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Ausgabe
WZB
Mitteilungen
www.wzb.eu
Juni 2012
136
Digitale Welt ­Arbeit, Politik
und Alltag im Wandel

Weitere Themen: Kritik und Kontrolle in China, Steffen
Huck und David Brady neue Direktoren am WZB, Karl W.
Deutsch 1912-2012

WZB
Mitteilungen
Heft 136
Juni 2012
Titelfoto:
Konferenzteilnehmer bei der
Abschlussparty der Digital Life
Design-Konferenz im P1 im
Münchner Haus der Kunst im
Januar 2011
Inhalt
Editorial
Aus dem WZB
5
33
Gesellschaft Europa
Jutta Allmendinger
Konferenzberichte
36Leibniz-Forschung: Kampf um die
Weltordnung
[Foto: Süddeutsche Zeitung Photo /
Stephan Rumpf]
Titelthema
7
Vom Haben zum Greifen
Auf dem Weg in eine digitale Abruf­
gesellschaft
Michael Hutter
37
Die Erforschung des Wandels
Steffen Huck wird neuer WZB-Direktor
38
Wie Politik Ungleichheit schafft
David Brady kommt als neuer Direktor
ans WZB
11
Kollektive Kreativität
Probleme des Urheberrechts aus
­interdisziplinärer Perspektive
Jeanette Hofmann
39Wirtschaft, Politik und Institutionen
im Wandel
WZB-Forschung über Formen ökono­
mischer Governance
Sigurt Vitols
15
Auf der Suche nach Austausch
Digitale Nomaden und Coworking
Spaces
Janet Merkel
42
Aufklärer, Initiator, Kämpfer
Rolf Rosenbrock: eine persönliche
­Würdigung zum Abschied vom WZB
Ilona Kickbusch
18
Digitalisieren und sparen
Lichtkonzepte für Städte und
­Kommunen gefragt
Nona Schulte-Römer
44
46
48
Nachlese: Das WZB im Dialog
Vorgestellt: Publikationen aus dem WZB
Personen
51
Kompakt, schnell, elektronisch
Eine Zwischenbilanz der WZBriefe
Kerstin Schneider
52
Vorschau: Veranstaltungen
22
Veränderung als Konstante
Bibliotheken im digitalen Zeitalter
Sebastian Nix
26
Discussing Europe
Online debates on the Union are plural
and mostly civilized
Pieter de Wilde
29
Tuning the people
China’s delicate balance between digital
freedom and repression
John Keane
Zu guter Letzt
54 Seiner Zeit voraus
Karl W. Deutsch prägte zehn Jahre lang
das Gesicht des WZB
Andrei S. Markovits
WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
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Impressum
WZB Aufgaben und Arbeiten
WZB-Mitteilungen
ISSN 0174-3120
Im Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) betreiben rund
160 deutsche und ausländische Wissenschaftler problemorientierte Grund­
lagenforschung. Soziologen, Politologen, Ökonomen, Rechtswissenschaftler
und Historiker erforschen Entwicklungstendenzen, Anpassungsprobleme und
Innovations­chancen moderner Gesellschaften. Gefragt wird vor allem nach
den Problemlösungskapazitäten gesellschaftlicher und staatlicher Institutionen.
Von besonderem Gewicht sind Fragen der Transnationalisierung und Globali­
sierung. Die Forschungsfelder des WZB sind:
Heft 136, Juni 2012
Herausgeberin
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums
Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph.D.
10785 Berlin
Reichpietschufer 50
Redaktion
Dr. Paul Stoop (Leitung)
Gabriele Kammerer
Claudia Roth
Kerstin Schneider
– Arbeit und Arbeitsmarkt
– Bildung und Ausbildung
– Sozialstaat und soziale Ungleichheit
– Geschlecht und Familie
– Industrielle Beziehungen und Globalisierung
– Wettbewerb, Staat und Corporate Governance
– Innovation, Wissen(schaft) und Kultur
– Mobilität und Verkehr
– Migration, Integration und interkulturelle Konflikte
– Demokratie
– Zivilgesellschaft
– Internationale Beziehungen
– Governance und Recht
Korrektorat
Udo Borchert
Martina Sander-Blanck
Gegründet wurde das WZB 1969 auf Initiative von Bundestagsabgeordneten
­aller Fraktionen. Es ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft.
Telefon 030-25 491-0
Telefax 030-25 49 16 84
Internet: www.wzb.eu
Die WZB-Mitteilungen erscheinen viermal im
Jahr (März, Juni, September, Dezember)
Bezug gemäß § 63, Abs. 3, Satz 2 BHO
kostenlos
Dokumentation
Ingeborg Weik-Kornecki
Texte in Absprache mit
der Redaktion
frei zum Nachdruck
Auflage
10.500
Abonnements: [email protected]
Fotos S. 5 und S. 44: David Ausserhofer
Gestaltung
Kognito Gestaltung, Berlin
Satz und Druck
Bonifatius GmbH, Druck · Buch · Verlag,
Paderborn
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WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
Gesellschaft Europa
Letztens war ich wieder in Brüssel für eine Sitzung der Kommission I4G
– Innovation for Growth, ein Beratungsorgan, das der Forschungskommissarin Geoghegan-Quinn direkt unterstellt ist. Als ich nach der Sitzung ins Hotel wollte, war das weiträumig abgesperrt. Umgestürzte Autos, überall Polizei in Kampfuniform. Nur war ich die einzige, die da
etwas Dramatisches vermutete. Die anderen Passanten ließen sich nichts
anmerken. In Berlin wäre das undenkbar. TV-Teams wären da, Politiker
würden beschwörend dies oder jenes fordern, Aufregung allerorten.
Woher kommen solche Unterschiede in der Wahrnehmung, im öffentlichen Diskurs? Es wäre lohnend, solche Phänomene zu erforschen. Doch
im ersten Entwurf des neuen EU-Rahmenprogramms für Forschung und
Innovation „Horizon 2020“ war kein Cent für die Sozial- und Geisteswissenschaften eingeplant. Null Cent in einem 80 Milliarden Euro schweren
Programm. Sozialstaat, Integration, Sicherheit, Kommunikation – nicht
EU-relevant?
Ein Aufschrei der entrüsteten sozial- und geisteswissenschaftlichen
Community, resultierend unter anderem in einem offenen Brief an die
Forschungskommissarin, wirkte. Ende Mai gab die Kommissarin die Einführung eines neuen Förderschwerpunkts für die Sozial- und Geisteswissenschaften bekannt. Diese Entwicklung hat gezeigt: Die Disziplinen
müssen vereint auftreten und eine starke Lobby entwickeln.
Diese Erkenntnis führte im Dezember 2011 zur Gründung der European
Alliance for Social Sciences and Humanities (EASH). Die Gesellschaftswissenschaften haben nun eine Stimme und können auch künftig für
einen festen Platz in der europäischen Forschung eintreten. Die I4G
wird in diesem Sinne wirken. Und das WZB unterstützt die EASH nach
Kräften.
Jutta Allmendinger
WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
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Digitale Welt. Ein Nachmittag im April.
Das Hamburger Landgericht entscheidet
zugunsten der GEMA im Streit mit Google/youtube. Eine Studie der TU Berlin
stellt fest: Social Media fördern das Vertrauen unter Studenten. Oberpiratin Marina Weisband bloggt gegen die Zaghaftigkeit gegenüber extremistischen
Tendenzen in der Partei. In St. Gallen
wird der „Social Media Activity Index“
über das digitale Verhalten von Bundestagsabgeordneten vorgestellt. Binnen
Minuten gehen diese Meldungen ein,
werden von anderen e-Medien aufgenommen, erreichen Online-Plattformen
klassischer Medien, werden von Lesern
kommentiert, fließen in die Arbeit an
den Printausgaben ein. Grenzen und
Hierar­chien lösen sich auf: zwischen
Medien­gattungen, zwischen Lesern und
Kommentatoren, zwischen Ereignis, Bewertung, Handeln.
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WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
Vom Haben zum Greifen Auf dem Weg in
eine digitale Abrufgesellschaft
Michael Hutter
Der Anschluss informationsverarbeitender Geräte an digitale Netzwerke revolutioniert unsere Lebensgewohnheiten. Wie zuvor schon die Alphabetisierung und
der Buchdruck wird jetzt die Digitalisierung als Befreiung und Katastrophe zugleich erlebt: eine Befreiung von für selbstverständlich gehaltenen Beschränkungen, eine Katastrophe für bestehende Macht- und Geschäftsmodelle. Während bis vor kurzem nur dünne Textreihen billig produziert und kopiert werden
konnten, sind inzwischen im Internet die Bildfolgen von Videospielen verfügbar, in denen sich bis zu hundert Millionen Teilnehmer gleichzeitig bewegen. Die
Kosten der Herstellung, vor allem aber der Verbreitung und Weiterverwendung
solcher Datenpakete und der Programme zu ihrer Generierung sind um Größenordnungen gefallen. Der Zugang zu digital formatierten Werken ist offen, Schutzrechte der Autoren und Verwerter können nur mit großem Aufwand oder gar
nicht durchgesetzt werden. Die Konsequenzen sind für viele der bisherigen
Rechteinhaber desaströs. Entsprechend erbittert ist die Diskussion über den
Umgang mit Rechten.
Der Streit bleibt nicht auf rechtspolitische Experten und einschlägige Lobbyisten beschränkt, sondern findet in aller Öffentlichkeit, insbesondere in den Massenmedien statt. Der Verlauf der Fronten in Diskussionen, Aktionen und Gegenaktionen ist unübersichtlich. Vier Gruppen sind vom Umbruch in der
Informationsbeherrschung betroffen: Produzenten, Urheber, Verwender und
Verwertungsgesellschaften. Alle vier haben in sich widersprüchliche Interessen.
Bei den Produzenten verlieren die Hersteller von Werken, die in digitaler Form
vertrieben werden, etwa Filme oder Videospiele, während die Hersteller der
zum Aufnehmen und Abspielen benötigten Geräte Gewinne einstreichen. Aus
diesen Gewinnen – nämlich über die Kopierabgabe – werden allein etwa 40
Prozent der Ausschüttungen der GEMA finanziert.
Summary: Digitally available works
are increasingly easy to access. Thus,
the possibilities for controlling information goods shift. Practices of
dealing with content and knowledge
disengage from a private property
culture and find new forms in a culture of rights to access and grasp content. This process, in its effects comparable to the advent of the printing
press, is reflected in the current debate on copyright law reforms.
Kurzgefasst: Der Aufwand für diejenigen, die auf digital verfügbare Werke
zugreifen, ist gering und sinkt weiter.
Dadurch verschieben sich die Möglichkeiten, Informationsgüter zu beherrschen. Der Umgang mit Wissen
und Inhalten löst sich von der Eigentumskultur und findet neue Formen
in einer Kultur, in der Rechte auf Zugänge, Abrufe und deren Verbindungen relevanter sind als Exklusivrechte. Dieser Vorgang, in seinen Aus­
wirkungen schon jetzt mit denen des
Buchdrucks vergleichbar, spiegelt sich
in der Debatte um die Weiterentwicklung des Urheberrechts.
Bei den Schöpfern der Werke verlieren etablierte Ensembles und Studios, aber
unabhängige, oft nichtprofessionelle Autoren, Musiker und Programmierer gewinnen Aufmerksamkeit und Vermögen. Hier, bei den eigentlichen Urhebern,
sind die Meinungen am stärksten gespalten. Viele optieren so wie der Musiker
und Blogger Jonathan Coulton: „ I believe in copyright. I benefit from it. [...] But if
I had to give up one thing, if I had to choose between copyright and the wild
west, semi-lawless, innovation-fest that is the internet? I’ll take the internet
every time“ (www.jonathancoulton.com/2012/01/21).
Bei den Verwendern verläuft die Interessenlinie zwischen den Generationen:
Die Generation, die sich an den passiven Konsum durch Massenmedien versendeter Inhalte gewöhnt hat, ist weniger betroffen von rigorosen Maßnahmen des
Rechteschutzes als die junge Generation, die neu entdeckt, was sich aus den
Relikten und Novitäten, die sie umgeben, an eigenen Werken gestalten und mit
anderen teilen lässt.
Am einheitlichsten treten die Verwertungsgesellschaften auf. Sie bieten zumindest ein Modell, wie in selbstorganisierter Weise Pauschalzahlungen von den
Gewinnern der digitalen Revolution an die Urheber verteilt werden können. Allerdings ist der Preis für diesen wichtigen Mechanismus der Umverteilung eine
fast vollständige Monopolisierung nationaler Parafisken, also der Organisationen, die öffentliche Aufgaben übernehmen und sich aus Zwangsabgaben finanzieren. Gleichzeitig sind sie wegen ihrer einfachen, vereinsartigen Entschei-
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dungsstruktur anfällig für die faktische Übernahme durch die
marktbeherrschenden Produktionsunternehmen. Es bleibt deshalb unklar, ob
Verwertungsgesellschaften wie GEMA, VG Wort und VG Bildkunst, denen die
technologische Entwicklung völlig neue Geschäftsfelder beschert, wegen des
gestiegenen öffentlichen und privaten Interesses an den Verteilungsmechanismen in ihrer heutigen Form überleben werden.
Alle diese Parteien engagieren sich, zum Teil mit beträchtlichen Mitteln, in der
Auseinandersetzung um die Weiterentwicklung des Urheberrechts. Die Argumente werden mit allen juristisch verfügbaren Mitteln unterstützt, die Rechte
sollen selbst mit Sanktionen in Form von Geld- und Freiheitsstrafen verteidigt
werden. Aber letztlich laufen alle Abwehrmaßnahmen ins Leere: Während einige
Rechteverletzer physisch dingfest gemacht werden, entstehen schon wieder
neue Netzwerke und Abrufmöglichkeiten.
Die Richtung, in der sich die institutionelle Veränderung bewegt, ist klar und
unvermeidlich: Auf Werke digital zuzugreifen wird immer einfacher, während
der Aufwand zur Verteidigung bestehender Verwertungsrechte steigt. Also läuft
die Entwicklung auf eine geringere Schutzhöhe zu. Der Druck in diese Richtung
ist so stark, dass er in einigen europäischen Ländern politisch organisiert wird
und – in Gestalt einer parlamentarischen Fraktion – direkt auf die Gesetzgebung einwirkt. Verfahren der Finanzierung von Autoren und Produzentinnen,
die stärker über kollektive Kassen oder über Grundgebühren als über Einzelzahlungen organisiert sind, werden erprobt, lassen aber durchaus Szenarien zu,
in denen die Zahl der Künstler, die vom Verkauf oder Verleih ihrer Werke leben
können, sinkt.
Der Umbruch in der Definition der Rechte eines Urhebers an seinem Werk lässt
sich auch im Sprachgebrauch ablesen. Drei verschiedene Perspektiven lassen
sich dabei an drei Begriffsfeldern festmachen: Eigentum – Zugang – Zugriff.
Mit dem Begriff „geistiges Eigentum“ werden Schutzansprüche – von Patenten
bis zu Geschmacksmustern – bezeichnet. Der Eigentumscharakter immaterieller Werke wird dabei behauptet, obwohl die Differenz zu Sachen offensichtlich
ist: Materielle Güter sind private, also exklusive Güter. Ihre Nutzung muss rivalisierend sein, weil physische Körper nur an einem Ort sein können. Informationsgüter dagegen sind öffentliche Güter, denn ihre Inhalte, etwa die Vorteile
einer Erfindung, können gleichzeitig an vielen Orten sein. Das ist der Grund,
warum individuelle Schutzrechte für derartige Informationsgüter immer eingeschränkt sind durch das Interesse der Allgemeinheit an der weitestgehenden
Verbreitung und Nutzung der Information. Deshalb sind sie zeitlich befristet
oder müssen zwangslizenziert werden, oder sie gelten nicht für bestimmte Nutzergruppen.
Bei echten Eigentumsrechten ist das anders: Mit Sachen – früher auch Personen
– kann der Eigentümer weitgehend tun und lassen, was er will. Dem dominium
liegt eine Jahrtausende alte Rechtskultur zugrunde. In der Verbindung mit dieser Rechtskultur ist im vergangenen Jahrhundert das Urheberrecht weiterentwickelt worden, sowohl in der europäischen Version als Autorenrecht als auch
in der angloamerikanischen Version als copyright oder Kopierschutz von Werken. Mit der Ausweitung der Schutzfrist auf 70 Jahre nach dem Tod des Autors
und dem Ausbau des Rechtemanagements für digitale Ton-, Bild- und Datenträger schien die Angleichung an das Sacheigentum weitgehend vollzogen. Trotz
der normativen Verschärfung hat aber die Anzahl der Zugriffe auf geschützte
Werke zugenommen. Also werden mit dem Argument des Eigentums Verbote
generiert, die das Kopieren von digitalen Dokumenten mit dem Diebstahl von
Fahrrädern gleichsetzen oder die Aneignung von Firmenlogos für Handtaschen
mit dem Raub von Schiffsladungen durch Piraten.
Während dieser Chor der Interessierten den möglichst vollständigen Schutz individueller Rechte erreichen will, hat längst ein anderer Chor eingesetzt, der das
Gegenteil fordert: eine Reduzierung der Schutzansprüche, differenzierte Formen der Leistungsförderung oder gar völlig freien Zugang zu Datenquellen. Alle
diese Forderungen basieren auf der Sichtweise, dass Immaterialgüter aus Infor-
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mation bestehen, also „aus allem, was sich digitalisieren lässt“, um der Definition von Hal Varian, vormals Wirtschaftsprofessor in Berkeley, heute Chefökonom
bei Google, zu folgen. Die Verweigerung des Zugangs zu Information wird von
den Aktivisten der Access to Knowledge-Bewegung in die Nähe der Einschränkung von demokratischer Meinungsfreiheit gerückt, die verstärkten Schutzmaßnahmen der privaten Verwerter werden als Kontrolle der öffentlichen
Sphäre interpretiert.
Etwas anders setzt das Argument an, wenn für Einzelne, besonders für Amateure das Recht auf Zugang gefordert wird. Sie sollen den eigenen „Remix“ aus dem
Pool vorhandener Informationsressourcen gestalten können. Abschreckende
Beispiele sind dabei Fälle, in denen das Auftreten von geschützten Klängen oder
Bildformen in privaten Aufnahmen strafrechtlich verfolgt wurde. Private, die
ihren kreativen Neigungen nachgehen, geraten unvermeidlich bei ihren Streifzügen an Datenkomplexe, deren Nutzungsbedingungen unklar sind. Lawrence
Lessig fordert deshalb eine Senkung der Schutzansprüche gegenüber Amateuren und einen Wechsel der juristischen Einschätzung weg von der bloßen Zahl
hin zum Verwendungszweck von Kopien. Lessig ist Initiator der Creative Commons-Bewegung, deren open content-Lizenzen eine freiwillige Alternative zu
den gesetzlichen Schutzansprüchen geschaffen haben.
[Foto: David Ausserhofer]
Michael Hutter, habilitierter Volkswirt, ist seit 2008
Direktor der WZB-Abteilung Kulturelle Quellen von
Neuheit und Forschungsprofessor am Institut für Soziologie der Technischen Universität Berlin. Zu seinen
Forschungsschwerpunkten gehören Innovationen in
der Kreativwirtschaft sowie historische Wechselwirkungen zwischen Wirtschaft und Kunst.
[email protected]
Die Rede vom Zugang zu Datenkomplexen stützt sich noch auf die Metapher eines physischen Wegs und wird deshalb der Eigenart digitaler Kommunikationsformen nicht gerecht. Näher am Informationscharakter der Werke wäre die
Rede von Abruf oder Zugriff. Sie taucht in den neueren Diskussionen auch auf,
hat aber bislang kein einheitliches Profil. Ein solches Profil lässt sich einkreisen, wenn man das Wortfeld um das Greifen ausmisst.
Vom Er-greifen kann gesprochen werden, wenn es um die kommerzielle Werkverwendung durch Dritte geht, für die mit einer Lizenzgebühr bezahlt wird. Ein
Großteil der Erträge wird dabei in wenigen Jahren erzielt, also in einer Zeitspanne, die weit unter den Schutzansprüchen des Urheberrechts liegt. Hier entspricht die Verwendung weitgehend der Miete oder Pacht von dinglichen Rechten. Das Ergriffene kann wieder zurückgegeben werden.
Dem Be-greifen entspricht die Erfahrung, die Verwender mit den Bedeutungsinhalten eines Werks erleben. Das macht ja die fundamentale Eigenart der geistigen Güter aus: Sie werden über die kognitive Wahrnehmung erfasst und in den
Bedeutungs- und Gedächtnisstrukturen des individuellen Bewusstseins interpretiert. So entstehen Erfahrungen, die die Verwender in immer neuen Varianten erleben wollen. Im Überfluss der digitalen Angebote verhalten sie sich wie
Flaneure, die Erfahrungen und Eindrücke vergleichend wertzuschätzen lernen.
Viel stärker als in Branchen mit analogen Medien zeigt sich in den hochdigitalisierten Branchen das Phänomen der asymmetrischen Aufmerksamkeit: Geringe Informationsunterschiede genügen, um einige Werke aus völliger Anonymität zum Bestseller-Produkt zu machen, weil nicht mehr professionelle
Informationsmedien eine Vorauswahl treffen, sondern einzelne Aufrufe und
Wertungen den Ausschlag geben. In diesen Märkten bildet sich zurzeit ein Spektrum von Zahlungsformen, von micro-payments für singuläre Ereignisse bis zu
flat rates, mit denen ähnlich wie bei einem Festival ein Bündel von Angeboten
ausprobiert werden kann.
Dem Ein-greifen schließlich entspricht die Teilnahme an gemeinsamen Netzwerken. Die Teilnehmer greifen gegenseitig auf ihre accounts zu, sie kommentieren, kopieren und modifizieren das abrufbare Material. Die Netzwerke können aus Experten bestehen, wie die Netzwerke, die im open source-Modus
Betriebssysteme und Programme weiterentwickeln, oder aus den Teilnehmern
von social networks – mit einer Vielzahl von kleinen, wiederum miteinander
vernetzten Gemeinden –, in denen digital aufgenommene Eindrücke und digital
gespeicherte Funde einander mitgeteilt werden. Die Vielfalt und die Dichte der
Netzwerke, die in den vergangenen Jahrzehnten entstanden sind, sind vielleicht
das stärkste Anzeichen der medialen Veränderung, die die Digitalisierung mit
sich bringt. In diesen Netzwerken wird der Austausch selten über Zahlungen
koordiniert. Die Teilnehmer sind verbunden durch gegenseitige Verpflichtun-
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gen: Danksagungen, Quellenzitate, vor allem aber wertende Kommentare übernehmen die Rolle der Schuldscheine. Hier entsteht eine Moral, die dem Problem
der Schöpfung und Verwertung digitaler Inhalte angemessen ist. Die gesellschaftliche Koordination durch Schuldverhältnisse war durch die Erfolge der
Gütermärkte im vergangenen Jahrhundert eher in Vergessenheit geraten. Unter
den Bedingungen digital vermittelter Kommunikation entfalten Bindungen wie
Dankbarkeit und Schuld neue Möglichkeiten, kreative Prozesse gemeinschaftlich zu organisieren.
„The internet“, schreibt der Pionierprogrammierer und Rechtsprofessor Eben
Moglen, „is not a thing, but a social condition“. So löst sich der Umgang mit Wissen und Inhalten von der Eigentumskultur und findet neue Formen in einer
Kultur, in der Rechte auf Zugänge, Abrufe und Zugriffe relevanter sind als exklusive Rechte.
Literatur
Baecker, Dirk: „Communication with Computers, or How Next Society Calls for an
Understanding of Temporal Form“. In: Soziale Systeme, Jg. 13, H. 1+2, 2007, S. 407418.
Lessig, Lawrence: Remix. Making Art and Commerce Thrive in the Hybrid Economy.
New York: Bloomsbury Press 2011.
Moglen, Eben: „Anarchism Triumphant: Free Software and the Death of Copyright“.
In: Neil W. Netanel/Niva Elkin-Koren (Eds.): The Commodification of Information.
Den Haag/New York: Kluwer Law International 2002, S. 107-132.
Kapczynski, Amy/Krikorian, Gaëlle (Eds.): Access to Knowledge in the Age of Intellectual Property. Cambridge, MA: Zone Books 2010.
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Summary: Against the backdrop of the present controversy in
Germany, this article portrays copyright law as a field of research. As contributions from various disciplines indicate,
concepts such as the work, author, and also the metaphor of
intellectual property, are social constructs whose meaning and
impact evolve simultaneously with the law. Copyright law generalizes assumptions about the creative process. As a result of
digitization, problems embedded in the construction of copyright law are now resurfacing.
Kurzgefasst: Über das Urheberrecht wird heftig öffentlich diskutiert. Welchen Beitrag liefert die Forschung zur Klärung
grundsätzlicher Fragen? Die Betrachtung unterschiedlicher
Disziplinen zeigt, dass Phänomene wie das Werk, der Autor,
aber auch die Metapher des geistigen Eigentums durch das Urheberrecht zur gesellschaftlich-ästhetischen Norm erhoben
worden sind. Das Urheberrecht reguliert nicht nur Märkte, es
verallgemeinert auch Annahmen über den schöpferischen
Prozess. Die Digitalisierung aktualisiert Probleme, die bereits
in der Konzeption des Urheberrechts angelegt sind.
Kollektive Kreativität Probleme des
­Urheberrechts aus interdisziplinärer
Perspektive
Jeanette Hofmann
Die aktuelle Kontroverse über das Urheberrecht ist durch eine Frontstellung zwischen Autoren und Internetnutzern geprägt. Ein Blick auf die Beiträge verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen zu diesem Thema zeigt, dass weder Digitalisierung noch Umsonstkultur allein Ursache sind für den Akzeptanzverlust des
Urheberrechts. Das Internet hat vielmehr Dilemmata zum Vorschein gebracht, die
schon in seiner Konstruktion angelegt sind. Es könnte die gegenwärtige Auseinandersetzung bereichern und entspannen, wenn das Konstrukt des „geistigen Eigentums“ im Spiegel seiner historischen Entwicklung, der rechtswissenschaftlichen Vorbehalte und der ökonomischen Wirkungsanalysen betrachtet wird.
Die Literatur- und die Musikwissenschaft haben sich mit dem Urheberrecht als
Erzählung über den kreativen Schaffensprozess befasst. Studien über die literarische und musikalische Praxis des 17. und 18. Jahrhunderts zeigen, dass das
heutige Verständnis eines abgeschlossenen und unveränderlichen Originals,
dessen Schaffung einem Künstler zugeordnet werden kann, eine relativ junge
Erfindung ist. Diese fasst erst allgemein Fuß mit der Diskussion über den verbreiteten Büchernachdruck und die Anerkennung geistigen Eigentums Ende des
18. Jahrhunderts. In der Musik der frühen Neuzeit hat die Aufführungspraxis für
eine ständige Weiterentwicklung musikalischer Werke gesorgt. Musikalische
Schöpfungen wurden durch Aufführungen angetrieben, die sich wiederum an
den jeweiligen Anlässen und deren Publikum ausrichteten. Weil die einzelne einmalige Darbietung und der direkte Kontakt zwischen Künstlern und Publikum
eine bestimmende Rolle spielten, befanden sich die Werke gewissermaßen immer im Fluss. So entstanden Kompositionen wie die „Zauberflöte“ durch eine
Technik des adaptiven Rekombinierens. Alles in allem wurden 43 Melodien identifiziert, die das Genie geliehen hat: 33 bei sich selbst und immerhin 10 bei Kollegen. Ein prominentes Beispiel aus der Literaturgeschichte sind die Werke von
William Shakespeare: Die Vielfalt der bekannten Versionen etwa der Tragödie
„King Lear“ legt nahe, dass die Vervielfältigungen des Texts als Anlass für Anpassungen genutzt wurden und die heute rechtlich so wichtige Unterscheidung zwischen Original und Kopie in der frühen Neuzeit selbst dann noch keine entscheidende Rolle spielte, als der Buchdruck identische Kopien möglich machte.
Parallel zur Verfestigung des Werksbegriffs durchlief auch die Rolle des Schöpfers eine grundlegende Transformation. Bis zum Aufkommen des Geniekults in
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England und Deutschland Mitte des 18. Jahrhunderts, der nicht länger die kulturelle Praxis, sondern die individuelle Leistung des Autors ins Zentrum rückte,
gehörte die Nachahmung im Rahmen etablierter ästhetischer Regeln zum wichtigsten Stilmittel in der Kulturproduktion. Bis dahin galt der nachahmende
Schriftgelehrte als Handwerker, dessen Status sich nicht grundlegend von dem
des Druckers unterschied. Erst die Epoche der Romantik verortete die Quelle
kulturellen Schaffens in den besonderen Fähigkeiten des Individuums, das nun
Besitzansprüche an sein Werk stellte.
Solche Befunde rütteln am Urmythos des Urheberrechts, weil sie deutlich machen, dass das neu geschaffene Original, das einem Genie-Autor zuordenbare
Werk, lediglich eine von mehreren Erscheinungsformen kultureller Produktion
ist. In der gesellschaftlichen Wahrnehmung sind der Genie-Autor und sein Werk
nicht zuletzt durch die urheberrechtliche Kodifizierung zum Normal- und Referenzfall geworden. Die kulturellen Praktiken der Nachahmung und Weiterentwicklung hat das allerdings nicht verdrängen können. Augenfällig wird die heutige Bedeutung von Imitation und kumulativem Fortschritt in der Wissenschaft,
aber auch in Bereichen wie Architektur, Design und Mode, die sich durch Imitation oder Zitat wechselseitig Reverenz erweisen. Die Rekombination und Varianz digitaler Video- und Musikrepertoires wie das remix oder mashup scheinen
sich unmittelbar an Mozarts Arbeitsweise anzulehnen.
Die digitale Technik erleichtert kollektive Produktionsformen, und in ausgewählten Bereichen wie der Online-Enzyklopädie Wikipedia oder der Entwicklung quelloffener Software privilegiert sie das Werk gegenüber den beitragenden Autoren. Die peer production (Yochai Benkler) versteht sich als Alternative
zur rechtlichen und ästhetischen Norm des Genie-Autors. Wie das Kopieren und
Imitieren im Internet handelt es sich nicht um neue Verfahren, sondern um den
Rückgriff auf kulturgeschichtlich längst bekannte Schaffensformen.
Der Begriff des geistigen Eigentums ist vor allem in der deutschen Rechtswissenschaft bis heute umstritten. Viele Experten ziehen den Ausdruck Immaterialgüterrecht vor – so auch das aus diesem Grund jüngst umbenannte MaxPlanck-Institut für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht in München. Die
Debatte über die Eigentumsfähigkeit kultureller Leistungen reicht bis in die
Formierungsphase des Urheberrechts zurück. Im Kern dreht sie sich um die
Frage, ob der Eigentumsbegriff, der ja einen exklusiven Nutzungsanspruch begründet, auch auf kulturelle Schöpfungen angewendet werden kann, die schwer
abgrenz- und zuordenbar, aber auch leicht kopier- und modifizierbar sind. Eigentum an einer Sache setzt die Kontrolle darüber voraus – eine Anforderung,
die für immaterielle Güter in digitalen Umgebungen schwerer denn je durchzusetzen ist.
Die verbreitete Analogiebildung zwischen materiellem und immateriellem
Eigen­tum, die sich unter anderem in begrifflichen Neuschöpfungen wie der
„Raubkopie“ niederschlägt, hat in der Rechtswissenschaft Kritik hervorgerufen.
Beobachtet wird nämlich, dass rhetorische Figuren wie der „Diebstahl geistigen Eigentums“ eine Recht konstituierende Wirkung ausüben. Wenn der
­genuine Unterschied zwischen materiellem und immateriellem Eigentum
rechtlich eingeebnet und das digitale Kopieren als Straftat geahndet wird, beschneidet das nicht nur die Kommunikation im Internet, die ja auf fortwährenden Kopiervorgängen beruht, sondern auch den Spielraum für kreative Ausdrucksformen.
Der Begriff des geistigen Eigentums wird aus juristischer Sicht aber auch kritisiert, weil er die komplexen Beziehungen, Regeln und Verfahren der wirtschaftlichen Inwertsetzung von Informationsgütern nur unzureichend abbildet. Aus einer Governance-Perspektive betrachtet, die alle relevanten Akteure
und Koordinationsformen in den Blick zu nehmen versucht, erweisen sich die
urheberrechtlich verbrieften Verwertungsansprüche lediglich als ein Baustein
in einem umfassenden Arrangement von Verträgen, Organisationen und Geschäftsmodellen. Welche Rechte haben die Urheber an ihren Werken? Wie verteilen sich die Gewinne zwischen Urhebern und zwischen Urhebern und Verwertern? Wie steht es um die Nutzungsrechte für digitale Güter? Die
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gegenwärtigen Spielregeln, aber auch die Konzentration der Kulturgütermärkte
erschließen sich nicht aus den exklusiven Rechten der einzelnen Urheber, sie
reflektieren vielmehr den singulären Charakter von Informationsgütern und
die durch lange Schutzfristen begünstigten Verwertungsmonopole.
Worin besteht nun das Problem des Urheberrechts im digitalen Zeitalter? Hier
lohnt ein Blick auf die ökonomische Theorie. Information und Wissen gelten ihr
als Inbegriff des öffentlichen Guts. Denn erstens nimmt Wissen durch Nutzung
nicht ab, es ist also beliebig reproduzierbar. Zweitens ist es nahezu unmöglich,
die Ausbreitung von Informationen zu verhindern, die einmal in Umlauf sind.
Weil die Gewinnaussichten unter solchen Bedingungen unsicher sind, stellt der
private Sektor öffentliche Güter nicht im gesellschaftlich wünschenswerten
Umfang her. Diesem Marktversagen soll das Urheberrecht begegnen: Der Staat
schafft damit rechtliche Rahmenbedingungen, die das öffentliche Gut Information in ein privates verwandeln, so dass eine kommerzielle Verwertung profitabel wird. Kreative Leistungen werden mit eigentumsförmigen Ausschlussrechten versehen; ein temporäres Verwertungsmonopol sorgt dafür, dass die
Vermarktung von kulturellen Gütern allein den Schöpfern bzw. den Verwertern
ihrer Werke vorbehalten ist.
Aus wohlfahrtsökonomischer Sicht zieht die Beschränkung des freien Zugangs
zu öffentlichen Gütern allerdings Verschwendung nach sich, weil weniger Menschen mit Informationsgütern versorgt werden, als unter gegebenen Kosten
möglich wäre. Die durch Ausschlussrechte verursachte Unternutzung wird zusätzlich verstärkt durch den Umstand, dass Informationsgüter nicht nur Konsumobjekte sind, sondern auch Produktionsfaktoren, die die Grundlage für neues Wissen bilden. Wissen entwickelt sich kumulativ; wir stehen bekanntermaßen
alle auf den Schultern von Riesen und erzeugen neues Wissen unter Rückgriff
auf vorhandene Informationsquellen. In dem Maße, in dem das Urheberrecht
vergangene kulturelle Leistungen schützt, erschwert es die Entstehung neuer
Kulturgüter und behindert folglich Innovationen.
[Foto: David Ausserhofer]
Jeanette Hofmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Kulturelle Quellen von Neuheit und
Direktorin am Alexander von Humboldt Institut für
Internet und Gesellschaft. Sie forscht zu den Themen
Regulierung des Internet, Urheberrecht und digitale
Gesellschaft. Sie ist Mitglied der Enquete-Kommission
des Bundestags Internet und digitale Gesellschaft.
[email protected]
Genau darin besteht aus ökonomischer Sicht das Dilemma informationeller
Schutzrechte: Zwar trägt es zur Schaffung von Informationsgütern bei, indem es
Investitionen schützt und ihre Vermarktung absichert, jedoch um den Preis einer ineffizienten Verteilung und der Verteuerung künftiger Innovationen. Besonders drastisch zeigt sich dieses Problem im Bereich der Softwareentwicklung, wo die Nutzung eines prinzipiell begrenzten Repertoires technischer
Lösungen durch ein Dickicht von sich überlappenden Schutzrechten geprägt ist.
Ein vielzitiertes Beispiel ist das moderne Smartphone, das moderaten Schätzungen zufolge mindestens einige 10.000 Patente auf sich vereint.
Die neue Bedeutung des Urheberrechts als Regulierungsrahmen für die digitale Welt fordert auch die sozialwissenschaftliche Forschung heraus. Aufbauend
auf den wirtschafts-, literatur-, musik- und rechtswissenschaftlichen Erkenntnissen zur Entwicklung und Wirkung des Urheberrechts, entstehen derzeit vermehrt Diskursanalysen, die die rhetorischen Strategien der beteiligten Akteure
und ihren Einfluss auf den Politikverlauf beispielsweise im Zusammenhang
mit Urheberrechtsreformen untersuchen. Im Bereich der internationalen Beziehungen richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Aushandlung grenzüberschreitender Abkommen wie ACTA, die auf eine verbesserte Durchsetzung von
Schutzrechten zielen. Dabei geht es um das Netzwerk der beteiligten Organisationen und seine Ziele wie etwa die Privatisierung des Rechtsvollzugs.
Zugleich stoßen die staatlichen und privaten Reforminitiativen auf zunehmendes sozialwissenschaftliches Interesse. Beispiele dafür sind das von den Wissenschaftsorganisationen unterstützte Open Access-Publikationsverfahren für die
akademische Literatur oder die internationale Creative Commons-Lizenz, die das
Urheberrecht gewissermaßen aufschnürt, so dass Kreative einzelne Rechte an
ihren Werken abzutreten können. Auch Google Books, das Projekt einer privatwirtschaftlichen digitalen Bibliothek, das wissenschaftlichen Einrichtungen Zugang zur Literaturdatenbank verkaufen möchte, erfordert eine Modifikation des
Urheberrechts. Allen drei Initiativen gemeinsam ist die zunehmende Be­deutung
privater technischer und vertragsförmiger Normen in der transnationalen Re-
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gulierung digitaler Informationsflüsse. Die Regelungshoheit über diese Informationsflüsse im Internet ist Gegenstand von Kooperation wie auch Konkurrenz
zwischen privaten und staatlichen Akteuren, genauer: zwischen Internetwirtschaft, Zivilgesellschaft, staatlichen und intergouvernementalen Organisationen.
In der Wirtschaftsforschung schließlich wird die Bedeutung des Kopierens und
Imitierens als Innovationstechnik entdeckt. Genauer besehen, lässt sich fast jedes erfolgreiche Produkt auf einen Vorläufer bzw. Ideengeber zurückführen.
Deshalb gilt die public domain, das heißt die Werke und Verfahren, deren Gebrauch nicht durch Urheber- oder Patentrecht geregelt ist, inzwischen als wichtige Ressource für die Innovationsfähigkeit einer Branche. Ein offensichtliches
Beispiel hierfür ist die Erfolgsgeschichte des Internet, dessen technische Standards entwickelt und zur allgemeinen Nutzung freigegeben wurden, bevor der
Trend zur Privatisierung der Informationstechnik einsetzte.
Literatur
Dritter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“. Urheberrecht. Drucksache 17/7899, 23.11.2011. Berlin: Deutscher Bundestag, online: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/078/1707899.pdf (Stand:
15.05.2012).
Hofmann, Jeanette: „Private Ordering in the Shadow of Copyright Law: Google Books
as a Blueprint“. In: Andreas Busch/Jeanette Hofmann (Hg.): Politik und die Regulierung von Information. Politische Vierteljahresschrift, Sonderband 46. Baden-Baden:
Nomos Verlagsgesellschaft (im Erscheinen).
Gehlen, Dirk von: Mashup – Lob der Kopie. Frankfurt a.M.: edition suhrkamp 2011.
Kawohl, Friedemann/Kretschmer, Martin: „Johann Gottlieb Fichte, and the Trap of
Inhalt (Content) and Form. An Information Perspective on Music Copyright“. In: Information, Communication & Society, Vol. 12, No. 2, 2009, S. 205-228.
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Summary: Digitalization has already profoundly altered our
working environment. New professions have developed, work
processes and even the places where we work have changed.
Right now, a new phenomenon has emerged: coworking. Coworking spaces are sprouting up around the world; spaces
where mobile workers from knowledge-intensive service sectors come together in a community to work in a cooperative
atmosphere.
Kurzgefasst: Die Digitalisierung hat unsere Arbeitswelt bereits
tiefgreifend verändert. Neue Berufsprofile sind entstanden,
Arbeitsabläufe haben sich gewandelt und auch die Orte, an denen wir arbeiten. Gegenwärtig zeigt sich ein neues Phänomen:
Coworking. Überall auf der Welt entstehen Coworking Spaces –
Räume, in denen sich mobile Arbeitskräfte aus dem wissensintensiven Dienstleistungssektor zum gemeinschaftlichen
Arbeiten in kooperativer Atmosphäre zusammenfinden.
Auf der Suche nach Austausch Digitale
­Nomaden und Coworking Spaces
Janet Merkel
Den „Tod der Distanz“ oder eine „flache Welt“, in der räumliche Nähe unwichtig
werde, prognostizierten Wirtschaftsgeografen, seitdem neue Kommunikationsund Informationstechnologien wie das Internet Verbreitung fanden. Der digitale
Nomade ist seither Sinnbild des neuen, ortsungebundenen Arbeiters. Nur mit Laptop, Smartphone und WLAN-Stick ausgerüstet, kann er überall seiner Arbeit nachgehen. In der Tat hat die Digitalisierung unsere Arbeitswelt tiefgreifend verändert.
„Revolution doesn’t happen when society adopts new technology, it happens
when society adopts new behaviors.“ Wie der amerikanische Medienwissenschaftler Clay Shirky bemerkt, ist das Internet dabei lediglich die Technologie.
Erst die Anwendung durch die Nutzer schafft neue Berufsprofile, neue Formen
der Arbeit und Arbeitsorganisation oder neue Kulturtechniken und verändert
schließlich auch die Orte, an denen wir arbeiten. Dies verdeutlicht ein neues
Phänomen, das gegenwärtig in Städten weltweit zu beobachten ist: Coworking
und die rasante Zunahme von Coworking Spaces. Vor allem freiberufliche Erwerbstätige aus den verschiedenen Bereichen der Kultur- und Kreativwirtschaft, die exemplarisch für die Entgrenzung von Arbeit stehen, arbeiten immer
öfter in diesen Gemeinschaftsbüros. Coworking stellt einerseits eine Strategie
im Umgang mit flexiblen, meist atypischen Erwerbsverhältnissen dar. Andererseits steht es für die Kehrseite der Digitalisierung, weil es den Wunsch der digitalen Nomaden nach sozialer und räumlicher Nähe verdeutlicht.
Das gemeinsame Arbeiten an einem Ort oder in einem Raum ist nicht neu: Auch
die klassische Bürogemeinschaft oder das Großraumbüro in einem Unternehmen können als ein Coworking Space bezeichnet werden. In einem engeren
Sinne steht Coworking jedoch für eine flexible, gemeinschaftliche Büroarbeitsweise und kann verschiedene Formen annehmen: Diese reichen von regelmäßigen, eintägigen Treffen an einem Ort (sogenannte Jellies) bis hin zu professionell organisierten Arbeitsplätzen in Coworking Spaces, wie dem Betahaus in
Berlin oder The Hub in London, die temporär (tage-, wochen- oder monatsweise)
gemietet werden können und mitunter bis zu 200 Coworkern Platz bieten. Während Bürogemeinschaften früher vornehmlich selbstorganisiert waren, findet
sich heute zunehmend ein professioneller Markt für Gemeinschaftsbüros. Allein
in Berlin gibt es mittlerweile über 30 Coworking Spaces, weltweit ca. 1.300, wie
das Online-Magazin Deskmag errechnet hat. Ihre Zahl wächst rapide, wenn man
bedenkt, dass der erste sogenannte Coworking Space 2005 in San Francisco gegründet wurde.
Dem First Global Coworking Survey zufolge sind die Nutzer dieser Räume zu 54
Prozent Freiberufler, durchschnittlich 34 Jahre alt (jeder Zwölfte ist bereits über
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50), zu zwei Dritteln männlich, und vier von fünf besitzen einen Universitätsabschluss. Vor allem Freiberufler aus der Kultur- und Kreativwirtschaft – ob Blogger, Designer, Grafiker, Redakteure, Programmierer oder Übersetzer – arbeiten
in Coworking Spaces. Aus ihren Selbstbeschreibungen lassen sich drei zentrale
Argumente für diese Gemeinschaftsbüros identifizieren. Die flexible Anmietung
eines Arbeitsplatzes kommt der projektförmigen Arbeitsweise und einer unsicheren Auftragslage entgegen, vor allem in der Anfangsphase einer Freiberuflichkeit oder Selbstständigkeit, in der Fixkosten niedrig gehalten werden müssen. Diese Flexibilität führt wiederum zu einer hohen Fluktuation und einer
ständig wechselnden Besetzung der Coworking Spaces.
Mit dem Arbeiten in Coworking Spaces verbinden die Akteure zweitens die
Hoffnung, sich mit Gleichgesinnten austauschen zu können und eine direkte
Form sozialer Bestätigung und Anerkennung der eigenen Fähigkeiten zu erfahren. Coworking ist damit eine Alternative zum Arbeiten am heimischen Schreibtisch. Selbstdarstellungen von Coworking Spaces benutzen oft den Begriff des
„dritten Ortes“, eines halböffentlichen Raums, der zufällige, informelle Begegnungen ermöglicht, ein Versprechen auf Austausch in sich birgt und Coworkern
eine soziale Zugehörigkeit mit Gleichgesinnten vermittelt.
Ein drittes Motiv ist das selbstbestimmte Arbeiten in anregender, kooperativer
Atmosphäre, bei dem ein wechselseitiges Lernen im Vordergrund steht. Aufgrund der räumlichen Verdichtung verschiedener, aber ähnlicher Tätigkeiten
kann der Übergang von nebeneinander arbeiten zu miteinander arbeiten fließend sein. Coworking Spaces sind also nicht nur als flexible, preiswerte Arbeitsorte, sondern auch als soziale Lern- und Integrationsorte für mobile Arbeitskräfte zu verstehen.
Coworking wird mit gemeinschaftlich orientierten Werten wie Zusammenarbeit, Offenheit, Gemeinschaft, Zugänglichkeit und Nachhaltigkeit in Verbindung
gebracht. Das Teilen von Informationen, Infrastrukturen, Wissen, Fähigkeiten
und Ressourcen gehört zu einem immer wieder bemühten Motiv in Selbstbeschreibungen von Betreibern und Nutzern dieser Gemeinschaftsbüros. Coworking kann aber auch auf andere (Lebens-)Bereiche übertragen werden. Soeben
hat in London der erste Coworking Space mit integriertem Kindergarten (coplaying) eröffnet, und Daimler Chrysler entwickelt sein neues Carsharing-Projekt (car2go) aus einem Gemeinschaftsbüro heraus.
Coworking Spaces werden von ihren Betreibern, den Hosts, materiell wie sozial
kuratiert. Die ästhetische Gestaltung einer anregenden Arbeitsumgebung über
die Einrichtung, die Farbgebung oder die Ausrichtung der Arbeitsplätze zueinander wird von ihnen ebenso sorgfältig organisiert wie regelmäßige Frühstückstreffen, Vorträge oder Workshops, mit denen Coworkern das gegenseitige
Kennenlernen erleichtert wird und in denen Projekte miteinander diskutiert
werden. Zudem pflegen die Hosts einen regen Austausch mit anderen Betreibern von Coworking Spaces und binden darüber den einzelnen Coworker in
eine globale Bewegung ein. Denn die Coworking-Szene hat mittlerweile eigene
Festivals, Konferenzen und Journale. Auch wird gegenwärtig ein „Coworking
Visa“ erprobt, mit dem Coworker weltweit in allen teilnehmenden Gemeinschaftsbüros arbeiten können.
Bereits die Namen von Coworking Spaces wie Betahaus, Cluboffice, Seats2Meet,
Agora, Buero 2.0, ThinkSpace, Common Spaces, Camaraderie, The Hub, Toolbox
spielen mit der Verknüpfung von Gemeinschaft, Raum und der Entstehung neuer Ideen. Aufgrund der räumlichen Verdichtung verschiedener Arbeits-, Praxisund Wissenskulturen könnten Coworking Spaces für ein neues Innovationsmodell durch inter- und transdisziplinäre Zusammenarbeit und kollaborative
Problemlösungsansätze stehen. Sie könnten Orte sein, an denen radikale Produktinnovationen entstehen, indem bislang nicht miteinander verknüpfte Wissensbereiche kombiniert werden, durch die gemeinsame kulturelle Fundierung
neue Ideen schneller aufgegriffen und entwickelt werden und besonders in
Grenzbereichen und Überlappungen Neues entstehen kann. Dass Coworking
Spaces nicht nur geeignet für digitale Nomaden und Kreativschaffende sind, zeigen immer mehr Beispiele von Unternehmen. So lassen Otto, Shell oder TUI
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einzelne Mitarbeiter oder Abteilungen zeitweise in einem Coworking Space arbeiten. Volkswagen hat gar vor seinen Werkstoren in Wolfsburg einen eigenen
Innovationscampus errichtet. Auch öffnen immer häufiger Unternehmen ihre
Büroräume für externe Freelancer zum Coworking (Desksharing). Im Rahmen
eines Open-Innovation-Ansatzes hoffen sie so, externes Wissen ins Unternehmen einzubringen, ihre innovativen Ressourcen zu erhöhen wie auch geeignete,
freiberufliche Fachkräfte für Projektarbeiten zu finden.
Welche positiven oder negativen Effekte das Coworking mit sich bringt, ist bislang kaum erforscht. Zu prüfen wäre beispielsweise, ob Coworker nur so lange
in einem Gemeinschaftsbüro arbeiten, bis sie sich ein eigenes Büro leisten können. Damit wäre fraglich, ob der Coworking Space tatsächlich nachhaltig die
Arbeitsweise verändert. Auch könnte die Kreativität in Coworking Spaces durch
permanentes Hintergrundrauschen eher geschwächt als gestärkt werden. Gegenwärtig zeigt sich jedoch, dass Coworking Spaces mehr sind als nur Orte, an
denen gemeinsam nebeneinander her gearbeitet wird. Ob sich Coworking langfristig als ein Organisationsmodell für flexible Erwerbstätigkeiten im wissensintensiven Dienstleistungssektor etablieren wird, bleibt abzuwarten.
Literatur
Deskmag, das Onlinemagazin der Coworking Szene unter http://www.deskmag.com
Foertsch, Carsten: Die 1. weltweite Coworking Befragung. Deskmag 2011, online:
http://www.deskmag.com/de/all-results-of-the-global-coworking-space-survey-200 (Stand: 18.04.2012).
[Foto: Mike Minehan]
Janet Merkel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der
Abteilung Kulturelle Quellen von Neuheit und wurde
2012 mit einer Arbeit über neue städtische Governanceformen in der Kultur- und Kreativwirtschaft
promoviert. Sie arbeitet derzeit an einer Studie über
Coworking Spaces und der Frage, wie deren Betreiber
den Austausch zwischen den Coworkern stimulieren
können.
[email protected]
Pohler, Nina: „Neue Arbeitsräume für neue Arbeitsformen: Coworking Spaces“. In:
Österreichische Zeitschrift für Soziologie, Jg. 37, H. 1, 2012, S. 65-78.
Shirky, Clay: Here Comes Everybody: The Power of Organizing without Organizations. London: Penguin Books 2009.
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Summary: Recent technological developments are driving advances in the digitalisation of public lighting. But in the shadow of technical innovation, socio-political challenges arise that
exceed functional aspects like security, the demand for a certain light colour or product design. With the demand for „intelligent“ control systems and a high quality of light more general questions arise: on the basis of what criteria can public
lighting be evaluated and what platforms exist to discuss and
negotiate the multiple interests in the field?
Kurzgefasst: Aktuelle technologische Entwicklungen treiben
die Digitalisierung der öffentlichen Beleuchtung voran. Dabei
zeichnen sich im Schatten des technischen Innovationsgeschehens gesellschaftspolitische Fragestellungen ab, die weit
über funktionale Anforderungen wie Sicherheit oder gestalterische Ansprüche an Lichtfarbe und Leuchtendesign hinausgehen. Denn mit der Forderung nach „intelligenter“ Steuerung
und Lichtqualität steht auch zur Debatte, nach welchen Kriterien bewertet und auf welcher Basis vielfältige Interessen verhandelt oder vermittelt werden sollen.
Digitalisieren und sparen Lichtkonzepte
für Städte und Kommunen gefragt
Nona Schulte-Römer
„Die Digitalisierung der Beleuchtung schreitet voran“, so warb die Messe Frankfurt für den Themenschwerpunkt der diesjährigen Light+Building, der Weltleitmesse für Beleuchtungstechnik. Auch Städte und Kommunen testen sogenannte
„intelligente“ Beleuchtung bereits in Pilotprojekten. Dort werden dann Straßenzüge oder Fußgängerwege so lange minimal beleuchtet, bis ein Fahrzeug oder
Passant ein Sensorsignal auslöst, wodurch die Beleuchtung für kurze Zeit ihr
volles Niveau erreicht. Die Bandbreite denkbarer Systemlösungen ist groß und
reicht von Präsenzmeldern bis zu gekoppelten Beleuchtungs- und Energieinfrastrukturen, die Verkehrsaufkommen berücksichtigen oder Einspeisungen aus
regenerativen Stromquellen zulassen. Energie zu sparen ist dabei stets ein vorrangiges Ziel.
In der Diskussion um die Zukunft öffentlicher Beleuchtung kommt der Licht
emittierenden Diode, kurz LED, eine zentrale Rolle zu. Mit der Halbleiter-­
Beleuchtungstechnologie wird elektrisches Licht elektronisch. Denn im Gegensatz zu herkömmlichen Lichtquellen, in denen sich ein Gas entlädt oder ein
Glühfaden Licht und Wärme abstrahlt, sind LED-Chips in komplexe elektronische
Bauteile eingepasst. Für Lichtsteuerung und Systemlösungen eignen sich die
Dioden deshalb besonders gut, weil sie stufenweise dimmbar sind und sich beliebig schnell an- und ausschalten lassen. Mit Gasentladungslampen, die ihr volles Helligkeitsniveau erst Minuten nach dem Einschalten erreichen, sind rasche
Schaltfrequenzen dagegen nicht zu realisieren.
Angesichts der neuen Potenziale wird die öffentliche Beleuchtung, bisher Sache
von Ingenieuren und Elektroinstallateuren, auch zum politischen Thema. So fördert die Europäische Kommission unter dem Dach ihrer „Digitalen Agenda für
Europa“ zukunftsorientierte Beleuchtungslösungen und hat mit dem Grünbuch
„Lighting the Future“ im Dezember 2011 eine breite öffentliche Debatte um
künstliches Licht angestoßen. Erklärtes Ziel ist der verstärkte Einsatz von Halbleiter-Beleuchtungstechnologien, also LEDs und organischen Dioden (OLED), der
nächsten Innovation am Lichtmarkt. Neelie Kroes, die Vize-Präsidentin der
Kommission, bezeichnet den Ausbau von LED-Beleuchtung als Selbstverständlichkeit, denn die Innovation bringe dank eines geringen Energieverbrauchs
„mehr Geld ins Portemonnaie und einen gesünderen Planeten“. Damit verbindet
die Agenda europäische Innovationspolitik mit Klimapolitik – und das im Einklang mit der europäischen Ökodesignrichtlinie, deren Effizienz-Mindestanforderungen an energiebetriebene Produkte das Aus nicht nur für Glühbirnen,
sondern auch für Quecksilberdampf-Hochdrucklampen auf der Straße bedeuten.
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Der so aufgebaute Handlungsdruck wird von nationalen und europäischen Förderprogrammen begleitet, etwa dem EU-Programm ESOLi (Energy Saving Outdoor Lighting). Dort verspricht man sich von der intelligenten Vernetzung einen
um 64 Prozent gesenkten Stromverbrauch für die öffentliche Beleuchtung in
der EU. Auch in Deutschland unterstützen Bundesministerien die kommunale
Umrüstung veralteter Infrastrukturen auf LED-Technologie mit großzügigen Zuschüssen und im Rahmen von Wettbewerben.
Doch die Digitalisierung der öffentlichen Beleuchtung ist trotz der politischen
Unterstützung und der beeindruckenden Entwicklung im Bereich Halbleitertechnologie keine Selbstverständlichkeit. Abgesehen von Entwicklungsbedarf
bei der Sensortechnik und fehlenden Standards für LED-Produkte, wird das Innovationsgeschehen von organisatorischen und strukturellen Hemmnissen beeinträchtigt. Unklar ist beispielsweise, wie der langfristige Einsatz digitaler
elektronischer Systeme bei laufendem Betrieb und mit den gegebenen personellen Ressourcen und Kompetenzen bewerkstelligt werden soll. Wo bereits private Betreiber für öffentliche Beleuchtung sorgen, können bestehende Verträge
dazu führen, dass die öffentliche Hand zwar investiert, aber von den Energieeinsparungen finanziell nicht profitiert, weil sich Betriebs- und Instandhaltungskosten an der Zahl der Lichtpunkte bemessen und nicht am Stromverbrauch.
Die in Aussicht gestellten Steuerungsmöglichkeiten werfen noch grundsätzlichere gesellschaftspolitische Fragen auf, die weit mehr als technisches Verständnis und Geschick erfordern. Das neue Maß an flexibler Steuerungsmöglichkeit macht neue Entscheidungen und Abwägungen erforderlich. Während sich
das Ein- und Ausschalten öffentlicher Beleuchtung, beispielsweise durch Dämmerungsschalter, am Einbruch der Dunkelheit orientiert und damit objektiv zu
bestimmen ist, versprechen „intelligente“ Systeme die Befriedigung heterogener Bedürfnisse. Neben Kriterien wie Kosten- und Energieeffizienz gilt es, Sicherheitsaspekte und Überwachungsmöglichkeiten, Aufenthaltsqualität und Atmosphäre, aber auch die Minimierung von Lichtverschmutzung gleichzeitig zu
berücksichtigen. Allerdings lassen sich diese Aspekte nicht mit den gleichen
Methoden bestimmen. So ist es schwierig, Werte wie individuelles Sicherheitsempfinden oder die Sichtbarkeit des Sternenhimmels zu bemessen oder gegeneinander aufzuwiegen.
[Foto: David Ausserhofer]
Nona Schulte-Römer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Kulturelle Quellen von Neuheit.
Sie beschäftigt sich aus soziologischer Perspektive
mit innovativer Lichtplanung und -gestaltung von
städtischen Räumen. In ihrem Promotionsprojekt untersucht sie LED-Projekte im Bereich öffentlicher Beleuchtung und fragt, welche Rolle lokale Akteure im
Innovationsgeschehen spielen.
[email protected]
Energieeffizienz allein reicht als Kriterium für angemessene öffentliche Beleuchtungssysteme somit nicht aus, denn dann wäre Abschalten die effektivste
Lösung, was unter Anhängern eines dunklen Nachthimmels zwar Befürworter
fände, aber Sicherheitsaspekten, städtischen Lebensgewohnheiten und wirtschaftlichen Präsentations- und Verkaufsinteressen entgegensteht.
Angesichts der neuen Möglichkeiten setzt sich ein Trend zur disziplinen- und
ressortübergreifenden Kooperation fort, der schon älter ist als der Innovationsschub um die LED. In europäischen Städten und Kommunen hat die Lichtplanung in Form von Lichtkonzepten oder Masterplänen seit den 1990er Jahren
stark zugenommen. Das zeigt auch eine WZB-Umfrage unter 38 deutschen
Großstädten. Der Anteil integrierter Lichtplanung hat sich hier zwischen 2000
und 2010 etwa verdoppelt. Wo Stadtplanungsämter, Stadtmarketing oder Denkmalschutz mit Tiefbauämtern und Energieversorgern an einem Strang ziehen,
wächst die öffentliche Beleuchtungsaufgabe über technische Anforderungen
hinaus. Zur Debatte stehen sowohl Kriterien zur guten Gestaltung öffentlicher
Räume als auch ihre kompetente Verwaltung und die Akzeptanz seitens der
Bevölkerung.
Lichtqualität: ein Bewertungsproblem
„Das rechte Licht, zum richtigen Zeitpunkt, am richtigen Ort“, so lautet das Ziel,
auf das sich Lichtgestalter, Stadtplaner, Hersteller und Politiker verständigen
können. Offen bleibt dabei allerdings, wer darüber urteilen und entscheiden soll,
welches Licht zu welcher Stunde an welcher Stelle das angemessene ist. Lichtempfinden ist nicht nur individuell, sondern auch kulturell verschieden. Mit
welchen Methoden soll das „rechte Licht“ also ermittelt werden, wo darf es ge-
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dimmt oder gar abgeschaltet werden? Je nachdem, wen man fragt, können Antworten auf diese Fragen unterschiedlich ausfallen. Gründe dafür sind nicht nur
teils gegensätzliche Interessen von Stadtplanern, Herstellern oder Lichtdesignern, sondern auch deren unterschiedliche Arbeitsmethoden und Instrumente
der Wissensproduktion.
Eine wichtige, wissenschaftlich fundierte Orientierung bietet die europäische
Straßenbeleuchtungsnorm EN 13201. Dort sind Richtwerte zur Bemessung der
Helligkeit öffentlicher Räume oder ihrer gleichmäßigen Beleuchtung für unterschiedliche Straßentypen festgehalten. Die Empfehlungen basieren auf photometrischen Werten, in die nicht nur physikalische, sondern auch physiologische
Erkenntnisse einfließen, zum Beispiel über das Helligkeitsempfinden des
menschlichen Auges, das im grünen Spektralbereich am größten ist.
Während dieses Wissen über unser Sehvermögen durch Laborexperimente belegt ist, lassen sich andere empirische Befunde weniger gut allgemein begründen, etwa die unter Nordeuropäern stark verbreitete Vorliebe für wärmere
Lichtfarben. Auch in deutschen Breitengraden gehen regelmäßig Beschwerden
bei Stadtverwaltungen ein, wenn dort effizientere, dafür „kalte“ Straßenbeleuchtung eingesetzt wurde. Im Süden, so belegen die Verkaufszahlen von
Leuchtenherstellern, stößt kaltweißes Licht auf größere Akzeptanz. Selbst wenn
das Phänomen noch nicht abschließend erklärt ist, wird deutlich, dass sich die
Lichtfarbe von Straßenbeleuchtung durchaus auf die wahrgenommene Aufenthaltsqualität öffentlicher Räume auswirkt. Das legen auch Bürgerinitiativen
nahe, die mit Denkmalschutz-Argumenten für den Erhalt der Berliner oder Düsseldorfer Gasbeleuchtung eintreten.
Aus den unterschiedlichen Perspektiven der Beteiligten fällt die Bewertung von
angemessenem Licht auf lokaler Ebene also differenziert aus. Wie ein ExpertenWorkshop im WZB zeigte, greifen Lichtdesigner daher auf ein erweitertes Methodenrepertoire zurück, um die nächtlichen Gewohnheiten und Bedürfnisse
von Anwohnern oder Touristen, Jugendlichen oder alten Menschen zu verstehen. Als Ergänzung zu photometrischen Berechnungen dienen neben ausgiebigen Beobachtungen vor Ort auch nächtliche Rundgänge mit Anwohnergruppen.
Zentral ist dabei, welchen Stellenwert potenzielle Beleuchtungsziele wie Plätze,
Straßen, Unterführungen oder Parks im Alltag der Menschen einnehmen. Die
Identifikation sogenannter Angstorte oder Treffpunkte, die mehr Licht verdienen, ist dabei ebenso wichtig wie Informationen über nächtlich ungenutzte oder
überbeleuchtete Räume, wo Licht reduziert werden kann.
Eine dritte Position zwischen naturwissenschaftlicher Erkenntnis und weitgehend
subjektiver Designpraxis bieten sozialwissenschaftliche Studien zur Bestimmung
von guter Lichtqualität und angemessener Beleuchtung. So untersuchten französische Forscher um den Geografen Jean-Michel Deleuil vom Institut National des
Sciences Appliquées in Lyon in einem Quasi-Experiment, ob eine allein auf Verkehrszonen fokussierte Straßenbeleuchtung öffentliche Zustimmung findet. Die
Studie zeigte, dass Probanden eine auf Straßen und Wege beschränkte Beleuchtung
bei ansonsten dunkler Umgebung als unangenehm empfanden. Somit ist es zwar
technisch möglich, den Lichtstrom von LED-Leuchten präzise und energieeffizient
auf öffentliche Räume zu lenken, ohne Vorgärten und Fassaden mitzubeleuchten.
Im Hinblick auf Sicherheitsgefühl und Aufenthaltsqualität erweist sich ein gewisses Maß an Umgebungshelligkeit aber als wünschenswert und ist damit relevant
für die Frage nach einer angemessenen Beleuchtung.
Gesellschaftlich unproble­matisch scheint es dagegen, das Helligkeitsniveau zu
reduzieren, um Strom zu sparen. So ergab ein weiterer Feldversuch zur Akzeptanz von gedimmter Straßenbeleuchtung, dass ein verringertes Beleuchtungsniveau der Mehrheit der Versuchspersonen gar nicht auffiel. Diskussionsbedarf
entsteht somit erst dort, wo wissenschaftlich ermittelte und in Gremien verhandelte Werte der technischen Norm unterschritten werden. Doch wem ist
dann Folge zu leisten? Den Wählern auf der Straße, die weniger Licht gar nicht
bemerken und mehr Klimaschutz befürworten, oder den Experten, unter ihnen
auch Hersteller, die normkonform Argumente wie Verkehrssicherheit und Sehkomfort anführen?
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Bewertungskonflikte und Methodendiskussionen um die gerechte und richtige
Bewertung von Lichtqualität können auf dem Weg zur digitalen Beleuchtung
durchaus als Chance verstanden werden. So erlaubt es die ressortübergreifende
Entwicklung von Lichtkonzepten, unterschiedliche Anforderungen und Perspektiven bei der Planung öffentlicher Beleuchtung zu berücksichtigen. Auch neue
Vernetzungsplattformen ermöglichen und fördern den produktiven Austausch:
Ein solches Forum bietet etwa das 2002 gegründete internationale Städtenetzwerk LUCI, bei dessen regelmäßigen Treffen Städte ihre Beleuchtungsprojekte vor
Ort vorstellen und mit Herstellern, Wissenschaftlern und Designern diskutieren.
Im konkreten Fall ist die Frage nach dem angemessenen Licht ebenso komplex
wie die lokale Ausgangssituation. Intelligent lassen sich öffentliche Beleuchtungsinfrastrukturen nur dann vernetzen und steuern, wenn neben organisatorischen und technischen Hürden auch sozialräumliche Bedingungen mitbeachtet werden. Angesichts dieser Herausforderung zeigen Planer und Entwickler
Interesse an sozialwissenschaftlichen Studien, etwa zu nächtlichem Raumnutzungsverhalten oder gruppenspezifischen Nachtaktivitäten. „Wir brauchen gesellschaftswissenschaftliche Forschung, um Skripte für digitale Lichtlösungen
zu entwickeln“, so ein Entwickler von Beleuchtungssystemen auf der
Light+Building. So bietet die Digitalisierung der öffentlichen Beleuchtung auch
der sozialwissenschaftlichen Stadt- und Raumforschung ein neues und methodisch anspruchsvolles Beschäftigungsfeld.
Literatur
Deleuil, Jean-Michel (Ed.): Eclairer la ville autrement. Innovations et expérimentations en éclairage public. Lausanne/Lyon: Presses Polytechnique et Universitaires
Romandes 2009.
Schulte-Römer, Nona: „Light for Remaking Cities. Trends and reflections on Urban
Design“. In: PLDC 3rd Global Lighting Design Convention. Madrid: VIA-Verlag 2011,
S. 60-63.
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Veränderung als Konstante Bibliotheken
im digitalen Zeitalter
Sebastian Nix
Summary: The digital age means new
challenges for academic research libraries. The web has become an important information resource for scientists. The Internet also offers new
opportunities for the exchange of scientific information, for example when
it comes to open access publishing or
to interlinking research data. Academic libraries, due to their knowhow, may actively develop new, webbased services for researchers and
thus contribute to countervailing the
privatization and commercialization
of scientifically relevant information
resources.
Kurzgefasst: Das digitale Zeitalter
stellt auch wissenschaftliche Bibliotheken vor neue Herausforderungen.
Wissenschaftliche Infor­mations­re­
cherche verlagert sich zunehmend
ins Netz. Gleichzeitig bietet das Internet neue Möglichkeiten für die Wissenschaftskommunikation, etwa im
Bereich Open Access oder der Vernetzung von Forschungsprimärdaten.
Hier haben Bibliotheken die Chance,
mit ihrem speziellen Know-how neue,
internetbasierte Dienstleistungen für
die Wissenschaft zu entwickeln und
damit auch einer zunehmenden Privatisierung und Kommerzialisierung
wissenschaftlich relevanter Informationen entgegenzuwirken.
Wissenschaft lebt von Information. Davon, dass kreative Ideen entwickelt, Daten
erhoben, strukturiert und zueinander in Beziehung gesetzt werden – kurz: dass
Wissen geschaffen wird. Die zugrundeliegenden Kommunikationsprozesse reichen weit in die Vergangenheit zurück.
Am Anfang der Wissenschaft stand eine Tradition mündlicher Überlieferung.
Allerdings plädierte schon Aristoteles in Auseinandersetzung mit seinem Lehrer Platon für eine Verschriftlichung wissenschaftlicher Erkenntnis. Noch in der
Antike gewannen Bibliotheken als vermittelnde Instanzen der Wissenschaftskommunikation an Bedeutung. Man denke nur an die heute noch bekannte Bibliothek von Alexandria. Während des Mittelalters dienten Bibliotheken dann
hauptsächlich religiösen Zwecken, spielten aber im Gefolge der Aufklärung vom
18. Jahrhundert an auch für die Wissenschaften wieder eine wichtige Rolle. Es
entstanden eigenständige Universitätsbibliotheken und spezialisierte Fachbibliotheken. Wissenschaftliche Bibliotheken hatten und haben seitdem die Aufgabe, jenes Wissen zu bewahren und zugänglich zu machen, das gleichermaßen
Ergebnis wie Rohstoff wissenschaftlicher Arbeit ist.
Heute erleben wir einen atemberaubenden Wandel der Rahmenbedingungen
wissenschaftlicher Informationsversorgung. Gerade einmal 21 Jahre sind vergangen, seit Tim Berners-Lee das World Wide Web aus der Taufe hob. Sieben
Jahre später, 1998, entstand Google – und schon 2004 fand das Verb „googeln“
Eingang in die 23. Auflage des Duden.
Heute sind das Internet oder Google nicht nur in aller Munde, sondern bereits in
vielen Hosentaschen: Smartphones und immer leistungsfähigere Mobilfunkstandards ermöglichen fast überall den Zugriff auf die scheinbar unendliche,
jedenfalls aber rasant wachsende Informationsfülle im Internet. Gleichzeitig erlauben neue Technologien neue Formen der Informationsgenerierung und des
Informationsaustauschs. Schlagworte wie „Web 2.0“ oder „Crowdsourcing“ beschreiben die Möglichkeiten der kollaborativen Schaffung und Weiterentwicklung von Wissen. Eines der bekanntesten Beispiele ist sicher die Online-Enzyklopädie Wikipedia.
Weitere Entwicklungen deuten sich bereits an. Mittlerweile ist die Rede von einem „Web 3.0“ oder auch „semantischen Web“. Dessen Wesensmerkmal ist die
Möglichkeit der maschinellen Herstellung inhaltlicher Zusammenhänge zwischen heterogenen Informationen unterschiedlichster Art. Damit würden Internetsuchen eine völlig neue Qualität erhalten, da „semantische Suchmaschinen“
der Zukunft in der Lage wären, die Bedeutung einer Suchanfrage zu „verstehen“
und dazu passende Informationen aus verschiedenen Quellen ad hoc und bedarfsgerecht miteinander zu verknüpfen. Man stelle sich beispielsweise eine
Suchmaschine vor, die bei der Suche mit einem Buchtitel nicht nur sofort erkennt, dass tatsächlich nach einem Buch gesucht wird, sondern die gleich noch
eine Vielzahl passender Zusatzinformationen aus verschiedenen Quellen in
übersichtlicher Form bereitstellt: Bibliotheken und Buchhandlungen in der
Nähe des eigenen Standorts, bei denen der gesuchte Titel verfügbar ist; biographische Informationen zum Autor; literarische Vorbilder; Literatur über das gesuchte Werk.
Was bedeutet all dies für die Wissenschaftskommunikation – und damit auch für
die wissenschaftlichen Bibliotheken? Gerade das Beispiel Wikipedia lässt erahnen, wie sehr sich die Existenz des Internet auf gewachsene Strukturen im Wis-
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senschaftssystem auswirken kann: Spätestens seit Mitte des 18. Jahrhunderts,
also seit der Zeit der französischen Enzyklopädisten um Denis Diderot, gelten
von Fachleuten verfasste Enzyklopädien als die Sammlungen des universellen
Wissens der Menschheit oder zumindest eines Fachgebiets. Heute sind diese traditionellen Enzyklopädien einem erheblichen Aktualitätsdruck ausgesetzt.
Sichtbares Zeichen dieser Entwicklung: Im März 2012 wurde bekannt, dass die
hoch renommierte „Encyclopaedia Britannica“ nach fast 250 Jahren zukünftig
nur noch digital erscheint.
Auch an allen, die wissenschaftlich arbeiten, gehen diese Entwicklungen nicht
spurlos vorüber. Die heute sozialisierte Wissenschaftlergeneration kann bereits
zu den digital natives gezählt werden. Für sie ist der Umgang mit dem Internet
eine Selbstverständlichkeit. Ihr Suchverhalten ist geprägt von der Erfahrung
mit Universalsuchmaschinen wie Google: einfache Bedienbarkeit; große Ergebnismengen, von denen jedoch nur ein winziger Bruchteil – von der Suchmaschine als besonders „relevant“ eingestuft – beachtet wird; die Erwartung, möglichst am eigenen Arbeitsplatz direkt auf Ressourcen wie wissenschaftliche
Zeitschriftenartikel in digitaler Form zugreifen zu können.
Nicht umsonst ist daher auch in wissenschaftlichen Bibliotheken seit einigen
Jahren eine deutliche Umschichtung von Erwerbungsmitteln zugunsten elektronischer Ressourcen zu beobachten: Gerade wissenschaftliche Zeitschriften
werden immer seltener in gedruckter, stattdessen zunehmend in digitaler Form
bezogen. Das bedeutet häufig auch, dass die Zeitschriften nicht mehr dauerhaft
gekauft werden, sondern dass ein zeitlich befristetes Zugangsrecht erworben
wird. In Großbritannien geht man im Rahmen des Programms UK Research Reserve sogar so weit, die gedruckten Exemplare wenig genutzter wissenschaftlicher Zeitschriften aus dem Bestand der meisten Universitätsbibliotheken zu
entfernen; was bleibt, ist der Onlinezugriff, der allerdings zumeist über kommerzielle Akteure (nämlich Verlage) bereitgestellt wird. Hier ist die Frage nach
der Privatisierung wissenschaftlich relevanter Informationen angesprochen.
Diese stellt sich auch deshalb mit besonderer Schärfe, weil solche Informationen häufig an öffentlich finanzierten Einrichtungen entstehen. Ihre Vermarktung durch private, kommerzielle Verlage wurde bereits angesprochen.
[Foto: Udo Borchert]
Sebastian Nix hat Kommunikationswissenschaft und
Bibliotheks-/Informationswissenschaft studiert. Seit
Juli 2009 leitet er den Bereich Bibliothek und wissenschaftliche Information am WZB.
[email protected]
In eine etwas andere Richtung weist das bekannte Bücherdigitalisierungsprojekt Google Books. Dafür sind schon Millionen Bücher digitalisiert und teilweise
frei verfügbar gemacht worden – manchmal übrigens unter Missachtung des
Urheberrechts. Und natürlich werden diese Inhalte von Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftlern gerne genutzt. Mehr noch: Google Books bietet ganz neue
Möglichkeiten der maschinellen Textanalyse. So konnte beispielsweise der USHistoriker Dan Cohen unter Rückgriff auf 1,7 Mio. von Google digitalisierte Bücher aus der Zeit von 1789 bis 1914 zeigen, dass im Laufe des viktorianischen
Zeitalters in Buchtiteln Begriffe wie „heilig“ oder „Religion“ immer seltener vorkommen, während „Wissenschaft“ an Bedeutung gewinnt – was durchaus Rückschlüsse auf den Zeitgeist zulässt.
Diese Entwicklung wirft auch Fragen auf, zum Beispiel: Wird wissenschaftliche
Forschung so noch stärker von einem privaten, ökonomische Interessen verfolgenden Akteur abhängig? Wie kann gewährleistet werden, dass die heute mit
privaten Mitteln digitalisierten Texte auch in Zukunft angesichts immer neuer
technischer Entwicklungen noch lesbar und damit benutzbar sind? Nicht zuletzt
deshalb plädierte Jean-Noël Jeanneney, von 2002 bis 2007 Direktor der Französischen Nationalbibliothek, schon 2005 in einer vielbeachteten Streitschrift für
verstärkte Anstrengungen der EU-Staaten bei der nachhaltigen Digitalisierung
ihres kulturellen Erbes – ein neues Betätigungsfeld auch für Bibliotheken.
Und was ist mit den Forscherinnen und Forschern? Sie rezipieren nicht nur
digitale Inhalte via Internet, sondern sie bedienen sich ebenso neuer Formen
der internetbasierten Kommunikation: E-Mails haben die Wissenschaftskommunikation erheblich erleichtert und beschleunigt. Hinzu kommen Kommunikationsformen wie Weblogs oder der Kurznachrichtendienst Twitter, die auch
den interaktiven, öffentlichen, wissenschaftlichen Diskurs beschleunigen und
vereinfachen können. Bibliotheken stellt diese Entwicklung unter anderem vor
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die Frage, welche Teile dieses dynamisierten, netzbasierten Wissenschaftsdiskurses dauerhaft bewahrt, erschlossen und zugänglich gemacht werden sollten.
Zugleich belegen empirische Studien, dass Wissenschaftler mehrere Stunden
pro Woche für die Suche nach Informationen aufwenden. Nach wie vor spielt
aber der persönliche Austausch, zum Beispiel das Gespräch mit Kolleginnen und
Kollegen am eigenen Arbeitsplatz, eine wichtige Rolle. Andere Suchzugänge wie
Fachbibliographien oder Bibliothekskataloge verlieren dagegen tendenziell an
Bedeutung. Hier ist die Entwicklung neuer, zeitgemäßer Suchwerkzeuge für Bibliotheken das Gebot der Stunde.
Die neuen Technologien bergen viele, teilweise ungenutzte Potenziale. So wird
unter der Überschrift „Open Access“ diskutiert, inwieweit auch die Endergebnisse eines konkreten Forschungsvorhabens via Internet frei zugänglich gemacht
werden können – und sollten. Einer der klassischen Publikationswege, gerade
auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften, ist nach wie vor die (gedruckte
oder digitale) Monografie, die bei einem wissenschaftlichen Verlag erscheint.
Zumindest zahlenmäßig noch wichtiger sind Veröffentlichungen in renommierten Wissenschaftsjournalen. Diese Zeitschriften sind in der Regel in der Hand
kommerzieller Anbieter, die zum Teil sogar über eine quasi-monopolistische
Stellung verfügen. Ihre Journale sind eben diejenigen, in denen ein wissenschaftlicher Beitrag erscheinen muss, um als exzellent und renommeeträchtig
zu gelten. Diese Marktstruktur stellt übrigens gerade auch wissenschaftliche
Bibliotheken vor Probleme, da die Verlage ihre Marktmacht für Preissteigerungen nutzen, die nicht einmal annähernd durch entsprechende Steigerungen des
Erwerbungsetats der Bibliotheken aufgefangen werden. So erklärte im April
2012 selbst die renommierte und finanziell gut ausgestatte Harvard-Universität,
sie stoße bei der Beschaffung wissenschaftlicher Fachzeitschriften an finanzielle Grenzen. Und aus Protest gegen die Preispolitik des Elsevier-Verlags boykottiert eine kleine, aber wachsende Zahl von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern weltweit die Zusammenarbeit mit diesem wirtschaftlich hochpotenten
Wissenschaftsverlag.
Es gibt deshalb Versuche, Zeitschriften zu etablieren, die zum Teil nur online
erscheinen und unentgeltlich zugänglich sind. Solche Entwicklungen sind je
nach Disziplin unterschiedlich weit fortgeschritten. Zudem stellen sich auch
hier Kostenfragen im Zusammenhang mit dem Betrieb der Infrastruktur für
solche Open-Access-Zeitschriften, ihrer redaktionellen Betreuung sowie der Organisation einer adäquaten Qualitätskontrolle. Bei der Beantwortung dieser Fragen können Bibliotheken helfen.
Umbrüche zeichnen sich ebenso bei den Forschungsprimärdaten ab. Das Spektrum reicht dabei von Daten aus astronomischen Beobachtungen bis hin zu den
Ergebnissen sozialwissenschaftlicher Befragungen. Schon wegen des finanziellen Aufwands für die Erzeugung solcher Daten wäre es ein Mehrwert, sie via
Internet sichtbar und öffentlich zugänglich zu machen – beispielsweise um
Doppelerhebungen zu vermeiden. Zugleich bestünde so eher die Möglichkeit,
Forschungsergebnisse, die auf diesen Daten basieren, nachzuvollziehen und
nachzuprüfen – angesichts mancher Fälschungsskandale in der jüngsten Vergangenheit ein nicht unwichtiger Aspekt. Schließlich könnte das semantische
Web in Zukunft ganz neue Möglichkeiten bieten, Forschungsdaten inhaltlich neu
zueinander in Beziehung zu setzen und neue Zusammenhänge aufzuspüren.
Wo bleiben bei alldem die wissenschaftlichen Bibliotheken? Sie haben die Chance, den hier skizzierten rasanten Wandel der Wissenschaftskommunikation kreativ mitzugestalten, denn sie verfügen über gut ausgebildete Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter, die den Forschenden dabei helfen können, einen Weg durch den
manchmal undurchdringlichen Dschungel der via Internet zugänglichen Informationsressourcen zu finden. Sie haben über Jahre Expertise bei der maschinellen Verarbeitung großer, strukturierter Datenmengen aufgebaut. Bibliotheken nutzen mächtige Werkzeuge zur systematischen Beschreibung von
wissenschaftlich relevanten Informationsressourcen, die zu einem „Sprungbrett“ in die Welt des semantischen Web werden können, wie Thesauri oder
Normdateien für Personen und Institutionen. Sie wissen um die Notwendigkeit
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WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
der nachhaltigen Sicherung wissenschaftlich relevanter Informationsressourcen und arbeiten aktiv daran, dieses Wissen auch auf die Welt der elektronischen
Ressourcen zu übertragen. Und schließlich sind Bibliotheken Dienstleister, deren primärer Daseinszweck nicht die Erzielung von Gewinnen ist, sondern eine
optimale Informationsversorgung ihrer Nutzerinnen und Nutzer.
Damit können Bibliotheken wichtige Akteure in einer Gesellschaft sein, die gerade in einem rohstoffarmen Land wie Deutschland auf die Ressource Wissen
besonders angewiesen ist. Gleichzeitig stehen sie jedoch vor vielfältigen Herausforderungen. Diese reichen von urheberrechtlichen Restriktionen über die
begrenzten finanziellen Mittel der öffentlichen Hand bis hin zur Heterogenität
der Bibliothekslandschaft, die im föderalistischen System Deutschlands besonders stark ausgeprägt ist. Diese macht es nicht leicht, Synergien zu nutzen, die
im Zeitalter weltweit vernetzter Kooperationsstrukturen notwendiger denn je
erscheinen.
Doch die Probleme sind erkannt: Akteure wie der Wissenschaftsrat, die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz oder die Deutsche Forschungsgemeinschaft und
nicht zuletzt die Bibliotheken selbst befassen sich so intensiv wie seit Jahren
nicht mehr mit der Neuausrichtung der wissenschaftlichen Informationsinfrastruktur in Deutschland. Es besteht also berechtigter Anlass zu der Hoffnung,
dass wissenschaftliche Bibliotheken auch in Zukunft Treiber und nicht Getriebene des Internetzeitalters sein können.
Literatur
Ball, Rafael: „Wissenschaftskommunikation im Wandel – Bibliotheken sind mitten
drin“. In: Hohoff, Ulrich/Knudsen, Per (Hg.): Wissen bewegen – Bibliotheken in der
Informationsgesellschaft. Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Sonderband 96. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann 2009, S. 39-54.
Kommission Zukunft der Informationsinfrastruktur: Gesamtkonzept für die Informationsinfrastruktur in Deutschland. Berlin: Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried
Wilhelm Leibniz e.V. 2011, online: http://www.leibniz-gemeinschaft.de/download.
php?fileid=555 (Stand: 27.04.2012).
Wissenschaftsrat: Empfehlungen zu Forschungsinfrastrukturen. Köln: Wissenschaftsrat 2011.
WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
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Kurzgefasst: Schon in der Zeit vor dem Ausbruch der Eurokrise war die Europäische Union Gegenstand heftiger InternetDebatten zwischen EU-Befürwortern und EU-Skeptikern, wie
ein Blick auf viele interaktive Webseiten quer durch die Gemeinschaft zeigt. Die skeptischen Stimmen sind dabei lauter.
Vor allem steht dabei der Mangel demokratischer Kontrolle in
der Kritik. Im Allgemeinen ist der Ton der Debatten konstruktiv. Die von traditionellen Printmedien betriebenen Webseiten
sind die wichtigsten Diskussionsforen.
Summary: The EU is a widely contested issue on the internet,
even before the Eurocrisis broke out in full force. We find lively debates between Europhiles and Eurosceptics on many interactive websites throughout Europe. The voice of Eurosceptics is stronger, with particularly fierce criticism leveled at EU
institutions and the lack of democratic accountability. Internet
optimists are right in expecting pluralist debate of decent
quality while pessimists are right in expecting the continued
dominance of traditional news corporations in political communication.
Discussing Europe Online debates on the
Union are plural and mostly civilized
Pieter de Wilde
The internet presents a revolution in communication. It allows instant communication across the globe at low cost. It represents a change in political communication from a ‘one-to-many’ logic where professional news corporations
transmit news to the wider public to a ‘many–to-many’ logic in which everyone
can easily communicate with everyone else.
People working in the field of political communication have spent considerable
time debating what implications these new media have. Optimists consider it a
major step towards more open or democratic political communication. They hail
the opening up of the field and the decreasing monopoly of major news corporations on political communication. Pessimists tend to think that the logic of news
making does not change much and that the patterns of news making and political communication we know from traditional mass media such as newspapers,
television and radio will simply be replicated on the internet. Furthermore, they
fear the disappearance of quality investigative journalism, as fewer and fewer
people are willing to pay for access to news. As professional journalists lose
control over newsmaking, the quality of discussion may decline toward a stage
of communication ‘sewage’. Finally, pessimists fear that – without professional
journalists moderating the news – some loud voices may come to dominate less
forceful ones and political actors will no longer be forced to provide adequate
justifications for the policies they make.
In a recent study funded by the 6th framework program of the EU, Hans-Jörg
Trenz (Copenhagen), Asimina Michailidou (Oslo) and Pieter de Wilde (WZB) analyzed internet debates on European integration and the legitimacy of the European Union. Debates about Europe on frequently visited websites in twelve EU
member states were analyzed during the 2009 European parliamentary election
campaigns. Professional journalism websites and independent blogs were sampled from Austria, Belgium, the Czech Republic, Finland, France, Germany, Greece,
Hungary, the Netherlands, Poland, Sweden, and the UK. To illustrate, this sampling included the online portals of quality newspapers like Süddeutsche Zeitung, Le Monde and The Guardian; of tabloids like Bild, Kronenzeitung and De
Telegraaf; and blogs like Blogy iDnes, Le Blog Politique and Geen Stijl. All websites included in the study used interactive features known as Web 2.0 where
readers are able to post comments in response to articles and other readers’
comments. We did not focus on how elections and political candidates were presented, but rather on evaluations of the European Union as polity. That is, we
investigated how actors in the news – politicians, EU institutions, individual
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WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
citizens, civil society and others – evaluate the EU. We differentiated between
three targets of evaluation: European integration as a core principle (in the
sense of whether European countries should collaborate in some form or another); the EU as political system (as it now exists in terms of competencies,
membership and institutions); and possible future steps in European integration
towards a more federal union.
What we find is that both politicians making the news and readers responding
to the news frequently engage in discussing European integration and the EU
polity. In other words, even before the Eurocrisis truly broke out in late 2009,
the EU was a widely contested subject. Particularly striking is the very similar
balance of positive and negative evaluations across EU member states. There are
many more negative opinions than positive ones in all EU member states studied. Thus, the traditional assumption that some member states are more Europhile while others are more Eurosceptic should be reconsidered. In fact, citizens
responding to news stories in online discussions across the EU are highly critical. Though participants in the debates criticize the EU; they are supportive of
the principle of integration. That is, citizens – more than politicians – support
the idea of European integration, but are, at the same time, very dissatisfied with
the result of the integration process. They strongly criticize the institutions that
currently exist and their competencies.
A particular bone of contention is the level of democracy in the EU. Many complain that their voices aren’t heard, that they cannot influence what is being
decided in the EU and that unelected bureaucrats within EU institutions have
too much power. Yet, very few advocate a complete dissolution of the EU or even
that their own country should give up membership. In that sense, the existence
of the EU and our inclusion are taken for granted across Europe. So far, a remarkable consensus across EU member states is apparent. In short, European
citizens and politicians alike agree in their arguments on the internet that we
want Europe, but not this Europe.
[Foto: Udo Borchert]
Pieter de Wilde is Senior Researcher at the WZB research unit Transnational Conflicts and International
Institutions (TKI) and member of the bridging project
The Political Sociology of Cosmopolitanism and Communitarianism. He earned his Ph.D. in political science at ARENA, Centre for European Studies, University of Oslo on the politicization of European
integration.
[email protected]
These arguments clearly identify a problem, but not a solution. In effect, such
arguments may best be labeled an expression of diffuse Euroscepticism containing a voiced grievance but no indication of what would alleviate the grievance. Few participants in online debates offer solutions, and the ones that do
rarely agree with each other. While some advocate less Europe, others want
more of it. Some see a solution in reverting back to the EU as a common market
where we get rid of all the political integration and state-like symbolism. Others
want to democratize Europe, for instance by directly electing the President of
the European Commission or by making the Commission fully accountable to a
majority in the European Parliament. The advocates of such changes accept that
this democratization will probably come with a transfer of even more power to
EU institutions.
The conclusion is that the internet is quite capable of hosting a lively and nuanced debate about a complex issue, such as European integration and the legitimacy of the EU. Not only do many people participate in online discussions,
but the arguments are generally fairly well presented in terms of decency and
argumentation. Furthermore, most websites presented a space for both Europhiles and Eurosceptics to voice their arguments. The debates were thus inclusive and of fairly good quality. This is a far cry from the characterization of political communication on the internet as sewage. So far, our study supports the
expectations of internet optimists rather than those of the pessimists.
Yet, the debates predominantly unfold on websites that belong to traditional
news corporations. That is, the most frequently visited political news websites in
Europe tend to be the online portals of traditional offline media, like newspapers and broadcasting companies. As a result, these companies continue to control the flow of news and remain powerful agenda setters. To that extent, the
internet pessimists are right to believe that the internet does not yet constitute
a revolution in political communication. Instead, the political news as we already knew it, is replicated onto a new platform. For discussions on topics like
European integration , the innovation of the internet does not lie in the content
WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
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of news or the way it is presented. The innovation lies in the opportunity for
readers to directly respond for all other readers to see. Through their public
contributions, these readers contribute actively to the debate and become part
of the news-making enterprise.
Although debates on the internet clearly identify the problem of an undemocratic yet powerful EU, they do not present us with a solution. In other words,
there is no clear collective will presented in online debates on European integration that could be translated into a political reality to satisfy everyone. Instead, we are presented with a cacophony of different preferences. Given this
dissensus and the recent history of European integration, we deem it likely that
the EU will continue to evoke opposition as a simple result of its tremendous
influence on the daily lives of EU citizens. Efforts by the political elite to publically justify European integration simply provide fuel to the fire of online Euroscepticism. Euroscepticism may well be here to stay for as long as the EU
exists and for as long as political elites try to justify it. Thus we will continue to
observe a lively debate about the EU on the internet.
References
Michailidou, A., Trenz, H.-J. and De Wilde, P. (2012) ‘W(e) the Peoples of Europe: Representations of the European Union Polity during 2009 European Parliamentary
Elections on the Internet’, in T. Evas, U. Liebert and C. Lord (eds) Multilayered Representation in the European Union. Parliaments, Courts and the Public Sphere, BadenBaden: Nomos Verlagsgesellschaft, pp. 215-232.
De Wilde, P., Trenz, H.-J. and Michailidou, A. (2010) ‘Contesting EU Legitimacy: The
Prominence, Content and Justification of Euroscepticism during 2009 EP Election
Campaigns’, RECON Online Working Paper, 2010/22, ARENA, University of Oslo,
http://www.reconproject.eu/main.php/RECON_wp_1022.pdf?fileitem=5456424
De Wilde, P. and Trenz, H.-J. (2012) ‘Denouncing European Integration: Euroscepticism as Polity Contestation’, European Journal of Social Theory. DOI:
10.1177/1368431011432968
De Wilde, P., Michailidou, A. and Trenz, H.-J. (Forthcoming) ‘Online Euroscepticism.
Contesting Europe in European Parliament Election Campaigns. ECPR Press
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WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
Tuning the people China’s delicate
­balance between digital freedom and
­repression
John Keane
James Madison famously remarked that a popular government without popular
information, or the means of acquiring it, is but a prologue to a farce or a tragedy. Two decades ago, the government of the People’s Republic of China set out
to disprove this rule. Rejecting talk of farce and tragedy, its rulers now claim
their authority is rooted within a new and higher form of popular government,
a “post-democratic” way of handling power which delivers goods and services,
promotes social harmony and roots out “harmful behavior” using state-of-theart information-control methods more complex and much craftier than Madison could ever have imagined.
In contrast to the period of Maoist totalitarianism, the new Chinese authoritarianism does not demand total submission from its subjects. In such matters as
the clothing they wear, where they work and which social company they keep,
most citizens are mostly left alone by the authorities. Belief in communism is no
longer compulsory; few people now believe its tenets and the ruling Party (as a
popular joke has it) comes dressed in Nike trainers and a polo shirt topped with
a Marxist hat. The regime officially welcomes intellectuals, foreign-trained professionals and private entrepreneurs (once denounced and banned as “capitalist
roaders”) into its upper ranks.
The Party is everywhere. It prides itself on its active recruitment strategy and
its organisations are rooted in all key business enterprises, including foreign
companies. The methods of governing are clever. Ruling by means of generalised in-depth controls, or through widespread violence and fear, mostly belong to the past. While the authorities reject both independent public monitoring of its power and free and fair general elections, they actively solicit the
support of their subjects.
Protestors are crushed, but also bribed and consulted. Obsessive controls from
above are matched by stated commitments to rooting out corruption and the
rule of law. There is much talk of democracy with “Chinese characteristics.” Topdown bossing and bullying are measured. The regime seems calculating, flexible,
dynamic, constantly willing to change its ways in order to remain the dominant
guiding power.
Kurzgefasst: In der Volksrepublik
­China sieht sich die Regierung mit
den neuen Möglichkeiten der Meinungsäußerung konfrontiert, die die
elektronische Kommunikation der Bevölkerung bietet. Diese bringt zunehmend ihre Auffassungen frei zum
Ausdruck und findet viele Wege, Neuigkeiten und Meinungen zu verbreiten. Spott, Satire und Verschlüsselung
sind beliebt, um der staatlichen Kontrolle auszuweichen. Repression gegen
kritische Stimmen gibt es weiterhin,
aber das Regime versucht auch, die
interaktiven Medien zu nutzen für
sanfte Formen der Beeinflussung.
Summary: The People’s Republic of
China represents a frontal challenge
to preconceived understandings of
the multi-media communications
revolution of our times. It resembles a
giant political laboratory in which
many crafty techniques are being developed to harness the web-structured media usage and digital resistance of citizens to the controlling
dynamics of a new type of authoritarian regime.
Nowhere is this trend more strikingly evident than in the field of information.
China first hitched itself to the Web in 1994; the country now has an estimated
500 million users, twice as many as in the United States. Two-thirds of them are
under the age of thirty. The Chinese Academy of Sciences reports that in 20082009 alone 90 million Chinese citizens connected to the Internet for the first
time. The overall size of Internet traffic is expected to double every 5.32 years.
What is not officially reported is that the sphere of text messages, bulletin
boards, blogs and other digital platforms nurtures the spirit of public resistance
to arbitrary power, often with remarkable vigor. According to some estimates,
60 percent of Chinese netizens have used the Internet to express opinions aimed
at scrutinising government activities.
Heavy-handed government censorship methods, popularly known as the “Great
Firewall of China,” are still used frequently to suppress points of view that diverge from the dominant positions formulated by the information office of the
WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
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state council (the cabinet) and the propaganda departments of the ruling party.
Yet information flows in China are not simply blocked, firewalled or censored.
The productive channelling of dissenting opinions into government control
mechanisms is a basic feature of the political order. Especially remarkable is the
way the authorities treat unfettered online citizen communication as an instrument for improving the ability to govern, as an early warning device, even as a
virtual steam valve for venting grievances in their favour.
[Foto: Udo Borchert]
John Keane is research professor at the WZB and professor of politics at the University of Sydney. Since
2011, he has been the founding director of the Sydney Democracy Initiative at the University of Sydney.
In 2009, John Keane published the seminal biography
of democracy: The Life and Death of Democracy.
[email protected]
The co-optation strategy draws upon the efforts of thousands of government
employees who post anonymous online commentaries designed to support policies favoured by the Party. There is also a vast labyrinth of surveillance that
depends on a well-organised, reportedly 40,000-strong Internet police force.
Skilled at snooping on Wi-Fi users in cyber cafés and hotels, it uses sophisticated data-mining software that tracks down keywords on social networking
sites such as Xiaonei and search engines such as Baidu, along the way issuing
warnings to Web hosts to amend or delete content considered unproductive of
“harmony.” A combination of URL filtering with the blanking of keywords labelled as “harmful” or “anti-social” is also a common strategy used to tamper
with tens of thousands of websites.
Potentially embarrassing or confidential news is meanwhile filtered through
the so-called neican system of internal reference reports provided on a strictly
limited basis to high-ranking government officials by trustworthy official Party
journalists from organs such as the People’s Daily and Xinhua News Agency. The
reporting system is in effect an elaborate surveillance mechanism operated for
Party members by Party members. Government officials working in “situation
centres” meanwhile watch for signs of brewing unrest or angry public reactions.
Reports are passed to local propaganda departments, where action is taken. The
2012 concerted campaign against Bo Xilai and his family shows that state media
can be instructed to take a certain line on any particular issue; and that news
websites can be told whether or how they should cover the matter, for instance
by sensationalising reports in order to silence critics, or by keeping the coverage short, so as to bury it down deep memory holes.
Calls for “discipline” and “self-regulation” are commonplace. So-called “rumor
refutation” departments, staffed by censors, pitch in. They scan posts for forbidden topics and issue knockdown rebuttals.
Within the China labyrinth, a pivotal role is played by licensed Internet companies. Bound by constant reminders that safety valves can turn into explosive
devices, they use filtering techniques to delete or amend “sensitive” content.
Much cleverer tactics are also in use, including efforts by the authorities to draw
citizens into a cat’s cradle of suspicion, praise, denunciation and control. The
Party state is constantly on the lookout for new and improved ways of governing its population, for instance by means of an elaborate system of government
websites designed to interact with their subjects, many of whom have online
access.
This makes them prime targets of government appeals. Citizens are encouraged
to report anti-government conversations, or recruited as hirelings known as
“50-cent bloggers.” They are routinely urged to become “Internet debaters.”
There are experiments (as in Guangdong Province) with virtual petition offices,
online Webcast forums where citizens can raise complaints and watch and hear
officials handle them.
Organized “chats” between the authorities and citizens are flourishing. Such
methods – “authoritarian deliberation” is the phrase used by some scholars –
come packaged in official assurances about the need to encourage “transparency” and to “balance” online opinions for the sake of harmoniously “guiding
public opinion.”
What are we to make of these techniques of repressive tolerance? They certainly confirm the paradoxical rule that the governments of authoritarian regimes are much more sensitive to popular resistance than those of democratic
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regimes. Looking from the top down, likening the Chinese authorities to skilled
doctors of the body politic, some observers wax eloquently about the new surveillance tactics of “continuous tuning” (tiao) of the body politic. The simile understates the ways in which the labyrinthine system of unusually well-coordinated do’s and don’ts is backed by pre-digital methods: fear served with cups of
tea in the company of censors; reprimands, sackings and sideways promotions;
early-morning swoops by plainclothes police known as “interceptors;” illegal
detentions; violent beatings by unidentified thugs; disappearances and imprisonment, sometimes (reports suggest) in “black jails” operated by outsourced mafia gangs employed by the authorities.
Proponents of the Communist Party’s Web-monitoring tactics are typically silent about such institutionalised violence. They also overstate the efficiency,
effectiveness, and legitimacy of the China labyrinth; the new democratic principle that complex systems of power are prone to failure, “normal accidents” and
outright breakdown unless they are subject to mechanisms of open public scrutiny remains a forbidden topic in China. Champions of the China labyrinth also
ignore the popular resentments sparked by a regulatory system that treats
more than a few subjects as ticklish, or taboo. To put things simply, the Party
authorities are opposed to monitory democracy (jiandushi minzhu), in the richest
sense of free and fair general elections combined with ongoing public monitoring of their power by independent watchdogs.
It is true that many things are permitted: finance, housing markets, sports, and
light entertainment inoffensive to the Party leadership’s morals. Yet other subjects are less straightforward. Blanket public criticism of the leading role of the
Party and its leading figures is not permitted. Equally taboo is fair-minded analysis of “sensitive” regions such as Tibet and Xinjiang, or “sensitive” topics, such
as religion and the past crimes committed by the Party.
Such restrictions breed public resentment and resistance, which (unsurprisingly) is most pronounced within the world of on-line communications. The
range and depth of resistance to unaccountable power are astonishing. The re-
Repression. Die Polizei in der Stadt Foshan (Proving Guangdong) lässt Computer illegaler Internet-Bars zerstören (aufgenommen am
19. August 2010). [Foto: Xie Zhibiao / ChinaFotoPress /Xie Zhibiao/MaxPPP]
WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
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gime comes wrapped in propaganda, but counter-publics flourish. Helped by
sophisticated proxies and other methods of avoiding censorship, salacious tales
of official malfeasance circulate fast, and in huge numbers, fuelled by online
jokes, songs, satire, mockery and code words that develop meme-like qualities
and function as attacks on government talk of the “harmonious society.” An
early sensational example was the “mud-grass horse” mascot, a mythical animal
that fights against Party control of free expression and symbolizes a Web-savvy
opponent of regime censorship. Digital media users commonly re-tweet their
posts (a practice known as “knitting,” the word for which sounds like “wei­bo”).
Messages easily morph into conversations, illustrated with pictures. The consequence: instantly forwarded posts tend to keep ahead of the censors, whose efforts at removing online material are countered by such tactics as re-tweeted
screenshots.
The aggregate effect is that conversations readily go viral, causing large-scale
“mass Internet incidents,” as happened (during 2010) when a citizen nicknamed
“Brother Banner,” a software engineer in Wuxi, was catapulted into online celebrity overnight after holding a banner that read “Not Serving the People” outside
the gate of a local labour relations office to protest its failure to intervene in his
pay dispute with his former employer. The banner challenged the Party’s slogan,
“Serving the People.” Officials were deeply embarrassed by a one-person protest
that won national prominence through the Internet and, eventually, coverage in
official media.
The great significance of citizens’ initiatives of this kind is the way they put their
finger on hypocrisy. Relying heavily upon networked media, they project locally
specific goals that for the moment do not challenge the state’s legitimacy as such
but instead call on the government to live up to its promises of “harmony,” to
listen and respond to the concerns of citizens in matters of material and spiritual well-being. The upshot is that the authorities now find themselves trapped
in a constant tug-of-war between their will to control, negotiated change, public
resistance and unresolved confusion. They may pride themselves on building a
“post-democratic” regime which seems calculating, flexible and dynamic, willing
to change its ways in order to remain the dominant guiding power. Yet they also
know well the new Chinese proverb: ruling used to be like hammering a nail into
wood, now it is much more like balancing on a slippery egg.
Whether the authorities can sustain their present balancing act, so proving
James Madison wrong, seems at least an open question. Within the China labyrinth, the 21st-century spirit of monitory democracy is alive and well. Whether
and how it will prevail, probably with Chinese characteristics, against the crafty
forces of digital surveillance, is among the global political questions of our time.
Literature
Bandurski, David/Hala, Martin: Investigative Journalism in China. Eight Cases in
Chinese Watchdog Journalism. Hong Kong: Hong Kong University Press 2010.
Brady, Anne-Marie: Marketing Dictatorship: Propaganda and Thought Work in Contemporary China. New York: Rowman & Littlefield 2008.
MacKinnon, Rebecca: Consent of the Networked: The Worldwide Struggle for Internet
Freedom. New York: Basic Books 2012.
Tong, Yanqi/Lei, Shaohua: Creating Public Opinion Pressure in China: Large-scale
Internet Protest. Background Brief No. 534. Singapore: National University of Singapore, East Asian Institute 2010.
Yang, Guobin: The Power of the Internet in China: Citizen Activism Online. New York:
Columbia University Press 2009.
Zhang, Xiaoling/Zheng, Yongnian (Eds.): China’s Information and Communications
Technology Revolution: Social Changes and State Responses. London/New York:
Routledge 2009.
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Aus dem WZB
Konferenzberichte
Partizipation und Gesundheit
Verena Mörath
Konferenz der Forschungsgruppe Public Health
am 22. und 23. März 2012
Die Tagung war zugleich ein Abschied, denn die
Forschungsgruppe Public Health hat im Mai
2012 ihre Arbeit im WZB beendet. Ziel der Veranstaltung war es, Raum für inspirierende und
kontroverse Diskussionen zum Thema Partizipation und Gesundheit zu bieten – mit 12 Einzelvorträgen und zwei Podiumsgesprächen.
„Wir haben diesen Gegenstand gewählt, weil es
ein Querschnittsthema in allen Feldern ist, mit
denen sich Public Health beschäftigt“, sagte
Rolf Rosenbrock zum Auftakt der Konferenz,
an der 100 Gäste teilnahmen.
Der Sozialphilosoph Oskar Negt (Leibniz Universität Hannover) legte zu Beginn dar, wie
wichtig Demokratie und Partizipation für die
Kohäsion der Gesellschaft, für das Wohlbefinden und die Gesundheit ihrer Mitglieder sind.
Wie schwierig dieses Ziel, über dessen Bedeutung Konsens herrschte, zu erreichen ist, zeigten die Ausführungen von Michael Vester
(Leibniz Universität Hannover). Er verwies auf
ein viel diskutiertes Problem: Nicht nur Gesundheitschancen sind sozial ungleich verteilt,
sondern auch die Voraussetzungen und Chancen für Partizipation. Dort, wo partizipative
Ansätze wegen ihres gesundheitsförderlichen
Potenzials am dringendsten gebraucht werden
– in den unteren Sozialschichten –, sind sie
folglich am schwersten zu realisieren.
Susanne Kümpers (WZB/Hochschule Fulda) verdeutlichte dieses „Partizipationsdilemma“ am
Beispiel der Lebenssituation alter und armer
Menschen in ihrem Stadtteil. Ihre Forschungsergebnisse zeigten, wie gering die Entscheidungsteilhabe und die Gestaltungsspielräume
von sozial benachteiligten Älteren sind, wie
sehr hier materielle und strukturelle Hindernisse einer selbstbestimmten Lebensführung
– und damit auch den Gesundheitschancen –
entgegenstehen.
Auch andere Vorträge zeigten, dass Entscheidungsteilhabe und Gestaltungsspielräume für
Betroffene – ob Patienten, sozial Benachteiligte
oder Arbeitnehmer – immer wieder auf Gren-
zen und Widersprüche stoßen. So wies Nick
Kratzer (Institut für Sozialwissenschaftliche
Forschung, München) darauf hin, dass Partizipationsmöglichkeiten und Autonomie in der
Arbeitswelt tatsächlich ausgeweitet wurden –
allerdings mit ambivalenten Folgen für die Beschäftigten. Denn das Zugeständnis erweiterter Entscheidungsspielräume in der Arbeit
gehe mit immer extremeren (und tendenziell
unrealistischen) Leistungsvorgaben einher, für
deren Bewältigung die Beschäftigten nun zunehmend in Eigenregie zu sorgen hätten. Dies
führe immer häufiger zu krankmachenden
Überforderungen.
Anlass zu kontroversen Diskussionen gab der
Vortrag von Bettina Schmidt (Evangelische FH
Rheinland–Westfalen-Lippe), nach deren Auffassung das Dringen auf mehr Betroffenenpartizipation im Gesundheitswesen nicht immer
angemessen und zielführend sei. Nicht wenige
Menschen benötigten hier gerade eine Entlastung von eigener Entscheidung. Die – prinzipiell sicherlich unterstützenswerte – Forderung
nach verstärkter Entscheidungsteilhabe drohe
in diesen Fällen in eine Überforderung umzuschlagen. Diese Sichtweise traf durchaus auf
Zuspruch, während andere darauf insistierten,
dass es alles in allem im Gesundheitssystem
nach wie vor eher zu wenig als zu viel Partizipation gebe. Ilona Kickbusch (The Graduate Institute, Genf) etwa stellte fest, dass in den letzten 20 Jahren Forderungen nach mehr Teilhabe,
Autonomie und Selbstbestimmung im Gesundheitsbereich zwar zunehmend entsprochen
worden sei, die sozial bedingte Ungleichheit
von Gesundheitschancen aber auf eine fortbestehende Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit verweise. Die Notwendigkeit, den Partizipationsgedanken in einen Zusammenhang
mit modernen Gesundheitskonzepten zu stellen und Partizipationsmöglichkeiten auszubauen, sei daher nicht geringer geworden.
Dass es hierfür vielfältige Ansatzpunkte gibt,
das zuvor erwähnte „Partizipationsdilemma“
also keineswegs unentrinnbar ist, zeigte unter
anderen Hella von Unger (WZB) anhand ihrer
Erfahrungen im Rahmen des dreijährigen
WZB-Projekts „Partizipation und Kooperation
in der HIV-Prävention mit Migrant/innen“ (PaKoMi), über das sie im letzten Heft der WZBMitteilungen berichtete. „Es ist mehr Partizipation möglich, als viele für denkbar halten“,
betonte die Sozialwissenschaftlerin abschließend.
WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
33
Klar wurde auf jeden Fall: Das Partizipationsthema in der Public-Health-Forschung hält
noch viele interessante Fragestellungen bereit.
Leider steht die sozialwissenschaftliche Gesundheitsforschung derzeit auf wackligen Füßen. Das zeigte auch die Podiumsdiskussion
„Wie weiter mit Public Health (in Berlin)?“.
Streitpunkt war hier insbesondere ein Konzept, das die institutionelle Anbindung von Public Health(-Forschung) an die Medizin vorsieht. Dies laufe auf eine Unterordnung hinaus
und sei deshalb strikt abzulehnen, sagte Rolf
Rosenbrock. Bärbel Maria Kurth (Robert Koch
Institut Berlin) plädierte für ein echtes multidisziplinäres Miteinander und für eine enge
Verknüpfung von Praxis und Forschung unter
dem Dach von Public Health. Die Gesundheitsforschung brauche allerdings die Fürsorge der
Politik, um aus ihrem Aschenputtel-Dasein herauszuwachsen, sagte Kurth. Immerhin sagte
Knut Nevermann (SPD), Berliner Staatssekretär
für Wissenschaft und Forschung, zu, dass Geld
für die Förderung von Public Health kein Problem sei, wenn ein überzeugendes Konzept in
naher Zukunft vorgelegt werden könne.
Rolf Rosenbrock spannte nach der eingehenden Würdigung der Forschungsgruppe durch
WZB-Präsidentin Jutta Allmendinger noch einmal den großen Bogen: „Direkte Entscheidungsteilhabe der Betroffenen ist sowohl in
der Prävention und Gesundheitsförderung als
auch in Krankenversorgung, Pflege und Rehabilitation eine wichtige Voraussetzung für
mehr Gesundheit. Das ist einer der Querschnittsbefunde aus mehr als drei Jahrzehnten
Gesundheitsforschung am WZB, der auf der
Konferenz eindrucksvoll illustriert wurde.“ Rosenbrock befürchtete allerdings: „Da auch die
anderen Orte sozialwissenschaftlicher Gesundheitsforschung in Berlin – also vor allem
die FU und die Charité – derzeit keine Entwicklungsperspektive haben, steht zu befürchten,
dass die in konservativen Zeiten stets dominante Tendenz, Gesundheit auf medizinische
Aspekte zu reduzieren, weiter voranschreitet.“
Dass nun die Arbeit für die Forschungsgruppe
Public Health am WZB beendet werde, sei zwar
das Ergebnis eines formal korrekten und
transparenten Prozesses gewesen. „Aber aus
Sicht des Problemfeldes und der Disziplin ist
es auch ein schwerer strategischer Fehler, dabei bleibe ich“, verabschiedete sich Rolf Rosenbrock unter großem Applaus.
Konstitutionalisierung in einer
entgrenzten Welt
Benjamin Faude
Workshop des Netzwerkprojekts Constitutionalism Unbound: Developing Triangulation
for International Relations am 9. März 2012,
gefördert von der Forschungs- und Wissenschaftsstiftung Hamburg
Konstitutionelle Qualität wird von den meisten
Menschen eng mit dem Nationalstaat verbunden. Dass dies keineswegs zwingend ist, thematisiert das Netzwerkprojekt Constitutionalism Unbound. Die Leitidee ist die Überlegung,
dass es konstitutionelle Qualität auch jenseits
des Nationalstaats geben kann. An dem interdisziplinär angelegten Forschungsprojekt beteiligen sich Forscherinnen und Forscher aus
der Politikwissenschaft, der Rechtswissenschaft und der Soziologie aus Berlin, Hamburg,
Flensburg und Bielefeld. Der Workshop beschäftigte sich mit grundlegenden konzeptionellen Fragen des globalen Konstitutionalismus: Worin besteht konstitutionelle Qualität
jenseits des Nationalstaats und wo können wir
sie beobachten?
Die am Forschungsprojekt beteiligten Wissenschaftler postulieren einen Wandel von globalisierten zu konstitutionalisierten internationalen Beziehungen und analysieren diesen
Wandel aus interdisziplinärer Perspektive. Der
Wandel äußert sich darin, dass auch an internationale Beziehungen zunehmend normative
Fragen im Hinblick auf Fairness, Gerechtigkeit,
Demokratie und Legitimität gestellt werden.
Das Projekt unternimmt den Versuch, durch
die Verknüpfung dreier heuristischer Ansätze
– Global Governance, World Society und transnationales Recht – einen konzeptionellen Rahmen zur Erfassung des Phänomens des globalen Konstitutionalismus zu entwickeln. Die
empirische Untersuchung von Konstitutionalisierungsprozessen jenseits des Nationalstaates
ist dabei geographisch nicht auf Europa und
die USA beschränkt, sondern schließt entsprechende Entwicklungen (bzw. deren Ausbleiben)
in anderen Weltregionen ein, beispielsweise in
Asien. Darüber hinaus werden auch verschiedene Regionen miteinander verglichen. Das
WZB ist durch den Politologen Michael Zürn
und den Rechtswissenschaftler Mattias Kumm
(beide WZB Rule of Law Center) beteiligt.
Ein Paradoxon wurde eingehend erörtert: Der
Wandel zu konstitutionalisierten internationalen Beziehungen geht nicht einher mit verstärktem Respekt vor internationalen Regeln
und Verfahren. Noch immer halten Staaten
das internationale Recht bisweilen nicht ein,
34
WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
wenn dies ihren Interessen widerspricht. Zentral ist auch die Feststellung, dass wir es zunehmend mit einer Welt pluraler politischer
Autoritäten und einem Neben- und Miteinander verschiedener normativer Ordnungen zu
tun haben. Diese stehen nicht unabhängig nebeneinander, sondern beeinflussen sich im
Hinblick auf ihre normative Entwicklung und
im Hinblick auf die Effektivität der von ihnen
erlassenen Regelungen wechselseitig. Zu denken ist hier neben den nationalstaatlichen politischen Ordnungen beispielsweise an die
supranationale Ordnung der Europäischen
Union sowie an die internationale Ordnung
der Vereinten Nationen und anderer internationaler Institutionen. Daraus ergibt sich an
Schnittstellen dieser politischen (Teil-)Ordnungen Koordinationsbedarf, der jedoch nicht
durch geltende hierarchische Regeln befriedigt werden kann.
Auf der Grundlage dieser Überlegungen wurde
im Workshop diskutiert, inwiefern institutionelle Prozesse jenseits des Nationalstaats prozedurale und substanzielle Werte bzw. Normen
respektieren müssen, um als konstitutionalisiert zu gelten, und inwiefern sich konstitutionelle Qualität in der Praxis manifestiert. Einig
war man sich darüber, dass Konstitutionalisierungsprozesse immer mit Kontestation zusammenhängen, also mit der öffentlichen
Auseinandersetzung um strittige Fragen der
guten politischen Ordnung. Einigkeit erzielt
werden konnte ebenfalls darüber, dass Konstitutionalisierung mehr sein muss als die in der
Fachliteratur bereits seit längerer Zeit diskutierte Verrechtlichung internationaler Zusammenarbeit in Form des klassischen Völker-
rechts. Über Verrechtlichung hinaus gehen
Konstitutionalisten davon aus, dass jedwede
politische Herrschaft durch das Medium des
Rechts erfolgen muss, dass dieses Recht zum
einen demokratisch legitimierbar sein muss
und zum anderen Menschenrechte respektiert, wie Mattias Kumm zusammenfassend
formulierte.
International Organizations: From
the ACP Group to the WTO
Autumn Lockwood Payton
The International Organizations Database
Workshop, hosted by the Transnational Conflicts and International Institutions (Transnationale Konflikte und internationale Ins­
titutionen) research unit, February 24 and
25.
The workshop brought together scholars
from the United States and Europe who are
currently working on comprehensive data
sets on different aspects and features of international organizations and international
agreements. While there is a rich body of empirical research on a handful of common international organizations like the United Nations, the World Trade Organization, and the
International Monetary Fund, there are comparatively few comprehensive datasets that
can facilitate comparison across the hun-
Internationalisierte Krisen.
Schwere interne Konflikte fordern häufig den Einsatz überstaatlicher und nichtstaatlicher
Organisationen heraus. Im liberianischen Bürgerkrieg beteiligten sich humanitäre Organisationen wie das Rote Kreuz
(hier beim Einsatz in Monrovia
im Sommer 2003), die westafrikanische Staatengemeinschaft
ECOWAS und die USA und die
Vereinten Nationen. Auch Organisationen wie die International
Crisis Group waren über viele
Jahre im liberianischen Konflikt
engagiert.
[Foto: picture alliance / dpa]
WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
35
dreds of organizations. This new wave of data
projects aims to address current relevant
theories by paving the way for large-scale
cross-organization comparison. The goal of
the workshop was to introduce scholars to
current data gathering efforts in the International Relations subfield of international organizations and to foster collaboration among
researchers working on these data sets.
Presentations included newly completed data
projects such as Barbara Koremenos’ (University of Michigan) project “The Continent of International Law: Theoretical Development, Data
Collection, and Empirical Analysis” and Jonas
Tallberg and Thomas Sommerer’s (University
of Stockholm) “TransAccess” project, which
looks at the ability of and opportunities for
nongovernmental organizations to participate
in the activities of international organizations.
Ongoing data collection efforts were introduced by a number of workshop participants
and included Gary Goertz (University of Arizo-
na) and Kathy Powers’ (University of New Mexico) project on Regional Economic Institutions
as well as contributions from the WZB researchers’ partners in the Leibniz Associations
(the Peace Research Institute in Frankfurt and
the German Institute of Global Area Studies,
GIGA, in Hamburg). Contributors discussed the
practical issues of data collection, proposed the
adoption of common definitions for key concepts, and offered insights on theoretical and
methodological topics. Overall, the workshop
fostered a collaborative environment in which
the participants discussed the possibility of
combining efforts in data collection in the field
of international organizations by creating a
common data portal and future meetings. As a
result of workshop synergies, the WZB research unit plans to collaborate on a shared
data platform on the “Authority of International Institutions” with research groups from the
University of North Carolina, Chapel Hill, the
University of Amsterdam, and the University
of Stockholm.
Leibniz-Forschung: Kampf um die
Weltordnung
Wer sich mit dem Wandel der Weltordnung beschäftigt, kommt an zwei Phänomenen nicht
vorbei: den aufstrebenden Schwellenländern
(rising powers) China, Indien, Brasilien, Südafrika
und Russland und der zunehmenden Be­deutung
von nicht-staatlichen, international ­arbeitenden
zivilgesellschaftlichen Gruppierungen (NGOs).
Doch was haben diese beiden parallel verlaufenden Veränderungsprozesse eigentlich miteinander zu tun, die bislang getrennt betrachtet
wurden? Wie hat sich die Weltordnung entwickelt, seit neue, starke Akteure die Bühne betreten haben? Welche neuen Konflikte sind entstanden – vor allem aus dem Wettbewerb der
rising powers und der NGOs heraus?
Drei Leibniz-Institute wollen jetzt in dem Forschungsnetzwerk Contested World Orders
(Kampf um die Weltordnung), das im April diesen Jahres gestartet ist, gemeinsam Antworten
36
WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
auf diese Machtverschiebungen geben: Michael
Zürn, Leiter der WZB-Abteilung Transnationale
Konflikte und internationale Institutionen, arbeitet mit der Hessischen Stiftung Friedensund Konfliktforschung (HSFK) in Frankfurt und
dem Leibniz Institut für Globale und Regionale
Studien (GIGA) in Hamburg zusammen. Zudem
plant das Netzwerk eine Zusammenarbeit mit
internationalen Partnern.
In dem Projekt geht es darum, die Entwicklung
der Weltordnung, die ihr zugrundeliegenden
Differenzen und Konflikte sowie die Legitimierung internationaler Autorität zu analysieren.
Unter anderem sollen Grundsätze einer Datenbank erarbeitet werden, die systematisch Formen politischer Autorität jenseits des Nationalstaates und die darauf bezogenen Legitimationsanforderungen im zeitlichen Verlauf und
über verschiedene Problemfelder hinweg erfassen soll.
Das Projekt wird vom Senatsausschuss Wettbewerb der Leibniz-Gemeinschaft gefördert.
Die Erforschung des Wandels
Steffen Huck wird neuer WZB-Direktor
„Economies rarely rest in states of universal constancy, nor do societies.“ So
leitet Steffen Huck die Erläuterung seiner Perspektive auf Wandel und Dynamik
ein. Man könnte hinzufügen: „nor do professors rest in states of universal constancy“. Der Ökonomie-Professor am University College London selbst jedenfalls
hat sich mit seinem Wechsel verändert: Seit dem 1. April ist er Direktor der
neuen Abteilung Ökonomik des Wandels. Damit arbeiten im WZB-Schwerpunkt
Märkte und Politik, zu der auch die von Dorothea Kübler geleitete Abteilung
Verhalten auf Märkten gehört, wieder zwei große wirtschaftswissenschaftlich
ausgerichtete Forschungseinheiten zusammen. Seine Professur in London behält Steffen Huck mit geringerem Lehrdeputat bei.
Neuland ist Berlin für Steffen Huck nicht. Er studierte in Frankfurt am Main und
wechselte dann an die Humboldt-Universität zu Berlin. Hier wurde er 1996 promoviert und habilitierte sich 2000. Seitdem lehrt und forscht Steffen Huck in
London, zunächst am wirtschaftswissenschaftlichen Institut von Royal Holloway
(University of London), seit 2002 am University College London. 2003 erhielt er
eine Professur, von 2008 bis 2011 war er Chairman des Fachbereichs.
[Foto: Udo Borchert]
Steffen Huck, Professor am University College London, leitet seit April 2012 die neue WZB-Abteilung
Ökonomik des Wandels.
Die Erforschung des menschlichen Verhaltens ist das Gebiet, auf dem sich Steffen Huck ausgezeichnet hat. Er arbeitet häufig mit Experimenten. Wie handeln
wir auf Märkten oder in sozialen Beziehungen? Was leitet unser Verhalten: selbst
gemachte Erfahrungen, Vorbilder, Spekulationen über künftige Entwicklungen?
Handelt der Mensch in Entscheidungssituationen strategisch und rational? Erkenntnisse lassen sich in den verschiedensten Bereichen gewinnen. So veröffentlichte Steffen Huck Beiträge über so unterschiedliche Themen wie Spendenverhalten (relevanter Stoff auch für Fundraiser) und Richard Wagners Tannhäuser („Eine kontrafaktische Analyse“).
Neben anderen Auszeichnungen wurde Steffen Huck für seine Forschungsarbeit
2004 der prestigeträchtige Philip Leverhulme Prize im Fach Wirtschaftswissenschaften verliehen. Diesen Preis erhalten „scholars who have made substantial
contribution to their particular field of study, recognised at an international
level, and where the expectation is that their greatest achievement has yet to
come“. Die Leverhulme-Stiftung unterstrich in der Preisbegründung Hucks Produktivität und die Breite seines Ansatzes: „His astonishingly large output has
been published in leading international journals of economics, political science
and biology“. Hucks Arbeiten werden international viel zitiert. Ein wichtiger
Indikator seiner Leistungen ist der „Hirsch-Index“, der Huck laut Research Papers
in Economics weltweit unter die besten zwei Prozent seines Fachs bringt.
Bei der Analyse menschlicher Verhaltensweisen geht es Steffen Huck nicht nur
um das Individuelle, sondern auch um das Verhalten im gesellschaftlichen und
wirtschaftlichen Kontext. Drei Kernthemen sollen die Forschung der neuen
WZB-Abteilung prägen: 1. Wie funktioniert wirtschaftlicher Wandel? Wie entscheiden Akteure in einer neuen Situation? Wie entsteht eine Entwicklungsdynamik? Welche sozialen und kulturellen Kräfte beeinflussen ökonomischen
Wandel? 2. Wie lässt sich Wandel steuern? Wie kann Politik den Wandel vorantreiben? Wie lassen sich gemeinwohlorientiertes Sozialverhalten und Philan­
thropie stimulieren? Was hilft Verbrauchern bei ihren Entscheidungen? 3. Wie
bereitet man sich auf den Wandel vor? Welche Strategien erfordern die enormen
Veränderungen, die Medizin und Biotechnologie zuwege bringen dürften, beispielsweise die Zunahme der Lebenserwartung? Wie stellen wir uns auf große
Risiken ein? Wie stellen wir uns ein auf Masseneinwanderung nach Katastrophen wie Überschwemmungen oder Dürre in der Welt? Fragen also, die am WZB
auch aus der Perspektive anderer Disziplinen erforscht werden.
WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
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Wie Politik Ungleichheit schafft ­David Brady
kommt als neuer ­Direktor ans WZB
[Foto: Udo Borchert]
David Brady leitet vom 1. Juli an die neue WZB-Abteilung Ungleichheit und Sozialpolitik.
Fragen der sozialen Ungleichheit gehören seit langem zu den Kernthemen der
WZB-Forschung. Und sie werden es auch bleiben, nachdem Jens Alber, Direktor
der Abteilung Ungleichheit und soziale Integration, im letzten Herbst emeritiert
wurde. Vom 1. Juli an wird der amerikanische Soziologe David Brady die neue
Abteilung Ungleichheit und Sozialpolitik leiten. Brady kommt aus Durham, North
Carolina, wo er an der Duke University als Professor für Soziologie lehrt und
forscht. Duke ist seit 2001 Bradys akademische Heimat. Unmittelbar nach seiner
Promotion an der Indiana University wurde er von Duke als Assistant Professor
berufen, seit 2007 ist er dort Associate Professor. Von 2008 an lehrte er zusätzlich an der Terry Sandford School of Public Policy seiner Universität. Neben
anderen Auszeichnungen – für seine Forschung wie für seine hervorragende
Lehre – wurde Brady 2011 mit dem Early Career Award geehrt, den die Sektion
Ungleichheit, Armut und Mobilität der American Sociological Association jährlich vergibt.
Zu Bradys wichtigsten Forschungsgebieten zählen Armut und Ungleichheit. Er
untersucht deren Ursachen ebenso wie deren gesellschaftliche Folgen und die
Methoden ihrer Messung. Seine Leitfrage lautet: Wie lassen sich die enormen
Unterschiede zwischen verschiedenen Ländern erklären, wenn es um soziale
Ungleichheit geht? In seinem 2009 erschienenen Buch Rich Democracies, Poor
People: How Politics Explain Poverty (Oxford University Press) analysiert er, dass
die Sozialpolitik der entscheidende Grund für die in den USA sehr viel größere
soziale Ungleichheit im Vergleich zu anderen wohlhabenden Demokratien ist.
Am WZB wird er über Armut in unterschiedlichen ethnischen Gruppen forschen.
Wie präzise lässt sich mit verschiedenen Arten der Messung des sozioökonomischen Status das Einkommen im weiteren Lebensverlauf vorhersagen? Wie beeinflussen Faktoren wie Rasse und Klassenzugehörigkeit die Lebenschancen?
Das sind einige der Ausgangsfragen.
Im Kontext eines weiteren Arbeitsschwerpunkts, der Arbeits- und Wirtschaftssoziologie, untersucht David Brady den strukturellen Wandel von Institutionen
und sozialen Beziehungen – und die Folgen für die Arbeitswelt. In den letzten
Jahren hat er mehrere Studien über die Deindustrialisierung, die Entwicklung
der Gewerkschaften und die Folgen der Globalisierung vorgelegt. Seit längeren
arbeitet er in einem Projekt über die Sexarbeit von Frauen in Indien; gemeinsam mit Kim Blankenship untersucht er zum Beispiel, wie die soziale Lage die
Zahl der Kunden und den Verdienst weiblicher Sexarbeiter beeinflusst.
Ein dritter Schwerpunkt von David Bradys Forschung ist politische Ökonomie
und Sozialpolitik, mit besonderem Augenmerk für die Wirkungen sozialpolitischer Maßnahmen. In einem aktuellen Projekt untersucht er, ob zunehmende
Einwanderung in reichen Demokratien die sozialpolitischen Einstellungen beeinflusst. Im Dezember-Heft der WZB-Mitteilungen erläuterte er, dass in Zeiten
verstärkter Zuwanderung die Unterstützung für den Sozialstaat nicht abnimmt
– zumindest nicht im Fall der 17 wohlhabenden Demokratien, die er untersucht
hat.
Der transatlantische Umzug, den David Brady jetzt mit seiner Familie unternimmt, führt ihn auf einen Kontinent, der ihm aus seiner Forschung gut bekannt
ist. Von Europa aus wird er nun bald die Präsidentschaftswahlen in den USA beobachten – als Bürger und als Forscher, der gerade an einem Artikel arbeitet
(gemeinsam mit Benjamin Sosnaud und Steven Frenk) über subjektive Klassenidentität, objektive Klassenlage und Wahlverhalten in US-Präsidentschaftswahlen.
38
WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
Kurzgefasst: Die im Sommer 2011 eingesetzte Projektgruppe
Modes of Economic Governance widmet sich Fragen der politischen Ökonomie im Spannungsfeld von ökologischen, sozialen
und ökonomischen Krisen zu Beginn des 21. Jahrhunderts.
Schwerpunkte der Forschung sind die noch wenig erforschte
Arbeit von Think Tanks in Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozessen, die Steuerung des Finanzkapitals und multinationaler Unternehmen, und die zunehmende Bedeutung der
Nachhaltigkeit in der Wirtschaft.
Summary: The Project Group Modes of Economic Governance,
which was established in the summer of 2011, focuses on the
political economy of the ecological, social and economic crises
at the beginning of the 21st century. The main research topics
include the little-researched role of think tanks in influencing
public debates and decision-making processes, the governance
of financial capital and multinational enterprises, and the increasing importance of sustainability in the economy.
Wirtschaft, Politik und Institutionen im
Wandel WZB-Forschung über Formen
ökonomischer Governance
Sigurt Vitols
Die Welt befindet sich im Umbruch. Eine Antwort auf gegenwärtige Krisen sind
Ansätze zur Entwicklung einer „Grünen Ökonomie“. Diese könnte soziale und
ökonomische Transformationen mit sich bringen, die denen beim Übergang zur
Industriegesellschaft im 19. Jahrhundert oder zum modernen Wohlfahrtsstaat
im 20. Jahrhundert in nichts nachstehen. Der Gesellschaft wie der Wissenschaft
stellt sich die grundlegende Frage: Ist es möglich, unser Wirtschaftssystem auf
lange Sicht ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltig zu gestalten? Welche
alternativen Möglichkeiten werden in unterschiedlichen Regionen verfolgt?
Und welche Konfliktkonstellationen, Einflussfaktoren und Voraussetzungen erklären die eingeschlagenen Wege? Dies sind die Leitfragen der WZB-Projektgruppe Modes of Economic Governance, deren Arbeit an die langjährige vergleichende Kapitalismus- und Internationalisierungsforschung des WZB anschließt.
Im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesse stehen drei benachbarte Forschungsfelder: die Rolle von Experten-, Beratungs- und Advocacy- bzw. LobbyNetzwerken im gegenwärtigen Transformationsprozess (Think-Tank-Netzwerke
und nachhaltige Entwicklung), Veränderung (umwelt)politischer Regime durch
den Einsatz von marktbasierten Instrumenten in der Klimapolitik sowie die
Auswirkungen dieser Regime auf Unternehmen und Branchen und der Einfluss
von Kapitalmarktakteuren auf diese Politikinstrumente.
Transformationskonflikte: Problemdefinitionen
Die Berichte des Weltklimarats der Vereinten Nationen (IPPC), in dem tausende
Wissenschaftler ehrenamtlich mitarbeiten, haben wesentlich dazu beigetragen,
dass selbst drastische Klimawandel-Szenarien heute als wissenschaftlich fundiert gelten. Andererseits verbreiten zahlreiche Think Tanks Unsicherheit darüber, ob der Klimawandel überhaupt existiert, wie schwerwiegend das Problem
tatsächlich ist, inwieweit es das Ergebnis menschlichen Handelns in Vergangenheit und Gegenwart ist und ob die Instrumente der Klimawandelpolitik Lösungsansätze bieten. Dies hat dazu geführt, dass Meinungsumfragen zufolge heute
eine Mehrheit der US-Bürger nicht überzeugt ist von der Notwendigkeit, einer
Erderwärmung entgegenzuwirken. In Europa und anderen Weltregionen sind
vergleichbare Netzwerke von Klimawandelskeptikern aktiv. Bislang sind solche,
häufig grenzüberschreitend wirkenden Organisationsverbünde und Netzwerke
WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
39
[Foto: David Ausserhofer]
Sigurt Vitols leitet die Projektgruppe Modes of Economic Governance.
[email protected]
Die Senior Fellows der Gruppe sind Dieter Plehwe
und Sebastian Botzem.
heit und Gegenwart ist und ob die Instrumente der Klimawandelpolitik Lösungsansätze bieten. Dies hat dazu geführt, dass Meinungsumfragen zufolge heute
eine Mehrheit der US-Bürger nicht überzeugt ist von der Notwendigkeit, einer
Erderwärmung entgegenzuwirken. In Europa und anderen Weltregionen sind
vergleichbare Netzwerke von Klimawandelskeptikern aktiv. Bislang sind solche,
häufig grenzüberschreitend wirkenden Organisationsverbünde und Netzwerke
kaum Gegenstand der sozialwissenschaftlichen Forschung. Wir wissen noch zu
wenig über die mittel- und langfristige Rolle von Experten-, Beratungs- und
Advocacy- bzw. Lobby-Netzwerken und über deren politischen Einfluss. Die Untersuchung von politisch, ideologisch und thematisch ausgerichteten Think
Tanks ermöglicht es, nationale und transnationale Verbindungen zu erforschen
und die Zusammenhänge zwischen Interessen und Ideen, Wissenschaft und Politik zu analysieren.
Transnationale Probleme und supranationale Steuerung
Probleme der Nachhaltigkeit überschreiten nationale Grenzen. Am deutlichsten
wird dies im Fall der globalen Erderwärmung oder bei der Ausbreitung der Finanzkrise infolge miteinander verflochtener Finanzmärkte. Aber auch im Hinblick auf soziale Nachhaltigkeit, etwa beim Thema grenzüberschreitende Mobilität von Arbeitskräften, wird deutlich, dass die Lösungen dieser Probleme
Grenzen überwinden müssen. Diese Situation verlangt nach supranationalen
Steuerungsmechanismen. Dazu zählt zwar nach wie vor die Kooperation von
Nationalstaaten, die sich ihrerseits durch unterschiedliche nationale Varianten
des Kapitalismus auszeichnen, doch unterliegen diese Mechanismen nicht mehr
allein staatlicher Kontrolle.
Ein Beispiel für supranationale ökonomische Steuerung ist der EU-Emissionshandel, mit dem Europa seine Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll erfüllen
will. Die Europäische Kommission hat ein Cap-and-Trade-System aufgebaut, das
einerseits politisch definierte nationale Obergrenzen für CO2-Emissionen vorsieht, andererseits der Privatwirtschaft einigen Spielraum bei der Entscheidung
einräumt, wo und wie der Ausstoß von Treibhausgasen am effizientesten zu
reduzieren ist. Eckpfeiler dieses Systems ist ein marktbasierter Emissionshandel, der seit seiner Einführung stark gewachsen und zum integralen Bestandteil
der globalen Finanzmärkte geworden ist.
Solche neuen und innovativen Politikinstrumente sind für konventionelle, institutionelle Forschungsansätze – gleich, ob national oder europäisch – eine Herausforderung, weil das ursprüngliche Handelsregime mit der Zeit sein Wesen
verändert und immer stärker von Marktakteuren mit finanziellen Interessen
dominiert wird. Diese neue Form ökonomischer Governance zeigt die Dynamik
supra- und transnationaler Regulierung – eine Dynamik, die es unumgänglich
macht, die Gräben zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen zu überwinden.
Die Projektgruppe tut dies mit einer prozessorientierten Perspektive, die es ermöglicht, den sich wandelnden Einfluss des Staates, die Legitimationsbasis privater Akteure und die Transformation institutioneller Logik zu erklären. Eine
solche Perspektive ist angemessen, um Framing, Interaktion und Aufbau transnationaler Institutionen zu verstehen und so den Einfluss von Finanzmarktakteuren bei der Politikgestaltung aufzuzeigen.
Alternative Steuerungsmechanismen
In einer Situation ohne einen Konsens über das zentrale Problem (Klimawandel)
und angesichts der enormen Herausforderung, ein koordiniertes Handeln zwischen höchst unterschiedlichen nationalen Systemen zu entwickeln, haben sich
unterschiedliche Ansätze zur politischen Steuerung des Übergangs in ein nachhaltiges Wirtschaftssystem herausgebildet. Der derzeit vorherrschende Ansatz
knüpft an die Entwicklungen der vergangenen beiden Jahrzehnte zu mehr freiwilliger Selbstverpflichtung an und setzt folglich vor allem auf soft law und
marktbasierte Instrumente. Dazu gehören zum Beispiel Initiativen zur freiwilligen Berichterstattung von Unternehmen zur Umwelt- und Sozialverträglichkeit
40
WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
ihres Handelns, Verhaltenskodizes in der Wirtschaft sowie der Handel mit Emissionszertifikaten. Die zweite, bisher schwächer entwickelte Variante ist die Regulierung ökonomischer Aktivitäten auf supranationaler Ebene mit Hilfe verpflichtender Rechtsvorschriften (hard law). In der Praxis lassen sich zudem viele
Kombinationsformen der verschiedenen Ansätze finden.
Ein Schwerpunkt der Projektgruppe sind die Formen der Steuerung und Kontrolle von Unternehmen (corporate governance), die im Hinblick auf das Kriterium
der Nachhaltigkeit als besonders problematisch gelten. Dazu gehört die Bereitstellung von Informationen seitens der Unternehmen zu den Auswirkungen ihres Wirkens auf Umwelt und Gesellschaft. Von wenigen Ausnahmen abgesehen
werden diese Informationen zumeist in Form freiwilliger Corporate Responsibility Reports oder Nachhaltigkeitsberichte zur Verfügung gestellt. Meist basieren
diese auf freiwilligen Standards, die von der Global Reporting Initiative (GRI)
entwickelt wurden, einer in Amsterdam ansässigen Organisation, an deren Arbeit sich viele Stakeholder beteiligen.
Damit verbunden sind die sozialen und ökologischen Auswirkungen der Aktivitäten von Finanzinvestoren, darunter Pensionsfonds, Private-Equity-Firmen
und Hedgefonds. Die bedeutendste Entwicklung auf diesem Gebiet ist die Erarbeitung der Principles of Responsible Investments (PRI) durch die Vereinten Nationen. Finanzinvestoren weltweit sind eingeladen, sich diese Grundsätze zu
eigen zu machen. Eine wachsende Zahl von Interessengruppen, darunter zahlreiche Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen, ist jedoch unzufrieden mit dem Prinzip der freiwilligen Selbstverpflichtung und verlangt stattdessen verbindliche Rechtsnormen auf europäischer Ebene, die Unternehmen
und Investoren dazu verpflichten, ihre Aktivitäten im Hinblick auf ökologische
und soziale Themen offenzulegen.
Forschungsansatz
Die Projektgruppe widmet sich diesen Problemen unter Bezugnahme auf politologische, soziologische und ökonomische Fragestellungen sowie anhand einer
Vielzahl an methodischen Vorgehensweisen, darunter vergleichend angelegte
Fallstudien auf Unternehmens- und Branchenebene, soziale Netzwerkanalyse,
quantitative und historische Analysen. Im Vordergrund der Untersuchungen
stehen dynamische Veränderungen und konfliktreiche Innovationsprozesse, in
deren Verlauf die bisherigen „Varieties of Capitalism“ auf nationaler und internationaler Ebene nachhaltig transformiert werden. Zur Beantwortung der Frage,
ob und inwiefern neue Formen ökonomischer Governance geeignet sind, die
gravierenden ökonomischen, sozialen und ökologischen Probleme der Gegenwart zu lösen, will die Projektgruppe einen Beitrag leisten.
WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
41
Aufklärer, Initiator, Kämpfer
Rolf Rosenbrock: eine persönliche
Würdigung zum Abschied vom WZB
Ilona Kickbusch
Public Health ist eine entscheidende Schnittstelle zwischen Politik und Wissen­
schaft. Rolf Rosenbrock hat dies immer mit Leidenschaft vertreten – im Rück­
blick wird deutlich, dass er einer der bedeutendsten Fürsprecher für Public
Health in Deutschland war. Man muss mit ihm nicht immer einer Meinung ge­
wesen sein, um mit ihm doch einig zu sein in dem Bedauern, dass Public Health
in Deutschland wie international nicht die Würdigung erfährt, die es verdient.
Wir machen es unseren herausragenden Köpfen nicht leicht. Aber auch Rolf Ro­
senbrock hat es uns nicht immer leicht gemacht.
Als soziale Wissenschaft muss Public Health sich mit den sozialen Determinan­
ten der Gesundheit auseinandersetzen und Evidenz für Kausalitäten und Zusam­
menhänge vorlegen, auch wenn die politisch nicht genehm sind. Sie steht in der
Verantwortung, Probleme aufzuzeigen und ihre theoretische Lösung vorzu­
schlagen, wie Rudolf Virchow formulierte. Dabei verankert sie sich häufig
im linken Spektrum der Politik; es geht um Armut, Ungleichheit, Benachtei­
ligung sowie Diskriminierung und ihren Bezug zur Gesundheit. In der inter­
nationalen Diskussion ist diese Betrachtungsweise durch die Finanzkrise und
durch die Arbeit der WHO-Kommission zu den sozialen Determinanten der Ge­
sundheit (2009) wieder stark ins Blickfeld geraten – ­„social injustice kills“.
Genau dafür steht die Arbeit von Rolf Rosenbrock, in dieser Tradition hat er ge­
wirkt und ist als Kritiker der Verhältnisse, die krank machen, immer wieder ange­
eckt – mehr als manche seiner Kollegen. Ich habe ihn stets um seine brillante
Formulierungskraft, seinen Humor und manchmal auch um seine Radikalität be­
neidet – und sehr gerne mit ihm gestritten. Er zeigte Mut. Auch habe ich bewun­
dert, wie sehr er bei aller Verankerung in einer deutlich linken Position in Deutsch­
land immer wieder zur praktischen Politik beigetragen hat. Das spricht für beide
Seiten. Er hat mit vielen staatlichen Institutionen und Krankenkassen produktiv
zusammengearbeitet, so im Wissenschaftlichen Beirat der Bundeszentrale für ge­
sundheitliche Aufklärung, so beim Verhandeln der Formulierung, die im Jahre
2000 mit dem GKV Gesundheitsreformgesetz in Kraft trat. Die gesetzlichen Kran­
kenkassen in Deutschland haben nun zur Verminderung der sozialen Ungleichheit
der Gesundheitschancen beizutragen. Ganz klar: Nicht nur Public Health, auch die
deutsche Gesetzgebung sähe ohne ihn anders aus. Der Kampf um ein Präventions­
gesetz – auch darüber haben wir gestritten – wurde jedoch verloren, kann aber
durchaus in einer neuen Konstellation wieder aufgenommen werden.
Public Health ist in Deutschland erst sehr spät – in den 1980er Jahren – ange­
kommen und ist auch heute noch nicht wirklich tief verankert. Deshalb kamen
viele von uns – in der Generation von Rolf Rosenbrock – eher zufällig zu Public
Health, und am Anfang wussten wir noch gar nicht, dass unsere Lebensaufgabe
diesen Namen trägt. Interessanterweise teile ich vier Bestimmungsmomente
mit Rolf Rosenbrock:
Ilona Kickbusch ist Direktorin des Global Health Pro­
gram am Graduate Institute of International and De­
velopment Studies in Genf. Die promovierte Politolo­
gin hat unter anderem für die Weltgesundheitsorga­
nisation (WHO) gearbeitet und an der Yale School of
Public Health gelehrt.
42
WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
– Den Einfluss von Frieder Naschold, der die Bedeutung der Gesundheit und des
Gesundheitswesens für den modernen Wohlfahrtsstaat früh erkannt hat. Rolf
Rosenbrock arbeitete mit ihm am WZB zu Fragen von Arbeitsplatz und Ge­
sundheit im Schwerpunkt Arbeitspolitik, und schon hier wurden einige para­
digmatische Grundlagen für die spätere Arbeit zum zentralen Setting Betrieb
und die neuen Aufgaben der Krankenkassen gelegt.
– Den Einfluss der sozialen Bewegungen – bei mir der Frauenbewegung, bei
Rolf Rosenbrock der AIDS- und Schwulenbewegung – auf die Erkenntnisse
über den Umgang mit Gesundheit und Krankheit. In den 1970er und 1980er
Jahren wurde deutlich, wie verwoben Gesundheitspolitik mit persönlichen
Lebensmodellen, gesellschaftlichen Vorurteilen und emanzipativem Aufbruch
sein kann. Er war einer der wichtigsten Fürsprecher einer Aidspolitik, die auf
Prävention und die Partizipation der Betroffenen setzt – bedeutsam festge­
halten in seinen Publikationen zum Thema, aber besonders im Bericht der
Enquete-Kommission „Aids“ (1986/7). Ein Klassiker!
– Den Einfluss des sozialwissenschaftlichen Denkens: ein Interesse an Struktu­
ren und Institutionen, nicht nur an individuellen Verhaltensweisen. Bei Rolf
Rosenbrock fand dies Ausdruck in seinen einflussreichen Konzepten zur Pri­
märprävention und seinem Eintreten für „new public health“. Ich spreche ja
lieber von Gesundheitsförderung als von Primärprävention – aber es gab si­
cherlich keinen dezidierteren Vertreter des Gedankenguts von Ottawa und
dem organisationsbezogenen Setting-Ansatz in Deutschland als Rolf Rosen­
brock.
[Foto: David Ausserhofer]
Rolf Rosenbrock verabschiedet sich vom WZB, aber
nicht vom Thema Gesundheit und soziale Ungleich­
heit: Ende April wurde er zum Vorsitzenden des Pari­
tätischen Wohlfahrtsverbandes gewählt.
– Den Einfluss des angelsächsischen Public-Health-Denkens – Rolf Rosenbrock
hat eine prägende Zeit an der Universität von Kalifornien in Berkeley ver­
bracht und die Tradition und Position der von den medizinischen Fakultäten
unabhängigen Schools of Public Health sehr genau studiert. Bis zuletzt hat er
versucht, diese Form der Organisation von Forschung und Lehre in Public
Health auch in Deutschland zu verankern. Rolf Rosenbrock vertritt wie wenige andere eine neue Art von Gesundheitspo­
litik: Sie muss an den Lebensbedingungen der Menschen ansetzen und präven­
tiv ausgerichtet sein; sie muss Ungleichheiten bekämpfen; sie muss Gesundheit
im Alltag möglich machen; sie muss partizipativ sein. Entsprechend hat er im
Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen gewirkt.
Prävention hieß für ihn stets „gesundheitsfördernde Gesamtpolitik“ – oder wie
es sich im Englischen griffig ausdrücken lässt: Health in all Policies. Ich meine,
er wird diese Ausrichtung auch in seiner neuen Funktion als Vorsitzender des
Paritätischen Wohlfahrtsverbandes voranbringen, denn auch hier steht die sozi­
ale Ungleichheit (und damit die Gesundheit) im Brennpunkt.
Die 1995 gegründete Forschungsgruppe Public Health am WZB (deren Leiter er
wurde) war ein Modell, das leider wenig Nachahmung gefunden hat, aber doch
die Gesundheitswissenschaft und Public-Health-Forschung in Deutschland stark
geprägt hat. Die sozialwissenschaftliche und die politische Gesundheitsfor­
schung gilt es in Deutschland zu stärken, nicht nur im Rahmen von separaten
Gesundheitsfakultäten, sondern mittendrin, dort wo Wissenschaft die Probleme
der Gesellschaft aufnimmt. Die Rolle der Gesundheit als treibende politische,
soziale und persönliche Triebkraft muss erst noch besser verstanden werden
– in vielen Disziplinen. Wenn ich an mein Bücherregal gehe und die Vielzahl der
Lehr- und Handbücher ansehe, die Rolf Rosenbrock mit verfasst hat und die ei­
nigen Generationen von Studenten die Bedeutung von Public Health als sozialer
Wissenschaft vermittelt haben, so müsste man eigentlich optimistisch sein für
die Zukunft von Public Health in Deutschland. Ich danke ihm jedenfalls – und
freue mich auf den nächsten Streit.
WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
43
Nachlese Das WZB
im Dialog:
Medien Podien und
Begegnungen
Paul Stoop
Im WZB tut sich viel: öffentlich durch Publikationen, Vorträge
und Diskussionen, auf wissenschaftlichen Fachkonferenzen
und in kleinen Workshops, durch persönlichen Austausch. WZBForscherinnen und -Forscher bringen auf vielfältige Weise ihre
Expertise ein. Wir lassen einige Begegnungen, Stellungnahmen
und Reaktionen darauf Revue passieren.
Eurokrise = Demokratiekrise
Mattias Kumm, geschäftsführender Leiter des WZB Rule of Law
Center, hatte Mitte Mai die Gelegenheit, Fragen einer demokratischen Gestaltung der Europäischen Union mit EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso zu diskutieren. Gemeinsam
mit seinen Koautoren Miguel Poiares Maduro und Bruno de
Witte (beide Florenz) stellte er am Europäischen Hochschulinstitut Florenz einen Policy Report über rechtliche und politische
Aspekte der Eurokrise und speziell des Europäischen Stabilitätsmechanismus vor. In dem Bericht, zu dem auch weitere
internationale Experten wie Harold James (Princeton), Christian
Joerges (Bremen) und Roland Bieber (Lausanne) beigetragen haben, wird die Währungskrise als Demokratiekrise eingeordnet.
Diese sei nicht durch Ratsbeschlüsse oder finanztechnische
Konstruktionen zu lösen, sondern nur durch eine Stärkung der
Legitimität der Euro-Governance. Die Autoren schlagen vor,
im Rahmen der bestehenden EU-Verträge die demokratischen
Grundlagen der Union zu stärken. So müssten zum Beispiel die
Wahlen zum Europa-Parlament die Basis sein für die Wahl eines Kommissionspräsidenten. Die Bürger der Union müssten
die Kommission, die bisher als administrativ-technokratisches
Organ gesehen wird, als demokratisch legitimiertes Gremium
betrachten können. Nur dann wäre die Einflussnahme der Europäischen Kommission auf nationalstaatliche Politik nachvollziehbar.
Auch Offenheit und Transparenz ist den Autoren, die aus der
rechts-, wirtschafts- und politikwissenschaftlichen Forschung
kommen, ein wichtiges Anliegen. Die EU müsse rechtliche und
wirtschaftliche Daten und politische Stellungnahmen auf einer
elektronischen Plattform, einem „Euro Governance Forum“, präsentieren. Und die für die Euro-Governance verantwortlichen
Politiker und Beamten müssten sich regelmäßig der Diskussion
mit Vertretern nationaler Parlamente und der Zivilgesellschaft
stellen, etwa wenn es um Fragen wie Eurobonds oder einer Finanztransaktionssteuer gehe. Kurzum: Die Union brauche mehr
44
WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
Europa, ein demokratischeres Europa und ein Europa, an dem
die Bürger teilnehmen und das sie als ihre Sache betrachten
können.
Vorlese
Das Schwerpunktthema der nächsten WZB-Mitteilungen, die
Anfang September erscheinen, ist „Krise“.
Kindheit
Während seines mehrmonatigen Aufenthalts am WZB als Journalist in Residence im Jahr 2010 hat Felix Berth an seinem
Buch „Die Verschwendung der Kindheit“ gearbeitet. Der damalige Redakteur der Süddeutschen Zeitung analysiert in dem
Buch, das 2011 bei Beltz erschien, die Situation von Kindern aus
armen Familien, denen unser Schulsystem eine angemessene
Förderung – und damit Lebenschancen – vorenthält. Nun ist
das Buch als Band 1253 in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung nachgedruckt worden. Der Autor hat
unterdessen seine langjährige publizistische Heimat verlassen
und ist von der SZ an das Deutsche Jugendinstitut in München
gewechselt, wo er seit dem vergangenen Winter als Referent
arbeitet.
Studiengebühren I
Die Untersuchung von Marcel Helbig und Tina Baier über die
Auswirkungen von Studiengebühren auf die Studierbereitschaft hat die öffentliche Diskussion über die Gebühren wieder
aufleben lassen. Den Bundestagsausschuss für Wissenschaft,
Forschung und Technikfolgenabschätzung veranlasste die Studie, am 25. Januar Experten zum Thema anzuhören, darunter
die beiden WZB-Forscher, Vertreter von Studierenden, des
Studentenwerks und der OECD sowie andere Hochschul- und
Eliteforscher. Das zentrale Ergebnis der Studie, bei der aktuellen Höhe von 500 Euro Gebühren pro Semester gebe es keinen Abschreckungseffekt auf ärmere Studienberechtigte, blieb
umstritten, die politischen Fronten erwiesen sich beim öffentlichen Fachgespräch als verhärtet. Allzu sehr vertiefen in eine
differenzierte Prüfung der Studie mochte sich mancher auch
danach nicht. Der Tagesspiegel berichtete breit über die Anhö-
rung (26. Januar), gab das Wort in einem wichtigen Punkt aber
nicht beiden Seiten. Die WZB-Forscher hätten „unseriös“ gearbeitet, wurde ein anderer Wissenschaftler in dem Bericht zitiert – kein geringer Vorwurf an die Autoren der Studie. Marcel
Helbigs direkte Entgegnung über die solide und heute übliche
Methodik blieb unerwähnt. Vielleicht doch noch mal nachfragen? Telefon: 030 – 25 491 0.
schiedene elektronische Antiquariate bieten WZB-Mitteilungen
an. Die Preise sind dort günstiger, oft zwischen 7 und 8 Euro. Sicherheitshalber also noch mal in Worten: Die WZB-Mitteilungen
können Sie unentgeltlich beziehen beim Herausgeber: presse@
wzb.eu. Alle Exemplare sind garantiert ungelesen.
Studiengebühren II
Unentgeltlich ist auch vieles im Internet nicht, an dem kein
Preiskärtchen im herkömmlichen Sinne hängt. Man muss nur
die Währung erkennen, in der die Ware bezahlt wird. Daran erinnerte Jeanette Hofmann, Internetforscherin am WZB und am
Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft
in Berlin. In einer Diskussion auf dem Hambacher Schloss
über Internet und Demokratie wurde unter anderem nach der
Rolle der digitalen Großanbieter gefragt, die ein Oligopol aus
kommerziellen Anbietern bilden und primär eines anstreben:
Gewinn. Das gelte auch für Firmen wie Google oder Facebook,
sagte Hofmann: „Wir bezahlen für die Nutzung dieser Dienste
mit der Preisgabe unserer persönlichen Daten“ (Rhein-Zeitung,
14. Mai 2012).
Dass die Ergebnisse der Studie voreilig abgetan werden, ärgert taz-Autor Christian Füller. „Antigebührenlobbyisten von
links bis grün ... drehorgelten“ das Argument der sozialen Ungerechtigkeit von Gebühren. In seiner Zeitung vollzieht er die
Erklärung der Forscher nach, es gebe offenbar eine höhere
Rendite-Erwartung unter Studienberechtigten aus ärmeren
Elternhäusern, wenn Studiengebühren erhoben werden (tageszeitung, 11. Mai). Gebühren abzulehnen sei ein Affront gegen alle Nichtabiturienten, die das Universitätsprivileg nicht
in Anspruch nehmen: „Sie müssen ... mit Ihren Steuern jene
Studienplätze finanzieren, die sie und ihre Kinder so gut wie
nie einnehmen werden. [...] Der Staat benachteiligt die Kinder
aus kulturell armen Familien und er bevorzugt die Kinder der –
überspitzt gesagt – Schönen und Reichen.“
Twitter
Seit Januar verbreitet das WZB Informationen auch über den
Kurznachrichtendienst Twitter. In den ersten vier Monaten haben sich schon über 360 Follower angemeldet (Stand: Ende Mai
2012).
Wohlfeil?
Das Schöne am Internet können die zufälligen Funde sein. Das
erfuhr auch Christoph Albrecht, Beauftragter für Forschungsmanagement im Schwerpunkt Bildung, Arbeit und Lebenschancen. Über das Internet hatte er schon vor Jahren Akten des
Reichsversicherungsamtes gefunden hatte, dessen ehemaliges
Hauptgebäude Teil des WZB ist (WZB-Mitteilungen 104, Juni
2004). Beim Stöbern stieß er jetzt bei der Auktionsplattform
ebay auf ein beachtliches Angebot an WZB-Veröffentlichungen.
Einiges wurde zum Festpreis angeboten („Sofort kaufen“), für
anderes kann der potenzielle Käufer auch einen eigenen Preisvorschlag machen. Die verlangten Preise sind erstaunlich. WZBJahrbücher – umfangreiche Monografien zu Einzelthemen aus
der Forschung des Instituts – sind vertretbar; die meisten sollen 25 bis 35 Euro kosten. Zum Verkaufszeitpunkt waren sie im
Buchhandel für rund 20 Euro zu haben. Verblüffend ist aber,
dass ein Verkäufer Veröffentlichungen für gutes Geld anbietet,
die das WZB unentgeltlich anbietet oder angeboten hat, wie ein
kleines Buch zum 25-jährigen Jubiläum im Jahr 1994. Es soll
31,95 Euro kosten. Ganz frech wird es aber im Fall mehrer Dutzend Ausgaben der WZB-Mitteilungen. Es sind keine Rarissima,
es gibt hinreichend Exemplare auf Lager. 12 Euro sind ein stolzer Preis, der zwar der Arbeit der Forscher und der Redaktion
angemessen wäre, aber nicht fair ist: Jeder Interessierte bekommt schon immer per Email oder als gedrucktes Exemplar
jedes Heft unentgeltlich zugestellt. Die Auktionsplattform mit
ihrem munteren Verkäufer ist aber kein Einzelfall. Auch ver-
Teuer?
Forschermärchen
Im Stil der Gebrüder Grimm hat Michael T. Wright, bis 2011
wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe Public
Health am WZB, ein Märchen über das Werden eines Sozialwissenschaftlers verfasst. Mit seiner Geschichte gewann Wright,
Professor für Methoden der empirischen Sozialforschung an
der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin, den Science Slam beim 20-jährigen Jubiläum seiner Hochschule Ende
2011. Nun ist die Geschichte im Hochschuljournal Einblicke
abgedruckt. Darin erzählt Grimm-Wright, wie ein Junge etwas
lernen möchte, vor dem sich alle anderen gruseln: alles, was mit
Daten, Zahlen und Empirie zu tun hat. Er nimmt alles auf sich,
lernt über Positivismus und Konstruktivismus, über kritische,
interpretative und partizipative Sozialforschung, eignet sich
quantitative und qualitative Methoden an, vertieft sich in die
Hermeneutik. Aber es gruselt ihm zu seinem Leidwesen immer
noch nicht. Sogar eingeschlossen in einem verwunschenen
Schloss gruselt es ihm nicht – er forscht mit der GespensterCommunity und befriedet das Schloss, zur Freude des Königs,
der ihm aus Dankbarkeit einen Goldschatz und seine Tochter
zur Frau gibt. Der Unerschrockene weiß nur eines immer noch
nicht: was gruseln ist. Bis sein Kammermädchen heimlich ein
Manuskript aus seiner Feder an ein Forschungsjournal schickt
und nach Monaten der Umschlag mit der Begutachtung eintrifft.
Da fühlt sich der junge Forscher endlich befreit: Nun wusste er,
was Gruseln ist, denn es gruselte ihm bei der Lektüre mächtig.
Mitlese
Die März-Ausgabe der vom WZB mit herausgegebenen sozialwissenschaftlichen Zeitschrift Leviathan widmet sich in der
Juni-Ausgabe unter anderem einer gerechteren Verteilung der
Lasten, die sich aus der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes ergeben (Günther Schmid) und der Dynamik des neuen chinesischen Kapitalismus (Tobias ten Brink). Außerdem gibt Friedhelm Neidhardt Einblicke in die Funktionsbedingungen des
Wissenschaftsrats, der in jüngster Zeit in die Kritik geraten ist.
WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
45
Vorgestellt
Publikationen aus dem WZB
Islamophobie im Westen Marc Helbling
Islamophobie ist
ein öffentlich heftig diskutiertes Thema, aber wir wissen noch wenig Genaues über sie.
Grundlegende Fragen sind kaum erforscht: Wie lässt sich Islamfeindschaft definieren?
Wie kann man eine solche Einstellung messen? Wie grenzt sich Islamophobie von allgemeiner Fremdenfeindlichkeit ab? Marc Helbling gibt als Herausgeber dieses Bands einen
Überblick über zentrale Forschungsfragen. Zum ersten Mal überhaupt versammelt
dieser Sammelband führende Autoren dieses Forschungsfelds, die anhand von Einzelstudien aus europäischen Ländern und den USA Antworten geben. Neben Fallstudien,
etwa zu Veränderungen nach dem 11. September 2001, untersucht der Band auch, wie
Muslime ihre eigene Situation wahrnehmen. Die meisten Kapitel werten Umfragen aus,
die speziell zur Erforschung von Islamophobie konzipiert wurden. Marc Helbling (Ed.):
Islamophobia in the West. Measuring and Explaining Individual Attitudes. London/New
York: Routledge 2012.
Islamophobie ist seit Jahren allgegenwärtig in Europa. In der Schweiz war eine Kampagne
gegen den Bau von Minaretten im November 2009 erfolgreich: Die Mehrheit der abstimmenden Schweizer votierten für das Verbot, das maßgeblich von der Schweizerischen
Volkspartei propagiert wurde, unter anderem durch eine Plakatkampagne (hier auf dem
Genfer Bahnhof). [Foto: picture-alliance / dpa]
Chancen für Gewerkschaften Rebecca Kolins Givan,
Lena Hipp Gewerkschaftsmitglieder betrachten die Leistungsfähigkeit von Gewerkschaften
besonders kritisch, weil sie besonders hohe Erwartungen an ihre Organisationen haben. Diese Annahme, die von manchen Forschern vertreten wird, widerlegen Rebecca Givan und Lena Hipp. Sie
haben Umfragedaten von fast 15.000 Beschäftigten aus 24 Ländern in Europa, Amerika und Asien
ausgewertet. Mitglieder und ehemalige Mitglieder beurteilen demnach das Vermögen der Gewerkschaften, Arbeitsbedingungen und Jobsicherheit zu gewährleisten, höher als jene, die nie Mitglied
waren. Für Gewerkschaften heißt das: Es könnte sich lohnen, ehemalige Mitglieder wiederzugewinnen. Nach dem Gewerkschaftsbeitrag zur Sicherung von Arbeitsplätzen gefragt, haben Frauen, die
nie Mitglied waren, eher ein positives Bild von Gewerkschaften als Männer. Rebecca Kolins Givan/
Lena Hipp: „Public Perceptions of Labor Union Efficacy: A Twenty-Four Country-Study“. In: Labor
Studies Journal, Vol. 37, No. 7, 2012, S. 7-32.
46
WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
Die Macht der Zahlen Sebastian Botzem
Fragen
der Rechnungslegung sind weit mehr als buchungstechnische Herausforderungen. Die Darstellung von unternehmerischen Gewinnen und Verlusten
beeinflusst vielmehr direkt das weltweite Wirtschaftsgeschehen. WZB-Forscher
Sebastian Botzem legt die politische Geschichte der Regulierung der internationalen Rechnungslegung vor. Im Zentrum seiner Analyse steht das International Accounting Standards Board, das im Laufe von vier Jahrzehnten von einer
privaten Agentur zu der zentralen Regulierungsinstanz der internationalen
Rechnungslegung aufgestiegen ist. Deren Standards haben mit zur Krise beigetragen. Botzems Ausführungen über die Institutionalisierung einer transnationalen Autorität münden in ein Plädoyer für Rechenschaft und Transparenz: „Die
Finanzkrise hat gezeigt: Es steht zu viel auf dem Spiel, als dass die Beschreibung und die Verteilung von Profiten den Insidern alleine überlassen bleiben
könnte.“ Sebastian Botzem: The Politics of Accounting Regulation. Organizing
Transnational Standard Setting in Financial Reporting. Cheltenham/ Northampton: Edward Elgar 2012.
Fachkräfte fürs Wachstum Yan Hao
Der Ausbau des Systems beruflicher
Bildung hat zum starken Wirtschaftswachstum Chinas in den letzten Jahrzehnten beigetragen. Aber die
Regierung der Volksrepublik sieht noch einen großen Konsolidierungs- und Reformbedarf angesichts
der Herausforderungen der Zukunft: Demografischer Wandel und Fachkräftemangel sind schon jetzt
spürbar. Die berufliche Aus- und Weiterbildung steht im Mittelpunkt der Mehrjahresplanung, die Ansätze einer dualen Ausbildung stärkt. Yan Hao, im letzten Sommer Gastwissenschaftler am WZB, skizziert
die politischen, organisatorischen und sozialen Rahmenbedingungen der beruflichen Bildung in China
auf allen Ebenen – in Schule, Hochschule und Unternehmen. Yan Hao: The Reform and Modernization of
Vocational Education and Training in China. WZB-Discussion Paper SP III 2012-304. Berlin: WZB 2012.
Pluralismus im EU-Diskurs Pieter de Wilde
Werden
Debatten über zentrale Fragen der EU-Politik durch einzelne Akteure monopolisiert?
Wird in den Massenmedien und in Debatten nationaler Parlamente ein breites Interessenspektrum repräsentiert? Pieter de Wilde hat für drei Budget-Entscheidungsprozesse
in den letzten zwei Jahrzehnten gefragt, ob es einen wirklichen Pluralismus gibt, und
dabei die Medien und die Parlamentsdiskurse in den Niederlanden, Irland und Dänemark
untersucht. Seine Analyse der Debatten und der Mediendarstellungen ergeben: Forderungen einzelner Akteure beherrschen nicht einseitig die Debatte. Interessen anderer
Länder, Anliegen von Verbrauchern und Forderungen von Bürgern finden ein öffentliches Forum. Auch Positionen von Nichtmitgliedern der EU werden in beiden Öffentlichkeiten zur Sprache gebracht. Medien und Parlamente haben sich nämlich zu Räumen
entwickelt, in denen Vertreter verschiedener Interessen um Legitimität konkurrieren.
Pieter de Wilde: „The Plural Representative Space: How Mass Media and National Parliaments Stimulate Pluralism through Competition“. In: Sandra Kröger/Dawid Friedrich: The
Challenge of Democratic Representation in the European Union. Basingstoke: Palgrave
Macmillan 2012, S. 117-134.
Die EU-Kommission im Wandel Miriam Hartlapp,
Yann Lorenz Die Zusammensetzung der Europäischen Kommission hat sich
seit den 1950er Jahren stark verändert. Beruf, Nationalität und Parteizugehörigkeit der
EU-Kommissare haben Einfluss auf politische Entscheidungen. Miriam Hartlapp und
Yann Lorenz zeigen, dass viele Kommissare vor ihrer Ernennung ranghohe Positionen,
zum Beispiel als Regierungschefs, inne hatten. Abgenommen hat der Anteil der Diplomaten, Wissenschaftler und gesellschaftspolitischen Aktivisten. Parteipolitische Positionen sind relevanter geworden. Der Einfluss der großen Volksparteien ist dabei zurückgegangen, da kleine Parteien mehr präsent sind. Die Kommission ist heute liberaler als
früher, was dazu führt, dass ihre Gesetzesvorschläge nicht immer auf Gegenliebe bei
den Mitgliedsstaaten treffen. Miriam Hartlapp/Yann Lorenz: Persönliche Merkmale von
Führungspersonal als Politikdeterminante: Die Europäische Kommission im Wandel der
Zeit. WZB-Discussion Paper SP IV 2012-501. Berlin: WZB 2012.
Weitere Publikationen unter: www.wzb.eu/sites/default/files/publikation/pdf/wm136.pdf
WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
47
Personen
Gastwissenschaftler
Tilman Börgers, Samuel Zell
Professor of the Economics of
Risk am Department of Economics der University of Michigan, ist vom 15. Mai bis zum
30. Juni 2012 Gast der Abteilung Verhalten auf Märkten.
Der renommierte Mikroökonom arbeitet zu Fragen des
„Mechanism Design“, zu Auktionen und zu Abstimmungsregeln.
Huon Curtis, University of Sydney, ist von Anfang Mai bis
Ende Juli 2012 als WZB-Fellow Gastwissenschaftler im
Schwerpunkt Märkte und Politik. Sein Forschungsinteresse
gilt den Themen „Geschichte und die Theorie ökonomischen Denkens“ sowie „Sozialstudien des Finanzwesens
mit besonderem Augenmerk
auf Derivate“. Während seiner
Zeit am WZB wird er an seiner
Dissertation arbeiten.
Professor Jan Delhey ist von
Februar bis Juli 2012 Gastwissenschaftler in der Abteilung
Ungleichheit und soziale Integration. Der Soziologieprofessor an der Jacobs University
[Foto: Udo Borchert]
Bremen forscht international
vergleichend zu den gesellschaftlichen Bedingungen von
Vertrauen und subjektivem
48
Wohlbefinden sowie zur Europäisierung der Lebenswelten.
Am WZB wird er an dem Buch
„Is More Always Better? Human Happiness and the Limits
of the Maximization Principle“ (Springer-Verlag) arbeiten.
Außerdem geht er zusammen
mit Ulrich Kohler (WZB) der
Frage nach, wie ungleich subjektives Wohlbefinden weltweit verteilt ist und welchen
Einfluss sozioökonomischer
Fortschritt und objektive Ungleichheiten auf die Verteilung des Wohlbefindens haben.
Professor Duncan Gallie, Soziologieprofessor am Nuffield
College der Universität Oxford
und Vize-Präsident der British Academy, wird von Mitte Juni bis Mitte Juli 2012 in
der Abteilung Ausbildung und
Arbeitsmarkt zu Gast sein. Er
wird im WZB an der Auswertung von Daten der fünften
Welle des European Social
Survey zum Thema „Work, Family and Well-being: The Implications of Economic Recession“ arbeiten.
John Gerring, Professor für
Politikwissenschaften an der
Boston University, wird von
Anfang Juli bis Anfang August
2012 Gast der Abteilung Transnationale Konflikte und internationale Institutionen sein.
Während seines Aufenthalts
wird er an seinem Langzeitprojekt „Varieties of Democracy“ und an einer Publikation
zum Thema „Democracy and
Development: A Historical Perspective“ arbeiten.
John Hartley, Professor für
Cultural Science und Direktor des Centre for Culture and
Technology der Curtin University, Western Australia, ist
im Juli 2012 Gast der Abteilung Kulturelle Quellen von
Neuheit. Er wird sich mit Auswirkungen der Digitalisierung
auf die Kreativindustrien beschäftigen.
Professor Jürgen Gerhards,
geschäftsführender Direktor
des Instituts für Soziologie
WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
der Freien Universität Berlin,
ist seit dem 1. April 2012 für
sechs Monate als WZB-Fellow
und Karl W. Deutsch-Professor
Gast im Präsidialbereich und
in der Abteilung Ungleichheit
und soziale Integration. Während seines Aufenthalts arbeitet er an zwei Buchprojekten
zu den Themen „Wir, ein europäisches Volk? Sozialintegration Europas und die Idee der
Gleichheit aller europäischen
Bürger“ (gemeinsam mit Holger Lengfeld) und „Transnationales Bildungskapital und soziale Ungleichheit“ (mit Silke
Hans und Sören Carlson).
Yaman Kouli, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut
für Europäische Geschichte der
TU Chemnitz, ist für ein Jahr
A.SK-Fellow und Gastwissenschaftler der Projektgruppe
Globalisierung, Arbeit und
Produktion. Sein Ziel ist es, ein
theoretisches Modell zu entwickeln, um die „Wissensinfrastrukturen“ unterschiedlicher
Länder über verschiedene historische Epochen hinweg vergleichbar zu machen. Darüber
hinaus beschäftigt sich Yaman
Kouli mit den europäischen
„Wirtschaftswundern“ (19481973) und der Wirtschaftsgeschichte Polens im 20. Jahrhundert.
Mirjam Künkler, Assistant Professor im Department of Near
Eastern Studies der Princeton
University, wird vom 1. August
bis 31. Oktober 2012 am WZB
Rule of Law Center forschen.
Ihre Forschungsinteressen liegen auf dem Gebiet der vergleichenden Politikwissenschaft
und der politischen Theorie,
im Speziellen forscht sie zum
Verhältnis von Staat und Religion sowie zum Islam in
Indonesien und im Iran im
20. Jahrhundert. Ihr derzeitiges Forschungsprojekt befasst
sich mit der Frage nach der
Rolle des Rule of Law in den
Transformationsprozessen im
Rechtssystem der Islamischen
Republik Iran (1979-2009).
Professor Trevor Pinch, Cornell University, Department
of Science and Technology
Studies in Ithaca, New York,
ist im Juni 2012 Gast der Abteilung Kulturelle Quellen von
Neuheit. Während seines Aufenthalts am WZB wird der Soziologe sich mit Fragen der
sozialen Konstruktion von Innovationen, insbesondere im
Bereich der Musiktechnologie,
beschäftigen.
Professor Robert Rohrschneider ist im Juni 2012 Gastwissenschaftler in der Abteilung
Demokratie: Strukturen, Leistungsprofil und Herausforderungen. Er ist Sir Robert
Worcester Distinguished Professor of Political Science an
der University of Kansas und
forscht unter anderem über
politische Repräsentation, Parlament und Wahlen, die Europäische Union und politische
Eliten.
Dr. Oriane Sarrasin, Research
Centre for Methodology, Inequalities and Social Change
an der Universität Lausanne,
ist seit Juni 2012 für ein Jahr
Gastwissenschaftlerin der Abteilung Migration, Integration, Transnationalisierung. Sie
forscht über die Ursachen
feindlicher Einstellungen gegenüber Immigranten und Immigrantinnen und interessiert sich insbesondere für
die Beziehung zwischen Geschlecht und Immigration.
Professor Pascal Sciarini, Universität Genf, ist im Mai und Juni Gastwissenschaftler in der
Abteilung Demokratie: Strukturen, Leistungsprofil und Herausforderungen. Er beschäftigt sich mit Wahlforschung
im Allgemeinen sowie mit
Gesetzgebungsverfahren, Europäisierung, politischer Entscheidungsfindung, Meinungsbildung und politischem Handeln bei Wahlen und Volksabstimmungen.
Milan Svolik, Assistant Professor an der University of
Chicago, ist von Mitte Mai
bis Ende Juni 2012 Gastwissenschaftler in der Abteilung Demokratie: Struk-
turen, Leistungsprofil und
Herausforderungen und wird
insbesondere mit dem Projekt „Critical Junctures and
the Survival of Dictatorships.
Explaining the Stability of Autocratic Regimes“ zusammenarbeiten. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den
Bereichen Methodologie und
politische Regime im Allgemeinen und Autokratie im Besonderen.
Jonas Tallberg, Professor für
Politikwissenschaften an der
Universität Stockholm, ist von
Mitte Juni bis Mitte Juli 2012
Gast der Abteilung Transnationale Konflikte und internationale Institutionen. Er arbeitet unter anderem an Veröffentlichungen zu den Themen
„Explaining the Transnational
Design of International Organizations“, „The Social Legitimacy of International Organizations: Interest Representation, Institutional Performance, and Cosmopolitan
Identities“ und „International
Organizations and Transnational Actors“.
Berufungen
Professorin Eugénia da Conceição-Heldt, Heisenberg-Fellow in der WZB-Abteilung
Transnationale Konflikte und
internationale Institutionen,
hat einen Ruf an die TU Dresden angenommen und lehrt
dort seit März 2012 als Professorin für Internationale
Politik.
Anke Geßner, Gleichstellungsbeauftragte des WZB, wurde
im März 2012 für weitere
zwei Jahre zur Sprecherin des
Arbeitskreises Chancengleichheit der Leibniz-Gemeinschaft
gewählt. Der Arbeitskreis dient
der fachlichen Vernetzung der
Gleichstellungsbeauftragten
der 86 Leibniz-Einrichtungen.
Er berät darüber hinaus das
Leibniz-Präsidium zu Fragen
der Chancengleichheit und berichtet jährlich zu den Aktivitäten, konzipiert die Jahresta-
benslanges Lernen, gehört
zu den Preisträgern der Gesellschaft für Hochschulforschung für herausragende Abschlussarbeiten auf dem GeDr. Ulrich Kohler, geschäfts- biet der Hochschulforschung
führender wissenschaftlicher 2012.
Mitarbeiter der Abteilung Ungleichheit und soziale Integra- Dr. Justin J.W. Powell ist für
tion, hat einen Ruf auf die Pro- sein gemeinsam mit John G.
fessur „Methoden der empiri- Richardson verfasstes Buch
schen Sozialforschung“ in der Comparing Special Education.
Wirtschafts- und Sozialwis- Origins to Contemporary Pasenschaftlichen Fakultät der radoxes mit dem Outstanding
Universität Potsdam erhalten. Book Award 2012 der American Education Research AsProfessor Friedhelm Neid- sociation (Division B) ausgehardt, ehemaliger WZB-Präsi- zeichnet worden. Der Preis
dent, wurde auf Vorschlag des wurde beim AERA-Kongress
Präsidenten von den Gremi- in Vancouver verliehen. Die
en der Berlin-Brandenburgi- AERA ist eine interdisziplischen Akademie der Wissen- näre Organisation mit 30.000
schaften für drei Jahre zum Mitgliedern aus einem breiten
Ombudsmann der Akademie Spektrum bildungsrelevanter
Disziplinen.
gewählt.
gung Chancengleichheit und
ist mit den außeruniversitären und universitären Gleichstellungsgremien vernetzt.
Dr. Thomas Rixen, wissenschaftlicher Mitarbeiter der
Abteilung Transnationale Konflikte und internationale Institutionen, hat einen Ruf auf die
W2-Professur für Politikwissenschaft, insbesondere international vergleichende Politikfeldanalyse, an der OttoFriedrich-Universität Bamberg
erhalten. Außerdem vertritt er
diese Professur für das Sommersemester.
Professor Rolf Rosenbrock,
Leiter der zum 31. Mai 2012
beendeten Forschungsgruppe
Public Health, wurde zum
Vorsitzenden des Gesamtverbands „Der Paritätische“ gewählt. „Der Paritätische“ ist
einer der sechs Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in Deutschland und
Dachverband von über 10.000
eigenständigen Organisationen, Einrichtungen und Gruppierungen im Sozial- und Gesundheitsbereich.
Ehrungen / Preise
Claudia Finger, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Projektgruppe Nationales Bildungspanel: Berufsbildung und le-
Professor Günther Schmid
wurde die Ehrendoktorwürde
der Universität Aalborg, Institut für Staatswissenschaft,
verliehen. Seine Vorlesung zur
feierlichen Verleihung des Titels behandelte das Thema
„Sharing Transition Risks: Towards a System of Employment Insurance“.
Professor Udo E. Simonis wird
für seinen Artikel „GNP & Beyond: Searching for New Development Indicators. A View in
Retrospect” im International
Journal of Social Economics
mit einem der Outstanding
Paper Awards geehrt. Der Verlag Emerald vergibt jedes Jahr
Auszeichnungen an Autoren,
die von der Redaktion der jeweiligen Emerald-Zeitschrift
als herausragend eingestuft
werden.
Promotionen
Mariya Chelova, Doktorandin in der Abteilung Demokratie: Strukturen, Leistungsprofil und Herausforderungen, hat ihre Disputation mit
dem Titel: „‚Divided We Stand‘.
Emergence and Viability of
Political Regimes in the For-
mer Soviet Union: The Case
of Hybrid Regimes in Georgia,
Moldova and Ukraine“ an der
Humboldt-Universität zu Berlin, Philosophische Fakultät III,
erfolgreich bestanden.
Christian Ebner, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Projektgruppe bei der Präsidentin,
hat mit seiner Disputation im
März 2012 seine Promotion
zum Thema „Unproblematische Erwerbseinstiege? Zur
Kopplung von dualer Beschäftigung und Arbeitsmarkt in
Deutschland, Österreich, der
Schweiz und Dänemark“ erfolgreich an der HumboldtUniversität zu Berlin abgeschlossen.
Denis Hänzi, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik, Projekt „Exzellenz und
Geschlecht in Führungsposi-
[Foto: Inge Weik-Kornecki]
tionen der Wissenschaft und
Wirtschaft“, hat im März 2012
seine Dissertation über „Die
Ordnung des Theaters. Eine
kultursoziologische Studie zum
Regieberuf“ an der Universität
Bern mit dem Prädikat summa
cum laude abgeschlossen.
Julia Metz, wissenschaftliche
Mitarbeiterin der Schumpeter-Nachwuchsgruppe Positionsbildung in der EU-Kommission, hat im April 2012 an
der FU Berlin ihre Dissertation zum Thema „The European
Commission’s Expert Groups
and their Use in Policy Making“ erfolgreich verteidigt.
Christian Rauh, Diplom-Verwaltungswissenschaftler in der
Schumpeter-Nachwuchsgruppe
Positionsbildung in der EU-
WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
49
Kommission, hat seine Dissertation mit dem Titel „Politicisation, Issue Salience, and
Consumer Policies of the European Commission: Does Public Awareness and Contestation of Supranational Matters
Increase the Responsiveness
of Europe’s Central Agendasetter?“ abgeschlossen. Nach
der Verteidigung im Januar
2012 an der FU Berlin wurde
er mit summa cum laude promoviert.
Merlin Schaeffer, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Migration, Integration,
Transnationalisierung, hat im
April 2012 seine Promotion
zum Thema „Ethnic Fractionalisation and Social Cohesion“
erfolgreich an der Universiteit
van Amsterdam verteidigt.
Aiko Wagner, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung
Demokratie: Strukturen, Leistungsprofil und Herausforderungen, hat im Februar 2012
seine Promotion mit dem Titel
„Die Mikrofundierung von Duvergers Gesetz. Strategisches
Wahlverhalten als Wirkungsweise politischer Institutionen“ verteidigt.
Personalien
Tina Baier ist seit März 2012
wissenschaftliche Mitarbeiterin im Präsidialbereich. Bis
Ende 2011 war sie wissenschaftliche Assistentin im Projekt „Studienberechtigte und
Studienanfänger in NRW: Entwicklungen und Herausforderungen 2000 bis 2010“. Zu
ihren Aufgaben am WZB gehörten die wissenschaftliche
Mitarbeit an verschiedenen
Studien der Präsidentin, die
Vorbereitung von Vorträgen
der Präsidentin sowie die Koordination ihrer Tätigkeit als
Mitglied des Sozialbeirats und
des
Mindestlohn-Hauptausschusses.
Marvin Gamisch ist seit April
wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Projektgruppe der
50
Präsidentin. Er hat an der Universität Göttingen, dem King’s
College London und der Freien
Universität Berlin ein Studium
der Politikwissenschaft absolviert. Er arbeitet an einem
Projekt, das die Berechtigung
der institutionellen Trennung
von universitärer und außeruniversitärer Forschung in
Deutschland anhand eines Vergleichs von Forschungsleistungen hinterfragt und Szenarien zur Neujustierung des
Verhältnisses der beiden institutionellen Blöcke entwickelt. Darüber hinaus soll eine
Forschungslandkarte erstellt
werden, die über Potenziale
der Kooperation von außeruniversitären Einrichtungen
und Hochschulen in Deutschland informiert.
Jana Girlich, seit März 2012
wissenschaftliche Mitarbeiterin im Präsidialbereich, ist zuständig für die konzeptionelle
Weiterentwicklung des Audit
berufundfamilie. Zuvor war sie
im Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung (CEWS) am GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften in Bonn tätig.
Roni Mann, S.J.D., ist seit Anfang 2012 wissenschaftliche
Mitarbeiterin am WZB Rule of
Law Center. Ihren Doktorgrad
erhielt sie von der Harvard
Law School und arbeitete als
Fellow am Harvard Weather-
[Foto: Udo Borchert]
head Center for International
Affairs, wo sie sich mit der
Geschichte der Finanzregulierung in den USA auseinandersetzte. Gegenwärtig arbeitet sie zu theoretischen und
institutionellen Herausforderungen globaler Finanzregu-
WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
lierung, insbesondere zu dem
Begriff des „Systemischen Risikos“. Ihre weiteren Forschungsinteressen liegen in
der Verbindung der Analyse
von Rechtsinstitutionen mit
Sozialtheorien und politischer
Philosophie.
Dr. Geny Piotti betreut seit
Mai 2012 als Mitarbeiterin
im Präsidialstab die wissenschaftliche Karriereförderung
am WZB. Bis April 2012 war
sie als Science Officer im europäischen Forschungsmanagement bei COST (European
Cooperation in Science and
Technology) in Brüssel tätig.
Zuvor war die Wirtschaftssoziologin Visiting Scholar
am Europäischen Hochschulinstitut (EUI) in Florenz und
wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut
für Gesellschaftsforschung in
Köln. Darüber hinaus war sie
als wissenschaftliche Beraterin der Deutschen Asia Pacific
Gesellschaft e.V. in Köln und
als Koordinatorin des Netzwerks F „Knowledge, Technology and Innovation“ bei der
Konferenz der Society for the
Advancement of Socio-Economics (SASE) tätig.
Dr. Christian Rauh ist seit April
2012 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Transnationale Konflikte und internationale Institutionen. Er
wird eine quantitative Indikatorenbasis aufbauen, die Aussagen zur gesellschaftlichen
Politisierung internationaler
Steuerung im systematischen
Vergleich über Zeit und Institutionen ermöglicht.
Dirk Reimann, M.A. Neuere
Geschichte, arbeitet seit März
2012 als wissenschaftlicher
Mitarbeiter in der Bibliothek
am Aufbau eines Archivs für
das WZB. Ziel ist es, abgeschlossene Forschungsfelder
des WZB mit einschlägigen
Materialien zu dokumentieren,
um nach entsprechender Aufbereitung auch externen Wissenschaftlern den Zugang für
eigene Forschungen zu diesen
Gebieten zu ermöglichen.
Dr. Theresa Reinold, wissenschaftliche Mitarbeiterin der
Abteilung Transnationale Konflikte und internationale Institutionen, forscht als Stipendiatin vom 1. April bis zum
30. Juni 2012 am Center for
European Studies der Harvard
University. Dort arbeitet sie
unter anderem an einer Buchpublikation mit dem Titel „Sovereignty and the Responsibility to Protect: The Power of
Norms and the Norms of the
Powerful“ sowie an einer Fallstudie zum Thema „IWF und
Menschenrechtsschutz“.
Andreas Schäfer arbeitet seit
Februar 2012 im Präsidialbereich als Programmkoordinator für die Berlin Summer
School in Social Sciences, die
als Gemeinschaftsprojekt des
WZB und der Berlin Graduate School of Social Sciences
(BGSS) in diesem Jahr zum
zweiten Mal stattfindet. Er hat
Politikwissenschaft und Germanistik in Leipzig, Dublin
und an der Freien Universität
Berlin studiert. Seit 2008 ist
er Doktorand an der BGSS der
Humboldt-Universität zu Berlin und forscht zur Rolle von
Deliberationsprozessen in der
parlamentarischen Entscheidungsfindung
Aiko Wagner, Abteilung Demokratie: Strukturen, Leistungsprofil und Herausforderungen, forscht von März bis
Juni 2012 an der Universität
Nottingham, finanziert durch
ein Postdoc-Stipendium des
DAAD. Als Gast von Professor
Cees van der Eijk am Social
Sciences Methods and Data
Institute beschäftigt er sich
in dieser Zeit vor allem mit
„Choice Sets“ im Kontext von
Wahlentscheidungsmodellen.
Kompakt, schnell, elektronisch
Eine Zwischenbilanz der WZBriefe
Kerstin Schneider
Es kann viel Zeit vergehen, bis Forschungsergebnisse in den einschlägigen
Fachzeitschriften veröffentlicht werden. Die Begutachtungsprozesse können
mehr als ein Jahr dauern. Um die Fachöffentlichkeit ohne diese lange Verzögerung von der Forschung profitieren zu lassen, wurde vor vier Jahren im WZB das
Konzept der WZBriefe entwickelt, mit dem WZBrief Bildung als Pilotprojekt. Seitdem ergänzt um die WZBriefe Arbeit und Zivilengagement, hat die Publikationsreihe inzwischen eine große Leserschaft gefunden – mit bis zu 7.000 Abrufen
pro Brief. Verschickt werden sie mehrmals im Jahr, und zwar ausschließlich
elektronisch. Interessierte können sie abonnieren, werden aber auch über die
Homepage des WZB oder den Newsletter auf sie aufmerksam.
In den WZBriefen geht es um die Folgen sozialer Ungleichheit, sowohl auf dem
Arbeitsmarkt wie in der Bildung, aber ebenso um Innovationshemmnisse in der
Wissenschaft oder das gesellschaftliche Engagement älterer Menschen. Auch
aktuelle Debatten werden aufgegriffen. Das breite Spektrum macht die WZBriefe
für Abonnenten aus vielen Arbeitsbereichen interessant, für Experten und interessierte Praktiker von Forschungsinstitutionen und Universitäten, aus Politik,
Verwaltung und Medien, Stiftungen, Schulen und anderen Bildungseinrichtungen. Aber auch Privatpersonen, die sich dafür interessieren, mit welchen Forschungsthemen sich ein öffentlich finanziertes Institut wie das WZB unter anderem beschäftigt, gehören zu den Lesern.
Die Darstellung der Themen hilft auch beim Blick über den Tellerrand, wenn
zum Beispiel Informationen aus Schule und Hochschule Forschungsergebnisse
verdeutlichen: So wird in Claudia Fingers WZBrief Bildung zur Mobilität von Studenten nicht nur deutlich, dass Akademikerkinder häufiger ein Auslandsstudium aufnehmen. Die Forscherin zeigt, dass die Weichen dafür schon in der Schule gestellt werden, denn wer als Schulkind eine Zeitlang im Ausland lebte, geht
als Studierender eher in ein anderes Land. Themen der nächsten Ausgaben sind
„Migrantenkinder und ihre Übergangsempfehlungen nach der Grundschule“
und „Profilbildung von Hochschulen“.
Breit angelegt ist auch das Forschungsinteresse der Arbeitsmarktforscher, die
sich in den nächsten Ausgaben des WZBrief Arbeit unter anderem mit den Themen „Folgen der Arbeitslosigkeit“, „Übergänge von der Ausbildung in den Arbeitsmarkt“ und „Teilzeitarbeit bei Männern“ beschäftigen werden. Im WZBrief
Zivilengagement wird es in diesem Jahr beispielsweise um das Thema Organisationswandel im Dritten Sektor gehen.
Wer sich für ein regelmäßiges Abonnement der WZBriefe interessiert, kann sich
unter dem Link www.wzb.eu/de/presse/presseverteiler im Internet für unser
Angebot anmelden.
Zur WZB-Website: Hier können Sie sich in unseren Verteiler eintragen.
Für Smartphone-Benutzer: Bildcode scannen, etwa mit der App „Scanlife“.
WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
51
Vorschau
Veranstaltungen
7. und 8. Juni 2012
14. und 15. Juni 2012
Field Days: Experiments Outside the Renten, Daten, Forschung
Laboratory Konferenz Die Konferenz beschäf- Workshop Der 9. Workshop des Forschungsdatenzenttigt sich mit neuen Ergebnissen von Feldexperimenten und
beleuchtet dabei aus kritischer Sicht methodische Aspekte. Besonderes Augenmerk wird darauf gelegt, wie Erkenntnisse aus
Feldexperimenten verwendet werden können, um Interventionen anzupassen und zu entwerfen, und wie Feldexperimente
zur Evaluation von (Politik-)Interventionen eingesetzt werden
können. Veranstalter: Dietmar Fehr, Dr. Julia Schmid, WZB-Abteilung Verhalten auf Märkten; Informationen bei Eva Kollecker, EMail: [email protected]
rums der Rentenversicherung (FDZ-RV) bietet ein interdisziplinäres Forum zur Präsentation und Diskussion von Befunden,
die vor allem auf Daten des FDZ-RV basieren. Neben methodischen Fragestellungen, etwa zum Datenmatching, werden die
Themen Gesundheit und Krankheit, Lebensarbeitseinkommen
und deren Verteilung sowie Altersübergangsprozesse eine
zentrale Rolle spielen. Der 9. Workshop des FDZ-RV findet zum
vierten Mal in Kooperation mit dem und am WZB statt. Veranstalter: Dr. Roland Habich, Zentrales Datenmanagement am WZB;
Informationen bei Dr. Roland Habich, E-Mail: [email protected]
19. Juni 2012
Lokale Strukturen zivilgesellschaftlichen Engagements Vortrag von Profes-
Rassismus bleibt auch in den USA virulent. Heftige Proteste lösten
die tödlichen Schüsse eines Bürgerwehr-Mitglieds auf den jungen,
unbewaffneten Afroamerikaner Travyon Martin aus – hier eine
Demonstration in Miami, Florida, am 1. April 2012.
[Foto: Picture alliance / landov]
sor Thomas Freitag. Es ist unbestritten, dass freiwillige Tätigkeiten gesellschaftlich positiv wirken und auf lokaler Ebene
Gemeinschaften festigen. Aber wir wissen nicht, was zivilgesellschaftliches Engagement fördert und was es hemmt: Beeinflusst die sozioökonomische, soziokulturelle oder ethnische
Heterogenität der Bevölkerung einer Gemeinde das persönliche
freiwillige Engagement? Welche lokalen Förderinstrumente
führen zum Erfolg, welche sind wirkungslos, wenn es um die
Ausschöpfung des Engagementpotentials geht? Beeinflussen
lokale politische Faktoren oder stärker kulturell verankerte
Traditionen die Ausübung freiwilliger Tätigkeit? Diesen Fragen
widmet sich der Vortrag, der Ergebnisse eines aktuellen Projekts zum zivilgesellschaftlichen Engagement in der Schweiz
vorstellt. Veranstalter: Dr. Eckhard Priller, Projektgruppe Zivilengagement am WZB; Informationen bei Marie Unger, E-Mail: marie.
[email protected]
12. Juni 2012
The Freedom to Be Racist?
Kolloquium We love freedom. We hate
racism. But
what do we do when these values collide? Erik Bleich, author
of “The Freedom to be Racist? How the United States and Europe Struggle to Preserve Freedom and Combat Racism” will
explore policies that the United States, Britain, France, Germany,
and other liberal democracies have implemented when forced
to choose between preserving freedom and combating racism.
Veranstalter: Abteilung Migration, Integration, Transnationalisierung und Dr. Marc Helbling, Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe
Einwanderungspolitik im Vergleich; Informationen bei Dr. Marc
Helbling, E-Mail: [email protected]
Bürgerschaftliches Engagement: Direkte Hilfe auf lokaler Ebene,
hier in der Suppenküche der Franziskaner in Berlin-Pankow.
[Foto: Picture alliance / dpa]
52
WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
20. Juni 2012
5. bis 7. September 2012
shop widmet sich primär der Frage, wie sich aus theoretischer
und methodologischer Perspektive Daten auf unterschiedlichen analytischen Ebenen und zu unterschiedlichen relevanten
Akteuren oder Institutionen in der vergleichenden Wahlforschung verbinden lassen. International renommierte Forscher
wie auch Nachwuchwissenschaftler stellen ihre Arbeiten zur
Diskussion. Die Veranstaltung wird durch den British Economic
& Social Research Council finanziert. Veranstalter: Comparative
Cross National Electoral Research (CCNER) und Abteilung Demokratie: Strukturen, Leistungsprofil und Herausforderungen; Informationen: Auf Anfrage ist eine Teilnahme möglich, wenden Sie sich
bitte an Heiko Giebler, E-Mail: [email protected]
courage reflection on general theoretical and cultural aspects
of creativity, to discuss general recent theories of culture from
different cultural backgrounds, and to relate both these issues to the changing role of communication, which is rarely respected within the study of culture and creativity. The focus
here lies on the ways in which communication is transformed
by the new media and created a new “communication culture”.
Communication shall, therefore, function as a link between the
notion of culture and creativity. Among the keynote speakers
are Karin Knorr-Cetina, Celia Lury, Tia de Nora, Andy Pratt and
Andreas Reckwitz. Veranstalter: Professor Hubert Knoblauch, TU
Berlin, und Professor Michael Hutter, WZB, in Kooperation mit dem
Research Network „Sociology of Culture“ der European Sociological
Association; Hinweise zur Anmeldung unter http://culture-communication-creativity.eu/
Data Linkages in Cross-National Culture, Community and Creativity
Electoral Research Workshop Der Work- Konferenz The aims of the conference will be to en-
3. Juli 2012
Luhmann und aktuelle Sozialtheorien II Workshop Mit einem Paradigmenwechsel
von einer Identitätslogik zu einer Differenzlogik behauptet
Luhmann, die Probleme alteuropäischer Gesellschaftstheorien
überwunden zu haben. Obwohl diese Rhetorik für die Sichtbarkeit der Theorie von Nutzen war, hatte sie nicht gewollte Konsequenzen für ihre Rezeption. Während die Systemtheorie dazu
neigt, sich fremde Perspektiven ohne Rücksicht auf Verzerrungen in die eigene Logik einzuverleiben, wird sie überwiegend
als Theorie betrachtet, die nicht mit den eigenen Grundannahmen kompatibel ist. Die Fortsetzung des Workshops im Oktober 2011 eröffnet eine ganz andere Grundlage für einen Theorievergleich, indem nicht von einer Zäsur ausgegangen wird.
Veranstalter: Dr. Ignacio Farías und Dr. Arlena Jung, WZB, Abteilung Kulturelle Quellen von Neuheit; Informationen bei Dr. Ignacio
Farías und Dr. Arlena Jung, WZB, [email protected]; [email protected]
Auch Blogger reden manchmal von Angesicht zu Angesicht – etwa
bei Blogger-Konferenzen, hier während der re:publica 2011 in
Berlin. [Foto: Picture alliance / dpa]
15. bis 27. Juli 2012
Linking Theory and Empirical Research Summer School The second Berlin
Summer School in Social Sciences seeks to promote young
researchers by strengthening their methodological understanding in linking theory and empirical research. It takes up questions concerning the nature of explanation in social sciences,
the use and construction of theoretical concepts, and the respective values of micro- and macro-perspectives on social reality including the potentials and pitfalls of their combination. In
addition, the summer school aims at applying these reflections
to exemplary empirical fields in political science and sociology
in order to translate the general methodological considerations
into the concrete research practices of the participants. For
detailed information on the program please visit www.berlinsummerschool.de. Veranstalter: WZB und Berlin Graduate School
of Social Sciences; Informationen bei Andreas Schäfer, E-Mail:
[email protected], und Johannes Gerschewski, gerschewski@
wzb.eu
WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
53
Zu guter Letzt
Seiner Zeit voraus Karl W. Deutsch prägte
zehn Jahre lang das Gesicht des WZB
Andrei S. Markovits
Er war zeitweise einer der international meist­
zitierten Politikwissenschaftler, ein begnade­
ter akademischer Lehrer, hoch geachteter Prä­
sident akademischer Fachverbände, globaler
wissenschaftlicher Netzwerker – und er war in
der Aufbauphase der 1970er und 1980er Jahre
Direktor am WZB. Vor einem Jahrhundert, am
21. Juli 1912, wurde Karl W. Deutsch in Prag ge­
boren. Deutsch gilt es nicht nur wegen seiner
Bedeutung für die Sozialwissenschaften zu
würdigen. Er war eine Persönlichkeit, die je­
den, der das Privileg hatte, mit ihm zu arbeiten
und ihn näher kennenzulernen, beeindruckte
und intellektuell wie menschlich inspirierte.
Das familiäre Umfeld von Karl Wolfgang Deutsch
war gekennzeichnet vom aktiven Bürgersinn
und politischen Engagement in der Auflösungs­
phase der Habsburger Monarchie und den frü­
hen Jahren der tschechoslowakischen Republik.
Er sprach neben seiner deutschen Mutterspra­
che auch perfekt Tschechisch – eine Seltenheit
unter den deutschsprachigen Bürgern dieser
Republik, die sich als kulturell höher einstuften,
und vielsagend über Karl W. Deutschs intellek­
tuelles Talent und sein persönliches Wertesys­
tem. Prag aber war ihm nicht länger eine siche­
re Heimat. Als er mit dem frisch erworbenen
Titel eines Dr. jur. an der Karls-Universität mit
seiner Frau Ruth 1938 in die USA reiste, wurde
angesichts der Zerschlagung der Tschechoslo­
wakei aus dem Studienaufenthalt eine Ausreise
auf Dauer.
Amerikas Kriegseintritt brachte ihn dazu, der
amerikanischen Regierung seine Dienste als
Analytiker autoritärer und totalitärer politi­
scher Systeme anzubieten; er trug entschei­
dend zum berühmten „Blaubuch“ über Juan
Domingo Perons Versuche bei, die Demokratie
in Argentinien zu beseitigen. Später arbeitete
Deutsch im internationalen Sekretariat der
San-Francisco-Konferenz von 1945, auf der die
Vereinten Nationen aus der Taufe gehoben
wurden. Diese Erfahrungen schärften seinen
Blick auf Gesellschaft, Politik und Verantwor­
tung; in der Rückschau umschrieb er sein per­
sönliches Credo so: „Mein Lebensziel bestand
darin, Politik zu studieren, um den Menschen
zu helfen, die vier größten Gefahren unserer
Zeit zu besiegen: Krieg, Hunger, Armut und die
54
WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
Bevölkerungsexplosion. Deshalb habe ich nach
mehr Wissen gestrebt, für mehr Kompetenz
und mehr Mitgefühl.“
Nach Kriegsende lehrte Deutsch am Massachu­
setts Institute of Technology (MIT), während er
an der benachbarten Universität Harvard Poli­
tik studierte. Dort schloss er seine zweite Pro­
motion 1951 glanzvoll ab. „Nationalism and
Social Communication“ war eine wegweisende
Studie über die integrativen wie die entfrem­
denden Dimensionen des modernen Nationa­
lismus und seiner politischen Ausdrucksfor­
men. Fesselnd in ihren theoretischen Ambitio­
nen wie in ihrer empirischen Reichweite,
betrat Deutsch auch in methodischer Hinsicht
Neuland: Er nutzte komplizierte quantitative
Analysen, um das Verhältnis zwischen Politik
und Gesellschaft in seinen diachronen wie
synchronen Dimensionen zu illustrieren. Das
unter dem gleichen Titel 1953 veröffentlichte
Buch ist meines Erachtens bis heute ein Klas­
siker der politikwissenschaftlichen Literatur
über Nationalismus. Leider aber wurde es ein
Opfer der Moden, die die Politikwissenschaft
genauso beherrschen wie jedes andere Fach,
und wird heute viel zu wenig gelesen. An sei­
ner analytischen Relevanz hat es nichts ein­
gebüßt.
Es war der Beginn einer glänzenden wissen­
schaftlichen Laufbahn. Die besten ­Universitäten
und Institute wurden Deutschs ­Wirkungsstätten:
das MIT (1945 bis 1956), die Universitäten Yale
(1957 bis 1967) und Harvard (1967 bis 1983).
Deutsch war ein eifriger Schüler des MIT-For­
schers Norbert Wiener, einem der maßgeblichen
Verfechter der Kybernetik und ihrer An­­wen­
dung in den Sozialwissenschaften. Im Laufe der
1950er Jahre begann Deutsch, diese naturwis­
senschaftlich grundierte Perspektive in seine
Studien einzuarbeiten. „The Nerves of Govern­
ment“ von 1963 revolutionierte das Fach: Die
Anwendung kybernetischer Konzepte ermög­
lichte eine genauere Analyse elementarer politi­
scher Mechanismen wie Macht, Autorität, Regie­
rung, Kohäsion, Konflikt, Führung und Zusam­
menbruch.
So berühmt Karl W. Deutsch als Forscher war,
so bewundert wurde er als Lehrer, dessen Vor­
Andrei S. Markovits ist Arthur F.
Thurnau Professor und Karl W.
Deutsch Collegiate Professor of
Comparative Politics and German
Studies an der University of Mi­
chigan, Ann Arbor. Er ist ein guter
Freund mehrerer Deutsch-Genera­
tionen und arbeitete seit Mitte der
1970er Jahre eng mit Karl W.
Deutsch zusammen. Gemeinsam
veröffentlichten sie drei Sammel­
bände. In den 1970er und 1980er
Jahren war Markovits regelmäßig
zu Gast am Internationalen Institut
für Vergleichende Gesellschafts­
forschung des WZB.
lesungen meist überfüllt waren und nicht sel­
ten mit stehend dargebrachten Ovationen sei­
ner jungen Zuhörerschaft endeten. Der syste­
matische Vergleich beherrschte sein Denken.
Deutsch wurde niemals müde zu wiederholen,
dass nur Vergleiche – je mehr, desto besser –
es der Wissenschaft ermöglichten, Schlüsse zu
ziehen und zu fundierten Analysen zu kom­
men, die dann zu aussagekräftigen Theoriebil­
dungen führen könnten.
Karl W. Deutsch war universell gebildet und
umfassend neugierig. Er veröffentlichte und
arbeitete eng zusammen mit französischen
Mathematikern und indischen Anthropologen,
brasilianischen Ethnologen, nobelpreisgekrön­
ten Ökonomen und Psycholinguisten, mit His­
torikern, Biophysikern und Spieltheoretikern.
Seine Arbeiten erschienen in den besten poli­
tologischen Journalen, aber auch in Zeitschrif­
ten der Ökonometrie, der Orthopsychologie,
der Psychiatrie, der Philosophie und der Phä­
nomenologie. Deutsch schrieb die Einführun­
gen zu allen in Amerika erscheinenden Bü­
chern Karl Jaspers. Er verfasste wichtige Stu­
dien über die militärische Bewährung der
Schweizer Eidgenossenschaft im 14. Jahrhun­
dert und zur Zweisprachigkeit des Schweizer
Kantons Wallis. Nicht weniger Energie widmete
er dem Verfassen wunderbarer Einführungen
in die Politikwissenschaft und in die internati­
onalen Beziehungen.
Wissenschaftler dieses Kalibers wurden Mitte
der 1970er Jahre für das im Aufbau befindli­
che Wissenschaftszentrum Berlin gesucht: in­
ternational vernetzt, multidisziplinär ausge­
richtet, methodisch innovativ. Deutsch war ein
Grundlagenforscher mit großem Interesse an
akuten gesellschaftlichen Problemen, gleicher­
maßen an Theoriebildung und Empirie interes­
siert. Er wurde, zunächst unter Beibehaltung
seiner Harvard-Professur für Friedensfor­
schung, 1976 Direktor des Forschungsschwer­
punkts Globale Entwicklungen am Internatio­
nalen Institut für Vergleichende Gesellschafts­
forschung des WZB, das er gemeinsam mit
Frieder Naschold leitete. Zehn Jahre lang, zu­
letzt als Forschungsprofessor, prägte er das
Gesicht des WZB entscheidend mit.
Mit seinem internationalen Forscherteam ar­
beitete Karl W. Deutsch unter anderem am Glo­
bus-Projekt, einem von Stuart Bremer entwi­
ckelten Versuch, künftige politische und öko­
nomische Entwicklungen durch empirisch be­
gründete Modellrechnungen zu bestimmen.
Damals wurde Deutschs WZB-Gruppe auch be­
kannt unter dem Namen „Michigan East“, weil
er dort so viele Forscher von der University of
Michigan beschäftigte. Der vorausschauenden
Analyse nach Globus-Art war keine Zukunft
beschieden. Mit der Wende der Disziplin hin
zur Rational Choice-Theorie zu Anfang der
1980er Jahre, der Prominenz post-struktura­
listischer Epistemologien und der politischen
Ökonomie als Hauptachse der Konzeptualisie­
rung internationaler Beziehungen wurde der
auf komparativer Empirie basierende Ansatz,
den Deutsch sein Leben lang vertrat, verdrängt,
ja vereinzelt sogar als eine prowestliche Herr­
schaftsideologie angegriffen und verhöhnt.
Heute wird Deutsch fast nicht mehr zitiert
oder gelesen. Das zeigt sich auch in der Lehre.
Die Literaturlisten für Comparative Politics und
Internationale Beziehungen von zehn führen­
den amerikanischen Universitäten enthalten
praktisch keine Deutsch-Schriften, nicht ein­
mal seine bereits erwähnten bahnbrechenden
Arbeiten über Nationalismus, Kybernetik oder
die mathematischen Ansätze zum Studium po­
litischer Konflikte oder sozialer Integration.
Nur an zwei Instituten taucht das bahnbre­
chende „Social Mobilization and Political Deve­
lopment“ (1961) noch auf.
Das WZB ehrt Karl W. Deutsch, der
vor 100 Jahren geboren wurde,
seit 1993 mit einer nach ihm be­
nannten Gastprofessur. K.W.
Deutsch-Professor 2011/2012 ist
Andreas Schedler (Mexiko City),
2012 wurde Jürgen Gerhards (FU
Berlin) ins WZB eingeladen.
[Foto: WZB]
Trotzdem: Deutschs Vermächtnis wirkt in der
Politikwissenschaft und generell in den Sozial­
wissenschaften nach. Er gehörte zu den Pio­
nieren einer systematischen Nutzung quanti­
tativer Methoden. Er schärfte die begriffliche
Konzeptionalisierung empirisch gestützter
Theorien zu Themen wie Nationenbildung,
Staatsbildung, soziale Mobilisierung, nationale
und internationale Integration, zu den Bezie­
hungen zwischen Zentrum und Peripherie und
zur Machtverteilung zwischen Staaten und im
Staat. Mit Hilfe der Kommunikationstheorie
führte Deutsch einige Aspekte der Spieltheorie
in die Sozialwissenschaften ein, die der Politik­
wissenschaft in den 1980er Jahren entschei­
dende Impulse gaben. Ironischerweise schuf
dieses die Grundlage der seit gut 30 Jahren do­
minanten Rational Choice-Epistemologie und
ermöglichte die weitere Legitimierung der He­
gemonie quantitativer Untersuchungsmetho­
den in der Politikwissenschaft.
Bis zu seinem Tod vor 20 Jahren, am 1. Novem­
ber 1992, blieb Karl W. Deutsch Optimist. In der
Einführung zu seiner letzten Veröffentlichung
„Perilous Passages: Conflict in World Politics in
the Next Half Century“ sprachen Deutsch und
sein ebenfalls in Prag geborener Ko-Autor Bru­
no Fritsch von den „massiven Gefahren der Zu­
kunft“. Aber sie fügten gleich hinzu: „Wir haben
volles Vertrauen in die menschliche Überle­
benskunst und auch in den menschlichen
Überlebenswillen.“ Wie Deutschs weltberühm­
te Harvard-Kollegen Samuel Beer, Stanley H.
Hoffmann, Samuel P. Huntington, Robert O. Ke­
ohane, Sidney Verba und Jorge I. Dominguez es
in einer Gedenkfeier für Karl W. Deutsch an der
Universität Harvard am 14. Februar 1995 so
treffend festhielten: „Karl Deutsch, der ewige
Optimist, war niemals pünktlich, aber stets
seiner Zeit voraus.“
WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012
55
Deutschland
Großbritannien
Abhängige Beschäftigung (Vollzeit)
Abhängige Beschäftigung (Teilzeit)
Selbständigkeit
60
62 (D); Income−Support
64
66
Arbeitslosengeld/−hilfe
(GB)
Kein eigenes Einkommen
Staatliches Altersruhegeld
Betriebs−/Witwen−/private Zusatzrenten
Abhängige Beschäftigung (Vollzeit)
Abhängige Beschäftigung (Teilzeit)
58
60
62
64
66 58
Selbständigkeit
Abhängige
Beschäftigung (Vollzeit)
Arbeitslosengeld/−hilfe
(D); Income−Support (GB)
Abhängige
Beschäftigung
(Teilzeit)
Kein eigenes Einkommen
Selbständigkeit
Staatliches Altersruhegeld
Quelle: eigene Berechnungen nach Daten des Deutschen Sozioökonomischen Panels und des British Household Pane
Arbeitslosengeld/−hilfe
(D); Income−Support
Betriebs−/Witwen−/private
Zusatzrenten(GB)
Quelle: eigene Berechnungen
nach Daten
des Deutschen Sozioökonomischen Panels und des British Household Panel Survey
Kein eigenes
Einkommen
Staatliches Altersruhegeld
Betriebs−/Witwen−/private
Zusatzrenten
Die Schönheit
der Forschung Was wie ein
persischer Teppich wirkt, ist die grafische Darstellung von 1.500 Lebensläufen. WZB-
Quelle: eigene Berechnungen nach Daten des Deutschen Sozioökonomischen Panels und des British Household Panel Survey
Forscherin Anette Fasang hat das deutsche und das britische Rentensystem verglichen. Sie wollte wissen, wie staatliche Rentenpolitik den Austritt aus dem Erwerbsleben bestimmt. Ihre Ergebnisse hat sie mit Hilfe einer von Ulrich Kohler und Christian Brzinsky-Fay am WZB entwickelten Stata-Software ins Bild gesetzt. Jede horizontale Linie zeichnet eine Biografie zwischen dem 58. und
dem 66. Lebensjahr nach. Dunkelblau steht für die staatliche Rente, die Hellblau-, Gelb- und Rottöne für verschiedene andere Einkommensquellen.
Der Unterschied springt ins Auge: Deutschland zeigt sich einheitlicher, es dominiert Blau für staatliche Rentenzahlungen. Die englischen Verhältnisse sind bunter und kleinteiliger. In Worten: Die Rentenübergänge in Deutschland sind stabiler. Wer im Ruhestand
angekommen ist, bleibt in Rente. Das liberale System Großbritanniens setzt Menschen stärker den Schwankungen des Arbeitsmarktes aus, und auch im Alter sind die Einkommensformen vielfältiger. Für eine genuin sozialwissenschaftliche Fragestellung wurden
Instrumente aus der Biologie entlehnt: Die Sequenzanalyse ist aus der Erforschung von DNA-Strukturen bekannt. Die Digitalisierung schließlich macht aus den Ergebnissen das vorliegende Geschenk: ein beeindruckend schönes Bild, das den Betrachter zugleich informiert.
Fasang, Anette Eva: „Retirement Patterns and Income Inequality“. In: Social Forces, advance access, 05.05.2012, online: http://sf.oxfordjournals.org/content/early/2012/05/04/sf.sor015.full.
Kohler, Ulrich/Luniak, Magdalena/Brzinsky-Fay, Christian: SQ: Stata Module for Sequence Analysis. Econ Papers, 2012, online: http://EconPapers.repec.org/RePEc:boc:bocode:s456755
(Stand: 22.05.2012).

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