Die Messung von Neutrinos aus Supernova

Transcrição

Die Messung von Neutrinos aus Supernova
Die Messung von Neutrinos aus
Supernova-Explosionen bei Double Chooz
von Stefan Brisken
Diplomarbeit in Physik
vorgelegt der
Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften
der RWTH Aachen
im Mai 2007
angefertigt im 3. Physikalischen Institut B
Aufgabensteller:
Zweitgutachterin:
Prof. Dr. Achim Stahl, 3. Physikalisches Institut B
Prof. Dr. Laura Baudis, 1. Physikalisches Institut B
Kurzreferat
Die Supernova SN1987A in der großen Magellanschen Wolke im Abstand von 50 kpc
war die bislang einzige Supernova, von der ein Neutrinoausbruch auf der Erde nachgewiesen werden konnte. Die Wasser-Cherenkov-Detektoren IMB und Kamiokande registrierten zusammen 19 Ereignisse. Sowohl für die Teilchenphysik als auch für die Astrophysik konnten wichtige Erkenntnisse gewonnen werden. Nun, 20 Jahre später, steht die
nächste Generation von Neutrinodetektoren bereit und könnte bei einer galaktischen
Supernova tausende von Neutrinos nachweisen. Der neue Double Chooz-Detektor wird
aus zwei baugleichen Flüssigszintillatordetektoren bestehen, deren Aufgabe die Messung
von Antielektronneutrinos aus einem Kernreaktor ist. Ziel des Experiments ist die Bestimmung des elektroschwachen Mischungswinkels θ13 . Im ersten Teil dieser Arbeit wird
eine Abschätzung der Neutrino-Ereignisrate für Double Chooz im Falle einer Supernova
im galaktischen Zentrum (Entfernung 8 kpc) vorgestellt. Dabei werden sämtliche möglichen Neutrinosorten und Nachweisreaktionen berücksichtigt. Der zweite Teil beschreibt
die Entwicklung einer Neutrinomassen-Analyse aus dem Zeitevolutionsspektrum einer
Supernova, ohne sich dabei auf Double Chooz im Speziellen zu beschränken.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
4
2 Hintergrund
2.1 Supernova-Explosionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
6
2.1.1
2.1.2
2.1.3
2.1.4
2.2
Typ Ia Supernovae . . . . . . .
Kernkollapssupernovae . . . . .
Die Häufigkeit von Supernovae .
Die Supernova SN1987A . . . .
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Der Double Chooz Detektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2.1 Nachweisreaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2.2 Detektoraufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
11
12
3 Eine Abschätzung der Event-Anzahl bei Double Chooz
15
3.1 Annahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
3.1.1
3.1.2
3.1.3
3.1.4
3.2
3.3
Das Energiespektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die Gesamtzahl der emittierten Neutrinos eines Flavours
Die Entfernung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Mögliche Nachweisreaktionen . . . . . . . . . . . . . . .
3.1.5 Wirkungsquerschnitte . . .
3.1.6 Anzahl der Target-Teilchen
Analyse . . . . . . . . . . . . . . .
Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . .
2
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INHALTSVERZEICHNIS
3.4
3
Der Effekt von Neutrino-Oszillationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
4 Eine Methode zur Bestimmung der Elektron-Neutrinomasse
31
4.1 Die Beziehung zwischen Masse und Fluggeschwindigkeit . . . . . . . . . . 31
4.2
4.3
4.4
Modell eines Supernova-Neutrinospektrums . . . . . . . . . . . . . . . . .
Supernova-Monte-Carlo-Generator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Log-likelihood-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
38
40
4.5
Das Analyse-Programm . . .
4.5.1 2D-Log-likelihood-Fit .
4.5.2 Fehlerberechnung beim
Analyse-Tests . . . . . . . . .
4.6
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Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
4.6.1
4.6.2
4.6.3
4.6.4
4.7
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2D-Log-likelihood Fit
. . . . . . . . . . . . .
Konvergenz-Test . . . . . . .
√
1/ n-Abhänigkeit des Fehlers
1σ-Konsistenz-Test . . . . . .
Modifikationen . . . . . . . .
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5 Fazit
57
A Danksagung
59
B Tabellen
63
Kapitel 1
Einleitung
Das Double Chooz Experiment ist ein Reaktorantineutrinoexperiment in den französischen Ardennen. Es soll 2008 in Betrieb gehen. Hauptziel des Experiments ist die Messung des Mischungswinkels θ13 . Es besteht aus zwei nahezu baugleichen FlüssigszintillatorDetektoren im Abstand von ∼ 1 km. Diese Detektoren werden in der Lage sein, An-
tielektronneutrinos oberhalb einer Energieschwelle von 1.8 MeV nachzuweisen, die im
Kernkraftwerk Chooz B erzeugt werden.
Eine Supernova vom Typ Ib, Ic, oder II ist die spektakuläre Explosion eines Sterns am
Ende seines Lebenswegs. Eine solche Explosion emittiert neben allen anderen Neutrino-
sorten auch Antielektronneutrinos im Energiebereich 0 − 100 MeV. Die Double-Chooz
Detektoren sollten also prinzipiell in der Lage sein diese nachzuweisen. In Kap. 2 wird
sowohl der theoretische Hintergrund zu Supernova-Explosionen, als auch der Aufbau des
Double-Chooz Detektors vorgestellt.
Innerhalb des vergangenen Jahrtausends wurden ingesamt nur fünf Supernovae innerhalb unserer Milchstraße im optischen Bereich beobachtet. Es wird aber vermutet, dass
die Häufigkeit um ungefähr eine Größenordnung höher liegt, die meisten Explosionen
allerdings optisch nicht sichtbar sind, da der Staub in der galaktischen Ebene für Photonen nicht transparent ist. Die nur schwach wechselwirkenden Neutrinos hingegen können
selbst große Mengen von Materie nahezu ungehindert durchdringen. So sollte es möglich
sein, Supernovae nachzuweisen, die optischen Teleskopen verborgen blieben. Sollte sich
4
Kapitel 1. Einleitung
5
eine Supernova ereignen, deren Sichtbarkeit nicht durch galaktischen Staub unmöglich
gemacht wird, so könnten Neutrinodetektoren als eine Art Frühwarn-System fungieren,
da Neutrinos einige Stunden vor den ersten Photonen aus einer Supernova entkommen
können. Astronomen wären so in der Lage, zum ersten Mal das Anfangsstadium einer
Sternexplosion optisch zu beobachten.
In Kap. 3 wird daher am Beispiel einer hypothetischen Supernova im galaktischen Zentrum (Entfernung 8 kpc) überprüft, welche Ereignisanzahl im Double-Chooz Detektor
zu erwarten wäre. Dabei wird neben der Rate von Antielektronneutrinos auch die aller
anderen Sorten überprüft. Es kann sich hier natürlich nur um eine grobe Abschätzung
handeln, da viele der für eine exakte Berechnung notwendigen Variablen (wie z.B. das
Energiespektrum einer Supernova) nur bedingt bekannt sind oder sich auch von einer
Supernova zur anderen unterscheiden können.
Die prinzipielle Nachweisbarkeit von Supernova-Neutrinos wurde bereits anhand der Supernova SN1987A belegt. In den beiden Wasser-Cherenkov-Detektoren Kamiokande und
IMB konnten 19 Ereignisse einem Ausbruch in der großen Magellanschen Wolke in 50kpc
Entfernung zugeordnet werden. Unterdessen sind eine ganze Reihe von Neutrinodetektoren (wie z.B. SuperKamiokande, LVD, KamLAND) in Betrieb, die abhängig von der
Entfernung wohl mehrere tausend Ereignisse nachweisen könnten. Sowohl Teilchen- als
auch Astrophysiker warten nun mit Spannung auf eine mögliche Supernova-Explosion,
könnten dadurch doch wichtige Eigenschaften von Neutrinos untersucht werden, aber
auch der Explosionsmechanismus selbst.
Eine der wichtigsten Eigenschaften, über die die Messung von Neutrinos aus einer Supernova Aufschluss geben könnte, wäre ihre Masse. In Kap.4 wird daher eine Analyse
entwickelt, mit der aus dem Zeit-Energie-Spektrum der Neutrinos auf deren Masse geschlossen werden kann. Dabei wird die Abhängigkeit der Fluggeschwindigkeit von der
Masse und der Energie der Teilchen benutzt. Die Gültigkeit dieser Analyse wurde anschließend, auch mit Hinblick auf die Größe des statistischen Fehlers in Abhängigkeit
von der Ereignisanzahl, anhand von Monte-Carlo Datensätzen getestet.
Kap.5 fasst die Ergebnisse dieser Arbeit zusammen und diskutiert, welcher Nutzen aus
der Messung von Supernova-Neutrinos bei Double Chooz gezogen werden könnte.
Kapitel 2
Hintergrund
2.1
Supernova-Explosionen
Eine Supernova-Explosion bedeutet das Ende der aktiven Lebensdauer eines Sterns.
Aus historischen Gründen unterscheidet man zwischen Supernovae vom Typ I (a, b
und c), in deren Spektrum man keine Wasserstoff-Absorptionslinien gefunden hat, und
Supernovae vom Typ II, in denen genau das der Fall war. Tatsächlich kann man aber die
Typen Ib, Ic und II zu so genannten Kernkollapssupernovae zusammenfassen, während
der Explosionsmechanismus bei Typ Ia Supernovae ein gänzlich anderer ist.
2.1.1
Typ Ia Supernovae
Massenarme Hauptreihensterne beenden ihren Lebensweg als weißer Zwerg. Das sind
äußerst kompakte Objekte, die meist aus Sauerstoff oder Kohlenstoff bestehen und in
denen keine weitere Kernfusion stattfindet. Dem Gravitationsdruck wirkt nur noch der
quantenmechanische Entartungsdruck der Elektronen entgegen. Die Masse eines weißen
Zwerges kann 1.4M (die sog. Chandrasekhar-Grenze) nicht übersteigen, da sonst der
Entartungsdruck nicht mehr ausreicht, um den Gravitationsdruck zu kompensieren. In
Fällen, in denen ein solcher weißer Zwerg zusammen mit einem Hauptreihenstern ein
Doppelsternsystem bildet, kann es passieren, dass Materie vom Begleiter auf den wei-
6
Kapitel 2. Hintergrund
7
ßen Zwerg überströmt. Wird dadurch die Grenze von 1.4 M überschritten, zieht sich
der weiße Zwerg unter dem übermächtigen Gravitationsdruck weiter zusammen, seine
Temperatur steigt dabei immer weiter an, bis überall im weißen Zwerg relativ zeitgleich
thermonukleares Brennen einsetzt. Da solche Supernovae immer gleich hell sind, eignen
sie sich zur Entfernungsbestimmung in der Astronomie als sog. Standardkerzen. Für die
Neutrinophysik sind sie aber uninteressant.
2.1.2
Kernkollapssupernovae
Ein massereicher Stern mit einer typischen Masse von ∼ 20M endet in einer Kernkol-
lapssupernova. Eine solche Supernova ist gekennzeichnet durch einen plötzlichen Gravitationskollaps des Kerns, der einen gewaltigen Neutrinoausbruch verursacht und eine
Schockwelle auslöst, durch die die äußeren Sternschichten explosionsartig weggesprengt
werden. Für kurze Zeit leuchtet die Supernova heller als alle anderen Sterne einer Galaxie zusammengerechnet. Übrig bleibt eine sich im Raum ausbreitende Gaswolke und
ein Neutronenstern bzw., falls der Kern nach Wegschleudern der äußeren Schichten noch
eine Masse von über ∼ 2.5M erreicht, ein schwarzes Loch.
Der Ablauf eines solchen Ereignisses ist recht kompliziert. Solange im Innern des Sternkerns der nukleare Brennstoff noch nicht verbraucht ist, wirkt der durch Fusion erzeugte
Strahlungsdruck dem Gravitationsdruck entgegen, der Stern befindet sich in einem dynamischen Gleichgewicht. Wenn der Brennstoff erschöpft und die Masse des Sternkerns
höher als 1.4M ist, kommt es unvermeidlich zum Gravitationskollaps. Dieser läuft innerhalb von ∼ 100 ms ab [Schm97]1 . Unter dem extrem hohen Druck werden nun die
Elektronen über die Reaktion (Neutronisation)
e− + p −→ n + νe
(2.1)
in die Protonen gedrückt. Dabei entstehen Neutronen, die von da an den Neutronenstern
bilden, und Elektronneutrinos, die in großem Maße Energie vom Stern abtransportieren.
Der Ablauf dieser Reaktion dauert ca. 5 ms [[Tot98]] und wird als anfänglicher Neutrinoausbruch (im Englischen initial- oder neutronization burst) bezeichnet. Durch die enorme
1
Wenn nicht anders angegeben, stammen alle Daten in Kap. 2.1 aus [Schm97]
Kapitel 2. Hintergrund
8
Heftigkeit des Kollapses wird die Materie im Innern des Sternkerns kurzzeitig auf Dichten komprimiert, die höher sind als die Materiedichte in Atomkernen(∼ 2.5·1011 kg/cm3 ),
die praktisch inkompressibel sind. Die einstürzende Materie des Sternkerns prallt zurück
und löst eine nach außen laufende Stoßwelle aus, die außerhalb des Kerns auf die äußeren Materieschichten des Sterns trifft und diese zur Explosion bringt. Die beim Kollaps
freiwerdende Energie ergibt sich aus der zuvor im Kern gespeicherten gravitativen Bindungsenergie zu
GN M 2 Kern
EB ≈
≈ 3 · 1053 erg = 3 · 1046 J = 1.9 · 1059 MeV ,
RKern
wobei GN = 6.67·1011 kg−1 m3 s−2 die Gravitationskonstante ist und MKern ≈ 1.4M und
RKern ≈ 103 km Masse und Radius des Sternkerns sind. Von dieser Energie gehen ”nur”
∼ 1042 J in die gesamte elektromagnetische Strahlung und ∼ 1044 J in die kinetische
Energie der explodierende Sternhülle. 99%, also fast die gesamte Energie, wird durch
Neutrinos abgeführt. Diese werden vor allem durch zwei Prozesse erzeugt:
• Aus der schon erwähnten Neutronisation (Gl. 2.1) ensteht der anfängliche Ausbruch von νe s, der mit einer Energie von ∼ 2 · 1045 J eher einen geringen Teil der
letztendlich emittierten Neutrinos ausmacht.
• Die meisten Neutrinos (∼ 90%) stammen aus der thermischen Neutrinopaarerzeugung
e+ + e− −→ να + ν̄α mit α = e, ν, τ,
durch die der Kern abgekühlt wird (sog. Kelvin-Helmholtz-Neutrino-Kühlung). Die
e+ und e− stammen hauptsächlich aus Paarerzeugungen durch energiereiche Photonen. Bei diesem Prozess wird die Energie ungefähr gleich auf die drei Neutrinoarten verteilt. Die Energieverteilung jeder einzelnen Neutrinoart folgt dabei ungefähr
einer Fermi-Dirac-Verteilung mit Temperaturen von einigen MeV.
Die erzeugten Neutrinos können den Kern wegen seiner ungeheuren Dichte nicht ungehindert verlassen. Trotz ihres extrem kleinen Wirkungsquerschnitts wird er ab einer
Kapitel 2. Hintergrund
9
Dichte oberhalb von ∼ 2 · 108 kg/cm3 opak, d.h. die mittlere freie Weglänge eines Neutrinos wird kleiner als der Kerndurchmesser. Die wichtigsten Reaktionen der Neutrinos
mit der Kernmaterie sind
1. elastische Streuung an Atomkernen oder Nukleonen ν/ν̄ + A −→ ν/ν̄ + A
2. Neutrino-Elektron-Streuung ν/ν̄ + e− −→ ν/ν̄ + e−
3. Neutrino Paarvernichtung ν + ν̄ −→ e+ + e−
4. Neutrino-Einfang νe + n −→ p + e− , ν̄e + p −→ n + e+
Unterhalb welcher Dichte die Kernmaterie für eine Neutrinosorte wieder transparent
wird, hängt von den Prozessen ab, an denen sie teilnimmt, sowie von den Wirkungsquerschnitten dieser Prozesse für diese Neutrinosorte. So ist zum Beispiel der zweite
Prozess, Neutrino-Elektron-Streuung, für µ- und τ -Neutrinos wegen der Leptonfamilienzahlerhaltung nur über Austausch eines Z-Bosons möglich, wohingegen die Streuung
von e-Neutrinos sowohl über W - als auch Z-Austausch stattfinden kann. Als Folge ist der
Wirkungsquerschnitt für diesen Prozess für e-Neutrinos höher als für µ- und τ -Neutrinos.
Ebenso ist aus Gründen der Helizitäts- und Drehimpulserhaltung die Rückwärtsstreuung
für Antineutrinos beim W -Austausch unterdrückt und ihr Wirkungsquerschnitt niedriger als der von Neutrinos.
Das heisst also, für µ- und τ -Neutrinos wird die Kernmaterie weiter innen transparent
als für ν̄e , aber für diese wiederum weiter innen als für νe . Daraus ergeben sich verschiedene Temperaturen (bei Fermi-Verteilung: Ē = 3.15 · kB T . Dabei wird kB = 1 gesetzt
und T in der Einheit MeV angegeben) für jede Neutrinosorte, z.B. 3MeV für νe , 4.5MeV
für ν̄e und 6 MeV für die anderen Sorten. Da von allen Neutrinos ungefähr der gleiche
Anteil an Energie weggetragen wird, sind die Flüsse für Sorten mit höherer Temperatur
entsprechend niedriger.
2.1.3
Die Häufigkeit von Supernovae
Die Häufigkeit von Supernova-Ereignissen ist schwer zu bestimmen. Eine mit großen
Unsicherheiten behaftete Abschätzung besagt, dass in einer Galaxie wie der unsrigen
Kapitel 2. Hintergrund
10
mit ∼ 2 · 1011 Sternen ein solches Ereignis im Mittel etwa alle 40 Jahre einmal vor-
kommt. Allerdings lassen sich nicht alle Supernovae in unserer Galaxie optisch beobachten, da die weiter entfernt liegenden vom Staub der galaktischen Scheibe verdeckt
werden. Tatsächlich wurden in den letzen 1000 Jahren auch nur 5 Supernovae innerhalb
der Milchstraße beobachtet, die letzte 1604 durch Johannes Kepler. Für Neutrinos ist
der galaktische Staub allerdings durchlässig, so dass sich die Beobachtungsrate durch
die neuen Neutrinodetektoren in Zukunft vermutlich erhöhen wird.
2.1.4
Die Supernova SN1987A
Die einzige Supernova, von der bisher ein Neutrinoausbruch beobachtet wurde, war die
SN1987A, die sich am 23.2.1987 in der Großen Magellanschen Wolke in 50kpc Entfernung ereignete. Ihr Vorläuferstern war Sanduleak, ein blauer Überriese mit ∼ 20M .
Die beiden Wasser-Cherenkov-Detektoren Kamiokande und IMB konnten insgesamt 19
Ereignisse nachweisen. An dieser Supernova orientiert man sich seitdem in der Physik.
Wichtige Ergebnisse, die anhand der Kamiokande- und IMB-Daten gewonnen wurden,
sind z.B.:
• Die Anzahl der insgesamt emittierten Neutrinos betrug ∼ 8 · 1057
• Die gesamte abgestrahlte Energie betrug ∼ (2 ± 1) · 1046 J
• Die Gesamtdauer des ν-Pulses war ∼ 10 s
• Masse und Radius des Neutronensterns konnten zu ∼ 1.4M bzw. (30 ± 20) km
abgeschätzt werden.
• Es konnten Limits auf einige Neutrinoeigenschaften wie Masse, Anzahl der Familien, magnetisches Moment, Lebensdauer und Ladung angegeben werden.
• Die gemessenen Ereignisse waren praktisch alles ν̄e -Ereignisse. Nur bei einem wird
diskutiert, ob es sich eventuell um eine andere Neutrinosorte gehandelt haben
könnte.
Kapitel 2. Hintergrund
2.2
11
Der Double Chooz Detektor
Das Double Chooz Experiment ist ein zukünftiges Disappearance-Experiment mit Elektron-Antineutrinos, die im Kernreaktor des Kraftwerks Chooz B erzeugt werden. Es
besteht aus zwei nahezu baugleichen Flüssigszintillator-Detektoren, einem Nah- und einem Ferndetektor, zwischen denen Neutrino-Oszillationen gemessen werden sollen. Zum
Schutz gegen kosmische Strahlung werden beide Detektoren in unterirdischen Laboratorien aufgebaut. Der Ferndetektor wird in 1.05 km([DC06])1 Entfernung von den Reaktorkernen entfernt installiert und liegt unter einer Felsdecke von 300 m.w.e (meters
water equivalent). Der Nahdetektor liegt 250 − 300 m entfernt von den Reaktoren und
unter einer Felsdecke von 70 − 80 m.w.e.. Planmäßige Inbetriebnahme des Ferndetektors
soll Anfang 2008 sein, der Nahdetektor soll zwei Jahre später folgen. Als Laufzeit des
Experiments sind insgesamt fünf Jahre vorgesehen.
2.2.1
Nachweisreaktion
Der Nachweis der Antineutrinos erfolgt über den sog. inversen Beta-Zerfall. Dabei trifft
ein Antineutrino auf ein freies Proton und erzeugt dabei ein Positron und ein Neutron.
Die Reaktionsgleichung dafür lautet
ν̄e + p −→ n + e+ .
Die Energieschwelle für diese Reaktion liegt bei 1.8 MeV und ergibt sich aus der Differenz der Massen der Reaktionsprodukte zu den Reaktionsedukten. Dies ist zugleich die
Nachweisschwelle für Antineutrinos im Double Chooz Detektor. Das entstandene Positron annihiliert mit einem Elektron zu zwei oder drei Photonen. Diese erzeugen dann
Szintillationslicht, das mit Hilfe von Photomultipliern nachgewiesen wird. Das Neutron
kann von einem Atomkern eingefangen werden und so einen angeregten Kern erzeugen,
der ebenfalls Photonen emittiert. Die Koinzidenz aus Elektron-Positron-Annihilation
und Neutron-Einfang erzeugt das charakteristische Signal zum Nachweis von Antineutrinos.
1
Alle Daten in Kap. 2.2 stammen aus [DC06]
Kapitel 2. Hintergrund
2.2.2
12
Detektoraufbau
Die Struktur des Detektors besteht aus koaxialen Zylindern. Die beiden innersten, das
sog. Inner Target und der γ -Catcher bestehen aus Acryl, das transparent für Photonen
mit Wellenlängen über 400 nm ist.
Das Inner Target hat ein Volumen von 10.3 m3 und ist gefüllt mit flüssigem Szintillator.
Der Szintillator besteht zu 20% aus PXE (C16 H18 ) und zu 80% aus Dodekan(C12 H26 ).
Außerdem ist noch eine geringe Menge an Gadolinium (Gd) beigemischt, da es
einen sehr hohen Wirkungsquerschnitt für Neutroneneinfang hat.
Der γ-Catcher ist befüllt mit 21.5 m3 Flüssigszintillator mit der gleichen Zusammensetzung wie das Inner Target, allerdings ohne Beimischung von Gadolinium. Er soll
garantieren, dass die Photonen aus der Nachweisreaktion auf jeden Fall detektiert
werden.
Der Buffer besteht aus einem Edelstahl-Tank und umschließt die γ-Catcher-Region.
Er enthält ca. 100 m3 nicht-szintillierendes Mineralöl. Auf die Innenwand des Buffers werden die Photomultiplier montiert, die das Inner Target und den γ-Catcher
beobachten. Man installiert einen Buffer, um die intrinsische Radioaktivität der
Photomultiplier, des Stahltanks und anderer Detektorkomponenten von der Szintillatorflüssigkeit fernzuhalten und reduziert so den Untergrund. Außerdem verhindert man Ereignisse, die zu nah an einem Photomultiplier stattfinden. Bei solchen Ereignissen wäre die Ereignisenergie nicht mehr proportional zur gemessenen
Lichtmenge.
Das Inner Veto wird ebenfalls von einem zylindrischen Edelstahltank umschlossen. Es
ist befüllt mit ca. 87 m3 szintillierendem Mineralöl und an seiner Innenseite sind
ebenfalls Photomultiplier montiert. Myonen kosmischen Ursprungs und durch diese
erzeugte Neutronen sowie radioaktive Strahlung aus dem umgebenden Gestein
können so identifiziert und vom Neutrinosignal getrennt werden.
Die Abschirmung der beiden Detektoren besteht aus einer Verkleidung aus 17cm dicken
Kapitel 2. Hintergrund
13
Edelstahl, der die Mantelfläche und den Boden des Inner Veto Tanks umschließt.
Durch den Stahl werden radioaktive Strahlen aus der Umgebung abgehalten.
Das Outer Veto überdacht den Detektor und ergänzt die Identifikation von Myonen des
Inner Vetos. Es wird aus Festkörperszintillator-Detektoren bestehen. Die Geometrie des Outer Vetos ist für Nah- und Ferndetektor verschieden. Beim Ferndetektor
ist der Platz durch das schon existierende Untergrundlabor begrenzt. Die Fläche
des Outer Vetos über dem Ferndetektor ist deshalb nur ungefähr halb so groß wie
über dem Nahdetektor.
Kapitel 2. Hintergrund
14
Abbildung 2.1: Der Aufbau des Double Chooz Detektors. Die zwiebelschalenartige Struktur enthält von innen nach außen a) das Inner Target, b)den γ-Catcher, c) den Buffer,
d) das Inner Veto. Nicht abgebildet sind die Stahl-Ummantelung und das Outer Veto
(Bild: [DC06])
Kapitel 3
Eine Abschätzung der Event-Anzahl
bei Double Chooz
3.1
Annahmen
Eine Vielzahl von Variablen sind entscheidend für die Anzahl der Ereignisse, die ein
Neutrino-Detektor im Falle einer Supernova messen kann:
• Das zeitintegrierte Energiespektrum der emittierten Neutrinos
• Die Gesamtzahl der emittierten Neutrinos eines Flavours
• Die Entfernung, in der sich die Supernova ereignet
• Die möglichen Nachweisreaktionen im Detektor
• Der energieabhängige Wirkungsquerschnitt der Nachweisreaktionen
• Die Anzahl der Target-Teilchen im Detektor
Die Variablen, die nur im Zusammenhang mit dem Detektor stehen (z.B. Anzahl der
Target-Teilchen), kennen wir sehr genau. Für solche, die eine genaue Kenntnis der Supernova voraussetzen (wie etwa die Gesamtzahl der emittierten Neutrinos), sind wir auf
15
Kapitel 3. Eine Abschätzung der Event-Anzahl bei Double Chooz
16
grobe Annahmen angewiesen. Diese stützen sich zumeist auf theoretische Überlegungen
sowie die Messdaten aus der Supernova SN1987A.
3.1.1
Das Energiespektrum
Das zeitintegrierte Energiespektrum gibt die differentielle Luminosität dL/dE in Abhängigkeit von der Neutrinoenergie an. Wie oben schon erwähnt, folgt dies zumindest ungefähr
einem Fermi-Dirac-Spektrum. Für diese grobe Abschätzung ist diese Annahme aber
vollkommen ausreichend. Das Fermi-Dirac-Spektrum ist gegeben durch [Keil03]:
dL
Eν 2
∝
dE
exp kBET + 1
dL/dE [1/MeV]
Das Spektrum muss so normiert werden, dass das Integral die Gesamtzahl der emittierten
Teilchen ergibt, die im nächsten Abschnitt berechnet wird.
0.06
0.05
0.04
0.03
0.02
0.01
0
0
10
20
30
40
50
60
Energie[MeV]
Abbildung 3.1: Fermi-Dirac-Spektrum mit einer Temperatur von 4.5M eV und chemischen Potential 0, einer für Supernovae gebräuchlichen Annahme.
Kapitel 3. Eine Abschätzung der Event-Anzahl bei Double Chooz
3.1.2
17
Die Gesamtzahl der emittierten Neutrinos eines Flavours
Die totale Luminosität einer Supernova hängt im Wesentlichen von der Größe und der
Masse ihres Vorläufersterns bzw. dessen kollabierenden Kerns ab. Aus Kapitel 2.1.2
entnehmen wir MKern ≈ 1.4M und RKern ≈ 103 km. Daraus ergibt sich die ebenfalls in
2.1.2 berechnete Bindungsenergie zu ∼ 3 · 1046 J. Diese verteilt sich gleichmäßig auf die
sechs Neutrinosorten. Die Luminosität L für eine bestimmte Sorte ergibt sich also aus
L=
0.5 · 1046 J
Ēν
(1 eV = 1.6 · 10−19 J) ,
wobei E¯ν = 3.15 · T [M eV ] die durchschnittliche Energie einer Neutrinosorte ist. Mit
Tνe = 3 MeV, Tν̄e = 4.5 MeV und Tνµ,τ = 6 MeV ergibt sich
Lνe = 3.31 · 1057
(3.1)
Lν̄e = 2.20 · 1057
Lνµ,τ = 1.65 · 1057
3.1.3
(3.2)
(je Sorte)
(3.3)
Die Entfernung
Der Durchmesser der Milchstraße beträgt 25 kpc. Die größte Anhäufung von Sternen
und damit auch die größte Wahrscheinlichkeit für eine Supernova gibt es im Zentrum
der Milchstraße. Dieses ist 8 kpc von der Erde entfernt. Daher wird für die Abschätzung
für eine Supernova in d = 8 kpc gemacht. Die Neutrinoflussdichte F verhält sich zum
Abstand d wie
L
F (d) =
.
4πd2
Die Event-Rate in einem Detektor ist direkt proportional zur Flussdichte. Um also die
Event-Rate bei anderem d zu errechnen, ist einfach mit (8 kpc/d) 2 zu multiplizieren.
3.1.4
Mögliche Nachweisreaktionen
Eine Kernkollapssupernova emittiert ν und ν̄, sowohl e-, µ- als auch τ -artige. Das
Nachweismedium bei Double Chooz im Inner Target und im γ-Catcher besteht zu 20%
Kapitel 3. Eine Abschätzung der Event-Anzahl bei Double Chooz
18
aus PXE (C16 H18 ) und zu 80% aus Dodekan(C12 H26 ), d.h. als Target-Teilchen stehen
Kohlenstoff-Kerne, freie Protonen und Elektronen zur Verfügung. Aus dieser Kombination ergeben sich folgende mögliche Nachweisreaktionen:
1. Inverser Beta-Zerfall ist die normale Nachweisreaktion, mit der bei Double
Chooz auch die Antineutrinos aus dem Kernreaktor nachgewiesen werden.(s.Kap.2.2.1)
Abbildung 3.2: Inverser β-Zerfall
2. Elastische Streuung an Protonen (Abb.3.3) kann prinzipiell mit allen Neutrinosorten stattfinden. Zwar gibt es keine Energieschwelle, die eine untere Grenze
für den Ablauf der Reaktion darstellen würde, allerdings kann dadurch auch die
kinetische Energie der Rückstoß-Protonen beliebig klein sein. Es besteht also die
Gefahr, dass eine elastische Neutrino-Proton-Streuung im Detektor nicht erkannt
wird, weil das Rückstoß-Proton nicht genug Energie im Detektor deponiert um die
niedrigste Triggerschwelle zu erreichen. Da, wenn überhaupt, nur das Proton im
Endzustand nachgewiesen werden kann, kann man nicht unterscheiden, um welche
Sorte es sich beim einlaufenden Neutrino handelte. Daher wird bei der Analyse
nur die Summe der Streuereignisse aller Sorten berücksichtigt.
Kapitel 3. Eine Abschätzung der Event-Anzahl bei Double Chooz
ν
19
ν
Z
p
p
Abbildung 3.3: Elastische Streuung an Protonen
3. Neutrino-Elektron-Streuung (Abb. 3.4) ist ebenfalls mit allen Neutrinosorten
möglich. Allerdings spielen dabei unterschiedliche Feynman-Graphen eine Rolle.
Für alle Neutrinosorten ist die Streuung mit Austausch eines Z-Bosons möglich
(rechter oberer Graph in Abb. 3.4). Der Austausch eines W-Bosons ist bei den
Energien, die die Supernova-Neutrinos mitbringen, nur für νe und ν̄e möglich. Dies
liegt daran, dass wegen der Erhaltung der Leptonfamilienzahl im Endzustand ein
geladenes Lepton aus der gleichen Familie wie dem einlaufenden Neutrino entstehen müsste, was bei µ- und τ -Leptonen aber energetisch nicht möglich ist. Das
macht sich im Wirkungsquerschnitt (Kap. 3.1.5) bemerkbar. Analog zur NeutrinoProton-Streuung kann auch hier nur das Elektron im Endzustand nachgewiesen
werden, und man kann nicht unterscheiden, um welche Sorte es sich beim einlaufenden Neutrino handelte. Daher wird auch bei dieser Reaktion nur die Summe der
Streuereignisse aller Sorten berücksichtigt. Auch für diese Reaktion gibt es keine
Schwellenenergie.
Kapitel 3. Eine Abschätzung der Event-Anzahl bei Double Chooz
e-
νe
ν
W
e-
νe
e-
20
ν
Z
e-
νe
W
e-
νe
e-
Abbildung 3.4: Die möglichen Feynman-Graphen in niedrigster Ordnung für NeutrinoElektron-Streuung
4. Reaktionen mit 12 C können mit νe ’s und mit ν̄e ’s stattfinden. Ein einfallendes
νe (Abb. 3.5,links) erzeugt im Endzustand ein Elektron und einen 12 N -Kern, der
innerhalb von 45 ms unter Emission eines e+ wieder in einen 12 C-Kern zerfällt.
Diese Reaktion ist kinematisch erlaubt ab einer Neutrinoenergie von 16.8 MeV
[Fug88]. Ein einfallendes ν̄e (Abb. 3.5,rechts) hingegen würde im Endzustand ein
e+ erzeugen und einen 12 B-Kern, der unter Emission eines e− wieder in einen 12 C
Kern übergeht. Die Schwelle für diese Reaktion liegt bei 13.9 MeV [Fug88].
Kapitel 3. Eine Abschätzung der Event-Anzahl bei Double Chooz
e-
νe
C12
e+
νe
W
21
W
N12
C12
B12
Abbildung 3.5: Neutrino-Reaktionen mit Kohlenstoff-12
3.1.5
Wirkungsquerschnitte
Der Wirkungsquerschnitt für den inversen β-Zerfall errechnet sich zu [DC06]
σ (Eν̄e ) = K · (Eν̄e − ∆) ·
q
(Eν̄e − ∆) 2 − m2e ,
wobei ∆ = 1.293 MeV die Differenz zwischen Neutron- und Protonmasse darstellt und
me = 0.511 MeV die Elektronmasse. Der Faktor K beträgt K = 9.559 · 10−44 cm2 /MeV2 .
Die Wirkungsquerschnitte für Neutrino-Elektron-Streuung der verschiedenen Sorten betragen nach [Pel]:
σνe e (E) = 9.5 · 10−45 cm2 · Eνe /MeV
σν̄e e (E) = 4.0 · 10−45 cm2 · Eν̄e /MeV
σνµ,τ e (E) = 1.6 · 10−45 cm2 Eνµ,τ e /MeV
σν̄µ,τ e (E) = 1.3 · 10−45 cm2 Eνµ,τ e /MeV
Die Wirkungsquerschnitte für die Reaktionen νe +12 C −→12 N + e− und ν̄e +12 C −→12
B + e+ sind diskrete Messwerte, die aus [Fug88] entnommen wurden. Sie sind in Tab.3.1
Kapitel 3. Eine Abschätzung der Event-Anzahl bei Double Chooz
22
aufgeführt.
Energie[MeV]
σνe (E) [1042 cm2 ]
σν̄e (E) [1042 cm2 ]
16
0
0.086
18
0.036
0.327
20
0.287
0.711
22
0.772
1.23
24
1.49
1.87
26
2.44
2.62
28
3.62
3.48
30
5.03
4.42
35
9.47
7.1
40
15.1
10.1
45
21.8
13.2
50
29.2
16.4
60
45.2
22.2
70
60.8
27
80
74.2
30.5
90
84.2
32.8
100
90.6
34.2
Tabelle 3.1: Energieabhängige Wirkungsquerschnitte für Neutrino-Raktionen an 12 C laut
[Fug88]
Der Wirkungsquerschnitt für elastische Neutrino-Proton-Streuung beträgt [Pel]
σνp (E) = 6.0 · 1046 cm2
3.1.6
Eν
.
MeV
Anzahl der Target-Teilchen
Das Volumenverhältnis des Detektormediums im Inner Target ist 80% C12 H26 zu 20%
C16 H18 , das Volumen für einen einzelnen Detektor beträgt 10.32 m3 [DC06]. Die Dichte
Kapitel 3. Eine Abschätzung der Event-Anzahl bei Double Chooz
23
von C12 H26 ist ρDod = 749 kg/m3 , die von C16 H18 ist ρP XE = 988 kg/m3 . Wir vernachlässigen seltene Isotope wie Deuterium oder Kohlenstoff-14. Dann beträgt die Molmasse von Dodekan MDod = (12 · 12 + 26 · 1) kg/kmol = 170kg/kmol und die von PXE
MP XE = (16 · 12 + 18 · 1) kg/kmol = 210 kg/kmol. Daraus errechnet sich die Anzahl der
Protonen und Kohlenstoffkerne im Target zu
ρP XE
ρDod
10.32 m 0.8 ·
· C12 H26 + 0.2 ·
· C16 H18
MDod
MP XE
= 36.4 · 12 kmol C + 9.7 · 16 kmol C + 36.4 · 26 kmol H + 9.7 · 18 kmol H
3
= 591.8 kmol C + 1120.4 kmol H .
Mit 1 kmol = 6.022 · 1026 ergibt sich die Anzahl der Protonen zu np = 6.75 · 1029 und die
Anzahl der Kohlenstoffkerne zu nC = 3.56 · 1029 . Die Anzahl Elektronen errechnet sich
dann aus
ne = np + 6 · nC = 2.81 · 1030 ,
da zu jedem Kohlenstoffatom sechs Elektronen gehören und zu jedem Wasserstoffatom
eines. Sowohl Elektronen, Protonen als auch Kohlenstoffkerne können als freie Teilchen
angesehen werden, da ihre chemischen Bindungen untereinander mit Bindungsenergien
von einigen eV vernachlässigbar klein gegenüber der kinetischen Energie der Neutrinos
sind. Diese liegt im Durchschnitt bei ∼ 10MeV (vergl. Kap.3.1.1). Der γ-Catcher enthält
bis auf den vernachlässigbar kleinen Gadolinium-Zusatz die gleiche Zusammensetzung
wie das Inner Target. Es finden also auch die gleichen Reaktionen im γ-Catcher statt.
Das Volumen von Inner Target+γ-Catcher ist mit
10.3 m3 + 21.5 m3
= 3.09
10.3 m3
3.09 mal größer als das des Inner Targets allein. Da die Event-Anzahl proportional zur
Anzahl der Target-Teilchen ist, lässt sie sich also durch Multiplikation mit 3.09 auf die
entsprechende Anzahl im gesamten inneren Detektor erweitern.
Kapitel 3. Eine Abschätzung der Event-Anzahl bei Double Chooz
3.2
24
Analyse
Wir haben nun alle Größen, die benötigt werden, um die Anzahl der Neutrino-Ereignisse
in einem Detektor innerhalb eines Energie-Intervalls dE abzuschätzen. Sie ergibt sich zu
dF (E)
dNW W
= σ(E)
· nT arget .
dE
dE
und ist proportional zur Flussdichte in einem Energieintervall dF/dE, zum energieabhängigen Wirkungsquerschnitt σ(E) und zur Zahl der Target-Teilchen nT arget . Um
die absolute Anzahl der Wechselwirkungen zu erhalten, muss man über die Energie integrieren:
Z
dF (E)
NW W = σ(E)
· nT arget dE
dE
Dies geschieht mittels eines ROOT-Makros numerisch.
3.3
Ergebnis
Die folgenden Ergebnisse beziehen sich auf die obigen Annahmen und gelten für das
Volumen von Inner Target + γ-Catcher zusammengenommen und enthalten die Summe
von Nah- und Ferndetektor. Die differentiellen Ereignisraten für verschiedene Reaktionen
sind in Abb. 3.6 dargestellt. Tabelle 3.2 gibt die totale, über die Energie integrierte
Anzahl der zu erwartenden Ereignisse an. Daraus geht hervor, dass der inverse β-Zerfall
mit Abstand die dominante Reaktion ist.
Die gröbste Unsicherheit bei dieser Abschätzung resultiert aus der vorher vollkommen
unbekannten Entfernung der Supernova. Abb. 3.7 zeigt, wie sich die erwartete Ereignisrate mit der Distanz ändert, wenn alle anderen Parameter festgehalten werden, und
gibt die Ereignisrate für einige bekannte Supernova-Kandidaten an. Auch für die Temperatur der Neutrinos findet man in der Literatur unterschiedliche Werte. Der bekannte
Neutrinophysiker John N. Bahcall gibt in [Bah89] eine ν̄e Temperatur von 4.1 MeV an,
während in [Bea02] mit 5 MeV gerechnet wird. Außerdem ist die absolute freigesetzte
Energie abhängig vom Kern des Vorgängersterns und von Supernova zu Supernova verschieden. Eine Abweichung der Ereignisanzahl um 30 − 40% von der Erwartung wäre
also auch keine Überraschung.
Kapitel 3. Eine Abschätzung der Event-Anzahl bei Double Chooz
25
Weiterhin sei erwähnt, dass das Ergebnis die Anzahl der Ereignisse ist, die im Detektor
stattfindet (also prinzipiell nachweisbar wäre), und nicht die, die tatsächlich nachgewiesen wird. Dazu bedürfte es einer Betrachtung des Untergrunds und ausführlicher
Simulationen der Effizienz des Detektors, was nicht Teil dieser Arbeit ist.
Eine besonders große Rolle spielt dies bei der elastischen Proton-Streuung, aber auch
bei der Elektron-Streuung. Im Gegensatz zum inversen β-Zerfall oder zu den Reaktionen an C12-Kernen überschreitet die bei diesen Reaktionen im Detektor deponierte
Energie nicht automatisch die Triggerschwelle des Detektors, die momentan bei 600 keV
vorgesehen ist. Eine Illustration der Energieverteilung der Rückstoßprotonen in einem
Flüssigszintillator-Detektor zeigt Abb. 3.8.
Eine Möglichkeit, die Wahrscheinlichkeit solche Ereignisse zu sehen zu erhöhen, besteht
darin, neben dem normalen Trigger eine Art Supernova-Trigger zu installieren, in dem
die Nachweisschwelle tiefer liegt. Ein weiteres Problem bei der Neutrino-Proton-Streuung
ist das sog. Quenching: Bei niederenergetischen Protonen ist die in Szintillationslicht
umgewandelte Energie geringer als die kinetische Energie der Protonen. Dies erschwert
das Überwinden der Triggerschwelle zusätzlich.
Eine Bewertung des Ergebnisses mit Hinblick auf seinen möglichen Nutzen befindet sich
in Kap. 5.
dN/dE
Kapitel 3. Eine Abschätzung der Event-Anzahl bei Double Chooz
1.2
26
Inv.Beta Evts.
Streuung an eC12 nach N12
C12 nach B12
Streuung an p
1
0.8
0.6
0.4
0.2
0
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Neutrino Energy/MeV
Abbildung 3.6: Die differentiellen Ereignisraten in Abhängigkeit von der Energie
für inversen Beta-Zerfall (schwarz), Streuung an Elektronen (rot), νe Reaktionen an
Kohlenstoff-12 (grün), ν¯e -Reaktionen mit Kohlenstoff-12 (blau) und elastische Streuung
an Protonen (pink).
Kapitel 3. Eine Abschätzung der Event-Anzahl bei Double Chooz
Reaktion
Erw. Ereignisse
inv. β-Zerfall
26
Proton-Streuung
4
−
e -Streuung
2
νe + C12 −→ N 12 + e−
1
Gesamt
34
ν̄e + C12 −→ B12 + e+
27
1
Tabelle 3.2: Ergebnis der Abschätzung der Ereignisrate im Falle einer Supernova (d =
8 kpc) im Double-Chooz Detektor. Die Werte gelten für beide Detektoren zusammen
und für das Volumen von Inner Target + γ-Catcher.
Kapitel 3. Eine Abschätzung der Event-Anzahl bei Double Chooz
28
Abbildung 3.7: Die Ereignisrate inverser β-Zerfälle bei Double-Chooz in Abhängigkeit
von der Distanz der Supernova. Eingezeichnet sind einige Supernova-Kandidaten der
näheren galaktischen Umgebung.
Kapitel 3. Eine Abschätzung der Event-Anzahl bei Double Chooz
29
Abbildung 3.8: Supernova-Spektrum der kinetischen Energie des Rückstoßprotons im
Flüssigszintillator-Detektor KamLAND (1kton, Annahmen: d = 10 kpc, Etot = 3 · 1046 J
, Fermi-Dirac-Spektrum mit Tνe = 3.5 MeV, Tν¯e = 5 MeV, TRest = 8 MeV) bei elastischer Neutrino-Proton-Streuung. Die durchgezogene Linie gibt die Summe aller Flavours
(gestrichelte Linien) an. Offensichtlich sind kleine Energien bevorzugt. Quelle:[Bea02]
3.4
Der Effekt von Neutrino-Oszillationen
Die aus [Schm97] entnommenen Werte für Temperatur und Neutrinofluss lehnen sich
an (die auf der Erde gemessenen) Messwerte aus der Supernova SN1987A an, die ausgerechnet wurden, bevor das Phänomen der Neutrinooszillationen experimentell belegt
werden konnte. Sie basieren sozusagen auf der Annahme, dass Fluss- und Temperatur-
Kapitel 3. Eine Abschätzung der Event-Anzahl bei Double Chooz
30
verhältnisse der einzelnen Neutrinosorten zueinander sich nicht geändert haben, während
die Neutrinos unterwegs sind. Unter der Annahme, dass alle 19 gemessenen Ereignisse
ν̄e -Ereignisse waren, erhält man aus ihnen also bereits die (Flussdichte-, Temperatur-)
Werte, wie sie durch Neutrinooszillation (bei Messung auf der Erde) für ν̄e ’s entstehen.
ν̄µ ’s und ν̄τ ’s hätten dann aufgrund der vollständigen Mischung während der langen
Flugstrecke die gleiche Temperatur und Flussdichte. Ebenso gelten dann für νµ und ντ
die gleichen Werte wie für νe . Diese können sich aber nur auf theoretische Überlegungen
stützen, da sie noch nie gemessen wurden.
Kapitel 4
Eine Methode zur Bestimmung der
Elektron-Neutrinomasse
4.1
Die Beziehung zwischen Masse und Fluggeschwindigkeit
Die Geschwindigkeit, mit der sich ein Teilchen bewegt, ist abhängig von seiner Masse
und seiner Energie. Ist m = 0, so bewegt es sich unabhängig von seiner Energie mit
Lichtgeschwindigkeit c. Hat es hingegen eine endliche Masse, so berechnet sich seine
Geschwindigkeit aus
s
√
E 2 − m2
p
m2
β=
=
= 1− 2 .
E
E
E
Für die Flugzeit, die ein solches Teilchen für eine Strecke d benötigt, gilt dann entsprechend:
t[s] =
d
d
= q
2
β·c
c 1 − m[EeV]
2
Die Zeitdifferenz zu einem lichtschnellen Teilchen ist dann
d
∆t = q
c 1−
31
m2
E2
−
d
.
c
Kapitel 4. Eine Methode zur Bestimmung der Elektron-Neutrinomasse
Durch eine Taylor-Entwicklung für kleine
∆t =
Wegen des kleinen Wertes von
möglich.
m2
E2
m2
E2
32
wird daraus
1 d m2
.
2 c E2
(4.1)
ist eine Messung von ∆t nur auf sehr große Distanzen
Ein Beispiel: Bei Double Chooz ist der Fern-Detektor 1 km von der Neutrinoquelle
entfernt. Typische Reaktorneutrino-Energien sind ca. 3 MeV. Die derzeitige MassenObergrenze für Elektron-Neutrinos liegt bei 2.2 eV [PDG]. Nach obiger Formel ergibt
sich daraus eine ∆t von ca. 10−18 s: Unmessbar! Selbst wenn man die Distanz zwischen Double Chooz und einem zweiten Detektor auf einem anderen Kontinent, wie
etwa SuperKamiokande in einer Entfernung von ∼ 10 000 km, benutzt, dann wäre der
Laufzeitunterschied mit 10−13 s um Größenordnungen zu klein für jede Messung.
Diese Methode zur Massenbestimmung nutzt die große Entfernung galaktischer Maßstäbe
aus. Im Folgenden wird d immer als Entfernung zu einer Supernova im Zentrum der
Milchstraße (d = 8 kPc) angenommen.
Kapitel 4. Eine Methode zur Bestimmung der Elektron-Neutrinomasse
33
8.0
7.2
6.4
5.6
4.8
delta t/ms
4.0
3.2
2.4
1.6
0.8
6
8
10
12
14
16
18
20
22
24
26
28
30
Energie/MeV
Abbildung 4.1: Unterschied in der Flugzeit zwischen einem masselosen Neutrino und
einem Neutrino mit m = 0.7 eV für eine Flugstrecke von d = 8 kpc
4.2
Modell eines Supernova-Neutrinospektrums
Das Modell eines Supernova-Neutrinospektrums gibt für die jeweilige Neutrinosorte
die differentielle Luminosität (im folgenden nur noch als Luminosität bezeichnet) in
Abhängigkeit von der Zeit und der Neutrino-Energie an. In dieser Arbeit wird das Modell
aus [Tot98] benutzt. Professor Totani stellte auf Anfrage zu diesem Zweck ein FortranProgramm zur Verfügung, das aus Stützpunkten einer von J.R.Wilson aus Daten der
Supernova 1987A erstellten Tabelle zu jeder beliebigen Energie zwischen 4 MeV und
256 MeV und zu jeder Zeit zwischen 0.001008 s und 18 s die Luminosität interpoliert.
Insgesamt gibt es 18 Stützpunkte in der Energie und 63 in der Zeit. Bei νe ’s kommen
Kapitel 4. Eine Methode zur Bestimmung der Elektron-Neutrinomasse
34
weitere 100 für den anfänglichen νe -Burst hinzu. Dieser macht das Spektrum markanter
als z.B. das ν̄e -Spektrum und damit geeigneter für einen Fit.
Zur Interpolation zwischen den Energie-Stützpunkten benutzt das Programm einen kubischen Spline, während zwischen den Zeit-Stützpunkten linear interpoliert wurde. Es handelt sich bei diesem Modell um ein Emissionsspektrum, d.h. es beschreibt das Spektrum
am Ort der Supernova. Wären Neutrinos masselos, so entspräche dies genau dem, was
auch auf der Erde ankommt, abgesehen von der Raumwinkelkorrektur. Haben sie aber
eine nicht-verschwindende Ruhemasse, so verzerrt sich das Spektrum: Wegen Gleichung
4.1 verzögert sich die Ankunft energieschwächerer Neutrinos im Vergleich zu energiereicheren. Außerdem kommt es zu Neutrinooszillationen. Diese werden hier aber vorerst
nicht beachtet.
Notwendige Modifikationen
Während der Analyse stellte sich heraus, dass die lineare Interpolation zwischen den
Zeit-Stützpunkten ”Zacken” im Spektrum verursacht, d.h. Stellen, an denen die Luminosität nicht differenzierbar ist. Dies führte zu einer falschen Fehlerberechnung. Deshalb
wurden nur die Werte an den Stützpunkten benutzt und alle Werte dazwischen innerhalb des Generator-/Analyseprogramms mittels eines kubischen Splines interpoliert.
Im ursprünglichen Fortran-Programm wurde der anfängliche νe -Burst und das restliche
Spektrum aus drei verschiedenen Tabellen und mit zwei verschiedenen Subroutinen berechnet. Damit es an den Schnittstellen nicht zu Unstetigkeiten kommt, mussten dort
sechs Stützpunkte entfernt werden. Um zu verhindern, dass für Zeitwerte, die kleiner sind
als 0.001008s, der Spline negative Luminositäts-Werte extrapoliert, wurde bei t = 0 noch
ein Stützpunkt mit einem sehr kleinen, positiven Wert hinzugefügt. Insgesamt gibt es
nun also 158 · 18 = 2844 Stützpunkte.
Kapitel 4. Eine Methode zur Bestimmung der Elektron-Neutrinomasse
5217.4
35
51
× 10
4173.9
Lumi
3130.4
2087
1043.5
0
0
0.1
0.2
0.3
0.4
0.5
0.6
0.7
time/s
Abbildung 4.2: Ein Schnitt durch das Supernova-Modell aus [Tot98] bei einer NeutrinoEnergie von 32MeV. In diesem Graph sind lediglich die Stützpunkte der von J.R. Wilson
erstellten Tabelle zu sehen.
Kapitel 4. Eine Methode zur Bestimmung der Elektron-Neutrinomasse
3367.3
36
51
× 10
2693.8
Lumi
2020.4
1346.9
673.5
0
0
3367.3
0.1
0.2
0.3
0.4
0.5
0.6
0.7
time/s
51
×10
2694.5
Lumi
2021.7
1348.9
676.2
3.4
0.036
0.038
0.04
0.042
0.044
0.046
0.048
0.05
0.052
0.054
time/s
Abbildung 4.3: Wie Abb. 4.2, aber nach Anwenden der linearen Interpolation durch das
Fortran-Programm von T.Totani.
Kapitel 4. Eine Methode zur Bestimmung der Elektron-Neutrinomasse
9503.9
37
51
× 10
7603.1
Lumi
5702.3
3801.6
1900.8
0
0
9662.8
0.1
0.2
0.3
0.4
0.5
0.046
0.048
0.6
0.7
time/s
51
× 10
7772.2
Lumi
5881.7
3991.1
2100.6
210.1
0.04
0.042
0.044
0.05
time/s
Abbildung 4.4: Wie Abb. 4.3, aber nach Ersetzen der linearen Interpolation durch einen
kubischen Spline.
Kapitel 4. Eine Methode zur Bestimmung der Elektron-Neutrinomasse
4.3
38
Supernova-Monte-Carlo-Generator
Die Wahrscheinlichkeit p, ein Neutrino der Energie E zum Zeitpunkt t zu messen, ist
proportional zur diff. Luminosität dL, also p (E, t) ∝ dL (E, t). Um ein dem Modell
entsprechendes Spektrum zu erzeugen, wurde die so genannte ”Hit and Miss”-Methode
verwendet. Dabei wird zunächst mit einem Zufallsgenerator ein Event, d.h. eine Energie
bis maximal 256 MeV und eine Zeit bis maximal 18 s erzeugt. Dann wird eine weitere
Zahl erzeugt, die zwischen 0 und dem absoluten Maximum der Luminosität liegt. Ist
diese Zahl kleiner als die Luminosität zu der zuvor bestimmten Zeit und Energie, so
wird dieses Event herausgeschrieben, andernfalls wird es verworfen. Mit einer WhileSchleife lässt sich so die gewünschte Anzahl an Events in Tabellenform - eine Spalte
für die Energie und eine für die Zeit - speichern. Die Verzerrung des Spektrums durch
die nicht-verschwindende Neutrinomasse wird beachtet, in dem zu den t-Werten der
herausgeschriebenen Neutrinos noch
∆t =
1 d mwahr 2
2 c E2
hinzuaddiert wird. Die Datensätze, die der Generator erzeugt, sind daher Zeit-EnergieSpektren am Ort des Detektors unter der Annahme einer vorher festzulegenden Masse
mwahr und einer ebenfalls vorher festzulegedenden Anzahl von Ereignissen n.
Von vornherein wurden keine Events unterhalb einer Energie von 3 MeV herausgeschrieben, da der kubische Spline die Luminosität für kleine Energiewerte gegen unendlich
gehen lässt.
Kapitel 4. Eine Methode zur Bestimmung der Elektron-Neutrinomasse
39
energy/MeV
m=0eV
90
40
80
35
70
30
60
25
50
20
40
15
30
20
10
10
5
0.02
0.03
0.04
0.05
0.06
0.07
0.08
0.09
time/s
0
energy/MeV
m=1eV
40
80
35
70
30
60
25
50
40
20
30
15
20
10
10
5
0.02
0.03
0.04
0.05
0.06
0.07
0.08
0.09
time/s
0
Abbildung 4.5: Der Unterschied im νe -Spektrum einer Supernova in 8 kPc Entfernung bei
einer νe -Masse von 0 eV (oben) und 1 eV (unten). Die Farbcodierung des Histogramms
gibt die Dichte der Einträge in einem Bereich an. Der anfängliche Neutrinoburst ist klar
zu erkennen. Die Verzerrung entsteht aufgrund von Gleichung 4.1.
Kapitel 4. Eine Methode zur Bestimmung der Elektron-Neutrinomasse
4.4
40
Log-likelihood-Methode
Die mit dem Supernova-Monte-Carlo-Generator erstellten Datensätze sollen nun mit
dem Ziel analysiert werden, aus der Zeit und Energieverteilung der Neutrinos ihre Masse
zu bestimmen. Dazu wurde die so genannte Log-likelihood-Methode verwendet.
Zunächst ist die Wahrscheinlichkeitsverteilung zu normieren. Der Normierungsfaktor I
ergibt sich aus dem Integral über das gesamte Spektrum, also
I=
Z
tmax
0
Z
Emax
0
dL
dEdt
dEdt
!−1
.
Die absolute Wahrscheinlichkeit, dass ein am Ort der Supernova gemessenes Neutrino
die Energie E zum Zeitpunkt t hat, ist nun also gegeben durch
p(E, t) = dL(E, t) · I .
Um diese Wahrscheinlichkeit auf den Ort des Detektors mit der Entfernung d zu übertragen, muss t ersetzt werden durch t−∆t(m, E). Wenn man also Energie und Zeitpunkt
eines Neutrinos gemessen hat, dann ist die Wahrscheinlichkeit dafür kein fester Wert
mehr, sondern eine Funktion der Masse, die man für dieses Neutrino annimmt. Für
einen bestimmten Wert von m wird diese Funktion ein Maximum haben, welches aber bei
einem einzigen Neutrino noch nicht sehr aussagekräftig ist. Um die Wahrscheinlichkeit
für einen ganzen Datensatz mit n Neutrino-Ereignissen zu errechnen, muss man das
Produkt der Wahrscheinlichkeiten der E- und t-Werte der einzelnen Neutrinos bilden.
Dieses Produkt als Funktion der Masse heisst die Likelihood-Funktion
L=
n
Y
p(Ei , ti , m) .
i=0
Da dieses Produkt bei großen n sehr kleine Werte annehmen kann, die numerisch schwer
zu verarbeiten sind, bildet man für gewöhnlich
ln L =
n
X
i=0
ln p(Ei , ti , m)
Kapitel 4. Eine Methode zur Bestimmung der Elektron-Neutrinomasse
41
und nennt es Log-likelihood-Funktion. Der Wert für m, bei dem L und somit auch ln L
maximal wird, gibt die Masse an, bei welcher der betrachtete Datensatz am wahrscheinlichsten ist. Die 1σ-Standardabweichung findet man bei den beiden Massenwerten, bei
denen ln L um 0.5 unter ihrem Maximalwert liegt [Bar89], also
σ± = m(ln L = max) − m(ln L = max − 0.5) .
Im Allgemeinen sind dabei σ+ und σ− nicht gleich.
Man beachte: Die Log-likelihood-Methode enthält keine Aussage darüber, wie gut das
für p(E, t, m) benutzte Modell zu einem Datensatz passt. In dieser Arbeit wird zum
Generieren der Datensätze und zur Analyse das gleiche Modell verwendet. Dies ist der
Optimalfall und kommt bei der Auswertung von Messdaten normalerweise nicht vor.
Jede Log-likelihood-Analyse ist also modellabhängig.
4.5
Das Analyse-Programm
Für die Realisierung der Analyse wurde in mehreren Schritten ein ROOT-basiertes
Programm geschrieben. Dieses Programm liest zunächst alle Ereignisse eines mit dem
Supernova-MC-Generator erzeugten Datensatzes ein. Zu einem Neutrino-Ereignis i gehört
je ein Wert für die Zeit ti und einer für die Energie Ei . Von den Zeitwerten wurde nun
∆t(Ei , m) =
1 d m2
2 c E 2i
abgezogen. Mit den Werten t = ti − ∆t(Ei , m) und Ei wurde dann aus dem Modell
(Kap.4.2) die Wahrscheinlichkeit p(t, Ei ) = p(ti , Ei , m) mit Hilfe eines kubischen Splines
interpoliert. Von dieser Wahrscheinlichkeit wurde der natürliche Logarithmus gebildet.
Die Summe der natürlichen Logarithmen der Warscheinlichkeiten aller Ereignisse in
einem Datensatz ergibt die Log-likelihood dieses Datensatz für eine bestimmte Masse.
Die angenommene Neutrinomasse wird innerhalb eines Intervalls variiert und die Loglikelihood-Werte in einem Graph (Abb.4.6) aufgetragen. Dieser Graph folgt also der
Kapitel 4. Eine Methode zur Bestimmung der Elektron-Neutrinomasse
42
Funktion
ln L(m) =
X
ln pi (t (ti , Ei , m) , Ei ) .
i
In diesem ersten Schritt lässt sich also die Neutrinomasse graphisch ablesen, für welche
der Datensatz am wahrscheinlichsten ist. Eine numerische Bestimmung sowie eine Fehlerrechnung folgt erst in Kapitel 4.5.2. Aber es lassen sich bereits mit dieser graphischen
Analyse wichtige Kriterien wie Stetigkeit und Differenzierbarkeit der Log-likelihoodFunktion überprüfen.
Abbildung 4.6: Beispiel: Log-likelihood-Funktion eines Datensatzes von 2500 Ereignissen. Die vorgegebene Neutrinomasse betrug mwahr = 0.7 eV. Ab einer Masse von 0.95 eV
beginnt hier ein unphysikalischer Bereich, der dadurch verursacht wird, dass die Ankunftszeit von einem oder mehreren Neutrinos auf einen Wert kleiner als null zurückgerechnet wird.
Kapitel 4. Eine Methode zur Bestimmung der Elektron-Neutrinomasse
4.5.1
43
2D-Log-likelihood-Fit
Bisher wurde ignoriert, dass es neben der Neutrinomasse noch eine weitere Unbekannte
gibt: Die Startzeit tstart der Supernova. Wenn das erste Neutrino im Detektor eintrifft,
ist nicht bekannt, wie viel Zeit schon seit Beginn der Supernova verstrichen ist. Als
Konsequenz weiß man a priori nicht, wie der Zeitnullpunkt des Modells anzusetzen ist.
Auch dies bedarf eines Log-likelihood-Fits. Folglich gilt nun
t = ti −
1 d m2
− tstart
2 c E 2i
und
ln L(m, tstart ) =
X
ln pi (t (ti , Ei , m, tstart ) , Ei ) .
i
Aus dem Fit in einer Dimension m ist nun also ein Fit in zwei Dimensionen m und tstart
geworden. Ein Beispiel für einen solchen ist in Abb. 4.7 abgebildet. Um nun von einer
graphischen Analyse zu einer quantitativen Analyse mit Fehlerberechnung zu gelangen,
wurde das in ROOT enthaltene Funktionsminimierungspaket TMinuit benutzt. Da dieses
Paket zwar das Minimum, nicht jedoch das Maximum einer Funktion aufspüren kann,
muss − ln L anstatt ln L verwendet werden.
Kapitel 4. Eine Methode zur Bestimmung der Elektron-Neutrinomasse
44
Abbildung 4.7: Beispiel: 2D-Log-likelihood-Funktion eines Datensatzes von 2500 Ereignissen. Die vorgegebene Neutrinomasse betrug mwahr = 0.7 eV, die Startzeit tstart,wahr =
0.01 s .
4.5.2
Fehlerberechnung beim 2D-Log-likelihood Fit
Analog zur 1D-Log-likelihood-Analyse ist die 1σ-Region eine Fläche, die durch die Wertepaare (m, tstart ) definiert ist, für die ln L ≥ max−0.5 ist. Der positive und der negative
Fehler auf die Masse σ±m ergeben sich aus den beiden Maximalwerten des Differenzbetrages von m(ln L = max) − m(ln L = max − 0.5) (Erläuterung in Abb. 4.8). Dies ist
im allgemeinen nicht die Differenz, bei der tstart = tstart (ln L = max) ist, da die beiden
Parameter korreliert sind. Den Fehler auf die Startzeit erhält man analog dazu.
In Abb. 4.8 und 4.9 sind Beispiele mit Kontourplots der 1σ- und 2σ-Regionen für je
einen Fit mit νe und einen mit ν̄e aufgetragen. Das ν̄e -Spektrum enthält keinen anfäng-
Kapitel 4. Eine Methode zur Bestimmung der Elektron-Neutrinomasse
45
lichen Neutrino-Burst und ist deshalb weniger markant. Dies führt zu einer größeren
Fehlerregion. Wird die Fehlerregion zu groß, dann macht sich bemerkbar, dass die FunkP
tion ln L = i ln pi (t (ti , Ei , m, tstart ) , Ei ) wegen der m2 -Abhängigkeit symmetrisch um
m = 0 ist. Um zu verhindern, dass ln L bei negativen Massenwerten wieder ansteigt,
wird fortan m2 als Fitparameter benutzt.
Abbildung 4.8: Beispiel: Der Fitwert und die 1σ- und 2σ-Kontouren einer Log-likelihoodAnalyse eines Datensatzes von 2500 Ereignissen mit einer Neutrinomasse von mwahr =
0.7 eV und einer Startzeit von tstart,wahr = 0.1 ms. Die waagerechten bzw. senkrechten
Tangenten an die 1σ-Kontour bezeichnen m(ln L = max)±σm bzw. tstart (ln L = max)±
σtstart . Wie man sieht liegt der wahre Wert bei diesem Versuch nicht innerhalb der 2σKontour.
Kapitel 4. Eine Methode zur Bestimmung der Elektron-Neutrinomasse
46
Abbildung 4.9: Wie Abb. 4.8, aber mit Antineutrinos. Statt m wurde m2 als Fitparameter gewählt. Der wahre Wert des Massenquadrats betrug daher m2wahr = 0.49 eV2
4.6
Analyse-Tests
Nachdem die Analyse vollständig entwickelt ist, soll sie nun einigen Tests unterzogen werden. Gleichzeitig soll überprüft werden, mit welcher Genauigkeit m und tstart bestimmt
werden können.
4.6.1
Konvergenz-Test
Als erster und grundlegendster Test soll festgestellt werden, ob das Analyse-Programm
überhaupt Ergebnisse liefert oder ob es Fälle gibt, in denen der Minimierungsalgorithmus
Kapitel 4. Eine Methode zur Bestimmung der Elektron-Neutrinomasse
47
keine Konvergenz erzielt. Zu diesem Zweck wurden mit dem Supernova-Monte-CarloGenerator je 100 Datensätze (=100 Supernova-Explosionen) mit 50, 100, 250, 500, 850,
1300, 1850, 2500 und 3250 Neutrino-Ereignissen erzeugt und analysiert. Als Input-Werte
für den Generator wurden willkürlich mwahr = 0.7eV und tstart,wahr = 0.1ms gewählt. Das
Ergebnis dieses Tests ist in Tab.4.1 abgedruckt. Daraus geht hervor, dass der Algorithmus
in der Regel Konvergenz erzielt.
# Ereignisse/Datensatz
% konvergiert
50
97
100
99
250
100
500
100
850
100
1300
100
1850
100
2500
100
3250
99
Tabelle 4.1: Der prozentuale Anteil der Datensätze, bei denen die Analyse ein Ergebnis
erzielte, getestet an jeweils 100 νe -Datensätzen.
4.6.2
√
1/ n-Abhänigkeit des Fehlers
Nachdem diese Grundvoraussetzung erfüllt ist, soll überprüft werden, ob die angegebene Fehlerabschätzung korrekt ist. Zunächst sollte es eine Eigenschaft des Fehlers sein,
√
dass dieser mit zunehmender Anzahl von Ereignissen n in einem Datensatz wie 1/ n
abfällt. Dazu wurden die gleichen Datensätze wie beim Konvergenztest verwendet und
der arithmetische Mittelwert des Fehlers
σ=
N
1 X
σi ,
N i=0
Kapitel 4. Eine Methode zur Bestimmung der Elektron-Neutrinomasse
48
sowie der Fehler auf den arithmetischen Mittelwert des Fehlers
δσ =
v
u
u σ2
t
− σ2
,
N −1
aus den jeweils 100 Datensätzen für jede Ereignisanzahl bestimmt und in Abb. 4.10/4.11
aufgetragen. Dabei ist N die Anzahl der Datensätze, bei denen die Messung zu einem
Ergebnis führte (Tab. 4.1), σi der Einzelfehler aus der Analyse des i-ten Datensatzes
und
N
1 X
σ2 =
σ2i
N i=0
√
der Mittelwert der Quadrate von σi . Zum Vergleich wurde eine Funktion f = p0 / n
√
angefittet. Daraus ist ersichtlich, dass die 1/ n-Abhängigkeit bei mehr als 250 Ereignissen in einem Datensatz gewährleistet ist, darunter allerdings weicht der Messwert um
√
2 − 10δσ vom 1/ n-Fit ab.
Kapitel 4. Eine Methode zur Bestimmung der Elektron-Neutrinomasse
m^2 Error/eV^2
m^2/Neutrinos
χ2 / ndf
p0
49
37.88 / 8
2.545 ± 0.05939
0.5
0.4
0.3
0.2
0.1
0
0
500
1000
1500
2000
t_start/Neutrinos
2500
χ2 / ndf
t_Error/s
p0
3000
3500
n Events
18.68 / 8
0.01213 ± 0.0001848
0.002
0.0015
0.001
0.0005
0
0
500
1000
1500
2000
2500
3000
3500
n Events
Abbildung 4.10: Das arithmetische Mittel des Fehlers gegen die Anzahl der Events pro
√
Datensatz mit 1/ n-Fit. Die etwas zu starke Abweichung bei kleinen n verhindert, dass
das χ2 bei eins pro Freiheitsgrad liegt.
Kapitel 4. Eine Methode zur Bestimmung der Elektron-Neutrinomasse
χ2 / ndf
p0
m^2 Error/eV^2
m^2/Antineutrinos
50
113.3 / 8
30.76 ± 0.2404
7
6
5
4
3
2
1
0
0
500
1000
1500
2000
t_Error/s
t_start/Antineutrinos
2500
χ2 / ndf
p0
3000
3500
n Events
100.8 / 8
0.1758 ± 0.0007768
0.03
0.02
0.01
0
0
500
1000
1500
2000
2500
3000
3500
n Events
Abbildung 4.11: Wie Abb. 4.10, aber für Antineutrinos. Der relative Fehler auf das arithmetische Mittel des Fehlers ist hier wesentlich kleiner als bei Neutrinos, daher fällt die
√
Abweichung vom 1/ n-Fit wesentlich mehr ins Gewicht und verursacht ein schlechteres
χ2 . Zugehörige Wertetabelle in B.1/B.2
Kapitel 4. Eine Methode zur Bestimmung der Elektron-Neutrinomasse
4.6.3
51
1σ-Konsistenz-Test
Eine weitere Eigenschaft der 1σ-Standardabweichung sollte es sein, dass 68, 3% der
h
i
+
−
2
Messwerte innerhalb des Intervalls m2 + σm
;
m
−
σ
2
m2 liegen (und analog für tstart ).
Dies kann ebenfalls anhand der schon erzeugten Datensätze überprüft werden. Die Tabellen 4.2 und 4.3 zeigen, wie viele Messwerte mehr und wie viele weniger als σi vom
wahren Wert (m2wahr = 0.49 eV2 bzw. tstart = 0.1 ms) abweichen.
Neutrinos
m2 ν e
tstart
# Ereignisse/Datensatz
innerh. 1σ
außerh.1σ
innerh.1σ
außerh.1σ
50
24
73
20
77
100
48
51
40
59
250
52
48
34
66
500
63
37
47
53
850
72
28
58
42
1300
71
29
59
41
1850
74
26
59
41
2500
63
37
59
41
3250
59
40
58
41
Tabelle 4.2: Anteil der Datensätze, bei denen die Analyse einen Fitwert lieferte, der
innerhalb des angegebenen Fehlers mit dem wahren Wert übereinstimmte.
Kapitel 4. Eine Methode zur Bestimmung der Elektron-Neutrinomasse
Antineutrinos
52
m2 ν̄e
tstart
# Ereignisse/Datensatz
innerh. 1σ
außerh.1σ
innerh.1σ
außerh.1σ
50
70
27
69
28
100
63
36
68
31
250
61
39
69
31
500
73
27
65
35
850
75
25
73
27
1300
71
28
66
33
1850
70
30
63
37
2500
72
28
68
32
3250
65
35
67
33
Tabelle 4.3: Wie Tab. 4.2, aber für Antineutrinos
Aus diesem Test geht hervor, dass bei Antineutrinos sowohl für tstart als auch für m2
ungefähr 68, 3% der Messwerte weniger als 1σ vom wahren Wert abweichen. Der Fehler
ist in dieser Analyse also richtig skaliert. Bei Neutrinos hingegen scheint der Fehler auf
tstart erst oberhalb von 500 Events pro Datensatz richtig skaliert zu sein. Der Fehler
auf m2 ist offensichtlich auch bei großer, aber noch viel stärker bei kleiner Statistik
unterschätzt. Die markante Form des νe -Spektrums mit dem steilen Anstieg des Wahrscheinlichkeitsprofils am anfänglichen νe -Burst scheint zum Fitten problematisch zu sein.
4.6.4
Modifikationen
Zur Re-Skalierung des Fehlers wird nun eine Methode benutzt, wie sie in [PDG] vorgestellt wird: Zu jeder Eventanzahl wird aus den 100 Datensätzen das
X 1
χ2 =
(m2 wahr − m2 i )2
σi2
berechnet. Dabei ist σi die von Minuit berechnete Standardabweichung des i-ten Datensatzes, m2 wahr = 0.49 eV2 der wahre Wert von m2 und m2 i der Fitwert zum i-ten
Datensatz. Dieses χ2 sollte bei einem passenden Fit-Modell und richtig skalierten Fehlern ungefähr N − 1 ergeben, wobei N die Anzahl der Datensätze ist, für die die Analyse
Kapitel 4. Eine Methode zur Bestimmung der Elektron-Neutrinomasse
53
Konvergenz erzielen konnte. Um dies zu gewährleisten, wurden die Fehler σi jeweils mit
einem Skalierungsfaktor
s
χ2
N −1
multipliziert. Für den Parameter tstart wurde genauso verfahren. Anschließend wurde die
letzte Analyse für νe ’s mit den skalierten Fehlern wiederholt. Das Ergebnis ist in Tab.
S=
4.4 dargestellt.
Neutrinos
tstart
# Ereignisse/Datensatz
mν e
innerh. 1σ · S
außerh.1σ · S
innerh.1σ · S
außerh.1σ · S
100
79
20
82
17
250
77
23
82
18
500
78
22
77
23
850
70
30
82
18
1300
77
23
75
25
1850
74
26
73
27
2500
69
31
84
16
3250
67
32
86
13
50
80
17
73
24
Tabelle 4.4: Wie Tab. 4.2, allerdings wurden die Fehler hier mit dem Faktor S =
χ2 /(N − 1) skaliert.
q
Ganz offensichtlich führt die Skalierung dazu, dass nun zu viele Messwerte im Bereich
mi (ln L = max) ± S · σi liegen. Der Fehler ist also überschätzt.
Um dennoch ein Gespür für die Genauigkeit zu bekommen, mit der eine Bestimmung der
Neutrinomasse aus νe ’s möglich ist, wird der Fehler nun mit Hilfe einer anderen Methode
abgeschätzt. Wir betrachten das Histogramm (Bsp. Abb. 4.12) mit den N Einträgen der
m2 - bzw. tstart -Fitwerte für eine Ereignisanzahl. Aus dieser Verteilung lässt sich über
σx =
q
x2 − x2wahr
x = m2 , tstart
(4.2)
Kapitel 4. Eine Methode zur Bestimmung der Elektron-Neutrinomasse
54
die Standardabweichung bestimmen. Der Fehler auf die Standardabweichung ergibt sich
zu [Bar89]
δσ = q
σ
2 (N − 1)
.
(4.3)
24
22
20
18
16
14
12
10
8
6
4
2
0 -3
-2
-1
0
1
2
3
4
m*m/eV*eV
Abbildung 4.12: Histogramm der 99 konvergierten m2 -Fits mit je 100 Ereignissen.
In Abb. 4.13 sind die so berechneten Standardabweichungen gegen die Anzahl der Ereignisse pro Datensatz aufgetragen. Auch hier ist zu sehen, dass bei niedriger Statistik
√
das 1/ n-Gesetz verletzt ist.
Kapitel 4. Eine Methode zur Bestimmung der Elektron-Neutrinomasse
χ2 / ndf
p0
m^2 Error/eV^2
m^2/Neutrinos
55
223.4 / 8
5.64 ± 0.1433
2.5
2
1.5
1
0.5
0
0
500
1000
1500
2000
t_start/Neutrinos
2500
χ2 / ndf
t_Error/s
p0
3000
3500
n Events
322 / 8
0.01362 ± 0.0003576
0.02
0.015
0.01
0.005
0
0
500
1000
1500
2000
2500
3000
3500
n Events
Abbildung 4.13: Die nach Gl. 4.2 berechneten Standardabweichungen auf m2 und tstart
√
gegen die Anzahl der Events pro Datensatz mit 1/ n-Fit. Zugehörige Wertetabelle in
B.3/B.4.
Kapitel 4. Eine Methode zur Bestimmung der Elektron-Neutrinomasse
4.7
56
Ergebnis
Die Analyse-Tests in Kap. 4.6 haben gezeigt, dass für Antielektronneutrinos im Rahmen
des verwendeten Modells eine zuverlässige Methode zur Massenbestimmung entwickelt
worden ist. Aus Abb. 4.11 lässt sich ablesen, wie genau eine Neutrinomassenbestimmung
unter der Annahme einer Supernovaentfernung von 8kpc und des Modells aus [Tot98] mit
einer (Anti-)Elektronneutrinomasse von 0.7 eV möglich ist. Die Fehler-Werte variieren
von σm2 = (6.70 ± 3.56) eV2 für 50 Neutrino-Ereignisse bis σm2 = (0.51 ± 0.07) eV2 für
3250 Ereignisse. Demnach ist zu erwarten, dass selbst für 3250 Events das Fit-Ergebnis
mit m2 = 0 verträglich ist. Ebenso ist eine Aussage über die Genauigkeit der Startzeit
unter den gleichen Annahmen möglich und kann ebenfalls Abb. 4.11 entnommen werden.
Daraus geht hervor, dass der Fehler auf die Startzeit zwischen σtstart = (32.75±11.25)ms
für 50 Events und σtstart = (3.06 ± 0.26) ms für 3250 Events beträgt.
Weder die Genauigkeit der Startzeit, noch die der Neutrinomasse hängen davon ab, welche wahre Startzeit im Modell angenommen wird, da diese keinen absoluten Bezugspunkt
hat.
Für Elektronneutrinos liegt die Genauigkeit von m2 und tstart je nach Ereignisanzahl um
einen Faktor 1.5-10 höher. Dies war aufgrund des markanteren Spektrums zu erwarten.
Oberhalb von 250 Ereignissen pro Datensatz liegt m2 = 0 nicht mehr innerhalb des 1σBereichs. So beträgt der Fehler der Massenbestimmung zwischen σm2 = (2.50 ± 0.18) eV2
für 50 Events und σm2 = (0.12 ± 0.01) eV2 für 3250 Events. Für die Startzeit ergab die
Analyse σtstart = (18.32 ± 1.32) ms für 50 Ereignisse bzw. σtstart = (0.22 ± 0.02) ms für
3250. Leider bringt dieses markantere Spektrum - wie oben gesehen - einige Probleme
bei der Fehlerbestimmung mit sich.
Kapitel 5
Fazit
Die Abschätzung in Kap. 3 hat gezeigt, dass im Double Chooz Detektor im Falle einer
Supernova in 8 kpc Entfernung mit ingesamt 34 Neutrinoereignissen zu rechnen ist. 26
davon sind Antineutrinoereignisse, nachgewiesen über inversen β-Zerfall. Diese Ereigniszahlen sind recht niedrig, verglichen mit denen, wie sie z.B. das SuperKamiokande
Experiment (5000-10000 inverse β-Ereignisse, [Tot98]) oder KamLAND (300 inverse βEreignisse,[Ant04]) erwarten.
Die Kombination der Ergebnisse aus Kap. 3 und 4 lässt eine Abschätzung der Genauigkeit zu, mit der bei Double Chooz die Elektronneutrinomasse und die Startzeit aus einem
Supernova-Neutrinospektrum bestimmt werden können. So lässt sich mit Sicherheit sagen, dass der statistische Fehler auf die Startzeit der Supernova bei jedem momentan
in Betrieb befindlichen Neutrinodetektor um Größenordnungen oberhalb des absoluten
Zeitauflösungsvermögen von Double Chooz (schätzungsweise wenige µs nach Synchronisation mit GPS [Bei]) liegt. Von dieser Seite her gibt es also keinen Bedarf, ein noch
genaueres Timing zu installieren. Eine Verbesserung der Obergrenze oder sogar eine
Messung der Neutrinomasse ist jedoch mit den Ereignisanzahlen, wie sie Double Chooz
zu erwarten hat, nicht möglich. Die Frage, ob man aus Double Chooz als autarkem
Supernova-Neutrino-Detektor einen wissenschaftlichen Nutzen ziehen kann, bleibt also
offen.
57
Kapitel 5. Fazit
58
Cui bono?
Nach den Ergebnissen aus Kap. 3 und 4 stellt sich nun die Frage: Wie kann das Double
Chooz Experiment im Falle einer Kernkollapssupernova der Forschergemeinschaft dienen? Wem nützt es? Die Antwort dürfte lauten: SNEWS! Das SuperNova Early Warning
System, ein aus mehreren über verschiedene Kontinente verteilten Neutrinodetektoren
bestehendes Netzwerk, soll eine Supernova registrieren, noch bevor das erste optische
Signal zu sehen ist. Durch die Richtungsinformation, welche die Wasser-CherenkovExperimente liefern, sollen die Himmelskoordinaten errechnet werden, damit optische
Teleskope frühzeitig ausgerichtet werden können. Das Anwenden von Triangulation zu
diesem Zweck ist derzeit nicht vorgesehen[Ant04].
Verlangt man als Signal z.B. eine Mindestanzahl von drei inversen Beta-Events innerhalb eines Zeitfensters von ∼ 10 s, dann wäre Double Chooz sensitiv auf Supernovae
mit Entfernungen von bis zu 23.5 kpc. Dies entspricht etwa dem Durchmesser der galaktischen Scheibe. Es könnte ein System installiert werden, dass Nah- und Ferndetektor
gleichzeitig auf ein solches Signal überwacht und ggf. einen Alarm an SNEWS sendet.
Ein notwendiges Kriterium, das dabei für die Teilnahme am SNEWS-Programm erfüllt
werden muss, ist eine Fehlalarm-Rate von weniger als einem pro Woche [Ant04].
Eine weitere Stärke von Double Chooz liegt in der vergleichsweise niedrigen Nachweisschwelle von 1.8 MeV für inversen β-Zerfall. So könnte Double Chooz mit der Messung von Supernova-Neutrinos im Bereich zwischen 1.8 MeV und der Nachweisschwelle
von SuperKamiokande, die bei 5 MeV liegt [SK], eine wichtige Ergänzung zu einem
möglichst vollständigen Neutrinospektrum liefern. Die Wahrscheinlichkeit, Neutrinos in
diesem Bereich zu messen, mag sehr klein sein (vergl. Abb. 3.6). Aber gerade hin zu kleinen Energien könnte sogar schon ein einziges Neutrino, das zu einem frühen Zeitpunkt
des Supernovasignals gemessen wird, eine verbesserte Obergrenze auf die Neutrinomasse
bedeuten.
Anhang A
Danksagung
Ich möchte mich bei einigen Personen bedanken. Zunächst bei Prof. Achim Stahl für
die Möglichkeit, diese Arbeit im 3. Physikalischen Institut anzufertigen und die Betreuung während des letzten Jahres. Dann natürlich bei der gesamten Double Chooz
Aachen Gruppe für anregende Diskussion und das angenehme Arbeitsklima und insbesondere bei Bernd Reinhold für seine nie endende Hilfsbereitschaft. Außerdem ein
spezieller Dank nach Japan an Professor Tomonori Totani für die Bereitstellung seines
Supernova-Modells. Dann danke ich Dr. Jochen Bartsch für seine Unterstützung und
die Bereitschaft, auch unter Zeitdruck Korrektur zu lesen. Und nicht zuletzt danke ich
natürlich meinen Eltern, ohne deren Unterstützung mein Studium der Physik sicher
nicht möglich gewesen wäre.
59
Literaturverzeichnis
[Tot98]
Totani, T.; Sato, K.; Wilson, J.R.: Future Detection of Supernova Neutrino
Burst and Explosion Mechanism.
The Astrophysical Journal, 496:216-225, (March 20, 1998).
[PDG]
W.-M. Yao et al.: Review of Particle Physics.
Journal of Physics G33, 1, (July 2006).
See also http://pdg.lbl.gov
[DC06]
M.Goodman, T.Lasserre et al.: Double Chooz: A Search for the Neutrino
Mixing Angle θ13 .
arXiV:hep-ex/0606025 v2, (20 June 2006).
[Schm97] Norbert Schmitz: Neutrinophysik.
Teubner Verlag, (1997).
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LITERATURVERZEICHNIS
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LITERATURVERZEICHNIS
[Bei]
Persönliche Kommunikation mit Dipl.-Ing. F.Beissel (23. April 2007)
62
Anhang B
Tabellen
# Ereignisse/Datensatz
durchschn.Fehler[eV2 ]
Fehler auf den Fehler[eV2 ]
50
6.70
3.56
100
3.95
1.88
250
2.20
0.68
500
1.46
0.35
850
1.12
0.26
1300
0.86
0.17
1850
0.69
0.11
2500
0.58
0.08
3250
0.51
0.07
Tabelle B.1: Der durchschnittliche Fehler auf m2 für verschiedene Event-Anzahlen pro
Datensatz Antineutrinos
63
Anhang B. Tabellen
64
# Ereignisse/Datensatz
durchschn.Fehler[ms]
Fehler auf den Fehler[ms]
50
32.75
11.35
100
20.09
5.60
250
12.05
2.65
500
8.13
1.30
850
6.20
0.95
1300
4.85
0.59
1850
4.06
0.42
2500
3.42
0.35
3250
3.02
0.26
Tabelle B.2: Der durchschnittliche Fehler auf tstart für verschiedene Event-Anzahlen pro
Datensatz Antineutrinos
# Ereignisse/Datensatz
durchschn.Fehler[eV2 ]
Fehler auf den Fehler[eV2 ]
50
2.50
0.18
100
1.21
0.09
250
0.53
0.04
500
0.29
0.02
850
0.15
0.01
1300
0.11
0.01
1850
0.13
0.01
2500
0.11
0.01
3250
0.12
0.01
Tabelle B.3: Der durchschnittliche Fehler auf m2 für verschiedene Event-Anzahlen pro
Datensatz Neutrinos
Anhang B. Tabellen
65
# Ereignisse/Datensatz
durchschn.Fehler[ms]
Fehler auf den Fehler[ms]
50
18.31
1.32
100
4.97
0.35
250
1.41
0.10
500
0.80
0.06
850
0.38
0.03
1300
0.39
0.03
1850
0.26
0.02
2500
0.26
0.02
3250
0.22
0.02
Tabelle B.4: Der durchschnittliche Fehler auf tstart für verschiedene Event-Anzahlen pro
Datensatz Neutrinos
Eidesstattliche Erklärung
Hiermit erkläre ich, dass ich diese Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen als
die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe.
Die Arbeit wurde bisher keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht
veröffentlicht.
Aachen, 30.04.2007
Stefan Brisken

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