Kinderunfälle
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Kinderunfälle
Zeitschriftenreview Vol. 23 Nr. 5 2012 Kinderunfälle von Vergiftungen im Kindesalter in Australien, Kanada, Neuseeland, in den USA, in der EU, aber nicht in der Schweiz … Olivier Reinberg, Lausanne Übersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds Kindliche Todesfälle durch toxische Produkte Die Verantwortlichen des US National Poison Center Database System (NPDS) haben drei Kinderärzte damit beauftragt, die Details von Vergiftungsfällen mit tödlichem Ausgang bei Kindern unter 18 Jahren zu untersuchen, die sich während einem Jahr, vom 1.1.2010 bis 31.12.2010, ereigneten. Von 74 Fällen betreffen 63% (46 Fälle) Kinder unter 6 Jahren und sind Unfälle. Von den 28 Vergiftungen bei über 6-Jährigen waren 13 Suizide, die übrigen 15 Folge von Missbrauch verschiedenster Substanzen. Die Autoren präzisieren, dass es sich bei zwei Jugendlichen, die an der Inhalation von toxischen Substanzen starben, um Missbrauch und nicht um einen Freitod handelte. Die detaillierte Analyse der Todesfälle von unter 6-jährigen Kindern ergibt: • 2 Fälle von Überdosierung mit dem Antiarrhythmikum Flecanid, das im Kühlschrank ohne Sicherheitsvorkehrungen aufbewahrt wurde (speziell für Kinder hergestelltes Präparat). • 2 Fälle massiver Kohlenmonoxydvergiftung durch Verwendung von Kerzen aus Zitronenmelisse oder Fackeln (die Autoren setzen sich weiterhin für deren Verbot in den USA ein). • 4 Behandlungsfehler bei Kindern mit komplexen Krankheiten und Mehrfachbehandlung, in 2 Fällen durch fehlerhaften Verabreichungsmodus. • 3 Fälle von bewiesener Tötung; wahrscheinlich aber noch mehr Fälle, bei denen jedoch der Beweis der boshaften Absicht nicht erbracht werden konnte. Die Fälle willentlicher Vergiftungen, sei es durch Missbrauchs toxischer Substanzen oder in suizidaler Absicht, werden im Rahmen der Unfallprävention nicht berücksichtigt. In den meisten toxikologischen Zentren werden die verursachenden Substanzen, die Dosis, das Alter und das Geschlecht der Kinder registriert. Die Autoren betonen die Notwendigkeit, in diese Evaluierung auch die Umstände (gab es z. B. einen Sicherheitsverschluss?) miteinzubeziehen und dass Vergiftungen auch die Folge von Misshandlung sein können. Kommentar Referenz Calello DP, Marcus SM, Lowry J. 2010 Pediatric fatality review of the national poison center database: Results and recommendations. Clin Toxicol 2012; 50 (1): 25–26. Studienzentrum: New Jersey Poison and Information System, New Jersey Medical School Department of Preventive Medicine, USA. Kindersitze und «Mitnehmen» von Kindern (carpooling) Schon 1991 hob das schweizerische ToxZentrum in seinem zum 25-jährigen Bestehen verfassten Bericht hervor, dass Vergiftungen durch Medikamente bei Kindern überrepräsentiert sind. Und schon 1989 haben wir die Behörden im Bericht an die Commission de Pédiatrie des waadtländer Staatsrates auf das Problem der Vergiftungen im Kindesalter hingewiesen. Sie kommen durch drei Umstände zustande: 1.Schweizer Haushalte verfügen im allgemeinen über eine Hausapotheke, die für Vergiftungen verantwortlichen Medikamente sind jedoch auf dem Küchen- oder Nachttisch erreichbar. 2.Bei Vergiftungen durch chemische Produkte befanden sich diese meistens unter dem Spülbecken in einem Gefäss ohne Sicherheitsverschluss. Gefährliche Produkte werden weiterhin unter dem Spülbecken und nicht in der Höhe aufbewahrt. 3.In der Schweiz fehlt immer noch eine Gesetzgebung betreffend Sicherheitspackungen. Die UNICEF hat in 26 OECD*-Ländern eine Studie zur Anwendung von 6 Massnahmen durchgeführt, die sich statistisch als wirkungsvoll erwiesen haben und in den imposanten, 2009 verfassten Bericht der WHO zur Prävention von Unfällen im Kindesalter aufgenommen wurden. Nur 3 Länder haben in mindestens 5 der 6 Bereiche Gesetze erlassen (USA, Kanada, Australien). In der Schweiz bestehen gesetzliche Vorschriften einzig betreffend Sicherheitsvorrichtungen in Kraftfahrzeugen. Es gibt Normen betreffend Sicherheitspackungen zur Vorbeugung *Organisation for Economic Cooperation and Development 48 Die Autoren dieser Studie haben sich für ein Thema interessiert, das als ein Detail erscheinen mag, aber ein echtes Gesellschaftsproblem darstellt. Zahlreiche Familien nehmen die Kinder von Nachbarn in ihrem Fahrzeug mit, um sie zur Schule oder zu einer Freizeitbeschäftigung zu begleiten (carpooling). Wie steht es in diesen Situationen um die Sicherheit der Kinder? Die Autoren erkundigten sich bei 1612 Eltern von 4- bis 8-jährigen Kindern. Im eigenen Fahrzeug setzen sie die Kinder in 76% der Fälle in den Kindersitz. Andernfalls verwenden sie in 74% der Fälle einen Sitzerhöher und den Sicherheitsgurt. Sie geben zu, dies umso eher zu tun, als das Kind jung ist und/ oder die Gesetzgebung des betreffenden Staates gegenüber dem Nichtbeachten dieser Sicherheitsmassnahmen streng ist. Wenn sie Kinder anderer Familien mitnehmen, setzen 55% in erster Linie die eigenen Kinder in den Sicherheitssitz, 79% jedoch verlangen systematisch vom fremden Fahrer, dass er ihr Kind in den Sicherheitssitz setzt, obwohl nicht genügend solche Sitze für alle mitfahrenden Kinder vorhanden sind. Dieser Artikel hebt eine bisher vernachlässigte Problematik hervor: Wie geht man mit dem Transport von Kindern anderer Familien um? Es geht klar hervor, dass diese mehr und mehr verbreitete Gewohnheit dazu führt, dass bei gemeinsamen Autofahrten Kinder häufig nicht über geeignete Sicherheitsvorrichtungen verfügen. Anmerkung (O. Reinberg): Dieser Artikel stammt immerhin aus einem Land, in welchem das System Latch (Isofix in Europa) die Norm ist. Dieses sehr sichere Befestiguns- Zeitschriftenreview Vol. 23 Nr. 5 2012 system erlaubt es, Kindersitze leicht von einem Auto ins andere zu bringen. In Nordamerika sind alle Fahrzeuge damit ausgerüstet, während diese Vorrichtung in Europa noch allzu oft nur eine Option ist. So sind beispielsweise 100% der von den zwei grös sten Marken in den USA und Kanada verkauften Kindersitzmodelle mit Latch (Isofix) ausgerüstet, während dies nur für 30% bzw. 16% der in der Schweiz verkauften Modelle der gleichen Marken der Fall ist (2011). sie sportliche Leistungen verbessern. Es wurden die Antworten von 9417 Fragebogen ausgewertet. Auf Grund der erhaltenen Antworten kommen die Autoren zum Schluss, dass 1.2 Millionen Kinder und Jugendliche (1.7% der Bevölkerung) zu Substanzen greifen, die angeblich ihre sportlichen Leistungen verbessern sollen. Allerdings muss diese Zahl den 44 Millionen Kinder und Jugendlichen, die in den USA in Sportvereinen eingeschrieben sind, gegenübergestellt werden. Das Problem ist deshalb in Europa sicher noch gravierender, wurde aber bisher nie untersucht. Die am häufigsten verwendeten Produkte sind Multivitaminkomplexe und Kombinationspräparate aus Mineralstoffen, die alleine 94% ausmachen. Es folgen Fischöle/Omega 3- und andere Fettsäuren, Kreatin und pflanzliche Fasern. Knaben sind doppelt so häufig Verbraucher wie Mädchen; sie sind eher weisshäutig. Das mittlere Alter der Verbraucher war 10.8 Jahre (!!!), 58% waren über 10-jährig. Menge und Anzahl Substanzen nehmen mit zunehmendem Alter zu. Die meisten Kinder waren in den USA geboren und lebten bei den Eltern. Eltern und Kinder waren davon überzeugt, dass die Einnahme dieser Produkte einen sportlichen Vorteil bietet. Es wurde keine demographische oder sozio-ökonomische Variable festgestellt. Referenz Macy ML, Clark SJ, Freed GL, Butchart AT, Singer DC, Sasson C, Meurer WJ, Davis MM. Carpooling and Booster Seats: A National Survey of Parents. Pediatrics 2012; 129: 290–8. Studienzentrum: Department of Pediatrics, Department of Emergency Medicine, University of Michigan, Ann Arbor, MI, USA. Verwendung von Produkten, die sportliche Leistungen bei Kindern und Jugendlichen verbessern sollen: Ergebnisse einer nationalen US-Studie. Gewisse Nahrungsmittelzusätze sollen sportliche Leistungen verbessern. Dies wurde für das Kindes- und Jugendlichenalter jedoch nie untersucht und nie bewiesen. Trotzdem handelt es sich um einen lukrativen Handel. Im Jahr 2005 hat die American Academy of Pediatrics (AAP) eindeutig gegen diese Praktiken Stellung bezogen und «verurteilt energisch die Verwendung von Substanzen zur Verbesserung sportlicher Leistungen von Kindern und Jugendlichen und unterstützt alle Anstrengungen, die zur Ausmerzung solcher Praktiken führen.» Zweck dieser durch den National Health Interview Survey (NHIS) angeordneten Untersuchung war es, festzustellen, wieviele Kinder und Jugendliche trotzdem zu diesen Mitteln greifen. Die Studie gründet auf den durch die Kinder (< 10 Jahre) und Jugendlichen (< 18 Jahre) selbst oder deren Eltern gegebenen Auskünfte. Die Autoren haben alle in den 30 der Befragung vorangehenden Tagen eingenommenen Kräuter, Vitamine, Mineralstoffe, Proteine und anderen Nahrungszusätze erfasst, von denen die Benutzer glaubten, dass Diese Studie ist insofern interessant, als sie nach Ansicht der Autoren zeigt, dass «die Mehrheit der Sport treibenden Kinder und Jugendlichen in den USA keine Produkte zu sich nehmen.» Die Autoren sorgen sich jedoch um jene, die es tun, darum, dass diese oft sehr jung damit beginnen, dass sie mehr und mehr Substanzen und in zunehmend grösseren Mengen zu sich nehmen und befürchten schliesslich, dass sie zu immer gefährlicheren Substanzen übergehen. Den Autoren sind sich der Schwächen ihrer Studie bewusst: So wissen sie nicht, wieviele der Teilnehmer Wettkampfsportler sind. Da die Studie nur auf Nahrungsmittelzusätze ausgerichtet war, wissen sie auch nicht, ob die Studienteilnehmer daneben andere Substanzen eingenommen haben. Es wäre auch interessant, die Essgewohnheiten der Kinder und Jugendlichen zu kennen, die angeben, dass sie keine Nahrungszusätze verwenden. Referenz Evans MW, Ndetan H, Perko M, Williams R, Walker C. Dietary Supplement Use by Children and Adolescents in the United States to Enhance Sport Performance: Results of the 49 National Health Interview Survey. J Prim Prev 2012; 33 (1): 3–12. Studienzentrum: Texas Chiropractic College, Pasadena, TX, USA. Sicherheitbarrieren? Eine originelle Studie, welche die Fähigkeit von Kindern, eine Barriere zu übersteigen, untersucht. Die Studie ist sehr konzentriert und es wurden zahlreiche Parameter untersucht: 33 3- bis 6-jährige Kinder wurden eingeladen (unter Aufsicht!) verschiedenartige Barrieren zu übersteigen: eine 110 cm hohe und 2 cm dicke Holzplatte, eine 150 cm hohe und 2 cm dicke Holzplatte, eine Barriere bestehend aus einem 50 cm hohen unteren, gefüllten Teil (um das Klettern zu verhindern) und 4 horizontalen, 18 cm auseinandstehenden Balken, 2 100 cm hohe Holzbarrieren mit einem horizontalen Balken darüber, in einem vertikalen Abstand von 10.7 cm. Die morphologischen Eigenschaften der Kinder wurden berücksichtigt. Keine Barriere ist unüberwindbar! Die Barriere mit den horizontalen Balken (immerhin in 18 cm Abstand) wurde, unabhängig vom Alter, von 97% der Kinder überstiegen. Zwölf Kinder (36.4%) überwanden alle vier Barrieren, die schwerste in höchstens 15 Sekunden. Das Alter ist die beste prädiktive Variable, Morphologie und Kraft des Kindes beeinflussen lediglich die Zeit, die es braucht, um das Hindernis zu überwinden. Was ist eine Sicherheitsbarriere? Keine Barriere garantiert einen Schutz, denn selbst sehr hoch wird sie von den besten Kletterern in wenigen Sekunden überwunden. Referenz Cordovil R, Vieira F, Barreiros J. Crossing safety barriers: Influence of children’s morphological and functional variables. Applied Ergonomics 2012; 43 (3): 515–20. Studienzentrum: Faculty of Human Kinetics – Technical University of Lisbon, Department of Health and Sport Sciences, Portugal. Korrespondenzadresse Prof. Olivier Reinberg Service de Chirurgie Pédiatrique Centre Hospitalier Universitaire Vaudois CH 1011 Lausanne – CHUV [email protected]