Das Partikulare universell erscheinen lassen
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Das Partikulare universell erscheinen lassen
Neue Z}rcer Zeitung FEUILLETON Freitag, 09.02.2001 Nr.33 62 Das Partikulare universell erscheinen lassen Literatur im Zeitalter der Globalisierung In den letzten drei Jahrzehnten haben einige wissenschaftliche Diskurse die Kulturdebatten entscheidend beeinflusst: Postmoderne, Feminismus, Multikultur, Postkolonialismus und Globalismus liefern das Vokabular, mit dem soziale, politische und kulturelle Veränderungen der Gegenwart analysiert werden. Diese Diskurse haben neben ihrem Deskriptionsaspekt auch programmatische Komponenten – sie argumentieren im Sinne von Demokratisierung und Emanzipation. Wie eng sie miteinander verbunden und aufeinander bezogen sind, wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Namen prominenter Wissenschafter(innen) mit mehreren dieser Diskurse verbunden waren und sind: Jean-François Lyotard (Postmoderne und Multikultur), Linda Hutcheon (Feminismus, Postmoderne, Postkolonialismus), Edward Said (Multikultur, Postkolonialismus, Globalismus), Fredric Jameson (Postmoderne, Globalismus), Homi Bhabha (Multikultur, Postkolonialismus), Gayatri Chakravorty Spivak (Postkolonialismus, Globalismus). Die Postmoderne räumte in Philosophie, Literatur und Kunst festgefahrene Vorstellungen der Moderne über Fortschritt und Kanon beiseite und kam damit den Pionieren der Feminismus- und Multikultur-Diskurse entgegen. Am augenfälligsten sind die Gemeinsamkeiten im Multikulturund Postkolonialismus-Diskurs. In Homi Bhabhas Studie «The Location of Culture» (deutsch: «Die Verortung der Kultur») etwa sind beide Diskurse kaum voneinander zu trennen. In der Multikultur-Diskussion wird nicht lediglich wiederholt, was sich der Aufklärung an Toleranzvorstellungen verdankt. Vielmehr wird der Schritt von der passiven Toleranz zur aktiven Anerkennung, von der friedlichen Koexistenz kultureller Monologe zur Annäherung qua Dialog vollzogen. Gleichrangigkeit Interessant ist, dass Theoretiker wie Homi Bhabha, Edward Said und Fredric Jameson Goethes Vorstellung von der Weltliteratur aufgegriffen haben und als eine Denkfigur bezeichnen, die es zu aktualisieren gilt. Was am Begriff «Weltliteratur» und am dahinter stehenden Konzept von Weltbürgertum fasziniert, ist die Einsicht Goethes in die Möglichkeit und Notwendigkeit eines internationalen kulturellen Dialogs, seine Überzeu- © 2001 Neue Zürcher Zeitung AG gung von der grundsätzlichen Gleichrangigkeit grosser Literatur, gleichgültig, aus welchen Erdteilen sie stammt. Goethe meinte, dass man den persischen Dichter Hafiz kennen müsse, um den spanischen Autor Calderón zu verstehen. Um wie viel mehr gilt Vergleichbares heute: Die US-amerikanische, die lateinamerikanische, die Literatur aus Asien und Afrika, die alle der abendländischen Dichtung viel verdanken, haben ihrerseits einen gar nicht zu überschätzenden Einfluss auf die europäischen Literaturen der Gegenwart. Goethe war überzeugt, dass es geistigen Austausch und kulturelle Wechselwirkungen über Grenzen von Raum und Zeit hin gebe, dass die Völker eben nicht (wie Herder das sah) auf blosse Selbstverständigung angewiesen seien. Gegen die nationalromantischen Eiferer seiner Zeit hielt er fest: «Nationalliteratur will jetzt nicht viel sagen; die Epoche der Weltliteratur ist an der Zeit, und jeder muss jetzt dazu wirken, diese Epoche zu beschleunigen.» Im Zeitalter der Globalisierung lässt sich Goethes Sentenz etwa so abwandeln: «Nationalliteratur will im Zeitalter der Globalisierung durchaus noch etwas sagen; die Epoche der Weltliteratur ist zwar an der Zeit, aber nationale Literaturen können das Korrektiv gegen eine Beschleunigung sein, die zu kulturellen Verlusten führt.» Das Goethe-Wort hätte das Motto abgeben können zu einem von Manfred Schmeling et al. edierten Sammelband, der die Vorträge zu einem interdisziplinären und internationalen Symposium enthält, das 1998 an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken stattfand. Vielleicht hat sich auch hier die internationale Vernetzung ausgewirkt, denn auffallend ist die Ähnlichkeit mit einem amerikanischen Band, der eine Tagung dokumentiert, die zwei Jahre zuvor an der Duke University in Durham, North Carolina, stattfand. Das Buch aus Durham wurde Edward Said gewidmet, ist von Fredric Jameson und Masao Miyoshi herausgegeben worden und trägt den Titel «The Cultures of Globalization» (Duke University Press 1998). In beiden Fällen wird nicht die inzwischen endlose Serie von sozialwissenschaftlichen Publikationen zum Thema Globalisierung fortgesetzt, sondern das Augenmerk gilt den Fragen von Kultur und Literatur. Die Nachwirkungen der Multikultur- und Postkolonialismus-Diskurse sind unübersehbar. GeBlatt 1 Neue Z}rcer Zeitung FEUILLETON warnt wird vor einem neuen Kulturkolonialismus der weichen Art, der nicht mit Kanonenbooten, sondern mit gezielter Werbung operiert, der nicht auf Versklavung aus ist, sondern die Welt in eine Einheitsgesellschaft marktgläubiger Konsumenten verwandeln will. Globalisierung ohne kosmopolitisches Denken, ohne das Prinzip Anerkennung, wie es Charles Taylor in seinem Buch «Multiculturalism» (deutsch: «Multikulturalismus») betont hat, wird zu einer Dominanz jener Staaten führen, deren kommerzielle und kulturelle Institutionen die besseren Marketing-Strategien besitzen. Globalisierung gibt es seit Menschengedenken, aber die Verstärkungsschübe interkontinentaler Verflechtungen sind in den letzten fünfhundert Jahren, seit der Entdeckung Amerikas, immer rascher aufeinander gefolgt. Der neueste Globalisierungsschub begann mit dem Ende der Zweiteilung der Welt, mit dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes und der Sowjetunion. Aber vielleicht war dieses Ende auch selbst die Folge eines Kommunikations- und Interaktionsdrucks, dessen sich ein erstarrt-dogmatisiertes System nicht mehr erwehren konnte. Roland Robertson hat in seinem Buch «Globalization» von 1992 richtig erkannt, dass Globalisierung es ermöglicht, das Partikulare universell und das Universelle partikular werden zu lassen. Ach Europa! Der literarische Globalisierungs-Diskurs der neuen Jahrhundertwende hat Ähnlichkeit mit dem Europa-Diskurs der achtziger Jahre. Damals wurde (erinnert sei an Enzensbergers «Ach Europa!») die kulturelle Vielfalt des Kontinents beschworen, die es gegen die Uniformitätstendenzen aus Brüssel zu behaupten gelte. Und heute warnt man vor der Hegemonie Washingtons, vor der sogenannten McDonaldisierung der Welt. Doch schon Jameson und Miyoshi erinnerten daran, dass es neben einer Globalisierung auch eine Kontinentalisierung gibt, wobei die USA und Lateinamerika, die EU und Osteuropa sowie Japan und Asien Gruppierungen ergeben, die jeweils in sich eine stärkere Internationalisierung erfahren als durch den Kontakt mit anderen Kontinenten. Innerhalb dieser Gruppierungen nimmt die Bedeutung des Nationalstaates ab. Welche Rolle spielt die Literatur im Prozess der Globalisierung? Literatur hat immer mit Mikrowelten, mit dem Besonderen des Besonderen, mit dem Detail des Details zu tun. Ein besseres Gegengewicht gegen die Verflachung und Vereinheitlichung einer Zivilisation als die der Literatur ist kaum vorstellbar. Sie ist auf eine © 2001 Neue Zürcher Zeitung AG Freitag, 09.02.2001 Nr.33 62 denkbar umfassende Weise das Gedächtnis der lokalen, regionalen, nationalen oder kontinentalen Kultur, in der sie entsteht. Gegenwart wird hier als Ergebnis des Vergangenen durchschaubar gemacht. Und doch ist sie, wie Goethe insistierte, ein Medium der Verständigung zeitlich über Jahrhunderte und räumlich über Erdteile hinweg. Das Partikulare universell und das Universelle partikular erscheinen zu lassen, ist gerade der Dichtung möglich. Literatur war noch nie blosser Erfüllungsgehilfe übergreifender sozioökonomischer Prozesse. Autoren wie García Márquez, Toni Morrison, Assia Djebar, Derek Walcott oder Salman Rushdie finden gerade deshalb weltweit Anerkennung, weil ihre Werke zwischen dem Lokalen bzw. Individuellen und dem Globalen bzw. Universellen vermitteln. Durch ihre Arbeiten werden früher so beliebte Unterscheidungen wie die zwischen kultureller Peripherie und kulturellem Zentrum obsolet. Wird Dichtung überleben, oder werden die Bilder als Informationsträger neue Wahrnehmungsweisen schaffen, die uns der buchstabentreuen Literatur entwöhnen werden? Besteht die Chance der Literatur gerade darin, im Gegenzug zu den gängigen Informationen Wahrheiten aufzuzeigen, die sich anderen Medien entziehen? Die Spannung in der Literatur im globalen Zeitalter liegt darin, sich einerseits den Gesetzen der Internetgesellschaft anzupassen, ohne andererseits das Besondere ihrer «écriture» einzubüssen: das Individuelle, die Wahl, das Ereignis, die Utopie, die Kritik. Die Schattenseiten des globalen Zeitalters, Exil und Migration, gehören zum persönlichen Schicksal vieler Schriftsteller unserer Epoche. Aspekte gelungener neuer Symbiosen wie auch des Verlusts der eigenen Vergangenheit werden in der zeitgenössischen Exilliteratur thematisiert. In diesem Kontext wird die jüdische Literatur der Gegenwart als Modellfall von Interkulturalität verstanden. Tagungsbände wie der aus Saarbrücken oder wie der Vorläufer von der Duke University haben die Auseinandersetzung um die Zusammenhänge von Globalisierung und Kultur bzw. Literatur befördert. Es lohnt, die Diskussionsfäden, die hier gesponnen wurden, aufzugreifen. Die weitere Forschung wird wohl die Interrelation von Globalisierung und literarischem Kosmopolitismus noch deutlicher konturieren. Paul Michael Lützeler Manfred Schmeling, Monika Schmitz-Emans, Kerst Walstra (Hrsg.): Literatur im Zeitalter der Globalisierung. Königshausen & Neumann, Würzburg 2000. 318 S., Fr. 70.90. Blatt 2