Johannes Schneider/Ferry Habasche: Sind Porters Five Forces
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Johannes Schneider/Ferry Habasche: Sind Porters Five Forces
THE POWER OF INSIGHT 2// 2014 AUTOREN: Johannes Schneider Ferry Habasche SIND PORTERS FIVE FORCES HEUTE NOCH RELEVANT? Eine Neubewertung grundlegender Tools zur strategischen Analyse Es ist unbestritten, dass das Verständnis der Wettbewerbsstrukturen einer Branche die Grundlage für strategische Entscheidungen bildet. Angesichts eines volatileren Umfelds steigt allerdings die Skepsis vieler Führungskräfte gegenüber den etablierten Instrumenten des strategischen Managements. Wir sind der Meinung, dass trotz dieser sich verändernden Bedingungen die etablierten Tools weiterhin als solide Basis für eine strategische Analyse dienen. Entscheidend ist jedoch, dass man die Schwächen und inhärenten STRA TEGY PRACTICE Risiken dieser Instrumente kennt und diese im Rahmen einer strategischen Analyse aktiv managt. Dies wiederum wirkt sich auf den Prozess der Strategiedefinition aus, der insgesamt an Bedeutung gewinnen wird. VORWORT Mit der 2014 gestarteten Artikelserie „The Power of Insight“ wollen wir innerhalb der Community von Contrast Management-Consulting Impulse zur Auseinandersetzung mit komplexen Managementherausforderungen setzen. Indem Contrast-Berater ihre aktuellen Projekterfahrungen in einen breiteren Kontext stellen, bringen sie eine fun- 1 EINLEITUNG Angesichts der enormen Umfelddynamik scheinen die Instrumentarien des strategischen Managements überholt – die Skepsis von Führungskräften nimmt zu. dierte Praktikerperspektive ein. Die inhaltliche Bandbreite der Serie reicht von der Vorstellung spezifischer Tools und Methoden, die das Management im Tagesgeschäft qualitativ bereichern sollen, bis hin zur Thematisierung grundlegender Fragestellungen des strategischen Managements. Es ist unbestritten, dass das Verständnis der grundlegenden Wettbewerbsstrukturen einer Branche die Voraussetzung für solide strategische Entscheidungen ist. Anhand welcher Raster soll man allerdings dieses Verständnis erarbeiten, wie unterschiedliche Perspektiven abgleichen, wenn gleichzeitig die Wahrnehmung unter Entscheidern vorherrscht, dass sich das Umfeld, in dem sie agieren, mit nie dagewesenem Tempo wandelt? In Summe scheint die Begeisterung, welche die Themen des strategischen Managements lange Zeit ausgelöst haben, eine gewisse Relativierung zu erfahren. Einer der Gründe dafür liegt unserer Einschätzung nach in der verständlicherweise anwachsenden Skepsis gegenüber den Instrumentarien strategischer Analyse, die in Anbetracht der aktuellen Umfelddynamik etwas aus der Zeit gefallen scheinen. Eine Vielzahl von Absolventenjahrgängen von Wirtschaftsuniversitäten und jetzigen Entscheidungsträgern wurde mit Michael Porters Five Forces oder dem PESTEL-Modell intellektuell sozialisiert. Während das PESTELKonzept herangezogen wird, um das Umfeld in seiner Gesamtheit zu analysieren, konzentrieren sich die Five 2 // THE POWER OF INSIGHT Forces auf die Analyse einer spezifischen Industrie (s. Seite 4 für einen kurzen Überblick). Seit der erstmaligen Veröffentlichung dieser analytischen Zugänge sind nun mehrere Jahrzehnte vergangen, und es liegt daher auf der Hand, dass unsere Kunden nach etwas Aktuellerem fragen. Nach eingehender Beschäftigung mit diesem Dilemma fällt unser Lösungsvorschlag sehr pragmatisch aus: Sowohl das PESTEL-Konzept als auch Porters Five Forces haben sich in ihrer Grundlogik bewährt und sind etabliert. Sie können und sollen daher als Ausgangspunkt für eine strategische Analyse herangezogen werden. Es gilt allerdings, sich die Schwächen und Limitationen der Modelle bewusst zu machen und diese aktiv zu managen. Das bedeutet, dass ein avancierter Analyseprozess um Perspektiven angereichert werden muss, um diese „blinden Flecken“ auszuleuchten. Das hat zur Konsequenz, dass der analytische Werkzeugkasten umfangreicher und die Auswahl und Anwendung der Instrumentarien insgesamt variantenreicher wird. Daraus folgt, dass der Prozess, in dem Strategieanalyse und -definition stattfinden, an Bedeutung gewinnt. 2 FÜNF STRUKTURELLE LIMITATIONEN DES FIVE FORCESMODELLS Obwohl wir zuvor zwei grundlegende Konzepte erwähnt haben, nämlich das PESTEL- und das Five Forces-Modell, wollen wir uns nun auf das Five ForcesModell von Porter konzentrieren. Wir sehen im Wesentlichen fünf strukturelle Limitationen des Modells, die es im Rahmen einer strategischen Analyse zu umschiffen gilt. 2.1 „Blinde Flecken”, die von den Five Forces nicht ausgeleuchtet werden Der erste „blinde Fleck“, den das Five Forces-Modell aufweist, ist die NichtBerücksichtigung von sogenannten Komplementärgütern. Das bedeutet, dass Branchen und Produkte, die notwendig sind, um den maximalen Wert des analysierten Produktes auszuschöpfen, in einer engen Auslegung des Five Forces-Modells nicht behandelt werden. Um es an einem plastischen Beispiel zu illustrieren: Würde man eine Five Forces-Analyse über den Kfz-Versicherungsmarkt anstellen, bliebe der wichtigste Einflussfaktor für die Attraktivität der Branche zunächst unberücksichtigt: nämlich die Entwicklung und die Zusammensetzung der KfzNeuanmeldungen. Auch wenn es schwer vorstellbar ist, dass man im Rahmen einer strategischen Analyse diesen Zusammenhang nicht herstellt, zeigt es doch eine strukturelle Limitation des Modells. Das Ausblenden von Komplementärgütern oder Stakeholdern kann zu falschen strategischen Schlüssen führen. Die Stakeholder sind eine weitere Einflussgruppe, mit denen sich das Grundmodell der Five Forces nicht auseinandersetzt. Wenn man sich jedoch vor Augen führt, welchen massiven Einfluss Gewerkschaften, NGOs, Regulierungsbehörden sowie gesellschaftliche Strömungen in ihrer Gesamtheit auf die Attraktivität einer Branche haben, wird klar, dass Porter auch hier eine zentrale Komponente unbeleuchtet lässt. Der massive Druck, unter dem sich Tabakkonzerne in Europa befinden, ist bei einer engen Lesart der Five Forces nicht erklärbar, geschweige denn, dass sich daraus sinnvolle strategische Stoßrichtungen ableiten lassen. Ebenso dürfen die Auswirkungen gesellschaftlicher Strömungen und Meinungsbildungsprozesse gerade angesichts der Omnipräsenz sozialer Medien nicht unterschätzt werden. THE POWER OF INSIGHT // 3 Hintergrundwissen: Die traditionellen Modelle der strategischen Analyse PORTERS MODELL DER FÜNF KRÄFTE Dieses bekannte Modell wurde entwickelt, um die durchschnittliche Attraktivität bzw. das Profitabilitätsniveau einer Branche zu beurteilen. Es gilt als Standardwerkzeug der strategischen Analyse und erfährt in der Praxis breite Verwendung. Fünf Einflussfaktoren bestimmen die Attraktivität einer Branche: Neueintritte Lieferanten Interner Wettbewerb Abnehmer Substitute Brancheninterner Wettbewerb: Diese zentrale Einflussgröße beschreibt die Intensität des Wettbewerbs zwischen den etablierten Akteuren. Eine hohe Wettbewerbsintensität resultiert in niedrigeren Profiten, während eine geringere Intensität zu höheren Gewinnen führt. In stagnierenden oder langsam wachsenden Branchen können Unternehmen ihren Marktanteil nur auf Kosten von allen anderen Wettbewerbern ausbauen, was wiederum zu intensiviertem Wettbewerb führt. Verhandlungsmacht der Lieferanten: Diese ist dann stark ausgeprägt, wenn es nur wenige Unternehmen gibt, welche die benötigten Inputfaktoren herstellen. Auch der Grad, zu dem ein beziehendes Unternehmen von diesen Inputfaktoren abhängig ist bzw. inwieweit diese substituiert werden können, bestimmt die Macht der Zulieferer. Insbesondere wenn Zulieferer auch noch substantielle Wechselhürden aufgebaut haben, ist deren Macht besonders ausgeprägt. Verhandlungsmacht der Abnehmer: Kunden haben die Möglichkeit, niedrigere Preise und/oder höhere Qualität zu verlangen, indem sie Preise zwischen Anbietern vergleichen und diese gegeneinander ausspielen. Besonders wenn Produkte standardisiert oder undifferenziert sind, haben Käufer eine hohe Verhandlungsmacht, da der Preis zum entscheidenden Produktmerkmal wird. Bedrohung durch Neueintritte: Neueintritte in eine Branche bringen die Gewinne der etablierten Akteure zum Schmelzen. Wenn geringe Eintrittsbarrieren vorherrschen, können neue Akteure sehr schnell Fuß fassen. Es gibt jedoch einige Faktoren, die es für Neulinge unattraktiv machten, eine Branche ins Visier zu nehmen: Dazu zählen vor allem hohe Skaleneffekte, Kapitalerfordernisse oder der Zugang zu Distributionskanälen. Bedrohung durch Substitute: Die Verfügbarkeit von Alternativprodukten, die ein Bedürfnis zu einem vergleichbaren Preis-/Leistungsverhältnis stillen, limitiert die Preisbereitschaft potenzieller Kunden. Sobald Preise für ein substituierbares Produkt unverhältnismäßig hoch sind, werden Kunden auf das Substitut umsteigen. DAS PESTEL-MODELL Das klassische PESTEL-Modell erfasst sechs zentrale Dimensionen, die das Wettbewerbsumfeld in seiner Gesamtheit bestimmen. Dabei steht die Abkürzung PESTEL für die politischen, ökonomischen (economic), sozialen, technischen, umweltrelevanten (environmental) und rechtlichen (legal) Rahmenbedingungen. Diese sechs Parameter müssen berücksichtigt werden, wenn das Umfeld analysiert werden soll, in dem ein Unternehmen agiert. 4 // THE POWER OF INSIGHT 2.2 Diffuser werdende Branchengrenzen Ein Grund für die Faszination, die Facebook auf das strategische Management ausübt, ist, dass es sich nicht wirklich in eine bekannte Branche einordnen lässt. Handelt es sich bei dieser unternehmerischen Erscheinung nun um einen Akteur der Unterhaltungs-, Software-, Kommunikations- oder Werbebranche? Spielt Facebook in allen diesen Branchen oder nur in einer davon und – abhängig davon – wer sind eigentlich die Hauptwettbewerber von Facebook? Wenn man sich den Markt für Luxusuhren vergegenwärtigt: Wie lauten hier die Substitute? Oberklassewagen oder Luxusreisen? Sollte sich Rolex nicht auch damit beschäftigen, wie sich Aston Martin verhält? Die enorme Innovationskraft der Smartphone-Hersteller hat eine massive Auswirkung auf jene Unternehmen, die MP3-Player oder mobile Navigationsgeräte herstellen, und es stellt sich die Frage, ob Konsumenten nun drei separate Produkte brauchen oder vielleicht doch nur eines, in dem die drei unterschiedlichen Anwendungsgebiete kombiniert werden. Diese Beispiele machen deutlich, dass Industriegrenzen im heutigen Umfeld deutlich diffuser und schwieriger zu ziehen sind. Disruptive Innovationen lassen traditionelle Branchengrenzen kollabieren, während sich neue Branchen mit noch nie da gewesener Geschwindigkeit entwickeln. Das sich immer weiter etablierende „Industry architecture“-Konzept unterstreicht diese Entwicklung: Die Grundannahme ist hierbei, dass es zwar Branchenregeln gibt, diese aber einer laufenden Evolution unterworfen sind. Diese Dynamik umfasst die gesamte Wertschöpfungskette und bestimmt über die Verteilung von Aufgaben und Margen entlang der Wertschöpfungsstufen. Die strategische Herausforderung besteht nun genommen hat, stellt das „Industry architecture“-Konzept die Forderung, diese aktiv zu adaptieren. Die statische Grundausrichtung von Porter kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass er die Umfeldbedingungen und deren Entwicklung (Technologie, Politik etc.) in seinem Modell nicht thematisiert. In diesem Zusammenhang ist auch noch deutlich zu machen, dass Porter selbst nie explizit definiert hat, was eigentlich eine Branche ist, die Grenzen des Analysefokus werden immer als gegeben angenommen. Wenn vor der Durchführung einer strategischen Analyse nicht aktiv adressiert wird, wie die Grenzen des Untersuchungsfokus gezogen werden, besteht das Risiko, diese zu eng zu definieren und damit wichtige Entwicklungen unberücksichtigt zu lassen. 2.3 Am Ende zählt das Unternehmensergebnis! In welche Branche kann man Facebook einordnen? In die Werbe-, Kommunikations-, Software- oder Unterhaltungsbranche? Oder etwa in alle vier? darin, diese Dynamik aktiv zu nutzen und Wertschöpfungsketten proaktiv und zum eigenen Vorteil zu gestalten. Die gedankliche Bewegung gegenüber Porter ist dabei signifikant: Während Porter konstante Strukturen entlang der Wertschöpfungskette an- Von Donald Trump ist folgende Fehleinschätzung dokumentiert: „I’d rate the airlines as a great idea if you want a lot of trouble, too much competition, too much work, and all for too little profit.” (s. Robert M. Grant, 2012). In der Tat: führte man eine Five ForcesAnalyse für die Flugindustrie durch, würde deren Ergebnis das Statement von Donald Trump möglicherweise unterstützen. Aber wie kann man deutliche Profitabilitätsunterschiede innerhalb einer strategischen Gruppe einer Branche erklären? Um es mit einem Beispiel zu illustrieren: Wie kann man erklären, dass etwa die Lufthansa um so viel erfolgreicher agiert als Alitalia? Wenn nun Manager der Lufthansa und Manager der Alitalia eine Branchenanalyse durchführen, müssen sie zum gleichen Ergebnis kommen. Näm- THE POWER OF INSIGHT // 5 lich, dass die Zivilluftfahrtbranche extrem wettbewerbsintensiv und damit unattraktiv ist. Vielfach geht es in einem derartigen Umfeld jedoch darum, die entscheidende Frage anders zu stellen, nämlich: „Wie können wir unsere Ressourcen so einsetzen, dass wir sogar in diesem unattraktiven Umfeld erfolgreich sein können?“. Bei der Strategie geht es nicht (nur) darum, gegenüber dem Wettbewerb zu gewinnen – Kooperation kann ebenfalls eine sehr vielversprechende Option sein. Dieses Beispiel unterstreicht die Bedeutung von Unternehmensressourcen und -fähigkeiten. Nur weil eine Branche in ihrer Gesamtheit mehr oder weniger profitabel ist, heißt das noch lange nicht, dass das auch für ein spezifisches Unternehmen zutreffen muss. Unternehmen sind tatsächlich sehr unterschiedlich, sie verfügen über unterschiedliche Ressourcen und kombinieren diese auf unterschiedliche Art und Weise. Porters Five Forces ist ein generelles Modell und liefert eine Durchschnittsbetrachtung für eine Branche in ihrer Gesamtheit. Die unternehmensspezifische Analyse verlangt jedoch ein differenziertes Vorgehen. 2.4 Das Ausblenden von kooperativem Verhalten Porters Strategiebild ist stark von der Vorstellung geprägt, dass es letztlich darum geht, die Wettbewerber zu besiegen. Noch pointierter bringt es Robert M. Grant auf den Punkt, wenn er postuliert: „Strategy is about winning”. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass die frühen Autoren zum strategischen Management stark aus einer bipolaren Denkschule kommen, bei der es nur um Gewinnen oder Verlieren geht, überrascht diese Schlagseite wenig. Einer kritischen Prüfung durch die Realität hält diese dichotome Herangehensweise aber nicht vollumfänglich stand: Tatsächlich können wir drei Typologien an kooperativem Verhalten zwischen Unternehmen identifizieren. 6 // THE POWER OF INSIGHT Erstens, ein massiver Anstieg an strategischen Allianzen, bei denen vor allem komplementäre Assets in die Allianzen eingebracht werden. Zweitens kann man Zusammenarbeit zwischen direkten Wettbewerbern beobachten, eine Erscheinung, die in der Literatur zu strategischem Management mit „Cooptition“ bezeichnet wird. Dabei kann man zwischen zwei Unternehmen desselben strategischen „Biotops“ Wettbewerb und Zusammenarbeit gleichzeitig beobachten. Drittens schließlich sehen wir, dass Unternehmen ganz spezifische Investments in ihr Beziehungsnetzwerk machen, die darauf abzielen, Transaktionskosten abzubauen und die Vorteile von Kooperation zu realisieren. Ein gutes Beispiel dafür ist etwa Toyota, das für seine enge Kooperation mit Lieferanten bekannt ist. Anstatt die gesamte Marktmacht auszunutzen, um die eigene Marge auf Kosten der Lieferanten zu optimieren, wird der Profitpool für alle Beteiligten maximiert. Eine Kofinanzierung der neuen Produktionsstätten für die Lieferanten in unmittelbarer Nähe von Toyota resultiert wiederum in reibungsloser Just-intime-Lieferung, was wiederum Toyotas Lagerhaltungskosten reduziert. In Anbetracht dieser empirischen Befunde muss im Rahmen einer strategischen Analyse Porters Dichotomie hinterfragt werden. Anders formuliert: wenn man von vornherein nur in Gewinnen vs. Verlieren denkt, wird möglicherweise die sehr lohnende Option der Kooperation übersehen. 2.5 Innovation bleibt unbeleuchtet Im Wesentlichen liefert eine Five Forces-Analyse hinreichende Anhaltspunkte, wie man sich innerhalb einer Branche positioniert. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass gerade besonders erfolgreiche Unternehmen ganze Wenn es darum geht, besonders innovationsgetriebene Strategien zu entwickeln, ist unserer Einschätzung nach eine Herangehensweise auf Basis der Five Forces alleine wenig zielführend. Branchen aktiv gestalten, indem durchschlagende Innovationen auf den Markt gebracht werden. Gerade in besonders forschungsintensiven Branchen kann man typischerweise zwischen Branchenführern („shapers“) und Adaptierenden („followers“) unterscheiden. In den meisten Fällen gelingt es dabei den Branchenführern, die kompetitiven Treiber zu ihren Gunsten zu beeinflussen, indem das Geschäftsmodell re-innoviert wird, besonders profitable Segmente der Wertschöpfungskette besetzt werden oder eben Innovationen lanciert werden. Den Adaptierenden bleibt dann nur übrig, die Frage zu stellen: „Was bedeutet das für uns?“ bzw. „Wie können wir mit dem Marktführer noch Schritt halten?“. Besonders augenscheinlich wird das im Fall von sogenannten „breakthrough innovations“. Für diese gibt es einfach kein Substitut und die Kunden sind bereit, dafür eine signifikante Preisprämie zu bezahlen. In diesem Zusammenhang wird ein Zitat von Peter F. Drucker besonders sinnfällig: „The best way to predict the future is to create it“. Reflektiert man diesen Aspekt von Innovation kritisch in Zusammenschau mit dem Five Forces-Modell, kann man nur feststellen, dass dieser innovative Aspekt nicht hinreichend abgedeckt wird. Zwar könnte man neue Technologien etwa über die Bedrohung von Marktneueintritten abbilden, unserer Einschätzung nach würde man damit aber der Relevanz einer durchschlagenden Innovation nicht gerecht. Im Rahmen einer Five Forces-Analyse könnte man auch zum Schluss kommen, dass etwa die Eintrittsbarrieren in eine Branche besonders hoch sind und dass daher die Branche für existierende Unternehmen attraktiv ist. Wenn nun aber eine disruptive Technologie auf den Markt kommt, können diese Eintrittsbarrieren schnell wertlos werden und sich als „sunk cost“ entpuppen. Aufgrund dieser Argumente sind wir der Meinung, dass das Five ForcesModell in seiner Grundkonzeption die Relevanz von Innovation nur unzureichend reflektiert. Wenn es also darum geht, besonders innovationsgetriebene Strategien zu entwickeln, ist unserer Einschätzung nach eine Herangehensweise auf Basis der Five Forces alleine wenig zielführend. THE POWER OF INSIGHT // 7 3 UNSERE LÖSUNG – MAN NEHME DIE BASIS, REICHERE DIESE AN … Trotz der eben identifizierten Schwächen des Five Forces-Modell stellt es weiterhin einen legitimen Ausgangspunkt für eine strategische Analyse dar. Entscheidend ist allerdings, dass man das Basismodell um Analysen und Blickpunkte erweitert, mit dem Ziel, die angeführten Problemfelder aktiv aufzugreifen. 3.1 Ausleuchten „blinder Flecken“ Mit Hilfe von Marktmodellen werden Abhängigkeiten zwischen komplementären Märkten offensichtlich. 8 // THE POWER OF INSIGHT Es handelt sich sicherlich um einen „blinden Fleck”, weder Komplementärmärkte noch Stakeholder in eine Branchenanalyse zu integrieren. Eine Möglichkeit, darauf zurückgehende Fehler zu vermeiden, ist es, Abhängigkeiten zwischen einzelnen Märkten und Branchen bewusst transparent zu machen. Dies gelingt meist sehr gut, indem man die wechselseitigen Abhängigkeiten zunächst qualitativ darstellt. Sofern erforderlich, kann man diese Zusammenhänge auch noch quantitativ modellieren, indem man Bewegungen auf dem Komplementärgütermarkt als Inputvariable für den analysierten Markt betrachtet. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass der Komplexitätsgrad hier sehr rasch ansteigt. Vielfach liegt der Mehrwehrt dieser (quantitativen) Modelle weniger darin, ein konkretes Analyseergebnis zu produzieren, als vielmehr eine Diskussion über die Abhängigkeiten von Märkten strukturiert zu kanalisieren. Der „blinde Fleck” der Stakeholder ist recht offensichtlich und gleichzeitig hochrelevant. Eine Berücksichtigung von Stakeholdern im Rahmen der strategischen Analyse ist auf drei „Eskalationsebenen“ denkbar. Erstens – es ist das das niedrigstschwellige Vorgehen – eine Betrachtung aller Stakeholder und deren Berücksichtigung in der Analyse. Eine pragmatische Stakeholder-Analyse kann dabei die Beziehungen der unterschiedlichen Akteure und deren Einfluss auf das analysierte Unternehmen sowie die Branche sichtbar machen. Die Methoden für eine derartige Analyse sind hinreichend dokumentiert und wir werden diese hier daher nicht ausführen (s. z.B. Robert M. Grant, 2012). Ein zweiter Entwicklungsschritt wäre eine aktive Einbindung der Stakeholder in den Strategieentwicklungsprozess. Die maximale Einbindungsstufe stellt schließlich eine laufende dialogorientierte Auseinandersetzung mit den Einflussgruppen dar, die über den Strategieprozess hinausgeht. Eine derartige frühzeitige und umfassende Auseinandersetzung mit Stakeholdern hat zwei grundlegende Vorteile: Zum einen wird die Akzeptanz der vorgeschlagenen Strategie substantiell ansteigen, da die Stakeholder schon zu einem frühen Zeitpunkt involviert sind und Einfluss nehmen können. Zum anderen können auf diese Art zusätzliche unternehmensrelevante Informationen gesammelt und berücksichtigt werden, was in Summe die Strategiearbeit auf eine solidere Basis stellt. 3.2 Ändern des Blickwinkels Wir empfehlen beim Durchführen einer Branchenanalyse die Anwendung einer bedürfnisorientierten Perspektive anstatt einer produktorientierten. Hofer und McDonald’s demonstrieren immer wieder aufs Neue, wie man Wettbewerbsvorteile durch dynamisches Anpassen der eigenen Fähigkeiten behält und ausbaut. Die zweite im vorigen Abschnitt identifizierte Limitation betrifft die willkürliche Definition von Branchengrenzen. Während das Five ForcesModell zwar Branchen nie genau definiert, im Zweifelsfall aber eher enge Branchengrenzen insinuiert, konnten wir bereits zeigen, dass ein etwas breiteres Abstecken des Analysefeldes die Ergebnisse substantiell ändern kann. Indem man den analytischen Blickwinkel erweitert (der „Schritt zurück“ ist beinahe bildlich zu verstehen) steigen die Breite der analytischen Ergebnisse und die Analysekomplexität gleichermaßen an. Um diesen Punkt konkreter zu machen: Indem ein Unternehmen die Bedürfnisse und Wünsche der Kunden ins Zentrum stellt, fällt es leichter, wertschaffende und damit profitable Strategien zu entwickeln. Um noch plastischer zu werden: Wir meinen, dass ein Unternehmen, das Tankstellen betreibt, weniger die Frage stellen sollte: „Wie können wir mehr Benzin verkaufen?“, sondern eher: „Wie stillen wir den Durst unserer Kunden nach Mobilität?“. Rolex sollte das Bedürfnis seiner Kunden nach luxuriösem Lebensstil und Status ins Zentrum seiner Überlegungen stellen. Ein Lebensmitteleinzelhändler sollte sich nicht die Frage stellen: „Wie verkaufen wir mehr Lebensmittel?“, sondern: „Wie können wir unsere Kunden dabei unterstützen, sich verantwortungsvoll zu ernähren?“. 3.3 Fokussierung der Erfolgsfaktoren Am Beispiel der Luftfahrtindus- trie konnten wir sehen, dass sogar in unattraktiven Industrien einzelne Unternehmen ihre Wettbewerber ausstechen und substantielle Gewinne einfahren können. Indem sich Unternehmen auf die Kernerfolgsfaktoren konzentrieren und ihre Ressourcen entsprechend bündeln, schaffen sie es, Nutzen für den Kunden zu stiften. Erfolgreiche Unternehmen sind laufend damit beschäftigt, ihre Fähigkeiten und Ressourcen in einem dynamischen Umfeld anzupassen, weiterzuentwickeln und neu zu formen. Diese sogenannten Kernkompetenzen und deren Ausprägungsstärke tragen wesentlich dazu bei, Performanceunterschiede zwischen Unternehmen in der gleichen Branche zu erklären. Gerade Unternehmen, denen es über mehrere Jahrzehnte erfolgreich gelingt, ihre eigenen Kernkompetenzen dynamisch an die jeweiligen kritischen Erfolgsfaktoren einer Industrie anzupassen, illustrieren die Bedeutung dieses Aspekts deutlich: So folgte etwa Hofer (bzw. Aldi) zunächst einer klaren Strategie der Kostenführerschaft im Lebensmitteleinzelhandel. Zunächst waren die Konsumenten von diesem „No frills“Konzept begeistert. Im Laufe der Zeit veränderten sich die Konsumpräferenzen jedoch. Verstärkt wurde ein breiteres Produktsortiment nachgefragt, Aspekte wie Nachhaltigkeit spielten eine zunehmend wichtigere Rolle bei der Kaufentscheidung. So finden sich bei Hofer nicht nur deutlich breitere Produktsortimente (inkl. Markenartikel), auch eine die Nachhaltigkeit der Produktion in den Vordergrund stellende Eigenmarke wurde erfolgreich lanciert. McDonald’s stieß nach Jahrzehnten der ungebremsten Expansion auf einige Herausforderungen, die langfristig die Profitabilität bedrohten. Als Antwort auf das wachsende gesellschaftliche Bewusstsein in punkto nachhaltiger Ernährung bzw. gesundheitlicher Verträglichkeit von McDonald’s–Produkten bei Kindern und Jugendlichen änderte McDonald’s seine Speisekarte radikal. Dass sich nun dort Salate und Obst finden, ist eine Antwort auf dieTHE POWER OF INSIGHT // 9 sen Trend. Als Reaktion auf den Erfolg von Starbucks adaptierte McDonald’s Teile seiner Restaurants und etablierte die McCafés als „Ruheoasen“. 3.4 Berücksichtigung von Kooperation im Strategieprozess spielen sollte. Abhängig von der jeweiligen strategischen Situation beginnt das mit dem Zusammenstellen einer Übersicht möglicher Allianzpartner. Dabei kann es sich um Hersteller und Anbieter komplementärer Produkte und Dienstleistungen genauso wie um Lieferanten oder (vermeintliche) Wettbewerber handeln. Bei der Auflistung der Limitation stellten wir fest, dass das Five ForcesModell kein kooperierendes Verhalten von Marktteilnehmern vorsieht. Rivalität ist eine dominante Grundannahme der traditionellen Literatur zum strategischen Management. Kooperation in unterschiedlicher Abstufung ist allerdings empirische Realität in vielen Branchen, und wir sind überzeugt, dass die Bedeutung von Kooperation als strategische Option zukünftig aus gutem Grund zunehmen wird. Das Übereinanderlegen von komplementären bzw. sich überschneidenden Landes- und/oder Produktportfolios ist ein erster analytischer Schritt. Eine weitergehende Beurteilung des strategischen Fits kann und sollte auch auf Markenimage, Vertriebskanäle oder Unternehmenskultur ausgeweitet werden. Daher sind wir auch der Meinung, dass ein Ausschauhalten nach Kooperationsmöglichkeiten jedenfalls eine Rolle Während wir unter Berücksichtigung der gerade angeführten Erweiterung eine Branchenanalyse auf Basis 3.5 Und was ist nun mit Innovation? der traditionellen Modelle gut argumentieren können, haben wir Schwierigkeiten, eine belastbare Brücke zwischen eben diesen traditionellen Modellen und den Herausforderungen zu schlagen, die sich aus radikalen und disruptiven Innovationen und der Generierung neuer „ecosystems“ ergibt. Natürlich könnte man versuchen, bestimmte Aspekte von Geschäftsmodellinnovation (zum Teil) mit einem Five Forces-Zugang zu verheiraten – unserer Ansicht nach handelt es sich dabei letztlich jedoch um ein untaugliches Vehikel. Wir sind der Meinung, dass der sich derzeit vollziehende Paradigmenwechsel bezüglich Innovationsgeschwindigkeit und Innovationsfokus ein grundlegend anderes Modell erforderlich macht. Da sowohl Wissenschaft als auch Praktiker derzeit mit Hochdruck daran arbeiten, taugliche Erklärungsmodelle zu entwickeln, halten wir es für angebracht, diesem Thema eine eigene Ausgabe unserer The Power of Insight-Serie zu widmen. Empfohlene Erweiterungen Nicht ausreichend abgedeckt durch unsere Erweiterungen NeuNew eintritte entrants Stakeholder Lieferanten Interner Wettbewerb AbAbnehmer nehmer Komplementäre Güter Substitute Kritische Erfolgsfaktoren und Kernkompetenzen Abbildung 1: Vorschlag für ein erweitertes Modell zur Branchenanalyse 10 // THE POWER OF INSIGHT (Disruptive) Innovation Bisherige Kompetenzen Allianzen und Kooperationen Ausweitung der Branchengrenzen 4 ...UND BETRACHTE DAS GESAMTBILD Die strukturelle Unsicherheit kann nicht eliminiert werden – durch die Eingrenzung ihrer Quellen und Auswirkungen können Entscheidungsträger jedoch ein gutes Stück an Kontrolle zurückgewinnen. Wir sind der Meinung, dass durch die vorgeschlagenen Erweiterungen Entscheidungsträger besser gerüstet sind, ihre Branchen nach strategischen Gesichtspunkten zu analysieren. Dabei geht es auch darum, die zentralen Treiber der Branchenentwicklung zu identifizieren und zukünftige Entwicklungen einzuschätzen. Schließlich gilt es, die einzelnen Dimensionen der strategischen Analyse zu einem sogenannten „Branchenzukunftsbild“ zusammenzufassen. Eine derartige Synopse erlaubt es, Zukunftsszenarien aktiv zu diskutieren und entsprechende Wahrscheinlichkeiten des Eintretens qualifiziert abzuwägen. Das Ergebnis daraus sind herausfordernde, aber fruchtbare und erhellende Managementdiskussionen. Um nicht missverstanden zu werden: die fundamentale Unsicherheit kann durch ein derartiges Vorgehen nicht ausgeschaltet werden – durch ein Verstehen ihrer Ursachen und ein Eingrenzen möglicher Auswirkungen können Manager (zumindest teilweise) die Kontrolle über ihren Entscheidungsraum zurückgewinnen. Abseits all dieser inhaltlichen Überlegungen wird eine Tatsache bereits in diesem Stadium augenscheinlich: Ein qualifizierter Umgang mit den Herausforderungen des gegenwärtigen Umfelds verlangt einen breiteren analytischen Werkzeugkasten sowie einen versierten Umgang mit dessen Inhalten. Die Methoden, mit deren Hilfe strategische Analysen durchgeführt werden, werden vielfältiger, die Standpunkte, von denen aus auf strategische Herausforderungen geblickt wird, wechseln schneller und häufiger. Das darf nicht in analytischer Beliebigkeit resultieren, vielmehr stellt sich die Herausforderung, den Strategieprozess offener und variabler zu gestalten. Der produktive Umgang mit widersprüchlichen analytischen Ergebnissen, die frühe Einbindung von Stakeholdern oder das bewusste Permutieren strategischer Blickwinkel sind nur einige Kernelemente dieses neu gedachten Strategieprozesses. Unserer Einschätzung nach verdient dieser Wechsel hin zu einem neuen Strategieprozessparadigma gesonderte Beachtung. Es wird offensichtlich – auch wenn wir diese Ausgabe von The Power of Insight nun beenden – dass die „strategische Reise“, zu der wir Sie einladen wollen, gerade erst begonnen hat… QUELLEN UND IDEEN ZUR WEITEREN AUSEINANDERSETZUNG CAPA Center for Aviation (2012): European airlines’ financial results in 2012 Robert M. Grant (2012): Contemporary Strategy Analysis: Text and Cases Anthony E. Henry (2011): Understanding Strategic Management Michael E. Porter (2008): The Five Competitive Forces That Shape Strategy. Harvard Business Review Frank T. Rothaermel (2012): Strategic Management: Concepts and Cases THE POWER OF INSIGHT // 11 STRA TEGY PRACTICE DANK Unser Dank gilt Univ.-Prof. Dr. Werner H. Hoffmann, Vorsitzender der Geschäftsführung, und Mag. Martin Unger, Geschäftsführender Partner bei Contrast Management-Consulting, für ihre Unterstützung und ihre wertvollen Gedanken beim Schreiben dieses Artikels. ZU DEN AUTOREN Dr. Johannes Schneider ist Senior Manager im Wiener Büro von Contrast ManagementConsulting. In seiner Projektarbeit unterstützt er nationale und internationale Unternehmen in strategischen und organisatorischen Fragestellungen. Johannes Schneider promovierte in Betriebswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien und hat zusätzlich ein Kunstgeschichtestudium an der Universität Wien abgeschlossen. Mag. Ferry Habasche ist Assistent am Institut für Strategisches Management an der Wirtschaftsuniversität Wien. Studienaufenthalte führten ihn u.a. in die USA sowie nach Norwegen. Herr Habasche hat einen Abschluss in Internationaler Betriebswirtschaftslehre von der WU Wien sowie einen CEMS-Master in Internationalem Management. Weitere Informationen finden Sie auf unserer Homepage: www.contrast.at © Contrast Management-Consulting, Alle Rechte vorbehalten. ©iStock.com/MHJ/retrorocket Sollten Sie Fragen oder Anregungen haben, stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Wir freuen uns auf Ihre Kontaktaufnahme! [email protected] [email protected]