Zaha hadid architects

Transcrição

Zaha hadid architects
 live Magazin / Graz – Wien – Hamburg / Juni 2014
01 / 2014 live
architektur / raum / kunst
Zaha hadid Architects
Interview mit Patrik Schumacher
WU Campus Wien
Library & Learning Center
Furniture by Cserni
Projekte
Regattaverein Hamburg
Museum Angerlehner
Private Lebensräume
Objektmöblierung
MobiLiar & Accessoires by Cserni
Kunst
Franz Erhard Walther
Deutscher Konzeptkünstler
Ausstellung Hamburg
my landscape is your landscape
Insert Erwin Bohatsch
1
live 01 / 2014
live
01 / 2014 Editorial
CSERNI live 03
architektur / raum / kunst
Architekturen sind im Grunde dreidimensionale Aufbereitungen
von Logiken, Organisations- und Wissensstrukturen.
Patrik Schumacher
Nach intensiver journalistischer und redaktioneller Arbeit liegt nun die neue Ausgabe des
Cserni Magazins vor. In C-live 03 berichten wir ausführlich über Architektur, Interior und Kunst.
INTERNATIONALE ARCHITEKTUR
Die Coverstory dieser Ausgabe ist ein umfassender Beitrag über das Architekturbüro Zaha
Hadid. In einem langen Interview mit Patrik Schumacher wird die Entwicklungsgeschichte
von Zaha Hadid Architects, die wichtigsten Bauten sowie Schumachers Architekturtheorie
des Parametrismus erläutert. Ausgangspunkt dieses Beitrages ist das Library and Learning
Center am neuen WU Campus Wien – das größte Gebäude, das Zaha Hadid bisher in Österreich realisiert hat. Für dieses Gebäude hat Cserni exklusiv nach den Entwürfen Hadids
Möbel gebaut.
INTERIOR UND DESIGN
In diesem Bereich werden Projekte vorgestellt, die Cserni gemeinsam mit Partnern in letzter
Zeit realisiert hat: ein luxuriöser Loftumbau im Herzen von Wien nach Plänen des Büros
Peter Reindl, die neue Ausstattung des traditionsbewußten Norddeutschen Regattavereins
in Hamburg und Einbauten im Foyer des Museum Angerlehner in Wels.
Möbelentwürfe von der für Cserni tätigen Innenarchitektin Anika Müth werden präsentiert und
neue Serviceleistungen zur Gestaltung von individuellem Wohnbereich werden vorgestellt.
BILDENDE KUNST
Wie bei den ersten beiden Ausgaben von C-live, und wie es mittlerweile Tradition ist, wird
in dieser Ausgabe wieder der Kunst ein großer Raum gegeben.
Anlässlich seines 75. Geburtstags stellen wir das Werk des deutschen Konzeptkünstlers und
mehrfachen documenta-Teilnehmers Franz Erhard Walther vor. Dem Ausstellungsprojekt My
Landscape Is Your Landscape, das gerade durch Deutschland tourt, ist ebenfalls ein umfangreicher Beitrag gewidmet. Der Künstler Erwin Bohatsch wird portraitiert. Er hat mit eigens
dafür geschaffenen Papierarbeiten das Insert dieser Ausgabe gestaltet. Mit ihm geben wir
die erste C-live Kunstedition heraus, die kontinuierlich weitergeführt werden soll – Künstler
und Künstlerinnen, denen das jeweilige Insert gewidmet ist, gestalten eine Edition.
C-live, mit den Schwerpunkten Architektur, Interior und Kunst, versucht den aktuellen Tendenzen am Puls der Zeit nachzugehen. Das Architekturbüro Zaha Hadid zählt nach Norman
Foster zum zweitgrößten Baukünstlerbüro weltweit und wir sind besonders erfreut, Ihnen mit
dem ins Detail und in die Tiefe gehenden Interview mit Patrik Schumacher einen exklusiven
Einblick geben zu können in den aktuellen internationalen Architekturdiskurs.
Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre und anregende Zeit mit dem C-live Magazin 03.
Martin Cserni, CEO CSERNI Group
Thomas Redl, Chefredakteur
Library & Learning Center, WU Campus Wien, Foto: Andreas Thaler
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3
live Inhalt
01 / 2014
AutorInnen und FotografInnen dieser Ausgabe
CONTEMPORARY DESIGN by Cserni
Showroom Wien / Hamburg
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Exklusives Interior
Sberbank, Penthouse, Bakalofts
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Zaha Hadid Architects
Interview mit Patrik Schumacher
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Der Neue WU Campus Wien
22
rhtb:Trockenbau
24
Bauen für eine bessere Welt
Think Global, Build Social
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REgattaverein Hamburg
Das neue Clubhaus des N
­ RV
30
Museum Angerlehner
Ein Begegnungsort für zeitgenössische Kunst
32
Neuer Vitra showroom
35
Franz Erhard Walther
Deutscher Konzeptkünstler
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my landscape is your landscape
Internationale Videokunst
40
Erwin Bohatsch 44
Polyphonic
Die neue Website der Cserni Group
46
Cserni live/Cserni bar
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Manuela Hötzl
ist seit 1992 als Architekturkritikerin und Journalistin für internationale Architektur und
Kunstmagazine tätig. Sie ist Redakteurin bei verschiedenen Buch- und Magazinproduktionen, für Verlage, Architekturbüros und Unternehmen und spezialisiert auf die Vermittlung
von architekturrelevanten Themen. Sie hat in Graz (Technische Universität) und Pretoria
Architektur studiert und 2011 an der Goldsmiths University of London mit einem MA in
Research Architecture abgeschlossen. Manuela Hötzl lebt und arbeitet in Wien.
www.redaktionsbuero-architektur.at
IMPRESSUM
CSERNI live – Magazin / architektur/raum/kunst
Erscheinungsort Graz, Wien & Hamburg.
CSERNI live Nr. 03, Juni 2014
Für das Zustandekommen dieser Ausgabe danken wir allen AutorInnen, FotografInnen und
KünstlerInnen sowie allen Mitwirkenden.
Büro 1010 Wien
Um die Zukunft zu gestalten,
braucht es Utopisten in der Gegenwart, die die vorhandenen Grenzen
überwinden und die gegebenen
Formen sprengen, um sie zukunftsfähig neu zu erfinden.
Thomas Redl
Redaktion
Chefredakteur: Thomas Redl
Redaktion: Thomas Redl, Claus Friede, Katharina Pober
Hamburg Korrespondent: Claus Friede
Lektorat & Transkription: Valie Airport
Alle Fotos falls nicht anders angegeben: Thomas Redl / Karl Schrotter, © Cserni Group
Grafik und Produktion: Skylab / Dieter Auracher (Wien)
Cover: Library & Learning Center, WU Campus Wien, Foto: Andreas Thaler
Druck: Holzhausen Druck GmbH
Kontakt: [email protected], www.cserni.at
© bei den Autoren / © der Abbildungen sofern nicht anders angegeben bei CSERNI
Erklärung über die grundlegende Richtung:
Das Magazin CSERNI live sieht seine Aufgabe darin, einen Dialog auf hohem Niveau im
Bereich Architektur, Kunst und Kultur zu führen. Weiters werden aktuelle Projekte von
CSERNI im Bereich Architektur, Innenarchitektur und Interiordesign vorgestellt.
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Im kompromisslosen Zusammenspiel aus intelligenter
Funktionalität, inspirierendem Stil und handwerklicher
Qualität entwickelt das 1930 in der Steiermark gegründete Traditionsunternehmen CSERNI heute Architektur- und Interiorkonzepte auf hohem Niveau und sieht
seine Tätigkeit in der Umsetzung exquisiter Lebens- und
Arbeitswelten, erstellt aus den Wünschen und Vorstellungen anspruchsvoller Business- und Privatkunden.
Wohn- und Unternehmensvorhaben werden architektonisch entwickelt, geplant, gebaut und bis ins Detail
eingerichtet. Vom ersten Termin bis hin zur schlüsselfertigen Objektübergabe hat der Kunde nur einen
Ansprechpartner.
Österreichische Qualität, modernste Technik, hochwertige Materialien sowie umfassendes langjähriges Knowhow zeichnen die Dienstleistungen und Produkte von
CSERNI aus.
„Wir stellen einen kompetenten
Partner für die Realisierung von
Wohn- und Unternehmensvor­
haben dar und versuchen, unseren
Kunden und Partnerunternehmen
ein gesamtheitliches Angebot,
die Bereiche Bauen, Wohnen und
Einrichten betreffend, zu liefern.
Das heiSSt: Von der grünen Wiese
beginnend über das Development
und die Begleitung in der Finanzierung einer Liegenschaft bis hin
zur Generalplanung durch den
Architekten, also der kompletten
Koordination und Umsetzung von
Immobilienprojekten sowie der
Innenraumgestaltung kommt
alles aus einer Hand.“
Architekt DI Martin Cserni,
Eigentümer der Cserni Group
rhtb: Projektpartner von Cserni
Das Redaktionsteam
Martin Cserni, CEO Cserni Group / Herausgeber
HTL für Möbel- und Innenausbau (1983-1988), danach Architekturstudium (1989-1994). Seit 1997 ist er selbständig als Architekt tätig und
übernahm im Jahr 2002 das Traditionsunternehmen Cserni, das er
vom klassischen Tischlereibetrieb zum Generalunternehmen mit Sitz in
Fehring, Graz, Wien und Hamburg erweiterte. Parallel zum Unternehmen
baut er die vom Vater begründete Kunstsammlung kontinuierlich aus.
Medieninhaber und Verleger:
Cserni Wohnen GmbH, Grüne Lagune 2, 8350 Fehring
Herausgeber: Martin Cserni / Herausgeber Insert: Martin Cserni & Thomas Redl
All Inclusive
Andreas Thaler
Österreichischer Produktdesigner, ist als Fotograf Autodidakt, Absolvent der Kunstuniversität Linz, Meisterklasse Metall bei Prof. Helmuth Gsöllpointner und Prof. Kristian Fenzl.
Andreas Thaler ist Gewinner des Europäischen Designpreises “DESIGN FOR EUROPE
AWARD“ 16. Internationale Design Biennale Belgien. Seine Arbeiten zeichnen sich durch
eine unverwechselbare Formensprache aus, sind Schnittstelle zwischen Funktion und
Skulptur – zu sehen in europäischen Museen, Design Hotels, MTV Europe Studios und
Headquarters renommierter Konzerne. www.andreasthaler.com
KünstlerInsert
Erwin Bohatsch
CSERNI live – Magazin
widmet sich den Themen Architektur, Design, Kunst und Kultur. Parallel werden aktuelle Projekte von CSERNI im Bereich Architektur, Innenarchitektur und ­Interiordesign vorgestellt. Es
geht vor allem um einen Diskurs über aktuelle Tendenzen und urbane Entwicklungen, um
einen differenzierten Blick aus unterschiedlichen Perspektiven. Das Magazin liefert damit einen Beitrag zur lebendigen Architektur- und Designszene in Österreich und im europäischen
Raum. Jeder Ausgabe ist ein speziell gestaltetes Künstlerinsert beigelegt.
Cserni Group
Sonja Pisarik
Lebt in Niederösterreich. Tätig als Architekturhistorikerin und Kuratorin. Studium der Kunstgeschichte an der Universität Wien, Kulturmanagement-Studium an der Universität für
Musik und darstellende Kunst Wien. Seit 2003 in Archiv und Sammlung des Architekturzentrums Wien tätig. Ausstellungen und Publikationen zur österreichischen Architektur der
Zwischenkriegs- und Nachkriegsmoderne. Zahlreiche Artikel zu Architektur und Design im
Nachrichtenmagazin Profil.
Das Coverbild, von Andreas Thaler
fotografiert, zeigt die große Eingangshalle des Library and Learning Center am neuen WU Campus
Wien. Dieses Gebäude, dessen
Formensprache aus Science Fiction
Architekturen entnommen scheint,
ist wie ein zur Ruhe gekommenes
Raumschiff mitten in Wien gelandet. Betritt man das Gebäude,
gerät man in eine Dynamisierung
des raumzeitlichen Kontinuums, in
einen Sog, der - von jeglicher statischer Trägheit befreit - den Benutzer des Gebäudes wie in einer
Zeitkapsel in der Zukunft verortet.
live
01 / 2014 Thomas Redl, Chefredakteur
Studium an der Hochschule für Gestaltung Linz. Tätig als Künstler und
Herausgeber. 2003–2007 Herausgabe des Zeitungsmagazins ST/A/R
zusammen mit Heidulf Gerngross. 2008-2011 Herausgabe des Magazins fair – Zeitung für Kunst & Ästhetik, Wien/Berlin in Kooperation mit
Wolf Günter Thiel, Berlin. Konzeption und Publizierung von Büchern im
Bereich Kunst und Design. Diverse Ausstellungen im In- und Ausland,
unter anderem Biennale ­Venedig 2009. Arbeitet mit den künstlerischen
Medien: Installation, Malerei, Film und Buch. Aktuell erscheint von ihm
das Kunstmagazin in situ – statements zur gegenwart.
Claus Friede, Korrespondent Hamburg
studierte freie Kunst und Romanistik in den USA und Deutschland.
1990 gründete er seine Kunstagentur Claus Friede*Contemporary Art,
die er bis heute leitet. 2002 war er Mitbegründer des kulturkluHH.
2006 bis 2008 verantwortete und moderierte er die Fernsehsendung
„Lampenfieber“ beim Regionalsender Hamburg1 Fernsehen. Seit 2008
leitet er als Chefredakteur das Internet-Feuilleton und WebTV-Format
www.kultur-port.de. Seit 2010 ist er außerdem künstlerischer Leiter des
Kunstforums Markert in Hamburg.
rhtb: Geschäftsführer Rainer Haubenwaller hat das Handwerk von der Pike auf gelernt.
Nach lehrreichen Jahren im väterlichen Betrieb startete er 1999 sein eigenes Unternehmen,
um sein Know-how und seine Visionen in die Tat umzusetzen. Bereits zwei Jahre nach
der Gründung wurde rhtb: mit dem VÖTB-Gütesiegel ausgezeichnet. Das mittlerweile 60
Mann starke Unternehmen hat sich am Markt längst etabliert und gilt in der Branche als
kompetenter Partner mit Handschlagqualität. Die ursprüngliche Kernkompetenz „Trockenausbau“ wurde in den vergangenen Jahren um die Bereiche Boden, speziell integrierte
Heiz-Kühlsysteme sowie Systemtrennwände erweitert. Mittlerweile erfüllt das rhtb:-Team
bei einer Vielzahl von Aufträgen die Aufgabe eines „Innenausbau“-Generalunternehmers.
Volles Engagement für den trockenen Innenausbau
„Als klassischer Familienbetrieb müssen wir Werte wie Qualität, Zuverlässigkeit und fachliche Spezialisierung hochhalten“, betonen die Geschäftsführer der rhtb: projekt gmbh,
Rainer Haubenwaller und Christian Mauroschek unisono.
Bei Großprojekten, wie zuletzt beim Campus WU, kann rhtb:
seine Stärken – und dazu zählen eine präzise Organisation
sowie die engagierte Umsetzung komplexester Aufträge – unter Beweis stellen.
Fünf Punkte sind es, die seitens rhtb: beim Um- und Zubau
der Wirtschaftsuniversität Wien besonders erwähnenswert
scheinen:
1. Die Flexibilität für die auftragsgemäße Erbringung sämtlicher Arbeitsleistungen – Wände, Decken, Böden … – durch
geschultes Fachpersonal, wobei durchschnittlich 50 rhtb:Mitarbeiter auf der Baustelle tätig waren;
2. die kompetente, beratende Unterstützung des Generalplaners und Architektenteams sowie der ÖBA;
3. das hervorragende Management der Materiallogistik, da so
gut wie keine Lagerflächen vorhanden waren;
4. das je nach Bauablauf gesteuerte System für die Einlagerung und den Hochtransport des benötigten Materials bis hinauf in den 12. Stock; und last but not least
5. das sehr gute Zusammenwirken bzw. die Koordination mit
sämtlichen am Projekt tätigen Firmen. Die Trockenbauarbeiten, die von rhtb: im Zeitraum Februar 2012 bis Juli 2013
durchgeführt wurden, umfassten u.a. 16.000 m2 GK-Metallständerwände, 3.500 m2 GK-Vorsatzschalen, 12.000 m2
Brandschutzverkleidungen, 15.000 m2 Brandschutzdecken,
6.000 m2 abgehängte GK-Decken, 5.000 m2 Akustikdecken,
4.000 m2 Metallkassettendecken und 22.000 m2 Hohl- bzw.
Doppelböden.
Weitere Infos auf den Seiten 24 und 25.
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live P rojekte 01 / 2014
live
01 / 2014 Projekte CONTEMPORARY DESIGN by Cserni
Showroom Wien / Hamburg
Wir bringen individuellen Flair in Ihre Lebensräume!
Erleben Sie in den CSERNI Showrooms Wien und Hamburg hochwertiges Design, individuelle Betreuung sowie
eine umfangreiche Sammlung exklusiver Materialien für
den Interior-Bereich – von traditionell klassisch bis reduziert modern.
Hochwertige Stoffe und Accessoires
Wir bieten folgende Leistungen:
- Individuelles Möbeldesign von der Skizze bis zum fertigen Objekt. Exklusive Entwürfe durch unsere Innenarchitektin Dipl.-Ing. Anika Müth.
- Auswahl an vielfältigen Materialien:
verschiedene Hölzer, geprägte Leder, Stoffe, Metall- und
Lackoberflächen, Perlmutt, Eggshell und vieles mehr.
- Persönliche Betreuung durch unser kompetentes Team
an Fachleuten im Bereich Interior-Design.
- Produktion der maßgeschneiderten Entwürfe in der
eigenen Möbelwerkstätte in hoher Handwerksqualität
verbunden mit technischem Know How.
- Ergänzung durch besondere Wohnaccessoires wie
Leuchten, Teppiche, Vorhänge und dekorative Objekte.
Tisch von CSERNI (Design und Produktion), Sitzbänke von Hans Kaufeld, Leuchte von Porta Romana, Vasen von Guaxs
Fotos: Thomas Redl
Mit der Leidenschaft, individuelle Gesamtlösungen im Interiorbereich
aus einer Hand zu bieten, werden die harmonischen Designs entwickelt.
Eine Komposition zu entwickeln aus dem Verständnis für das Wesentliche
und mit dem Blick für Details ist das Ziel unserer Innenarchitektin
Anika Müth. Damit schafft sie ein unverwechselbares Raumanbiente.
Zuhören und mit Feingefühl die Vorstellungen der Kunden zu
realisieren, hat oberste Priorität.
Loungechair von Wittmann, Side Table von Christine Kröncke, Vase von
DK Home und Bild von Franz Cserni
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Materialboards
aufklappbares Barmöbel, Design: Anika Müth; Ambiente: Restaurant Hansen in der historischen Markthalle der Wiener
Börse, Wipplingerstr. 34, 1010 Wien, www.hansen.co.at
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live P rojekte 01 / 2014
live
01 / 2014 Projekte Exklusives Interior
Sberbank, Penthouse, Bakalofts
Interview mit Peter Reindl und Andreas Gebhard
Thomas Redl: Worin liegt der Schwerpunkt Ihres Architekturbüros, im Bereich der Innenarchitektur oder der
klassischen Außenarchitektur?
Peter Reindl: Unser Schwerpunkt liegt auf dem exklusiven Innenausbau, aber auch auf exklusivem Hochbau
von Dachgeschoßausbauten, über Penthäuser bis zu
größeren Villen, die wir in den letzten Jahren realisiert
haben. Auch für einige Banken haben wir einen gehobenen Standard im Interior Design umgesetzt.
TR: Was sind die Kriterien in diesem Luxus-Segment?
PR: Ein gewisses Vertrauen ist grundsätzlich notwendig.
Zu mir kommen High-end Kunden, die Qualität haben
wollen. Wir haben Kunden aus dem arabischen Raum
und Russland, natürlich aus Österreich und auch Amerika, die österreichisches Design und österreichische
Betreuung schätzen. Wir bewegen uns allerdings nicht
nur im Hochbaubereich, sondern auch im Mobiliensektor: Wir haben das Interior für einige Schiffe geplant und
große Flugzeuge eingerichtet.
TR: Privatflugzeuge?
PR: Ja, das waren Privatflugzeuge für Kunden aus Österreich und Russland. Dies war eine extreme Herausforderung, denn es geht zwar um Gestaltung, hat aber mit
Architektur als solches nur wenig zu tun. Wir mussten
uns mit völlig neuen Zertifizierungen und Fragestellungen auseinandersetzen, wie: Darf man überhaupt „normale“ Stoffe, Leder und andere Materialien bis hin zu
Geschirr in einem Flieger mitnehmen? Wir haben auch
einen Bildungsprozess durchlaufen und hatten intensiv
mit den Flugzeugherstellern und Behörden zu tun, die
zuständig für die Zulassungen und Zertifizierungen sind.
So ein Flieger wirkt einfach und klein – eine Boing 737
hat innen eine Länge von 35 m und eine Breite von
etwas über 3,5 m, also die Fläche einer mittelgroßen
Wohnung, aber wir haben vier Jahre daran geplant.
TR: Der Interieur-Bereich beinhaltet alles vom Design
bis zur kompletten Ausstattung von Häusern?
PR: Ja, bis hin zum Accessoire.
TR: Sie haben mehrere Projekte mit der Firma CSERNI
realisiert: Sberbank Headquaters sowie die Ausstattung eines Penthouse. Wie gestaltete sich die
Aufgabenteilung?
PR: Wir als die federführenden Architekten haben uns an
die Firma CSERNI um Unterstützung im gehobenen Innenausbau gewandt. CSERNI verfügt über einen extremen Fundus an Materialien und das gewisse Know-how,
wie man mit Innenraum exklusiv und effizient verfährt,
was sich einsetzen und auch umsetzen lässt. Es geht
hier um Qualität. Manchen Kunden ist es nicht wichtig,
wer der Billigste oder Wirtschaftlichste ist, sondern wer
der Beste ist. Und CSERNI hat sich da einfach hervor
getan.
TR: Im Penthouse gibt es einen großen offenen Wohnbereich mit Einbauten, die exklusiv für das Projekt entworfen wurden. Wie waren hier die Anforderungen und
die Gestaltungslinie?
PR: Es handelt sich um einen Dachgeschoßausbau, ein
sehr großes Penthouse – ein Raum mit circa 100 m2 und
zahlreichen Nebenräumen mit einem Gesamtwohnraum
von etwa 400 m2. Wir haben uns vorerst auf den Wohnund Schlafraum konzentriert, weitere Räume folgen in
der nächsten Zeit. Wohnzimmer, Essbereich und Küche
sind weitestgehend offen. Wir haben versucht, mit dem
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Entwurf dem Geschmack des Kunden zu entsprechen.
Das bekommt man natürlich nicht von der Stange, sondern es muss aufgrund der Konfiguration des Dachraumes auf den Zentimeter genau geplant sein. Wir haben
einen Contemporary Modern Designstil vorgeschlagen,
der sofort angenommen wurde. Es ist kein sehr moderner, glatter Stil, wie man es vielleicht von uns erwarten
möchte, sondern es ist etwas verspielter und verzierter.
Die Elemente aus Vollholz hat CSERNI bestens ausgeführt. Das Ganze zieht sich wie ein roter Faden von der
Küche über den Ess- in den Wohnbereich, es gibt kaum
Unterbrechungen und es sind an die 22 Laufmeter mit
bis zu 4 m hohen Verbauten. CSERNI hat aber nicht
nur die Einbaumöbel hergestellt, sondern auch das gesamte Spektrum der Serienmöbel abgedeckt. Es wurde
vom Sessel über die Couch bis hin zum Zierpolster und
Nachttischlämpchen alles geliefert.
TR: Es ist also ein Komplettausstattungsmodell.
PR: Ja, man kann sagen, bei CSERNI findet eine Art
one-stop-shopping statt. So etwas suchen viele Kunden, sie wollen nicht von Möbelhaus zu Möbelhaus
laufen oder sich im Internet irgendwelche Möbel bestellen. Bei CSERNI bekommen sie alles serviert, sie
können Stoffe und Materialien begutachten und, nicht
unwesentlich, sie erhalten sofort den Preis, der sich bei
einem one-stop-shopping vielleicht auch etwas flexibler
gestaltet.
TR: Welche Kriterien lagen der Planung des Interieurs
der Sberbank zugrunde?
PR: Im Office-Bereich hat man zu 80 Prozent mit Serienmöbel zu tun: Stühle, Tische, Regal- und Ablagesysteme. Der Empfangsbereich, die Besprechungs- und
Konferenzräume und exquisiten Lounges sind wie im
Privaten zu konfektionieren. In einem großen Konferenzraum bedurfte es eines 12 m langen Besprechungstisches mit einem massiven Unterbau, der die Elektronik
verbirgt, und mit einer veredelten, glänzenden Oberfäche. Diesen Tisch hat CSERNI in nur wenigen Wochen
hergestellt und in drei Teilen geliefert. In den anderen
Bereichen, wo CSERNI tätig war, war es auch sehr wichtig, hochwertige Ausführungen mit exklusiven Oberflächen zu bekommen.
Sberbank, © Cserni
Objekteinrichtung Penthouse, Wien, © Cserni
TR: Wesentlich sind hier also auch die Qualitätskriterien?
PR: Ja. Ganz besonders wichtig ist auch die Zeitschiene. Wir hatten einen sehr engen Planungs- und
Umbauzeitraum. Die Räumlichkeiten der Bank am
Schwarzenbergplatz – es geht um 6000 m2 – wurden
sehr teuer angemietet. Der Umbau musste innerhalb
von drei Monaten erfolgen. Das waren natürlich extreme Vorgaben, wobei sich CSERNI als guter Partner
erwiesen hat: Sie haben es in der kurzen Zeit geschafft,
diese hochwertigen Möbel herzustellen.
TR: CSERNI hat ein gutes Team mit sehr erfahrenen
Mitarbeitern und parallel gibt es in der Steiermark eine
hohe Handwerkstradition.
PR: Ich habe mir die Facility bei CSERNI in Fehring angesehen und war überrascht, wie groß die Firma ist. Das
Personal besteht aus geschulten Tischlern und hoch
motivierten Mitarbeitern aus der Region. Wir haben
ein zusammengeschweißtes Team von Mitarbeitern
bei CSERNI vorgefunden, einige Zeichner, Planer und
Monteure – sympathische und resche Burschen aus
der Steiermark – habe ich persönlich kennengelernt.
TR: Sie haben aktuell ein Loft-Projekt in Arbeit. Um
welches Projekt handelt es sich und was hat es für
Spezifikationen?
PR: Es handelt sich um eine ehemalige Lusterfabrik im
17. Bezirk, die Bakalowits hieß. Wir nennen das Projekt
Bakalofts. Es ist ein circa 2000 m2 großes Objekt, das
wir völlig ausräumen und aus den ehemaligen Produktionsstätten und -hallen klassische Lofts produzieren,
d.h. es sind überwiegend 1-Raum-Wohnungen mit eingebauten Boxen, wie Badezimmer-, WC- und vielleicht
Schlafbox, die sich mittels Glas- oder verschiedenen
großflächigen Wänden öffnen und schließen lassen. Der
Käufer kann sich eine Fläche von 180 bis 400 m2 aussuchen und dann dementsprechend selbst bespielen. Wir
richten die Lofts mit Holzboden, Bad etc. fix und fertig
her, alles Weitere wie Küche, Einrichtung macht der Nutzer selbst. Alle Einheiten sind mit Garagen versorgt,
genau gesagt mit 1,2 Garagenplätzen und manche verfügen über eine Dachterasse mit Blick über ganz Wien.
Es ist wirklich ein sehr interessantes Projekt. Die Lofts
sind auch erschwinglich, denn der 17. Bezirk ist noch
nicht bis ins letzte Eck von Bauträgern ausgelutscht.
Ich bin hier nicht nur Architekt, sondern auch Bauträger
und mache mit meinem Partner, Herrn Mag. Andreas
Gebhart, und einem Investor gemeinsame Sache. Als
Architekt mit hohem Anspruch, was Architektur und
Innenausbau anbelangt, erreiche ich hier ein ganz bestimmtes Klientel. Die Zeit der Vorsorgewohnungen, wo
man Wohneinheiten von 40-80 m2 wie warme Semmeln
verkaufen konnte, ist vorbei. Es gibt ein Klientel von
Loft-Fans, wie Künstler, Kulturschaffende oder auch
Familien, auch wenn dies kein Projekt ist, in dem wir
eine 4-6-köpfige Familie ansprechen, obwohl der Platz
ausreichend wäre und man Wände aufstellen und aus
den 400 m2 sieben Zimmer machen könnte. Aber das
ist nicht unser Konzept, wir verkaufen Lofts.
TR: Welche Aufgaben hat CSERNI in diesem Projekt
ausgeführt?
PR: CSERNI hat uns von der ersten Minute an als Partner im Bereich des Marketings unterstützt. Wir haben
einen Werbefilm gedreht, für den private Werke aus der
Kunstsammlung von Martin Cserni und Möbel aus dem
CSERNI Schauraum zur Verfügung gestellt wurden. In
weiterer Folge beabsichtigen wir auch, Küchen und andere Einbauten, die wir den Käufern anbieten, von der
Firma CSERNI produzieren zu lassen.
Objekteinrichtung Penthouse, Wien, © Cserni
TR: Wird eine Art Musterloft eingerichtet werden?
Andreas Gebhard: Das wird es auch geben. Wir versuchen, zu leistbaren Preisen möglichst individuelle und
sehr flexible Wohneinheiten zu gestalten, und wollen
Peter Reindl
in Verbindung mit Unternehmen wie CSERNI, das diesem hohen Qualitätsanspruch gerecht wird, den Nutzern
bzw. Käufern alles aus einer Hand anbieten, bei völliger Freiheit allerdings, was Design, Qualitätsansprüche,
Gestaltung der Räume und schlussendlich den Lifestyle betrifft. Dazu braucht man Partner wie CSERNI,
die schnell und individuell, aber ohne Qualitätsverlust
produzieren können.
TR: Wiener Wohnen stellt eher das klassische AltbauWohnungsmodell dar. Lofts gibt es in Wien nicht so viele.
Ist dies ein Aufbruch in Wien, auch andere Wohnsituationen und internationalere Lebensräume entstehen
zu lassen?
AG: Das Publikum und damit die Nachfrage verändern
sich. Wie Peter bereits erwähnt hat, die klassischen
Immobilieninvestoren im Sinne der Vorsorgewohnungen, die sich eine Wohnung als Altersvorsorge kaufen,
um eine Mietrendite zu erzielen, und in zehn Jahren
die Wohnung den Kindern zur Verfügung stellen, werden weniger. Die Nachfrage lässt deutlich nach, weil
die Wohnungs- und Quadratmeterpreise derart gestiegen sind und eine Mietrendite nicht mehr so einfach
zu erzielen ist. Wir haben uns ganz bewusst für eine
andere Art von Projekt entschieden. Wir wollen Leute
erreichen, die unsere Herangehensweise an Immobilien
nachvollziehen können, wo Individualität und Flexiblität
an oberster Stelle stehen – die Nutzung des eigenen
Raums für seine eigenen Bedürfnisse, die sich über die
Zeit verändern können und dürfen, ohne dass man dann
gezwungen ist, sein gewohntes Lebensumfeld komplett
zu verlassen und sich woanders hin zu orientieren.
Das genau haben wir dort
mit der Situation der alten
Fabrik mit einer tollen Historie geschaffen; das Haus
hat lange bevor Herr Bakalowits mit der Lusterproduktion angefangen hat,
als Kunsthandwerkstätte
und Tischlerei gedient.
Insofern ist es besonders
witzig, nun mit einem aus
dem Handwerk kommenden Betrieb wie CSERNI
dieses Projekt gemeinsam
zu realisieren.
PR: Wir wollen nicht
08/15-Vorsorgewohnungen bauen, sondern unsere Ideen zu Architektur Bakalofts, © PR Architects
und Wohnen in die Welt hinaustragen. Also haben wir
beschlossen, dies „below the line“ zu versuchen. Lofts
gibt es nicht so viele. Und ohne dass wir bereits in Betrieb sind, haben uns im Zuge der letzten sechs bis acht
Monate, seitdem wir das Projekt besitzen, zahlreiche
Leute angesprochen. Wir haben eine Künstlergruppe
namens Rummelhummel drinnen gehabt, die wiederum
ihr Klientel angesprochen hat. Auch wenn wir noch nicht
in der Verwertung und Vermarktung sind – wir haben
noch keine Anzeige geschalten und sind noch nicht
aktiv auf Leute zugegangen – ist die Nachfrage da, die
Leute rufen uns an und fragen, ob sie sich die Lofts anschauen und kaufen können, obwohl sie eigentlich noch
nicht herzeigbar sind, weil es eine Baustelle ist. Aber
eine besondere Gruppe von Leuten zeigt hier Interesse.
TR: Danke für das Interview.
Bakalofts, © PR Architects
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live 01 / 2014
01 / 2014 live
Architektur
Zaha Hadid Architects
Interview mit Patrik Schumacher
WU Campus Wien
rhtb:Trockenbau
Bauen für eine bessere Welt
Think Global, Build Social
Rosenthal Center for Contemporary Art, Cincinnati, USA, 1997 / 2003, © Zaha Hadid
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live A rchitektur Zaha Hadid
Architects
01 / 2014
live
01 / 2014 Architektur Interview mit Patrik Schumacher
Thomas Redl: Welche Bedeutung hatte die Ausstellung
„Deconstructivist Architecture“, die 1988 im MOMA in
New York stattfand, für die Architekturentwicklung generell und für die Entwicklung des architektonischen
Werkes von Zaha Hadid im Speziellen?
Patrik Schumacher: Die Ausstellung fasst etwas zusammen, was es in der Entwicklung bereits gab, d.h.
sie initiiert nicht. Es ist jedoch dennoch wichtig, dass
ab und zu Begriffe in den Diskurs geworfen werden, die
versuchen zu definieren, was vorgeht und was sich an
aktuellen Tendenzen entwickelt, und so eine Beschleunigung an Entwicklung hergestellt wird und Konvergenz
von kreativen Kräften auf die Entwicklung. Das war ein
wichtiger Moment, es war die Zeit der Postmoderne
und der Versuch, Tendenzen zu sammeln, die eigentlich konträr dazu waren. Eine der Subtendenzen der
Postmoderne war die Rückbesinnung auf historische
Modelle, die latent in der Postmoderne vorhanden war.
Die Tendenz, die schließlich in der DekonstruktivismusAusstellung gezeigt wurde, war der Versuch, radikal
dagegen zu stehen und für eine abstrakte Innovation
mit wenig Rückschau, und wenn mit Rückschau, dann
auf Radikaltendenzen der Frühmoderne, und an diese
anzuknüpfen im Sinne von radikaler Innovation in Richtung von mehr Komplexität. Es war eine relativ kleine
Gruppe, es hätten auch mehr sein können, aber für
diese Gruppe der Sieben war dies natürlich ein enormer Karriereschub. Ich habe Zaha Hadid zur Zeit dieser
Ausstellung kennengelernt und sie beim Symposium
„The Deconstructors“ an der TATE getroffen und mich
dann bei ihr beworben. Ich hatte die Arbeit von Zaha
Hadid schon zuvor geschätzt und war interessiert, aber
das Symposium hat dies noch untermauert. Ich war
sehr ambitioniert und wollte bei dieser neuen, hippen
Tendenz mitmachen.
radikal neuen Konzepten, die mehr Intensität, Dynamik
und Komplexität beinhalten als die Konzepte der klassischen Moderne. Es fand eine Rückbesinnung auf die
in den 1920er-Jahren entstandenen Tendenzen, die sich
in den 1930er, 40er und 50er-Jahren nicht durchgesetzt
haben, wie z.B. der Konstruktivismus und Suprematismus, oder in der Kunst der Kubismus.
TR: Fast 20 Jahre danach fand die Einzelausstellung von
Zaha Hadid im Guggenheim-Museum New York statt,
der zweite international wesentliche Meilenstein in der
Repräsentation ihrer Architektur. Welche Auswirkungen
hatte diese Ausstellung und wie beeinflusste und förderte sie die Auftragslage des Büros von Zaha Hadid?
PS: Der entscheidende Schritt für die Auftragslage
und öffentliche Wahrnehmung von Zaha Hadid ergibt
sich aus zwei Komponenten, zum einen kam Ende der
1990er-Jahre nach 15 Jahren radikaler Entwurfsforschung der Durchbruch mit einigen Wettbewerbsgewinnen: Cincinnatti, Wolfsburg, Rom. Die Fertigstellung des
Lois & Richard Rosenthal Center for Contemporary Art
in Cincinnatti gab den Ausschlag für den Pritzker-Preis,
das war ein entscheidender Meilenstein für Zaha Hadid.
Darauf aufbauend kam die Guggenheim-Ausstellung,
die noch Einiges an Renommee und Profil geschaffen
und dazu beigetragen hat, dem Werk von Zaha Hadid
zum Durchbruch zu verhelfen. Wir sind dann sehr stark
gewachsen, mit vielen neuen, auch größeren Projekten.
Es war auch ein bisschen ein Zeitgeist, der dahinter
stand, ein Optimismus, eine Aufbruchstimmung, eine
Boom-Zeit. Auch Frank Gehrys Guggenheim-Museum
in Bilbao hat dazu beigetragen, die Idee von komplexeren und spektakuläreren Bauten durchzusetzen.
Die vom Bauhaus inspirierte Architektur war im Grunde an industrielle
Fertigungsmethoden gebunden und
notgedrungen repetitiv, um kosteneffizient sein zu können. Hadids Architekturkonzept hingegen, geboren aus einer
rigorosen Logik und einem Designverständnis, das die euklidischen Grenzen
sprengt, wurde erst durch eine neuerliche industrielle Revolution möglich, die
von digitalen Entwurfs- und Fertigungsmethoden vorangetrieben wurde.
Jetzt können Schreibtische aus Wänden
hervorspringen und Brücken in sinusförmigen Wellen zu tanzen beginnen.
Zaha Hadid hat die Architektur entfesselt – und nichts wird sein wie zuvor.
Philip Jodidio,
aus Die raumerneuernde Explosion, Hadid.
Complete Works 1979 – 2013, Taschen Verlag 2013
TR: Die Gruppe der ausgestellten Architekten umfasste
Frank O. Gehry, Peter Eisenman, Bernard Tschumi,
Coop Himmelb(l)au, Daniel Libeskind, Rem Kohlhaas
und Zaha Hadid; und es war Jacques Derrida, der den
Begriff des Dekonstruktivismus entwickelt hat.
PS: Jacques Derrida hat den Begriff der Dekonstruktion
als Methodenbegriff einer philosophischen Kritiktechnik entwickelt. Peter Eisenman und Bernard Tschumi
als Vordenker in der Disziplin, die sich mit Philosophie
beschäftigt hatten, haben Derrida zur Zusammenarbeit eingeladen, weil sie inspiriert waren und Parallelen
sahen. Aus dieser Zusammenarbeit heraus ist dieser
Begriff entstanden, der aber ursprünglich von Joseph
Giovannini stammt, jedenfalls erhebt er den Anspruch,
diesen Begriff entwickelt zu haben als Stilbegriff für
die Architektur, d.h. dieser -ismus stammt so nicht
von Derrida, sondern kommt aus dem Architekturdiskurs in Anlehnung an den philosophischen Begriff der
Dekonstruktion.
TR: Wie weit hatten die russischen Konstruktivisten und
auch der Suprematismus Einfluss auf diese Gruppe und
auf Zaha Hadid? Sie spricht davon, dass sie versucht
hatte an diese Strömungen anzuschließen.
PS: Die Radikaltendenzen einer modernen Kunst und
Architektur waren Einfluss gebend, der Suprematismus
besonders für Zaha Hadid, aber auch für Rem Kohlhaas.
Für Bernard Tschumi waren es mehr der Konstruktivismus und Jakob Tschernikow. Daniel Libeskind hingegen
hat sich mehr an Kubismus und Collagetechniken orientiert. Nah verwandt aber waren alle in ihrer Suche nach
Feuerwehrhaus, Vitra Campus, Weil am Rhein, © Vitra
Library and Learning Center, WU Campus Wien, Foto: © Andreas Thaler
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live A rchitektur 01 / 2014
live
01 / 2014 Architektur Architekturen sind im
Grunde dreidimensionale Aufbereitungen von
Logiken, Organisationsund Wissensstrukturen.
Patrik Schumacher
Zaha Hadid, Rosenthal Center for Contemporary Art, © Zaha Hadid
TR: Coop Himmelb(l)au hat eine ähnliche Entwicklung
durchgemacht und ist auch in der internationalen Architekturszene angekommen. Es gibt also einen Zeitpunkt,
wo die Auftraggeber die Bereitschaft und den Mut für
die Beauftragung solcher Projekte entwickelt haben.
PS: Es dauert immer eine Weile. Die Dekonstruktivismus-Ausstellung war der Ursprung, die ursprüngliche
Markierung dieser Tendenz und der Karrieren. Entscheidend ist auch, welche Figuren sich im nächsten Zyklus
durchsetzen. Das Ergebnis dessen ist dann so etwas
wie der Pritzker-Preis, die Guggenheim-Ausstellung
und damit die Potenzierung der Präsenz. Inzwischen
kann man sagen, dass Zaha Hadid Architects und Zaha
Hadid, was die Prominenz anbelangt, wenn man das
z.B. mit Google-Referenzen misst, mit großem Abstand
das populärste Architekturbüro der Welt ist, und dann
kommt, relativ weit abgeschlagen, Frank Gehry und
andere wie Herzog & de Meuron Architekten.
GENESE DER BAUTEN
TR: Der erste Bau von Zaha Hadid in Europa, das Feuerwehrhaus für Vitra in Weil am Rhein, ist eine Landmark
für diese neuen Architekturformen. Wie entwickelte sich
das Zaha Hadid Büro und was waren die wichtigsten
Bauten, die realisiert wurden?
Rosenthal Center for Contemporary Art, Cincinnati, USA, 1997 / 2003,
Foto © Roland Halbe
PS: Nach Vitra gab es längere Zeit nur wenige Projekte,
ein kleineres Ausstellungsgebäude für die Landesgartenschau, ebenfalls in Weil am Rhein. Aber sonst tat sich
fast die ganze Dekade nicht viel. Ende der 1990er-Jahre
kam das Museum für Zeitgenössische Kunst in Cincinnatti, das Phaeno Wissenschaftsmuseum in Wolfsburg
und MAXXI, das Nationalmuseum für die Kunst und
Architektur des XXI. Jahrhunderts in Rom, und das war
vielleicht der Höhepunkt, der entscheidende Durchbruch
zur Top-Liga der internationalen Architekten. Seitdem
sind einige weitere Meilensteine entstanden, z.B. das
Opernhaus in Guangzhou in China, das Aquatics Centre – das olympische Schwimmbad in London – und
Galaxy Soho in Peking. Derzeit haben wir etwa 50-60
Projekte in Planung, 10-15 offene Baustellen, weitere
bereits fertiggestellte Museen und inzwischen bauen wir
auch Hochhäuser, größere Gebäudekomplexe und wir
sind auch im Städtebau tätig. Wir sind sehr breit aufgefächert. Aber den Durchbruch stellte das Jahr 2000
mit den Museumsbauten dar.
TR: Mit dieser Entwicklung hat auch das Büro stark
expandiert. Es beschäftigt mittlerweile mehrere hundert
Mitarbeiter.
PS: Wir sind mittlerweile etwa 450 Mitarbeiter, was
ungewöhnlich groß ist für ein Büro mit einer artistisch
inspirierten Führerschaft. Es ist das einzige Architekturbüro mit einer künstlerischen Führung in dieser Größenordnung. Ein ganz anderer Architekt im Sinne eines
Baukünstlers, der noch größer ist, ist Norman Foster.
Unter den 100 größten Firmen der Welt gibt es keinen
weiteren künstlerisch ambitionierten Protagonisten. Wir
sind nach Foster das größte künstlerisch motivierte Baubüro der Welt.
TR: Die Netzwerke und das Teamworking spielen in
einer so großen Organisation eine entscheidende Rolle.
Wie ist das Büro diesbezüglich strukturiert?
PS: Wir haben ein sehr offenes Netzwerk von Mitarbeitern mit flachen Hierarchien. Wir haben sehr junge
Teams, die meisten führenden Mitarbeiter sind ehemalige Studenten. Es gibt ein enges persönliches Verhältnis und ein sehr enges inspiratives Milieu, in dem
sich unsere Mitarbeiter bewegen. Wir erwarten hohe
Eigeninitiative und Kreativität von unseren Mitarbeitern,
gewähren dafür auch große künstlerische Freiheit. Umgekehrt sind aber auch die Prinzipien und Wertekriterien
wichtig, von denen unsere Arbeit geleitet wird und die
wir alle gemeinsam in der Zusammenarbeit tragen. Mein
Guggenheim Singapore, © Zaha Hadid Architects
Beitrag ist vor allem das Initiieren von neuen Agendas,
Prinzipien, Werten, die ich mit internen Vorlesungen
und Parolen in die kreativen Prozesse injiziere, so zum
Beispiel die Emphase auf das wirksam und sichtbar machen innovativer statischer Prinzipien wie differenzierte
Skelette im Hochhausentwurf oder Schalenstrukturen
und tensile Strukturen in mehr horizontal ausgerichteten
Projekten mit großen Spannweiten.
TR: Es handelt sich also nicht um ein Heer von Zeichnern, die ausschließlich für die Ausführungsplanung am
Computer sitzen.
PS: Genau, es ist ein kreatives Milieu, es wird sehr viel
experimentiert. Es bestehen gewisse ästhetische Kriterien, verschiedene Methoden und Entwurfstechniken,
die uns zusammenbinden, und es gibt auch immer
wieder neue Ansprüche für die Weiterentwicklung. Es
sind die internen Parolen oder auch paradigmatische
Projekte, die ihren Einfluss auf alle Mitarbeiter ausüben.
Das womit wir, Zaha Hadid und meine Person, uns beschäftigen, führt dann auch zu parallelen und kreativen
Prozessen an vielen Stellen. Oft wird dies in akademischen Kontexten zuerst erarbeitet, z.B. an der Angewandten in Wien oder an der Architectural Association
School of Architecture in London, kurz AA, wo ich seit
16 Jahren unterrichte.
TR: Wieviele Bürositze gibt es derzeit?
PS: Der Hauptsitz ist in London, und der zweite Schwerpunkt liegt in Asien mit Büros in Peking und Hongkong,
da wir einige Projekte in China, Singapur, Hongkong,
Korea, Malaysien, Indonesien haben. Dazu haben wir
viele kleinere, temporäre Baustellen-Büros.
ARCHITEKTURTHEORIE
TR: Sie haben eine eigene Architekturtheorie entwickelt und den Begriff „Parametrismus“ eingeführt.
Können Sie den Begriff kurz erläutern?
Rendering, Guangzhou Opera House, © Zaha Hadid Architects
14
Guangzhou Opera House, Guangzhou, China, 2003 / 2010,
Foto © Hufton + Crow Photographers
PS: Es gibt zwei Stufen der Definition, zunächst die
begriffliche Definition: Parametrismus basiert auf dem
Begriff der Parameter, verstanden als Variablen. Die Idee
ist, dass alle Elemente einer architektonischen Komposition mit Variablen ausgestattet sind, die diese Elemente plastisch, verwandelbar und anpassbar werden
lassen, sodass sie sich aufeinander beziehen können
und sich aneinander anverwandelnd durch und für
einander verformen, überformen und sich flexibel an
Kontextsituationen anpassen können und dadurch gegenüber einer Komposition mit rigiden geometrischen
Figuren, die vorgefasst sind, zu fluiden Kompositionen
mit über Parameter plastisch gewordenen Elementen
werden können.
Das Zweite ist die operationalisierende Definition. Hier
formuliere ich Prinzipien und Kriterien, nach denen mit
computergestützten Prozessen diese Objekte angelegt werden als Genotypen mit Variablen und sich zu
Systemen multiplizieren, mit der Vorgabe, dass diese
Systeme differenziert sein müssen, mit Gradienten zu
einem differenzierten Feld im Gegensatz zu dem modernistischen, monotonen Serienfeld, und dass des Weiteren diese differenzierten Felder Subsysteme werden
in einem komplexeren Multisystem-Aufbau und über
assoziative Logiken miteinander korrellieren. Der Begriff
der Differenzierung führt zum Begriff der Korrelation
von mehreren differenzierten Subsystemen, die nicht
indifferent sind und die nicht einfach kollagiert werden
sollen, sondern die von einander abhängig sind und sich
aufeinander beziehen und die sich somit gegenseitig abbilden und so von einander ableitbar werden. Das ist die
entscheidende Operationsweise des Parametrismus.
Das führt dazu, dass die verschiedenen Räume und
Teile einer Komposition miteinander kommunizieren, zueinander passen und sich kontextsensitiv in ein Umfeld
einpassen. Es ist eine Art a priori des Parametrismus,
dass es um Einbettung, Anverwandlung in gegebene
Kontexte geht und nicht um das Aufoktruieren einer
vorgefassten Form in jedweden Kontext.
TR: Sie sprechen im Parametrismus von der Ablösung
der Formensprache, die das 20. Jahrhundert stark
geprägt hat, u.a. der Bauhaus-Sprache, und von der
Ablösung vom Fordismus, der die stereotype Form als
Raster im großen Maßstab eingesetzt hat, wie dies z.B.
auch in den Stadtentwürfen von Le Corbusier ersichtlich ist.
PS: Für mich ist der Hauptkontrast tatsächlich der
Kontrast von Parametrismus und Modernismus. Ich
rede von epochalen Stilen. Die Postmoderne und der
Dekonstruktivismus sind dagegen nur transitorische
Stile. Der Modernismus des 20. Jahrhunderts war
das architektonische Abbild oder Korrelat der sozioökonomischen Epoche des Fordismus. Ich rede heute
vom Parametrismus als dem neuen epochalen Stil des
21. Jahrhunderts, der nicht die Vorgaben des Fordismus, sondern die der postfordistischen Netzwerkgesellschaft umsetzt, in der es um eine Verdichtung von
Beziehungen geht und nicht mehr um das Aussortieren
von unterschiedlichen Lebensbereichen in separate Stereotypen, die dann nur repetiert werden – das war die
Stadt der Moderne. Es geht um die Ausdifferenzierung
einer Vielgestalt von Lebensbereichen, die aber miteinander zu vernetzen und aufeinander zu beziehen sind
– das liefert der Parametrismus. In dem Übergang vom
Modernismus zum Parametrismus gibt es transitorische Stilentwicklungen, die andeuten, dass man weg
von dieser Monotonie geht und die Architektursprache mit Vielgestaltigkeit und Komplexität anreichern
möchte; das ist der Postmodernismus, der sich dann
zum Dekonstruktivismus weiterentwickelt hat. Das sind
Zwischenstufen auf dem Weg zum Parametrismus.
Der Parametrismus nimmt die Ideen von Komplexität,
Vielgestaltigkeit und auch Konfliktbereitschaft in dem
Zusammenkommen von Vielem des Dekonstruktivismus auf, geht aber nicht davon aus, dass es hier nur
um Kollision und Collage, um ein Ineinandergreifen von
Formen geht, sondern er versucht, dies aufzulösen und
in eine neue komplexe Ordnung zu überführen, diese
dadurch lesbar und nachvollziehbar zu gestalten, die
Komplexität fassbar zu machen und zu verorten. Während die Vielfalt im Dekonstruktivismus nur in einem
Rohzustand agglomeriert, gibt es im Parametrismus die
Durcharbeitung, Klärung und Transparentmachung von
Vielfalt und Komplexität. Das Resultat ist eine komplexe,
organische Ordnung, die unsere dichte, soziale Welt
navigierbar macht. Dagegen führt der Dekonstruktivismus ab einer bestimmten Komplexitätsstufe zu einem
desorientierenden visuellen Chaos. Deshalb war der
Dekonstruktivismus nur eine Zwischenstufe, er hat auch
nur etwa zehn Jahre gewirkt, bis sich aus ihm heraus
der Parametrismus entwickelt hat, der sich inzwischen
auch wesentlich weitgreifender und umfassender durchgesetzt hat und sich viel besser generalisieren lässt. Der
Dekonstruktivismus hatte ein Problem formuliert, eine
Polemik geliefert, die Umsetzung der angerissenen Potenzen und die Durcharbeitung dieser Probleme finden
jetzt im Parametrismus statt.
TR: Welche zeitgenössischen Architekten würden Sie
dieser neuen Stilrichtung zuordnen?
PS: Es gibt eine ganze Generation von Architekten, die
in dieser Art und Weise arbeiten und mitziehen. Zaha
15
live A rchitektur Nile Tower Kairo, © Zaha Hadid Architects
Hadid Architects ist das führende Büro, das hier in größerem Maßstab auf internationaler Ebene arbeitet, aber
es gibt viele andere, die mitarbeiten und genauso kreativ
am Entstehungsprozess des Parametrismus mitgewirkt
haben. Das sind Leute, die jetzt nicht nur Architektur
an den Schulen lehren, sondern auch praktisch immer
mehr wirken, wie etwa Greg Lynn, Reiser & Umemoto,
Hani Rashid und Lise Anne Couture mit Asymptote Architecture oder Ali Rahim und Hina Jamelle mit Contemporary Architecture Practice aus New York. Coop
Himmelb(l)au mit Wolf Prix haben sich auch in diese
Richtung entwickelt. Frank Gehry hat sich, vielleicht
weniger algorythmisch basiert, aber in seinen künstlerischen Tendenzen auch aus dem Dekonstruktivismus in
den Parametrismus hinein entwickelt. Es gibt eine Konvergenz. Man sieht selbst bei Norman Foster, bei einigen
Arbeiten einiger Subteams, diese Tendenzen. Es gibt
darüber hinaus sehr viele jüngere Architekten und Architekturbüros, die noch nicht den Durchbruch erreicht
haben. Parametrismus ist ein weltweites Phänomen,
nicht nur in Europa und Nordamerika, sondern auch
in Asien, im Mittleren Osten und in Lateinamerika. In
Peking ist zum Beispiel das junge Architekturbüro MAD
Architects – vormalig meine Studenten und Mitarbeiter
von Zaha Hadid Architects – bereits sehr erfolgreich.
Auch in Osteuropa kenne ich persönlich viele junge Architekten und Designer, die in dieser Stilrichtung mitarbeiten. Ich arbeite an einer großen, neuen Ausstellung
für 2016 in London, um zu zeigen, wie umfassend und
durchschlagend diese Architekturbewegung inzwischen
geworden ist.
TR: Sehen Sie generell einen Paradigmenwechsel in der
Architektur, und wenn ja, könnte dieser Paradigmenwechsel die geometrisch hierarchische Architektur, die
streng genommen seit der europäischen Antike herrscht
– also nicht nur seit dem Modernismus, sondern auch
im Klassizismus und anderen Epochen – ablösen hin zu
einer neuen nonhierarchischen, dynamisch fließenden
Architektursprache?
PS: Das ist sehr gut formuliert. Und der Begriff des Paradigmenwechsel ist wichtig, denn der Umbruch, den wir
jetzt sehen, ist einschneidender und radikaler als vorherige Stilumbrüche. Wenn man in der Rückschau diesen Umbruch vergleicht mit der Architekturentwicklung
16
01 / 2014
Saphira Tower Rabat, © Zaha Hadid Architects
von mehreren hundert Jahren seit der Renaissance,
merkt man, dass hier etwas sehr Radikales passiert,
und das hat natürlich zu tun mit den radikal neuen Entwurfsmethoden und Fabrikationstechniken, die über die
Mikroelektronik und durch computergestützte Entwurfs­
prozesse möglich geworden sind, wo wir viel enger an
komplexen Organisations- und Formationsprinzipien
arbeiten, ähnlich wie aus dem Naturgesetzlichen entstehende Formen in der Natur, sozusagen Morphologien, die aus dem komplexen Ineinandergreifen von
Gesetzmäßigkeiten resultieren. Diese Art von Prozessen entwickeln wir auf Computerbasis. Deshalb dieser
Paradigmenwechsel, der zum einen etwas liefert, was
vielleicht schon immer ein Traum von Architektur war,
sich an der Natur zu orientieren – aber nur methodologisch und analogisch – und sich in Wirklichkeit an
den gesellschaftlichen Prozessen orientiert und an der
Notwendigkeit, Kommunikation zu intensivieren in städtischen Ballungsräumen. Da kommt es zu tragen, dass
wir Komplexität artikulieren können in verdichteten Situationen mit diesen fluiden, dynamischen Architekturen.
Das ist wirklich ein Paradigmenwechsel, wie Sie sagen.
Es geht hier um einen neuen Begriff der Ordnung. Was
wir jetzt als komplexe Ordnung anstreben, formulieren
und verständlich machen können, wurde vormalig als
Unordnung abgetan, weil man diese Komplexität nicht
begreifen konnte. Das hat sich seit der Chaostheorie
radikal geändert. Der Parametrismus nimmt an dem
entsprechenden Paradigmenwechsel in den Natur- und
Sozialwissenschaften teil.
TR: Ich möchte noch auf einen gesellschaftspolitischen
Aspekt der Architektur eingehen. Die hierarchisch traditionelle Repräsentationsarchitektur war immer eine Darstellung der politischen Macht, wie man es zum Beispiel
im Absolutismus an den Bauten von Schloss Schönbrunn oder Versailles sehr gut ablesen kann. Wenn nun
die Architektursprache wechselt, entsteht damit auch
ein Paradigmenwechsel, der weggeht von der Repräsentation absolutistischer und hierarchischer Systeme
hin zur Darstellung neuer dynamischer Systeme unserer
heutigen Gesellschaft? Und kann die Architektur diese
Prozesse mitbeeinflussen, mitgestalten und mitprägen?
PS: Auf jeden Fall. Die Architektur, die wir entwickeln, gestaltet oft den öffentlichen Raum und die
Arbeitswelten, durchdringt Wohn-, Geschäfts- und Arbeitsbereiche. Sie liefert ein anschauliches Abbild von
gesellschaftlichen Dynamiken und zeigt die multizentrische Städtestruktur, die Simultanität von verschiedenen
Angeboten von Interaktion, wo verschiedene Publika
zusammenkommen und sich teilweise in ihren Ansprüchen überlappen. Das ist ein neues Gesellschaftsbild,
das sich stark verändert hat gegenüber dem des 18.
Jahrhunderts, das sehr stark stratifiziert war, aber auch
gegenüber einem Gesellschaftsmodell der Moderne,
das mit sozialistischen Tendenzen kohärent ging im
Sinne einer Universalisierung von Lebensstandards
und Prozessen, einer Uniformierung zusammen mit
den mechanischen Reproduktionsmechanismen des
Fordismus. Man hatte damit einen Lebensstandard erreicht, aber nur zu einem bestimmten Preis, nämlich
dem Preis der Homogenisierung. In der Jetztzeit kann
man aber wieder differenzieren, ohne diese enormen
Kosten einer handwerklichen Spezialisierung herbeizuführen. Man kann über reprogrammierbare Produktionsprozesse und computergestützte Entwurfsprozesse
in schnellen Zyklen Spektrum, und nicht nur Masse,
erzeugen und eine ausdifferenzierte Produktwelt und
eine Welt von verschiedenen Erfahrungen, Bereichen,
Lebensstandards, Lebensprozessen entwickeln. Die
verschiedenen Publika, die in der globalisierten Welt
entstehen und die in Metropolen zusammenkommen,
haben sehr unterschiedliche Lebensrhythmen, weil die
Arbeitsteilung, die Vielfalt und Dynamik von Karrieremöglichkeiten so groß ist, wogegen im Modernismus
noch sehr viel standardisiert wurde. Die Proliferation von
Unterschiedlichkeiten bildet sich in der Physiognomie
der Stadt ab und wurde von einer Architekturtendenz
aufgegriffen, die dem gegenüber sehr sensibel ist und
das in eine Ästhetik und Arbeitsweise überführt, die
uns als neue Stilrichtung entgegentritt, die kongenial
mit diesen Prozessen ist und zu ihrem Abbild wird, aber
nicht nur zu ihrem Abbild, sondern zur Repräsentation
von Gesellschaft überhaupt, die als Selbstbeschreibung
ein besseres Funktionieren der Gesellschaft unterstützt,
weil man sich und seine Gesprächspartner in so einem
Stadtbild besser wiederfindet.
TR: Viele sprechen davon, dass große Teile unserer Zivilisation immer mehr in Megacities leben werden. Das ergibt ein großes Thema, eine große Aufgabenstellung für
live
01 / 2014 Architektur Library and Learning Center, WU Campus Wien
Foto: © Andreas Thaler
Lesesaal, Library and Learning Center, WU Campus Wien, Foto: © Andreas Thaler
die aktuelle und kommende Architektur. Ist der Parametrismus hier anwendbar im Sinne einer neuen urbanen
Geometrie und Logik, im Sinne einer architektonischen
Topographie für die sich neu stellenden Komplexitäten,
die bis jetzt in dieser Weise noch nicht da waren?
TR: Aber es besteht auch die Gefahr, dass wir eine
Hyperverdichtung, einen Overflow an Informationen erleben, dies passiert ja gerade in den sozialen Netzwerken und in Form von Datenstaus. Wie weit kann diese
Verdichtung fortgesetzt werden und wieviel Freiraum
braucht das einzelne Individuum, oder auf dem Feld
der Architektur ausgedrückt, wieviele Individual- und
Informationsfreiräume sind notwendig in den extrem
verdichteten Strukturen von Megacities?
PS: Das haben Sie sehr scharfsichtig auf den Punkt
gebracht. Genau da sehe ich den Kontext, die Herausforderung. Die Weltgesellschaft wird sich in Megacities
ballen. Wir müssen unsere gebaute Umwelt für einen
wesentlich höheren Komplexitäts- und Verdichtungsgrad entwerfen, bei gleichzeitiger Notwendigkeit von
Orientierung, Lesbarkeit und intutiver Navigation, um
nicht ein so verdichtetes Konglomerat in einem visuellen
Chaos zerfallen zu lassen, was dann disfunktional wäre.
Denn wir leben nicht nur in Megacities, sondern wir sind
auch freigesetzt und nicht mehr an unseren Arbeitstisch gebunden, sondern mit unseren mobilen Laptops
und Phones freigesetzt im urbanen Raum. Umso mehr
können wir die Metropole als soziales 360°, dreidimensionales Kommunikationsinterface durchstreifen, um
neue Inspirationen, Stimulanzen, Gesprächspartner und
Eindrücke zu gewinnen, die wir ständig brauchen, um
uns immer neu zu vernetzen und mit Relevanz aufzuladen für das, was wir am nächsten Tag, in der nächsten
Woche zur weltgesellschaftlichen Arbeitsteilung beitragen werden. In der Netzwerkgesellschaft sind alle
unterwegs, um möglichst Vieles mitzubekommen von
dem, was andere machen, um immer wieder neu zu
rekalibrieren, was man selber macht. Das geht nicht,
wenn man immer nur im stillen Kämmerlein zu Hause
sitzt und sich ein Projekt ausdenkt, sondern man muss
in ständiger Kommunikation und Vernetzung bleiben.
Das sind Arbeitswelten, aber das sind auch ständig
neue Inputs und Stimulanzen aus der Freizeit. Arbeit
und Freizeit verwischen, wenn Arbeit fast nur noch
Kommunikation ist. Deshalb ist der, der nicht in diesen Megacities lebt und „noch in der Provinz steckt“,
wesentlich weniger produktiv, weil weniger up to date.
Natürlich helfen die Massenmedien wie Fernsehen und
vor allem das Internet, aber ich merke immer wieder,
dass ich in einem direkten Interaktionskontext viel mehr
mitbekomme und später diese Anstöße im Internet viel
besser nachvollziehen kann, als wenn ich mich isoliert
im Internet in der Kaskade der Links verliere.
WU CAMPUS WIEN
PS: Ich meine die Informationsdichte, die architektonisch aufbereitet, geordnet und strukturiert ist. Am
Beispiel unseres Gebäudes am WU Campus ist das
die Lesbarkeit der Struktur, die vernetzte Hierarchie
von Räumen und Unterräumen, aber auch immer wieder diese Simultanität von Interaktionsangeboten wie
zum Beispiel im großen Atrium, in das ich einsteige,
aber bevor ich eingetreten bin, habe ich die Hierarchien
schon wahrgenommen, weiß ich schon, wo der Leseraum, wo die Hauptelemente sind, und wenn ich dann
in Räume eintrete, wo ich unter mir, über mir, in alle
Richtungen, in Tiefen gestaffelt simultan Interaktionsangebote wahrnehme, dann sind diese räumlich geordnet
und semiologisch strukturiert. Aus dem großen Atrium
entwickeln sich nochmals mehrere weitere Atrien, also
weitere Simultanräume und Schluchten für die Lichtund Sichtführung. Das ist ein Raum der fortwährenden
Entwicklung, wo sich ständig neue Blicke eröffnen. Mit
jedem Schritt, den ich neu setze, treten neue Bilder und
neue Eindrücke in den Blick. Wir befinden uns nicht
in abgeschlossenen Räumen, in denen Fortbewegung
nichts Neues bietet, solange ich mich in diesem Raum
befinde. Dies aber sind offene, poröse Räume, die
immer Durchbrüche haben und Durchblicke gewähren.
Medien wie natürliches Licht und Materialdifferenzierungen sind so struktuiert, dass sie Orientierungshilfen sind,
um die Komplexität navigierbar zu machen. Der WU
Campus und vor allem unser Learning Center ist eine
Instanz dieser räumlichen Vernetzung von Interaktion
und gleichzeitig ein prägnantes Abbild dieser Institution.
Aber es ist nicht ein Abbild, das symbolisch funktioniert,
sondern ein Abbild einer Netzwerkgesellschaft, die tatsächlich vor sich geht und plastisch wird. Das räumliche
Abbild ist hier ein Kommunikationsinstrument, das Zusammenhänge anschaulich macht und damit aktiviert.
TR: Ich halte den neuen WU Campus Wien für ein sehr
gelungenes städtebauliches Projekt. Signifikant für mich
ist das funktionierende Wechselspiel zwischen verbautem und unverbautem Raum, die Boulevards, die dadurch entstehen, die Freiräume, die von den Benutzern
selbst bespielt werden können, und parallel das gleichzeitige Funktionieren verschiedener Architektursprachen
auf einem Campus.
PS: Das ist sehr spannend und unser Gebäude ist
ein Ort der Verdichtung und Auffächerung von Kommunikationsangeboten, es ist auch das zentrale Studentenzentrum und die Zentralbibliothek. Aber auch
der Rückbezug nach Außen ist wichtig. Es gibt immer
wieder den Aus- und Durchblick, die Reorientierung
in Bezug auf den Gesamtcampus. Auch wenn man
sich im Inneren des Gebäudes befindet, gibt es immer
Durch- und Ausblicke auf den Prater, auf die Nachbargebäude und den Blick auf den Vorplatz. Und es gibt
weitere Orientierungshilfen – es gibt die Schrägstellung
der Wände. Die so herbeigeführte Dynamisierung der
Räume führt einerseits zum psychologischen Moment
des Sich-Durchziehen-Lassen-Wollens, zum anderen ist
dies auch ein Informationselement, das mir auch in der
Tiefe des Gebäudes immer wieder anzeigt, in welcher
Richtung sich Eingang, Vorplatz und Hauptatrium befinden. Wenn ich gegen die Neigung laufe, bewege ich
mich in die Tiefe des Gebäudes, mit der Neigung laufe
ich in die Zentralbereiche. Solche Orientierungshilfen
sind wichtig, es ist eine Art von Semiotik der Geometrie.
Wir haben auch eine Semiotik der Farbe und der Materialtextur. So sind z.B. alle vertikalen Zirkulationskerne
in Sichtbeton abgesetzt. Wir haben auch eine Semiotik
der Fensterformation entwickelt: Alle öffentlichen Bereiche sind nach Außen hin mittels tiefer eingeschnittener
Fensterflächen abgebildet. Diese Fensterflächen sind
zudem geschoßhoch ausgeführt, in Kontrast zu den
Fensterbändern der nicht-öffentlichen Bereiche. Das
sind Gesetzmäßigkeiten in diesem Gebäudekomplex,
der so groß ist, dass er nicht automatisch übersichtlich
und navigierbar ist, sodass wir diese Orientierungs-, Navigations- und Informationsanreicherung systematisch
in das Gebäude einbauen mussten, das sonst durch
die Komplexität labyrinthartigen Charakter angenommen hätte.
17
live A rchitektur 01 / 2014
füreinander bedeuten könnten. Gleichzeitig denke ich,
dass ein stärkeres Einbetten eines derartigen Campus
in ein innerstädtisches Geflecht noch besser wäre. Wir
haben auch gleichzeitig das Messegelände und oft sind
dann Einschränkungen wie Sicherheit und Abgrenzung
von Bereichen, die eigentlich kommunizieren möchten,
schade. Wir haben zwar diese direkte Nachbarschaft
und dennoch eine undurchdringliche Grenzlinie mit dem
Messegelände. Diese Linie sollte – wie alle Grenzen –
permeabel sein. Denn was eine Netzwerkgesellschaft
will und was der Parametrismus anstrebt, ist die Verknüpfung und Intensivierung des Beziehungsgeflechts
zu intensivieren, nach dem Motto: Alles kommuniziert
mit allem.
Tisch, Design by Zaha Hadid, © Zaha Hadid Architects
TR: Es wurde auch eine eigene Möblierung für das
Gebäude entwickelt, die von österreichischen Firmen
ausgeführt wurde. War die Möblierung auch ein wesentlicher Teil des Gesamtkosmos und der Gesamtauffassung dieses Gebäudes?
Library and Learning Center, Foto: © Andreas Thaler
TR: Könnte man dies als zentralen Entwurfsgedanken
bezeichnen, diese Art semiotische Strukturierung?
gleichzeitig den Einfluss des Lichts und der Grünfäche
des Außens.
PS: Absolut, das ist der Zentralgedanke, der bereits
damit anfängt, dass wir zwei Institutionen, die ineinander greifen, mit Hell- und Dunkelgrau gegeneinander
abzeichnen und so nachvollziehbar ineinander greifen
lassen. Wenn man dieses Ineinandergreifen will, wird
umgekehrt das Auseinanderhalten zum Problem. Bei
sehr einfachen Kompositionen, wo ich sagen kann,
links ist hüh und rechts ist hot, brauche ich diese Zusatzorientierungshilfen weniger. Da wir aber die Dinge
verflechten und einander durchdringen lassen wollen,
brauchen wir diese semiotische Vorgehensweise, um als
Endnutzer die relevanten Identitäten und Interaktionseinheiten kognitiv nachvollziehen zu können.
PS: Und wieder Orientierung, ich kann hinunter schauen
auf den Platz und sehe das Kommen und Gehen. Braut
sich da was zusammen? Weshalb strömen Leute jetzt
ins Gebäude? Verpasse ich gerade etwas oder kann
ich an etwas teilnehmen? Das ist das Entscheidende,
dass ich mich lokal konzentriere auf das, was ich tue,
dass ich jedoch aus den Augenwinkeln alle gleichzeitig
stattfindenden Prozesse mit im Blickfeld habe oder zumindest mit spüre. Ich muss vernetzt bleiben, ich kann
nicht abschalten, mich verstecken und mich nur auf das
Buch konzentrieren für die nächsten paar Stunden. Das
kann ich zu Hause. Ich will vielleicht noch an einer Vorlesung, einem Seminar, einer Präsentation teilnehmen,
oder auch schauen, was andere machen. Das gehört
alles mit dazu, und das kann man nicht planen, da muss
man sich einfach dieser Reibung aussetzen. Deshalb
sind solche Orte wichtig, wo die Wahrscheinlichkeit groß
ist, dass Leute, die dort zusammen kommen, etwas
TR: Ein wesentliches Element im Library and Learning
Center ist der große Lesesaal, der sich zentral zur Grünfläche des Praters öffnet. Benutzertechnisch gelesen,
habe ich einerseits die Information meines Buches und
PS: Für uns ist es wichtig, dass alle Subsysteme miteinander kohärent sind, sich aufeinander beziehen,
dass das Eine das Andere akzentuiert, dass z.B. die
Bodenbeläge als Teil der Semiotik Funktionsbereiche
unterstreichen, dass die verschiedenen Farben und
Formen der sozialen Ordnung dienen oder dass alle
Kerne und vertikalen Verbindungen über den Sichtbeton
kodiert sind; dies bezieht auch stark das Möbeliar ein,
das die Geometrie unterstreicht, Linien nachzeichnet
und sich auf die räumliche Umgebung bezieht. Das ist
für die Orientierung und Ordnung so eines Gebäudes
sehr wichtig, und deshalb ist es auch eine Strukturierung
des Raumes. Möblierung ist gleichzeitig eine Raumstrukurierung und Raumakzentuierung.
TR: An bestimmten signifikanten Stellen gibt es Boards
oder große Desks, die von der Firma Cserni in Sonderanfertigung ausgeführt wurden und die in ihrer Lesbarkeit ein Subsystem der gesamten Architektursprache
sind.
PS: Absolut. Und es ist auch wichtig, dass solche
Punkte Magnete werden, Aufmerksamkeit auf sich ziehen, weil dies funktionale Informations- und Anlaufspunkte sowie Orientierungsräume sind, die symbolisch
überhöht und ästhetisch aufgewertet werden müssen,
um zu funktionieren. Ästhetik und formale Akzentuierung
sind zielführend, was die soziale Funktionalität eines
solchen Gebäudes ausmacht. Für uns greifen Ästhetik
und Funktionalität ineinander, denn die ästhetische Dimension ist eine Dimension der Wahrnehmung und der
Attraktivität, die wir brauchen, um uns zu orientieren.
Wir sind, wenn wir uns im Raum bewegen, sehr intuitiv
und emotional geleitet.
TR: Ich habe die einzelnen Objekte während der Fertigung in der Produktionsstätte von Cserni gesehen
und für mich waren diese Objekte eine Architektur en
miniature. Ich habe an den Objekten die Sprache Zaha
Hadids sofort lesen können und fand es sehr schön,
dass die architektonische Absicht auch am Möbelobjekt
im Rohzustand – also nicht nur eingebettet im Gebäude,
sondern auch solitär stehend – wahrnehmbar ist.
Tisch, Sonderanfertigung von Cserni, Library and Learning Center, Foto: © Andreas Thaler
18
PS: Das sind Synergien und Kohärenzen, sowie die Idee,
dass der Innenraum eine Fortsetzung des Außenbildes ist und dass man merkt, man ist in dem Innen des
Außens. Die Orientierung, wo man sich befindet und
was man zu erwarten hat, ist wichtig. Man synchonisiert eine Sequenz von Eindrücken in ein mentales Bild;
man hat niemals das Außen und das Innen gleichzeitig, das Hinten und das Vorne, man hat auch nie das
Teil und das Ganze, sondern dies erfolgt sukzsessive.
Deshalb muss es die Redundanzen und Reminiszenzen
von Außen nach Innen, vom Teil auf das Ganze geben.
Das ist vor allem für die intuitive Orientierung wichtig,
live
01 / 2014 Architektur Wir haben uns von der Vorstellung gelöst, monumentale Objekte zu schaffen, und
begonnen, uns mit der Topografie und dem Boden zu befassen. Wir haben uns
mit den zahlreichen Schichten des öffentlichen Raums auseinandergesetzt und
damit, wie sich Oberirdisches und Unterirdisches interpretieren lassen könnte.
Danach war der naheliegendste Schritt, sich mit [...] der Natur zu befassen.
Zaha Hadid
Zaha Hadid Architektur, Ausstellung MAK Wien, 2003,
© Zaha Hadid Architects
wo einem keine besondere Aufmerksamkeit abverlangt
wird, wo man nicht angestrengt nachdenken muss, wo
man ist, und wo man merkt, ich befinde mich noch im
Bibliotheksbereich des Learning Center. Und wenn ich
an einem dieser Tische sitze und mich in die Lektüre
versenke, bin ich erinnert und weiß, wo ich mich befinde.
TR: Dies erinnert mich an die griechischen Mnemoniker,
die in ihren Rhetoriken geistig Architekturen durchgegangen sind. Sie haben die mentalen Erlebnisse von
Architekturen in ihrem Gedächtnis gespeichert und
haben so Architektur noch vor der schriftlichen und fotografischen Überlieferung weitergetragen.
PS: Ich glaube auch an die Wirksamkeit von geistigen
Ordnungsstrukturen, die über physische Ordnungsstrukturen vermittelt sind und vermittelt sein müssen.
Man kann nicht alles im Gedächtnis rechnen und man
arbeitet visuell auch mit Papier und Bleistift oder mit Tabellen und grafischen Elementen. Architekturen sind im
Grunde dreidimensionale Aufbereitungen von Logiken,
Organisations- und Wissensstrukturen.
DESIGN
TR: Im Büro von Zaha Hadid spielt die Beschäftigung
mit Design eine wichtige Rolle. Sind die entwickelten
Designs ein Mikrokosmos der Architektursprache von
Zaha Hadid? Kann man das so lesen und interpretieren?
PS: Auf jeden Fall. Wir gehen durch alle Designdisziplinen. Die Stilrichtung des Parametrismus ist auf alle
Designdisziplinen hin angelegt. Dies fängt bei Städtebau an, über Architektur, Innenraumgestaltung, Möbel-,
Produkt- und Modedesign und geht hin bis zum Grafikdesign. Denn bei allen diesen Disziplinen – und das
ist meine Theorie der Kernkompetenz von Design und
Architektur – geht es um Kommunikationsdesign. Das
sind alles Interfaces der Kommunikation, mit denen ich
mich sozial repräsentiere, mich darstelle und kundgebe
und meine Kommunikationsbereitschaft signalisiere. In
welchen Raum, an welchen Ort, in welchen Stadtteil
ich mich begebe und mit welchen Objekten ich mich
umgebe, signalisiert eine Stimmung, eine Thematik und
Kommunikationsbereitschaft und ein Beziehungsgefüge. Das ist meine Grundthese: Alles Design ist Kommunikationsdesign. Soziale Funktionalität als Aufgabe
für Designer und Architekten muss unterschieden werden von technischer Funktionalität mit ingenieurmäßiger
Bearbeitung. Mit ihnen müssen wir zusammenarbeiten,
wir müssen sie integrieren, instrumentalisieren, orchestrieren. Unsere Kernkompetenz ist soziale Funktionalität,
und das heißt, kommunikative Dichte und Intensität zu
erzeugen, kommunikatives Funktionieren von gebauter
Umwelt und auch der Welt der Artefakte. Wozu das
Designelement? Ich muss erkennen, worum es sich
handelt. Der Ingenieur steht dafür gerade, dass es
physisch-technisch funktioniert; wir sind dafür zuständig, dass es kognitiv, emotional und sozial funktioniert.
TR: Die Objekte von Zaha Hadid weisen eine starke
Dominanz auf, auch in klassizistischen italienischen
Renaissance-Räumen. Die kommunikative Qualität ist
so präsent, dass sie auch in historischen Räumen ein
Zentrum bilden.
PS: Das ist richtig, aber die Konfigurationen, die hier
entwickelt werden, sind eben unklassisch, z.B. ein Sofa,
in dem man in verschiedene Richtungen sitzt, ein Sofa,
das nicht an die Wand geschoben wird, sondern sich
von der Wand frei spielt und mit anderen Elementen
flexibel Konstellationen entwickelt. Das sind die kommunikativen Situationen, die entstehen, Konstellationen für
spezifische Situationen, Teilnehmer und Stimmungen.
TR: Dies funktioniert aber auch ohne Benützbarkeit, z.B.
bei Ausstellungsobjekten.
PS: Wenn man das Objekt nur anstarrt, ist dies noch
keine Funktionalität. Man kann sich die Funktion zwar
vorstellen und mental bespielen, aber man muss jedoch
klar unterscheiden zwischen Kunst und Design. Design
ist das Eingreifen in reale Lebenszusammenhänge im
alltäglichen Kontext, auch wenn es ausdifferenzierte,
verschiedene Alltäge gibt. Kunst jedoch beinhaltet das
Moment der Kontemplation, des Sich-Distanzierens von
seinem Alltag und die Möglichkeit, einen anderen Alltag
zu imaginieren. Design hingegen ist das Eingreifen in
und das Bewirken von Situationen, manchmal vielleicht
auch innovativ stimulierend. Aber es sind keine Thesen,
sondern Hebel.
TR: Ein schönes Schlusswort. Vielen Dank für das ausführliche Interview.
Rendering, ROCA London Gallery, 2009 / 2011, © Zaha Hadid Architects
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01 / 2014
live
01 / 2014 Architektur Foto © Brigitte Lacombe
live A rchitektur Foto © Zahah Hadid Architects
Zaha Hadid
Gründerin von Zaha Hadid Architects, wurde 2004 mit dem
Pritzker-Architektur-Preis ausgezeichnet. Ihre dynamischen
und innovativen Projekte beruhen auf über 30 Jahren revolutionärer Forschungs- und Entwicklungsarbeit in den sich
überschneidenden Bereichen Städtebau, Architektur und
Design. Hadid unterrichtet als Professorin an der Universität
für Angewandte Kunst in Wien.
Das MAXXI Museum in Rom ist nur ein Beispiel des Strebens von ZHA nach komplexen, fließenden Räumen. Auch
frühere wegweisende Bauten wie das Guangzhou Opernhaus in China gelten als Architektur, die unsere Zukunftsvorstellungen mit neuen, visionären Raum- und Formkonzepten
prägen und umsetzen kann.
In den Jahren 2010 und 2011 wurde ZHA mit einer der
höchsten Anerkennungen im Bereich der Architektur, dem
Stirling-Preis des Royal Institute of British Architects (RIBA)
für herausragende Architektur ausgezeichnet und 2012 ernannte Königin Elisabeth II Hadid zur „Dame Commander“
des Order of the British Empire (Ritterorden des Vereinigten
Königreiches). Das Büro Zaha Hadid Architects zählt mit seinen Standorten in London, Hongkong und Peking zu den
größten Baukünstlerbüros weltweit.
Patrik Schumacher
ist seit 1988 als Designer bei Zaha Hadid Architects tätig.
Als Geschäftspartner und führender Planer des ZHA Büros
war er Koautor und Projektpartner in zukunftsweisenden
Projekten wie dem MAXXI Museum in Rom, dem Zentralgebäude im BMW-Werk Leipzig und dem Guangzhou Opernhaus in China.
Schumacher studierte Architektur an der Universität Stuttgart und der Southbank University in London sowie Philosophie in Bonn und London.
Seit 1992 lehrt Patrik Schumacher an Architekturschulen in
Großbritannien, Kontinentaleuropa und in den USA. Er ist
Kodirektor des Design Research Laboratory (DRL) der Architectural Association School of Architecture in London.
Gemeinsam mit Zaha Hadid unterrichtete er in einer Reihe
von postgradualen Optionsstudien an der University of Illinois in Chicago, der Yale University und der Columbia University sowie an der Graduate School of Design der Harvard
University.
Patrik Schumacher ist derzeit Gastprofessor an der Universität für Angewandte Kunst Wien. In den Jahren 2010 und
2012 veröffentlichte er die beiden Bände seines theoretischen Opus Magnum „The Autopoiesis of Architecture” (Die
Autopoiesis der Architektur).
Library and Learning Center, WU Campus Wien,
alle Fotos: © Andreas Thaler, Assistenz: Sybille Dremel
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21
live A rchitektur 01 / 2014
live
01 / 2014 Architektur Der neue WU Campus Wien
Manuela Hölzl
Das zweigeteilte Gebäude von Estudio Carme Pinós wird von einer dynamischen Fensterverteilung
bestimmt, die sich zum Teil erst im Inneren erschließt. Auch die Materialien der Fassade wechseln und
wirken im Detail äußerst skulptural. Fotos: Campus WU © boanet
Der neue WU-Campus mit sechs Gebäuden von Zaha Hadid,
Peter Cook vom Londoner Crab Studio, NO.MAD Arquitectos,
Carme Pinós, Hitoshi Abe sowie des Wiener Büros BUS von
Laura Spinadel präsentiert die Vielfalt der zeitgenössischen
Architektur auf erfrischende Art und Weise in einem quasi
urbanen Schauraum. Unterschiedlichste Formen und Farben,
Ecken und Kanten und nicht zuletzt Materialien bilden
eine formale Collage von seltener architektonischer Dichte.
Längst kann man nicht mehr von „Form follows function“
sprechen, sondern eher von „Form follows performance“.
Die Wirtschaftsuniversität hat dieses Wintersemester für ihre derzeit 25.000 StudentInnen eröffnet. Sechs Gebäude von internationalen Architekturbüros stehen auf dem 90.000m2 großen Areal zur Verfügung.
Materialspiel und mehr als das: Sir Peter Cook schafft einen Auftritt mit Augenzwickern.
Eine Architektur, die aus dem Werden das Verhalten und aus dem Verhalten das Sein ableitet, ist eine
Architektur der Wechselwirkungen aus Form, Material, Struktur und Umwelt. Eine performative Architektur.
Eines vorab: Der bereits viel und hoch gelobte WUCampus – mit sechs Gebäuden von Zaha Hadid (UK),
Peter Cook vom Londoner Crab Studio, NO.MAD Arquitectos, Carme Pinós (beide aus Spanien), Hitoshi
Abe (Japan) sowie des Wiener Büros BUS von Laura
Spinadel – präsentiert die Vielfalt der zeitgenössischen
Architektur auf erfrischende Art und Weise in einem
quasi urbanen Schauraum. Unterschiedlichste Formen
und Farben, Ecken und Kanten und nicht zuletzt Materialien bilden eine formale Collage von seltener architektonischer Dichte. Längst kann man nicht mehr von
„Form follows function“ sprechen, sondern eher von
„Form follows performance“.
Außerdem: Der Begriff der „guten Form“ ist in erster Linie verdächtig und eher ein Irrtum, meinte schon
Hermann Czech, denn es käme nicht „auf die Erscheinung des Beleuchtungskörpers an, sondern auf die
entstehenden Lichtverhältnisse“. Wenn man unter diesen Gesichtspunkten Architektur betrachtet, muss man
Czech zufolge das „Formproblem aus dem Formalen“
befreien. Ziel eines Entwurfsprozesses ist weniger das
formale Ergebnis als vielmehr die Funktion – und als
Folge davon Raum und Architektur. Manchmal auch
im Hintergrund. In demselben findet sich nunmehr das
Messe-Hotel des eben zitierten Architekten im zweiten
Bezirk. Der leicht geneigte und gekurvte Baukörper ist
zwar von der Ausstellungsstraße gut sichtbar, neben
den Bürohäusern um den Turm „Hoch2Plus2“ an der
Krieauer Trabrennbahn und dem neuen Campus der
Wirtschaftsuniversität tritt das Hotel im Vordergrund
in der städtischen Wahrnehmung jedoch einen Schritt
zurück.
Dagegen tauchen jetzt die sechs Universitätsgebäude auf dem knapp neun Hektar großen Areal hinter
der Messe Wien auf. Bei den Architekten und Architektinnen selbst fallen Worte wie „Wahrnehmung“, „Möglichkeiten“ oder „Fluss der Räume“ – gerne verwendete
22
Begriffe und Definitionen im Sprachgebrauch. Peter
Cook findet mit seinem Gebäude gar zu einer „Heiterkeit“. Doch neben all den individuellen, durchaus expressionistischen Bauten ist das Zusammenspiel auf
dem Campus gegeben. Keineswegs selbstverständlich,
hat sich dieses große Projekt in Zusammenarbeit der
vielen Beteiligten, der Architekten, aber auch der Bauherren und Planer, entwickelt. Mit ein wenig Utopie und
ein bisschen Fantasie – Eigenschaften, die schon Zaha
Hadid nicht als „Schönheit des Machbaren“, sondern
als „Möglichkeit des Machbaren“ umschrieben hat. Es
überrascht am Ende doch, was hier möglich wurde und
entstanden ist.
Vorgeschichte
Nachdem das alte WU-Gebäude in der Spittelau, ein
riesiger Glaspalast, nach nur 25 Jahren Nutzung komplett unbrauchbar geworden war, beschloss man 2005
einen Neubau anstatt einer Sanierung. Nicht zuletzt
aufgrund des ungeliebten Standorts wurde 2008 ein
offener, EU-weiter Wettbewerb ausgeschrieben, an
dem nur 24 Architekturbüros teilnahmen und bei dem
sich die Jury auf keines der vorgeschlagenen Projekte
einigen konnte. Das Siegerprojekt von BUSarchitektur,
das viele Einzelgebäude und keine Großform vorschlug,
wurde somit zum Masterplan und zur Grundlage eines
zweiten Wettbewerbs. Wolf Prix von Coop Himmelb(l)au,
der den Juryvorsitz innehatte, engagierte sich für eine
internationale Öffnung und lud hochkarätige Kollegen
dazu. Das Ergebnis ist bereits Geschichte.
Elitäre Universitätsstraße
Direkt beim Messegelände, Eingang Ost, schließt das
erste Gebäude an die Bebauung an: die Executive
Academy des Madrider Büros NO.MAD Arquitectos.
Das Büro entwarf einen siebenstöckigen Turm mit einer
spiegelnden Fassade aus Glas und Aluminium und
unregelmäßigen Auskragungen. Damit orientieren sich
die Büros, Lounge oder Besprechungsräume inklusive
Dachterrassen-Café praktisch in alle Richtungen.
Gleichzeitig im Sichtfeld im Südwesten – und selbst
an trüben Tagen kaum zu übersehen – die „Villa Kunterbunt“ des Briten Sir Peter Cook, in der auch das
Büro des WU-Direktors Christoph Badelt Platz findet.
Das schwungvolle, farbenfrohe Gebäude windet sich
den Prater entlang und bildet mehrere Höfe mit Durchgängen, Nischen, Terrassen und Freiräumen. Bestimmt
wird der Auftritt nicht nur vom knalligen Anstrich, auch
die rohen Lärchenholzbretter an der Fassade dürfen
durchaus mit einem selbstbewussten Augenzwinkern
bedacht werden. Farbenfroher Spaß ist den Mitarbeitern
in den Departments wie Unternehmens-, Arbeits- und
Sozialrecht oder den Forschungsinstituten auch im Inneren garantiert. Rot-weiß karierte Türen etwa verhindern ein „fucking boring building“ (Cook) und lassen
wohl ein wenig das Lebensgefühl der 1970er-Jahre und
die Anfänge Cooks mit der Gruppe Archigram aufleben.
Gleich gegenüber findet sich die scheinbar weit
weniger „frohe Erscheinung“ des Estudio Carme Pinós
aus Barcelona. Doch nur auf den ersten Blick: Das
spielerisch aus Parallelogrammen zusammengesetzte,
zweigeteilte Gebäude wird von einer dynamischen
Fensterverteilung bestimmt, die sich zum Teil erst im
Inneren erschließt. Auch die Materialien der Fassade
wechseln, sie wirkt im Detail äußert skulptural.
Mittig an der langen „Universitätsstraße“ gelegen,
schießt einem das Highlight des Campus fast sprichwörtlich entgegen: das täglich 24 Stunden geöffnete Library & Learning Center der Architektin und Professorin
an der Universität für angewandte Kunst, Zaha Hadid.
Ziemlich schräg kommt der markante Bau über den
Platz – ein Gefühl, das auch im Inneren anhält. Rampen, Galerien und Treppen scheinen eigenen Gesetzen
zu folgen und winden sich um das Foyer und die Aula.
Das Student Center des japanischen Architekturbüros Hitoshi Abe verdankt seine Inspiration der „Millefeuille“, einer französischen Süßspeise aus Blätterteig mit süßer Füllung. Fünf lange, schmale Baukörper
gewähren viel Tageslicht und von jedem Büro aus eine sehr gute Aussicht.
Halb Yacht, halb Dampfer, ist die Aussicht auch weg vom
Mutterschiff über den Campus, den Prater und die Krieau
beeindruckend.
Schlag auf Schlag folgen ein schwergewichtigeres
Frachtschiff, das mit verrosteten Corten-Stahl-Platten verkleidete Teaching Center der Masterplaner BUSarchitektur,
und das Student Center des japanischen Architekturbüros
Hitoshi Abe, inspiriert von „Millefeuille“, einer französischen
Speise aus Blätterteig mit süßer Füllung. Aus über- und
nebeneinander gereihten Schichten wie die Teigware besteht der komplexe Bau. Fünf lange, schmale Baukörper
gewähren viel Tageslicht und von jedem Büro aus eine
sehr gute Aussicht.
Begleitet und umrahmt wird der Campus von einer
Freiraumgestaltung, die BUSarchitektur mit den Landschaftsarchitekten „boa – büro für offensive aleatorik“
realisiert hat. Mittig verläuft ein „Bildungsweg“, der nicht
nur metaphorisch durchaus etwas länger dauern kann, will
man die gesamte Distanz zurücklegen. Dazwischen bilden
Grünflächen, Plätze und Eingangszonen ein Gewebe aus
ineinandergreifenden Räumen. Umrahmt wird das öffentliche Areal von einer Baumreihe. Das grüne Feld des Praters
trägt nicht unwesentlich zur elitären Atmosphäre bei.
Abspann(end)
Das Thema der Wiederholung ist nicht Sache der neuen
WU-Architektur. Jeder Ortswechsel bleibt spannend, mit
unterschiedlichen Qualitäten und Raumsequenzen. Die Benutzung durch fast 25.000 Studenten wird bald die Widerstandsfähigkeit der Bauten erweisen. Man kann nur hoffen,
dass sie allen Anforderungen und Ansprüchen genügen.
Dies wäre ein wichtiger Baustein für eine zukünftige Generation von Wirtschaftsexperten, die eine neue Architektur
auch aus der Universität im Geiste weitertragen.
Im Gebäude von Zaha Hadid kann man ob der visuellen Schräglage leicht sein Gleichgewicht verlieren.
23
live A rchitektur 01 / 2014
rhtb:
die Erfüllung der hohen „Green-Building“-Standards auf
der Baustelle. Das Areal durfte nur von LKWs der Emissionsklasse Euro 4 befahren werden, die Entsorgung
des Bauschutts war mit strengsten Vorgaben verbunden. Dass die verbauten Produkte – also die Boden-,
Wand- und Deckenelemente – auf ihre baubiologischen
Eigenschaften hin geprüft und zertifiziert sind, versteht
sich von selbst.
Trockenbau
CL: Welche weiteren Großprojekte wurden von rhtb: in
den letzten Jahren realisiert?
Interview mit Herrn Rainer Haubenwaller
Geschäftsführer der rhtb:
RH: An Großprojekten darf ich Ihnen einige nennen,
darunter den Flughafen Wien (Anmerkung der Redaktion: Für alle Flughafen-Großprojekte zeichnet rhtb:
verantwortlich!)
Beginnend in den Jahren 2001/2002 mit der Konzernzentrale Office Park I der VIE AG Zentrale, dem Office
Park II, der das Headquarter der Austrian Airlines beherbergt, dem Straßensystemzentrum (SSZ – 2-geschoßiger Fußgänger- und Verbindungstunnel), dem Air
Cargo Center (ACC), dem Handling Center West (HCW),
dem VIP-GAC (Very Important Person General Aviation
Center) sowie alle Ausbaustufen des Skylink (eines der
Cserni live: Seit wann besteht das Unternehmen rhtb:
und wie hat sich das Unternehmen in den letzten 10
Jahren entwickelt?
Rainer Haubenwaller: Unser Unternehmen gibt es
seit 1999. Da haben wir mit dem klassischen Trockenbau begonnen. Was ursprünglich als kleines Familienunternehmen geführt wurde, hat sich bis dato zu
einem renommierten mittelständischen Betrieb mit
ca. 60 Dienstnehmern entwickelt, welcher sich am
Markt längst etabliert hat und – ich darf das mit Stolz
sagen – in der Branche als kompetenter Partner mit
Handschlagqualität gilt. Über Partnerbetriebe werden im Zuge von Großprojekten bis zu weitere 250
Mann beschäftigt. Mittlerweile erfüllt unser Team bei
einer Vielzahl von Aufträgen bereits die Aufgabe eines
„In­n­en­­ausbau“-Generalunternehmers.
live
01 / 2014 Architektur größten Hochbaubauprojekte Europas), die Siemens
City Vienna, das OMV-Headquarter im Viertel 2, den
Gesamtumbau der Wirtschaftskammer Österreich im
Vollbetrieb, die Zentrale der HYPO NÖ in St. Pölten,
die Schiffstation Wien-City, den Umbau der Universität Wien in der Rossauer Lände, das Pflegewohnhaus
Liesing.
CL: Gibt es bestehende oder zukünftige Kooperation
mit dem Unternehmen Cserni?
RH: Auf Grund der nunmehr schon jahrelang andauernden positiven und sehr vertrauensvollen Zusammenarbeit bin ich überzeugt, dass es auch zukünftig
zu gemeinsamen Projekten kommen wird. Insbesondere
arbeitet man aktuell intensiv an der Akquisition von Gesamtsanierungen im Hotelbereich, indem man hier dem
Kunden ein größtmögliches Gewerke-Portfolio anbietet
durch die Kombination der Kernkompetenzen der rhtb:,
erweitert um das Kerngeschäft der Firma Cserni, der
Möblierung und Innenausstattung.
RH: Wir sehen den Vorteil für uns durch die Koexistenz
der beiden Standorte. Dadurch, dass wir in der Steiermark auf gewachsene Strukturen und Mitarbeiter der
ersten Stunde zählen können, haben wir hier zum einen
eine sehr hohe Effizienz im Bereich Administration und
Innenausbautechnik entwickeln können, zum anderen
ist es de facto nicht möglich, ohne einen Standort in
Wien auszukommen, um hier am Puls des Geschehens
zu sein.
CL: Wie sehen Sie die zukünftigen Entwicklungspotentiale Ihres Unternehmens und wie sieht Ihre Zukunftsvision von rhtb: aus?
RH: Das größte Potenzial sehen wir in der Weiterentwicklung zum Komplettanbieter als Innen­­ausbauGeneral­unternehmer. Unser Augenmerk liegt aber auch
weiterhin auf dem Ausbau der Kernkompetenzen durch
weitere Spezialisierungen sowie die Ergänzung derselben um artverwandte Tätigkeiten.
CL: Wie wichtig ist Ihr Standort in der Steiermark und
welche Rolle spielt Ihr Firmensitz in der Metropole Wien?
Projektrealisierungen
CL: Was sind die Kernkompetenzen von rhtb:?
RH: Unsere Produktpalette reicht vom klassischen
Trockenbau, über Doppel- und Hohlraumböden sowie
Wandkonstruktionen bis zu abgehängten Decken aller
Art, inklusive aller dort integrierbaren Heiz- und Kühlsysteme, wobei mittlerweile auch sämtliche Bodenund Wandbeläge sowie auch Systemtrennwände und
Türblätter zu den Kernkompetenzen von rhtb: zählen.
CL: Welchen Stellenwert hat bei rhtb: die partnerschaftliche Abwicklung und die kundennahe Beratung und
Betreuung?
RH: Partnerschaft hat für uns drei Ebenen und ist für
unser Unternehmen und unsere Mitarbeiter keine leere
Worthülse: Die erste ist die Kundenebene. Hier verstehen wir Partnerschaft so, dass wir unseren Kunden von
der Beratung bis zur Schlussrechnung fair über Kosten,
Qualität und Termine informieren.
Auf der Mitarbeiterebene sehen wir eine partnerschaftliche Zusammenarbeit darin, dass rhtb: eine sehr
transparente Organisation mit einer hohen Eigenverantwortlichkeit und Entscheidungsfreiheit pflegt, auf eine
hohe Mitarbeiter-Qualifizierung setzt und eine deutlich
über dem Branchendurchschnitt liegende Entlohnung.
Auf der dritten Ebene der Partnerschaft sehen wir die
Zusammenarbeit mit unseren Lieferanten, indem wir
bestrebt sind, durch Kommunikation mit den einzelnen
Zulieferbetrieben und Schulungen auf dem Produkt- und
Techniksektor unser Team ständig weiterzubilden, um
unseren Kunden eine kompetente Beratung und die
bestmögliche Umsetzung ihrer Wünsche gewährleisten zu können. Denn nur durch das nötige Know-how,
gepaart mit Kompetenz und Flexibilität, kann unser Unternehmen letztendlich auf dem Markt bestehen, und
so auch einen Mehrwert für unsere Lieferanten bieten.
CL: Was sind die Vorteile des modernen Trockenbaus,
den rhtb: anbietet?
RH: Man kann mithilfe des modernen Trockenbaus im
wahrsten Sinn des Wortes alle geometrischen Formen,
die man sich vorstellen kann, umsetzen und, wie man
am Projekt Wirtschaftsuniversität Wien, im Library and
Learning Center sieht, auch Bauteile und geometrische
24
Pflegewohnhaus Liesing
Library and Learning Center, WU Campus Wien
Formen, die man sich so nicht hätte vorstellen können.
Den gestalterischen Möglichkeiten sind de facto mit
dem Baustoff Gips keine Grenzen mehr gesetzt im Bereich der Innenraumgestaltung.
CL: Was waren die konkreten Aufgabenstellungen und
das Volumen beim aktuell fertig gestellten Projekt „WU
Campus Wien“ von der Architektin Zaha Hadid?
RH: Beim Projekt „WU Campus Wien“ zeichnet rhtb:
gemeinsam mit den ARGE Partnern Lindner GmbH und
Goldbach GmbH für den Großteil der Trockenbauwände,
Glaswände, Hohlraumböden, Doppelböden, Abhängedecken, Teppich- und Parkettbeläge verantwortlich.
Eine besondere Hausforderung für unser Unternehmen
waren am Baufeld Library and Learning Center die bis zu
25 Grad geneigten Gipskartonwände, welche teilweise
mit Glaselementen ausgestattet sind. Dazu mussten
speziell geneigte „Eckausbildungen“ mit runden Formteilen hergestellt werden.
Sonderformteile für Gipskartonrundungen kamen somit
ebenso erstmalig zur Ausführung wie Tragkonstruktionen aus Stahlformrohren mit speziell angefertigten
Flachstahlverbindungen für schräge Wände, um einen
gleitenden Anschluss zu den Stahlbetondecken zu
ermöglichen.
Durch den Einsatz eines relativ hohen Anteils an industriell vorproduzierten Sonderformteilen wurde versucht,
die Verarbeitungszeit und die Oberflächenqualität zu
optimieren, um auch den Anforderung der internationalen Architektur Rechung tragen zu können. Ein weiterer
Beweis der Innovationskraft unseres Unternehmens war
Wirtschaftsuniversität Wien
Auf dem 90.000 m² großen Grundstück in Wien wurde am
4. Oktober 2013 ein einzigartiger Bildungs- und Forschungscampus eröffnet: die neue Wirtschaftsuniversität Wien. Das
Pöllauer Unternehmen rhtb: setzte die Architektur des zentralen, von Zaha Hadid geplanten Library and Learning Centers (LLC) sowie die sich um das LLC gruppierenden fünf
Gebäudekomplexe, welche allesamt von namhaften internationalen Stararchitekten geplant wurden, um. Der Campus
WU bietet optimale Rahmenbedingungen für rund 25.000
Studierende und 1.500 Mitarbeiter/innen.
Das von Architektin Zaha Hadid geplante Library & Learning
Center (LLC) der neuen Wirtschaftsuniversität Wien ist wohl
der spektakulärste Bau des gesamten neuen, international
angesehenen Campus. Er besticht nicht allein durch seine markante Außenarchitektur, das Gebäude hat es ebenso
in sich: rhtb: war, als Teil einer Arbeitsgemeinschaft, für den
Innenausbau des Objektes verantwortlich: Wände, Unterböden, Bodenbeläge, Glastrennwände, abgehängte Decken
und Schächte führte rhtb: aus – insgesamt 130.000 m2 an
Flächen galt es hier zu verbauen.
Eine besondere Herausforderung für das Unternehmen war
die spezielle organische Form des Gebäudes. rhtb: musste
etwa die bis zu 25 Grad geneigten Gipskartonwände, welche teilweise mit Glaselementen ausgestattet sind, umsetzen. Hierfür wurden eigene Eckausbildungen mit runden
Formteilen hergestellt. „‚Kunst kommt von Können‘ ist einer unserer Leitsprüche und dieses Projekt ist in seiner Gesamtheit mehr als Kunstwerk zu betrachten, denn als reine
Bildungsstätte. Es muss nicht gesondert darauf hingewiesen werden, dass auch beim Innenausbau „künstlerische“
Handwerkskunst Voraussetzung war, um die Vielzahl der
dreidimensionalen Formen vom Plan in die Wirklichkeit umzusetzen“, so Geschäftsführer Rainer Haubenwaller.
Dass das „Helmut-Zilk-Haus“ nicht ein „gesichtsloses“ Pflegewohnhaus wurde, ist sowohl den Architekten, als auch
dem Krankenanstaltenverbund und der Gemeinde Wien zu
verdanken. Sie haben sich entschieden, die große Parklandschaft erstmals und dauerhaft der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen und dem Gebäude einen geradezu beispiellosen Wohlfühlcharakter zu verleihen. Die rhtb: projekt gmbh
hat mit der Verarbeitung und Installation von insgesamt
53.700 m² Gipskartonmaterial, davon 5.000 m² Gipskartondecken, 3.500 m² Akustikdecken sowie 5.100 m² LangfeldKassettendecken beigetragen. Die Eckdaten des Projekts von Riepl Kaufmann Bammer Architektur (Projektleitung DI Paul Jung): Das Gesamtvolumen
beträgt etwa 67 Millionen Euro, im Pflegewohnhaus sind
insgesamt 322 Betten und ein Tageszentrum für Geriatrie
für rund 50 Patienten untergebracht. Die Patientenzimmer
verfügen über Loggien, die mit Rollstuhl und Bett befahrbar sind. Der Neubau beansprucht mehr als ein Drittel der
Parkfläche; das bestehende denkmalgeschützte Schloss
wird generalsaniert und einer eigenständigen Neunutzung
zugeführt.
Die Idee des warmen Lichts der Fassade durch Messingreflexionen setzt sich in Form einer Messingdecke mit beeindruckenden 650 m² in der Aula weiter fort. Viel Know-how
benötigte die Installation der Messingdecke. Hier galt es in
den 16 cm breiten Zwischenräumen der Messingelemente,
sämtliche Haustechnikeinbauten wie z. B. Brandmelder,
Lüftungsschlitze oder Aufbauleuchten zu installieren. Aber
auch in den weiteren öffentlichen Bereichen des Gebäudes
galt es strenge bauliche Hygiene-Vorgaben zu erfüllen.
Ein Beispiel: die Detailausarbeitungen in Form von Hygieneanschluss-Winkel, die verhindern, dass sich Staub an
den Anschlüssen und den angrenzenden Bauteilen ablegt.
Hochpräzises Arbeiten in sensiblen Bereichen. Die Trennwände in den WC- und Duschanlagen sind in AluminiumVerbundelementen hergestellt. Auch hier wurde dem hohen
Materialqualitätsanspruch der Architekten zum Wohle der
Bewohner und des Personals entsprochen. „Für komplexe Projekte braucht es kompetente Partner für die Umsetzung. In diesem Kontext habe ich die Zusammenarbeit mit
der Firma rhtb: schätzen gelernt und bedanke mich für den
wesentlichen Beitrag zu einem gelungenen Projekt“, so Architekt Paul Jung. Auch die Außenwände im Bereich der
Loggien, zementgebundene Outdoorplatten und korrosionsgeschützte Unterkonstruktionen, sind von rhtb: hergestellt
und installiert worden. Als besonders arbeitsintensiv stellte
sich die Herstellung der bleikaschierten Wände im Bereich
der Röntgenräume heraus, da die Ausführung dieser Station
äußerste Akribie erforderte.
Wiener Stadtschulrat Wipplingerstraße
Im Wiener Stadtschulrat in der Wipplingerstraße wurde kürzlich der Eingangsbereich einem umfassenden Relaunch unterzogen.
Die Trockenbauarbeiten wurden vom Familienunternehmen
rhtb: übernommen. Insgesamt wurden 175 m² AkustikDecken aus Gipskarton mit Akustik-Spritzputz und 150 m²
Brandschutzdecken errichtet. Weitere 75 m² Gipskartonwände, Brandschutzertüchtigungsarbeiten am Bestand und
ein 50 m² großes Deckensegel aus Alucobond komplettieren
den Auftrag.
Eine große Herausforderung des Projekts stellte das individuell nach CAD-Plänen gefertigte Deckensegel, bestehend
aus elf polygonalen Feldern mit einer hochglänzend weißen
Oberfläche dar. Dieses Deckensegel ist ein handwerkliches
Unikat. Spezielle Platten wurden nach millimetergenauen
Angaben vorgefräst und auf der Baustelle von Hand gebogen und gefertigt. Aufgrund der Einzelelementgröße und
des hohen Eigengewichtes war ein Beschichten in der gewünschten Hochglanzlackierung nur vor Ort im montierten
Zustand möglich. Beim Plattenmaterial handelt es sich um
spezielle Alu-Verbundplatten mit einem zementgebundenen
Kern, der aufgrund von Brandschutzvorgaben notwendig
war. „Generell war dieses Projekt aufgrund der vielen Sonderlösungen eine große Herausforderung“, meint Projektleiter Harald Rasinger, „aber wir haben den Planer – hinsichtlich der technischen Umsetzbarkeit seiner Vorstellungen
- sehr unterstützt.“
HYPO NOE Konzernzentrale St. Pölten
St. Pölten ist um einen Blickfang reicher: Gegenüber dem
Regierungsviertel entstand mit der neuen Konzernzentrale
der HYPO NOE ein mit Liebe zum Detail geplantes, architektonisches Juwel. Das Bauwerk bildet darüber hinaus
einen gelungenen Kontrast zur bestehenden Architektur.
Zwei Jahre wurde an der neuen Konzernzentrale mit einer
Nettogeschoßfläche von etwa 19.000 m² gebaut. Die Architekten des Gebäudes: Ernst Maurer und Johannes Zieser.
Das Bürogebäude mit seiner ruhigen, klaren, weißen Fassadengestaltung, deren Stahllamellen sich je nach Sonneneinstrahlung öffnen und schließen lassen, hat Niedrigenergiehaus-Charakter. Es wurde klimaschonend konzipiert,
auf effiziente Energienutzung wurde großer Wert gelegt: So
erfolgt beispielsweise die Stromgewinnung über Sonnenkollektoren und die Bürokühlung über das Grundwasser. Auch
der Trockenbau leistet einen Beitrag zur Energieeffizienz:
rhtb: baute insgesamt 8500 m² Langfelddecken mit Bandrastersystem ein. LIEBE FÜRS DETAIL. Besonders beeindruckend ist das Entree der Bank. Der großzügig gestaltete
Empfangsbereich misst 7,5 m Höhe und 35 m Länge. In der
Mitte des Raumes trennt ein Wasservorhang, entspringend
in der Gipskarton-Lochdecke, den Raum. In Kombination
mit dem Gang des 1. Obergeschoßes wurde von rhtb: die
geschwungene Brüstungswand mit Gipskarton-Fertigteilen
verkleidet. Das Gerüst dafür bildete eine Formrohrkonstruktion. Die darunterliegende, abgehängte GipskartonLochdecke ist mit Kühlmembranen ausgestattet. Der in
der Eingangshalle über Allem schwebende Gang wirkt trotz
seiner beachtlichen Länge von knapp 35 m sehr subtil. Eine
Besonderheit ist der im Obergeschoß befindliche Veranstaltungsraum. rhtb: hat hier mit 750 m² Metall-Langfelddecken
mit Bandrastersystem auf die Erfordernisse des erhöhten
Schallschutzes reagiert. Neben der Landesberufschule
Amstetten, dem Landespolizeikommando St. Pölten und
jetzt der Konzernzentrale der HYPO NOE hat sich die rhtb:
projekt gmbh eines weiteren prestigeträchtigen Projektes
mit viel Freude und Engagement der Ausführung angenommen.
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live A rchitektur 01 / 2014
live
01 / 2014 Architektur Bauen für eine bessere Welt
Think Global, Build Social
Sonja Pisarik
Frauenzentrum in Senegal, © Hollmén Reuter Sandman Architects
Orange Farm: Mzamba School, Mzamba, Eastern Cape, Südafrika, 2010, © Markus Dobmeier
Meti School, © Anna Heringer
Think Global, Build Social.
Bauen für eine bessere Welt
bis 30.06.14
Alte Halle, Architekturzentrum Wien
Mit der gemeinsam konzipierten Ausstellung „Think Global, Build Social. Bauen für eine bessere Welt“ widmen sich das Architekturzentrum Wien (Az W) und das Deutsche Architekturmuseum (DAM) der Frage nach
der gesellschaftlichen Verantwortung zeitgenössischer Architektur. „Think Global. Build Social“ zeigt aktuelle Beispiele einer alternativen, sozial engagierten Architektur, die versucht, mit möglichst geringem finanziellen Aufwand, aber viel Eigeninitiative und Kreativität die Lebensbedingungen der Menschen in weniger
privilegierten Weltregionen zu verbessern. Kurator Andres Lepik präsentiert eine Auswahl von 22 Positionen,
in denen die bereits in der klassischen Moderne geforderte Verbindung von Ethik und Ästhetik beispielhaft
eingelöst wird. Bereichert wird die Ausstellung im Architekturzentrum Wien durch die Präsentation aktueller
Projekte mit österreichischer Beteiligung.
Mitteln von Bautechnik und Raumkunst einen Beitrag
zur nachhaltigen Verbesserung und Erhaltung der Lebensqualität in Entwicklungsländern leisten will, ohne
sich dabei als Entwicklungshelfer zu sehen, ist das
Design-Build-Studio BASEhabitat der Kunstuniversität
Linz. Die mehrfach preisgekrönte METI Schule in Rudrapur, Bangladesh, ist Ergebnis einer besonders ambitionierten Diplomarbeit an der Kunstuniversität Linz.
Anna Heringer, die bereits 1997 ein freiwilliges soziales
Jahr in Rudrapur absolviert hatte und sich dabei intensiv mit der Lebenssituation der Bevölkerung auseinandergesetzt hatte, kehrte 2002 mit drei weiteren Linzer
StudentInnen nach Rudrapur zurück, um eine genaue
Dorfanalyse des kleinen Ortes im Norden von Bangladesh zu erstellen. Darauf bezugnehmend entstand
2004 ihre mit dem Hunter Douglas Award ausgezeichnete weltweit beste Architektur-Diplomarbeit über eine
„handgemachte Schule“, die 2005 gemeinsam mit dem
Berliner Architekten Eike Roswag ihre bauliche Umsetzung in der METI Schule fand. Für den Bau reagierte
man mit der Verwendung von Lehm und Bambus auf die
regional verfügbaren, kostengünstigen Materialien und
bediente sich einer längst totgeglaubten, historischen
Lehmbauweise, die zukunftsträchtig adaptiert wurde. Im
Sinne einer „Hilfe zur Selbsthilfe“ wurden gleich auch
noch 25 Lehm- und Bambusarbeiter aus der unmittelbaren Umgebung ausgebildet, damit auch die Häuser von
Foto: a_kep, Katharina Doblinger (BASEhabitat), Montage: Liga
Die Architektur der Gegenwart befindet sich in der
Krise: Auf der einen Seite steht die sogenannte „StarArchitektur“ als Imageträger für wohlhabende, politisch
einflussreiche Auftraggeber, die nur ein verschwindend
kleiner Prozentsatz der globalen Bevölkerung nutzen
kann. Auf der anderen Seite breitet sich in den rasant
wachsenden Mega-Cities in Asien, Lateinamerika und
Afrika eine ungeheure Masse an profitorientierten Bauprojekten aus, an denen ArchitektInnen kaum beteiligt
sind: Gebäude, die in atemberaubender Geschwindigkeit von Immobilienentwicklern und Konstruktionsfirmen
errichtet werden. Eine alternative, sozial engagierte
Architektur, die sich in den Dienst all jener stellt, die
weder der einen noch der anderen Gruppe zuzurechnen
sind und denen gute Gestaltung normalerweise nicht
zugestanden wird, tut not.
Ein sehr frühes und wegweisendes Beispiel für eine
Architekturgesinnung, die nicht den Profit im Auge hat,
sondern benachteiligten Personen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen möchte, findet man im tiefsten
Süden der USA. 1992 führte in Hale County, Alabama,
ein alltägliches Ereignis in einer dort ansässigen Hilfsorganisation zu einer nicht alltäglichen und äußerst nachhaltigen Initialzündung. Die Leiterin des HERO Family
Ressource Center hatte wieder einmal kein Geld für die
Reparatur eines der üblichen Substandard-Trailerhäuser,
in denen viele der County-Bewohner ohne Elektrizität
und fließendes Wasser wohnten. Am selben Tag nahm
sie an einer Gemeindeversammlung zur Wohnungsproblematik teil, bei der auch Architekt Samuel Mockbee
(1944–2001) anwesend war. Mockbee war gerade erst
als Architekturprofessor an die Auburn Universität nach
Alabama berufen worden und im Begriff sein Rural Studio zu gründen. Die Dame von HERO fragte nach, ob
Mockbee mit seinen Studenten die Reparatur übernehmen könnte. Die daraus entstehende Arbeitsbeziehung
schuf die grundlegende Legitimation und Akzeptanz
für die Arbeit des Rural Studio. Mockbee’s Studenten
kamen dabei in den Genuss einer lebensnahen, echten Ausbildungspraxis, die sich nicht auf theoretische
Entwürfe konzentriert: Die Studenten waren mit praktischem Entwerfen und Bauen beschäftigt, standen in
direktem persönlichen Kontakt mit Bauherren, die kein
Geld hatten und mussten sowohl architektonische als
auch unternehmerische Phantasie beweisen. Denn
oftmals wurde mit höchst ungewöhnlichen Materialien
experimentiert, um kostengünstige, aber nachhaltige
und überzeugende Gebäude zu bauen. Die Idee eines
sogenannten Design-Build-Studios war geboren und
fand zahlreiche Nachahmer in der ganzen Welt.
Eine Ausstellung über eben jenes Rural Studio im
Jahr 2003 im Architekturzentrum Wien war wiederum
Initialzündung für die Gründung des österreichischen
Vereins s2arch. Wesentlicher Motor des Vereins ist der
Grünen-Politiker Christoph Chorherr, Projektleiter vor
Ort meist der Architekt Elias Rubin, ein Enkelsohn von
Roland Rainer. In den letzten zehn Jahren sind mittlerweile an die 40 Projekte in Südafrika entstanden. Seit
2008 arbeitet s2arch als Betreibergesellschaft ausschließlich an zwei Standorten in Südafrika, die den
Namen eines der beiden Hauptsponsoren tragen: Ithuba
Johannesburg und Ithuba Wild Coast. Der gemeinnützige Verein ist vom österreichischen Finanzministerium
steuerbegünstigt und wird von der Stadt Wien, der Bank
Austria und der Ithuba Capital gesponsert. Praktisch
alle deutschsprachigen Unis und Fachhochschulen mit
Architekturausbildung haben schon in Ithuba gebaut.
Ein weiteres österreichisches Beispiel, das mit den
Das sind nur ein paar von insgesamt 22 Projekten,
die in der Ausstellung „Think Global. Build Social“ von
15. März – 30. Juni 2014 im Architekturzentrum Wien zu
sehen sind. Die gemeinsam mit dem Deutschen Architekturmuseum (DAM) konzipierte Ausstellung widmet
sich der Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortung zeitgenössischer Architektur. Kurator Andres
Lepik zeigt aktuelle Ausnahmeprojekte, die alle eines
gemeinsam haben: mit möglichst geringem finanziellen
Aufwand, aber viel Eigeninitiative und Kreativität die
Lebensbedingungen der Anwohner zu verbessern. Die
Ausstellung ist gegliedert in fünf thematische Kapitel:
Material, Wohnen, Partizipation, Kultur und DesignBuild-Programme. Im Zentrum der Auswahl stehen
dabei Bauten, die in den vergangenen 10 Jahren realisiert wurden und deren konkrete Wirkung vor Ort bereits
sichtbar geworden ist. Im Architekturzentrum Wien wird
die im DAM bereits 2013 mit großem Erfolg gezeigte
Ausstellung um die Präsentation aktueller Projekte mit
österreichischer Beteiligung erweitert. Auch wenn sich
bislang keine einheitliche Bewegung mit einem eigenen Programm ausgebildet hat, lassen sich doch viele
Gemeinsamkeiten finden, die darauf hinweisen, dass
jenseits der „Star-Architektur“ schon seit einiger Zeit
eine andere Bewegung in der zeitgenössischen Architektur deutlich wird, die sich den sozialen Fragen der
globalen Gesellschaft zuwendet.
Think
Global,
Build
Social!
Az W
Bauen für eine bessere Welt
Ausstellung 15.03. – 30.06.2014
Architekturzentrum Wien, Museumsplatz 1 im
rz-tgbs-cerni-240x108.indd 1
26
Rudrapur in Zukunft eine längere Halbwertszeit haben
als die bislang üblichen zehn Jahre, nach deren Ablauf
die meisten aufgrund der starken Regenfälle in sich zusammensanken. 2007 wurde die Schule mit dem Aga
Khan Award für Architektur ausgezeichnet.
Ein Beispiel aus Finnland ist das Women’s Centre
in Rufisque in Senegal vom jungen finnischen Architektinnenteam Hollmen Reuter Sandman, das sich mit
zwei anderen Teams zu einer NGO namens Ukumbi
zusammengeschlossen hat. Über das Women’s Centre
erzählt Sandman: „Man braucht in Entwicklungsländern
sehr viel Zeit. Wo immer wir hingehen, versuchen wir so
involviert wie möglich zu sein, die Leute kennenzulernen, die Orte kennenzulernen. Dieses Gebäude ist das
einzige öffentliche Gebäude in der Region – das gab den
Frauen ein besonderes Selbstwertgefühl. Der zentrale
Innenhof funktioniert als wichtigster Raum. Recycelte
Bierflaschen wurden als Glasbausteine verwendet​​. Die
senegalesischen Partner waren anfangs sehr skeptisch und meinten, es gäbe gar keine Notwendigkeit,
Flaschen zu recyceln, wo man doch ohne Probleme
Echtglasbausteine finden könne. Wir hatten auch einige
Probleme, weil der Auftragnehmer als gläubiger Muslim nicht glücklich darüber war, mit leeren Bierflaschen
in seinem Auto herumzudüsen. Doch als das Zentrum
schließlich fertig war, gab er lachend zu, dass es sich
gelohnt hätte.“
T+43 1 522 31 15, www.azw.at, täglich 10 – 19 Uhr
28.01.14 14:11
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live A rchitektur 01 / 2014
live
01 / 2014 Architektur Projekte
REgattaverein Hamburg
Museum Angerlehner
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29
live P rojekte 01 / 2014
live
01 / 2014 Projekte Zurückhaltende
Moderne
das neue Clubhaus des ­N orddeutschen
­Regatta Vereins in Hamburg
Claus Friede
Wappen des NVR
Henning Rocholl (Bauherrenvertreter NRV) und
Andreas Christiansen (Vorsitzender NRV)
30
Restaurantbereich mit Bar
Clubgebäude NRV mit Blick auf die Außenalster
beziehungsreiche Weltoffenheit – nicht zuletzt in der
schönen Gewissheit historischen Rückenwindes“, heißt
es in einem Text über den Segelclub. Der Dreiklang von
„Tradition – hanseatisches Selbstverständnis – moderne
Weltoffenheit“ sind die sichtbaren Zutaten der Mitglieder- und Verwaltungsräume. Funktional mit Wohlfühlcharakter, ein Ort, an dem man Feste und Siege feiern
möchte oder einfach etwas nach einem Segeltörn trinken möchte. Viel Glas, viel Blick, viel Holz.
„Ohne den Brand hätten wir keinen Neubau geplant
und ohne den Brand hätten wir keine neuen Räume für
unsere Jugendarbeit bekommen“, sagt der Vorsitzende
Andreas Christiansen (65), der knapp vor dem Brand
die Clubführung übernommen hatte. Er ist gebürtiger
Flensburger, gehört zur Hamburger Kaufmannschaft
und arbeitet überdies als stellvertretender Vorsitzender
bei der Stiftung der Deutschen Kakao- und Schokoladenwirtschaft. „Das, was wir in der inneren Struktur
vor dem Brand an substantiellen Mängeln hatten, ist
nun beseitigt. Auch städtebaulich haben wir nun hier
am Standort etwas leisten können, denn wir durften
die äußeren Konturen des Gebäudes nicht verändern.“
Henning Rocholl (65), Bauherrenvertreter des NRV,
Hamburger und in der Immobilienbranche seit den
1970er-Jahren tätig, ist der Vertreter des Bauherrn.
Er vertritt die Interessen der 2.000 Vereinsmitglieder
gegenüber Architekten, Statikern, Innenarchitekten,
Gewerken und Handwerkern. Seine Energie scheint
auch noch nach Jahren grenzenlos zu sein. Er fügt
hinzu: „Ein Grundstück direkt an der Alster – und hier
haben wir es mit einem baulich äußerst sensiblen Bereich Hamburgs zu tun – hatte keinerlei sichtbare Ausdehnungsmöglichkeit, außer in den Uferbereich und
in die Tiefe zu gehen. Wir haben einen großen Zugewinn erhalten, eine Fläche von 500 m². Dazu kommt
der gesamte technische Bereich im Untergeschoß. Das
bedeutete im Umkehrschluss auch für die oberen Stockwerke eine klare und übersichtlichere Ausrichtung auf
das Vereinsleben. Wir haben zwar nun äußerlich einen
Rekonstruktionsbau – mit denselben Eckpunkten wie
es das alte Gebäude hatte – innerlich aber ist etwas
Neues entstanden. Unsere Planer, die für den Innenbereich zeichneten, haben eine moderne Denkweise.
Das entspricht auch unseren Vorstellungen. Ich würde
das Ergebnis als zurückhaltende Moderne bezeichnen.
Dies gilt für alle Bereiche, vom besonderen, innovativen
Beleuchtungssystem angefangen, über die Möblierung,
bis zur Wandverkleidung. Ich glaube, dass wir ein gutes
Händchen bewiesen haben, um möglichst viele unserer
Mitglieder mitzunehmen.“
Auffällig ist die Verwendung von Teakholz, das insbesondere im Schiffsbau gerne und häufig genommen
wird. Die Cserni & Kröncke GmbH baute nicht nur eine
reine, ästhetische Wandverkleidung, sondern diese auch
funktional so geschickt, dass sich hinter einigen einzelnen Teakholztafeln verschließbare Fächer befinden. Das
Holz ist ungewöhnlich hell und sensibel bearbeitet; die
ausgesuchte Maserung und Verlaufsrichtung gibt den
Räumen eine gewisse Dynamik und eine warme, wohnliche Aura. „Der Gestaltungsausschuss des Vereins hat
Alle Fotos NRV: Thomas Redl
Der Norddeutsche Regatta Verein (NRV) in Hamburg ist
einer der größten deutschen Segelclubs. Seit 1868, nun
im 146. Existenzjahr, hat er sich dem Regattawesen und
der Segelei verschrieben.
Das Clubhaus liegt an einem der prominentesten
Orte der Außenalster: „Schöne Aussicht“ lautet der
Name der Straße, und der Blick auf das gegenüberliegende Alstervorland, die Kirchtürme, Hochhäuser und
den Glasbau der Elbphilharmonie ist nicht nur bei strahlendem Sonnenschein etwas Besonderes.
Kein schöner Anblick war allerdings ein Brand Ende
Mai 2010, der das Clubhaus des NRV zerstörte. Nach
ersten Sanierungsversuchen war klar, hier ist eine größere und grundsätzliche Lösung erforderlich. Das Zentrum des Vereins musste räumlich und dadurch auch
teilweise inhaltlich ganz neu gedacht werden. Bauausschüsse tagten, Architektenkolloquien wurden durchgeführt, Gutachter gaben sich die verkohlte Klinke in
die Hand, Gespräche mit dem Bauamt folgten, Anträge
wurden gestellt und Genehmigungen eingeholt. Zwei
Jahre nach dem Brand war das alte NRV-Gebäude abgerissen und im November 2012 konnte der Grundstein
gelegt werden. Die Hamburger Planungsgemeinschaft
„NRV Clubhaus“, bestehend aus dem Ingenieurbüro
Roschke, Franzen und Partner und dem Büro Bechtloff.
Steffen.Architekten, arbeitete seit Ende 2010 bis zur
Fertigstellung im Frühjahr 2014 an dem Projekt. Am
22. Februar 2014 war es dann soweit, das Vereinshaus
konnte den 2.000 Mitgliedern übergeben werden.
Seit kurzem ist nun auch der Innenbereich fertiggestellt, und das, was die Innenarchitekten Hennings
Börn Interiors und unter anderem die im Mittelweg ansässige Firma Cserni & Kröncke Hamburg gestaltet und
ausgeführt haben, kann sich sehen lassen. Farbliche
Abstimmung, Möbeldesign, Tresenbereich und die Vitrinen für die Segelpokale gehen eine eigene Symbiose
ein. „Hanseatisches Selbstverständnis und Stolz auf die
Historie harmonieren im NRV, sie wurden sein besonderes Image und beflügeln bis heute. So wird Altbewährtes gepflegt, Liebgewordenes gehegt und Sportsgeist
geschärft. Er vereint die Bewahrung von Traditionen
mit manchmal liebenswerten Marotten und pflegt eine
Regatta-Modell
Clublounge
sich verschiedene Holzmuster vorlegen lassen und sich
schließlich für Teak und diese Leichtigkeit in der Oberflächenbehandlung entschieden.
Cserni & Kröncke Hamburg hat dann noch das Finish der Oberfläche übernommen, und nun sieht man
diese außergewöhnlich schöne Fläche und marmorierte,
angenehme Farbigkeit“, konstatiert Christiansen.
Besonders erwähnenswert sind die Stühle im Restaurantbereich. Sie sind nicht nur farblich gut abgestimmt, sondern nehmen mit ihrer Form und einem
Konstruktionsgestänge die Masten, Wanten und Stagen
auf. Die Tische sind mit dunkelbraunem Nussbaumfurnier versehen und korrespondieren mit der Farbigkeit
des Holzfußbodens.
„Sie müssen bedenken, dass wir nicht nur ein Gesellschaftsclub, sondern ein Segelverein sind“, erklärt
Henning Rocholl, „wenn unsere vielen Segler hier ihr
Präsentationsvitrine
Getränk nach dem Wassersport zu sich nehmen, dann
benötigen wir neben Platz auch etwas Robustes und
Durables. Das gilt für den Barbereich, den Fußboden
und die Möbel. Bei unseren Überlegungen stand der
Nutzungsgedanke im Vordergrund und damit einhergehend, der optisch wertige Aspekt. Unsere Innenarchitekten haben eine Ausschreibung für den Innenausbau
gemacht und von den drei Bewerbungsfirmen haben wir
uns schließlich für Cserni entschieden. Zugegeben, wir
hatten bereits vom guten Ruf des Unternehmens gehört
und aufgrund der Kombination von Leistung, Qualität
und Preis haben wir den Auftrag an sie übergeben können. Ich denke aber auch, dass dieses Prestigeobjekt für
die Firma Cserni interessant ist, um im Norddeutschen
Raum Flagge zeigen zu können.“
„Und wissen Sie, was uns dann restlos überzeugt
hat?“ führt Andreas Christiansen aus „Das war unser
Besuch bei Cserni in der Steiermark, im Betrieb. Dort
konnten wir einen großen Teil der gefertigten Einbauelemente besichtigen – beeindruckend!“
Was sich der Clubpräsident für die kommenden Jahre im Neubau und im angenehmen Ambiente
wünscht, möchte ich zum Abschluss des Gesprächs
wissen, und Andreas Christiansen zitiert einen Absatz
aus dem Vorwort des Jahrberichts des Norddeutschen
Regatta Vereins von 1895: „Die Arbeit und Veranstaltungen des Vereins haben ihm eine große Anzahl neuer
und dauernder Mitglieder gebracht, und er hat durch
den schönen Segelsport neue Freunde und Gönner erworben. Diese uns zu erhalten und immer neue Kreise
für den Verein hinzuzugewinnen, wird auch fernerhin
das Bestreben des Vorstandes sein. Hamburg wird aber
nicht wünschen von anderen Städten Deutschlands
überflügelt zu werden.“
31
live P rojekte 01 / 2014
live
01 / 2014 Projekte Museum Angerlehner
Ein Begegnungsort für zeitgenössische Kunst
Das Museum Angerlehner ist eine kulturelle Begegnungsstätte für Kunstliebende, vor allem aber auch
ein Treffpunkt für Jung und Alt, regional und urban.
Kunst gemeinsam erleben, begreifen und diskutieren, so bleibt der Besuch des Museum Angerlehner
in Erinnerung.
Thomas Redl im Gespräch mit Inhaber und Kunstsammler Heinz J. Angerlehner.
Thomas Redl (TR): Wir sind hier in Ihrem neuen Museum, welches vor kurzem eröffnet wurde und zu den
größten Privatmuseen Österreichs zählt. Seit wann sammeln Sie Kunst und wie ist Ihre Leidenschaft für die
Kunst entstanden?
Heinz J. Angerlehner (HJA): Ich hatte bereits als junger
Bub eine große Sammelleidenschaft. Als Neunjähriger
habe ich begonnen, Briefmarken zu sammeln und dies
tue ich zum Teil noch heute. Seit meiner Kindheit habe
ich sehr Unterschiedliches gesammelt: Zünder aus der
ganzen Welt, Elefanten und vieles mehr – und eines
Tages habe ich die Kunst entdeckt. Natürlich hatte ich
anfangs nicht das Geld, um teure Werke anzuschaffen.
Ich habe mit Aquarellen begonnen, 1981/82 mit Peter
Stopper und Walter Glaubacker, einem bekannten oberösterreichischen Künstler. In weiterer Folge kaufte ich
Ölbilder. Die erste Arbeit erstand ich am Montmartre in
Paris. Auf meinen Auslandsreisen, egal ob in Brasilien,
USA, China, Hongkong, ob in West- oder Osteuropa,
habe ich immer Bilder gekauft. So sind im Laufe der Zeit
sehr viele Werke zusammengekommen und eines Tages
stellte sich mir die Frage: Was werde ich mit meinen
ganzen Kunstwerken machen?
2008 kaufte ich in Wels ein Grundstück mit 41.000
m2, um den Firmensitz von FMT im Jahr 2010 von Thalheim dorthin zu übersiedeln. So begann ich in diesem
Jahr Überlegungen anzustellen, was mit dem ehemaligen FMT-Standort geschehen sollte. Ich kaufte diese
Liegenschaft mit meiner Privatstiftung aus dem Firmenvermögen heraus und überlegte zunächst, gemeinsam
mit der Marktgemeinde Thalheim eine Kunsthalle oder
ein Veranstaltungszentrum zu errichten.
Aber nachdem ich ein Unternehmer bin, der es
gewohnt ist, Projekte rasch umzusetzen, beschloss
ich schließlich, das Projekt allein ohne einen Partner
zu realisieren und als öffentlich zugängliches Museum
zu betreiben. Heute bin ich froh, diesen Schritt getan
Foyer mit Einbauten von Cserni, Foto: © Andreas Thaler
Dame, die absolut tolle Arbeiten macht: Therese Eisenmann. Ich bin sehr stolz darauf und es wäre sehr interessant mit ihren Werken eine Ausstellung zu machen.
Ich habe auch sehr viele Arbeiten von Othmar Zechyr
gesammelt, wunderbare Zeichnungen, bei denen man
sieht, wieviel Arbeit der Künstler in sein Kunstwerk
steckt. Er hat oft tage- und wochenlang mit Tusche auf
Transparent-, Japanpapier oder anderen Papieren gezeichnet. Weiters habe ich unter anderem Werke von
Oliver Dorfer, Lorenz Estermann, Heinz Göbel, Dietmar
Brehm, Tobias Pils, Bettina Patermo und Maria Moser.
Die international erfolgreiche Linzer Künstlerin Waltraut
Cooper hat Lichtinstallationen an der Fassade des Museums und an den Museumsstegen über der Traun und
den Aiterbach realisiert.
Außenansicht Museum Angerlehner, Foto: © Archipicture Mag. Dietmar Tollerian
zu haben, denn in der Zwischenzeit hat das Museum
einen internationalen Standard erreicht. Es war die Galeristin Dr. Ursula Krinzinger hier und sie war wirklich
beeindruckt: Sie kannte mein Museum bisher ja nur von
den Medien, aber sie hätte sich nie gedacht, dass das
Museum Angerlehner ein derartiges Juwel für die ganze
Region darstellt und meinte, dass die Künstler stolz
sein können, hier ausgestellt und präsentiert zu werden.
TR: Wie umfangreich ist die heutige Sammlung nach
Ihrer langjährigen Sammeltätigkeit?
HJA: Meine Antwort auf diese Frage ist immer: mehr
als 1.000 und weniger als 5.000. Die Zahl meiner Kunstwerke liegt irgendwo in der Mitte, aber so genau gezählt
haben wir noch nicht.
TR: Hat die Sammlung einen spezifischen Fokus? Österreichische Kunst zum Beispiel?
HJA: Der spezifische Fokus liegt auf der Malerei. Im
Besonderen sind mir die österreichischen und oberösterreichischen Künstler sehr wichtig. Wir haben so
hervorragende Künstler in Österreich, man muss nicht
unbedingt ins Ausland gehen. In der Sammlung sind
in etwa 75 Prozent österreichische und
circa 25 Prozent internationale Künstler
z.B. aus Amerika, Japan, China, Russland
bis Südafrika vertreten.
HJA: Den gibt es auf alle Fälle. Es sind auch zwei oberösterreichische Künstler in einer der letzten Ausstellungen vertreten gewesen: Josef Bauer, den ich schon
längere Zeit kenne und sammle und von dessen Werken
auch die Galeristin Dr. Ursula Krinzinger sehr angetan
war, und Patrick Schmierer, ein jüngerer Künstler, der
sehr interessante Arbeiten und Skulpturen kreiert hat
und gut in unsere Sammlung passt. Wir sind ein modernes Museum, bei uns wird zeitgenössische Kunst
gezeigt. Wir müssen die jungen Künstler immer dabei
haben und können nicht nur die alten renommierten wie
Arnulf Rainer, Günter Brus, Markus Prachensky, Bruno
Gironcoli oder Hans Staudacher ausstellen. Natürlich
sind dies hervorragende Künstler, aber ich gebe auch
talentierten jungen Künstlern immer eine Chance.
TR: Das ist heute auch sehr wichtig, denn die Mehrheit
kauft spekulativ bekannte Namen als Wertanlage, da
bei jüngeren Künstlern eine geringere Wertsicherheit
besteht.
HJA: Das ist klar. Weil Sie mich nach einem oberösterreichischen Schwerpunkt gefragt haben – in der Sammlung sind einige Werke einer nicht zu unterschätzenden
TR: Ich habe auch Werke aus der Leipziger Schule gesehen.
HJA: Ja. Ich habe bei einer Ausstellung in
Berlin ein paar sehr interessante Künstler,
darunter Aris Kalaizis, kennengelernt und
sofort „zugeschlagen“, denn zwanzig Minuten später hätte ich das Bild „Europa“
nicht mehr bekommen.
Rollenporträt Sigmund Freud (H.J. Angerlehner), 2013,
Foto: © Irene Andessner
32
TR: Kann man behaupten, dass es in der
Sammlung Angerlehner gesamt gesehen
einen oberösterreichischen Schwerpunkt
gibt?
Museumssteg geplant von Brückenbauer DI Erhard Kargel mit Lichtinstallation von
­Waltraut Cooper, Foto: © H. Baumgartner
TR: Ich möchte kurz auf die Architektur zurückkommen.
Es handelte sich um einen bereits bestehenden Industriebau. Was waren die entscheidenden Kriterien für den
Umbau und den Zuschlag an das Architekturbüro Wolf
aus Oberösterreich?
HJA: Das Bürogebäude und die Hallen standen bereits.
Das Bürogebäude sollte ursprünglich vermietet werden,
aus diesem Grund war es nicht Bestandteil des Wettbewerbs, sondern nur die Werkstätten und Montagehallen.
Hier hat das Grieskirchner Büro Wolf Architektur den
Zuschlag bekommen. Nach dem Wettbewerb beschloss
ich, das Bürogebäude mit zu integrieren und den Gebäudezugang zum Museum umzugestalten. Das war die beste Lösung. Ich habe
auch die Lehrwerkstätte nicht wegreißen
lassen und das Foyer – in dem wir uns
jetzt befinden und wo auch die Firma
CSERNI die Möbeleinbauten realisiert
hat – mit in die Planung aufgenommen.
Die Architekten wollten ursprünglich viel
mehr abreißen und neu gestalten. Aber
wie Sie sehen, passt alles wunderbar zusammen. Natürlich haben wir die Hallen
geleert und alles, auch das zweistöckige
Magazinlager mit Aufzug, bis auf zwei
Hallenkräne herausgerissen. Es war viel
Arbeit damit verbunden, aber es waren
dann wirklich leere Hallen und die Architekten haben alles so umgesetzt, wie ich
es wollte. Ich bin sehr stolz, wenn ich
zum Beispiel das Schaulager sehe, wie
es geworden ist – es fasziniert nicht nur
mich, sondern auch die Besucher.
TR: Wenn man das Museum von außen
betrachtet, ist es ein außergewöhnliches
Statement zeitgemäßer Architektur. Die
reduzierte, minimalistische Fassade ist
die gelungene Hülle für die zeitgenössische Kunst, die sich in diesem Korpus
befindet.
HJA: Die Architekten hatten ursprünglich eine andere Fassade geplant, aber
Schaulager, Foto: © Andreas Thaler
der Entwurf mit Streckmetall hat mir aufgrund der unzähligen Langschlitze nicht gefallen, es verschmutzt
viel schneller und erzeugt so hohe Reinigungskosten.
Ich habe mir verschiedene Materialien angesehen und
mich mit den Architekten für diese eloxierte AluminiumFassade entschieden. Das Farbenspiel dieses changierenden Materials ist äußerst spannend und sieht
immer anders aus – je nachdem, ob Sie am Morgen,
nach dem Regen, bei Sonnenschein oder im Abendlicht
zum Gebäude kommen. Die Österreichische Post hat
vor kurzem zugesagt, das Museum Angerlehner mit
der Ausgabe einer Sondermarke im Rahmen der Serie
„Moderne Architektur“ zu würdigen, worauf ich als Philiatelist sehr stolz bin. Die Architekten und das Museum
haben damit eine tolle und unbezahlbare Werbung, die
Auflage der Briefmarke liegt bei circa zwei Millionen
Stück, sie wird in ganz Österreich erhältlich sein.
TR: Die große, säulenfreie Ausstellungshalle mit über
1.000 m2 ist ein zentrales Element des Museums.
HJA: Sie hat 1.200 m2 und ist so großzügig geworden,
wie ich es mir gewünscht habe. Es ist eine stützenfreie Konstruktion geworden, wobei die Architekten
ursprünglich vier Stützen geplant hatten. Sie wurde
statisch neu berechnet und hat dadurch etwas mehr
gekostet, denn es bedurfte einer massiven Stahlkonstruktion, die Sie heute wegen der Verkleidung nicht
sehen können; aber die Umsetzung ist phantastisch
geworden – eine derartige säulenfreie Ausstellungshalle
sieht man kaum, auch nicht in internationalen Museen.
TR: In dieser Ausstellungshalle haben Sie ein sehr signifikantes Sitzobjekt, das Andreas Thaler entworfen
hat, positioniert. Es ist ein Eyecatcher für die Besucher.
HJA: Andreas Thaler hat dieses mehrteilige, zeitgenössische Sitzobjekt eigens für das Museum entworfen.
Ich brauchte hier einen Eyecatcher und habe dieses
Objekt in Ferrari-Rot ausführen lassen. Es ist ein variables Objekt, es kann auseinander genommen und
getrennt in verschiedenen Räumen aufgestellt werden,
es bestehen viele Möglichkeiten für die Verwendung
und Gruppierung dieses Sitzobjektes.
TR: Die gesamte Ausstellungsfläche mit der erdge­
schoßigen Halle von 1.200 m2 und den 800 m2 im ersten
Stock ist sehr großzügig und bietet genügend Platz für
großformatige Arbeiten.
HJA: Wir haben im Schaulager ca. 6.000 m2 Hängefläche sowie an den Wänden in den Ausstellungsräumen circa 2.500 m2 Hängefläche. Das Foyer bietet auch
die Möglichkeit, zusätzlich Kunstwerke zu zeigen, wie
man es hier sehen kann an dem Bild von Bettina Patermo. Das Museum Angerlehner soll für alle, die hier
herkommen, ein Erlebnis sein, damit die Besucher bald
wiederkommen. Der Veranstaltungsraum ist ebenfalls
einzigartig. Er ist richtig einladend beim Hereinkommen,
Große Ausstellungshalle mit Erstpräsentation der Sammlung Angerlehner, Sitzobjekt Rondo, Foto: © Archipicture Mag. Dietmar Tollerian
33
live P rojekte 01 / 2014
Durch Kunst werden Gedanken, Stimmungen und
Visionen ausgedrückt. Diese Faszination, mit der
jedes Bild seinen Betrachter zu fesseln versteht, soll in
meinem Museum für alle Menschen erlebbar werden.
Heinz J. Angerlehner
Neuer Vitra
Showroom
in Wien
­eröffnet
Vitra ist ein Möbelhersteller, der
sich der Entwicklung gesunder, intelligenter, inspirierender und langlebiger Lösungen für das Büro, das
Zuhause und für öffentliche Räume
verschrieben hat.
Die Produkte und Konzepte von
Vitra werden in der Schweiz in
einem sorgfältigen Designprozess
entwickelt, der das Ingenieurwissen des Unternehmens mit dem
kreativen Geist führender internationaler Designer zusammenbringt.
Schottenring 12, 1010 Wien
Foyer mit Möblierung von Cserni, Foto: © Archipicture Mag. Dietmar Tollerian
TR: Sie sind offen für die unterschiedlichsten Veranstaltungen und Events, die hier stattfinden können.
HJA: Das Museum muss offen sein, Veranstaltungen
bringen Geld und wir können nicht genug einnehmen,
denn der laufende Museumsbetrieb kostet enorm viel.
So waren wir letztes Jahr noch zu siebt, heute sind bis
zu 20 Personen in meinem Museum beschäftigt.
TR: Wir sitzen hier im Cafébereich im Foyer des Museums. Welche Möbel und Objekte hat CSERNI hier
realisiert?
HJA: Der gesamte Möbelverbau im Foyer wurde von
der Firma CSERNI produziert, geliefert und montiert.
Wie Sie sich selbst überzeugen können, ist dies eine
wunderbare Arbeit, die CSERNI hier vollbracht hat. Die
Einrichtung von CSERNI ist auch ein Aushängeschild
für die Firma und eine gute Referenz. Wenn weitere Museen im In- und Ausland gebaut werden, ist CSERNI
dafür eine gute Adresse. Ich habe auch Franz Cserni
kennengelernt, den Senior Chef des Unternehmens –
er ist selbst Künstler und ich habe einige Kunstwerke
von ihm erworben. Er ist ein sehr interessanter Mann
und erfolgreicher Unternehmer, der auch das Glück hat,
einen sehr tüchtigen Sohn zu haben. Martin Cserni hat
als Architekt der Firma seinen eigenen Stempel aufgedrückt und man sieht, dass es ein sehr fortschrittliches
und exportorientiertes Unternehmen ist, das höchsten
Ansprüchen gerecht wird.
TR: Welche Ausstellungen sind für das Jahr 2014 im
Museum Angerlehner geplant?
HJA: Unsere aktuelle Ausstellung „Fremdvertraute
Wirklichkeiten“ zeigt den Leipziger Maler Aris Kalaizis gemeinsam mit den Österreichern Gottfried Ecker
und Robert F. Hammerstiel. Die Kalaizis-Ausstellung
„Wunderbar“ wird von uns in das renommierte Drents
Museum nach Assen in Holland gehen. Darauffolgende
Ausstellungen eröffnen wir im Juni und im September.
34
TR: Es sind also konkrete Kooperationen mit anderen
Ausstellungshäusern in Planung?
HJA: Es gibt mit verschiedenen Häusern Gespräche
bezüglich Kooperationen. Parallel dazu machen wir
immer wieder Sonderausstellungen wie zum Beispiel
„In memoriam Karl Mostböck“, der erst kürzlich im 93.
Lebensjahr verstorben ist und den ich gut kannte. Im
Laufe der Zeit habe ich an die 60 Werke von ihm angekauft. Bei der Eröffnung dieser Ausstellung waren
ca. 250 Menschen anwesend, die von den präsentierten Werken begeistert waren und ich denke, dass die
Ausstellung dazu beitrug, dass Karl Mostböck noch
bekannter wurde und mehr Leute sein künstlerisches
Werk kennen und schätzen lernten.
TR: Für ein Museum, das sich nicht in einer Metropole
wie Wien oder Salzburg befindet, ist es auch wichtig,
ein aktives Vermittlungsprogramm zu haben.
HJA: Natürlich. Für ein Museum ist es generell wichtig,
ein Kunstvermittlungsprogramm anzubieten, aber dies
kostet auch viel Geld. In der Zwischenzeit haben unsere
Kunstvermittlungsaktivitäten großen Anklang gefunden,
vor allem bei den Schulen und auch beim Landesschulrat. Wir haben im Vorstand unseres Museumsvereins
eine Landesschulrätin. Der Präsident des Landesschulrates war selbst schon hier und es haben uns 80 bis 90
Lehrer besucht. Es waren viele Schulen, von der Volksschule bis zu Fachhochschulen hier und es kommen
immer wieder Leute von den Kunstuniversitäten. Hier
bleiben wir dran, aber ich hoffe auch auf Unterstützung
von Bund, Land, Stadt und Marktgemeinde.
Foto: © Thomas Redl
links sieht man das Schaulager, geradeaus fällt der Blick
sofort auf das Bild von Rudolf Leitner-Gründberg h
­ inter
der Bühne. Bei einer Kinobestuhlung haben wir hier
Platz für 400 Personen und bei Festlichkeiten mit einem
gesetzten Essen für bis zu 120 Personen. Es ist ein
schöner Rahmen für Kunstaktivitäten, Konzerte und Lesungen sowie für Firmenfeiern, Produktpräsentationen,
Modeschauen etc. – es ist eine Multifunktionshalle.
TR: Sie sind mit dem Maecenas Kulturpreis ausgezeichnet worden. Dies ist so kurz nach der Eröffnung des
Museums natürlich ein schöner Erfolg.
HJA: Die ganze Eröffnung des Museums war ein großer
Erfolg. Bei der Eröffnung fand das Erste Abendmahl, inszeniert von der Künstlerin Irene Andessner, im Museum
Angerlehner statt, bei dem auch Bundespräsident Dr.
Heinz Fischer mitgewirkt hat, der selbst sehr kunstinteressiert ist. Es hat ihm so gut bei uns gefallen, dass er
über zweieinhalb Stunden geblieben ist. Weiters gab es
auch eine nicht alltägliche interkulturelle Segnung des
Museums durch die katholische, protestantische und
muslimische Kirche. Es war alles wirklich phantastisch,
die Eröffnung war insgesamt eine sehr gelungene Veranstaltung. Landeshauptmann Dr. Josef Pühringer hat
mir den Kulturpreis des Landes Oberösterreich durch
den Herrn Bundespräsidenten überreichen lassen, was
mich ebenfalls sehr gefreut hat. Und ich habe den von
der Industriellenvereinigung Oberösterreich verliehenen
Corona-Preis für besondere gesellschaftliche Verantwortung in Bronze bekommen.
TR: Wenn Sie in die Zukunft blicken, wo sehen Sie Ihre
Sammlung und das Museum in zehn Jahren? Gibt es
eine Vision, die noch realisiert werden möchte?
HJA: Es gibt immer Visionen. Aber alles darf man nicht
ausplaudern. Es wird noch viele Ausstellungen und
Veranstaltungen geben, die alle begeistern werden.
Natürlich möchte ich, dass das Museum weit über die
Grenzen Österreichs bekannt wird. In Österreich, denke
ich, sind wir bereits anerkannt – das Echo ist phantastisch, beinahe 100 Prozent der Besucher haben ihrer
Begeisterung Ausdruck verliehen. Und das soll auch hinaus getragen werden. Wenn kunstinteressierte Chinesen, Amerikaner, Afrikaner oder Australier nach Europa
kommen, soll das Museum Angerlehner eine fixe Station
sein. Dies soll sich in interessanten Ausstellungen widerspiegeln. Hier sind wir offen nach allen Seiten. Vorerst
aber liegt der Schwerpunkt auf der Sammlung Angerlehner, die vielleicht auch noch international gezeigt werden
wird. Es wird in Zukunft noch viele gemeinsame Projekte
mit anderen Museen und Partnern geben.
live
01 / 2014 Projekte Dabei ist es das Ziel, Produkte
mit großer funktionaler und ästhetischer Lebenserwartung zu
entwerfen.
Die Architektur des Vitra Campus, das Vitra Design Museum,
die Design-Workshops, Publikationen, Sammlungen und Archive
sind integrale Bestandteile des
Projekts Vitra. Sie eröffnen dem
Unternehmen neue Sichtweisen
und schaffen die notwendige Tiefe
für all seine kreativen Aktivitäten.
Seit mehr als dreißig Jahren betreibt der Schweizer Design- und
Büromöbelhersteller Vitra erfolgreich eine Tochtergesellschaft
in Österreich und setzt damit Maßstäbe im Office- und Wohndesign.
Nun ist der erste innerstädtische Showroom in Wien, Schottenring 12, eröffnet. Auf 750 m² kann man an sechs Tagen in der
Woche in die Welt von „Projekt Vitra“ eintauchen.
„Für uns war die Eröffnung eines neuen Showrooms in der Innenstadt ein logischer Schritt, einerseits haben wir mehr Platz
benötigt, andererseits ermöglicht uns der neue Standort die
Intensivierung der Kundenkontakte“, so Marcus Schulz, Geschäftsführer Vitra Österreich.
Im Showroom werden sowohl Lösungen für den Officebereich
gezeigt als auch Wohndesignwelten inszeniert. Darüber hinaus
wird der Showroom als Büro für das 16-köpfige Vitra-Team genutzt, das vom Standort Wien aus sieben Bundesländer betreut.
Gestaltet wurde der neue Vitra-Showroom, der sich auf fünf
Räume erstreckt, von Architekt Dieter Thiel.
„Wir werden den Showroom mehrmals pro Jahr umgestalten,
um einerseits die Vielfalt zu inszenieren, andererseits aber auf
saisonale Kundenwünsche zu reagieren“, so Schulz, der das
Konzept des lebendigen Showrooms verfolgt. In den kommenden Monaten ist eine Reihe von temporären Präsentation und
Events geplant, die den Showroom auch zur Bühne machen und
Vitra als zentralen Design-Hotspot positionieren sollen.
Eingangsbereich Vitra-Showroom, 1010 Wien, Fotos © Thomas Redl
TR: Ich bedanke mich für das ausführliche Interview
und wünsche Ihnen und dem Museum Angerlehner alles
Gute für die Gegenwart und die Zukunft.
Infos:
Das Museum Angerlehner wurde im September 2013 eröffnet. Die Ausstellung „Erstpräsentation der Sammlung
Angerlehner“ wurde von Florian Steininger kuratiert und
ist bis Sommer 2014 zu sehen. Zur Sammlung ist eine umfassende Buchpublikation SAMMLUNG ­ANGERLEHNER
im Hirmer Verlag, München, erschienen. Das 495 Seiten
umfassende Buch gibt Einblick in die 30-jährige Sammlungstätigkeit von Heinz J. Angerlehner. Das Buch vereint
Texte von Peter Assmann, Peter Baum, Martin Hochleitner,
Johannes Holzmann, Gerda Ridler, Romana Ring, Johanna
Schwanberg, Florian Steininger und Margit Zuckriegl. Redaktionell betreut wurde die Publikation von Gerda Ridler.
Museum Angerlehner / Thalheim bei Wels
www.museum-angerlehner.at
Table Solvay Jean Prouvé, Softshell Chair Ronan & Erwan Bouroullec,
Organic Chair Charles Eames & Eero Saarinen
Vitra Fachhandelspartner in Ihrer Nähe finden Sie unter www.vitra.com.
www.vitra.com/dining
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live Kunst 01 / 2014
live
01 / 2014 Kunst Kunst
Franz Erhard Walther
Deutscher Konzeptkünstler
my landscape is your landscape
internationale videokunst
Erwin Bohatsch
Franz Erhard Walther, Aufbau zur Vorführung des 1. Werksatzes im Museum of Modern Art, New York, 1970. Foto: Claude Picasso
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live Kunst 01 / 2014
live
01 / 2014 Kunst Franz Erhard Walther
„Ich bin die Skulptur“
Claus Friede
Franz Erhard Walther gehört mit seiner partizipatorischen Kunst zu einer der Schlüsselfiguren der
Gegenwartskunst seit den 1960er-Jahren. Der 1939
in Fulda geborene Künstler erfährt seit seiner Emeritierung von der Hochschule für Bildende Künste
in Hamburg im Jahr 2005 eine intensive kunsttheoretische Reflexion und internationale Anerkennung. Das, was er bereits in den 1960er- und 70erJahren künstlerisch angelegt hat, nimmt viel von
dem vorweg, was für heutige Künstlergenerationen
als selbstverständlich gilt. Zum 75. Geburtstag von
Franz Erhard Walther in diesem Jahr widmet sich
das C-live Magazin dem Werk des Künstlers.
AUGE, 1958, Bleistift und Tempera auf dünnem Karton.
69,6x99,4 cm. © Franz Erhard Walther Foundation.
Walther arbeitet als junger Student und Künstler in zwei
unterschiedlichen Bereichen. Alles Weitere baut sukzessive
darauf auf. Sind es zunächst einzelne Begriffe und Texte,
die er anfangs Wortbilder, später Wortwerke nennt, kommen alsbald Objekte aus Karton, Rupfen, Hartfaserplatten
und Packpapiere, die er stapelt, auf dem Boden auslegt
oder in der Hand haltend präsentiert, hinzu. Bereits zu jener
Zeit, Ende der 50er-, Anfang der 60er-Jahre gilt Walther als
einzigartige Persönlichkeit im akademischen Kunstbetrieb,
noch eher beschmunzelt als ernst genommen. Seine Werke
sind mit keinen Arbeiten zu vergleichen, die zu jener Zeit
an deutschen Kunsthochschulen entstehen. Die Materialität steht im Vordergrund, jedwede Abbildung fehlt, Projektionsplastiken sollen seine Arbeiten sein. Wie bei den
suprematistischen Bildern von Kasimir Malewitsch dient
die (monochrome) Fläche der Projektion eigener Bilder,
Formen und Vorstellungen. Das, was als künstlerischer
Nullpunkt oder Ideal eines Bildes im Schwarzen Quadrat
gesehen werden kann, lässt sich auch auf die frühen Arbeiten Walthers anwenden. Vom Betrachter wird unmittelbar
eine geistige Leistung erwartet, um reflektorische Prozesse
in Gang zu setzen.
Franz Erhard Walther geht ab 1963 und während seiner
Zeit in New York, von 1967 bis 1973, noch einen Schritt
weiter und vollendet den berühmten 1. Werksatz, der 1969
im Museum of Modern Art erstmals ausgestellt wird. Der
1. Werksatz besteht aus 58 Einzelwerkteilen – häufig aus
Stoff oder mit Stoff ummantelt – die nach Walthers Vorstellung ein Instrumentarium definieren und erst durch die
Benutzung zum Werk werden. War die klassische Rezeption
von Kunstwerken auf die Distanz von Werk und Betrachter
aufgebaut, überwindet Walther nun mit dem 1. Werksatz
endgültig diese Kluft. Der Betrachter wird zum Benutzer. Mit
dieser grundsätzlichen Veränderung wird ein ganzer Kanon
von neuen Haltungen auf Seiten des Künstlers sowie des
Publikums initiiert.
Zunächst verändert sich das interne Verständnis des
38
Künstlers. Dieser agiert nicht mehr als alleiniger Schöpfer
eines Werks, der seinem Publikum eine definierte Arbeit
mit gleichzeitig definierten Rezeptionsmustern vorgibt und
deren inhaltliches Verstehen kausal voneinander abhängig
ist. Walther nimmt sich als Urheber zurück, verteilt künstlerische Verantwortung in bis dahin nicht gekanntem Ausmaß
an das Publikum, denn es muss selbst agieren. Deswegen
ist es auch richtig zu behaupten, dass es sich zunächst um
ein Instrumentarium handelt und noch nicht um „Werk“, um
in der Sprache des Künstlers zu bleiben: Erst in dem Moment, in dem verschiedene Faktoren zusammen kommen
und Handlungen entstehen, kreiert sich „Werk“. Der Kreislauf von Objekt – Benutzung – Lagerung – Objekt – Benutzung etc. zeigt die unterschiedlichen Aggregatszustände
der Waltherschen Arbeit, die als künstlerisch gewollt und
untereinander als gleichrangig zu betrachten sind.
Der Künstler benutzt seine Objekte im Museum oder im
Außenraum selbst und lässt dies beispielhaft dokumentieren, um seinem Publikum Anhalts- und Orientierungspunkte
zu vermitteln. Der Benutzer erhält dann je nach Objekt mal
mehr, mal weniger präzise Handlungsanweisungen. Er hat
jedoch viele Freiheiten, beispielsweise wie lange er ein
Objekt benutzt. Walther spricht davon, dass sich die Erlebniszeit von der Realzeit deutlich abhebt. Der Verlust der
nachvollziehbaren Messbarkeit bedeutet den Gewinn an
Freiheit und Erlebnisqualität. Die Werke sind in mehrfachem
Sinn zeitlos, respektive „zeitvoll“.
Bei der Hälfte der Objekte des 1. Werksatzes wird die
Handlung nicht allein von einer Person bestimmt, sondern
von mindestens zwei. So ergeben sich gemeinschaftliche
Erlebnisse, dialogische, kommunikative Verhältnisse und
abhängige Handlungsszenarien. Um Missverständnissen
allerdings vorzubeugen: Bei der Benutzung der Objekte
handelt es sich weder um Performances noch um Body
Art oder theatralisch orientierte Inszenierungen noch gar
um therapeutische Anwendungen.
Durch das Delegieren eines gehörigen Anteils der kommunikativen Verantwortung an den Benutzer ist dieser in
besonderer Weise gefordert. Wie der in Hamburg lehrende
Kunsttheoretiker Michael Lingner in einem Aufsatz zum
Werk von Franz Erhard Walther meint, ist die Qualität des
Werks bei Walther von der Qualität der Kommunikation
der Teilnehmer abhängig. Lingner unterstreicht damit nicht
nur den verantwortungsvollen Stellenwert der Benutzer
oder das abhängige Verhältnis von Künstler und Benutzer,
sondern auch die pionierhafte Einzigartigkeit, die Walthers
Werk zu Grunde liegt.
Sogenannte Werkzeichnungen begleiten überdies
den künstlerischen Prozess. Im überwiegenden Fall sind
sie vor- und rückseitig, mit Hilfe von Blei- oder Farbstift,
Aquarellfarbe, Kaffee, Öl und Texten gezeichnet und auf
DIN A4 großen Einzelblättern be- und überarbeitet. Sie erinnern durch dieses Format und durch ihre ungeheuer große
Anzahl an tagebuchartiges Material. Sie können Skizze,
Dokumentation, Notizen zu Erlebnissen sowie Handlungsanweisung sein oder Bewegungsfelder, Raum und Vorstellungen während der Benutzung definieren. Hier ist Walther
der handwerkliche Künstler, während seine Stoff­objekte
nicht von ihm selbst, sondern nach seinen Plänen und
Zeichnungen gefertigt werden.
Längst ist der 1. Werksatz in der Regel in Sammlungen und Museen im gelagerten Zustand zu sehen. In extra
einzelgefertigten Stoffverpackungen mit Beschriftung und
Skizze versehen, lagern die Objekte zusammengelegt in
einem mächtigen Holzregal. Auch dieser Zustand ist für
Walther so künstlerisch wie die Benutzung und er spricht
von „Lagerform = Werkform“. Nach über 50 Jahren handlungsgebundener Rezeption, so Walther, sollte es ausreichen, die Objekte gedanklich zu benutzen. Dass sich
hinter der Lagerform auch ein rechtlicher, versicherungstechnischer Gedanke verbirgt, schmälert das Werk in keiner
Weise. Durch die ständige Benutzung würden die einzelnen
Objekte leiden, verschmutzen und der Stoff ausbleichen,
so aber wissen die Eigentümer ihre Werke geschützt. Franz
Erhard Walther führt jedoch immer wieder einmal – wenn
auch mit exhibition copies, wie kürzlich im MOMA in New
York – seine Werksätze vor.
1971 wird Walther an die Hochschule für Bildende
Künste nach Hamburg berufen. Ein Jahr später beendet
er den 2. Werksatz, den er später 45 Schreitbahnen nennt.
Dieser ist im Gegensatz zum 1. Werksatz in der Form reduzierter und minimalistischer. Die aus festem Planenstoff
gefertigten Bahnen, die bis zu 21 Meter lang sein können,
Grundidee der Konzeptkunst, die Lawrence Weiner 1968
stichwortartig formuliert hat, kongenial zunutze:
„The piece need not be built. Each being equal and
consistent with the intent of the artist the decision as to
condition rests with the receiver upon the occasion of
­receivership“. (Das Werk braucht nicht ausgeführt zu werden. Jede Möglichkeit ist gleichwertig und entspricht der
Absicht des Künstlers, die Entscheidung über die Ausführung liegt beim Empfänger zum Zeitpunkt des Empfangs).
Dies bedeutet natürlich nicht, dass Walther das Moment der Handlung negiert, er sieht aber keine Notwendigkeit mehr in der tatsächlichen Ausführung. Kritiker werfen
ihm damals vor, dadurch einen Schritt zurück zu gehen
und die alte Kluft zwischen Werk und Betrachter wiederherzustellen. Doch das Potential der tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten setzt diese kritische Argumentation
postwendend außer Kraft. Jede der Arbeiten ist nämlich
Body Shapes, 2005-2013, Baumwollstoffe, Schaumstoff. Fünf großformatige Werke, insgesamt 33 Teile. Ausstellung „’Body
Shapes’, Peter Freeman Inc., New York, 2013. Foto: © Joy Whalen/Peter Freeman.
55 Handlungsbahnen in Lagerform (Detail), 1997–2003,
Baumwollstoffe, Schaumstoff, Holz. Maße zwischen
860x100x60 cm und 2400x500x35 cm. Ausstellung bei ART
Unlimited, Basel, 2009. Foto: © Elisabeth Noske.
45 Schreitbahnen in Lagerform, 1972, Baumwollstoff, Nesselverpackungen. Ausgelegt: zwischen 900x900 und 2100x2100 cm. An
der Wand: 45 Zeichnungen zu den Schreitbahnen mit jeweils sechs
Werkdefinitionen, 1972, Bleistift und Wasserfarbe auf Papier. Je
44x31 cm. Foto: © Dirk Reinartz.
geben Blickpunkte, Standstellen und Bewegungsrichtungen vor. Auch hier sind die Arbeiten dialogisch und werden von mindestens zwei Benutzern gleichzeitig definiert.
Der Mensch und seine Handlung(en), die Frage nach dem
Werkbegriff und die bereits erwähnten kommunikativen,
interagierenden Aspekte stehen auch hier im Vordergrund
der künstlerischen Intention.
Ab 1979 arbeitet Franz Erhard Walther erstmalig an
sogenannten Wandformationen. Diese prägen sein Werk für
die folgenden zehn Jahre. Vereinfacht ausgedrückt, klappt
er nun quasi die Fußbodenfläche auf die Wand. Seine großen Stoffobjekte haben die Dimension von großen Schrankwänden mit einzelnen Kammern und Stoffvolumen. Sie
verfügen über Elemente, die über den menschlichen Körper
(an)gezogen werden können und mit Stoff ummantelten
Holzstäben und Platten ausgestattet sind. Seine Gelbe
Skulptur (1969/79) aus Baumwollstoff und Holz ist die erste
dieser Art. Bei ihr ist das Handlungsprinzip noch deutlich
sichtbar, denn Walther führt diese erste Wandformation in
verschiedenen Museen anfangs noch vor. Später verzichtet
er darauf mit dem bereits erwähnten Argument, die Idee
der Partizipation habe sich in der Kunst durchgesetzt und
bedürfe nicht mehr der Vorführung. Konsequent setzt er
die Leerstellen und Sockel nun in sein Werk ein. Dort, wo
bislang der Mensch stand oder schritt, ist die Vorstellung
der Handlung sich selbst genug und braucht nicht mehr
ausgeführt zu werden. Damit macht sich Walther die dritte
Gruß aus Byzanz, 1983, Baumwollstoffe, Holz, 275x300x30 cm,
5 Teile. Foto: © Claus Friede.
nach wie vor so ausgeführt, dass man sie benutzen kann
und dass sie körperlich erlebbar ist – im Gegenüber sowie
in der Arbeit selbst.
Die fünfteilige Wandformation Gruß aus Byzanz, aus
dem Jahr 1983 dient beispielhaft für diesen Werkabschnitt.
Wie bedeutsam die Lagerform für Walther ist, zeigt sich
in den 1990er-Jahren: Mit der Publikation Die Configurations als Werklager und Ausstellungen in New York, Luzern,
Lissabon, Salzburg, München und in Klagenfurt erklärt Walther den Begriff „Lager“ zum „Kern der Sache“ und unterscheidet ihn vom 1. Werksatz, dessen „Werkauffassung
gegenüber dem eigentlichen Gebrauch nur sekundär war,
jedenfalls ganz und gar nicht als sozusagen uneigentlicher Zustand der Arbeit angesehen werden kann“. Dieses
Walther-Zitat zeigt die Konsequenz seiner künstlerischen
Haltung und die stringente Identität, die ihr innewohnt.
Den Begriff der „Konfiguration“ fasst Walther eher erzähltheoretisch auf und grenzt sich damit von dem, in der
Kunst eher üblichen Kompositionsbegriff ab. Ihm sind die
Menge der handelnden Personen (hier: Formen auf der
Wand/im Raum) und deren Beziehungen untereinander
wichtig. Die Tektonik bietet Variationsmöglichkeiten und
mündet in den Werkreihen Gesang des Lagers sowie Lager
der Probenähungen, welches bis heute kontinuierlich anwächst und in Ausstellungen der vergangenen Jahre in
verschiedenen Konstellationen und Variationen raumfüllend
gezeigt wurde.
Die Gesang-Werkreihe eröffnet eine weitere textliche
Konnotation: Das neue Alphabet (1990–1996). Hier verbindet Walther die frühen, eher protestantisch wirkenden
Probenähungen (Detail), 1967-2013, Baumwollstoffe,
Schaumstoff, Holz. Mehrere hundert Teile. Ausstellung „Perpetum mobile. Lager-Sockel-Handlung“, Kubus, Situation
Kunst, Ruhruniversität Bochum, 2013. Foto: © Thorsten
Koch.
Wortbilder mit den Wortwerken, mit der Sprache im Material, seinem Organon und den Innenmodellierungen. Er
wendet sie als architektonische, farbige (katholische) Stoffobjekte, deren Formen sich auf die 26 Buchstaben des
lateinischen Alphabets beziehen und an Wand und Boden
präsentiert werden. 2005 entwirft Franz Erhard Walther für
die große Eingangswand des Mercedes-Benz Museums
Stuttgart ein sogenanntes Wortfeld und wird wieder strenger, minimalistischer. „Die dafür ausgewählten Begriffe sind
nicht beschreibend, sondern haben Bedeutungshöfe, die
künstlerische, kulturelle und wissenschaftlich-technische
Bereiche ansprechen. Im Zentrum jedoch steht das Bildhaft-Plastische. Der Rhythmus der Worte auf der Wand bezieht sich auf die Architektur“, heißt es in der Beschreibung.
Mit den Körperformen oder Body Shapes bezieht sich
Walther seit 2005 auf Formen seiner Werkzeichnungen der
1960er-Jahre. Mit dem Begriff reflektiert er auf jene körperbezogenen Arbeiten aus dem Jahr 1963, die er als Vier
Körperformen bezeichnete. Waren es damals einteilige
Formen in menschlichen Körperproportionen, so sind die
neuen Werke mehrteilig und betonen eher das Skulpturale
als das Moment der Handlung. In der Präsentationsform
bleibt oft lediglich die Lagerform sichtbar, dennoch sind
Handlungsvorstellungen gegenwärtig.
Das Einbeziehen des Betrachters/Benutzers in Walthers Œuvre ist seit den frühen Werken dessen integraler
Bestandteil. Die Arbeiten sind dadurch tief miteinander verbunden und beleben durch ihre Vielfalt und Verflochtenheit
den Kosmos einer integren Kunstauffassung.
Franz Erhard Walther gelingt, was Künstler selten
schaffen: Er bleibt sich im Werkansatz treu. Das verleiht
seinem Werk etwas Unverwechselbares. Ihm gelingen
künstlerische Entwürfe, die sich nicht nach einer gewissen
Zeit relativieren oder gar radikal von der Kunstgeschichte
absorbieren lassen. Walther bleibt dem zeitgenössischen
Kunstdiskurs verhaftet: Der Körper ist Skulptur. Sein Maß
ist der Mensch. Und die Handlung ist zugleich Text, Kommunikation, Zeit und Raum. Künstler und Betrachter sind
Skulptur.
Franz Erhard Walther
wurde 1939 in Fulda geboren, wo er heute wieder lebt. Ausgebildet
an der Werkkunstschule Offenbach, an der Hochschule für Bildende
Künste in Frankfurt/M. und an der Kunstakademie Düsseldorf (bei K.
O. Götz), lebte und arbeitete er von 1967 bis 1973 in New York. Bis
2005 war Walther Professor an der Hochschule für Bildende Künste
in Hamburg, wo neben Klaus Kumrow, John Bock, Jonathan Meese,
Christian Jankowski und Santiago Sierra auch Rebecca Horn und
Martin Kippenberger zu seinen Schülern zählten. Neben zahlreichen
anderen Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen war
Walther auf der Documenta 5, 6, 7 und 8 vertreten. Im Sommer 2014
wird er 75 Jahre alt.
39
live Kunst 01 / 2014
My Landscape Is
Your Landscape
Internationale Videokunst zum Thema Landschaft
Claus Friede
Das Wort „Landschaft“ wird vor allem in zwei Bedeutungen verwendet: Zum einen bezeichnet es die kulturell
geprägte, subjektive Wahrnehmung einer Gegend als
ästhetische und geistige Ganzheit (philosophisch-kulturwissenschaftlicher Landschaftsbegriff), zum anderen
wird es, vor allem in der Geographie, verwendet, um
ein Gebiet zu bezeichnen, das sich durch naturwissenschaftlich erfassbare Merkmale von anderen Gebieten
abgrenzt (geographischer Landschaftsbegriff)1.
Generell aber gibt es keine einheitliche Definition,
was Landschaft sei, weshalb der Begriff aufgrund seiner
lebensweltlichen, ästhetischen, territorialen, sozialen,
politischen, ökonomischen, geographischen, planerischen, ethnologischen und philosophischen Bezüge
auch als ein „kompositorischer“2 bezeichnet werden
kann, dessen „semantischer Hof“3 von einer über tausendjährigen mitteleuropäischen Ideen-, Literatur- und
Kunstgeschichte geprägt wurde.
Der Titel der Ausstellung4 assoziiert Globalisierungsprozesse und deutet gleichzeitig auf die unterschiedlichen internationalen Provenienzen der Künstler hin.
Der erste Teil My Landscape veranschaulicht
die subjektive, persönliche Landschaftserfahrung
oder damit verbundene Vorstellungen der jeweiligen
Künstler. Der zweite Teil Your Landscape zielt auf die
40
Die Ausstellung fragt nach den Landschaftserfahrungen
sowie deren künstlerischen Kristallisationen und will anhand ganz unterschiedlicher Positionen der Videokunst
illustrieren, dass hinter dem Interesse an Landschaft
keineswegs immer nur rückwärtsgewandte Nostalgie
oder romantisch verklärte Vorstellungen stehen, sondern dass diese auch als eine präzise Metapher für die
psychologischen, sozialen, politischen, historischen und
digitalen Konflikte unserer Zeit fungiert.
Die zehn teilnehmenden internationalen Künstler
aus Europa, Asien und Nordamerika zeigen im Einzelnen
folgende Werke:
Die Künstlergruppe Bauhouse (DE) ist mit einer Rauminstallation namens Scale (2013) vertreten: Auf der einen
Seite befindet sich eine Wand füllende Projektion der
Sonne, die in Nahaufnahme Sonnenwinde, Explosionen
und die energetischen Zentren zeigt. Die Aufnahmen
stammen vom Solar Dynamics Observatory der NASA.
Aus Lautsprechern hört man modifizierte „Solar-Sound“Aufnahmen aus einer Versuchsreihe des Experimental
Physics Laboratory der Stanford University5 in Kalifornien.
Auf der gegenüberliegenden Wand ist ein iPhone montiert, welches sich scheinbar selbst bedient. Es googlet,
zeigt eigenständig beschleunigte Bilder, spielt YouTube-Videos ab, präsentiert historisches und aktuelles
Material. Es führt uns Fragmente und Reminiszenzen
globaler Kultur vor Augen, sowohl zeitgenössischmenschliches als auch digital bestimmtes Verhalten.
Die Gegenüberstellung von Sonne und iPhone beruht auf der von Steve Jobs einmal eingerichteten
visuellen Grundeinstellung aller Apple-Produkte:
Auf der Home-Hintergrundbildseite ist die Erdkugel als Aufnahme aus dem All zu sehen. Dieses
Motiv wurde dem Whole Earth Catalog 6 entnommen.
„Uns reizte es, das ursprünglich kalifornische Lebensgefühl mit seiner Technologie affinen Weltsicht in ein meditativ, skaliertes Verhältnis zu
stellen“, erklären Bauhouse selbst ihre Arbeit.
Das Medium Smartphone funktioniert dabei nicht nur
als bewusst gesteuertes „Kommunikationstool“, sondern ist eine räumlich, akustische Setzung. Landschaft
ist in diesem Werk inhaltlich gesehen eine gedankliche
Transformation, ein visualisiertes Konstrukt, denn der
digitale und technische Raum sind zunehmend Teil unserer alltäglichen Landschaftswahrnehmung (SatellitenNavigation, Google Earth etc.). Sie ist komprimiert im
Abbild der Sonne in Bezug auf das Apple-Abbild des
Erdballs. Die räumlich-audiovisuelle Bearbeitung, der
inszenierte Raum selbst, kann allerdings als „Installationslandschaft“ gelesen werden.
Karl Karner / Linda Samaraweerová: Grünwachs Eins, 2012
Objektivierung dieser Erfahrung ab, in der es um Ideale,
Inszenierungen und kulturelle Vorstellungen von Landschaft geht oder um deren Surrogate, die durch die
jeweiligen Kunstwerke allgemeine Gültigkeit erhalten,
denn das künstlerische Abbild von Natur ist ebenso weit
von der Wahrheit entfernt wie von der Natur an sich.
Eine verbreitete naive Vorstellung hält Landschaft
einfach für ein Stück Natur. Diese „einfache“ Natur
war jedoch noch nie „Landschaft“. Auch nicht in der
Kunstgeschichte. Motivauswahl, Komposition und Arrangement von Naturelementen machten Landschaftsgemälde immer schon zu Collagen, nur dass man keine
geklebten Versatzstücke oder Schnitte sieht. Heute
lässt die digitale Bildbearbeitung Elemente miteinander verschmelzen, und es entstehen sogar scheinbare
Abbildungen von Orten der Welt, die ohne jede Vorlage
vollständig oder größtenteils am Computer errechnet
worden sind. Es entstehen collagierte Videos und Bildfolgen von vermeintlicher Landschaft.
Umgekehrt machen unbearbeitete Abbildungen realer Orte immer häufiger den Eindruck, als blicke man in
eine Computersimulation. Dass die Welt zum Resultat
medialer Wahrnehmung wird, ist jedoch nichts Neues.
Im 18. Jahrhundert verwandelten Großgrundbesitzer – vornehmlich in England, West- und Zentraleuropa
– umfangreiche Ländereien in Parks und Gärten, die
eingespielten Mustern der Landschaftsmalerei nachempfunden waren. Von den Besitzern künstlich aufgeschüttete Wälle und Hügel sorgten für die Kongruenz
von Horizontlinie und Besitzgrenze. Landschaft wurde
also schon damals manipuliert und simuliert. Will sagen,
Jean-Jacques Rousseaus Begriff „Zurück zur Natur“
war ein „Zurück zu Bildern“, die man kannte. Kurz darauf
begann die Industrialisierung die reale Natur in bekanntem Maße auszubeuten und landschaftliches Aussehen
grundlegend zu ändern: Brücken, Staudämme, Fabriken
entstanden und der Tagebau wälzte ganze Landstriche um. Die Landschaft ist darüber hinaus längst zur
„Stadtschaft“ geworden, und auch in den Städten und
Megacities gelten die gleichen Merkmale, wenngleich
mit unterschiedlichen Wirkungen und Definitionen. In
den letzten Jahren erlebt das Thema Landschaft ein
erstaunliches Revival in der Kunst. Dabei ist die Bandbreite dessen, was sich thematisch mit Landschaft im
weitesten Sinn definiert, ungeheuer groß und kann in
der Ausstellung My Landscape Is Your Landscape nur
ansatzweise präsentiert werden. Zudem wird der Begriff
Raum nicht nur analog, sondern insbesondere auch
digital verwendet und kreiert alles, was vorstellbar ist.
live
01 / 2014 Kunst Für Ñaco Fabré (ES) ist die Landschaft ein Durchquerungsraum. In seinem Video No te olvides de respirar
(Deutsch: Vergiss nicht zu atmen) (2011) wird dem Betrachter lediglich eine einzige Kameraperspektive nach
oben, Richtung Himmel, angeboten. Fabré joggt zwanzig Minuten – die Kamera ist an seinem Kopf befestigt
und schwankt im Laufrhythmus mit. Sie zeigt lediglich
die Baumwipfel eines Pinienwaldes und graue Wolken.
Außer der Atmung und der Schrittfrequenz des Künstlers ist nichts zu hören. Es gibt keinerlei Verfremdung
oder digitale Veränderung zu sehen. Die Landschaft
wird zwanzig Minuten regelrecht rhythmisch zerlegt und
dient als Ort sportlicher Betätigung, verändert aber nie
ihr visuelles Wesen und Erscheinungsbild und erscheint
insofern realistisch-natürlich und rein. Eine konkrete Verortung der Landschaft ist durch die Kameraperspektive
nicht möglich. Auch geben Wetter, Tages- und Jahreszeit keine weiteren Anhaltspunkte. Die Videoarbeit konzentriert sich inhaltlich auf den läuferischen Rhythmus
und nicht auf den Topos von Landschaft. Hier dient sie
lediglich als logischer Transmitter einer wesentlichen
Information: Ich laufe durch saubere Natur und nicht
durch einen urbanen, verschmutzten Raum. Für Fabré
ist sein Werk „eine lyrische Abstraktion, die der Wald
in sich birgt, eine Hommage an Bäume und reine Luft“.
Bauhouse: Scale, 2013
Till Nowak: SUS, 2011
Der Landschaftsraum von Fabian Grobe (DE) ist eine
Illusion. Sein Christmas Tape (2003) zeigt eine vermeintliche Zugfahrt durch die Weihnachtsdekoration Berlins
im Dezember. Immer wieder tauchen Weihnachtsbaumformen, Sterne und Lametta als dechiffrierbare
Leuchtelemente auf, ansonsten ist durch die suggerierte
Geschwindigkeit der städtische oder landschaftliche
Raum nur als ein von rechts nach links vorbeiziehendes
Etwas zu erkennen und bildet eine starke Abstraktion.
Der Abstraktionsgrad geht so weit, dass der Betrachter
glaubt, visuellen Täuschungen zu erliegen. Ab und zu
schnellt in gegenläufiger Richtung ein rotes Rechteck
durchs Bild, das sich als Gegenzug decodieren lässt.
Nach sieben Minuten verschwindet alles langsam in Unschärfe und endet im Schwarz. Verschwunden ist nicht
nur die ursprüngliche Landschaft, sondern auch die ursprüngliche Weihnachtsgeschichte. Der Sound besteht
aus sich tonal wiederholender, elektronischer Musik und
einem englischsprachigen Telefongesprächsfragment,
dessen männlicher Protagonist dem anderen – nicht
hörbaren – die strenge christliche Lehre zu relativieren
versucht. Zum Schluss ist die Rede von der Enge New
York Citys im Gegensatz zur weiten Landschaft Alaskas:
„The reason why they (the inhabitants of NYC) are so depressed is because they are so detached from nature.“
Die akustische Ebene öffnet einen meditativen Raum,
indem wir aus der Ferne diesem Telefonat beiwohnen.
Bild und Musik sind rhythmisch miteinander verbunden,
ergänzen sich und bilden letztlich eine sich bedingende
Einheit. In Grobes Werk verweisen nur noch stilisierte
Zeichen auf so etwas wie Landschaft: Sie ist eine künstliche, jahreszeitliche und religiöse Behauptung, aber
keine natürliche und originäre Realität. Die Wirklichkeit
speist sich hier aus der unsichtbaren Idee, aber nicht
aus dem sichtbaren Material.
Levi Jackson: Black Rain, 2013
Hieronymus Proske: Kamerun East, 2013
Stefan Szczygiel: Zeitflug Warschau, 2009
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live Kunst Wei-ming Ho: The Art Quaeda-Project, 2010
Levi Jackson (USA) ist in der Ausstellung mit zwei sehr
unterschiedlichen Werken vertreten. Black Rain (2013)
zeigt von einem festen Kamerastandpunkt aus eine
ausgetrocknete, spröde Landschaft. Auf dem rissigen
Boden zeichnet der Wind Schattenspiele eines jenseits
des oberen Bildrands befestigten, pinselartigen Gebildes. Als ob die japanische Tradition der Kalligraphie
Vorbild sei, ändert sich das imaginäre Bildzeichen durch
leichten Wind permanent und wird zum Synonym der
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informellen Malerei. Überhaupt steckt sehr viel japanische Kulturauffassung in der Arbeit: Der aufgebrochene
Boden wirkt wie eine feine Keramik mit Krakelee-Muster.
Der Titel der Arbeit verweist einerseits auf die Abwürfe
der Atombomben 1945 auf Japan und den sogenannten
„schwarzen Regen“, der noch Tage später als radioaktiv
kontaminierter Niederschlag auf Menschen, Städte und
Landschaft niederging als auch auf den 1989 von Ridley Scott gedrehten gleichnamigen Spielfilm, in dem es
um das Aufeinandertreffen der amerikanischen mit der
japanischen Kultur in der Moderne geht. Und schließlich spielt der Ort, an dem das Video entstand, eine
entscheidende Rolle: In Delta, im amerikanischen Bundesstaat Utah gelegen, wurden nach dem japanischen
Angriff auf Pearl Harbor, 1941, japanisch-stämmige
Amerikaner interniert. Jedoch erinnert in diesem Werk
nichts Sichtbares mehr daran.
Der Ort, an dem Air Swimmer (2013) aufgenommen
wurde, ist Teil des prähistorischen Sees Lake Bonneville,
der einst große Teile des Bundesstaats Utah bedeckte
und auf dem der Großteil der heutigen Bevölkerung
lebt. Aus Lake Bonneville ist der Große Salzsee hervorgegangen sowie die meisten kleineren Seen Utahs.
Das tonlose Video ist ein humorvoller Kommentar: Vor
einer modellhaften Erdwand bewegt sich im Wind ein
aufgeblasener blauer Plastikspielzeughai, der an einer
dünnen Polyesterschnur wie ein Drache gehalten wird.
Die tatsächlichen Größenverhältnisse verschwinden,
und die Proportionen sind für den Betrachter kaum
nachvollziehbar.
Karl Karner und die tschechische Dramaturgin Linda
Samaraweerová (AT) agieren gattungsübergreifend
zwischen bildender und darstellender Kunst. Sie entwickeln aus Skulptur, Installation, Performance, Tanz,
Theater und Video choreografische Arbeiten. Ihr Video
Grünwachs Ein (2012) wurde während einer Reise
nach Aserbaidschan gedreht und später überarbeitet und mit anderen künstlerischen Komponenten
Till Nowak (DE) ist mit zwei seiner Videos vertreten. Kaltlicht (2010) zeigt die schneebedeckte Landschaft des
Hamburger Stadtparks bei Dunkelheit. Ausgerüstet mit
einem lichtstarken Projektor nutzt Nowak den Schnee
als reflektierende Fläche, um darauf abstrakte Licht- und
Farbformen zu projizieren. Die Landschaft wird hier nicht
nur durch ihre Jahreszeit definiert, sondern dient dem
Künstler als Trägermaterial für seine Lichterscheinungen. Dabei gehen Landschaft, Bäume, Äste, Dunkelheit,
Schnee, Mondsichel und Projektion eine symbiotische
Verbindung ein.
Das Video Sus (2011) zum gleichnamigen Musikstück der norwegischen Ambient-Elektronik-Band Pjusk
präsentiert die schneebedeckte Berg- und Fjordwelt
Norwegens in einer langsamen, manipulierten, traumartigen Version. Die Oberflächen der Landschaft verflüssigen sich, als ob sie chemischen Prozessen ausgesetzt
wären. Riesige Hochglanzblasen entstehen und lösen
sich aus schroffen Felswänden und aus Berghängen.
Zudem wird bewusst mit der Verzerrung von Größenverhältnissen gespielt. Riesige schwarze Partikel, die an
Asche erinnern, erscheinen plötzlich mikro- und makroskopisch, wodurch der Mensch als winziges Wesen
in Bezug auf unsere Umwelt thematisiert wird – eine
Idee, derer sich die norwegische Nationalromantik
schon bediente. Die klare, fast klinisch-saubere Bildsprache bedient sich Auffassungen aus der Ästhetik
von Musik-Clips, der Werbung und des Tourismus.
live
01 / 2014 Kunst Ausstellungstour:
Jänner - März 2014:
Kunstforum Markert Gruppe,
Hamburg
Mai - Juni 2014:
Westwendischer Kunstverein,
Gratow
zusammengeführt. Es fungiert einerseits als Videoprojektion im Hintergrund der Performances und in veränderter Form als eigenständige Videoarbeit.
In einer unwirklichen Berglandschaft – es ist archaisch karg, windig, neblig und kalt – verknüpft das
Künstlerduo Landschaftsaufnahmen mit Kamerafahrten
über fragil wirkende Bronzeskulptur-Fragmente. Ausgangspunkt – ob Performance oder Video – ist die Frage
nach der Unmöglichkeit und zugleich Unabdingbarkeit
von Narration und damit verbundenen Prozessen der
Objektivierung; gemeinsame Strategie ist die Vergegenwärtigung und Aneignung des Raumes. Skulpturale und
landschaftliche Formen werden aus einem zeitlich-logischen Ablauf herausgelöst, Zeit und Raum so verändert,
dass ein linearer Zusammenhang nicht mehr vorrangig
ist. Vielmehr korrespondiert das ausschnitthafte, brüchige und symbolische Wesen des Werks mit der Brüchigkeit anderer gesellschaftlicher Systeme. Landschaft
ist für die Künstler kein Handlungsraum mehr, sondern
Manipulationsraum. Dieser ist mystisch, suspekt, teilweise ausgeblendet und eingefärbt.
Ñaco Fabré: No te olvides de respirar, 2011
Wei-ming Ho (TW) initiierte im Jahr 2010 sein The ArtQaeda Project. Die ortsbezogene Arbeit ist eine ephemere Intervention in der urbanen Landschaft der Stadt
Taipeh auf der Insel Taiwan. Eine Serie von unterschiedlichen nächtlichen Projektionen präsentiert den Dialog
zwischen einzelnen Bildern einerseits und der Stadt,
Natur und dem Konsum andererseits. Seine projizierte
Bild- und Filmsprache verbleibt immer in einer sozialkritischen Diktion und im Spannungsfeld zur Umwelt.
In der bizarren Atmosphäre der Nacht, an verschiedenen, im Video mit Hilfe von Texteinfügungen definierten
Orten, wirkt das Art-Qaeda Project wie eine merkwürdige, geheimnisvolle und politisch-mediale Aufarbeitung
einer Spontanaktion. Sehr bewusst hat sich der Künstler
für die Namensentsprechung zur islamistischen Terrororganisation entschieden, denn sein Videowerk wirkt
wie eine schnell durchgeführte Guerilla-Handlung. Ho
fährt in einem Auto mit einem lichtstarken, schwenkbaren Beamer und projiziert seine Bildwelten auf Fassaden, Mauern, Läden, den Präsidentenpalast und Taipehs
höchstes Gebäude, den „101 Tower“. So schnell wie sie
gekommen sind, so schnell verschwinden sie wieder.
Zusatzinformationen wie Statistiken, Vermessungsdaten, Symbole, Morse-Codes sowie eine spezielle elektronische Musik laden das Werk mit mystischen Zeichen
auf und vermitteln den Eindruck einer vom Fernsehen
begleiteten Aktion. Ein künstlerisches Road-Movie ohne
dechiffrierbare und narrative Struktur, aber spannungsreich, subversiv und kritisch.
01 / 2014
1 HARD, Gerhard: Die Landschaft der Sprache und die „Landschaft“ der Geographen.
Semantische und forschungslogische Studien.
Dümmler, Bonn 1970; PIEPMEIER, Rainer:
Landschaft, III. Der ästhetisch-philosophische
Begriff, in: J. Ritter et al. (Hg.): Historisches
Wörterbuch der Philosophie, Bd. 5. Darmstadt
1980: Sp. 15–28; WINKLER, E.: Landschaft, II.
Der geographische Landschaftsbegriff. Ebd.:
Sp. 13–15; JESSEL, Beate: Landschaft, in:
E.-H. Ritter (Leiter Red.-Ausschuss): Handwörterbuch der Raumordnung. ARL, Hannover
2005: S. 579–586; KIRCHHOFF, Thomas: Natur
als kulturelles Konzept, in: Zeitschrift für Kulturphilosophie 2011/5 (1): S. 69–96.
Thomas Redl: spätzeit, 2008
2 IPSEN, D.; REICHHARDT, U.; SCHUSTER,
St.; WEHRLE, A.; WEICHLER, H.: Zukunft
Landschaft. Bürgerszenarien zur Landschaftsentwicklung, Kassel 2003: S. 130.
3 HARD, G.: Das Wort Landschaft und sein
semantischer Hof. Zur Methode und Ergebnis
eines linguistischen Tests, 1969, in: Wirkendes
Wort 19, 3-14. S. 10.
4 Die Idee zu dieser Ausstellung basiert auf Gesprächen zwischen dem Kurator und Kunstkritiker Ludwig Seyfarth und Claus Friede.
5 Diese Solargeräusche wurden mittels SOHO/
MDI hergestellt und stammen von A. Kosovichev (vgl. www.sun.stanford.edu).
6 Vgl. DIEDERICHSEN, Dietrich / POFALLA,
Boris: „Der kalifornische Universalismus kann
den Ort Kalifornien nicht ausblenden.“, in:
Monopol – Magazin für Kunst und Leben,
27.04.2013.
7 Aus: THIEL, Wolf Guenter, Die Frage nach
Sichtbarkeit und Erzählbarkeit, in: Malerei/Installationen. Thomas Redl, Wien 2012.
Fabian Grobe: Christmas Tape, 2003
Hieronymus Proske (DE) hat in einem Langzeitprojekt
mehrere Videos zum Thema Landschaft erarbeitet.
Über einen Zeitraum von exakt einem Jahr filmte Proske Landschaften vor seiner Haustür im Wendland vom
immer gleichen Standpunkt aus. In einer Art Zeitraffer
mit weichen Übergängen sehen die Besucher die Jahreszeiten, Licht- und Wetterbedingungen vorüberziehen
und wie sich die Landschaft zusätzlich durch Handlungen des Menschen verändert. Deutlich sichtbar ist in
Proskes Werk die Kompensation der Natur-Narration.
Der Künstler ist zwar für den zeitlichen Rhythmus der
Aufnahmen zuständig, das Drehbuch aber schreiben
die Landschaft und ihre Bedingungen selbst. Die Diskrepanz zwischen Real- und Erlebniszeit ist ebenfalls
ein bedeutsames Thema, denn der Ort, an dem in der
Realzeit wenig passiert, wird durch die Straffung der
Zeit zu einem sich permanent verändernden Raum. Die
jahreszeitlichen Brüche allein sorgen für Wandel, ebenso
ein extremes Hochwasser der Elbe im Frühjahr 2013.
Die Landschaft wird bei Proske zum dramatischen Erlebnisraum zwischen karger und üppiger Natur, deren
unterschiedlichen Aggregatszuständen sowie deren beruflicher und freizeitlicher Nutzung durch den Menschen.
In der Ausstellung werden drei verschiedene Videos
vorgestellt: Seedorf Lake East 2013, Seedorf Junction
2013 und Kamerun East 2013.
Thomas Redl (AT) präsentiert seine Videoarbeit spätzeit (2008). Es findet im Laufe der 38 Minuten keine
Handlung statt – man sieht ausschließlich einen leeren Landschaftsraum im Verlauf der Dämmerung. Die
einzige Dramaturgie ist die Veränderung des Lichts
bis zur Dunkelheit und das Rauschen des Windes.
Erkennt man zu Beginn des Films die Landschaft
noch detailgetreu mit dem Wehen des Winds durch
die Grashalme, so verschwindet sie zusehends bis
sie sich in einem dunkelgrauen Rauschen auflöst.
In den Werken Redls ist Leere als archetypisch, als
Hypothese im Sinne Platons gemeint und beschreibt
dessen Idee der reinen mentalen Formen oder Mentalitäten der Seele, bevor sie sich in der Welt zum Ausdruck
bringen können und sollen. Redls Arbeiten ermöglichen
solche Ur-Erfahrungen der Leere und bringen eben solche immaterielle Auffassungen zur Anschauung. Hierbei
spielt die zeitliche Verdichtung eine wesentliche Rolle:
Das „Jetzt-Geschehen“ wird aus dem Zeitfluss herausgenommen und in einen Raum der Zeitlosigkeit gesetzt.
Thomas Redl selbst definiert seine Arbeitsweise wie
folgt: „Als ‚Jetztarchiv‘ versucht die Arbeit, ein raumzeitliches Kontinuum darzustellen, wo Vergangenes und
Zukünftiges in einer Zeitschleife zu einem ‚gegenwärtigen Moment‘ verdichtet werden und somit der Mensch
als Präsenz in der Zeit, als Spur in der Existenz, sichtbar
wird. Changierend zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit, Fläche und Raum, Sprache und bildlicher
Darstellung tauchen ‚Bilder der Erinnerung‘ auf, die, wie
aus Archiven des Gedächtnisses entnommen, individuelle wie kollektive Geschichte darstellen.“7
Der Künstler und Fotograf Stefan Szczygiel (PL) arbeitete über Jahre an seinem Projekt Urban Spaces, großund mittelformatigen Fotografien, die städtische Räume
abbilden und in Beziehung setzen. In diesem Kontext
entstanden erste Videoarbeiten, die der Becher-Schüler
mit seiner digitalen Filmkamera aufnahm.
Die Filme weisen einige künstlerische Eigenheiten auf:
Durch die Verlangsamung der Drehgeschwindigkeit
und dem daraus resultierenden zeitlupenähnlichen Effekt, wird die Stadtlandschaft entschleunigt und erhält
somit einen wichtigen Moment der Abstraktion. Zeitflug
Warschau, so der Titel der Arbeit, ist die Umkehrung
der Auffassung von Landschaft und Stadt. Die Stadt
ist bei Szczygiel entspannt und verlangsamt, zudem
– weil in schwarz-weiß gedreht – wirkt Warschau vollkommen anders, als die reale Stadt mit ihren pulsierenden Geschwindigkeiten und Frequenzen. Dennoch
vermitteln die filmischen Arbeiten dadurch weder einen
anachronistischen noch einen künstlich aus der Zeit
heraus gehobenen Eindruck.
Die Stadt, deren Bewohner, Passanten und Protagonisten scheinen die Kamera des Künstlers nicht
wahrgenommen zu haben. Keiner schaut in die Linse,
fühlt sich beobachtet oder reagiert bewusst auf den
„Ich werde gefilmt“-Effekt. Vielmehr bewegen sich die
Gezeigten in einer Normalität und unbeobachteten Gelassenheit, als sei die Kamera unsichtbar, nicht existent.
Die Verbindung der Natürlichkeit des Seins und des
Verhaltens der Menschen im öffentlichen Raum, unabhängig von deren Tätigkeit und der Art und Weise wie
Szczygiel mit seiner Kamera operiert, verwandelt die
gefilmten Personen selbst zu Skulpturen, zum Bestandteil der urbanen Stadtlandschaft.
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live Kunst 01 / 2014
live
01 / 2014 Kunst Die Vielfalt des Allernotwendigsten
Günther Holler-Schuster
Erwin Bohatsch, O.T., 2012, Öl – Acryl auf Leinwand, Courtesy Galerie Charim
Erwin
bohatsch
Erwin Bohatsch und die malerische Konsequenz
Anja Werkl
Erwin Bohatsch ist Maler in aller Konsequenz. Sein
Zugang zur Malerei ist ein analytischer, denn die Malerei selbst ist Thema seiner Bilder. Erwin Bohatschs
Arbeitsweise bewegt sich gegenwärtig – einem Denken
in Kategorien folgend – in einem Dazwischen von abstrakter Expression bzw. Color-Field-Painting im Amerika
der 1940er-Jahre und der europäischen Ausprägung
der Abstraktion jener Zeit als informelle Malerei. Seine
Malerei hat mit den Jahren eine Veränderung erfahren,
die sich im Rückblick auf seine künstlerischen Anfänge
als einschneidend darstellt. Zur Zeit des international
verbreiteten malerischen Revivals in den 1980er-Jahren
malte er archaisch figurative Bilder in dunklen Farben,
die eine Beschäftigung mit kultureller Anthropologie
erkennen ließen. Obgleich die große Nachfrage nach
diesen Bildern eine Bestätigung für den jungen Maler
bedeuten hätten können, stand Erwin Bohatsch diesem
Erfolg und der verstärkten Kommerzialisierung, die von
dem „Hype“ auf Malerei in diesen Jahren ausging, skeptisch gegenüber. Er änderte seinen Malstil in Richtung
Verlangsamung des Rhythmus unter steter Reflexion
der Ergebnisse von malerischer Aktion und Reaktion.
Mit dem abstrakten Expressionismus verbindet Erwin
Bohatsch seit den 1990er-Jahren das polyfokale AllOver der Bildfläche, das innerhalb der Komposition
einen antihierarchischen Standpunkt verrät. Analogien
zur Arbeitsweise von Barnett Newman, der den bekannten Leitspruch des Color-Field-Painting prägte „The
sublime is now“, ergeben sich dadurch, dass der Rezipient in der Trias Künstler/Künstlerin-Werk-Betrachter/
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Betrachterin an Bedeutung gewinnt. Wie Newman so
geht es auch Bohatsch darum, dass sich der Rezipient
im Betrachten des Bildes erlebt und sich sozusagen im
Wahrnehmen vergegenwärtigt. Zum Begriff des „Sublimen“ der amerikanischen Malerei nimmt Bohatsch
jedoch eine kritische Position ein. Die Dualität von Konzeption und informeller Absichtslosigkeit, die für die Entstehung Bohatschs Bilder wichtig ist, folgt der Logik des
„gelenkten Zufalls“. Der Maler spielt mit der Ambivalenz
von der Niederschrift malerischer Zeichen durch die
Hand des Malers/der Malerin und einer Zurücknahme
von Autorenschaft, die sich im Bild abbilden könnte. Er
bewegt sich in einem Graubereich der Entsubjektivierung individueller Formulierungen.
Charakteristisch für die Bilder
Erwin Bohatschs ist die Betonung
der Zweidimensionalität gegenüber einem räumlichen Eindruck
der gemalten Bildoberfläche, der
sich zumeist über das kontrastreiche Wechselspiel zwischen
Schwarz und Weiß einstellt. Allgemein wird Farbe von Bohatsch
eher behutsam und sparsam eingesetzt. Eine glänzende, abschließende Schicht, die sich auf einigen
Bildern wiederfindet, homogenisiert die Bildoberfläche und unterstreicht die Zweidimensionalität
des Wiedergegebenen.
Der Ansatz der Selbstreferentialität von gemalten Bildern verbindet Erwin Bohatsch einerseits mit Robert
Ryman, der u.a. in den 1950er-Jahren weiße Bilder als
Untersuchungen von Untergrund, Malmittel und Farbauftrag konkretisierte und damit ihren Objektcharakter
unterstrich, andererseits auch mit der Ansicht von Frank
Stella, dass nur das, was gesehen werden kann, auch
wirklich da ist.
So steht also außer Frage, dass auch Bohatsch Malerei
als Malerei sieht und das Bild als Bild, jedoch bleibt
das, was im Rezipienten beim Betrachten der Arbeiten vorgeht, dennoch einzig und allein und entgegen
der Anweisungen der Kunstschaffenden größtenteils
unbeeinflussbar.
Erwin Bohatsch, anderswo, Kunstraum BERNSTEINER Wien, Foto: © Michael Goldgruber
Erwin Bohatsch hat sich sicher aus dem Begriffszusammenhang „Neue Malerei“, der in den 1980er-Jahren für
eine neue Hinwendung zur Sinnlichkeit innerhalb der
Malerei und der Kunst allgemein in Österreich geprägt
wurde, am schnellsten entfernt. Seine Kollegen sind
dem mehr oder weniger bis heute verpflichtet geblieben.
Die anfängliche Erzählfreude und gegenständliche Darstellungsweise von Resten archaischer und scheinbar
entlegener Mythologien hat Bohatsch bald abgelegt
und ist in eine analytische Auseinandersetzung mit der
abstrakten Malerei eingetreten, die ihn zu einem der
radikalsten Vertreter innerhalb dieses Mediums hierzulande werden ließ.
Erwin Bohatschs neueste Arbeiten sind von einem Ringen um das Allernotwendigste innerhalb der Malerei
gekennzeichnet. Die Reduktion, sowohl des Materials
als auch der farblichen Vielfalt, kennzeichnen seinen
Weg entlang einer Linie, die handwerkliches Anstreichen von künstlerischem Ausdruck trennt. Die minimal, meist auf nichtgrundierte Leinwand aufgebrachte
Farbsubstanz (meist schwarz) erweckt den Eindruck
des Nebenproduktes bzw. des Primären. Erst der kulturelle Kontext der Malerei lässt das Gesehene zum
spannungsreichen Versuch werden, die Malerei soweit
zurückzunehmen, dass sie zur eigenen Erinnerung wird.
Die Reste von Malerei auf der Leinwand, die wie das
Resultat vom Arbeiten mit Schablonen anmuten, zeugen
von der Prozesshaftigkeit des Mediums, aber auch von
den Bemühungen des Künstlers, dieses vom Pathos
zu befreien, das es letztlich immer wieder zum eigenen
Ende hinführt.
Erwin Bohatsch geht in seinen neuesten Arbeiten radikaler vor als je zuvor. Der Zusammenhang zwischen
visuellen Resten und einer kulturellen Prägung, die diese
in den formalen Kanon aufnimmt, ist hier besonders
spürbar. Er scheint dem Publikum mitteilen zu wollen,
dass es letztlich auch an ihm liegt, was als Malerei noch
wahrgenommen werden kann. Dadurch, dass aber jeder
formale Schritt auf der Leinwand eine exakte Überlegung
und Reflexion des Künstlers als Ausgangspunkt hat, ist
Bohatschs Vorgehen konzeptuell und in hohem Maße
sinnlich erfassbar zugleich. Der kulinarische Aspekt der
Malerei wird hier weder angestrebt noch um jeden Preis
vermieden. Er kann aber vom Betrachter, je nach eigener
visueller Prägung, vom sachlich-Handwerklichen zum
sensibel-Ästhetischen transformiert werden.
Erwin Bohatsch, O.T., 2013, Acryl auf Papier
Erwin Bohatsch: 1951 geboren in Mürzzuschlag, Österreich / 1971–1976
Studium der Malerei an der Akademie der Bildenden Künste Wien / 1983
Otto Mauer Preis / 1984/85 DAAD Stipendium für Berlin / 1996 Preis der
Stadt Wien / seit 2005 Professur für Abstrakte Malerei an der Akademie der
Bildenden Künste Wien, lebt und arbeitet in Wien und Beistein bei Fehring,
Steiermark
Erwin Bohatsch, Foto: © Elfie Semotan
Einzel- und Gruppenausstellungen (Auswahl)
2013 Charim Galerie, Wien; Kunstraum Bernsteiner, Wien / 2012 Galerie
Elisabeth u. Klaus Thoman, Innsbruck; Künstlerhaus Klagenfurt / 2011
Galerie Charim Ungar, Berlin / 2010 „Malerei“, Museum Moderner Kunst
Stiftung Ludwig, Wien; EMB Contemporary Art, Liechtenstein; Galerie
Patrick Ebensperger, Graz / 2009 Galerie Vidal-Saint Phalle, Paris;
Galerie422, Gmunden, Oberösterreich / 2008 Galerie Charim, Wien / 2006
Galerie Bleich-Rossi, Graz; Neue Galerie am Landesmuseum Joaneum,
Graz; Museum Küppersmühle, Duisburg, Erwin Bohatsch – Manfred
Wakolbinger / 2005 Shanghai Art Museum, Shanghai; New Art Museum
of China, Beijing; Shaanxi Art Museum Xian, Xian; Guangdong Museum
of Art, Guangzhou / 2004 Sammlung Essl, Klosterneuburg; Galerie am
Lindenplatz, Vaduz; Millî Reasürans Sanat Galerisi, Istanbul / 2002 Galerie
nächst St. Stephan, Rosemarie Schwarzwälder, Wien / 1998 Museo
Nacional de Bellas Artes, Buenos Aires.
Erwin Bohatsch, O.T., 2003, Acryl auf Leinwand, Sammlung Cserni
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live P rojekte 01 / 2014
live
01 / 2014 Projekte Polyphonic!
Die neue Website der Cserni Group setzt auf exzeptionelles
Informationsdesign des grafischen Büros aus Wien.
ExklusivFührung Library & Learning Center, WU Wien, Zaha Hadid
NRV - Regattaverein Hamburg
Führung durch das Library and Learning Center, WU Campus Wien
Anika Müth und Andreas Dornik mit Zaha Hadid bei der Eröffnung
des neuen WU Campus Wien
Im neu eröffneten Regattaverein Hamburg
Besichtigung des neuen WU Campus – Library and
Learning Center. Architektur und Möbeldesign: Zaha
Hadid Architects. Im Rahmen des Großprojekts des
neuen WU Campus Wien – Library and Learning Center bekam CSERNI den Auftrag für die Umsetzung
der von Zaha Hadid entworfenen Empfangspulte und
Wandverkleidungen. Präzise geplant und aus funktionellen Oberflächenmaterialien angefertigt, wurden die
Möbel im Headquarter der CSERNI Group in Fehring
(Steiermark) angefertigt, wo CSERNI über eine mit
High-Tech-Produktionsanlagen ausgestattete Tischlerei verfügt.
Nach der gelungenen Fertigstellung des Innenausbaus
des Norddeutschen Regattavereins trafen sich Henning Rocholl (Bauherrenvertreter NRV) und Andreas
Christiansen (Vorsitzender NRV) mit Martin Cserni und
Claus Friede (unserem Hamburg Korrespondenten)
zum Interview.
www.cserni.at
Bar. Restaurant.
Lounge.
Die Lifestyle Bar
im Herzen von Wien.
Steirische
Gemütlichkeit
mit Stil.
Eine von 20 möglichen Ansichten der Landingpage
www.cserni.at
46
Die Landingpage von www.cserni.at ermöglicht den
Einstieg in eine Entschleunigung. So wird die Webseite
von Cserni zu einem Ort, der mit den Konventionen der
User gekonnt umgeht und mit der Nervosität des WWW
bricht. Die Seite ist ein subtiles Experiment: Der Einsatz
von Schrift, der klare Raster und die grafische Gestaltung
sowie das intuitive Interaktionsdesign und die Strukturierung der Inhalte auf der Seite ermöglichen eine einfache,
unaufgeregte und direkte Informationsvermittlung. Die Site
ist zeitgemäß als responsives Webdesign programmiert.
Sie stellt also je nach den Anforderungen der verschiedenen Endgeräte (Mobil- oder Standgeräte) die Inhalte der
Seite maßgeschneidert dar. Dies ist der selbstverständ­liche
gestalterisch-technische Unterbau für das grafische Büro,
das seit 2001 Konzepte und visuelle Identitäten an der
Schnittstelle von Kunst, Design und Architektur entwickelt.
Das Csernibar Team freut sich
auf ­Ihren Besuch!
www.cserni.at
Website Team:
grafisches Büro – Günter Eder, Roman Breier, Marcel
Neundörfer, www.g-b.at
Expanded Design – Andreas Rumpfhuber, Martin Hummer
www.expandeddesign.net
Kreimaier Filmproduktion – Andreas Kreimaier, Marcus
Pohlus
la carte Gerichte servieren wir unseren Gästen.
Mit unserem „Flying Dinner“ verwöhnen wir unsere Gäste mit einer feinen, eleganten kulinarischen Art. Je nach Jahreszeit kreieren wir spezielle Getränke, die wir in unserem Gastgarten
servieren. Im Sommer, wenn es heiß ist, sind es
unsere „Bright, Fruity & Refreshing“ Drinks.
Business & Breakfast oder Meetings mit Kunden,
Geschäftspartnern, Mitarbeitern oder Freunden
- wir verwöhnen Sie und Ihre Gäste mit „Kulinarischen Highlights“. Wir sind mit technischen Geräten ausgestattet, um die man sich nicht mehr
kümmern muss. Lautsprecheranlagen, Handfunkmikrofon, Videobeamer, Leinwand, Flat-TV
und WLAN - alles, um eine Veranstaltung perfekt
abhalten zu können.
Csernibar – die perfekte Location für:
Pressekonferenzen
Business & Breakfast
Business Lunch
Kick-off-Meetings
Firmenfeiern
Business Talks
Events und Partys
After-Work Chill-Out Lounge
Foto: © augustino/fotolia.com
Seit Anfang April ist die neue Seite der Cserni Group
online. Surft man zu www.cserni.at, dann laden auf der
Startseite simultan drei Filme aus einer Videoserie von
insgesamt sechs Videos, die für Praxis und Philosophie
des Teams von Cserni, für die Möbelwerkstatt, Interior,
Architektur, Natur und die Kunstsammlung stehen. Nach
und nach blenden Bilder auf. Man sieht zum Beispiel eine
Kamerafahrt über einen klaren Bach, dann einen Wald.
Zuerst im Zoom, dann in der Totale und in Überblendung
ein Weinhang. In einem anderen Video arbeiten Männer
an der Fertigung eines avantgardistisch geschwungenen
Möbels – der Portiersloge der WU Bibliothek von Zaha
Hadid. Ein drittes Video zeigt in elegischer Kamerafahrt
einen loftartigen Dachbodenausbau. Durch einen Klick im
Menü rechts kann ein weiteres Video in die Mitte der Seite
gewählt werden: Das vierte Video ist ein Close-Up von
edlen Stoffen, von Leder und Holz. Das fünfte Video ist
ein Standbild und zeigt die Gartenseite einer Villa. Nur das
Wasser im Pool bewegt sich leicht. Das sechste Video zeigt
ein schwarzes Metallgebilde – eine Skulptur des Künstlers
Karl Karner aus der Sammlung Cserni. Jedes der Videos
hat eine Tonspur, die gemeinsam – je nach Auswahl – ein
eigenes Musikstück ergeben. Die Videos sind derart komponiert, dass sie zueinander in Beziehung stehen, ohne
getaktet sein zu müssen. Jedes der Videos führt in die Tiefe
der Site und eröffnet ein Detail der Arbeit von Cserni. Das
Menü klappt von oben herab und bietet so auf einen Blick
eine übersichtliche Struktur.
Vis-à-vis der alten Börse treffen sich Gäste aus
den Bereichen der Wirtschaft, Politik, Diplomatie, Kunst, Kultur, Architektur, Design und Sport.
Steirische, niederösterreichische oder burgenländische Spitzenweine, frisch gezapftes Bier,
Champagner oder exklusive Gin- und Vodkasorten, sowie Fruchtsäfte vom Bauernhof aus der
Steiermark zählen unter anderem zu unserem
Sortiment. Eine gute Küche macht gute Laune!
Unter diesem Motto servieren wir mittags von
Montag bis Freitag unsere frisch zubereiteten
Tagesteller und verwöhnen den Gaumen unserer Gäste. Wir verwenden ausschließlich frische
Produkte mit ausgezeichneter Qualität. Abgerundet mit einem Espresso und der Rest des Tages verläuft weiter erfolgreich. Aber auch feine à
Feierabend
After-Work-Drinks & LOUNGE-Musik
jeden Donnerstag 17.00 bis 21.00 Uhr
Csernibar
Wipplingerstraße 37 /
Ecke Schottenring 14
A - 1010 Wien
+43 1 5337007 +43 664 3186319
www.csernibar.at
[email protected]
/ csernibar.at
Öffnungszeiten:
Mo bis Fr 11:00 Uhr – 24:00 Uhr
Sa, So exklusiv für Veranstaltungen
47
live 01 / 2014
www.cserni.com
CSERNI Zentrale - Fehring
A-8350 Fehring
Grüne Lagune 2
Tel. +43 3155 / 2242-0, Fax-DW 222
CSERNI live - Vienna
A-1010 Wien
Schottenring 14 / Ecke Wipplingerstraße 37
Tel. +43 1 / 533 71 00
CSERNI - Graz
A-8010 Graz
Schillerstraße 54
Tel. +43 316 / 830 677
Avantgarde trifft Funktionalität
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Library & Learning Center, desk produced by Cserni, Foto: Andreas Thaler
CSERNI & Kröncke Hamburg
D-20148 Hamburg
Mittelweg 175
Tel. +49 40 / 380 372 64-0

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