KIM Hyesoon
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KIM Hyesoon
KIM Hyesoon The Korean Organizing Committee for the Guest of Honour at the Frankfurt Book Fair 2005 KOGAF in Seoul : 1-57, Sejongno, Jongno-gu, Seoul 110-050, Korea Tel +82 2 733 4303 Fax +82 2 739 2769 [email protected] KOGAF in Frankfurt : Kroegerstr. 2D-60313 Frankfurt am Main Tel +49 69 900 259 66 Fax +49 69 920 376 97 www.enterkorea.net Koreanische Autoren KIM Hyesoon KIM Hyesoon LiteraTOUR Korea Ihre Vorstellungskraft und die Geschwindigkeit der Sprache, die den Leser entwaffnen KIM Hyesoon erfrischend. Die Entwicklung der Gedichtswelt von KIM Hyesoon, einer geborenen Dichterin und auch einer hervorragenden Theoretikerin, bedeutet gleichzeitig die Erweiterung des literarischen Raums der modernen koreanischen Dichtung. KIM Hyesoon hatte eine von Krankheit gezeichnete Kindheit. Die Eltern, die als Lehrer oft den Dienstort wechseln mussten, vertrauten das Kind den Großeltern mütterlicherseits an. ‚Die Kranke‘ und ‚die von der Familie isolierte Tochter‘ war ihre Identität, die den Nährboden ihres Andersseins bildete. Das Mädchen, das mit Schmerzen und in KIM Hyesoon ist eine Dichterin, die im Namen der Mutter dichtet. Einsamkeit aufwuchs, hielt die Situation meistens nur durch das Lesen Während die meisten Poeten und Poetinnen „im Namen des Vaters“ aus. An der Universität verhalf ihr das Anderssein zu besonderen dichten, strebt sie bereits früh nach dem Gedicht der ‚Weiblichkeit- Fähigkeiten. Mit den Gedichten und den Kritiken, die sie zum ersten Mütterlichkeit’. Gedichte zu schreiben ist ein Prozess, in dem ein Mal in dieser Zeit schrieb, debütierte KIM Hyesoon in beiden Dichter den Konflikt mit der Welt löst und seine Identität zu finden Bereichen. Von da an schrieb sie mit ihrer originellen Vorstellung über versucht. Es ist der traditionelle Weg des Subjekts, sich die Welt mit den Körper und mit schnellem Sprachtempo Gedichte, die sich von den eigenen Augen anzuschauen und ihr Sinn zu geben. Anders formuliert: bestehenden deutlich unterschieden. Aus diesem Grund wurden ihre das Subjekt rekonstruiert die Welt auf eigene Weise, gibt ihr einen Gedichte zwar als fremdartig und schwierig empfunden, aber die neuen Sinn und erschafft sie somit neu. Dies ist aber mehr oder weniger Dichterin sagt: „wir müssen die Leser, die mit dem „Verstehenwollen“ ein gewalttätiger Akt, da die Sichtweise des Subjektes einseitig ist. über uns herfallen, entwaffnen“. Ihre Gedichte ziehen die Leser in das Die traditionelle Art des Gedichtschreibens geschieht in zweierlei Tempo ihrer freien und dynmanischen Vorstellung hinein, und lassen Hinsicht in der ‚väterlichen Ordnung‘: Einerseits beinhaltet sie die sie sie fühlen. Gewalttätigkeit des Blickes und die subjektivistische Weltanschauung. Wie aber kann man die Sprachbarriere und die Realität, die schon seit Andererseits existiert sie schon als eine feste Größe. Die dichterische langem durch die Ordnung der Vatersymbolik funktioniert, Welt KIM Hyesoons ist völlig frei von dieser Art. Die Dichterin strebt durchbrechen und das Schreiben der ,Weiblichkeit- Mütterlichkeit‘ nach einer Poetik des ‚Körpers‘, die sich von der Gewalttätigkeit des erlangen? Um dies zu erreichen, erforscht KIM Hyesoon alles, was das Blickes, nämlich der einseitigen Sinngebung des Gegenstandes durch das Ich gefangen hält und definiert auch all die zerstörerischen und Subjekt, befreit. Dieses wird durch die Themen der Gedichte, den aggressiven Vorstellungen über das Ich, welches in ihnen gefangen Ausdruck, die Vorstellungskraft sowie die Struktur der Gedichte bleibt. Dieses zeigt sich in ihrer Vorstellung von Selbstverletzung und im verwirklicht. Ihre Gedichte unterscheiden sich grundsätzlich von denen Bruch der normalen Sätze. Eine Methode, die den in der Realität anderer Dichter, weil ihr Ausgangspunkt die Weiblichkeit- abgerichteten Körper und den Körper (die Sprache) des Gedichtes Mütterlichkeit ist. Da die Tradition des ‚Gedichtes der Weiblichkeit‘ zerlegt, um ihn neu zu konstruieren. KIM Hyesoon kombiniert eine überhaupt nicht existiert, ist ihre Erschließung überraschend und aggressive Vorstellung mit ihrer eigentümlichen 2 3 LiteraTOUR Korea KIM Hyesoon Wahrnehmungsfähigkeit der Sprache, die den Humor, den Witz und Doppelspiegelung, die sich immerfort widerspiegelnde Ebenen schafft. das Wortspiel meisterhaft beherrscht. Durch diese Kombination werden Als ob der großstädtische Raum wie ein großer Spiegel, ein großer die zerstörerischen und schockierenden Bilder gemildert und sie erhalten Körperraum, gleich meinem Körperraum wäre, treten in ihren sogar heitere, freie und dynamische Züge. Selbst die Anstrengung, die Gedichten die Vergrößerung des Körpers und die verdoppelte Struktur von der negativen Realität entfliehen will und die tragische in Erscheinung. KIM Hyesoons Vorstellungen über den Körper Unmöglichkeit des Entfliehens, die als das Glas symbolisiert wird, das entstehen aus ihrem Verständnis von der ‚Weiblichkeit- Mütterlichkeit‘. immer dicker wird, je stärker man daran klopft, gewinnen durch ihren Ihrer Ansicht nach ist die Mutter ein Wesen, das das Kind gebärt und flüssigen, schönen und witzigen Stil Heiterkeit und Flexibilität. ernährt. Bei diesem Ablauf der Versorgung durchlebt eine Frau Ihr Angriff auf den Körper und die Sprache sowie die Demontage der verschiedene Identitäten als Kind, junge Frau und Mutter und wird mit beiden war für sie ein Übergangsritual, um körperlich und sprachlich sich selbst konfrontiert. KIM Hyesoon konkretisiert die weiblichen neu geboren zu werden. Aber die Demontage ihres eigenen Körpers und ,Erlebnisse-Weiblichkeit‘, nämlich die Häufung und Koexistenz von ihrer Sprache gefährdet auch die minimale Basis ihrer eigenen Existenz verschiedenen ,Ichs‘ im ,Ich‘ in Inhalt und Form ihrer Gedichte. als Dichterin. Daher beginnt KIM Hyesoon, ein neues Ich und eine KIM Hyesoon betritt das neue Terrain ‚des Gedichts der Weiblichkeit‘, neue Sprache zu konstruieren - ,das Dichten im Namen der Mutter‘ -, das in der koreanischen Tradition bis dahin nicht existierte. Ihre anstatt nur Zerstörung und Selbstverletzung weiter zu betreiben. Gedichte, die keinen Vergleich kennen, zeigen originelle Vorstellungen ,Weiblichkeit- Mütterlichkeit‘ bedeutet für sie‚ ,das Verbinden mit den und Sprache und sind sogar intelligenter als alle Theorien. Sie ist Anderen‘. Frauen sind die Wesen, die in ihrem Körper Raum für einen einzigartig in der modernen koreanischen Lyrik. Anderen haben. Dies erlaubt es auch dem Anderen, den Platz einzunehmen. So erleben Frauen mit dem Anderen eins zu werden, erkennen ihn als ein ebenwürdiges Subjekt an und lieben. ‚Das Gedicht der Weiblichkeit’ von KIM Hyesoon ist die dichterische Verwirklichung dieser Körperlichkeit der Frauen. „Erst wenn ich das Gefühl habe, mich mit diesem und jenem nicht als Gegenstand der Beobachtung, sondern körperlich zu verbinden, kann ich darüber Gedichte schreiben. Der dichterische Gegenstand ist nicht als eine Existenz von außen anzusehen, da er selbst auch eine innere Seite hat und ich eine innere und äußere Seite habe. Erst wenn ich irgendwie mit ihm in Berührung komme und mich verbinde, dann wird er für mich ein dichterischer Gegenstand“. Wie die Dichterin selbst darüber sagt, wird die Dichotomie von Außen und Innen aufgelöst. Die Struktur ihrer Gedichte, die der Möbiusschleife gleicht, wird immer erweitert und verinnerlicht, und dadurch gewinnt sie Tiefe, so wie eine 4 5 Gedichte LiteraTOUR Korea KIM Hyesoon Die blutige Uhr In meiner Brust tickt eine Uhr sie hat sich ihr ganzes Leben lang noch nie ausgeruht Eine Uhr, die Blut isst und Blut ausscheidet Von ihr breiten sich rote Stämme mit ausgestreckten Ästen über den ganzen Körper aus wie nackte Zweige des Winterefeus die die Zementuhr auf dem Turm umschlingen In der Pupille Deine Uhr konnte ich noch nie Wie wenn jemand Sand ins endlose Meer läuten lassen, und keiner meiner Pupille schaufelt, einmal und zweimal berührt meine Uhr aus blutigem Fleisch das Augenlid herunterzieht Wird auch diese grausame Uhr nachdenklich sein? Wer brachte mir wohl bei, Im Meer fließt das Wasser vom Bergfuß zum Berggipfel hin dass ein Jahrhundert kurz, aber ein Tag lang sei? Geschuppte Vögel fliegen tief Tief ins Tal Mal starrte ich auf die Sonnenuhr und wurde ohnmächtig Die Tiefe wird hoch und mal warf ich meinen Körper mit der Uhr in das Meer Die Höhe wird tief Doch kein Schreck, keine Liebe konnte diese Uhr anhalten In der Dämmerung kommen meine verstorbenen Großmütter Wir drei aus der Familie, deren Uhren Zünden an unseren Füßen Licht an zu unterschiedlichen Zeiten begonnen haben zu ticken Die Wolken schweben unter den Füßen sitzen um den Esstisch und füttern schweigend unsere Uhren Die Menschen blicken durch Fenster im Boden Keiner von uns legte die Uhr ab und Stellte sie auf den Esstisch. Noch nicht Die Väter legen Eier im Wind Die Mütter pflegen ihre Kinder auf den Ästen Ah, aus Leibeskräften schreie ich in dein Ohr: Dort schöpft man fleißig aus Gebirgen Land Ich liebe dich Schöpft den Mond aus Damit deine Uhr es hört und läutet In meinem endlosen Meer, in dieser Tiefe schreie ich Verbirgt sich eine merkwürdig verkehrte Welt Sind aber meine Worte, dass ich dich liebe, und 6 7 LiteraTOUR Korea KIM Hyesoon Deine tickenden Worte nachmittags um drei Uhr weil sie ständig nachwachsen Dass du mich liebst, wirklich? Eine Ratte, die sich unter knarrenden Fußbodendielen versteckt Wir waren noch nie bis zu unseren Uhren vorgedrungen zwischen den zehn Zehen und im Schädel, am dunkelsten Ort in Draußen vor der Uhr zieht Wind auf meinem Körper, wo kein Lichtstrahl eindringen kann da rascheln die roten Zweige des Winterefeus Eine Ratte, die seit Jahrzehnten in meinem Körper ihre Zähne wetzt in meinem Körper und zittern im Wind um zehn Finger Abzubeißen In meinen Augen sammeln sich Tränen Kannst du für einen Augenblick den Zeiger meiner Uhr anhalten? in dieser Nacht Kannst du diese Uhr ohne Zeiger in deine Arme schließen? Lege ich mein Ohr an deine Brust hallt das Pochen der blutigen Uhr, die von selbst weiter rennt Fegefeuer genau nach der Zeit. Am Strand hinter dem Stadttor trank ich mittags Alkohol und kehrte heim In dieser Nacht Schlief ich danach bis in die Nacht hinein? Ich öffne und schließe die Augen, noch immer ist Finsternis Eine Ratte nagt an einem weißen Hasen, der in den Schlaf fiel Wo ist die Gegenwart Aus dem Hasenstall quillt dunkles Blut Die Gegenwart ist wie die Welt im Spiegel Eine Ratte nagt an einem Ferkel, das in den Futtertrog fiel das Licht dunkel, die Dunkelheit schimmernd wie Samt Eine Ratte nagt an einem Neugeborenen, das in der Wiege liegt Das Meer draußen vor dem düsteren Fenster ist heller Die Mutter des Kindes ging ins Restaurant zum Abwaschen als ein silbernes Tablett Im Körper der frischen Leiche, die soeben begraben wurde Schwarz ist die Sonne und schwarz sind auch die Sterne Geht eine Ratte ein und aus Die Menschen hier beginnen das Leben mit dem Tod und schließen es mit der Geburt ab Eine Ratte, die noch nie etwas aß, was nicht gestohlen war Ich lag auf irgendeiner Stelle zwischen Tod und Leben Eine Ratte, die mitten im Fressen schon beim leisesten Geräusch und brachte die Müdigkeit hinter mich ihren Schwanz kringelt Wo ist die Gegenwart Eine Ratte, die sich hinter einer Überwachungskamera versteckt und Das Fegefeuer ist etwas, das in meinen Körper eindringt jede Nacht unser Liebesleben beäugt und seine Augen öffnet Eine Ratte, die sich brüstet, alle Evolutionsvorgänge der Als ich im Körper die Augen öffne, schwebt in meinem Kopf Jahrhunderte durchlebt zu haben, aber täglich ihre Zähne abschleifen ein dunkler Abgrund muss Ein Vulkan, der die Dunkelheit einsaugt 8 9 LiteraTOUR Korea KIM Hyesoon stürzt in der Nähe des Herzens ein und werden über den Zweigen ausgeschüttet Ich strecke die Hand aus und berühre die Wand In der Luft blühen auf einmal rosa Blüten Die Wand hält die glitschigen Innereien in einem Gefäß aus schwarzen Knochen Ein rosa Blütenbaum reinigt die Luft und liegt schräg auf der Seite Dort, wo es den ganzen Winter kahl war Diese Wand besitzt Geheimnisse wie ein Sack gefüllt mit Zeit wird nun einige Tage gründlich geputzt der unendlich viele Zeitraffer geschluckt hat Die Frauen mit den Wasserkrügen strecken Stiele in die Luft mit Mit letzter Kraft stehe ich auf und drücke den Schalter rosa Lumpen Als das Licht zuerst im Mund angeht schrumpft das Fegefeuer, in dem das Licht dunkel die Dunkelheit hell ist, im Inneren des Körpers zusammen Eine Art Roman, in dem ich alle Figuren bin 1 Ich trage alle Äußere in meinem Körper blicke in der Welt außerhalb des Spiegels umher Ich könnte eine Schule bauen und zwar eine, in der ich selbst alle Nochmals, wo ist die Gegenwart Schülerinnen bin. Eine Schule, in der etwa das fünfzigjährige Ich und das vierzigjährige Ich die beiden Enden des Springseils festhalten, und das zehnjährige Ich hüpft. Zum Beispiel. Das jetzige Ich kann sowohl Rosa Lumpen dem Ich in den Windeln ‚Alle meine Entchen’ beibringen, als auch dem Ich der Schülerin der Mittelstufe den korrekten Gebrauch der In den Schößen der Frauen, die Wasserkrüge tragen Damenbinden zeigen. Vielleicht könnte das Zehnjährige Ich, wer weiß, möchte ich mich verstecken das sechzigjährige Ich ernsthaft über ‚das Leben ist...’ zu belehren In den Schößen der Frauen, die dort unten vom Brunnen aus anfangen. Außerdem könnte ich wiederum einem Roman schreiben, in mit Wasser vollgefüllte Krüge den Hügel hinauftragen dem ich alle möglichen Figuren darstelle. Ich könnte einen Roman möchte ich ruhen erfinden, in dem das neunzehnjährige Ich, das sich wegen des gebrochenen Herzens das Insektengift besorgt hatte, und das Unter dem Baum dort, der Nahrung aus dem Boden holt zwanzigjährige Ich, das dem Mann zugeschaut hat, wie er mit einer Axt und in die Äste und Zweige pumpt gegen unsere Hausmauer schlug, weil ich ihm gesagt hatte, ich mag dich und der eine Schar von Frauen umarmt nicht, zusammen vorkommen. Wie wäre es mit so einem Roman? In möchte ich liegen und die Schöße der Frauen berühren dem meine Mutter für das zehnjährige Ich und das sechzigjährige Ich Fischgeruch breitet sich aus einen gemeinsamen Tisch deckt. Ich meine damit einen solchen Roman, worin das Ich vor der Heirat das jetzige Ich, das in einem Park sitzt, Alle Treppen sind erklommen ohrfeigt und das siebzigjährige Ich das Ich tröstet, das gerade geohrfeigt Die Wasserkrüge können nirgendwohin wurde. 10 11 LiteraTOUR Korea KIM Hyesoon Eine Parkbank bei Mitternacht ohne brennendes Licht Ich öffne gerade die Tasche Die ganze Nacht lang saß ich da und wärmte mich am Feuer meiner Ein Jahr mit dreihundertfünfundsechzig Tagen mal drei Ichs Der Tischdienst wurde mir überdrüssig, so lief ich heute Nacht von Vor allem an dem jüngsten von ihnen, das an der Brust der Mutter zu Hause weg trinkt, wärmte ich mich am längsten jammernd wie ein Hausmädchen in der Pubertät Ich tastete aber auch die faltigen Brüste des siebzigjährigen Ichs ab Als ich unbedacht die Tasche öffnete Unter dem Vollmond war das Fortlaufen aus dem Haus im Winter trafen sich gleichzeitig die zahlreichen Ichs mit dem Ich, das nach behaglich dem Fortlaufen aus dem Haus in der Kälte zittert Als ob man einen Ofen umarmte, der sich allmählich abkühlt Schau mal hin, hoch über der Schaukel schwebt da nicht mein Kopf der aus meiner Tasche kam? Eine Art Roman, in dem ich alle Figuren bin 3 Auf der Brust trage ich ein besticktes Taschentuch Aus Angst vor dem Gesicht Buddhas entfloh ich aus dem Jede Nacht beim Einschlafen Pogyodang-Kindergarten umarme ich ein ungeborenes Kind Nein, ich habe nicht richtig hingeschaut, das ist noch ein paar Jahre Weder ein Gesicht noch einen Namen trägt das Ich später Um das Kind nicht zu wecken, spreche ich leise: Es war damals, als ich in einen Brunnen ohne Wasser fiel und schrie „Die Erkältung, die es seit dem letzten Jahr hat, heilt nicht“ Schau mal hin, mit einem eben gekauften Gebäck in der Hand laufe Ich gehe in das Kind hinein ich dort wieder an den Straßenlaternen vorbei das seit der Geburt nicht mal um eine Fußlänge gewachsen ist Heimlich vor dem Großvater stahl ich Münzen aus dem Geldschrank Ein bläuliches Kind Unter den Füßen dort in der Wassergrube krabbelt ein nacktes Noch nicht ‚Ich’ ist das Kind niedliches Ich zwischen meinen Knien Weder gelb noch älteste Tochter und Ai, dai, komm her, Kind, ich still dich mit meiner leckeren Milch Vor allem nicht Kim Hyesoon Das siebzigjährige Ich bemüht sich das vierzigjährige Ich zu trösten ist das Kind dabei pustet es immer wieder in das Laub der Baumalleen Mit kräftigem Stoß gegen die Erde emporgeschnellt Seine weißen Haare sind völlig aufgelöst und an der Stirm perlen Immer noch ein junger Stern, ein blauer Funken, das Kind Schweißtropfen Im Bauch meiner Mutter die Augen noch nicht offen, das Kind Meine Großmütter, die aus meinem Körper kamen, und meine Nach meinem Tod wird es noch am Leben sein, das Kind Töchter steigen als Monde und Sterne zum Himmer auf Zwischen den einzelnen Blättern wurden sie als Wind weggeblasen 12 13 Stimmen der Dichterin und der Kritik Jede Nacht beim Einschlafen umarmt ein alter Mensch mich Am Tage schläft er und in der Nacht ist er wach und umarmt mich Zwischen jeder Falte seiner Haut wie Mutterkuchen beherbergt dieser widerwärtige Mensch den Tod Mitten in der Nacht umarmt er mich und schaut herab Er kommt in mich hinein In seinem Gesicht verlebte die Erde bereits ihre Zeit In den endlos herabhängenden Brüsten flossen Frühling, Sommer, Herbst und Winter millionenfach Der Körper ist zwar höchst realistisch in ihren Gedichten, aber auch ein Die Gebirgsketten haben schon ihre eigenen Rhythmen ausgespielt höchst unrealistischer offener Raum - ein überall gelöcherter Körper. Sein Name ist wie sein Gesicht zerfallen, der alte Mensch Augen und Ohren sind die Löcher, durch die dieser Körper Zugänge zu Zu alt, ein kleines Kind zu sein, der alte Mensch den Dingen der Wirklichkeit hat. Jede Fantasie ihrer Gedichte erblüht Erst wenn ich sterbe, wird auch er gestorben sein, der alte Mensch aus ihrem Körper, und daher hat die Fantasie nicht ideelle sondern der mich umklammert hält völlig körperliche Eigenschaften. Aus diesem Grund sind ihre Gedichte Wie drei Löffel sind wir aufeinander gelegt und fantastisch und gleichzeitig realistisch. drehen das Gesicht auf dem Kopfkissen gemeinsam um - M UN Hye-Won, H ineingehe n in die überall ge löcherten Gedichte , in Der gut g ereif te Apfe l Ich fürchte mich, ich fürchte mich Mal, in der Mitte eingeklemmt Derjenige, der von dem Gedicht, dem schicksalhaften Getriebensein knirscht das Ich, über vierzig, mit den Zähnen gefangen genommen ist, braucht ein lang andauerndes Beschwörungsritual, bis das Gedicht meine Existenz total ausgesaugt hat. Viele haben sich über mich lustig gemacht, nachdem ich bei einer Gesprächsrunde gesagt habe: ein Dichter ist den ganzen Tag, vierundzwanzig Stunden lang Dichter (dies bedeutet nur, er lebt in einem anderen Rhythmus als dem des Alltages). Ich entdeckte aber beim Lesen einmal zufällig, dass auch Jorge Luis Borges so etwas gesagt hatte. -KIM Hyesoon Nach meiner Erfahrung besteht das ‚Ich’ im subjektivsten Moment aus sehr vielen Personen. Einschließlich einer Frau, einer Mutter, einer Sammelband: [Die Frau im Wolkenschloss] Bielefeld: Pendragon 2001 14 Professorin und so weiter springen die unzähligen Ichs, die ich selbst nicht mehr kenne, im subjektivsten Moment aus mir gemeinsam heraus, 15 LiteraTOUR Korea KIM Hyesoon und weil dies so ist, spüre ich das Verlangen, von allen gleichzeitig zu vielfältigen Methoden, die sie als feministische Dichterin anwendet, den reden. Anders ausgedrückt, wir gehen an Weihnachten in die Kirche. Logos-Zentralismus, der die symbolische Ordnung der Väter bildet, zu Man könnte meinen, bei einer solchen Gelegenheit existiert nur ein prüfen, zu verspotten und auseinander zu nehmen. frommes Ich. Aber in Wirklichkeit springen da meine unrettbar - KIM Seung-Hee verdorbenen Ichs aus mir heraus. In Gedichten zeige ich gleichzeitig die Ichs, die einander so fremd und feindselig sind. Die Art der Offenbarung von KIM Hyesoons Gedichten liegt im - KIM Hyesoon Wesentlichen in der Aussendung der in Bildern umgewandelten Melodien, die im Körper gefangen geblieben und verrückt geworden Trotz der Dominanz des Negativen, die ihre Gedichte ausstrahlen, wird sind. Also die Verbildlichung des Klanglichen. Was hier mit der Ton von Elastizität und Heiterkeit begleitet, die von Tragik weit Klanglichem gemeint ist, ist nicht ein physikalischer Klang, sondern entfernt ist. Sie betont und zeigt uns das Fürchterliche der Welt, aber etwas, was zwar klar existiert, aber schwer zu begreifen ist. Zum Beispiel stürzt nicht darein, sondern drückt es mit ihrer spezifischen, eine Verrücktheit, die den Körper erfasst, aber deren Grund man nicht hochsensiblen Sprache aus und gewinnt dadurch Lebendigkeit. Anstatt kennt. Wenn so etwas seine Gestalt im Körper zeigt, erscheint es im von dem Gewicht der Realität überwältigt zu werden, geht sie einen Traum, vor allem in einem bösen Traum. Die meisten Gedichte von Schritt zurück, transformiert sie, verdreht sie absichtlich und eröffnet KIM Hyesoon laufen wie ein Film, als ob der böse Traum in der tief uns damit eine neue Möglichkeit, sie mit anderen Augen zu sehen. fesselnden Nacht im dunklen Kino auf die helle Leinwand der Fantasie Dieses hat mit ihrer starken Lust auf Spielen zu tun, die ihre Gedichte ausgestrahlt werden würde. Selbst am Tag träumt sie ununterbrochen durchströmt. Die Dichterin beherrscht meisterhaft Witz, Humor, böse Träume. Übertreibungen und Wortspiele und bremst somit den Lauf des - YI In-Seong, Sie, Yona’s rote Fantasie, Kritik über Ein Schälchen roter Spiegel Gedichts, der geradewegs zu extremer Verzweiflung hinführen könnte. - NAM Jin-Woo, Furchterregendes Spiel - Die Gedichtswelt von KIM Hyesoon in Unsere Negative KIM Hyesoons spezifische Eigenschaft besteht aus der freien und dynamischen Sprache und dem Tempo ihrer Vorstellungskraft. <…> Ihre Gedichte zeigen uns karnevalesken schwarzen Humor gegen den beherrschenden Diskurs; aber auch lustigen Schamanentanz, bei dem sich all die surrealistischen, irrealen und realen Hybriden wie in einem Eintopf treffen und gegeneinander und füreinander spielen. In ihren Gedichten stellt sie durch die Verwendung von Umgangssprache, Parodie und Lyrik den Zeitgeist, die Wirklichkeit der Frauen und das Innenleben des heutigen Menschen dar. Ausgezeichnet sind ihre 16 [Mitleidige Liebesmaschine] Seoul: Moonhak Kwa Jisung Sa 1997 17 LiteraTOUR Korea KIM Hyesoon Biographie 25 Jahren acht Gedichtbände. In ihrer Gedichtswelt, in der Elastizität, Lebendigkeit und Anspannungen genauso wie ihre explosiven Schaffenskräfte überquellen, präsentiert sie die breiteste und tiefste Form aus ungezwungen Vorstellungen und freiem Stil. Sie ist Professorin an der Seoul- Fachhochschule für Künste im Fach Literatur und Preisträgerin von verschiedenen Literaturpreisen: KimsooyeongLiteraturpreis (1997), Hyundaeshi (Modernes Gedicht)-Werkpreis (2000), Sowol-Literaturpreis (2001). KIM Hyesoon ist 1955 in Uljin in der Provinz Kyeongbuk geboren. Die Eltern waren Lehrer. Da Lehrkräfte nach einer bestimmen Anzahl von Dienstjahren regelmäßig an andere Ort versetzt wurden, wurde das kleine Mädchen den Großeltern mütterlicherseits anvertraut. Das Lesen in der kleinen Bibliothek des Großvaters, eines leidenschaftlichen Lesers, war das Einzige, was sie als Kind im Leben mit den zwei Greisen machen konnte. Sie litt lange an der tuberkulösen Pleuritis. Die Grundschuljahre verbrachte sie, indem sie häufig im Zimmer des oberen Stockes lag und den zwischen den Weinblättern schimmernden Sonnenschein am Fenster beobachtete. Dabei musste sie zusehen, wie der Eiter unter ihren Rippen mit einer Spritze herausgesaugt wurde. Diese Erfahrungen waren ihre archetypischen Erlebnisse von Einsamkeit und Tod. In der Schulzeit las sie viele Gedichte, aber das Dichten begann sie erst während des Studiums. Als ihr erstes Gedicht 1977 mit dem ersten Preis bei einem Literaturwettbewerb für Studierende gewürdigt wurde, dachte sie, vor der Gedichtswelt brauche sie nun keine Angst mehr zu haben. Von diesem Zeitpunkt an entluden sich ihre eingesperrten Talente. 1978 gewann sie noch als Studentin den begehrten Literaturpreis des Donga-Frühjahrswettbewerbs im Genre Kritik. Ein Jahr nach ihrem Debüt als Kritikerin veröffentlichte sie Gedichte in der Zeitschrift Moonhak Kwa Jisung Sa (Literatur und Intellekt). Nach ihrem Debüt legte KIM Hyesoon eine fruchtbare Schaffenskraft an den Tag und veröffentlichte in einer Zeitspanne von 18 Bibliographie Gedichte INHALT [Auf einem noch anderen Stern] Seoul: Moonhak Kwa Jisung Sa 1981 1 Über die literarische Welt von KIM Hyesoon: [Der von Vater gebaute Strohmann] Ihre Vorstellungskraft und die Geschwindigkeit der Sprache, Seoul: Moonhak Kwa Jisung Sa 1985 die den Leser entwaffnen [Die Hölle eines Sterns] Seoul: Moonhak Kwa Jisung Sa 1988 2 Gedichte [Unsere Negative] Seoul: Moonhak Kwa Jisung Sa 1990 3 Stimmen der Dichterin und der Kritik [Mein Upanisad, Seoul] Seoul: Moonhak Kwa Jisung Sa 1994 4 Biographie [Mitleidige Liebesmaschine] Seoul: Moonhak Kwa Jisung Sa 1997 5 Bibliographie [Bitte, Herr Fabrikant einer Kalenderfabrik] Seoul: Moonhak Kwa Jisung Sa 2000 [Ein Schälchen roter Spiegel] Seoul: Moonhak Kwa Jisung Sa 2004 Prosa [Inka im Herzen]/Märchen Seoul: Hanyang 1996 [Die brodelnde Liebe]/Reiseberichte Seoul: Hakgose 1997 [Der tief fliegende Vogel sieht genauer]/Fabel Seoul: Cheknamu 1991 Übersetzung Sammelband: [Die Frau im Wolkenschloss] Bielefeld: Pendragon 2001 20 IMPRINT photographer HAN younghee writer LEE Soojong translater KANG Yeo-Kyu