lesen Sie hier... - Dagmar von Cramm

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SPIEGELWISSEN 3I2OO9
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<RANK D..]RCH ESSEN
ls ich bei der Deutschen
Lufthansa vor 35 Jahren
aus beruflichen Gründen
ein Kilo abnehmen muss-
te, hat's der Teetag gebracht! Ich stieg auf die waage -- und
wurde als Stewardess engagiert. Seither
beschäftigt mich das Thema Abnehmen
und Diät. Zunächst im Selbstversuch,
später aus beruflichem Interesse als
Ernährungswissenschaftlerin.
Denn das problem übergewicht mit
seinen gesundheitlichen Folgen ist weltweit explodiert - und steht im Fokus der
Wirkung". Es muss umgebautwerden, bei
Es scheint ganz einfach: übergewicht
sammelt sich an, wenn die Energiebilanz
wird uns nach dem
drosseln die Kalorienzufuhr.
Das klappt anfangs fast immer. Das
Problem: Der Körper beginnt zu sparen.
Er senkt die körperliche Aktivität - man
wird müde. Er senkt die Temperatur man friert. Er verwertet jedes Fitzelchen
Essen - man bekommtVerstopfung. Die
Muskelmasse wird stärker als die Fettpolster abgebaut - deshalb sinkt der Ka-
lorienbedarf, denn Muskelzellen ver-
brauchen mehr Energie als Fettzelien.
Das Ende vom Lied: Man isst wie zuvor und nimmt wieder zu. Im schlimmsten Fall wiegt man nachher mehr als vor
der Diät - der gefürchtete Jo-Jo-Effekt
tritt ein. Er wird als unausweichliches
Schicksal betrachtet statt aufs eigene
Essverhalten zurückgeführt. Wie überhaupt Diäten in vielen Fällen von Mythen und magischem Denken bestimmt
sind.
DAGMAR VON CRAMM
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SPIEGEL WTSSEN 3 t2OO9
Eiweiß wird zu einem kleinen Teil
sind tatsächlich die perspektiven im
positiv ist - wenn man mehr Energie aufnimmt, als man verbraucht. Alle Reduktionsdiäten - so werden Maßnahmen zur
Gewichtsabnahme korrekt bezeichnet _
o
suchen dabei, dem Stoffwechsel ein
Schnippchen zu schlagen.
Forschung. Immer mehr Diäten er-
Kampf gegen die pfunde?
o
de wird das Gewicht am besten reduziert? Und unter welchen Bedingungen
ist diese Gewichtsreduktion von Dauer?
Die meisten Diäten senken nicht nur
die Kalorienzufuhr - sie verändern auch
die Verhältnisse der Nährstoffe (siehe
Kasten Seite 49) zueinander und ver_
benötigt, um die Zellsubstanz zu erneuern. Wird mehr Eiweiß gegessen, dann
dient es ebenfalls der Energiezufuhr. Dabei entfaltet Eiweiß eine - wie die Wis-
scheinen, neue Methoden werden entwickelt und wecken Hoffnungen. Wie
9
Deshalb beherrschen zwei große Fragen die Forschung: Mitwelcher Metho-
Die Okotrophologin und frühere Stewardess engagiert sich ehrenamtlich
im Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Sie ist Autorin
vieler Ess-Ratgeber; ,,Cicero', zählte sie
2OOB zu den IOO Vordenkerinnen
Deutschlands. Dagmar von Cramm, 51,
lebt mit ihrer Familje in Freiburg.
senschaft sagt
-
,,spezifisch dynamische
dieser Reaktion entsteht Wärme. Deshalb
Essen oft warm. Ein
Teil der Kalorien verpufft also, gleichzeitig läuft unser innerer Motor auf Hochtouren. Die Hebel stehen aufVerbrennung
- gut ftirs Abnehmen. So wird Eiweiß auch
als,,Fatburner", Fettverbrenner, bezeichnet. Außerdem scheint es besonders stark
zu sättigen. Deshalb arbeiten manche Diä-
ten mit Eiweißkonzentraten. Klassiker
dieser Richtung sind die Mayodiät mit den
berühmten neun hartgekochten Eiern am
Tag die Managerdiät, Low-Carb oder die
Logi-Methode. Auch all die Formula-Diäten, bei denen ein Mix aus Eiweißpulver
einzelne Mahlzeiten ersetzt, arbeiten nach
dem Prinzip.
Kohlenhydrate sind für unser Verdauungssystem am schnellsten zu verwerten - vor allem, wenn es sich um iso-
lierte Kohlenhydrate in weißem Mehl,
Zucker oder in Säften handell Sie gehen
als Glukose ins Blut und lösen eine Insulinausschüttung aus, die den Zucker aus
dem Blut in die Zellen transportiert. Ein
Maß für die,,insuline Wirkung,,ist der
Glykämische Index, kurz Glyx: Je höher
er ist, desto schneller steigt der Blutzuckerspiegel an. Es gibt aber auch Kohlenhydrate, die langsamer abgebaut werden, wie zum Beispiel Vollkorn, derbes
Gemüse oder rohes Obst. Die Kombination von Fett und Eiweiß kann den Verdauungsprozess ebenfalls verlangsamen.
Diesen Effekt machen sich Glyx-Diät
und Montignac-Methode zunutze, indem sie Lebensmittel mit einem niedrigen Glyx bevorzugt empfehlen. Süßes
und Brot dagegen werden gemieden. Insulin ist aber auch dafi.ir zuständig überschüssige Energie in Fettzellen zu speichern. Es wird deshalb auch als Dick-
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ir
macher-Hormon angesehen.,,schlank
im Schlaf" schränkt die Kohlenhydrate
deshalb nach Tageszeit und damit nach
Bedarf unterschiedlich ein: morgens
viel, mittags wenig, abends so gut wie
nichts. Die meisten traditionellen Diäten
machen diesen Unterschied nicht'
Fett war lange der Bösewicht' Nicht
nur, dass es doppelt so viel Kalorien hat
wie die anderen Nährstoffe. Die Schluss-
folgerung,,Fett macht fett" liegt einfach
nahe. Außerdem erhöht das falsche Fett,
nämlich gesättigte Fettsäuren, das Risiko für Schlaganfall, Bluthochdruck und
Herz-Kreislauf-Krankheiten. Low-Fat
heißt denn auch eine ganze Diät-Bewegung. Seriöse Diäten setzen gern den
Fettgehalt herab und bieten als Ersatz
psychologisch geschickt Kohlenhydrai" tt""h dem Motto: Gummibärchen
"t-t
Schokolade - was den Gummibärstatt
chenabsatz in den letzten zehn Jahren
um 100 Prozent steigen ließ.
Diese Devise nahmen auch Pfundskur, Weight Watchers und die BrigitteDiät auf - sie wurde fast Allgemeingut'
So ist der Fettverzehr in Deutschland
seit den achtziger Jahren tatsächlich um
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fünf Prozent gesunken. Dafür nahmen
die Deutschen entsprechend mehr Kalorien aus Kohlenhydraten und Alkohol
zu sich - und wurden dicker' Ganz bewusst auf Fett setzen die Atkins-Diät
und Low-Carb, beide ersetzen Kohlen-
hydrate durch Fett und Eiweiß' Ersiaunlicherweise hat das in der Regel
eine Verbesserung des Blutfettspiegels
zur Folge. Über mögliche negative Langzeitschäden wird noch diskutiert'
Wasser enthält null Kalorien - und
hat trotzdem Volumen, füllt also vorübergehend den Magen. Das machen
sich äie,,Volumetrics"-Diät zunutze, die
Kohlsuppe" und viele seriö,,Magische
ie ebnehmprogramme' Dabei geht es
um Speisen mit einem hohen Wasserund dadurch niedrigen Energiegehalt:
Obst, Gemüse, fettarme Joghurts, Suppen und Eintöpfe haben in der Regel wenigKalo.ien, fullen aber den Magen und
siinalisieren Sättigung. Außerdem sind
siä reich an wichtigen Nährstoff6n - bei
wenig Kalorien. Wissenschaftler nennen däs, eine hohe Nährstoffdichte'
Doch nur auf die Konsistenz darf man
sich nicht verlassen - bei Getränken
funktioniert,,Volumetrics" nicht: An Säf-
ten, Limonaden und Smoothies kann
man sich dick trinken, Milch ist ebenfalls eine Zwischenmahlzeit und kein
Durstlöscher. Der Ernährungsepidemiologe Barry Popkin von der North Ca-
rolina University hat dafür eine Erklärung: In ihrer Entwicklung seit der
Steinzeit haben Menschen gelernt, mit
fester Nahrung den Hunger zu stillen und mit Wasser Durst zu löschen' Dass
Getränke auch satt machen können, haben wir nicht auf unserer Festplatte'
Die Datenlage ist trotz der Brisanz des
Problems dünn. Eine Metaanalyse von
31 Studien der Universitätvon Kalifornien
kommt zum Schluss, dass Diäten wohl
zunächst zu einem Gewichtsverlust
ftihren, der aber langfristig nicht zu halten
ist: ,,Es ist nicht die Frage, ob nach einer
Diätwieder Gewicht zugelegtwird - sondern wie viel!" So sensationeli die Erfolgsgeschichten in Zeitschriften sind,
die Realität sieht anders aus. Mehr als fünf
bis zehn Prozent Gewichtsverlustwird in
der Regel nicht erreicht. Zwischen 5 und
jede
6 Kilo sind die Regel - das ernüchtert
Seite:
B0-Kilo-Fraul Auf der anderen
Wenn rechtzeitig die Notbremse gezogen
wird, kann das ja schon reichen. Doch ers-
SPIEGEL
WISSEN 3I2OO9
rii
,i ole Ernährungsbausteine
::
,..
, Energie wird meist ln Kilokalorien (kcal) gemessen - umgangssprachlich einr, facfr Kalorien. Wissenschaftler benutzen Kilojoule (1 kcal = 4,184kJ)' Diese sind .'
,,., in Lebensmitteln in Form von vier unterschiedlichen Bausteinen enthalten:, . .
rtrt Eiweiß enthält pro Gramm etwa 4 kcal. Es besteht aus Aminosäuren und ist
:t;. lebenswichtiger Grundbaustein unseres KÖrpers. Muskeln, Organe, Blut
-, bestehen zum Großteil aus Eiweiß (Protein). Es ist Grundsubstanz von Hor- ,t..
.:, monen, Wirkstoffen und Antikörpern.
,, Kohlenhydrate liefern ebenfalls etwa 4 kcal/g, Sie bestehen aus Einfach-,
.: Zweifach- und Mehrfachzuckern. sie sind so etwas wie das Benzin unseres
,, Motors, vor allem des Gehirns. Kleine Kohlenhydratreserven (Glykogen)
:,:, speichern wir in unseren Muskeln und in der Leber.
,: Fett ist mit 9 kcal/g der kalorienreichste Baustein. Es besteht aus Glycerin
sind le- .,
,1, und Fettsäuren. Ein Teil der Fettsäuren, die mehrfach ungesättigten,
r..: bensnotwendig als Baustein unserer Zellwände, als Hormone und Träger von ,,i
,:: Vitaminen. Überschüssige Nahrungsenergie aus allen Ernährungsbausteinen
:,' wird zu Fett umgebaut und ist unser Langzeit-Energiespeicher.
:r' Alkohol liefert 7 kcal/g, muss in der Leber entgiftet werden, trä9t aber in
'" unserer Bevölkerung zur Energiezufuhr erheblich bei.
,,,.
rens ist bei schwerem Übergewicht diese
Marge längst überschritten, und zweitens
sind die Pfunde im Nu wieder drauf
-
u'enn man der bisherigen Datenlage trauen darf. Außerdem gibt es gesundheit-
liche Probleme bei regelmäßigen
Ge-
n'ichtsschwankungen, die durch den JoJo-Effekt auftreten. Also alles egal?
Neue Hoffnung weckt die,,DiogenesStudie", an der über 500 Familien in acht
europäischen Ländern von 2005 bis
2007 teilnahmen und deren Ergebnisse
in diesem Jahr vorgestellt wurden. Nach
einer achtwöchigen kalorienbegrenzten
Diät - durchschnittlich verlor jeder erri'achsene Teilnehmer 8 Prozent seines
Gewichts undzwar 11,2 Kilo - sollte mit
einer festgelegten Diät das Gewicht gehalten werden. Dabei wurden fünf unterschiedliche Nährwertrelationen verglichen. Klarer Sieger war die eiweißreiche Kost. Mit ihr blieb das neue Gewicht
stabil. Positiv wirkte sich bei einem Teil
Jer Kandidaten aus, wenn die verzehrten
Kohlenhydrate einen hohen glykämischen Index hatten. Die Erklärung der
\\'issenschaftler: Eiweiß sättigt am bes-
:
:
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für wenige Mahlzeiten und kleinere Portionen. Denn wenn die Essgelegenheiten
zunehmen, wenn die Auswahl wächst und
Reduktionsdiät - das ist immer eine
künstliche Verknappung von Lebensmitteln, die eigentlich im Überfluss vorhan-
der Teller größer ist, wenn man reichlich
den sind. Eine nie zuvor da gewesene Situation: Genetisch sind wir fit für Hungerzeiten, nicht aber fürs Schlaraffenland.
Gesellschaft hat und abgelenkt wird
-
dann isst man eben auch mehr.
Es
Gut nachzuweisen ist dagegen der po-
Index tragen ebenfalls zu einer schnel.eren Sättigung bei. Der Fettgehalt der
Kost war mäßig aber nicht low!
Nicht nur was, auch wie wir essen,
.pielt eine Rolle. Wihrend in der Vergan-
sitive Effekt von Bewegung. Denn die
Energiebilanz lässt sich ja auch durch
Erhöhung des Verbrauchs verändern.
Doch weiterfutternwie bisher und durch
Sporteln schlank werden - das funktioniert nicht. Denn für ein Stückchen Kuchen (a0o bis 400 kcal) muss man min-
gegen
destens eine Stunde auf dem Rad etwa
:en und aktiviert den Stoffivechsel. Koh-
.enhydrate
mit hohem glykämischen
-enheit Zwischenmahlzeiten
:{eißhunger empfohlen wurden oder so-
:tr ,,grazing" - also Naschen rund um die
- hr -, geht heute der Trend zu drei
r{auptmahlzeiten, ja sogar zum ,,dinner
:rncelling". Die wissenschaftliche Daten.rge zur Frage der Häufigkeit ist dürftig.
\llerdings sprechen jüngste Studien eher
Grundsätze für gesundes
Abnehmen
1
Dreimal am Tag essen
- nicht
naschen!
Etwa 11OO-13OO kcal für Frauen,
für Männer
Viel Gemüse, Geflügel, magere
Milchprodukte, Fisch. Wasser
Mäßig Obst, Vollkorn, Kartoffeln,
Fleisch, Ei, Nüsse und Kerne
Wenig Süßes, Weißmehlgebäck,
15OO-17OO kcal
Fertigprodukte, Alkohol
6 Keine Süßgetränke
7
So viel Bewegung wie möglich
I
15 Kilometer strampeln
tiv
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und wer hat
neue Erkenntnis. Die genaue Erklärung steht noch aus - vermutet werden hormonelle Mechanismen, die an
die Nachtruhe geknüpft sind. Darüber
hinaus mag auch Stress eine Rolle spielen, der mit Essen kompensiert wird.
Bisher ungelöst sind die Rätsel genetischer Veranlagung - selbst wenn,,metabolic balance" vorgibt, genau das zu
berücksichtigen. Den Nachweis bleibt
diese Diät allerdings schuldig. Auch die
Rolle der Darmflora istbisher nicht ausreichend untersucht. Je mehr wir wis'
sen, desto mehr Fragen tun sich auf.
Doch entscheidend für den Einzelnen
ist die Umsetzung im täglichen Leben.
Und genau das scheint die schwierigste
Aufgabe zu sein.
EGEL
-
schon so viel Energie, Zeit und Lust? Vor
allem: Schweres Übergewicht geht auf
die Gelenke und macht schweißtreibenden Sport so gut wie unmöglich.
Dass ausreichend Schlaf wichtig ist
für ein gesundes Gewicht, ist eine rela-
erfordert eine Menge Willenskraft und
Energie, sich freiwillig zu beschränken,
unbequeme Bewegung auf sich zu nehmen, Rohkost zu kauen statt Smoothies
zu schlürfen und ab und zu den Mund geschlossen zu halten, wenn's was zu futtern gibt. Daflir gibt es keinen Zauberffick,
das ist harte Willensarbeit - gegen lebenslange Gewohnheiten und gegen unseren Instinkt, möglichst schnell, möglichst bequem und möglichst viel zu essen.
Auch besteht ein Zusammenhang zwischen Übergewicht und Bildung. Wer eine
gute Ausbildung hat, ist seltener übergewichtig. Und wer schon als Kind ,,gesunde" Essvorlieben entwickelt, ebenfalls'
Es gibt kein Patentrezept. Je nach
Veranlagung und Vorlieben führen unterschiedliche Wege zumZiel. Eine bessere Bildung, mehr Bewegung und eine
vernünftige Ernährungserziehung von
klein auf kann vermeiden, dass sich Fettpolster in frühen Jahren festsetzen.
Wehret den Anfängen, heißt die Devise.
Und das ist tatsächlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der sich auch
Lebensmittelindustrie und Handel mit
ihrem Angebot stellen müssen.
Ebenso wichtigscheint aber die eigene
Motivation: Das Do-it-yourself-Abnehmen ohne Gruppe oder Beratungund re-
gelmäßiges wöchentliches Wiegen ist,
wie die Mehrzahl der Studien zeigq füt
erfolgreiches und langfristiges Abnehmen
entscheidend. Wer hätte das gedacht?
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