Groupies
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GROUPIES USA 1970 R: Peter Nevard. B/K/S: Ron Dorfman. P: Robert Weiner. T: Michael Becker. Bands: Ten Years After, Joe Cocker and the Grease Band, Terry Reid, Spooky Tooth featuring Luther Grosvenor, Dry Creek Road u.a. Darsteller: Miss Harlow, Cynthia Plaster Caster, Goldie Glitter, Chaz, Iris, Brenda, Diane, Lixie, Andrea „Whips” Feldman u.a. DVD-Vertrieb: MRA Entertainment Group (2005). UA: 8.11.1970, New York. 92min, 35mm, Farbe, Mono. GROUPIES wirft einen Blick hinter die Kulissen des Lifestyles von Rockmusikern und ihren weiblichen und einigen wenigen männlichen Groupies. An Originalschauplätzen gedreht, folgt der Film Musikern wie Ten Years After, Terry Reid oder Joe Cocker auf Tourneen durch amerikanische Clubs. Interviews in Hotelzimmern und Wohnungen wechseln sich ab mit Partysequenzen, Proben und Konzerten der Bands. Dabei dominieren die Bilder von Frauen, die sich allein oder in der Gruppe auf den Abend vorbereiten. Es darf spekuliert werden, ob Ron Dorfman, der als Kameramann und Produzent unter dem Pseudonym „Art Ben“ nur noch Hardcorepornofans ein Begriff sein dürfte, mit GROUPIES nicht einfach einen lukrativen Schock inszenieren wollte. Die laut einem Filmplakat versprochenen „thrills and more thrills“ beschränken sich aber auf ein wenig nackte Haut und steten Drogenkonsum. Ton und Bild sind – nicht zuletzt bedingt durch die Drehs an Originalschauplätzen – meist von mangelhafter Qualität. Unscharfe und verwackelte Einstellungen, ins Bild ragende Mikrophone, Gegenlichtsituationen und unverständliche Dialoge werfen die Frage auf, ob der Direct-Cinema-Eindruck beabsichtigt oder nicht auch dem technischem Unvermögen der Filmemacher geschuldet ist. ROCK AND POP IN THE MOVIES, 1, 2011// 60 Gleichwohl verdient der Film als Dokument seiner Zeit einige Aufmerksamkeit. Dorfman, der im gleichen Jahr als Kameramann an der weit professioneller produzierten Dokumentation GIMME SHELTER (1970, Albert and David Maysles) beteiligt war, hält in GROUPIES keinerlei Distanz zu seinen Protagonisten. Die Interviewer sind nie zu sehen, die Fragen unhörbar. Selten blicken die Protagonisten direkt in die Kamera, auf Kommentare wird verzichtet. Diese wenig inszenierte, fast immer rein beobachtende Regie zieht den Betrachter direkt ins Geschehen und macht GROUPIES zu einem Zeitdokument, in dem sich vermutlich ziemlich genau der durchschnittliche Alltag von Rockmusikern und ihren Fans abseits des großen Erfolges offenbart. Mit Ausnahme von Joe Cocker wird der Film dominiert von Musikern, denen wie Ten Years After nie der große Durchbruch gelungen ist oder die sich wie Terry Reid nur als Vormusiker oder -gruppen einen Namen machten. In ihren musikalischen Performances deutet sich der Übergang vom soul- und folklastigen Bluesrock der Blumenkinder zum psychedelischen Glam- und aggressiven Hardrock an. Ten Years Afters Version von Good Morning Little Schoolgirl spiegelt mit einem stark verzerrten Gitarrenriff die zeitgleichen Hardrock-Entwicklungen bei Black Sabbath oder Led Zeppelin wider. In Reids psychedelisch angehauchter Version von Sony Bonos Bang Bang dominiert das aggressive, treibende Schlagzeug, das im Schnitt-GegenschnittVerfahren von einem der männlichen Groupies enthusiastisch kommentiert wird. Delta Lady von Joe Cocker, der seine typischen Bühnenmanierismen präsentiert, basiert auf einer lärmenden FeedbackSchleife. Im Gegensatz zu den roh und unbearbeitet wirkenden Gesprächen werden die Konzertaufnahmen ästhetisch inszeniert. Die Kamera bewegt sich entweder zwischen den Musikern auf der Bühne oder zoomt auf Details wie Rhythmus schlagende Füße, die Hände von Gitarristen oder Pianisten. Immer wieder werden in amerikanischer Einstellung oder Großaufnahme entrückt-enthusiastische Gesichter und fliegendes Haupthaar festgehalten. Sänger und Solo-Gitarristen werden in Untersicht gefilmt, was ihrer Heroisierung in den Interviews durchaus entspricht. ROCK AND POP IN THE MOVIES, 1, 2011// 61 Die portraitierten Groupies selbst gehören mit Ausnahme von Cynthia Plaster Caster (bürgerlich Cynthia Albritton) nicht der obersten Riege ihrer Zunft an. Sie können von einer Nacht mit den Superstars der Szene nur träumen. Als eigentliche Protagonisten des Films bezeugen auch sie in ihrem Verhalten und ihren Gesprächen den Wandel des love and harmony-Zeitgeistes der Hippies in die dekadenten und weit aggressiveren 1970er Jahre. Der Chauvinismus in der Rockmusik jener Jahre, den erst Disko, früher Hip Hop und Punk aufzubrechen vermochten, enthüllt sich nicht nur in einigen unterwürfigen Aussagen der Groupies oder dem Gestus der Musiker. Er zeigt sich auch in der Machart des Films. In einer der ersten Szenen sucht die Kamera den Blick auf das Gesicht eines Groupies. Sie bewegt sich zwischen den nackten Schenkeln der jungen Frau zielgerichtet auf den Schritt zu, und verharrt in der Perspektive des aktiven Partners beim Cunnilingus. Die Gespräche der Groupies beim Schminken, Zähneputzen, An- und Auskleiden und dem Dogenkonsum zeichnen ein äußerst zwiespältiges Bild ihrer Motivation. Einerseits offenbart sich eine Hackordnung gesellschaftlicher Verlierer, die sich durch die Nähe zu den vergötterten Stars aufzuwerten suchen. Die Selbstbeschreibung: „I looked in the mirror and I just said: ʻWow, you fucking whore – what are you into?’“ mag man als „Selbsterkenntnis“ ansehen und sich dann mit einer letztlich moralistisch-puritanischen Mitleidsgeste von den jungen Frauen distanzieren. Andererseits demonstrieren die Mädchen aber Selbstbewusstsein, gesunden Realitätssinn und eine gewisse Verachtung für die Objekte ihrer Begierde. Der Kampf um die Stars (wie die immer wieder genannten – und dabei unerreichbaren – Led Zeppelin) wird von den Frauen in einem fast professionellen Sinne als „challenge“ begriffen. Nur der maximale Ruhm des Musikers garantiert sexuelle Befriedigung. Erfolglose, anmaßende oder gewalttätige Männer trifft die volle Breitseite weiblichen Spottes. Im Ernstfall, so berichten die Erzählungen der jungen Frauen, kommt auch das Tränengas zum Einsatz. Thema ist immer wieder die mangelnde Größe der männlichen „units“, die nicht für die Verewigung in Gips durch die Avantgarde der Groupies, die Plaster Casters, verwertbar wären. ROCK AND POP IN THE MOVIES, 1, 2011// 62 Diese Aussagen könnten als Aufstand gegen ein altes Rollenbild gedeutet werden: Die Groupies werden selbst zu Jägerinnen. Sie konfrontieren offensichtlich eingeschüchterte Musiker wie den Bassisten von Cat Mother mit fordernder, weiblicher Sexualität. So degradieren sie den Mann zum Objekt und unterwerfen ihn einer auf Ruhm basierenden Hierarchie. In diesem Kontext sind Cynthia Albrittons Penisabdrücke feministische Aktionskunst [1]. Während die Musiker bei diesem Thema in peinlich berührtes Übersprungsgelächter ausbrechen oder die Gipsabdrücke als einfach „lächerlich“ bezeichnen, verteidigen die Mädchen die Herstellung der Trophäen als „artform“. Im letzten Drittel des Films erläutert Albritton die technischen Details und Schwierigkeiten bei der Herstellung dieser Artefakte. Zum Ende der Szene zoomt die Kamera auf das Kronjuwel ihrer Sammlung, den berühmten „Penis de Milo“ von Jimi Hendrix [2]. Angesichts der Bilder in schäbigen Backstage-Räumen, heruntergekommenen Hotels und Wohnungen entsteht der Eindruck eines banalen, nur mit Drogen versüßten Alltages. Der minutenlange schwer erträgliche Auftritt des männlichen Groupies und Transvestiten Chaz verdüstert den Film. Völlig überschminkt, körperlich misshandelt und vom Heroin gezeichnet erweckt er in seiner Penetranz und Hilflosigkeit kein Mitleid, sondern erntet Spott und Hohn. Besonders Terry Reids Schlagzeuger profiliert sich dabei mit arrogant überzeichnetem „britischen“ Humor. Seine Bonmots gehen allesamt zu Ungunsten Chaz’. Auch der in seiner Exaltiertheit lächerliche Striptease der Andy-Warhol-Muse Andrea „Whips“ Feldman in der New Yorker Gallery of Erotic Art hat, trotz der im Gegensatz zu den anderen Drehorten etwas eleganteren location, wenig Glamour. Selbst bei den im Film auftretenden Personen löst er vor allem peinlich berührtes Schweigen aus. Der vermeintlich objektive Blick der Filmemacher entlarvt in GROUPIES zumindest bei oberflächlichem Hinsehen zweierlei: In der Gegenüberstellung von heroisierten Musikern mit eher schäbig und sexualisiert portraitierten Groupies demaskiert sich Dorfmans Regie am Ende als männliche Sexualphantasie. Aber auch die Hoffnungen der Protagonisten, durch ˮsex, drugs and rockstars“ (so ein Filmplakat) der Banalität und Repression des Mittelschichtalltages zu entfliehen, ROCK AND POP IN THE MOVIES, 1, 2011// 63 konterkarieren sich in GROUPIES selbst. Letztlich vermitteln die Gespräche, das unverhüllt eingefangene Milieu, die heroisierten, aber qualitativ schlechten Konzertaufnahmen die Banalität gescheiterter Träume, die mit Lippenstift und Push-up-BH, mit Drogen und Alkohol tragisch-traurig am Leben gehalten werden. (Konstantin Jahn) Anmerkungen: [1] Cynthia Albritton, genannt „Cynthia Plaster Caster“, war in den 1960er Jahren das wohl bekannteste Groupie. Ihre Karriere als Künstlerin begann 1968 mit einer ersten Ausstellung von Penis-Abdrücken von Rockstars (z. B. Jimi Hendrix und Noel Redding). Später weitete sie den Kreis ihrer Modelle auf andere Künstler aus. Ab 2000 begann sie ebenso, Gipsabdrücke von den Brüsten weiblicher Stars zu archivieren. Der Dokumentarfilm PLASTER CASTER (USA 2001, Jessica Everleth) portraitiert die Arbeiten der jungen Frau. Vgl. dazu Tomasino, Barbara: Groupie. Ragazze a perdere. Palermo: Epos 2003, S. 278-283. [2] Vgl. http://www.cynthiaplastercaster.com (10.3.2011). Rezensionen: The Hollywood Reporter 213,33, 6.11.1970, S .3. Greenspun, Roger: Girls (and Boys) in Pursuit of Rock Stars. In: New York Times, 9.11.1970; online: http://movies.nytimes.com/movie/review? res=9E00E1DE143AE333A2575AC0A9679D946190D6CF (10.3.2011). Variety, 18.11.1970, S. 14. Film Bulletin 39,24, Dec. 1970, S. 26-27. Elizabeth Hardwick: Militant Nudes. In: The New York Review of Books, 7.1.1971. CinemaTV Today, 9999, 23.11.1972, S. 18. Monthly Film Bulletin 39,466, Nov. 1972, S. 233. Films and Filming 19,2, Nov. 1972, S. 45-46. Rev. In: filmfanatic, n.d., URL: http://filmfanatic.org/reviews/?p=978 10.3.2011). Rev. (Graeme Clark) in: The Spinning Image, n.d., URL: http://www.thespinningimage.co.uk/cultfilms/displaycultfilm.asp? reviewid=4444&aff=13 (12.3.11). ROCK AND POP IN THE MOVIES, 1, 2011// 64 Empfohlene Zitierweise: Jahn, Konstantin: Groupies. In: Rock and Pop in the Movies 1, 2011. URL: http://www.rockpopmovies.de Datum des Zugriffs: 10.10.2011. Rock and Pop in the Movies (ISSN tba) Copyright © by the author. All rights reserved. Copyright © für diese Ausgabe by Rock and Pop in the Movies. All rights reserved. This work may be copied for non-profit educational use if proper credit is given to the author and „Rock and Pop in the Movies“. ROCK AND POP IN THE MOVIES, 1, 2011// 65