Männerbilder im Bollywood-Film

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Männerbilder im Bollywood-Film
Florian Krauß: Männerbilder im Bollywood-Film: Konstruktionen von Männlichkeit im Hindi-Kino, Berlin:
Wissenschaftlicher Verlag Berlin 2007.
Rezensiert von:
Urmila Goel, Sozial- und Kulturanthropologin; als Wissenschaftlerin, Publizistin und Trainerin in Berlin tätig
Männerbilder im Bollywood-Kino: Eine Rezension
Berlinale 2008: Es herrscht Ausnahmezustand. Alle wollen kommen, ihren Star sehen, für ihn tanzen. Die
Organisator_innen hatten damit nicht gerechnet. Sie hatten noch befürchtet, dass nicht genug
Zuschauer_innen zum Panel ‚Love International’ des Talent Campus kommen würden. Sie hatten Sorgen,
dass der Star nach seiner Film-Premiere direkt wieder abreisen würde. Doch Shah Rukh Khan ist
mittlerweile auch in Deutschland ein Superstar. Aus allen Teilen Deutschlands kommen die Fan-Clubs
angereist, bieten ihm einen begeisterten Empfang. Die Karten sind sofort ausverkauft, die Berlinale-Telefone
laufen heiß, eine eigene Webseite wird eingerichtet, um die häufigsten Fragen zu beantworten. Bollywood ist
in Deutschland.
Auch in der Wissenschaft wird immer mehr zu Bollywood geschrieben. In allen möglichen Fachbereichen
entstehen Qualifizierungsarbeiten und Artikel rund um die indische Filmindustrie. So auch in den
Medienwissenschaften: Florian Krauß hat 2006 sein Studium der Audiovisuellen Medienwissenschaft mit
einer Diplomarbeit über die Männerbilder im Bollywood-Film abgeschlossen. Der Wissenschaftliche Verlag
Berlin hat sie 2007 als Buch herausgebracht. Krauß' Ansatz ist klar ein filmwissenschaftlicher, er nimmt aber
auch immer wieder Bezug auf Gendertheorien. In seiner Recherchephase hat er Filmexpert_innen in Indien
und Deutschland, unter anderem auch die Organisatorin des Berlinale Talent Campus Dorothee Wenner,
interviewt. Herausgekommen ist ein Buch, das sich durch seine sorgfältigen Differenzierungen, dem
Vermeiden von pauschalisierenden Aussagen und den umfangreichen Quellen positiv von vielen anderen
deutschen Texten über Bollywood abhebt. Als Diplomarbeit richtet es sich dabei aber vor allem an ein
akademisches Publikum und ist vermutlich für nicht in wissenschaftlichen Diskursen geschulte Leser_innen
eher schwere Kost.
Der Aufbau des Buches spiegelt wieder, dass es sich um eine Diplomarbeit handelt. Krauß nähert sich
langsam und systematisch seinem Untersuchungsgegenstand. Im ersten Kapitel diskutiert er, was er unter
Bollywood und dem Hindi-Film versteht und was dessen Charakteristika sind. Dann konzentriert er sich auf
eine
Beschreibung
des
zeitgenössischen
Family
Films,
denn
genau
dieser
ist
sein
Untersuchungsgegenstand. Krauß analysiert im wesentlichen Karan Johars Filme Kuch kuch hota hai,
Kabhie khushi kabhie gham, Kal ho na ho und Kabhi alvida naa kehna. Er bezieht sich im Folgenden auch
immer mal wieder auf andere Filme, aber kommt doch stets zu diesen neueren Erfolgsfilmen mit dem
Superstar Shah Rukh Khan zurück. Dabei schreibt Krauß ganz gezielt für eine 'westliche' Leser_innenschaft,
macht seine 'westliche' Perspektive explizit und verortet seine Position im Diskurs konsequent.
Das zweite Kapitel ist einer theoretischen Diskussion von Männlichkeit und Männerbildern im Film gewidmet.
Mit Rückgriff auf die cultural studies und Gendertheorien diskutiert Krauß die soziale und interaktive
Konstruktion von Männlichkeit und geht dabei auf das 'doing gender', den 'gender display' und die 'gender
attribution' ein. Krauß führt diese Theorien sehr ausführlich ein und erklärt die Gendertheorien zum Teil ganz
elementar. Dabei führt er auch in einem eigenen Abschnitt aus, was die Männlichkeits- und Genderkonzepte
in der indischen Gesellschaft (seiner Meinung nach) sind. Problematisch ist allerdings, dass er hierbei
implizit eine Dichotomie zwischen 'uns' (dem 'Westen' oder auch Deutschland) und 'ihnen' (Indien) aufbaut.
Der 'Westen' und Deutschland werden weitgehend als Synonyme benutzt und jegliche Heterogenität
innerhalb des 'Westens' so verdeckt. Zudem setzt Krauß 'uns' als die Norm, von der aus er die Konzepte in
Indien als Abweichung analysiert. Die dichotome Vorstellung, dass der 'Westen' fortschrittlich ist und Indien
rückständig wird reproduziert und nicht diskutiert. Es kommt zu pauschalisierenden Aussagen über die
Männlichkeits- und Genderkonzepte in Indien, die der Heterogenität der indischen Gesellschaft nicht gerecht
werden. Fruchtbar wäre es hier gewesen, wenn Krauß sich nicht nur auf Männlichkeitskonzepte beschränkt
hätte sondern aus den Queer Studies das Konzept der Heteronormativität als Ausgangspunkt seiner
Analyse herangezogen hätte. Damit hätte er auf die strukturelle Rolle von Männlichkeit in einer Gesellschaft,
die Zweigeschlechtlichkeit und das gegenseitige sexuellen Begehren als Norm setzt, besser eingehen
können. Positiv anzumerken ist aber, dass Krauß in seiner Analyse explizit Männer, die Sex mit Männern
haben (um eine Bezeichnungspraxis aus Indien zu nutzen), mit berücksichtigt.
Im Hauptteil des Buches analysiert Krauß konkret die Männerbilder, in den von ihm analysierten Filmen.
Einführend betrachtet er generell Gender-Bilder und männliche Stereotype im Bollywood-Kino, um dann zu
einer differenzierten Darstellung von Männern im Kontext Familie, in Interaktion mit Frauen und mit anderen
Männern sowie von Männerbildern jenseits der heterosexuellen Norm zu kommen. Abschließend nimmt
Krauß sich noch der Themenfelder indischer Held, Starinszenierung und Körperrepräsentation sowie der
Rolle von Emotionen (die tanzenden und singenden Männer) an. Mit dem letzten Punkt greift er eines der
Themen auf, die in Deutschland besonders viel Beachtung bekommen. Dass ein Superstar wie Shah Rukh
Khan nicht nur tanzt sondern auch hemmungslos auf der Leinwand weint, scheint für das 'deutsche'
Publikum besonders unmännlich und damit erklärungsbedürftig zu sein. Krauß schließt sich aus meiner
Perspektive dieser Sicht zu sehr an und reproduziert so die exotisierenden Bilder über die als anders
definierten Inder_innen zu stark.
Krauß greift im Hauptteil viele spannende Punkte auf und bietet erste Analysen, die zum Weiterdenken
anregen. In Bezug auf Gender, Nationalismus und Körper hätte er durchaus weitergehen können bzw. eine
Autor_in aus diesem Fachgebiet wäre sicher weiter gegangen. Es scheint das Los eines interdisziplinären
Ansatzes zu sein, immer Gefahr zu laufen, von Spezialist_innen einer Disziplin als nicht weitgehend genug
empfunden zu werden. Auf der Basis meines theoretischen Hintergrunds (verankert in der kritischen
Rassismus- und Weißseinsforschung) fand ich insbesondere den Beitrag zum "European Look" (zur
Hellhäutigkeit der Bollywood-Stars) zu wenig fundiert. Ansätze aus der Kritischen Weißseinsforschung
hätten hier die Reproduktion der 'deutschen'/ 'weißen' Perspektive etwas abmildern können. Insgesamt hebt
sich Krauß' Buch aber positiv von anderen Darstellungen über Bollywood ab. Viele Themenfelder werden
angedacht, auch wenn sie nicht alle konsequent bis zu Ende geführt werden.
Das Buch bietet auch kleine Fundstücke: Durch Krauß habe ich den fünfzehnminütigen Remix Kaun mile
deko kissko (Lass uns sehen, wer wen bekommt) von Kal ho na ho kennen gelernt. In diesem kurzen Film
wird der queere Subtext von KHNH so zusammengeschnitten, dass es selbstverständlich wird, dass Shah
Rukh Khan und Saif Ali Khan das Liebespaar sind. Jenseits der Leinwand scheint sich der Superstar Shah
Rukh Khan allerdings von einem solchen Männerbild distanzieren zu müssen. Beim Panel 'Love
International' des Berlinale Talent Campus weist er das Spielen eines schwulen Charakters weit von sich
und betont seine Heterosexualität durch sexistische Bemerkungen.
Empfohlene Zitierweise
Urmila Goel: Rezension von: Krauß, Florian: Männerbilder im Bollywood-Film: Konstruktionen von
Männlichkeit im Hindi-Kino, Berlin: Wissenschaftlicher Verlag Berlin 2007, in: südasien.info, 28.10.2008,
URL: <http://www.suedasien.info/rezensionen/2664>
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