ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, verfügt zudem über die Zusatzbezeichnungen Spezielle Schmerztherapie, Sportmedizin, Chirotherapie, Physikalische Therapie und Balneologie, Naturheilverfahren, Rehabilitationswesen, Sozialmedizin, Akupunktur und Diagnostische Radiologie. Derzeit befindet er sich zudem in der Ausbildung zur Erlangung der Zusatzbezeichnung fachgebundene Psychotherapie. Seit 2004 leitet er die Orthopädische Klinik an der Schön-Klinik Bad Staffelstein als Chefarzt. Zu den Behandlungs- und Tätigkeitsschwerpunkten von Herrn Dr. Middeldorf und seinem Team gehören insbesondere Schmerzsyndrome der Stütz- und Bewegungsorgane, u. a. auch CRPS, darüber hinaus die Begutachtung bei chronischem Schmerz. Zu den in der Klinik angewandten therapeutischen Verfahren gehören neben der gesamten Breite der Therapieverfahren aus der konservativen Orthopädie insbesondere auch die therapeutische Lokalanästhesie, wirbelsäulennahe Injektionsverfahren unter Bildwandlerkontrolle, Pharmakotherapie, Naturheilverfahren, Chirotherapie, Tens, Akupunktur, Spiegeltherapie, Biofeedback und Psychologische Schmerz- Stefan Middeldorf, therapie. Seit über zehn Bad Staffelstein Jahren erfolgen regelmäßig wöchentlich interne und achtmal pro Jahr externe Schmerzkonferenzen, die sich einem regen Zulauf von in Klinik und Praxis tätigen Kollegen erfreuen. SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.) Bücherecke Schmerztherapie in der Übersicht û Dieses Handbuch aus den Yale- und Harvard-Medical-Schools gibt eine aktuelle Übersicht über die Therapiemöglichkeiten bei akutem und chronischem Schmerz und fokussiert auf dem multidisziplinären Ansatz. Nach der allgemeinen historischen Einleitung und Anatomie, klinischer Untersuchung und bildgebender Diagnostik werden in eigenen Kapiteln die Pharmakologie sowie die nicht-medikamentösen Verfahren ausführlich dar gestellt. Die folgenden zwei klinischen Kapiteln widmen sich dem akuten Schmerzmanagement und dem chronischen Schmerz (Neuropathien, ischämischer und viszeraler Schmerz, Fibromyalgien, Hals-, Nacken- und Rü ckenschmerzen, Kopfschmerzen, Krebsschmerzen und die Palliativmedizin). Am Ende folgen besondere Themen wie Schmerz bei Kindern, Schmerztherapie bei Abhängigen, Älteren und der orodentale Schmerz. Auch wenn dieses Buch in Englisch etwas mühsamer zu lesen ist als deut sche Lehrbücher ist es durch seine didaktisch ansprechende Aufmachung eine lohnende Lektüre, da zu jedem Kapitel wesentliche Fragen im Multiple-Choice-System gestellt werden und alle theoretischen Inhalte auch in praxisnahen Fällen mit ihren Lösungen illustriert werden. StK Vadivelu, Nalini; Urman, Richard D.; Hines, Roberta L. (Eds.): Essentials of Pain Management. 1st Edition, 2011, XXIII, 834 S., 114 illus.. Softcover, 80,20 EUR, ISBN 978-0-387-87578-1. Springer Verlag, Heidelberg Die Sprache des eigenen Körpers verstehen û Viele Menschen sind »organisch gesund«, haben aber dennoch unerträgliche Schmerzen oder ein anderes körperliches Leiden. Daher müssen sie lernen, die Sprache ihrer Symptome zu entschlüsseln. Aus ihrem reichen Wissen über das feine Zusammenspiel von Körper und Psyche berichtet die Diplompsychologin Hanne Seemann wieder ungemein praxisnah und allgemein verständlich. Plastisch und bildreich erläutert sie in diesem Ratgeber für Betroffene, wie funktionelle Störungen entstehen, was Symptome mitteilen können und vor allem: wie die Freundschaft mit dem eigenen Körper wiederhergestellt werden kann. Dieser Ratgeber ist auch für Therapeuten, die mit diesen Krankheitsbildern tagtäglich konfrontiert werden, eine hilfreiche und spannende Lektüre. Die Übungen auf der beigelegten Audio-CD erleichtern die praktische Umsetzung. StK Seemann, Hanne: Mein Körper und ich – Freund oder Feind? Psychosomatische Störungen verstehen. 1. Aufl. 2011, 129 Seiten, broschiert mit Audio-CD; 16,95 EUR, ISBN: 978-3-608-86028-3. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart. Handbuch Neuraltherapie û Dieses Handbuch umfasst alle Themen, die bei der therapeutischen Anwendung von Lokalanästhetika heute relevant sind. Neben den anatomischen Grundlagen und neurophysiologischen Zusammenhängen werden die systemischen Wirkmechanismen, die Wirksubstanzen sowie Indikationen, Möglichkeiten und Grenzen der Neuraltherapie intensiv diskutiert. Neben der Organisation und Ausstattung werden die Diagnostik und die Injektionstechniken sowie ihr Einsatz in den verschiedensten Fachgebieten kompetent und umfassend dargestellt. Schritt für Schritt wird das sichere Vorgehen bei Injektionen in verschiedene Körperstrukturen erklärt. Plastisch dargestellt in über 300 Abbildungen, mit Angaben zu Anatomie, Schwierigkeitsgrad, Fehlerquellen und Praxistipps sowie Empfehlungen zum Behandlungsablauf, Erfolgsabschätzung und begleitenden therapeutischen Maßnahmen. Der Code im Buch schaltet zusätzliche Inhalte im Internet auf dem Elsevier-Portal frei: Die interaktive Anwendung zur Lokalisation von muskulären Triggerpunkten und deren Ausstrahlungsmuster, grafische Darstellung der Injektionen an die Facettengelenke und wichtige Formulare, welche die tägliche Arbeit erleichtern und optimieren (Aufnahmebefund, Beschwerdefragebogen, Verlaufsdokumentationsblatt u. v. m.). Das Buch ist für alle Schmerztherapeuten, die die Neuraltherapie routinemäßig in ihrer Praxis einsetzen, eine lohnenswerte Anschaffung. StK Weinschenk, Stefan (Hrsg.): Handbuch Neuraltherapie. Diagnostik und Therapie mit Lokalanästhetika – mit Zugang zum Elsevier-Portal. 1.120 Seiten, 103 s/w Abb., 213 farb. Abb., Pappband, Buch; 99,95 Euro, ISBN: 978-3-437-58210-3 2010. Urban & Fischer, München. SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.) 27