Leihst du mir deinen Blick?

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Leihst du mir deinen Blick?
Leihst du mir deinen Blick?
Dokumentation deutsch-israelisch-palästinensischer
Jugendbegegnungen 2010 und 2011
Anette Klasing, LidiceHaus & Peter Menken, Oberschule Leibnizplatz
Bremen
Leihst du mir deinen Blick?
Deutsch-israelisch-palästinensische Jugendbegegnungen 2010/2011
Vor dem Hintergrund zunehmender Polarisierungen
in der Auseinandersetzung
mit
internationalen sowie innergesellschaftli­chen
Kon­flikten hat das LidiceHaus ein Dialog-Projekt ins
Leben gerufen. Gemeinsam
mit Jugendlichen und ihrem
Lehrer Peter Menken von der
Oberschule Leibnizplatz initiierten sie mit
den Organisationen Al Tariq, Parents Circle
und der Kibbutzschule Shoval (Palästina
und Israel) zwei trinationale Begegnungen
in Deutschland und in Israel/Palästina.
Mit dieser Dokumentation möchten wir
unsere Erfahrungen mit anderen interessierten Menschen teilen. Auf den folgenden
Seiten finden Sie Auszüge aus den Berichten beider Begegnungen, die konkrete Erlebnisse sowie Gedanken und Reflexionen
wiedergeben. Weiterhin sind Originalzitate
der Jugendlichen nachzulesen. Sie spiegeln
die Vielschichtigkeit, Differenziertheit und
auch emotionale Betroffenheit wieder.
aus: Weser-Kurier / Stadtteil-Kurier. 21.07.2010
Herausgeber:
Jugendbildungsstätte LidiceHaus gGmbh
© 2011. Alle Rechte vorbehalten.
Fotos: LidiceHaus, TeilnehmerInnen
Gestaltung: axent, Ines Hillmann
Druck: Perspektiven Offsetdruck GmbH
Feindbildszenarien scheinen derzeit die
gesellschaftlichen Diskurse, den Alltag in
Großstädten bzw. Ballungsräumen sowie die
Medienberichterstattungen zu bestimmen.
Grenzüberschreitungen, Menschenrechtsverletzungen und gewalttätige Auseinandersetzungen sind die täglichen Bilder, die
uns via TV, Zeitschriften sowie Internet präsentiert werden.
Dabei geht es in Deutschland und Europa
zunehmend mehr auch um antisemitische
und islamfeindliche Ausgrenzungen und
Diskriminierungen. Besonders in den letzten Wochen und Monaten häufen sich die
Talkshows und Medienberichterstattungen,
die „den Islam“ in den Focus nehmen. In
Deutschland bildet sich zudem der NahostKonflikt auch in oft kontroversen und polarisierenden Debatten ab. Spätestens seit
dem Krieg im Gaza Anfang 2009 haben sich
auch bei uns die Fronten zwischen den sog.
„Israelfreunden“ bzw. „Israelkritikern“ verhärtet.
Jugendliche in Israel und Palästina wachsen darüber hinaus in besonderem Maße mit
Feindbildern auf; die Separierung durch die
Mauer und Checkpoints verhindert zudem
reale Begegnungen. Aus den Medienberichten lässt sich z.Z. folgendes
Bild zeichnen:
Gewalt und Hassbekundungen finden nicht nur
zwischen den Menschen aus
beiden Gesellschaften und
Religionen, sondern auch
innerhalb derselben, statt.
Die Spirale von Gewalt und
Gegengewalt erscheint immer mehr undurchdringbar. Die Bereitschaft zum Dialog
und Konsens ist derzeit auf einem Nullpunkt.
Hinzu kommt, dass auf ‚legalem Wege‘ vor
Ort keine Face-to-Face-Begegnungen mehr
stattfinden können bzw. dürfen.
Wie können Schule und Jugendbildung darauf reagieren bzw. dieses wichtige Feld
aufbereiten und thematisieren?
Das Projekt Leihst du mir deinen Blick? ist
ein längerfristiges virtuelles und reales Faceto-Face-Projekt, in dem sich die deutschen,
israelischen und palästinensischen Jugendlichen zunächst im Web-Tool miteinander
bekannt gemacht haben und sich so auf die
erste Face to Face Begegnung im Sommer
im LidiceHaus Bremen vorbereiteten.
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Leihst du mir deinen Blick?
in Bremen
Die israelischen Jugendlichen kommen aus der Kibbutzschule Shoval bei
Beersheva/Israel – die palästinensischen Jugendlichen kommen aus
Bethlehem bzw. Nablus in der Westbank. Wie stark die politischen Rahmenbedingungen den Verlauf solch
eines Projektes geradezu bestimmen
können, konnten wir Projektverantwortlichen bereits in der Planungsphase erfahren: im Januar 2010
sollten die ersten Kontakte zwischen
den Jugendlichen in dem eigens dafür
eingerichteten Blog stattfinden – am
23. Januar wurde der palästinensische
Jugendgruppenleiter bei einer nächtlichen Militärrazzia verhaftet und sitzt
seitdem im israelischen Gefängnis.
Dieses Ereignis hatte natürlich nicht
nur auf die palästinensische Jugendgruppe enorme Auswirkungen, sondern auch auf die Bereitschaft der
israelischen Gruppe. Zweifel und Ängste machten sich breit. Wir mussten
unseren bremischen TeilnehmerInnen
mehrfach Mut machen, nicht aufzugeben und Geduld zu bewahren.
Die Israelis haben andere Erfahrungen
und die Deutschen auch. Die Deutschen
wissen nicht, was los ist in Palästina.
Nadim, Palästinenser
Ich hoffe, wir alle lernen
etwas aus diesem Projekt.
Noam, Israeli
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Ich habe mehr mit den Palästinensern geredet,
denn wir sind fast in derselben Situation mit all den Kämpfen
und wir wissen wie sich die Anderen fühlen.
Sabina,
Israelin
Am Anfang war es einfacher mit den Deutschen in Verbindung zu kommen,
da wir mit den Israelis im Konflikt sind. Aber nach einer Weile wurde alles normal;
wir schlossen uns mit den Israelis und den Deutschen zusammen.
Wir wurden Freunde. Ich mag das.
Rami, Palästinenser
Im Mai 2010 flogen wir (Projektverantwortliche) daher nach Jerusalem, um uns mit beiden Gruppen bzw.
deren Jugendgruppenleitern zu treffen; wir wollten mehr verstehen und
einschätzen können, ob unser Projekt
wirklich eine Chance auf Realisierung
hat. Etwas beruhigter kehrten wir nach
den Gesprächen zurück und bereiteten
das Face-to-Face-Treffen vor.
Am 25. Juni war es dann soweit: über
30 junge Leute aus Bremen, Beersheva, Bethlehem/Hebron (Alter ca.
17 Jahre) trafen sich für 10 Tage im
LidiceHaus. Das Programm war eine
Mischung aus Dialogarbeit, Erlebnispädagogischen Workshops und Simulationsübungen – gepaart mit Exkursionen und Breminale-Besuchen.
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Erst dachte ich die Unterschiede zwischen den
Lebensstilen von Israelis, Palästinensern und
Deutschen wären größer, aber jetzt weiß ich,
dass wir die gleichen Hobbys haben, uns mit
Freunden treffen, ausgehen, Spaß haben, zur
Schule gehen, vielleicht einen Job haben – und
wie wir sind. Janine, Deutsche
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Ich muss sagen, dass wir nie vorher über den Konflikt,
über unsere Gefühle und so ernste Sachen gesprochen haben.
Jetzt sprachen wir auch über diese ernsten Sachen – als Teenanger und unter Freunden.
Aber das ist wirklich ganz schön hart, darüber zu sprechen.
Wichtig ist der Moment, in dem wir uns wirklich
akzeptieren. Der Moment in dem wir wirklich
verstehen, dass der Unterschied zwischen uns nur
wie der Unterschied zwischen Farben ist. Und das ist
nichts, was wir ändern sollten. Es ist etwas, was wir
akzeptieren sollten. Wir können unser Glück nicht auf
dem Leid der anderen aufbauen.
Shany, Israelin
Khaled Abu Awad, Palästinenser
(Vorsitzender von Al Tariq und Parents Circle)
Die 10 Tage waren für alle Beteiligten Tage der Höhen und Tiefen: die
Jugendlichen erlebten viel Spaß sowie
Annäherungen, aber auch Tränen der
Wut und der Verletzung. Alles was vorher Theorie war, geschah ganz hautnah: ein israelisches Mädchen rannte
weinend aus dem Raum, weil sie nicht
hören konnte und wollte, was ein palästinensischer Junge zu sagen hatte.
Wir mussten den palästinensischen
Jugendlichen verständlich machen,
dass eine erlebte Kassamrakete (auch
wenn sie „nur“ ein Haus beschädigte
und keine Menschen tötete) genauso
traumatisieren kann wie mehrtägige
Bombardierungen durch israelisches
Militär in Gaza.
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Und wir mussten die israelischen Jugendlichen immer wieder motivieren,
sich auch die Geschichten der anderen Seite anzuhören. Während z.B. die
israelischen Mädchen fanden, es wäre
zu viel über Politik gesprochen worden, warfen uns einige der palästinensischen Jugendlichen vor, wir seien
viel zu pädagogisch an die Themen
heran gegangen. Auch das ist nicht
untypisch für diese Konstellation.
Wenn wir etwas mehr über
den Konflikt reden, haben wir
in Zukunft vielleicht die Chance,
eine Lösung für beide Seiten in
einem Land zu finden, so dass
wir in Frieden zusammen
leben können.
Rand, Palästinenserin
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Der Dialog mit den Deutschen
und Palästinensern war sehr
interessant, denn ich fand
heraus, was die Deutschen
von der Zeit des Dritten Reichs
halten. Natürlich weiß ich, dass
sie keine Nazis sind, aber wahrscheinlich waren ihre Großväter
im Krieg oder sogar in der SS.
Es war interessant zu erfahren,
dass es offenbar immer noch
eine Art Tabuthema für sie ist.
Mit den Palästinensern habe ich
auch über die Nakba, 1948
und über 1967 gesprochen:
Ich teile nicht alles, was sie
sagen, aber es Teil unserer
Geschichte. Mein Vater war
in der Armee und ich werde
nächstes Jahr auch in der
Armee sein.
Wir kommen alle gut miteinander aus, aber ich dachte, wir drei Gruppen würden uns noch
näher kommen. Die Themen, die wir bearbeiteten, hätten etwas politischer sein sollen.
Ich denke die Israelis und Palästinenser hätten lieber etwas mehr darüber diskutiert. Aber
es war ein Schritt nach vorne und ich denke alle drei Gruppen würden das wieder machen.
Es war gut.
Clara,
Deutsche
Ich denke ich habe neue
Freunde gewonnen.
Saana, Palästinenserin
Gurij, Israeli
Und unsere Bremer Jugendlichen? Zu
Beginn war es wirklich nicht leicht
für sie. Aber nach und nach wurden
sie selbstsicherer und achteten darauf, mit möglichst allen im Kontakt
zu bleiben.
Dialogarbeit mit Jugendlichen aus
Konfliktregionen kann nicht ohne
Konflikte geschehen. Für uns Projektverantwortliche bleibt die Frage: Wieviel und WAS alles soll pädagogisch
moderiert werden und wieviel Raum
darf sein für Emotionen. Wo sind die
Grenzen zu ziehen? Sicherlich: zu Beginn haben alle TeilnehmerInnen die
Spielregeln für Dialogarbeit mit ausgearbeitet – aber da war es noch die
Theorie.
Erfreut hat uns die Nachricht aus
Beersheva, dass die Schule gerne mit
Dialogbegegnungen
weitermachen
möchte. Auch unsere palästinensischen Partner erhofften sich die Fortsetzung. Also prüften wir im Herbst/
Winter 2010 mit „unseren“ Bremer
Jugendlichen die Rückbegegnung
im Frühjahr 2011 – und hofften und
wünschten uns sehr, dass wir dort
einen „gemeinsamen Ort“ finden können, an dem sich alle drei Gruppen
treffen und sicher sein können...
Anette Klasing, LidiceHaus
Peter Menken, Oberschule Leibnizplatz
September 2010
Wir haben zusammen ein Video über das Leben der Israelis und
der Palästinenser gesehen und uns gefiel es zu sehen, dass wir alle
den Frieden lieben und alle gegen Terrorismus sind.
Nadim, Palästinenser
Eine Film-Dokumentation der Begegnung in Bremen kann im LidiceHaus ausgeliehen werden (DVD).
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Leihst du mir deinen Blick?
im Heiligen Land
Dieses Gefühl der Irrealität begleitete mich durch den ganzen Tag.
Die Welt, über die wir seit einem Jahr in unserer Gruppe sprechen,
deren Probleme wir versuchen nachzuvollziehen und welche wir nur von Bildern,
aus dem Fernsehen und aus Berichten kannten, war plötzlich Realität...
Man spürte, dass sie es gerne
sehen, wenn Menschen, die die
Region besuchen, [... ] sich auch
für die Probleme und Missstände
interessieren.
Jugendliche der gymnasialen Oberstufe der Schule Leibnizplatz sind Ende
März 2011 aus Israel und den palästinensischen Gebieten zurückgekehrt:
Dort haben sie auf Einladung des
LidiceHauses an einem Dialogseminar
mit gleichaltrigen Jugendlichen aus
Beersheva und Bethlehem teilgenommen. Dieser Besuch sollte die 2010 im
LidiceHaus begonnenen Kontakte und
Gespräche mit israelischen und palästinensischen Jugendlichen vertiefen.
Leihst du mir deinen Blick? Das Motto der Begegnung im Sommer zuvor sollte für uns auch das Anliegen
dieser erneuten Begegnung sein. Trotz
aller vorhandenen Probleme, die wir
während der Vorbereitung des Followup-Treffens erlebten, setzen wir uns
das Ziel, die Begegnung auch unter
schwierigen Bedingungen zu ermöglichen, um Stereotypen und Feinbilder
in diesem trilateralen Verhältnis abzubauen.
Die Jugendlichen wollten zeigen, dass
es in allen drei Gesellschaften junge
Menschen gibt, die sich für Frieden,
Versöhnung und Gerechtigkeit einsetzen.
Am Checkpoint auf dem Weg nach Jerusalem:
Dort angekommen mussten wir erst
einmal wie Löwen in einem Zirkus durch
einen langen Gittergang laufen und
uns durch schwere Drehtüren zwängen.
Überwacht wurden wir von Kameras
und bewaffneten Soldaten, die gut
versteckt mal hier und mal dort standen.
Inga
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Johann
Der Unterschied zwischen den beiden Städten (Bethlehem und Beersheva) ist meiner
Meinung nach enorm. [...] Flüchtlingslager (Deheishe) gegen Hochhäuser,
kleine Supermärkte am Straßenrand gegen eine bewachte Mall.
Alles in allem war dies beeindruckend, aber auch bedrückend.
Sarah
Das Treffen im Heiligen Land zwischen
den drei Gruppen war für alle Beteiligten eine Herausforderung. Die israelischen Partner (Kibbutzschule Shoval)
konnten im Rahmen von „Schule“ mit
den Jugendlichen nicht nach Bethlehem kommen, da Israelis das Betreten der palästinensischen Gebiete
untersagt ist. Zudem müssen „Schulausflüge“ immer mit bewaffneten
Sicherheitskräften begleitet werden.
So blieb uns nur die Möglichkeit, für
die palästinensischen Jugendlichen
aus Bethlehem und Nablus eine so genannte Permit bei den israelischen Behörden für das gemeinsame Treffen in
Beersheva/Israel zu beantragen. Wenn
diese Permits überhaupt ausgestellt
werden, dann meistens nur für einen
Tag. So kam es: erst am Vorabend des
gemeinsamen Seminars kamen die
lang ersehnten Genehmigungen für
die palästinensischen Jugendlichen.
Nach fast acht Monaten ausschließlicher Facebook-Kontakte sahen sie
sich also wieder – für ein paar Stunden in Beersheva. Dies in einer Woche,
die von Gewalttätigkeiten und leider
auch Toten zwischen Siedlern und
Palästinensern überschattet war.
Und so erstaunte es uns, dass sich die
jungen Leute trotz der widrigen Rahmenbedingungen herzlich begrüßten
und umarmten. „Das, was es im letzten Jahr an Streitigkeiten gab, war
gestern – heute seid ihr hier und das
ist schön“, sagte eine israelische Jugendliche zur Begrüßung. Die gemeinsame Zeit war viel zu knapp bemessen, das war die deutliche Meinung
aller Jugendlichen. Die persönlichen
Gespräche kamen zu kurz und auch
der Workshop musste vorzeitig beendet werden. „Warum können wir nicht
länger zusammen sein?“ bzw. „Wozu
diese Regelungen?“ – am Ende des Tages stand die Ernüchterung. Und für
die palästinensischen Jugendlichen
gab es einen weiteren Konflikt: die
Permits waren bis 22 Uhr ausgestellt
und gerne wären sie noch nach Jerusalem gefahren. Da aber in dem Papier
der Militärverwaltung als Reiseziel nur
Beersheva angegeben war, war ihnen
der Besuch in Jerusalem nicht möglich.
An der Promenade Tel Aviv:
Auf unserem Rückweg kamen wir an
der ausgebrannten Diskothek
vorbei, die ein weiteres Beispiel für den
fürchterlichen Konflikt zwischen
Israel und Palästina ist.
In dieser Diskothek gab es 2003
ein schreckliches Selbstmordattentat.
Anna
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Die Bremer Gruppe konnte während
der Woche eine friedliche Jugenddemonstration in Bethlehem miterleben: dort und in anderen Orten
der Westbank demonstrierten Jugendliche für einen Wechsel der politischen
Führung in Westbank und Gaza. Die
junge Generation dort schließt sich
den arabischen Jugendprotesten in
der Region dem Wunsch und der Forderung nach Freiheit und Unabhängigkeit an.
Alle am Projekt Beteiligten waren
und sind trotz der schwierigen Bedingungen überzeugt davon, dass nur Dialoge und persönliche Treffen helfen
können, Spannungen und Konflikte
abzubauen. Dialogarbeit mit der „Basis“ ist eine notwendige Aufgabe neben den politischen Verhandlungen.
Dies erfordert Geduld und langfristige
Projektpartnerschaften.
Anette Klasing,
LidiceHaus
Peter Menken,
Oberschule Leibnizplatz
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in Bethlehem
[...] In der Altstadt besuchten wir
dann das Internationale Begegnungszentrum, Diyar: „Diyar ist der Plural
des arabischen Wortes Dar und bedeutet „Heimat“. [...]
Diyar verfolgt einen ganzheitlichen
Ansatz, durch den besonders Kinder,
Jugendliche, Frauen und ältere Menschen unterstützt werden. [...]
Während wir dort das Zentrum besichtigten, hörten wir, dass zum selben
Zeitpunkt eine Jugenddemonstration
in der Altstadt stattfand. Frau Klasing
führte uns also auf das Dach des Zentrums, von dem wir eine gute Aussicht
auf die Demonstration hatten. Wir sahen Jugendliche, die gemeinsam laut
rufend und Fahnen schwenkend durch
die schmale Altstadt zogen und für
einen Wechsel der politischen Führung in der Westbank und Gaza demonstrierten.
Sarah
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Wieder mussten wir durch den Checkpoint, doch diesmal sah der Soldat in
seinem Häuschen nicht einmal richtig
auf, als sei es ihm egal, wer da in das
palästinensische Gebiet wollte.
Im Grunde ist es (Tel Aviv) eine große Stadt
mit vielen viel zu großen Häusern, von denen
uns einige an den Kunstunterricht
zurückdenken ließen.
Katja
Inga
in Beersheva / Workshop
Tel Aviv und Jaffa
Wüste, Meer und Strand
[...] Wir begannen das Seminar, indem
sich jeder noch einmal namentlich in
einem großen Stuhlkreis vorstellte, da
wir uns ja seit einigen Monaten nicht
mehr gesehen hatten. Danach haben
alle ihre Namen an die Tafel neben
das „Welcome to Israel“ geschrieben
und wir begaben uns in Arbeitsgruppen, in denen sich jeweils Deutsche,
Israelis und Palästinenser/innen befanden. [...]
[...] Auf dem Weg nach Jaffa kamen
wir an einer großen Synagoge vorbei.
Da am Samstag in Israel Sabbat ist,
liefen dort gerade die Vorbereitungen
für die Sabbat Gebete. [...]
Als wir von Jerusalem in die Judäische
Wüste fuhren, konnten wir die wunderschöne Landschaft Israels bestaunen.
Hierzu muss gesagt werden, dass man
selten so eine abwechslungsreiche
Landschaft zu bestaunen bekommt:
Wüste, dann wieder Bäume, Beduinengruppen, den Blick aufs Meer sowie
die verfallenen Häuser am Straßenrand, als wir am Toten Meer ankamen.
Diese Anfahrt erwies sich aufgrund
des ständigen Druck in den Ohren als
nicht sonderlich angenehm. [...]
In diesen Arbeitsgruppen bekamen
wir dann Arbeitsblätter, auf denen wir
notieren und in der Runde diskutieren
sollten, welche 5 Gegenstände wir in
unseren Koffer packen und mit anderen teilen bzw. selbst von den anderen
annehmen würden, wenn wir für längere Zeit an einen einsamen Ort reisen
würden. Sinn und Zweck dieser Übung
sollte sein, dass die Gruppen ins Gespräch bzw. ins Thema kommen. [...]
Janin
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in Jerusalem
[...] In der Altstadt hat mir persönlich
vor allem das Handeln um die Gegenstände Spaß gemacht, denn so etwas
wie Handeln hatte ich vorher noch
nie gemacht. Und es lief wirklich gut!
[...]
Leider wurde es im Laufe der zwei
Stunden immer voller in den kleinen
Gassen der Altstadt, so waren wir am
Ende der Zeit froh, aus dem Getümmel
rauszukommen. Nach den zwei Stunden in der Altstadt besuchten wir das
Willy Brandt Center. [...]
Dort trafen wir auf Margret, eine Erzieherin, die für das Haus-Management im
Willy Brandt Center zuständig ist. Bei
einer Tasse Tee und Kaffee erzählte sie
uns viele spannende Dinge über das
Willy Brandt Center und dessen Arbeit.
Das Zentrum hat das Ziel, gewaltfreie
Kommunikation zwischen jungen Israelis und Palästinensern zu stärken und
bietet viele Seminare, Workshops usw.
an. [...]
Inga
Tel Aviv wuchs allerdings sehr schnell,
weil die Stadt Zentrum der jüdischen
Immigration war. In Jaffa angekommen sah man die schönen alten renovierten Hauser und ganz viele Verkaufsstände. Denn das ‚alte’ Jaffa von
früher gibt es jetzt so nicht mehr, es
ist eher ein Ort, der Touristen anziehen soll. Im Gegensatz zu Tel Aviv ist
Jaffa eine sehr alte Stadt, in der ursprünglich Palästinenser lebten. [...]
Anna
Margret erzählte uns eine Geschichte, die wir sehr erschreckend
fanden. Eine Geschichte über ein
kleines jüdisch-israelisches Mädchen, das in Jerusalem im muslimischen Gebiet wohnte:
Margret sah sie eines Tages
ängstlich an der Straße stehen
und fragte, was denn los sei. Das
Mädchen antwortete, es traue
sich nicht über die Straße, da
wären die ganzen ‚bösen’ arabischen Menschen. Margret nahm
sie an die Hand und begleitete
sie über die Straße. Dann sah sie
das Mädchen an und sagte, sie
selbst sei auch eine Araberin.
Das Mädchen riss sich los und
rannte weg.
Schwimmen in diesem Meer, dessen Salzgehalt bei unglaublichen
33% liegt, erwies sich – nun ja
– als schwierig, da es für die meisten
Menschen doch eher ungewohnt ist
nur auf dem Rücken schwimmen zu
dürfen und automatisch oben zu treiben. [...]
Durch die ständige Wasserentnahme
aus dem Jordan zur Versorgung Israels
und Jordaniens mit Trinkwasser ist das
Tote Meer von schleichender Austrocknung bedroht und sein Wasserspiegel
sinkt seit ca. 1980 jährlich um einen
Meter.
Katja
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2010
Das Programm in Beersheva/Israel und Bethlehem/Westbank
Das Programm im LidiceHaus, Bremen
Fr, 25. Juni
Ankunft der israelischen und
der palästinensischen Gruppe
Begrüßungsspiele
Kennenlernen des Ortes, des Teams und
der Anderen
Di, 29. Juni
Workshop
Der Planet meiner Träume
Simulationsspiel über gesellschaftliche
Normen, Werte und Bedürfnisse
Reflektion
Sa, 26. Juni
Workshops
1. Wer bin ich, wo komme ich her, was kann
ich bieten?
Biographische Arbeit
2. Unsere Regeln & Verständnisse für die
Zusammenarbeit
Empfang im Rathaus u. Museumsbesuch
Entdeckungs-Rallye durch die Stadt Bremen
in multi-kulturellen Gruppen, mit Aufgaben
Grillen
Feedback zur Stadt-Ralley
So, 27. Juni
Workshop
Wo sind wir hier? – Was ist wichtig über
Deutschland zu sagen?
Eine Präsentation der deutschen Gruppe
Kleingruppenarbeit in nationalen
Gruppen
Was haben wir gehört, gesehen, gelernt Was
wollen wir erreichen?
FIFA Fußballspiel
Präsentationen der Gruppen
Mo, 28. Juni
Outdoor-Workshop über Teamwork
Zusammen lernen – Zusammen erleben
Ausflug nach Bremerhaven:
Klimahaus: interaktives Museum
Mi, 30. Juni
Genderbezogener Workshop
Alle unterschiedlich – Alle gleich?
zu gesellschaftlichen Normen und Bedürfnisse
Outdoor Aktivitäten
Flöße bauen – Werdersee – Kletterwände
Team-Bildung
Gruppen-Feedback
Do. 1. Juli
Workshop
Ich und die Anderen – über Demokratie und
Partizipation
Besuch der deutschen Jugendlichen bei
ihnen Zuhause
Treffe die Anderen
Fr, 2. Juli
Workshop
Wie gehen wir mit Konflikten um?
(World-Café)
Kleingruppenarbeit in nationalen
Gruppen
Sa, 3. Juli
Evaluation
individuell – national – gemeinsam
Vorbereitungen
Präsentaionen und Abschiedsfeier
So, 13. März
Ankunft in Beit Jala
Mo, 14. März
Einführung in die Situation vor Ort
Besuch bei Lotty Camerman und Khaled Abu
Awwad von Al Tariq: Beit Jala, ein arabi­scher
Ort zwischen Bethlehem u. Jerusalem
Treffen mit den palästin. Jugendlichen und
Rundgang durch das Flüchtlingslager
Deheishe/Bethlehem
Besuch bei Umm Ahmet: die Situation und
Rolle der Frauen in der palästin. Gesellschaft
Di, 15. März
Erkundung
zu Fuß von Beit Jala nach Bethlehem
Besuch des Colleges des Internationalen
Begegnungszentrums Dar Al Kalima
Rami Khader: Kultur und Bildung in der jungen
palästinensischen Gesellschaft
Besuch des Internat. Begegnungszentrums
Gespräch mit TeilnehmerInnen der
Jugenddemonstration in Bethlehem
Treffen mit Noam und israelischen Jugendlichen des gemeinsamen Projekts in Beersheva
Mi, 16. März
Ankunft der palästinensischen Jugendlichen
aus der Projektgruppe in Beersheva
gemeinsame Fahrt zur Kibbutzschule Shova“
Workshop
Wie ist es mir/uns seit unserer letzten Begegnung 2010 in Bremen ergangen
Was wir miteinander teilen / teilen wollen,
was uns trennt / unterscheidet
trinationale Arbeitsgruppen
Rundgang im Kibbutz Shoval
Fahrt zum Schutzbunker in Beersheva
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Noam, Initiative Negev Coexistence Forum for
the Beduins: Lage der Beduinen im Negev und
die Arbeit der Initiative
Do, 17. März
Thematische Jerusalem-Erkundung:
Jerusalem – eine Stadt für Menschen aller
Religionen und Kulturen?
Besuch des Willy-Brandt-Zentrums Jerusalem
bei Margret Kirreh:
Anliegen u. Angebote des Zentrums für israeli­
sche, palästinensische u. andere junge Leute
Besuch bei der Familie von Margret Kirreh:
Lebensbedingungen und Konfliktlinien in der
Heiligen Stadt
Abschlussabend mit den palästinensischen
TeilnehmerInnen
Fr, 18. März
Fahrt in die judäische Wüste sowie zum
Toten Meer
Zur geopolitischen Lage des Jordantals und
zur Wasserproblematik in Israel und Palästina
Freizeit am Toten Meer
Abfahrt nach Tel Aviv und erster Rundgang
Zwischenbilanz
Sa, 19. März
Rundgang in Tel Aviv
100 Jahre Tel Aviv – Geschichte und
Entwicklung der Stadt
Besuch der großen Synagoge
Besuch in Neve Zedek
zu Fuß nach Jaffa:
Das alte und das neue Jaffa – zur Geschichte
einer ehemals arabischen Stadt
Evaluation des Seminars und Abschlußabend
So, 20. März
Abfahrt der deutschen Gruppe nach Tel Aviv
Flug nach Bremen
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2011
Nachwort
Während wir noch an dieser Dokumentation
arbeiten, erreicht uns eine traurige Nachricht:
Juliano Mer Khamis, Direktor des FreedomTheatre in Jenin wurde ermordet.
Durch unsere Freundin und Kollegin Lotty
Camerman (Israel) erreichte uns am Montag,
den 4. April die Nachricht vom grausamen
Mord an Juliano Mer Khamis, Direktor und
Schauspieler des Freedom Theatre in Jenin.
Das LidiceHaus hat – ebenso wie einige andere Jugendkultureinrichtungen in Deutschland – mit Juliano und seinen jungen SchauspielerInnen des Freedom Theatre zusammen
gearbeitet – zuletzt waren sie im Herbst 2009
im LidiceHaus zu Gast. Juliano hatte sich der
Theaterarbeit mit „seinen Kindern“ verschrieben. Seine Lebenserfahrungen als Sohn einer
jüdischen Mutter und eines palästinensischen
Vaters sowie seine professionellen Schauspielerfahrungen brachte er mit Leidenschaft
in das Theater ein. Er thematisierte immer
wieder die belastenden Erfahrungen durch
die israelische Besatzung im Flüchtlingslager
Jenin sowie auch die innerpalästinensischen
Widersprüche innerhalb der eigenen Gesellschaft. Juliano und sein Team waren immer
sehr mutig und arbeiteten dem Leben zugewandt.
Wir trauern um Juliano und wünschen „Julianos Children“ und seiner Familie viel Kraft,
zuverlässige Freunde und große Unterstützung auf ihrem weiteren Weg.
5. April 2011
für das LidiceHaus
Anette Klasing
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Danke
Hier einige Gedanken von Schauspielstudenten des Freedom-Theatre:
Wir möchten uns an dieser Stelle bei allen Förderern unseres Projektes ganz herzlich bedanken.
Denn ohne deren Unterstützung wären die Begegnungen nicht möglich gewesen.
“Juliano, your mother’s children have passed
away, your mother Arna has passed away
and so did you – but your children are going
to stay, following your path on the way to
the freedom battle, and we will go on with
your revolution’s promise, the Jasmine
revolution.“
2010:
- Europeans for Peace / Stiftung ‚Erinnerung – Verantwortung – Zukunft’
- Bundesjugendministerium / ConAct (Deutsch – Israelisches Jugendwerk)
- Stiftung ‚Begegnung: Deutsch – Palästinensisches Jugendwerk’
“The Revolutionary message will not pass
away. It will come storming the yellow sands
and the mountains covered by almond trees,
blowing the jasmine revolution out of the
freedom fighter’s hands, from here, from the
Freedom Theater’s stage, where men were
and are made to be free and engaged in the
cultural revolutionary battle for Freedom.“
“In thousands of silences only one violin
is playing, and in thousands of silences
only one voice is rising up, it’s the freedom
fighters’ voices, to whom you taught how to
carry the cultural gun on their shoulders.”
Juliano’s Children
Wir möchten diese Dokumentation dennoch
auch mit einer erfreulichen Nachricht beenden:
Im April haben wir von der Stiftung Demo­
kratisch Handeln erfahren, dass unser Projekt
Leihst du mir deinen Blick? im Rahmen
des 2010 ausgeschriebenen Wettbewerbs
ausgewählt worden ist und einige Jugendliche – stellvertretend für die Projekt­
gruppe – im Juni diesen Jahres in der Akademie Tutzing eine Auszeichnung für das
außergewöhnliche Engagement erhalten
werden.
2011:
- Senatorin für Jugend & Soziales, Bremen
- Beirat Neustadt
- Stiftung ‚Begegnung: Deutsch – Palästinensisches Jugendwerk’
- Bernd und Eva Hockemeyer Stiftung
sowie
- Saleh El Serray
- Hanse Security
- Willi Lemke
- Anning Lehmensiek
- Katja Barloschky