Children of Biedermeier - digitalBIEDERMEIER

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Children of Biedermeier - digitalBIEDERMEIER
nguyen van ngoc /// digitalBIEDERMEIER: re/producing the privat [d] vision 2002
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digitalBIEDERMEIER: re/producing the privat [d]
vision 2002
nguyen van ngoc
themenübersicht:
von adlern und herdentieren
biedermeier einst und heute (versuch einer kontextualisierung)
parallelströmungen / digitalBIEDERMEIER all over the world
einleitung:
wir sprechen heute von einem digitalBIEDERMEIER und dem damit
charakteristischen 'rückzugsphänomen' in das eigene heim zurück, von
dem my-home-is-my-castle gefühl aus alles andere steuerbar und
erfahrbar zu sein scheint. gesellschaftliche beziehungen werden über
die ferne abgehandelt, es lebt nun alles teils durch die ferne und
vorallem wegen der ferne - und hier haben wir schon die erste
problematik angedeutet: diese koexistenz von mensch und technologie
wird immer schwieriger in ihrer entstehungsgeschichte zu deuten: wo
bedient sich der mensch noch an der technik und wo wird er bereits von
der technik zu neuen verständigungsmodi 'geformt'? zu bedenken ist
auch, dass der rückzug meiner meinung nach mehrere ursachen hat und man
nicht direkt das schrumpfen der face-2-face kommunikation (als
schmälerung der menschlichen beziehungen verteufelt) auf die technik
zurückführen kann und soll, denn technik wird anfänglich aus einem
sozialen gebrauch evoziert. ausserdem muss man das
rückzugsphänomen/abschottung auch medienintern genauer betrachten!
dieses hopping im gleichen medium, also nutzen und wechseln
verschiedener möglichkeiten im gleichen medium noch, wird zentrales
thema sein. wie die handhabung davon aussieht, so möchte ich erst
später im dritten und letzten teil darauf näher eingehen, wo beispiele
aus dem ausland zum vergleich heran gezogen werden; aus ländern, die
scheinbar einen 'digitalen biedermeier' als phänomen einer
technokulturellen lebensform bereits hinter sich gelassen oder noch vor
sich haben.
es sind politische und wirtschaftliche einschneidungen entscheidend, um
die technik in ihrem wirkungsbereich einzusetzen und zu forcieren.
fraglich ist jedoch warum die beschleunigung der wirtschaftlichen
globalisierung meistens mit dem internet zusammenhängen muss, da zwar
alles always on aber nur wenig ahead geht. dieses un/plugged dilemma
ist diesjährig bereits bei der ars electronica anhand von afrika
vorgestellt worden - indien hat zb. eine andere geschichte der
involvierung im globalisierungsprozess nach zu weisen, wovon ich wie
gesagt am ende auch noch berichten werde. ich möchte in diesem vortrag
(der im verlauf eher zu einer großen diskussionsrunde werden sollte)
mehrere schienen fahren und auch ad hoc fragen gleich inkludieren, um
noch auf mehr schienen zu fahren. es soll aber keine wirtschaftliche
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oder politische abhandlung sein, sondern wie immer von mir gewünscht,
ein lockeres theory jockeying, das sich schwerpunktmäßig auf die
technokultur stürzen soll. 'digitaler biedermeier' ist zwar nur eine
metapher für den momentanen zustand einer technogeprägten kultur, kann
aber in details mit dem damaligen biedermeier in vielerlei hinsicht
verglichen werden (im zweiten teil), wie die machtverhältnisse waren,
sprich: wie politische und soziale strukturen, die für ein neues
aufkommen eines kulturellen kommunikationssystem sich doch
verantwortlich zeigen und mit dem eindringen der technik in unser
berufliches oder privates leben geistige haltungen nochmals ein
unumgängliches 'up-date' benötigen, damit der mensch, so paradox dies
klingt, in seiner eigens digitalisierten welt mit den maschinellen
enviroments zurechtkommt.
womit ich beginnen möchte, ist nun die frage zu stellen (und diese auch
versuchen zu beantworten) wie eigentlich diese relation von privat <->
öffentlich und 'technologisierungsprozess' verhältnismäßig zu einander
stehen. denn gerade das aufkommen neuer technologien wird selten in
frage gestellt, sondern gleich weitergegeben, wie man diese
letztendlich anwendet oder weiter verbessern kann. ob wir bereits
technik für so selbstverständlich halten, dass alles gleich in ein
sozio/kulturelles geflecht mitgewoben wird und die muster oder gar die
funktion nicht von wesentlicher bedeutung sind? zudem muss klar
unterstrichen werden, dass alle erfindungen, die zur massenware werden
ihre wurzeln in einem kleinen expertenkreis (elite) haben, sei es wegen
der nutzbarkeit, des gebrauchs oder finanzieller einschränkung, und
erst von dort aus sich der weg zur masse bahnt.
***
von adlern und herdentieren:
es ist alles somit eine frage der distribuierung aber auch eine
wesentlichere frage der anerkennung einer ideologie. schon rene
descartes wollte dem akademischen kanonisierungszwängen entfliehen und
strebte nach öffentlicher meinung, die zum prüfstein seiner thesen
werden sollte. seine ideen und ausbildung hatte er aber aus einem
akademischenkreis (also aus einem damals elitären kreis), der streng
von dem einfachen volk (in dem früher nur ein geringer teil überhaupt
schreiben und lesen konnte) abgeschottet war. lesen und schreiben waren
somit eine prestigeträchtige tätigkeit, die großteils nur von reichen
oder geistigen praktiziert wurde. mit seiner idee der veröffentlichung
auf französisch wollte descartes sich zu einer größeren masse
hinwenden. die probleme, denen er gegenüberstand waren nun folgende: es
konnte keine größere masse sich dafür begeistern, wie auch, denn alles
schien aus einer anderen welt zu kommen; der intellektuelle, viel
kleinere anteil, der letztendlich descartes hauptklientel war,
bevorzugte latein, da anscheinend ihm französisch doch zu ordinär war
(komischerweise wird heutzutage französisch als allgemeinsprache der
politiker gepflegt, hier sieht man deutlich wie wert-systeme sich
schnell ändern können). die erfindung des buchdruckes verbesserte wie
wir wissen die veröffentlichungsstrategie, indem niedergeschriebenes
auf papier gespeichert wird, wird das weitertragen der thesen und ideen
in der 'verwaltung' vereinfacht, manifestierbar und vor allem
verifizierbar, was ja bei der oralität wegfällt (ausser man nimmt dies
auf band auf). und natürlich war davor schon ein großes verlangen nach
publizität, doch alle strategien der veröffentlichung würden aber wie
wir bei descartes sehen wenig nützen, wenn kein empfänger, klientel
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oder interesse dafür zu finden ist. das öffentliche steht somit mit dem
elitären kreis (dem privaten) in wechselwirkung - insofern, dass 'neue'
ideen der breiten masse vorgesellt werden (vgl. descartes) und
umgekehrt, dass ein bestimmter kreis von experten sich durch die masse
inspirieren lässt oder indirekt dazu fast 'gedrängt' wird
verbesserungsvorschläge zu liefern. diese verbesserungsvorschläge
führen dann zu einer temporären lösung (erfindung), die auf die
bedürfnisse der breiten masse eingeht. einsatz und gebrauch einer
erfindung werden umso populärer, je 'kunden' orientierter die
produktion geschieht. aus diesen gegebenheiten heraus entwickeln sich
in einer kettenreaktion neuere erfindungen, die die ersteren
erfindungen in funktionalität, design etc übertreffen - hierzu findet
sich eine neue elite oder die alte setzt dies fort.
unter diesen betrachtungen wird der kern jeder technischen,
medizinischen oder philosophischen errungenschaft (sofern man davon
sprechen kann...) in einem expertenkreis zu finden sein, der sich
natürlich auch expandieren kann aber im verhältnis zur masse eben
minorität bleibt. das schema ist nun folgendes:
entstehungsgeschichtlich zu allererst im privaten (expertenkreis) ->
öffentlichkeit -> wieder zum privaten -> öffentlichkeit usw. das
private hat aber auch den beigeschmack des gewollten abgrenzens, der
abspaltung, sei es durch bewußtwerden einer sackgasse oder aus
snobistischen, faschistischen gründen. man muss sich auch vor augen
halten, dass nicht jede gruppierung, also jede privatisierung sich
darin äußert neue erfindungen zu kreieren, die für die menschheit
nützlich(er) werden, doch auch diese abgrenzungen hinterlassen spuren
in der breiten masse und führen zu neuen (oder gar auch gleichen)
verlangen. buchdruck hat die lese und schreibbereitschaft beschleunigt.
drang und notwendigkeit lösten die erfindung des buchdruckes aus, sowie
es eine notwendigkeit war die rechenmaschine in eine datenverarbeitende
maschine zu erweitern und später computer aus sozialer notwendigkeit
und drang für fast jedermann erschwinglich wurden, sodass sie jetzt
fast als selbstverständlichkeit angesehen und überall miteinbezogen
(sei es privat, arbeit, schule etc) werden. in diesem verlauf kommen
wir zum internet und gleichfalls der damit meist assoziierten
globalisierung; aber es gilt noch die alte regel: wo keine breite masse
zu finden ist, die mit dieser erfindung umgehen kann oder muß, bleibt
der erfolg der verbreitung auch aus (vgl. zu den wirtschaftlich und
speziell industriell schwachen ländern der welt, wie afrika, die mit
diesem netzhype noch sehr wenig an zu fangen wissen).
technologien werden somit großteils durch einen sozialen (und sei es
auch nur ein kleiner teil im sozialen gefüge)gebrauch zum leben
erweckt, wobei aber letztlich passieren kann, dass neue erkenntnisse
(durch einsatz der technik) zu weiteren erkenntnissen führen oder ein
altes problem dank diverser errungenschaften in einem völlig neuen
licht erscheinen lässt. dies muss nicht immer bedeuten, dass sie auch
populär werden und in der breiten masse zum einsatz kommen. das
beispiel internet ist wie bereits vorher erwähnt zu einem zwiespältigen
thema geworden. einerseits ist es auch aus einem expertenkreis
enstanden (militärisches nutzen) und dient später als 'weltweites' und
vorallem beliebtes kommunikationsmedium, andererseits lebt es vom
sozialen gebrauch und tiefergehend noch von den bestimmenden
politischen und vor allem wirtschaftlichen bedingungen. auch in ärmeren
ländern möchte man gern (wie häßlich das jetzt auch klingen mag)
herumsurfen und die vorteile der elektronischen medien genießen, doch
es sind insgesamt andere zustände und probleme, die sie vor augen
haben, und eine flucht in ein unterhaltungs system scheint ihnen
angesichts verschiedener problemfelder noch utopisch zu sein. ich habe
hier die elektronischen/digitalen medien in bezug auf ihre popularität
in kontext der unterhaltung gebracht und von einem nicht fruchtend
werden gesprochen - auf einer anderen ebene werden sie aber, je mehr
freiheiten das medium bietet, als politische instrumente sehr wohl
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genutzt (vgl. indien, mit seinen faschistischen tendenzen in der
netzrepräsentation), was aber die verbreitung der medien jedoch nur
gering beschleunigt, da nur die massenadaption der medien ein
efolgsgarant sein kann.
was zeichnet einen digitalen biedermeier bürger wirklich aus?
eine breite masse kann an und für sich keine dynamik in der produktion
oder ideenbildung entwickeln, wohlgemerkt aber ideen 'fordern', diese
lancieren oder eben abstoßen. das thema digitalBIEDERMEIER verrät uns
schon im titel, dass hier wiederum nur ein kleiner prozentteil
angesprochen wird, der sich als kleiner (spieß) bürger wiederfindet.
ich bin mir in diesem vortrag noch im unklaren, ob nicht diese
titulierung eines digitalen biedermeiers umgedeutet werden sollte.
wieder einmal haben wir eine binäre situation: der passive user
(politisch ohnmächtige biedermeier), der eine repräsentation der
breiten masse ist, die sich nicht großartig für technik und politik der
mediensituation interessiert und sein pendant dazu: der aktive user,
der die vorteile der elektronischen/digitalen medien zu seinem
persönlichen nutzen zu schätzen weiss. die genauere gegenüberstellung
mit der damaligen biedermeiersituation werde ich im zweiten teil
starten. was also ist der digitale biedermeier mensch? die
repräsentation einer trägen masse, die sich durch die fun-medien
berieseln lässt oder eine dünnere schicht, die aktiv ins geschehen
eingreift und das netz mitgestaltet oder durch fernsehpräsenz in
talkshows & co. medienwelten kolonialisiert? wenn wir aus
sozio/kultureller sicht diese frage beantworten müssen, so meinen wir
den 'aktiven' user, der sich durch die medienwelten zu seinen eigenen
gunsten oder vorhaben geschickt manövrieren kann (sei es wirtschaftlich
oder gestalterisch), als digitalen biedermeier bürger. geschichtlich
gesehen ist es der gefrustete, gelangweilte, politisch schwache,
passive user aus der breiten masse, der die produktionen in sich saugt
und diese medien als fun-welten (orte, wo er dem alltagsstress
entfliehen kann) sieht. technisch gesehen sind alle beide 'passiv' und
übersehen leicht dabei, dass sie von einem höheren (wirtschafts)
politischen organ kontrolliert werden (staat, software riesen,
technische einschränkungen, undichte netzwerke etc). politische
aktivisten bleiben wie einst und jetzt aktivisten und
instrumentalisieren medien wie einst die flugblätter für einen
politischen zweck.
die nächste frage wäre wie man menschen bezeichnet, die keinen
fernseher oder internetanschluss haben, genauer: jene, die sich nicht
an einem medienversierten socializing beteiligen? als arbeiterschaft,
wie sie damals in der blühenden industrialisierung zu finden war, kann
man sie kaum bezeichnen, da teilweise der computer in viele
arbeitswelten bereits eingesetzt wird. und unter diesem aspekt wären
auch alle bürger, die mit computer in irgend einer weise arbeiten
digitale (biedermeier) bürger, auch wenn sie dem medienhype nicht viel
abgewinnen können - oder wären diese eben nur bürger in einer stark
eindigitalisierten welt? in diesem abschnitt noch werde ich später von
der kalifornischen ideologie sprechen, die scheinbar die 'metapher'
digitaler biedermeier anders interpretiert hat und sehr stark mit
elitärem gedankengut ihre 'virtuelle klasse' verteidigt, in der
besonders aber klassenintern die krise einer computergläubigkeit zu
finden ist.
was unterscheidet nun den adler vom herdentier? heutzutage wird wie
oben schon oft erwähnt der technische fortschritt immer rasanter, dem
man scheinbar im gebrauch teilweise auch nicht mehr nachkommt. es
werden dinge erfunden und produziert aber nicht alles findet gefallen
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und wird teilweise im modell überdacht oder einfach beiseite gelegt.
der mensch als kunde hat nun eine gigantische palette an soft und
hardware zur auswahl; es ist alles da, was das herz begehrt und viel
schlimmer noch: jeder kann alles haben, man ist diesbezüglich nichts
spezielles mehr. was noch früher als chici mici gerät beschimpft wurde
(handy), schenkt man heute einem 12 jährigen zum geburtstag, wer noch
damals über eine gute homepage staunte sitzt womöglich jetzt in einer
werbe agentur und muss nun um seinen job zittern, da andere und viel
engagiertere einst auch gestaunt haben. den super-stau erlebt momentan
die IT branche, wo es noch damals an fachkräften gefehlt hat und ihnen
nun die kunden langsam fehlen. was ich damit zusammenfassen will, ist
dass diese wechselwirkung von privat zu öffentlich und umgekehrt immer
schneller vorangetrieben wird, so schnell, dass man sehr leicht die
übersicht über nachfrage und angebot verliert. so ergeht es nicht nur
dem arbeitgeber und arbeitnehmer (privat), sondern vor allem jenen
menschen, die diese produkte konsumieren (öffentlich), welche teilweise
schon die nase genug haben und einfach nur ihre ruhe haben wollen (zb
nervende pop-ups sind nicht wirklich der werbe knaller, jetzt gibt es
mit dem verbunden ironischerweise pop up killer software im angebot)
oder etwas ganz neues erleben möchten - was aber die gefahr mit sich
bringt, dass das ganz ganz neue so faszinierend ist, dass es wieder
überproduziert und überangeboten wird und bald wieder langweilig wird.
chat war ja damals eine tolle sache, nun weiss man gar nicht mehr in
welches portal man einsteigen soll vor lauter überangebot.
medieninternes hopping als antwort auf eine übersättigung oder elitäres
denken?
und gerade durch diese mediale übersättigung entsteht eine abschottung
medienintern - man will zu einem kreis gehören, wo noch 'qualität'
geboten wird - die firmen bemühen sich da im netz sichtlich, was aber
auch zu dem bekannten 'zuvieldesguten' ausarten kann. es beginnt durch
diese gründe eine abschottung, nochmals zurück zum 'privaten' im
privaten, oder zumindest zu einem areal, wo man sich wohl fühlt und wo
noch eine subjekt rekonfiguration möglich ist(vgl. communities mit
passwordvergabe oder telekino). dies geschieht im medienbereich
schneller als zb. in der architektur, da das wechseln der umgebung
meistens keine größere finanzielle frage ist. wovon ich hier nicht
spreche ist die flucht von der aussenwelt in die innenwelt (dieses
phänomen haben kollegen vor oder nach mir wahrscheinlich ausführlicher
behandelt), sondern eine flucht von einem umfeld ins andere, aber noch
immer im selben medium. die handhabung der medien scheint ausser
kontrolle zu geraten. wenn sich der digitale biedermeier bürger mit
diesem multimedia gangbang zufrieden gibt, so ist dies seine sache - es
haben sich aber gerade durch diese übersättigung und teilweise auch
dominanz großer soft/hardware riesen gegenströmungen gebildet, die für
frischen wind sorgen (einige länder stehn mit optimistischer haltung
gegenüber einer zukünftigen digitalen und medialen revolution in ihrer
kultur - einige menschen in anderen ländern streben bereits intern eine
zweite revolution an).
wenn man dies nun mit dem vergleicht, was ich anfangs in der einleitung
beschrieben habe, so könnte man meinen, dass dies alles ein
teufelskreis sein könnte, denn wenn der mensch sich immer neu an die
technische situation anpassen muss und er darauf hin auch in
gewisserweise trainiert wird, weil ja komischerweise alles nur zu
unserem vorteil sein sollte, was uns die technologie an möglichkeiten
zur kommunikation bietet - so hat sie uns derzeit zu viel geboten, dass
wir uns finanziell übergangen und genervt fühlen und selber aktiv
werden (vgl. mit der linux bewegung) und die fehler nicht machen
möchten, die bill gates mit seiner heim computer idee als 'wohltat'
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begonnen hat. zwar ist nun alles kostenlos und wirtschaftspolitisch
nicht zu sehr beeinflußt, doch es bleibt wie erwartet alles bei einem
kleinen expertenkreis (der sich ursprünglich abschotten wollte) solange
bis auch diese idee saloonfähig geworden ist und der einfache
compibenützer gern in seine geldtasche greift, um auch frei und cool zu
werden. bei der linux bewegung muss man aber erwähnen, dass die
abschottung damit anfing, dass viele (open-source entstehungen) die
microsoft herrschaft einfach nicht mehr dulden wollten und finanziell
überhaupt kein interesse am user hatten. was aber letztendlich noch
immer das problem darstellt ist die bedienbarkeit - der großteil der
user ist zu faul, um sich mit einem system wirklich auseinander zu
setzen - alles, was zählt ist die funktion, es muss rasch und
unkompliziert gehn und dafür zahlt man auch gern und wenn es chic macht
noch lieber. zwar ist linux für alle informatiker (auch für studierende
in diesem fachgebiet) ein betriebssystem, das uns die systemlogik näher
bringt - kinder oder hausfrauen aber wollen davon eher weniger wissen,
sie wollen resultate, ereignisse sehen. linux varianten sind im kern
zwar generell 'frei', doch müsste man als normaler user sich
informieren und einlesen, und da schlagen wiederum
zeitschriftenindustrie und buchverläge gnadenlos zu...
ob linux systeme bald mit dem einfachen interface von windows
gleichkommen, bleibt abzuwarten. sollte dies eintreten, so würde
wahrscheinlich nichts gegen eine stärkere kommerzialisierung sprechen.
da würde man sich schnell von der ideologie verabschieden, wenn aus
einer more high-sophisticated sache auch noch kapital zu schlagen ist;
und schon ist man als user baldigst nichts besonderes mehr. es gilt
dann generell nicht mehr nach pc experten zu suchen - die gibt es
sowieso wie sand am mehr, sondern nach linux experten - leider werden
eines tages auch diese im sand depot landen... was kommt als nächstes?
mir persönlich scheint die technologie bereits jenes ausmaß angenommen
zu haben, dass sie nicht mehr viel neues auf einzelnen gebieten
hervorbringt (was jetzt für den einfachen user bestimmt ist), sondern
nur mehr extra features bietet, die eigentlich kein mensch mehr
wirklich braucht, sondern eben großteils aus konkurrenz druck
entstehen. was ist mit den bild-telefonen passiert, was passiert mit
dem bild-handy?
im fernsehbereich sind wir auch schon genervt mit den daily-soaps,
real-life sitcoms und talk shows, wo jeder seinen senf dazu fügen kann.
meiner meinung nach ist dem digitalen biedermeier bürger bald
langweilig. einerseits kennt er bereits so gut wie alles, andererseits
hat er das technische verständnis des expertenkreises (oder finanziell
gesehen mehr die elite)nicht, um sich an neuigkeiten zu erfreuen und
muss solange warten bis auch diese neuigkeit oder dieser luxus für ihn
greifbar ist, beides paradoxerweise aber schnell nicht mehr zum
lebensstandard des users kompatible werden. es muss doch einmal ein
ende haben oder zeichnet sich der digitale biedermeier bürger
(angetrieben durch die fun-gesellschaft) durch sein verlangen nach mehr
und besser aus?
gated communities in der architektur als beispiel für abschottung mit
elitärem gedankengut?
vorhin hab ich die architektur im kontext der wechselbarkeit
miteinbezogen. was jetzt die abschottung betrifft, so gilt es nach dem
gleichen prinzip der elitenbildung zu forschen, nach dem mythos des
besonderen. gated communities sind zweifellos eine form der gewollten
abschottung - slums hingegen eine verdrändung. was nun in den
industrieländern auffällig wird, ist der transfer des wohnsitzes in die
peripherie (teils ist auch die technische möglichkeit der tele-arbeit
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hier als faktor zu markieren), wohingegen in ärmeren ländern noch immer
die landflucht steigt. ein beispiel eines gewollten abziehens in die
peripherie sind pensionisten wohnanlagen (rentnerparadies in las vegas,
das durch kultivierung der wüste in eine wohnbare ortschaft verwandelt
wurde), die aber wie kleinstädte organisiert sind. man ist dort unter
sich (unter denen, die es sich leisten können) hat aber noch immer alle
inklusivitäten, die den lebensabend verschönern. gated communities
findet man aber auch direkt in stadtvierteln, wo man sie durch mauern
oder leibwächtern und kameraüberwachung 'geschmückt' deutlich von den
anderen wohnanlagen unterscheiden kann. alles ist zwar privatisiert,
dennoch bleibt der kontakt zur aussenwelt durch einsatz der medien als
beobachtungsorgan (noch keine kommunikationsform beinhaltend) erhalten.
und dies ist auch ein rückzug, eine abschottung im eigenen medium, in
dem fall im urbanen raum und verglichen zu dem medien hopping eine weit
aus größere finanzielle frage. in beiden fällen gibt es aber eine
kleine gruppe, die sich den luxus gönnen kann, sei es ein sicheres heim
(denn das eigene heim konnte man sich schon längst leisten), noch mehr
channels oder einfach einen besseren computer mit einer noch
schnelleren netz verbindung. verlangen und gebrauch werden durch
übersättigung so gesehen leicht zur gier und führen schnell zur
fadesse.
doch was passiert wiederum mit jenen, die finanziell nicht mithalten
können? auch hier spreche ich nicht (länder)übergreifend, sondern
(landes)intern, denn adaptionen und akkumulationen funktionieren
'anfänglich' auch nur in der gleichen schicht - ideen der reichen
amerikaner werden gern von den reichen brasilianern übernommen etc.
selten passiert (oder besser gesagt: glückt) eine umwälzung, wo man in
der umsetzung der ideen in die produktion auch auf andere gruppen, für
die, die idee zwar nicht bestimmt war, aber nichts desto trotz mit
großer wahrscheinlichkeit mehr komfortabilität in ihr leben bringt,
rücksicht nimmt - hier könnte man die ganze internet geschichte
aufsetzen.
elitäres denken durch computertechnologie: die kalifornische ideologie
ein weiteres sehr radikales beispiel einer abschottung und
elitenbildung finden wir in der kalifornischen ideologie, die ich oben
schon erwähnt habe, die unter einem deckmantel eines immer-gut-draufseins, einer positiven und optimistischen lebenseinstellung fröhlich
auf die 'befreiende' kraft der technologie ihr loblied singt. dass
unter dieser happy-shining-people decke sich faschistoide tendenzen
gebildet haben ist deren anhängern eigentlich auch egal, denn es ist
jeder ja unter diesen technischen bedingungen frei. doch man plädiert
immer wieder auf eine virtuelle klasse aus 'spezialisten', die alle in
der computer-technologie zu hause sind. ich will jetzt nicht auf die
entstehungsgeschichte der kalifornischen ideologie näher eingehen, da
diese ein kapitel für sich ist und hier auch den zeitlichen rahmen
sprengen würde. ich stelle die kalifornische ideologie nun als pendant
zum digitalen biedermeier vor (wenn ich jetzt die beiden titulierungen
vergleiche und NUR auf die entwicklung der technokultur eingehe!).
entstehungsgeschichtlich ist die kalifornische ideologie deshalb so
interessant, da sie aus zwei kulturell unterschiedlichen welten geboren
wurde und im technologischen fortschritt die vereinheitlichung beider
parteien gefunden hat. es sind auf der einen seite die techno althippies aus dem 68er jahr, die noch immer von freiheit, friede und
brüderlichkeit (gleichheit) schwärmen und die wirtschaftlich
orientierten und snobistischen yuppies aus den 80er jahren. beide
parteien sahen im aufkommen der computertechnologie eine chance ihre
ideale umzusetzen. die hippies sahen zb. im internet eine möglichkeit
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der göttlichen verkörperung durch avatare, der wunsch nach einem
transzendentalen dasein wurde durch technologie somit aufrecht
erhalten. weiter war man in diesem medium in der darstellung einer
absoluten freiheit und gleichheit großteils näher gekommen, sofern es
die technik erlaubte. die wirtschaftler nutzten dieselben konditionen
des computermediums (in der kommunikationsbeschleunigung und
erreichbarkeit verstärkt durch das internet) um wirtschaftliche
projekte erfolgreicher umzusetzen. beide arbeiteten im selben medium
aus verschiedenen gründen miteinander, die einen weil sie so sehr
fasziniert von der technischen vielfalt (vorallem für die emanzipation
der sozialen kommunikation) waren, die anderen benutzten diese
vielfalt, um profit daraus zu schlagen. dies war einmal. mittlerweile
hat die zweite generation das rüder in die hand genommen, die
wesentlich marktorientierter ist. die zweite generation besteht aus
wirtschaftsinformatikern, wirtschaftsexperten, webdesignern und
informatikern, die jedoch nicht mehr den vergleichbaren pioniergeist
(auf sozialer ebene) ihrer vorfahren haben, sehr wohl aber ein besseres
technisches know-how. wie bereits auch ihre vorfahren sind diese
kalifornier (es entstehen neue bezeichnungen wie 'yetti' - was soviel
bedeutet wie: jung, unternehmerisch, technisch gestützt) eine besondere
schicht im volk, die sich durch expertentum und markantem technologieoptimismus/computergläubigkeit auszeichnet. der computer- und
technologieglaube begann schon damals transhumanistische züge zu
nehmen, wo in der biotechnologischen manifestation zur privilegierung
der virtuellen klasse einige gruppen aus der kalifornischen ideologie
eine perfektion des geistes, körpers und des verstandes sehen (zu den
extropianer im dritten teil).
spaltung und zerbröckeln einer elite durch erfolg der
computertechnologie: kalifornische ideologie II
noch klingt alles nach einer sehr friedlichen symbiose, deren zentraler
friedenskern der technologieglaube zu sein scheint. was nun das große
malheur an dieser auf europa doch sehr einflußreichen kultur war, dass
durch das expandieren der computerbranche verständlicherweise mehr und
mehr wirtschaftspolitische einschaltungen aufgetreten sind, deren
spitzenpositionen ursächlich die entwicklung nur aus dem hintergrund
(aber die zügeln fest in der hand) mitverfolgt haben. man darf nicht
vergessen, dass die förderung der computertechnologie in amerika immer
einer staatlichen subventionierungsstrategie zu verdanken hat (zb.
förderung durch verteidigungsministerium, große summen an steuergelder
flossen vom volk unbemerkt in projekte, die nur einer bestimmten
schicht vorbehalten waren zb. anfängliche netzinfrastruktur von unis
oder militär). (wirtschafts)politische reibereien spalteten die
kalifornische ideologie bald wieder in zwei parteien: die neuen linken
und die neuen rechten - kollektive freiheit versus ökonomischer
liberalismus.
es soll nun diesbezüglich kein wirtschaftlicher oder politischer exkurs
gestartet werden, sondern einfach anhand der kalifornischen ideologie
aufgezeigt werden, dass der (gemeinsame) weg des technischen
fortschrittes nicht immer zum ziel einer ideologie führen muss (die
digitale utopie eines '...kotopias's, als paradies, wo alle menschen
gut drauf, positivdenkend und vor allem FREI im glück leben), sondern
auch zum gedankengut amerikas zu zeiten der gründerväter zurückgehen
kann. der von der kalifornischen ideologie (aus der rechten partei
kommend) gewünschte ökonomische liberalismus in form des freien marktes
hat mit der zeit immer mehr konturen angenommen, die soziologen
(barbrook, cameron) direkt mit dem 'liberalismus' von thomas jefferson
vergleichen wollen. wie andere liberale zu dieser zeit, meinte
jefferson eine erfolgreiche abschottung von autoritären regierungen und
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die damit folgende 'politische freiheit' nur in der festigung von
besitzeigentümern zu finden. das amerikanische bürgerrecht stützt sich
historisch gesehen teilweise auf diese naturrechte. was jetzt die
problematik zu sein scheint ist folgendes: diese ökonomischen liberalen
leugnen die helfende hand des staates und reden von einer autonomie,
die eigentlich keine ist (eingriff ist vorhanden). schlimmer ist die
festigung von 'privateigentümern' (einst sah jefferson hierbei den
sklaven als privateigentum - was soviel beudetete, dass
gesetzesrechtlich die elite (weiss) wiederum bevorzugt wurde) zur
stabilisierung der autonomie. sollte dies ein tatsächliches
händeabklatschen des staates sein, werden arbeiter bald zu sklaven des
freien marktes, im dem zwar jedes unternehmen äusserlich betrachtet
frei werben und konkurrieren kann, im schlepptau aber eine
sklavenschaft herangezüchtet wird (später werde ich die situation mit
indien vergleichen). aus der linken partei kann man momentan nur mehr
noch retrospektivisch den hall von freiheit und emanzipation aus
vergangenen hippie zeiten vernehmen und (wirtschaftliche) aktivitäten
aus dieser szene werden großteils als konkurrenzlose underground
aktivitäten von den großen unternehmen belächelt.
was als techno-kulturelle verbindung aus kreativen, der kollektivität
anpreisenden techno-hippies der westküste und wirtschaftlich
orientierten informatikern (yuppie-likes vom silicon valley) anfänglich
geglückt ist, findet nun durch den marktwirtschaftlichen erfolg der
computertechnologie (die einst der geistige antrieb beider parteien
war) in der technokultur intern nun ihr trauriges ende.
zwar haben wir kulturtechnisch in europa eine andere entwicklung
durchlebt, sollten aber immer auf die lauernde gefahr aufmerkensam
gemacht werden, wie sehr sich computertechnologisch gestützte ideologie
leicht zur heräsie entwickeln kann und begriffe wie freiheit, also
loslösung aus einem größeren system, sehr eng mit ausgrenzung oder
diskrimierung verbunden werden können. dass uns die technik zwar große
freiheiten durch soft/hardware anbietet - im grunde genommen aber in
ein arsenal von unterwürfigen verhaltensmustern zwingt, in dem sich die
masse schon von der technik (entwickelt von einer elite) lenken lässt
und nur mehr darauf wartet, was diese elite ihnen wieder als neue
bedingung vorgibt, um im sozialen leben fungieren zu können; denn schon
längst ist die masse bereits (medial)übersättigt und kann sich vor
'wohligem' suhlen kaum mehr bewegen... in der kalifornischen ideologie
wie auch im digitalen biedermeier. beide kulturen sind geprägt von der
computertechnologie, erstere wurde sogar durch ihren glauben an eine
'befreiende kraft' der technik zum leben erweckt und scheiterte jedoch
an ihrem kommerziellen erfolg. was erwartet den digitalen biedermeier
für eine zukunft?
***
biedermeier einst und heute (versuch einer kontextualisierung)
wie angekündigt, werde ich in diesem zweiten teil mit einer
parallelisierung politischer und sozio/kultureller ereignisse in der
biedermeierzeit von einst und heute beginnen. die reihe an beispielen,
die ich aus dem (kunst)historischen bereich zeigen werde, lässt sich
fortsetzen. wichtigste punkte in dieser kontextualisierung scheinen mir
aber primär das innenleben des biedermeier bürgers und seine kultur in
musik und malerei (darstellung) zu sein. ich mache hier nur abstriche
im modell vergleich, vage andeutungen, um geistig den einstieg zum
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letzten wesentlich wichtigeren teil parallelströmungen /
digitalBIEDERMEIER all over the world vorzubereiten, wo nicht nur
zeitlich eine kontextualisierung geschehen soll, sondern auch andere
zeitgenössische technogeprägte kulturen und philosophien mit dem
heutigen und damaligen biedermeier gegenübergestellt werden. um einen
kleinen geschichtlichen overview zu geben, warum der bürger damals sich
von der politik zurück zog und sein privatleben mit kunst und kultur
ausschmückte, werde ich nur kurz die gschehnisse im vormärz
(politischer name dieser periode) skizzieren und gleichsam versuchen,
gemeinsame merkmale zum digitalBIEDERMEIER im vergleich auf zu stellen.
sollten im publikum fragen oder weitere beispiele auftauchen, so bitte
ich diese gleich mit ins gespräch ein zu bauen, um das spektrum der
ähnlichkeiten zu erweitern, und folgend zusammen versuchen, nach dem
grund eines möglichen kulturtechnischen revivals zu forschen.
nach dem zweiten wiener kongreß 1815 und den daraus entstandenen
grundsätzen, nach denen sich die heilige allianz (konservative mächte:
rußland, österreich und preußen) zu richten hatte, schien jeder versuch
des politischen eingriffes von seiten des volkes aus zur mitbestimmung
zwecklos zu sein. durch die restauration wollte man die politischen
zustände von 1789 wiederherstellen, legitimität rechtfertigte die
ansprüche der dynastie (habsburg) und mit einem 'solidarischen'
abkommen zwischen den fürsten (gegenseitige unterstützung) wollte
metternich revolutionäre gedanken erst gar nicht aufkommen lassen.
diese heilige allianz findet ihre erweiterung durch zustimmung
frankreichs und englands zu einer gegenseitigen unterstützung aller
verbündeten in der pentarchie wieder, die tatsächlich für eine der
längsten friedensperioden auf europäischem kontinent gesorgt hat. was
aber eben nur ein formaler, äußerer frieden war. in der zeit des
vormärzes (1815-1845) herrschten politische unterdrückungen, die sich
im wiederaufbau eines absolutismus ausdrückten, welcher mit reaktion
die forderung der bevölkerung nach politischer mitbestimmung
zurückdrängte. um unruhen präventiv nicht aufkommen zu lassen, setzte
metternich spitzelwesen, polizei und treu ergebenes beamtentum ein,
welche für frieden und ordnung sorgen sollten.
in der bevölkerung selber werden ideen des liberalismus und
nationalismus immer stärker aufgenommen. liberale fordern eine
verfassung, die für die grundrechte garantieren soll, repräsentation im
parlament, das die gesetze beschließt und die regierung kontrolliert
und presse/bildungsfreiheit - wie man hier sieht, traute man der
regierung nicht, da ein abschalten aller mitbestimmungen das volk
automatisch zu marionetten macht. was das bürgertum betrifft, so waren
die bürger metaphorisch gesprochen in einem goldenen käfig eingesperrt;
die aber die kultur noch als möglichen ausweg aus dieser tristesse
sehen. was aber passiert mit der arbeiterschaft? zu dem später.
wenn man sich die soft/hardware bedingungen heutzutage ansieht, so
könnte man durchaus meinen, dass der user auch in einem käfig
eingesperrt wird. wie im ersten teil des vortrages bereits besprochen
ist dieses gestrüpp an möglichkeiten bereits zu groß geworden, um noch
klaren durchblick zu bekommen. der user bekommt das vorgesetzt, was für
seine bedürfnisse ausreichend sein sollte (meist von microsoft). die
geschichtliche übersetzung und gegenüberstellung, die ich hier starte
sind bewusst nicht 1:1 zu setzen, sprich: die politische situation
damals nicht mit der jetzigen von österreich zu vergleichen, sondern im
rahmen des digitalen biedermeiers, diese machtverhältnisse von einst
mit den momentanen technopolitischen zuständen (wohlgemerkt
wirtschaftspolitisch entstanden) im kontext ihrer ähnlichkeiten zu
deuten.
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<->
metternich und gates im
portrait
man könnte meinen, dass bill gates nun die reinkarnation von clemens
wenzel von metternich sein könnte, wenn man vergleicht, wie ähnlich
doch diese ideen der heiligen allianz und bill gates
monopolisierungsversuchs in einigen punkten sind. in beiden fällen wird
versucht, das machtverhältnis auf zu bauen und die alleinige befugnis
über die 'regierten' zu besitzen. als beispiel ist hier der streit
zwischen internet explorer und netscape zu nennen. microsoft integriert
den browser in das betriebssystem und zwingt somit hardware firmen, ihn
als default browser zu verwenden, um besonders im e-commerce bereich
mit zu cashen. das nächste beispiel wäre nun microsofts erfolg, intel
architecture labs, damit zu drohen, eine version herzustellen, die
keine intel-prozessoren mehr unterstützt. streitpunkt war die
softwareproduktion von intel, die im laufe der einrichtung dieser
abteilung entstanden ist, welche zur konkurrenz werden könnte. wie es
mit microsoft schließlich weitergagangen ist wissen wir ja...
zum nationalismus: in den kriegen gegen die französische nation und
gegen napoleon, der nach seiner niederlage bei waterloo gegen die
briten für immer nach st. helena verbannt wurde, sind sich die völker
ihrer nationalität bewußter geworden: gemeinsame sprache, abstammung,
sitten etc. und sehnen sich nach einem eigenen nationalen einheitsstaat
(deutschland war damals noch zersplittert und viele gebiete europas
wurden von landfremden potentaten beherrscht). in deutschland schuf man
damals den deutschen bund, der fürstentümer und einige freistädte
umfaßte, um doch eine einheit zu zeigen, die leider wiederum nur formal
war, da die bundesgewalt unter dem vorsitz österreichs (staatskanzler
metternich war für die außenpolitik zuständig) lag und dem deutschen
bund kaum politische eigenbestimmung zugesprochen wurde. diese
situation könnte man ferner mit der linux bewegung vergleichen, die
zwar erfolg in der verbreitung vorweisen kann, die
wirtschaftspolitische oberhand jedoch noch immer microsoft hat und noch
länger haben wird. in der open-source bewegung war man sich einer
gemeinsamen identität und zieles auch bewußt und durch 'gemeinsames'
programmieren (sprache) war man imstande ein neues betriebsystem
(deutscher bund) zu entwickeln, das zumindest das verlangen eines
'kleineren' teils befriedigen sollte.
diese gegenüberstellungen sind nur anregungen und beispiele, deren
zentralfiguren bis zu einem gewissen grad austauschbar wären und ich
dankbar wäre, wenn nun vom publikum jetzt oder später andere beispiele
in diesem vergleichsschema genannt werden... wie im geschichtlichen
überblick zu sehen, hat das 'reiche' bürgertum damals noch die
möglichkeit gehabt seine freizeit zu gestalten, um über diese
politische enttäuschung temporär hinweg zu kommen, wohingegen die
arbeiterschaft durch die blühende industrialisierung langsam ins
soziale elend gedrängt wurde. an diesem punkt werden die
parallelisierungen bereits zu komplex, um noch klaren durchblick zu
bekommen, da in der techno-kultur des digitalen biedermeiers, wie sie
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im ersten abschnitt von mir geschildert wurde, es aktive und passive
user gibt und jene, die ausserhalb dieser techno-kultur zu finden sind,
aber nichts desto trotz in einem digitalen biedermeier leben, sprich:
wir haben eine dichotomie vor augen zu halten. auf der einen seite
passt sich ein teil der bürger dieser technologisierung ihrer zustände
an, auf der anderen seite fordern einige, die daraus ihren vorteil
sehen, diese. im biedermeier einst wurde der bürger fast dazu gezwungen
sich mit nichts anderem mehr zu beschäftigen als mit seinem privaten
leben, der musik, mode und kultur allgemein. durch die
computertechnologie hat sich aber eine kultur daraus entwickelt, die
ursprünglich mit der industrialisierung (und militär) im 20.
jahrhundert hand in hand gegangen ist. wir benützen nun die
'arbeitsgeräte', wie den computer, als kulturelle strategie, wo damals
aber die zuwendung zu einer kultur ohne direkte verbindung zur
industrialisierung stattgefunden hat; die heutige wechselwirkung von
kultur und industriell bedingter technologisierung ist somit durch den
einsatz des computers in unserem leben einmalig.
es fällt mir nun sehr schwer den arbeiter begriff (arbeiter verglichen
zum bürger weniger gebildet) zu deuten, da dies unfreiwllig auch dunkle
seiten aufdecken muss und zeigt, dass der 'stupide' digitale
biedermeier bürger und sein privatleben bereits medialisiert worden
sind und er in einem netz aus unwissen und geilheit in der technologie
sich bald gefangen sieht. sinnlose webcam ideen im web oder pornoseiten
sind nur als beispiele vom privaten highlight dieses digitalen
biedermeier 'proleten' zu nennen. und nun gibt es noch den digitalen
biedermeier bürger, wie man ihn meist sieht, der in irgendeiner form
auch immer medienkulturen pflegt. die radikalen aktivisten (in
bereichen wie politik, wirtschaft, kunst etc) und die, die mit computer
nur arbeiten, weil es ihre arbeit verlangt und privat zuhause sich ganz
anderen dingen widmen, die nichts mit digitalen medien zu tun haben.
sie alle leben im digitalen biedermeier. wo lebt der fließbandarbeiter
oder landwirt? ist die damalige arbeiterschaft nun unter dem faktum
arbeit noch mit der arbeiterschaft von heute zu vergleichen oder werden
hier im vergleich bereits menschen herangezogen, die ausserhalb der
techno-kultur leben? um hier nun klarheit zu verschaffen, muss man nun
die momentane technologiebeeinflußte situation mit dem vormärz in
verbindung bringen und die techno-kultur jener bürger, die stark
technologie in ihr (privat)leben involvieren, mit der damaligen
biedermeier kultur. schwerpunktmäßig werde ich mich jedoch in der
parallelisierung auf die morphologie der darstellenden und angewandten
kunst, sowie repräsentationsform von körper und events konzentrieren.
kunstbegrifflichkeit einst und heute:
um bei den aktivitäten zu bleiben, die beide kulturen kennzeichnen,
werden nun exemplarische darstellungen speziell aus der musik und
malerei von biedermeier einst und jetzt im vergleich gegenübergestellt.
von vornherein muss betont werden, dass die lebensform des bürgertums
im zeitalter der restauration geistig den ideen der romantik und
stilistisch vom klassizismus (wiedererweckung griechisch-römisch
antiker formen) bestimmt war. was ja kulturtechnisch als revival zu
vermerken ist. durch die repressive haltung der regierung dem bürger
gegenüber, flüchtete er sich nach innen ins gesicherte heim und in die
familie. viel socializing fand zu hause, oder wenn dies zu klein war in cafehäusern und clubs, statt, wo man noch tun und lassen konnte, was
man wollte (wo auch politische treffen stattfanden). großteils waren
aber die events von musischer natur. es war die blütezeit des singens
und der hausmusik. die themen kreisten sich sowohl in der musik als
auch in der malerei großteils um das bürgerliche leben. neu in der
malerei war jedoch nicht nur die darstellung der optischen
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wirklichkeit, sondern auch das in manchen fällen tiefe eindringen in
die probleme des lebens (fendi, waldmüller - darstellung des
gescheiterten bürgerlichen lebens oder szenen aus der arbeiterschaft).
die künstler wollten mit ihren bildern auch gefühle und stimmungen
festhalten, die sich manchmal mit deutlicher gesellschaftskritik
verbanden (manche bilder von carl spitzweg nehmen fast schon
karikaturistische züge an). verbunden mit der darstellung der optischen
wirklichkeit in der malerei, kamen die ersten bürgerlichen portrait
bilder zum vorschein. das reiche bürgertum schmückte seine wohnung mit
bildern der familienmitglieder und förderte somit kleine maler oder
musiker, indem sie diese bezahlten, um für sie kleine musikstücke zu
schreiben, die bei festlichkeiten gespielt werden. was mich hier
interessiert - wäre das portraitbild, die repräsentation von menschen,
die meistens mit modischer unterstreichung der jeweiligen zeit
begleitet wird.
das erste bild zeigt uns eine darstellung einer frau aus der damaligen
biedermeier zeit, die noch dick von feinen stoffen (als kennzeichen des
wohlstands) umhüllt ist, in einer doch lieblichen und fast biederen
pose, die auch die stellung der reichen, bürgerlichen frau in der
damaligen gesellschaft widerspiegelt. als hausfrau und mutter konnte
man brillieren, indem man brav für kind, heim und mann sorgte oder bei
diversen events die perfekte gastgeberin spielte. das mittlere bild
zeigt uns ein bekanntes modell, das für sex, schönheit,
verführungskraft aber auch emanzipation der frau steht, in dem sinne,
dass sie sich dessen bewußt ist, wie man die optischen waffen einer
frau gut vermarkten kann und davon profitiert (zwar ist die modebranche
hammerhart, doch die meisten modells nützen ihre popularität aus, um an
andere projekte schneller heran zu kommen - campbell versuchte es in
der schauspielerei und musikindustrie - zu bemerken wäre auch, dass sie
als erstes schwarzes supermodell gefeiert wurde und somit vielen
schwarzen kollegen den weg zum erfolg geebnet hat). die nächste stufe
der weiblichen darstellung nimmt in manchen hoch industriellen ländern
(wie japan) seltsame gestalt an. die verniedlichung der sexualität
gekoppelt mit einer sexuellen unerreichbarkeit machen virtuelle figuren
wie kyoko date populär. der druck der medien in der darstellung
perfekter schönheit, gipfelt sich nun in einem überperfekten, digitalen
wesen, das aus einer statistik heraus kreiert wurde. das verhältnis der
japaner zu mangas und virtuellen identitäten wird im letzten teil näher
beschrieben. zur malerei wäre noch hinzuzufügen, dass gerade die
landschaftsmalerei, also die darstellung des idyllischen sehr gern beim
kunden aufgenommen wurde. als biedermeier bürger liebte man lange
späziergänge mit familie und freunden oder ausflüge ins grüne, die man
auch gern zuhause als erinnerung in form von landschaftsbildern haben
möchte.
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dieses bild zeigt doch recht deutlich wie
auch die familienverhältnisse einst waren.
in der musik ergab die starke wechselwirkung von volksmusik und
kunstmusik eine reihe von nationalen sonderformen. die librettisten
bezogen ihre stoffe aus der vergangenheit, der märchenwelt oder aus
exotischen ländern. in österreich kam franz schubert mit seinen
liedkompositionen den bedürfnissen seiner zeit entgegen. im wien der
biedermeierzeit entwickelte sich der walzer als tanz und musikstück,
der auch ausdruck für friede-freude-eierkuchen war, vertreten durch
lanner und strauß vater. am markantesten blieb aber die hausmusik in
der biedermeier zeit, in der auch das klavier zu seiner technischen
form und der ihm eigenen klangfülle entwickelt wurde.
wie auch damals scheint heute der digitale biedermeier nach aussen hin
glücklich zu wirken. im vormärz brodelte jedoch die wut im volk, das
noch immer nach politischer mitbestimmung forderte und die
unterdrückende herrschaft der monarchie endlich brechen wollte. auch in
der bürgerlichen kultur intern ist es nur ein nach aussenhin glücklich
sein. wie ich schon im ersten teil berichtet habe, ist man intern über
eine situation unzufrieden, in der zu leben man gezwungen wurde, sei es
damals durch die politische gewalt oder durch wirtschaftspolitische
umformung in technologie.
was die musik betrifft, so möchte ich nun 2 samples gegenüberstellen,
die für sich und für die jewelige zeit sprechen:
franz schubert vs. scanner/dj spooky
hausmusik vs. housemusic
wir fahren fort mit einem theory jockeying im musik bereich. die
damalige hausmusik war geprägt durch einen sozialen event, in dem sich
freunde und verwandte zusammenfanden und auch gemeinsam musizierten.
kinder reicher bürger spielten gemeinsam mit ihren geschwistern oder
eltern zu feierlichkeiten oder es wurde ein 'hauskomponist' angeheuert,
der nach auftrag für eine familie arbeitete. was das engagieren der
künstler so bedeutend machte, so wäre hier zu unterstreichen, dass die
reichen bürger nun kulturelle anschaffungen, wie portraitieren oder das
schreibenlassen von musikstücken sich leisten konnten und somit einen
luxus, der vorher nur dem adel finanziell vorbestimmt war. durch das
aufkommen vieler 'kleinerer' hauskomponisten und -maler, waren auch
ihre gagen erschwinglich und so konnte man sich dem finanziellen rahmen
entsprechend einen maler oder komponisten favorisieren. ein künstler
wurde dadurch von einem privatmann gesponsert und löst in seiner
verbreitung den hofkomponisten (maler) ab. über die musikalität möchte
ich mich nicht zu genau äußern, sondern mich eher auf die
distribuierung und 'vermarktung' konzentrieren.
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wie wir wissen blüht momentan das geschäft mit den underground labeln
und eigenproduktionen im bereich der elektronischen musik, wo nach dem
motto: 'von zuhause aus produzierend direkt an die breite masse
bringend' musik gemacht wird. die band 'zwei-raumwohnung' lässt in
ihrem namen schon diese ideologie erklingen. ihre einstellung dazu,
musik direkt unters volk zu bringen - ohne langwierigen
organisationsoverhead von seiten der platten firmen, äußert sich durch
live gigs, bei denen sie ihre neuen songs dem publikum in einem 'tetea-tete' modus präsentieren. die musik in diesem elektronischen bereich
ist teils zuhause schon fertig arrangiert und wird höchstens im
tonstudio technisch überarbeitet, was den plattenfirmen deutlich
günstiger kommt, als session musiker für aufnahmen ins tonstudio ein zu
laden. der künstler benützt den computer als allround instrument und
ist mit dieser möglichkeit imstande (manchmal nur durch einfache
kenntnisse der klavier akkorde) eingängige melodien zu begleiten und
ein lied zu kreieren. wie einst, kommt auch die musik von zuhause, wie
schubert mit freunden damals musiziert hat - so treffen sich kruder und
dorfmeister zu einer home-session wieder (ein semi remix-album name
lautet gar 'sessions'). der vergleich von lokalitäten (clubs, diskothek
etc.) mit damals wäre hier für mich persönlich nur in diesem punkt
wesentlich, dass das internet das problem der ferne minuiert, indem es
musik-live-events 'ins eigene heim' holt, womit sich wirkliche musik
liebhaber sicherlich nicht zufrieden geben, da live streaming
europamäßig noch eine bessere technische lösung benötigt und die
qualität und das feeling live dabei gewesen zu sein nicht zu
vergleichen wären. auch die elektronische musik erlebt ein revival an
mischungen, wie sie im biedermeier (einfluß von romantik und
klassizismus - siehe oben) durch das mischen von kunstmusik und
volksmusik zu finden war. der momentane mir bekannte trend geht in die
richtung 'elektro-schlager' - hier wiederum gut repräsentiert von der
band zwei-raumwohnung. schon in den 80er jahren war eine marke (neue
deutsche welle) zu erkennen, wie sich neue synthiklänge und deutsche
texte in ihrer popularität gut ergänzen können. die texte sind simple
geschrieben und handeln von einfachen gefühlen, wie auch im biedermeier
das bürgerliche leben zentrales thema war. politische texte kommen in
der electronic music selten vor und in der house music so gut wie
überhaupt nicht. das ist domäne des raps und hip-hips, wo im sprech
gesang politische zustände besser und direkter verbalisiert werden
können, da die partitur, die eine melodie strukturiert fehlt und man
free stylen kann, ein scat mit worteinsatz sozusagen.
ein weiteres thema wäre die sampling theorie, nach denen sich viele
musiker im elektronischen bereich richten. portishead zeigen dies sehr
deutlich auf ihren alben, wo sie großteils interessanter weise
musikfetzen aus dem soul und jazz bereich nehmen und den songs durch
die musikalisch, eletronisch abgestimmte umgebung ein feeling
verleihen, das für eine neue musikrichtung (trip-hop) prägend bleiben
soll. remixes werden gestaltet, die ein lied sogar fast komplett
adaptieren (jLO -the remixes), was soviel bedeutet, dass man teilweise
den text und die meldodie neuschreibt, das gerüst des liedes aber ident
bleibt. tricky hat mit seinem 'hell is around the corner' gezeigt wie
man dies geschickt macht und das 'walk on by' sample, das haargleich
sich im portishead lied als 'hintergrund melodie' charakteristisch
zeigt, dazu verwendet, um ein 'neues' lied entstehen zu lassen. die
folgenden vier hörbeispiele haben alle so gesehen die selben wurzeln.
'walk on by' ist spannender weise im original von dionne warwick
interpretiert worden und zeigt in der struktur kaum ähnlichkeit mit
issac hayes' übersetzung des liedes, wo nur gesangsmelodie und text mit
dem ursprung übereinstimmen. anhand der beiden letzten songs kann man
erkennen wie stark die technische reproduzierbarkeit die kreativität
fördern kann.
walk on by (d. warwick) vs. walk on by (i. hayes) vs. glory box
(portishead) vs. hell is around the corner (tricky)
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zurück zur distribuierung: viele künstler stellen ihre songs (meistens
auf ihrer eigenen homepage oder einer gutbesuchten adresse wie
www.mtv.com) als preview zur verfügung, um besser werbung zu machen.
peer2peer netzwerke beschleunigen den austausch von informationen hauptsächlich software programme betreffend und natürlich mp3's. die
musik der bands und interpreten werden schön langsam nicht mehr durch
mtv populär, sondern durch das benützen der peer2peer softwares, die
teilweise auch schon durch ein top-listing eine art charts bieten, wo
man sich über neue hits immer gut informieren kann, aber auch archiv
sind, aus dem man nach lust und laune seine eigene lieblingslieder
abspielen kann (was ja durch fernsehen und radio eingeschränkt ist).
was künstlern und plattenfirmen finanziell durch dieses freigeben der
songs schadet, fördert hingegegn ihre verbreitung. auch gelegenheitdj's und musikern wird hier eine helfende hand gereicht, da sie kein
geld ausgeben müssen und trotzdem an songs und sounds herumbasteln oder
sie einer kleineren gruppe bei events präsentieren können. ferner kann
man samples oder musikstücke computertechnisch so weit verfremden, dass
sie kaum mehr an das original erinnern und doch noch ausreichend
melodie als unterlage für einen ohrwurm besitzen.
eine andere art der hausmusik möchte ich gern im nächsten beispiel
zeigen, wo indirekt gesampelt wird und die geräusche eines druckers als
melodie dienen. in diesem beispiel wird deutlich, dass auch der
'einsatz' der computerkomponente (hardware) an sich den musikbegriff
durchaus erweitern kann und die gestaltung der lieder nicht unbedingt
erstrangig auf der software ebene passieren muss. ausserdem wäre hier
hervor zu heben, dass diese idee von einem jugendlichen kommt, der mit
der technologisierung seiner umwelt aufgewachsen ist und musikkultur
für ihn wahrscheinlich bereits andere dimensionen angenommen hat...
lukas reeh /// DJ_Sky feat. HP - Deskjet 695c: Jeder kennt die oft
recht merkwürdigen Geräusche von Druckern und Lucas Reeh hatte die Idee
damit einen Sound zu schneiden. Der komplette Vordergrund, die Melodie
und der Rhythmus sind nur Geräusche vom Drucker. "Natürlich hat es
nicht lange gedauert bis die Idee da war einen "Sound" (ein Lied) damit
zu schneiden. Dafür war ich ja schon berühmt, mit dem ersten Werk das
auch schon beim letzten u19-Wettbewerb dabei war, kannten mich meine
Freunde schon."
textpassage aus: http://www.u19.at/htm/projekts2002/Deskjet.htm
darstellung der optischen wirklichkeit - virtuelle realität
im endspurt dieses zweiten teiles werden nochmals malerei und die damit
verbundene darstellung des körpers von einst und heute genauer
gegenübergestellt. der mensch und seine umwelt wurden in der malerei
realistisch abgebildet, um beim betrachter gefühle zu erwecken. der
biedermeier bürger sollte durch das bewundern seiner privaten bilder
(sammlung) immer an idyllische zustände erinnert werden oder wenigstens
davon träumen können. er hat die natur, das leben und die menschen
durch diese bilder zu sich nach hause gebracht. auch das internet
bietet die möglichkeit die aussenwelt nach innen zu holen; ereignisse
und informationen werden überall freigegeben; man hat eine große
auswahl an optionen sich berieseln (unterhalten) zu lassen. der
digitale biedermeier bürger hat aber auch die wahl sich im netz durch
avatare zu repräsentieren, eine fremde identität an zu eignen oder so
weit design und technik es erlauben, sich und seine umwelt selber darin
zu gestalten. was in der malerei von menschenhand direkt zu papier
geschehen kann - ist im computerbereich schon ein komplizierterer
vorgang der repräsentationsmöglichkeit. sobald man in die computerwelt
eintaucht, ist man eine geschriebene identität. die aussenwelt hat man
physisch zwar nicht verlassen, dennoch muss man in diesem virtuellen
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raum sich auch den kommunikationsbedingungen anpassen. ich will hier
nicht langatmig über repräsentation im internet vortragen, da dieses
thema bereits schon zu oft diskutiert worden ist und ich keine thesen
aufwärmen möchte, sondern eine frage in den raum stellen möchte, wie
eigentlich die 3D darstellung, die uns im internet einer optischen
wirklichkeit näher kommen lässt in zusammenhang mit dem geschriebenen
steht. da jede kommunikation via computer auf einer programmierten
ebene passiert, so müssten wir doch auch geschrieben sein. indem wir
die 3D repräsentationen anpreisen leugnen wir unsere wahre identität,
nämlich die eines geschriebenen knotens bei eintritt in eine 3D welt.
zur verdeutlichung: das erste bild ist vom biedermeier maler
waldmüller, der zwei buben bildlich fast realitätsgetreu wieder gegeben
hat. das zweite bild zeigt einen bot, den ich in unreal kreiert habe
mit meinem gesichts foto 'draufgemappt'. ich versuche mich optisch
durch ihn so gut wie möglich zu repräsentieren. das bewußtwerden meiner
identität als geschriebene fläche kommt erst, wenn ich z.b. in einer
VRML umgebung (web3D sprache) im internet den source code zu gesicht
bekomme. das folgende beispiel möchte ich nun live vorführen, indem ich
zeigen möchte, wie eine variante der datenversierten darstellung
aussehen könnte. im projekt 'heavy-sampling-norman-klein /datenzucht',
das ich gekoppelt mit einem vortrag über programmierbarkeit und
datenzucht gestartet habe, ging es kurz zusammengefasst darum, wie man
ein digitales haustier züchtet, eine art digimon zur welt bringt. in
dieser arbeit habe ich dieses wesen datavar (nicht zu verwechseln mit
datavatar) genannt, das in seiner darstellung ein ergebnis aus den
daten des users (sein vater/trainer/züchter) und seinen persönlichen
dateneingaben (name, modus, trainingsart etc) sein sollte. sekundär
entsteht durch diese mischung der daten (datavar - ein wesen, aus einer
datenwelt geboren) erst ein datavarbaby, das man noch züchten muss und,
wie es der digimonkampfgeist so will, erst im kampf mit anderen
züchtern und datavars das wachstum beschleunigt wird. primär möchte ich
heute nur auf das bewußtwerden aufmerksam machen und die ersten
schritte in der datenzucht, die sie daheim unter dieser url nachmachen
können:
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05.11.2002
nguyen van ngoc /// digitalBIEDERMEIER: re/producing the privat [d] vision 2002 Seite 18 von 24
http://www.attacksyour.net/~nn/nk/start.html
das dritte bild ist ein bildausschnitt eines entstandenen datavars. in
einer datenbank werden die daten (des users und des gewünschten
digimons) gespeichert, durch unterprogramme evaluiert und schließlich
durch das human interface in VRML in form wilder 3 D polygone als
datavar optisch markiert. die datenevaluierung nimmt bewußt kein
anthropomorphes design an, sondern versucht einfach und ohne 'umwege'
der repräsentation alle daten gleich in polygone zu übersetzen. die
verifizierbarkeit der daten geschieht indem man auf das datavar klickt
und sich dadurch sein gerüst in form von VRML knoten offenbart, die
direkt von der datenbank aus durch ein modul geschrieben werden.
alle beispiele, die ich in diesem abschnitt zur parallelisierung
herangezogen habe, erscheinen mir persönlich im rahmen des digitalen
biedermeier diskurses wichtig zu sein, um teilweise doch klare
ähnlichkeiten zwischen einst und jetzt zu verdeutlichen. wie gesagt,
sind es nur inspirationen für den eigenen vergleich - konkretere
vergleiche der kulturen einst und jetzt in den einzelnen bereichen
(lebensphilosophie, technikgebrauch und darstellung) werde ich nun im
letzten teil des vortrages machen, in dem ich die parallelströmungen zu
europa (vom geschichtlichen biedermeier zur metapher einer
technokultur) anhand von indien, japan und amerika im kontext des
digitalBIEDERMEIERs erklären will...
***
parallelströmungen / digitalBIEDERMEIER all over the world
indien auf dem weg zur technokultur und einer möglichen bildung von
techno-eliten?
indien wäre das erste ziel im vergleich zu europa in der ausübung der
technokulturen. der arbeiter begriff ist heute schon öfters diskutiert
worden und ich habe ihn mit der momentanen technologisierung der
umwelt, aber nicht mit der kultur direkt in verbingung gebracht, was
soviel bedeuten kann, dass indien kein indisches 'digitales'
biedermeier durchlebt, sondern sich eher in einer digitalen vormärz
situation befindet. der grund für das noch nicht emporkommen einer
technokultur, liegt großteils in den schleppenden
wirtschaftlich/industriellen akkumulationsversuchen, die bereits zu
große narben im wirtschaftlichen und sozialen system indiens
hinterlassen haben und noch eine längere regenerierungszeit in anspruch
nehmen werden. themen der wissenschaft und technokultur wurden in
diesem akkumulationsprozess (vom staat getragen) als modernität
bezeichnet, monumentalisiert und völlig vom alltäglichen abgelöst.
diese adaption einer kulturellen strategie (modernität wie wir sie in
europa um 1920 in der avantgarde kennen) kam in einer ganz anderen form
nach indien. die modernität in der europäischen avantgarde war
kulturtechnisch am einzelnen oder an einer kleineren gruppe anwendbar,
wohingegen die indische mordernität sich durch monumentalisierung wie
in der errichtung von dämmen oder stahlwerke kennzeichnet, welche bald
zum nationalismus ikonisiert wurden. ohne dialektik der infragestellung
und des experiments wurde die 'modernität' gleich im eigenen land für
die wirtschaftlich/technischen probleme und mängel als lösungsformel
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eingesetzt. unter diesen bedingungen wird die praktische reflexion in
der bevölkerung sicherlich nicht zu schnell eintreten, da diese
industriebauten und gerätschaften , die vom staat zu sehr als monumente
verherrlicht werden, fast schon religiöse erfurcht abverlangen könnten.
...in der geschichte sind die sozialen bewegungen in indien immer der
monumentalen technologie (großer damm, umweltverschmutzung durch
stahlwerke und abholzung des waldes) skeptisch gegenüber gestanden. mit
dem netz und lokalen netzwerken treten die aktivisten in einen dialog
mit der technokultur und den initiationsritualen ein, die mit dem
computer einhergehen. möglicherweise beginnt sich jetzt zum ersten mal
der heilige raum der technologie, der für den nationalismus immmer
zentral gewesen ist, aufzulösen... (ravi sundaram im gespräch über die
brasilianisierung indiens)
das beispiel indien in der auslebung seiner technokultur ist sehr
komplex und teilweise auch sehr paradox. indische kinder scheinen von
klein auf schon mit der logik und mathematik interessanterweise durch
die bildhafte sprache der märchen und sagenwelt konfrontiert zu werden.
das dadurch seit kindesalter an bereits trainierte abstraktionsvermögen
wird zum vorteil der inder in der programmierung von software (wohl
gemerkt: indien ist wirtschaftlich nur in der softwareproduktion und im
service stark im rennen). dass inder sowieso gute mathematiker sind,
wissen wir seit einführung des dezimalsystems und der null um 600 n.
chr oder taufe der algebra und des algorithmus nach al-khwarizmi,
welcher sich explizit auf die zahlenreihen der indischen mythen bezog.
die inder hätten so gesehen die besten chancen in der computerkultur
die oberhand zu gewinnen... doch traurige ereignisse wie die
auswanderung vieler inder ins ausland, wo man besser verdient und die
lebensumstände angenehmer sind, führen zu einer dezentralisierung der
inder als potentielle technokultur träger von indien. diese
auswanderung wird dazu auch noch durch greencard angebote beschleunigt
(großteils von amerika). warum amerika favorisiert wird, liegt
einerseits am amerika mythos von freiheit und der großen chance alles
erreichen zu können, andererseits sind in amerika größere firmen
(gerade im computerbereich) so organisiert, dass sie auch wohnanlagen
für ihre mitarbeiter bieten und liebend gern nationalitäten bevorzugen,
die sich besser in ein arbeitssystem integrieren lassen können, und da
haben die inder einen guten eindruck hinterlassen. fließendes englisch
verbunden mit großem technischen know-how. dieses anhäufen der inder
als arbeiterschaft führt soweit, dass sich kleinere indische soziale
systeme, communities in einer firma bilden können, die den neuling gern
unter ihre fittiche aufnehmen, was ja die auswanderung noch einfacher
macht, da man genau weiss im fremden land sofort auf landsmänner zu
stoßen.
hinsichtlich der auswanderung müßte man sich aber wenig sorgen machen,
dass die technikversierte intellektuelle schicht abgetragen wird, da
produktionsstätte wie bangalore (wird regelrecht schon als indisches
silicon valley bezeichnet) für software produktion immer größer werden
und auch neu entstehen. viele firmen vom ausland (westen) verlagern
ihre produktionen nach indien - dies macht sich nicht unbedingt in der
errichtung von monumentalen firmenbauten sichtlich; eher werden die
geschäfte geschickt über das internet gemacht. die firmen sehen in
indien nicht nur den vorteil einer günstigeren kostenstruktur, sondern
vor allem einer 'flexibleren' arbeitsumgebung mit 'flexibleren'
gesetzen und verordnungen sowie das fehlen von 'bremsenden'
gewerkschaften. dies scheint eine wahrgewordene horror auslegung der
kalifornischen ideologie vom ökonomischen liberalismus (die
metamorphose von freiheit zur zwangsherrschaft) zu sein, den ich im
ersten teil schon geschildert habe. das für mich paradoxeste ist nun
die tatsache, dass in der informationstechnologie gutausgebildete
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fachkräfte ins ausland gehen und dort zwangsläufig ihr kulturelles
gedankengut bis zu einem teil im anpassungsprozess neu aufsetzen müssen
und inder landes intern, die über das gleiche technische know-how
verfügen durch das internet schöne ausblicke auf den westen bekommen,
der baldigst zum lebensziel werden sollte. es scheint langsam eine
negierung der eigenen nationalität statt zu finden, die damals durch
die monumentalisierung der großen dämme und holzwirtschaft nie hätte
stattfinden können. der einzige noch deutlich zu spürende
nationalistische gedanke wird noch im internet durch politisch rechte
aktivisten postuliert. ravi vasudevan schreibt dazu:...gleichzeitig
greift die extreme rechte, die nationalistische rechte der hindus,
aggressiv in die populärkultur ein. die international aktivsten gruppen
im internet sind beispielweise nationalistische hindugruppen, die eine
neue nation schaffen wollen. ihre grundlage soll zwischen den ruinen
des alten nationalismus eine auf dem internet basierende hinduistische
identität sein.
wenn man diese aussage den geschehnissen im vormärz gegenüberstellt,
könnte man hier auch wiederum indien mit dem zustand des damalig
zersplitterten deutschlands vergleichen, was ich im ansatz aber im
zweiten teil mit der linux bewegung verglichen hab. wie schon erwähnt,
wäre hier der techokulturelle stand indiens noch nicht wirklich mit
einer kulturellen metapher eines digitalbiedermeier-likes zu
vergleichen, da noch zu viele (wirtschafts)politische und vor allem
soziale verbesserungen im vorfeld eintreten müssten, um überhaupt den
gebrauch und das florieren einer technokultur zu ermöglichen. im
digitalen bereich gut ausgebildete inder haben, wie gesagt, die besten
chancen zu einer (weltweit?) digitalen elite zu werden, da sie
einerseits wie für die handhabung dieser digitalen welt wortwörtlich
geschaffen sind, andererseits, weil sie verstreut überall in den
mächtigsten industrieländern mehrheitlich spitzenpositionen besetzen
und der griff nach dem hebel zur macht nicht ausser reichweite ist...
japan in einem stau der identitätsbildung oder im frust der medialen
übersättigung?
viele verbinden die techno-kultur japans mit manga, game arcaden,
lustigen auftritten in brutalen gameshows und übersemiotisierung. was
ich jedoch an japan sehr interessant finde, ist die zweispaltung
zwischen hartem berufsleben und teils schon kindlichem gebrauch der
unterhaltungsmedien, sei es comic, spielkonsolen oder karaoke
wettbewerbe. es muss in der japanischen kultur ein dermaß großer druck
auf die leistung eines individuums herrschen, dass man sich nach der
arbeit nur mehr in eine phantasie welt flüchten möchte, um abstand von
der realen welt zu halten. was diese flucht jedoch zu einem
teufelskreis ausarten lassen kann, wenn die technik die oberhand
gewinnt und sich der mensch nur mehr noch durch technologischen
gebrauch als notwendigkeit rekonfigurieren kann. hier möchte ich die
otaku kultur nennen, die eine mischung und rekompilierung verschiedener
'subkulturen' ist. markante merkmale sind die technik begeisterung und
das fachwissen, das in jeder orientierungsgruppe herrscht. ein otaku
ist der sammler schlechthin. viele sammeln aber nicht aus leidenschaft
für das objekt an sich, sondern aus einem verlangen heraus, soviel wie
möglich über das sammelstück wissen zu wollen. soziologen sehen die
ursache im strengen schulsystem, wo man bereits für grundschulen eine
aufnahmeprüfung absolvieren muss, von den höheren schulen und
universitäten gar nicht zu sprechen. von klein auf wird man auf
leistung hin gedrillt, bis man entweder dieses gewünschte (gezwungene)
level erreicht hat oder wie auch immer aus dem system aussteigt.
vergleicht man japanische kinder mit indischen kindern (weiter kann der
vergleich mit erwachsenen fortgesetzt werden) so kann man zwei
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verschiedene strategien in der wissensverwaltung feststellen. auf der
einen seite wird gestrebert was das zeug hält, um nur den sozialen und
wirtschaftlichen ansprüchen gerecht zu werden, ohne sich dabei groß auf
die bedeutung des gelernten konzentrieren zu müssen, da die übersetzung
anscheined vom system übernommen wird. auf der anderen seite wird man
schon von kind auf mit der logik und abstrahierung von modellen
konfrontiert. viele die jetzt meinen, dass japaner roboter ähnlich sind
oder nur wenig logik besitzen, müssen dabei aber beachten, dass dieses
auswendiglernen zur logik und abstraktionskraft der japaner hinzukommt,
was jetzt nicht bedeuten soll, dass japaner durch diese lernmethode
schlauer wären, sondern das ihre lernstrategie auf einer anderen ebene
liegt und die art zu lernen und folgend zu denken immer ein produkt des
gesellschaftssystems ist; sei es aus sprachlichen, wirtschaftlichen
oder technischen gründen beeinflußt. dieses daten aufsaugen, das zur
'gewohnheit' der japanischen kinder geworden ist, spiegelt sich in
ihrem sammeltrieb wider. da gewohnheiten auch ins erwachsenen alter
mitgenommen werden können, darf man sich nicht wundern, wenn auch
ältere otakus einen unbändigen sammeltrieb zeigen:
im ersten bild zeigt ein fan stolz seine büchersammlung, was ja an und
für sich nichts ungewöhnliches ist. dass er über alle details
informiert ist, zeichnet ihn ja als fan schließlich aus. das rechte
bild jedoch repräsentiert diesen sammelwahn, der vielleicht einigen als
'komisch' oder nicht normal vorkommt. es wird prinzipiell in der otaku
kultur alles (an information) gesammelt. volker grassmuck dazu:
...information ist fetisch. sie ist gleich-gültig, weil jederzeit immer
durch das immer neue ersetzbar. aus dem ständig wechselnden strom
wählen die otaku arbiträr ein informationssegment aus, das sie - einmal
entschieden - mit radikaler ausschließlichkeit verfolgen. sie wollen
kontrolle wenigstens über einen kleinen teil der welt, in dem es trotz
der überwältigen informationsflut möglich ist, alles zu wissen, auf
alles vorbereitet zu sein, sich sicher fühlen... hier ist eine mediale
übersättigung bereits vor 10 jahren eingetroffen, die wir nun im
europäischen digitalen biedermeier erleben. man hat alles, man bekommt
aber noch mehr - so lautet hier die devise. auch von einem medien
cyborg kann man schon in der otaku kultur sprechen, der mediale
extensions (digitale interfaces) schon bereits zu den essentiellen (und
wo möglich auch existenziellen) bestandteilen seines lebens sieht. zu
dem wird heute abend wahrscheinlich eine roboterdiskussion stattfinden,
die das cyborg thema ausführlicher behandelt. doch die in europa
humanistisch geprägte kultur verlangt kein (übertriebenes) speichern
von informationen, um den mensch als mensch oder als
wohlfunktionierendes glied in einer kette zu akzeptieren und der mensch
wiederum sieht sich nicht dazu gezwungen, daten in sich stopfen zu
müssen, um sicherheit und gesellschaftliche 'funktion' in einem system
zu finden. doch wie würden wir in europa mit einer solchen
informationsflut überhaupt umgehen? die tendenz zu einem medien
internen hopping hab ich im ersten teil des vortrages schon erwähnt,
das aber eine antwort auf eine mediale übersättigung ist und keine
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lösung darstellt.
ich möchte folgend die themen der comic welt kurz unter die lupe
nehmen, weil sich gerade in ihr ein großer teil der japanischen otaku
bürger in seinen verlangen, lüsten und sehnsüchten wieder findet oder
befriedigt wird. wie wir hier bereits sehen gibt es schon eine
bezeichnung für diesen schlag von bürger: otaku, was grob gedeutet für
ein unpersönliches sie steht (eigentlich: ihr haus). die otaku kultur
wäre hier nur eine mögliche variante der techno-kultur, die uns
erwartet. ich will nichts prophezeihen und schon überhaupt nicht
versuchen andere kulturelle muster auf europa anzuwenden, da die
technologisierung zwar in den industrieländern omnipräsent ist, ihr
einsatz aber immer noch einer weltanschauung (philosophie) dient, auch
wenn die technik über den menschen 'siegen' sollte (wo die extropianer
generell nichts dagegen einzuwenden hätten), geschieht dies nach
kalkül. und noch scheinen wir in europa halbwegs alles unter
'kontrolle' zu haben... die möglichkeit einer katastrophe ist jedoch
immer im auge zu behalten.
nun endlich zu den mangas, die in vielerlei hinsicht speziell für ihre
fans eher ein armutszeugnis für ihre sexuellen neigungen ausstellen.
ein gutes beispiel wären hier die 'yaoi' comics zu nennen, die nur von
frauen gezeichnet werden und die stories von homosexueller liebe
zwischen männern handeln. wie in manchen kreisen diese darstellung als
selbstverständlichkeit angesehen wird ist beeindruckend (gerade im
asiatischen raum, wo dies noch großteils tabuthema ist). auf den ersten
blick ist dies auch bahnbrechend, genauer betrachtet ist es eine sehr
traurige geschichte, da die comics auch nur hauptsächlich von frauen
gekauft werden und unter homosexuellen selber dies noch immer einen
touch von schmuddel hat, da die burschen in ihrer darstellung relativ
jung sind oder gar minderjährig wirken.
coverbild aus einem yaoi comic
(junge) mädchen finden diese burschen so süß; wissen aber ganz genau,
dass sie unerreichbar für sie sind. man könnte aber auch vermuten, dass
gerade ihre unerreichbarkeit (in sexueller prägung und form des
papiers) sie für die mädchen erst interessant macht, da diese sich
ihrer sexualität noch nicht ganz bewußt sind und auch teilweise angst
davor haben, diese durch sexuell eindeutige szenen (zwischen mann und
frau) in comics oder anderen medien zu entdecken. dieses
verhaltensmuster lässt sich auch bei den jungs wiederfinden, die
schulmädchen mangas lesen; das verhalten wäre hier das gleiche. es gibt
unzählige manga genres, die eine eindeutige orientierung zeigen (von
military bis family stories). all diese darstellungen sind aber meiner
meinung nach nicht darstellungen von einem ist-zustand, sondern eher
einem soll-zustand. im schnitt kann aber gesagt werden, dass die
repräsentation des liebes-objektes oder einer hauptfigur sehr kindliche
züge hat. die sexualität wird verniedlicht und auf eine ebene
runtergebrochen, die fast ins sächliche, asexuelle geht. selten sind
mangas populär geworden, die eine sexuell anziehende frau oder einen
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richtigen kerl als hauptfigur haben. auch die schurken gehen teilweise
im design ins teuflische oder nicht-menschliche. wenn man dies mit der
comic kultur von amerika vergleicht, kann man große unterschiede
feststellen. schon bei den allerältesten batman und superman comics
kann man eine deutliche sexuelle gestaltung der protagonisten sehen.
breitschultrige männer und frauen mit üppigen rundungen sind hier
zentrale figuren, wo hingegegen sailor moon & co eher wie zulang
gezogene barbies aussehen. sexuelle darstellungen des menschen in der
comic welt japans und amerikas sind jeweils in eine andere,
entgegengesetzte richtung verzerrt. ich will nicht zu sehr ins
psychologische gehn, sondern nur anhand dieser mangas aufzeigen, wie
medien inhaltlich den lüsten und verlangen der masse entgegenkommen
können, was an und für sich nichts schlechtes ist. sollte aber durch
die massenpublikation von gewissen menschenbilder dazu führen, dass man
zu seiner sexualität ein komplexhaftes verhältnis aufbaut, so wäre dies
sicherlich kein erfolgreiches entgegenkommen. da mangas in japan das
massenmedium schlecht hin sind, wären sie unter diesem gesichtspunkt
als hauptträger der darstellungsformen japanischer techno-identitäten
zu nennen. die virtuelle repräsentation durch kyoko date lässt sich zum
gleichen sexuellen darstellungsschema wie das ihrer kolleginnen aus der
2D welt zurückführen, nur dass bei kyoko date der vorteil besteht, mit
ihr auch im netz interagieren zu können - dadurch hat sie auch in ihrer
popularität bereits 'star' status erreicht. die japaner scheinen mit
diesem virtuellen superwesen ihrer (sexuellen) phantasie recht
zufrieden zu sein, was den extropianern (meistens in amerika zu hause)
nicht genügt. sie sehen das überwesen nicht in der virtualität, sondern
als (unmittelbaren) nachfahren des menschen in der evolution, der in
symbiose mit der technik besser leben kann als der jetzige mensch (auch
eine verschmelzung beider wesen zur optimierung der menschlichen
fähigkeiten wird in dieser ideologie willkommen geheißen).
extropianer - der wunsch nach einem übermensch
zu erst muss erklärt werden, dass hier die extropie eine
technologieversierte philosophie ist, die max more mit seinen anhängern
vor etwa 10 jahren kreiert hat und deshalb nicht wirklich einem land zu
geordnet werden soll. entstehungsgeschichtlich ist sie aber der
kalifornischen ideologie zugehörig und zu jenem zeitpunkt erst
entstanden, wo der technologie und computer glaube transhumanistische
züge angenommen hat und ihr temporäres ziel nun in der erschaffung
eines posthumanisten menschen sieht. temporär deshalb, weil nach max
mores these es immer weitergehn muss in der evolution und der mensch
sicherlich nicht das schlußlicht davon bilden sollte, was aber auch
bedeuten kann, dass in ferner zukunft der mensch an sich nicht
unbedingt mehr die dominierende intelligenz verkörpern müsste, sondern
ablösbar wäre. mit folgenden fünf punkten möchte ich die ideologie kurz
festhalten - die extropianischen prinzipien lauten: 1. grenzenlose
expansion 2. selbsttransformation 3. dynamischer optimismus 4.
intelligente technologien und als letzter punkt 5. spontane ordnung.
nach deren weltansicht wird der technische fortschritt in den nächsten
60-70 jahren folgendes möglich machen: übermenschliche intelligenz,
biologische unsterblichkeit, kolonialisierung des alls und
immerwährende glückseligkeit. der natürliche körper gilt nicht als das
ende der entwicklung, die verbindung von körper und maschinen wird neue
entwicklungen und verbesserungen des menschen möglich machen. das
menschliche soll durch das 'nachmenschliche' (posthumane) oder das
übermenschliche abgelöst werden. meiner meinung nach sind die
extropianer deshalb sehr wichtig in der kontextualisierung als
schlüsselfiguren zu sehen, weil sie den aspekt der direkten
verschmelzung mit der maschine als optimalste lösung für ein
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05.11.2002
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zusammenleben sehen. die langwierige interface debatte führte zu
weiteren noch weiter ausufernderen debatten (meistens schon in den
bereichen der literaturwissenschaft zirkulierend) und das code working
aus künstlerischer sicht könnte mit dem prozess der datenvisualisierung
kurzgeschlossen werden. die extropianer verteidigen vehement ihre
thesen und mitglieder sitzen meistens in höheren positionen von
forschungsinstituten im bereich robotik, KI und informatik; hier wären
nur einige namen zu nennen, wie: marvin minsky (MIT media-lab), kevin
kelly (WIRED) oder der roboter papst himself hans moravec.
in japan und amerika sind roboter schon bereits bestandteile der
digitalen kultur (zb als elektronisches haustier). in europa werden nun
roboter in zeitschriften jugendlichen zum selber basteln und vor allem
selber programmieren angeboten. lego mindstorm ist in künstlerischen
bereichen bereits zur strategie geworden. da eventuell zur späteren
stunde eine roboter/cyborg diskussion stattfinden wird, beschränke ich
mich nun zu allerletzt nur auf die extropianer mit der intention zu
zeigen, dass bereits damals in den gründerjahren des extropischen
kultes ein dermaß komplexes, technisches verständnis geherrscht hat,
das weit über den 'ordinären' ansprüchen des heutigen digitalen
biedermeier bürgers und seinen denkfähigkeiten hinausgegangen ist und
eventuell sogar wegweisend sein könnte. anfänglich wurden mores thesen
als sci-fi unfug beschimpft, nun werden sie in den debatten um KI und
robotik als denkstruktur immer öfter mit einbezogen. sollten die
extropischen prinzipien als lösungsformel für mehrere dilemma in den
untergehenden (japan), momentanen (digitalBIEDERMEIER) und aufkommenden
(indien) techno-kulturen passen - metaphorisch und im vergleich
gesprochen das leben nach der märz revolution 1848 skizzieren, so
stellt sich nun die frage, wie der digitale bürger nach diesem umbruch
aussehen könnte.
?
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