Von „anatomischen Wundern“ und „lebenden Kuriositäten“

Transcrição

Von „anatomischen Wundern“ und „lebenden Kuriositäten“
Von „anatomischen Wundern“ und „lebenden Kuriositäten“.
Eine volkskundliche Untersuchung zum Umgang mit
körperlicher Normabweichung seit dem 18. Jahrhundert am
Beispiel der Abnormitätenschauen
Hausarbeit zur Erlangung des Akademischen Grades
einer Magistra Artium
vorgelegt dem Fachbereich 05 – Philosophie und Philologie
der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
von
Sabrina Schmidt
aus Speyer
2009
Erstgutachter:
Zweitgutachterin:
Univ.-Prof. Dr. Michael Simon
Prof. Dr. Antje Kampf
Inhaltsverzeichnis
1. EINLEITUNG
1
1.1 ZIELSETZUNG
3
1.2 QUELLENLAGE UND METHODISCHES VORGEHEN
8
1.3 FORSCHUNGSSITUATION
2. DER „VERSEHRTE“ KÖRPER: ZUR WAHRNEHMUNG VON
KÖRPERLICHER FEHLBILDUNG SEIT DER FRÜHEN NEUZEIT
11
16
2.1 MONSTRUM. ABNORMITÄT. FREAK – DIE NOMENKLATUR DER KÖRPERLICHEN
ABWEICHUNG
17
2.2 ZUR DEUTUNGSGESCHICHTE DES „MONSTRÖSEN“: VORSTELLUNGEN ÜBER DIE
ENTSTEHUNG VON „MISSGEBURTEN“ IN DER FRÜHEN NEUZEIT
20
2.2.1
„Göttliche Zeichen“ und „Wunderwerck“ – Die Monstradeutung
im 15. und 16. Jahrhundert
21
2.2.2
Die Tauffrage
25
2.2.3
Der juristische Diskurs
26
2.2.4
„Missgeburten“ als „lusus naturae“ – Zur Ästhetisierung des Monströsen
28
2.2.5
Das Versehen der Frauen
31
2.2.6
Der medizinisch-naturkundliche Diskurs zur Ätiologie der „Monstra“
34
2.2.7
„Wo die Dinge hingehören“ I: Das Kuriositätenkabinett
37
2.2.8
Zusammenfassung
40
2.3 DIE „NATURALISIERUNG DES MONSTRÖSEN“ – ZUR MEDIZINISCHNATURWISSENSCHAFTLICHEN AUSEINANDERSETZUNG MIT „MISSGEBURTEN“
SEIT DEM18. JAHRHUNDERT
41
2.3.1
Die Anfänge der Teratologie im 18. Jahrhundert
41
2.3.2
„Wo die Dinge hingehören“ II:
Vom Naturalienkabinett zum anatomischen Museum
44
Die Abweichung und die Norm I:
Die Physiognomik Johann Caspar Lavaters
46
Die Abweichung und die Norm II:
Die kriminalanthropologische Physiognomik Cesare Lombrosos
51
2.3.3
2.3.4
2.4 ZUSAMMENFASSUNG
53
3
DIE ZURSCHAUSTELLUNG VON MENSCHEN MIT
KÖRPERLICHER FEHLBILDUNG SEIT DEM 18. JAHRHUNDERT
56
3.1 DIE MESSEN IN FRANKFURT UND MAINZ
58
3.2 DIE ABNORMITÄTENSCHAU – ZUR INSZENIERUNG UND VERMARKTUNG
FEHLGEBILDETER MENSCHEN AUF DEM JAHRMARKT
62
3.2.1
„Laenger als der groeßte hiesige Mensch“ –
Die Zurschaustellung von „Riesen“
64
„General Mitge“, „Princeß Kolibri“ und „die lebende Teepuppe“ –
Zur Inszenierung kleinwüchsiger Menschen
68
3.2.3
„Positively Fat“: Die Schaustellung von beleibten Menschen
73
3.2.4
Der Hungerkünstler – Nahrungsverweigerung als Jahrmarktsattraktion
80
3.2.5
„Junger Mensch ohne Aerme geboren“ – Von „Rumpfmenschen“ und
„Fußkünstlern“
85
„Kind mit zweyn Köpffen geboren“ – Von Zwillingen und
Doppelfehlbildungen
89
Atvismustheorien und Missing Links – Zur Mythologisierung von
Mikrozephalie und Hypertrichose im Schaugeschäft des 19. Jahrhundert
93
3.2.2
3.2.6
3.2.7
3.2.7.1 „Die letzten lebenden Menschen vom Stamme der Azteken“ –
Zur Inszenierung von Mikrozephalen
95
3.2.7.2 Von „Affenmädchen“ und „Löwenmenschen“ – Zur Inszenierung von
Überbehaarung beim Menschen
98
3.2.8
Zwischen den Geschlechtern – „Bartfrauen“ und Hermaphroditen
108
3.2.9
Von „merkwürdigen Lichterscheinungen“ und „Leopardenmädchen“ –
Die Zurschaustellung von albinotischen Menschen
112
3.2.10 „Humbug“ und „Hoaxes“ – Das Abnormale als Täuschung
116
3.2.11 Die moderne „Freak Show“: P. T. Barnum und das „American Museum“
118
3.2.12 „War ein Mensch hier, der sich um Geld sehen ließ“ – Zur Ökonomie des
Abnormalen
121
3.2.13 „Von vielen Aerzten gesehen und untersucht“ Die diskursiven Verbindungen von Medizin und Schaugeschäft
124
4
FAZIT
127
5
BIBLIOGRAPHIE
132
6
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
147
7
ANHANG
150
1.
EINLEITUNG
„For the love of beauty is a deep seated urge which dates back to the beginning of civilization. The
revulsion with which we view the abnormal, the malformed and the mutilated is the result of long conditioning
by our forefathers.” (Freaks, Regie: Tod Browning, MGM 1932)
Im Jahr 1810 wurde Sartje Baartman, eine südafrikanische Sklavin vom Stamm der San,
nach London gebracht, um dort als „Hottentotten-Venus“ zur Schau gestellt zu werden.
Handzettel und Plakate kündigten superlativistisch-profilierend ihre Ankunft als „[t]he most
Wonderful Phenomenon of Nature, The Hottentot Venus“1 an.
Baartmans Körper zeichnete sich durch eine physiognomische Auffälligkeit aus, die in
gleichem Maße das europäische Massenpublikum sowie zeitgenössische Pathologen wie
Henri Marie Ducrotay de Blainville und Georges Cuvier faszinierte: die Steatopygie, ein
vorstehendes Gesäß.2 Diese als Anomalie begriffene körperliche Besonderheit galt ebenso
wie die Hypertrophie ihrer Labia und Nymphae, die bereits im 18. Jahrhundert von
Forschungsreisenden als „Hottentottenschürze“ bezeichnet worden war, als physisches
Charakteristikum der „Hottentottenfrau“.3 Reduziert auf diese Geschlechtsteile, wurde
Baartman dem zahlenden Publikum als wildes Biest präsentiert, das in seinem Käfig hin und
her schlich und einem zeitgenössischem Bericht in der Times zufolge dabei eher aussah, „like
a bear on a chain than a human being“4. Während ihrer Zurschaustellung trug Baartman ein
eng anliegendes, fleischfarbenes Kleid, das „die ganze Form und Gestalt ihres Körpers
[zeigte], wie wenn sie nackt wäre.“5 Auf kurze Kommandos musste sie Melodien auf einem
traditionellen Saiteninstrument spielen oder in ihrem Käfig auf- und abgehen. Als sie einmal
zögerte, so der Bericht weiter, ließ der Impresario den Vorhang herunter, „went behind, and
was seen to hold up his hand to her in a menacing posture; she then came forward at his call,
and was perfectly obedient.“6
Baartmans ausladendes Hinterteil und ihre „primitiven“ Genitalien7, die nach ihrem
frühen Tod im Jahr 1815 von einem voyeuristischen Publikum begutachtet werden konnten,
wurden zur Projektionsfläche für die sexuelle Phantasie europäischer Männer, derzufolge
1
C. Crais/ P. Scully: Sara Baartman and the Hottentot Venus. S. 111.
S. L. Gilman: Hottentottin und Prostituierte. S. 126.
3
Ebd. S. 125f.
4
The Times vom 26. November 1810, zit. n. Merians, Linda Evi: Envisioning the worst. S. 230.
5
Edwards, Paul/ Walvin, James (Hrsg.): Black personalities in the Era of Slave Trade. S. 171-183. zit. n.
Gilman, Sander L.: Hottentottin und Prostituierte. S. 126.
6
The Times vom 26. November 1810, zit. n. Merians, Linda Evi: Envisioning the worst. S. 230.
7
S. L. Gilman: Hottentottin und Prostituierte. S. 125.
2
1
schwarze Frauen, wenn sie auch keinen Geist besitzen, umso mehr naturhaft sexuelle
Begierde und Laszivität verheißen. Baartmans Zurschaustellung in einem London, das die
Abschaffung der Sklaverei diskutierte, evozierte einen Skandal, da sie „der Öffentlichkeit in
einer dem Anstand anstößigen Art und Weise“8 präsentiert wurde und ihre Zurschaustellung
Fragen nach ihrem Status als Leibeigene aufwarf. Nachdem Sartje Baartman aus ihrem
sozialen und kulturellen Kontext herausgelöst worden war, wurde sie als „Hottentottin“ zum
Inbegriff sexueller Freizügigkeit und figurierte damit als fleischgewordenes Gegenbild zur
vermeintlich domestizierten Sexualität der europäischen Frau.
Knapp zweihundert Jahre später bemühte die Altphilologin Mary Beard in ihrem Artikel
Welcome to the human zoo, Susan vom 2. Juni 2009 einen Vergleich zwischen der
Zurschaustellung Sartje Baartmans und den Darbietungen der schottischen Amateursängerin
Susan Boyle in einem britischen Fernseh-Talentwettbewerb.9 Beard postulierte, dass sich die
Argumente, mit denen die englischen Impresarios die Zurschaustellung Sartje Baartmans
rechtfertigten, kaum von jenen des britischen Privatsenders ITV, der nun Boyle vermarktet,
unterschieden. Beide Male hätten die Verantwortlichen behauptet: „It’s not voyeurism and
it’s not exploitation.“10
Nun mag der Analogieschluss von Sartje Baartman, die im Alter von zwanzig Jahren als
Sklavin nach London kam, um einem zudringlichen Publikum ihr Gesäß zu präsentieren, zu
Susan Boyle, einer mündigen Frau, die auf eigenen Wunsch an einem Talentwettbewerb
teilnahm, zunächst unpassend erscheinen. Doch tatsächlich enthalten derartige TalentsuchFormate, deren vorgebliches Ziel die Ermittlung von fähigen Kandidaten ist, „the elements of
a freak show where deficiencies and shortcomings [of the contestants] are as important as
their talent“11, wie der Psychiater Glen Wilson betont. Boyle, 47jährig, arbeitslos,
unverheiratet und leicht lernbehindert, fungierte als „eine perfekte Zielscheibe in dieser
Freakshow“12. Ebenso wie Baartman im Rahmen ihrer Zurschaustellung den Gegenentwurf
zu europäischer Sexualmoral und Schönheitsidealen verkörperte, fungiert Boyle als Antithese
zum Ideal der modernen Frau, „[g]egen die Gesetze der Schönheit, des Alters, der
Herkunft.“13 Es ist wohl nicht mehr als ein ironischer Zufall, dass Susan Boyle bei ihrer
ersten Vorführung im „menschlichen Zoo“ ein fleischfarbenes Kleid trug.
8
Edwards, Paul/ Walvin, James (Hrsg.): Black personalities in the Era of Slave Trade. S. 171-183. zit. n.
Gilman, Sander S.: Hottentottin und Prostituierte. S. 126.
9
Mary Beard: Welcome to the human zoo, Susan. The Times vom 2. Juni 2009.
10
Edb.
11
The pressure of sudden TV stardom. BBC News vom 1 Juni 2009.
12
T. Hüetlin: Tränen mit Susie Simple. In: SPIEGEL, Nr. 18, vom 27. April 2009. S. 148.
13
Ebd. S. 149.
2
Was in einer Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt als „andersartig“ oder
„normabweichend“ begriffen wird, wird stets neu verhandelt. Devianz ist keine ontologische
Kategorie, sie meint nicht die Wesensart von Personen oder Dingen, sondern vielmehr eine
spezifische Praktik der Wahrnehmung und Erfahrung.14 Dieser Wahrnehmungsmodus ist
geprägt von kollektiven Denk- und Interpretationsstrukturen, die mit den jeweiligen
medizinischen, juristisch-moralischen und religiösen Diskursen der Zeit zusammenhängen.
Dabei bedient sich der Mensch dieser Wahrnehmungsmechanismen nicht einfach um ihrer
selbst willen, vielmehr versucht er sich insbesondere durch die Orientierung an äußeren
Merkmalen selbst zu verorten und sich von dem als „anders“ Wahrgenommenen
abzugrenzen. So gibt der Umgang mit körperlicher Normabweichung sehr viel mehr über die
Deutungs- und Verstehensmuster des Wahrnehmenden als über die tatsächliche
Befindlichkeit
des
Wahrgenommenen
preis.
Da
sich
diese
Deutungsmuster
an
gesellschaftlich etablierten Konventionen und Stereotypen orientieren, können sie Aufschluss
darüber geben, was zu einer bestimmten Zeit in einer Gesellschaft als normabweichend gilt.
Kaum ein anderer Themenkomplex als die öffentliche Zurschaustellung von Menschen
mit körperlicher Normabweichung, die als „Monstrositäten“, „Abnormitäten“ und „Freaks“
in Bürger- und Gasthäusern, an fürstlichen Höfen, auf öffentlichen Plätzen und Jahrmärkten
und nicht zuletzt in Zirkussen und Panoptiken vorgeführt wurden, ist deshalb so eindringlich
in der Lage, die herrschenden Körperkonzepte und Krankheitsbilder und die Fremd- und
Selbstbilder der jeweiligen Gesellschaft zu vergegenwärtigen.
1.1 Zielsetzung
Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, durch die Analyse der historischen
Formen der Zurschaustellung mit ihren spezifischen Schauobjekten dem Wandel der
Wahrnehmungen und der Wahrnehmenden näher zu kommen und dabei zu überprüfen,
inwiefern
medizinwissenschaftliche,
moralisch-ethische
und
gesamtgesellschaftliche
Entwicklungen das Bild der so genannten Abnormitätenschauen prägten. Wie eingangs
dargelegt wurde, folgt die Arbeit der Prämisse, dass Normabweichung keine feststehende
Größe
ist,
sondern
vielmehr
ein
prozessuales
Geschehen
meint,
das
kulturell
beziehungsweise sozial konstruiert ist. Hier lehnt sich die Arbeit eng an Robert Bogdans
These an, wonach Abnormitäten primär als kulturelle Konstrukte zu verstehen sind. Bogdan
zufolge bedienten sich die Impresarios bei der Vorführung der Abnormitäten verschiedener
14
Vgl. W. Röcke: Befremdliche Vertrautheit. S. 119.
3
Strategien und Techniken, um so bestimmte Fremdbilder zu rekurrieren, die das öffentliche
Interesse an den zur Schau Gestellten steigern sollte.15 Jene Inszenierungs- und
Vermarktungsstrategien
werden
in
der
vorliegenden
Untersuchung
anhand
von
zeitgenössischen Postkarten, Zeitungsannoncen und archivalischen Quellen umfassend
analysiert, da sie Aufschluss darüber geben können, wie Menschen mit körperlicher
Normabweichung im Kontext der Abnormitätenschauen wahrgenommen und bewertet
wurden. Die wissenschaftliche Analyse der Schaustellung fehlgebildeter Menschen vermag
so
kollektive
Wahrnehmungs-
und
Deutungsmuster
zu
erschließen
und
die
Abnormitätenschau, die hier als Ort der kulturellen Konstruktion des versehrten Körpers
verstanden wird, als Indikator für kulturelle Wandlungsprozesse zu nutzen.
Die Zurschaustellung von fehlgebildeten Menschen ist Teil eines komplexen
Diskursfeldes über „Monstrositäten“, dessen Anfänge in der frühen Neuzeit liegen. Im 16.
Jahrhundert begannen reformatorische Autoren Berichte über so genannte „Wundergeburten“
und „Wunderzeichen“ zu sammeln und aufzuzeichnen. Auf politischen oder religiös
motivierten Einblattdrucken wurden diese Wundergeburten als Warnzeichen Gottes
präsentiert, die die Menschen vor einem herannahenden Unheil warnen oder einzelne
Individuen für deren Verfehlungen bestrafen sollten. Gleichzeitig begannen Naturkundler
wie Ambroise Paré die so genannten Monstra in medizinischen Traktaten zu beschreiben und
tote, in Spiritus eingelegte Missgeburten naturkundlichen Sammlungen einzuverleiben.
Sowohl von theologischer, als auch von juristischer und naturkundlicher Seite näherte man
sich dem Monströsen an, wodurch eine Fülle an Texten, die der so genannten
Monstraliteratur zuzuzählen sind, entstand. Die einzelnen Beiträge in den „Wunderbüchern“,
Monstrasystematiken und medizinischen Traktaten mögen auf den ersten Blick disparat
erscheinen, doch ihr gemeinsamer Fluchtpunkt besteht in der Frage, „welche Orte der
Abweichung und der Verunstaltung zugewiesen werden [und] in welchen Kontexten das
Monströse jeweils definiert und verhandelt wird.“16
Unter Kapitel 2.1 der vorliegenden Arbeit werden zunächst die theologischen,
naturkundlichen und juristischen Diskurse analysiert, die in der frühen Neuzeit den Umgang
mit körperlicher Normabweichung bestimmten. Es gilt in diesem Zusammenhang etwa zu
fragen, welche Bewältigungs- und Beherrschbarkeitsstrategien im Umgang mit dem
normabweichenden Körper zu tragen kamen, wo Angst und Bedrohung, wo Sensationslust
und Neugierde im Vordergrund standen, wo es um Ausgrenzung, wo um Integration in eine
15
16
R. Bogdan: The Social Construction of „Freaks“. S. 23.
M. Hagner: Monstrositäten haben eine Geschichte. S. 10.
4
bestehende Ordnung ging17 und inwiefern diese Umgangsweisen eine Direktive für die
Wahrnehmung des fehlgebildeten Menschen im 18. und 19. Jahrhundert darstellten. Thomas
Macho zufolge faszinierte die Abnormitätenschau des 19. Jahrhunderts „als Erbin [dieses]
alten, […] vorrangig religiös motivierten Interesses an den Monstren und Prodigien“18 und so
ist weiter zu fragen, ob und inwiefern es im 18. und 19. Jahrhundert zu Diskontinuitäten und
Verschiebungen im Umgang mit dem fehlgebildeten Menschen kam und welche Rolle die
sich etablierenden Medizinwissenschaften in der Wahrnehmung des fehlgebildeten Körpers
einnahmen.
Die Schaustellung von behinderten und fehlgebildeten Menschen lässt sich bereits für die
Antike belegen. Von dem römischen Kaiser Augustus (63 v. Chr.- 14 n. Chr.) wird etwa
berichtet, dass er zu Ehren seines Lieblingszwerges Lucius eine goldene Statue mit
diamantbesetzten Augen anfertigen ließ.19 In der frühen Neuzeit wurden auf Flugblättern
fehlgebildete Menschen beschrieben, die als Attraktionen von Jahrmarkt zu Jahrmarkt zogen
und sich dem interessierten Publikum zeigten. Im 19. Jahrhundert wurden Menschen mit
körperlicher Normabweichung in stationären Panoptiken, in Zirkussen und auf Jahrmärkten
vorgeführt und noch bis Mitte der 1990er Jahre beherbergte ein Freizeitpark in Hassloch eine
Liliputaner-Stadt.
Diese
stichprobenhafte
Übersicht
legt
nahe,
dass
körperliche
Abweichungen „überall und zu jeder Zeit eine eigentümliche Faszination ausgeübt
[haben]“20. Für eine umfassende Aufarbeitung der Abnormitätenschauen war daher eine
räumliche und zeitliche Eingrenzung des Forschungsgegenstandes unumgänglich.
Als Belegorte wurden die beiden Messestädte Mainz und Frankfurt/ Main ausgewählt, die
über eine lange und gut aufgearbeitete Messegeschichte verfügen und für die sich die
Zurschaustellung fehlgebildeter Menschen spätestens seit dem 16. respektive 18. Jahrhundert
belegen lässt21. Zudem ist beziehungsweise war Frankfurt Standort des Zoologischen Gartens
und Castan’s Panoptikum, die im ausgehenden 19. Jahrhundert unter anderem auch
Abnormitäten zur Schau stellten. Durch die räumliche Eingrenzung ergab sich eine
Fokussierung auf die jahrmarktliche Abnormitätenschau, wenngleich im Rahmen der
17
M. Hagner: Monstrositäten haben eine Geschichte. S. 10.
T. Macho: Zoologiken: Tierpark, Zirkus und Freakshow. S. 169.
19
L. Fiedler: Freaks. S. 21
20
J. Kunze/ I. Nippert: Genetik und Kunst. S. V.
21
Die Flugblattsammlung Wickiana enhält eine aquarellierte Federzeichnung aus dem 16. Jahrhundert, die
einen jungen Mann darstellt, der ohne Hände mit den Armstümpfen schreibt und seine Kunst im Jahr 1570 in
Frankfurt/ Main demonstrierte: „Es ist anno 70. zu frankfortt uff der Herbistmess ein junger Gsell gsin, wie
dann diese Figur anzeyget, ist uff diese wält allso erboren worden […]“ (Vgl. Flugblatt von 1570. In: Wickiana,
Bd. 8, S. 118. zit. n. A. Sonderegger: Missgeburten und Wundergestalten. S. 57). Ein Flugblatt von 1786, das
sich im Mainzer Stadtarchiv erhalten hat, kündigte ebenfalls die Zurschaustellung eines Mannes ohne Hände an:
(Vgl. MNZ, Best. 26, Sign. 026 / 0011, Konzessionsgesuch und Flugblatt, 1786 1/7).
18
5
Untersuchung auch andere Schaustellungsformen – etwa im stationären Panoptikum –
berücksichtigt werden. Der zeitliche Beginn für die Untersuchung wurde auf das Jahr 1750,
der Endpunkt auf das Jahr 1925 festgelegt. Der gewählte zeitliche Rahmen ergab sich aus
folgenden Überlegungen: In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts setzte eine grundlegende
Transformation des fehlgebildeten Körpers ein. War der körperlich versehrte Mensch bis
dahin vornehmlich als Unheil verheißendes „Monstrum“ wahrgenommen worden, wurde sein
Körper nun unter der Bezeichnung „Missbildung“ zunehmend zum wissenschaftlichen
Objekt. Im ausgehenden 18. Jahrhundert begann sich die Teratologie zu etablieren und leitete
Georges Canguilhem zufolge eine fortschreitende „Naturalisierung des Monströsen“, also die
Erklärung der so genannten Wunder durch natürliche Ursachen, ein. Gleichzeitig setzte eine
„teils sozial-karitativ[e], teils medizinisch-kurativ[e] und teils pädagogisch motiviert[e]“
institutionalisierte Hilfe für Behinderte ein22, die dazu führte, dass behinderte Menschen dem
Blick der Öffentlichkeit entzogen wurden und, von wenigen Ausnahmen abgesehen, hinter
den Mauern von Sonderinstitutionen verschwanden.23 Es verwundert daher umso mehr, dass
der versehrte Körper insbesondere im Verlauf des 19. Jahrhunderts in den Fokus der
Öffentlichkeit rückte und im Rahmen der Abnormitätenschauen in mystifizierende und
exotisierende Kontexte eingeordnet wurde. Die vorliegende Untersuchung geht in diesem
Zusammenhang der Frage nach, wie diese scheinbar gegenläufigen Entwicklungen
zueinander in Beziehung stehen. Ein weiteres Argument dafür, mit dem 18. Jahrhundert zu
beginnen, ergab sich aus dem Quellenreichtum, der sich nicht mit früheren Jahrhunderten
vergleichen lässt. So sind etwa die Zeitungsbestände in den Frankfurter und Mainzer
Archiven erst ab etwa der Mitte des 18. Jahrhunderts nahezu lückenlos vorhanden.
Der Endpunkt der Untersuchung wurde auf das Jahr 1925 festgelegt, also nach dem Ende
des Ersten Weltkrieges. In den Nachkriegsjahren veränderten sich die Präsentationsweisen
von Behinderten und Behinderung drastisch, Tervooren spricht in diesem Zusammenhang
von einem „historischen Einschnitt in den Darstellungen und Wahrnehmungen behinderter
Körper“24,
der
nicht
ohne
Konsequenz
für
die
Darstellungskonventionen
der
Abnormitätenschauen blieb.
Unter Kapitel 2.2 wird die medizinwissenschaftliche Auseinandersetzung mit
„Missbildungen“ seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert nachgezeichnet. Im Hinblick auf den
Umgang mit körperlicher Normabweichung ist Foucaults Hinweis von Interesse, „dass in der
22
M. Dederich: Körper, Kultur und Behinderung. S. 9.
Ebd. S. 105.
24
A. Tervooren: Körper- und Menschenbilder. S. 57.
23
6
europäischen Kultur […] des 19. Jahrhunderts […] der […] Status des Menschen wesentlich
vom Medizinischen Denken geprägt war und seine gesellschaftliche Verortung ganz
entscheidend dadurch bestimmt wurde.“25 Im wissenschaftlichen Diskurs wurden und werden
physiognomische Auffälligkeiten üblicherweise als Dysfunktionen, Pathologien und
Anomalien beschrieben.26 Die scharfe Unterscheidung zwischen Normalität und Abweichung
beruht also nicht zuletzt auf der Grundlage tradierter medizinwissenschaftlicher
Leitdifferenzen, die dazu führen, dass körperliche Normabweichungen habituell als negativ
andersartig wahrgenommen werden.
Die Verwendung der Begriffe „normabweichend“ beziehungsweise „Normabweichung“
fungieren in der vorliegenden Arbeit somit nicht als denunziatorische Bezeichnungen für
fehlgebildete Menschen, sondern sollen vielmehr verdeutlichen, dass die Anerkennung von
„Monstrositäten“ beziehungsweise „Abnormitäten“ immer an die Anerkennung von
„Normalität“ gebunden ist. Ohne ein implizites Wissen um das normale Maß der Dinge und
insbesondere der Menschen wäre die Wahrnehmung von normabweichenden Anatomien und
Physiognomien nicht möglich.
In
Anlehnung
an
„Abnormitätenschau“
die
jene
Definition
Bogdans
Veranstaltungen
werden
verstanden,
in
unter
der
denen
Bezeichnung
Menschen
mit
vermeintlichen und tatsächlichen körperlichen Fehlbildungen und/ oder mentalen
Retardierungen gegen Entgelt zur Schau gestellt werden.27 Gemäß Zürcher sind
Fehlbildungen „angeborene Entwicklungsfehler einzelner oder mehrerer Organe und
Körperteile,
was
sie
von
Krankheiten
oder
später
erworbenen
Behinderungen
unterscheidet.“28 Daher wurden die novelty acts, die als Schwertschlucker, Feuerschlucker
und Allesschlucker im Rahmen der Abnormitätenschauen ihre Kunststücke zeigten, nicht in
die Untersuchung miteinbezogen, da ihre körperliche Abnormität nicht angeboren, sondern
vielmehr durch Übung erworben wurde29. Aus demselben Grund wurden so genannte „made
freaks“ wie Tätowierte und Gedächtnis- und Rechenkünstler von der Untersuchung
ausgeschlossen. Auch die Zurschaustellung von fehlgebildeten Tieren wurde nicht
berücksichtigt. Zudem wurde die literarische beziehungsweise filmische Auseinandersetzung
25
A. Weber: Behinderte und chronisch kranke Menschen. S. 49. Vgl. Foucault, Michel: Die Geburt der Klinik.
Frankfurt a. M. 1999 [1973]. S. 209.
26
M. Dederich: Körper, Kultur und Behinderung. S. 9.
27
Vgl. R. Bogdan: Freak show. S. 10.
28
U. Zürcher: Monster oder Laune der Natur. S. 10.
29
H. Scheugl: Show Freaks & Monster. S. 145.
7
mit dem „monströsen“ Körper ausgeklammert.30 Schließlich konnten das Verbot der
Abnormitätenschauen im Nationalsozialismus und die Entwicklung des Konzepts vom
unwerten Leben aus Platzgründen nicht in die Untersuchung miteinbezogen werden.
1.2 Quellenlage und methodisches Vorgehen
Wie eingangs bereits dargelegt wurde, besteht das Ziel der vorliegenden Arbeit darin,
durch die systematische Auswertung von Zeitungsanzeigen und archivalischen Quellen
verschiedener Provenienz die Entwicklung der Zurschaustellung fehlgebildeter Menschen
seit dem 18. Jahrhundert nachzuzeichnen. Dazu wurden fast ausschließlich die Bestände des
Stadtarchivs Mainz und Frankfurt/ Main herangezogen. Da die Analyse der Inszenierungsund Vermarktungsstrategien der Impresarios und Schausteller im Vordergrund der
Untersuchung steht, richtete sich die Quellensuche primär auf schaugewerbliches
Werbematerial wie Schaustellerzettel und Zeitungsanzeigen. Zudem konnten vereinzelte
Konzessionsgesuche und Tagebucheinträge zum Thema ermittelt werden, die in die
Untersuchung miteinflossen. Bei den ausgewerteten Dokumenten handelt es sich bewusst um
Schriftstücke unterschiedlichster Provenienz und Art, um nicht die Perspektive einer
einzelnen Quellengattung dominieren zu lassen, woraus ein einseitiges Bild der
Abnormitätenschauen entstehen könnte. Denn gerade im Bezug auf das Quellenmaterial der
Schausteller drängt sich eine grundsätzliche Quellenkritik auf: Die Dokumente wurden in der
Regel mit einer bestimmten Absicht verfasst.
In einem maßgebenden Beitrag von 1954 hatte Moser die „exakte Geschichtsschreibung
der Volkskultur“ auf der Grundlage einer hohen Quellendichte gefordert, die „das Große und
das Kleinste zu erfassen hat“.31 Die Quellen, die benötigt werden, um im Sinne Mosers und
Karl-Sigismund Kramers ein völlig umfassendes und exaktes Bild von der Zurschaustellung
fehlgebildeter Menschen seit dem 18. Jahrhundert zu erhalten, sind jedoch nicht in der
ausreichenden Menge vorhanden. Dabei handelt es sich weniger um ein regionales, als
30
Mit der filmischen Inszenierung des körperlich „Monströsen“ haben sich etwa Autoren wie Arno Meteling
und Silke Bartmann beschäftigt (Vgl. Meteling, Arno: Monster. Zur Körperlichkeit und Medialität im modernen
Horrorfilm. Bielefeld 2006./ Bartmann, Silke: Der behinderte Mensch im Spielfilm. Eine kritische
Auseinandersetzung mit Mustern, Legitimationen, Auswirkungen von und dem Umgang mit
Darstellungsweisen von behinderten Menschen in Spielfilmen. Münster 2002). Das „Monströse“ in der Literatur
haben u.a. Beckerhoff und Brittancher untersucht (Vgl. Beckerhoff, Florian: Monster und Menschen.
Verbrechererzählungen zwischen Literatur und Wissenschaft (Frankreich 1830-1900). Würzburg 2007./
Brittnacher, Hans Richard: Ästhetik des Horrors. Gespenster, Vampire, Monster, Teufel und künstliche
Menschen in der phantastischen Literatur. Frankfurt am Main 1994).
31
R. W. Brednich: Quellen und Methoden. S. 84.
8
vielmehr um ein grundsätzliches Problem, das auch Heinrich Mehl32 in seiner Untersuchung
thematisiert hat. Es war daher unumgänglich, sich auf ausgewählte Quellenbeispiele als
Grundlage einer qualitativen Analyse der Abnormitätenschauen zu konzentrieren.
Literarische Quellen wie etwa medizinwissenschaftliche Aufsätze und Vorträge, Chroniken,
Enzyklopädien und illustrierte Zeitschriften ergänzten die archivalischen Befunde.
Das Werbematerial der Schausteller bildet neben den genannten Quellen die einzige
Quellengruppe, die unmittelbar Aufschluss über die Präsentation von menschlichen
Abnormitäten gibt. Schaustellerzettel und Zeitungsinserate enthielten in knapper Form
Informationen über die ausgestellte Abnormität, ihre besonderen Fähigkeiten und den Ort der
Zurschaustellung. Darüber hinaus mussten sie in Bezug auf Darstellung und Vermarktung
dem zeitgenössischen Publikumsgeschmack Rechnung tragen. Während sich zahlreiche
Annoncen in Zeitungen erhalten haben, sind viele Schaustellerzettel verloren gegangen, es
sei denn, sie wurden den Konzessionsgesuchen an die Obrigkeit beigefügt.33 Für die
Untersuchung wurden zunächst regionale Zeitungen mit großem Anzeigenteil systematisch
nach Annoncen durchgesehen, die die Zurschaustellung von fehlgebildeten Menschen
ankündigten. Erfolg versprechend waren insbesondere die Messemonate Februar/ März
(Ostermesse in Frankfurt), August (Mainzer Meß) und September/ Oktober (Herbstmesse in
Frankfurt).
Für das 18. Jahrhundert wurden das Frankfurter Staats-Ristretto (1772-1832)34 und das
Amts- und Anzeigenblatt Mainzisches Intelligenzblatt mit kurfürstlichem gnädigsten
Privilegium (1774-1811)35, das zu kurfürstlichen Zeiten neben der Priviligierten Mainzer
Zeitung die einzige Zeitung in Mainz war36, durchgesehen. Für das 19. Jahrhundert wurden
das Intelligenz-Blatt der freyen Stadt Frankfurt (1819-1866)37, das unter dem Titel
Intelligenz-Blatt der Stadt Frankfurt (1866-1910)38 fortgesetzt wurde, und das Mainzer
Anzeigeblatt (1812–1814)39 beziehungsweise Mainzer Wochenblatt (1814–1871)40 auf
Inserate hin überprüft und für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden zusätzlich der
Mainzer Anzeiger (1854-1925)41 und der Neueste Mainzer Anzeiger (1879–1920)42
32
H. Mehl: Zur Ausstellung behinderter Menschen auf Jahrmärkten des 16. – 19. Jahrhunderts. S. 41.
Ebd.
34
ISG Frankfurt/ Main.
35
Mikrofilm, Stadtbibliothek Mainz.
36
E. Bremer/ R. Hildebrandt: Stand und Aufgaben der deutschen Dialektlexikographie. S. 199.
37
ISG Frankfurt/ Main.
38
ISG Frankfurt/ Main.
39
Mikrofilm, Stadtbibliothek Mainz.
40
Mikrofilm, Stadtbibliothek Mainz.
41
Mikrofilm, Stadtbibliothek Mainz.
33
9
durchgesehen. Darüber hinaus konnten für das ausgehende 18. Jahrhundert einige
Konzessionsgesuche, die an die kurfürstliche Landesregierung in Mainz gerichtet waren und
zum Teil gedruckte Schaustellerzettel enthielten, im Stadtarchiv Mainz ausfindig gemacht
werden. Das Ergebnis waren insgesamt ca. 65 Bild- und Textbelege. Um die Ergebnisse, die
auf der regionalen Ebene erzielt wurden, zu verifizieren, und der Überbetonung örtlicher
Spezialfälle entgegenzutreten wurde jeder dritte Jahrgang der überregionalen Fachzeitschrift
Der Komet. Fachblatt für Reisegewerbe und Markthandel43, die seit 1883 kontinuierlich
erschienen ist, auf einschlägige Werbeanzeigen hin durchgesehen. Zwischen den Jahrgängen
1883 und 1927 ließen sich so weit über 200 Inserate und Artikel nachweisen, die die
Zurschaustellung von fehlgebildeten Menschen zum Inhalt haben. Da nur wenige der
Zeitungsanzeigen illustriert wurden, die Ikonografie der Abnormitäten jedoch wesentlicher
Bestandteil ihrer Inszenierung und Vermarktung war, wurden zuletzt Souvenirpostkarten, die
aus den Sammlungen des Grundschullehrers Stefan Nagel in Münster und des Schaustellers
Erich Knocke44 in Essen stammen, in die Untersuchung miteinbezogen.
Bei der Bewertung der Verlässlichkeit der Quellen ist zu berücksichtigen, dass
Zeitungsinserate keine eindeutige Quelle darstellen. Das Nichtvorhandensein von Anzeigen
in einem bestimmten Jahr bedeutet nicht zwangsläufig, dass keine Abnormitätenschauen in
diesem Zeitraum stattfanden. Die Schauen wurden auch mit Plakaten und Flugblättern
angekündigt, von denen sich jedoch nur äußerst wenige in den Archiven erhalten haben.
Außerdem darf nicht davon ausgegangen werden, dass jede angekündigte Schau auch
tatsächlich stattfand. Daher wurden für die Phase der höchsten Quellendichte, also für das
letzte
Drittel
des
19.
Schaustellerfachzeitschrift
Jahrhunderts,
Komet
nach
die
den
„Markt-
und
angekündigten
Messberichte“
der
Abnormitätenschauen
durchgesehen. Die fortlaufend aktualisierten Berichte bieten eine Auflistung aller
anwesenden Fahrgeschäfte und Schaubuden einer Messe bzw. eines Marktes. Auf diese
Weise konnte die Zurschaustellung von neun Abnormitäten verifiziert werden.
Es gibt kaum Dokumente, in denen sich die zur Schau gestellten Menschen selbst äußern.
Die historische Rekonstruktion ihrer Zurschaustellung muss sich daher auf die eingangs
42
Mikrofilm, Stadtbibliothek Mainz.
Der Komet wurde auf Anregung von Schaustellern als spezielles Informationsorgan für das deutsche
Schaustellergewerbe von dem Drucker und Verleger Wilhelm Neumann in Pirmasens begründet und bildet für
Untersuchungen über das Schaustellergewerbe „die zentrale historische Quelle für den deutschen Raum“. (Vgl.
F. Dering: Volksbelustigungen. S. 11).
44
Auf Initiative des ehemaligen Schaustellers Erich Knocke wurde 1982 in Essen das „Markt- und
Schaustellermuseum“ gegründet. Die Sammlung ist in Jahrzehnten von Herrn Knocke, dem Vorsitzenden des
Arbeitskreises Kultur und Brauchtum Essen e.V., zusammengetragen worden.
43
10
beschriebenen Quellen beschränken. Da es außerdem bis auf einige wenige Ausnahmen wie
etwa Tagebucheinträge praktisch keine Quellen gibt, die die individuellen und persönlichen
Eindrücke der Zuschauer beschreiben, ist die Zuschauerrezeption, so wünschenswert dieser
Aspekt auch ist, stärker in den Hintergrund der Untersuchung getreten.45
1.3 Forschungssituation
Anders als in den USA oder Australien, wo das Thema „body“ seit Mitte der 1980er
Jahre zwanglos interdisziplinär behandelt wird46, ist dem Körper „als einer Erfahrungsebene
menschlichen Lebens“47 in der volkskundlichen Forschung erst in den letzten Jahren mehr
Beachtung zuteil geworden. Zwar forderte der Volkskundler Utz Jeggle schon 1980 eine
„Ethnologie der Körperlichkeit“, die die Interdependenz von Körper, Kultur und sozialem
Leben beleuchtet48, doch die kulturwissenschaftlichen Studien der Folgejahre konzentrierten
sich zunächst weniger auf den Körper selbst, als vielmehr auf seine „Überformung“ zum
kulturellen Produkt.49 Impulse zu einer Kulturgeschichte des fehlgebildeten Körpers geben
seit einigen Jahren vor allem die disability studies, deren Anfänge in der amerikanischen
Behindertenbewegung liegen und die erst seit jüngster Zeit auch in Deutschland Fuß fassen.50
Ziel und Aufgabe der disability studies ist es, die Aufmerksamkeit von der medizinischen
Pathologie der Behinderung auf deren kulturelle Konstruktion zu lenken51, die Rosemarie
Garland-Thomson zufolge bestimmte Körperformen und -funktionen stigmatisiert:
„Disability, then, is a culturally fabricated narrative of the body, similar to what we
understand as the fictions of race and gender.“52 Die Arbeiten von Rosemarie GarlandThomson, die unter anderem über die amerikanische Freakshow geforscht hat, scheinen hier
besonders erwähnenswert.53 In der Soziologie hat sich indes insbesondere Erving Goffman in
45
Auch Bogdan thematisiert in seiner Untersuchung das Fehlen von Primärquellen, die über
Zuschauerreaktionen Auskunft geben könnten. (Vgl. R. Bogdan: Freak show. S. ix).
46
M. Lorenz: Leibhaftige Vergangenheit. S. 9.
47
A. Pellengahr: Von der ‚programmierten’ zur ‚natürlichen’ Geburt. S. 269.
48
Vgl. Jeggle, Utz: Im Schatten des Körpers. Vorüberlegungen zu einer Volkskunde der Körperlichkeit. In:
Zeitschrift für Volkskunde, 76. Münster 1980. S. 169-188.
49
Vgl. dazu z.B. das Kapitel „Körperkultur“ in der Festschrift für Hermann Bausinger, „Volkskultur in der
Moderne“. Hrsg. v. Utz Jeggle u.a. Reinbek 1986.
50
P. Lutz u.a.: Einleitung der Herausgeber. S. 16.
51
Ebd.
52
R. Garland-Thomson: Making Freaks. Visual Rhetorics and the Spectacle of Julia Pastrana. S. 132.
53
Garland-Thomson, Rosemarie: Extraordinary bodies: figuring physical disability in American culture and
literature. New York 1997; dies.: Freakery. Cultural Spectacles of the Extraordinary Body. New York/ London
1996; dies.: „Making Freaks. Visual Rhetorics and the Spectacle of Julia Pastrana..” Thinking the limits of the
Body. Hrsg. v. Jeffrey Jerome Cohen/ Gail Weiss. Albany 2003. S. 129-144; dies.: Naratives of Deviance and
Delight. Staring at Julia Pastrana, the “Extraordinary Lady”. Unveröffentlichtes Typoscript.
11
seiner
1963
erschienen
Untersuchung
über
Stigmatisierungsprozesse54
mit
den
gesellschaftlichen Implikationen, die von der körperlichen Normabweichung ausgehen,
beschäftigt. Von medizinhistorischer beziehungsweise volkskundlicher Seite haben Autoren
wie Michael Hagner, Javier Moscoso, Thomas Macho, Dagmar Hänel und andere über den
versehrten Körper geforscht. Der inspirierende Aufsatz Dagmar Hänels Überlegungen zur
Bedeutung des Monströsen. Zur Normalität des gesunden Körpers und dem Umgang mit
Normbrüchen (2003) bietet ausgehend von Monsterdarstellungen in der aktuellen Medienund Unterhaltungslandschaft einen kursorischen Überblick über den Umgang mit dem
Monströsen seit der frühen Neuzeit und gab wichtige Impulse für die vorliegende Arbeit.
Autoren, die sich dezidiert mit dem neuzeitlichen Monstradiskurs beschäftigt haben, sind
etwa Irene Ewinkel55, Gisela Wahl56, der Germanist Werner Röcke57 und die Volkskundler
Waltraud Pulz58 und Rudolf Schenda59.
Im deutschsprachigen Raum ist die Zurschaustellung von Abnormitäten bereits früh
untersucht worden, nennenswert ist etwa Eugen Holländers ausführliche Studie über die
Monstraflugblätter des 15. bis 18. Jahrhunderts, Wunder, Wundergeburt, Wundergestalt
(1921)60. Bereits 1895 veröffentlichte der Redakteur der Zeitschrift Artist Hermann
Waldemar Otto unter dem Pseudonym Signor Saltarino eine Übersicht zu „Abnormitäten,
Kuriositäten und interessanten Vertretern der wandernden Künstlerwelt“61. Die zum Teil von
Schaustellerzetteln abgeschriebenen und meist mit Illustrationen versehenen Texte bieten
eine panoptische Übersicht über die Zurschaustellung von fehlgebildeten Menschen im
54
Goffman, Erving: Stigma, Notes on the Management of Spoiled Identity, New York 1963, S. 6
Ewinkel, Irene: De monstris. Deutung und Funktion von Wundergeburten auf Flugblättern im Deutschland
des 16. Jahrhunderts. Tübingen 1995
56
Wahl, Gisela: Zur Geschichte der ätiologischen Vorstellungen über die Entstehung von Missgeburten.
Düsseldorf, 1974.
57
Röcke, Werner: Zeitenwende und apokalyptische Ängste in der Literatur des Spätmittelalters. In: Zeitschrift
für Germanistik NF 1. 2000. S. 11-29; ders.: Die Zeichen göttlichen Zorns. Monster und Wunderzeichen in der
Literatur des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit. In: Literarisches Leben in Zwickau im Mittelalter und in
der Frühen Neuzeit. Vorträge eines Symposiums anläßlich des 500jährigen Jubiläums der Ratsschulbibliothek
Zwickau am 17. und 18. Februar 1998. Hrsg. von Margarete Hubrath/ Rüdiger Krohn. Göppingen 2001; ders.:
Befremdliche Vertrautheit. Inversionen des Eigenen und des Fremden in der deutschen Literatur des 16.
Jahrhunderts. In: Reisen über Grenzen. Kontakt und Konfrontation, Maskerade und Mimikry. Münster 2003. S.
119-132.
58
Pulz, Waltraud: Graphische und sprachliche Tierbildlichkeit in der Darstellung von Missbildungen des
menschlichen Körpers auf Flugblättern der frühen Neuzeit. In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde, Volkach
1989, S. 63-81.
59
Schenda, Rudolf: Das Monstrum von Ravenna. Eine Studie zur Prodigienliteratur. In: Zeitschrift für
Volkskunde 56, 1960. S. 209-225./ --: Die deutschen Prodigiensammlungen des 16. und 17. Jahrhunderts. In:
Archiv für Geschichte des Buchwesens 4, 1963. S. 638-710.
60
Holländer, Eugen von: Wunder, Wundergeburt und Wundergestalt in Einblattdrucken des fünfzehnten bis
achtzehnten Jahrhunderts. Stuttgart: Ferdinand Enke, 1921.
61
Signor Saltarino (d.i. Hermann Waldemar Otto ): Fahrend Volk. Abnormitäten , Kuriositäten und interessante
Vertreter der wandernden Künstlerwelt. Leipzig (J.J. Weber) 1895.
55
12
letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts. Wenngleich er mit großer Detailverliebtheit über 50
Abnormitäten seiner Zeit beschrieb, so ist seine Arbeit nicht frei von Fehlern. Seine
Behauptung, dass „der erste Riese, welcher in Deutschland auftauchte“, der Chinese ChangYu-Sing im Jahr 1878 gewesen sei62, konnte im Rahmen der Untersuchung widerlegt
werden. Wie unter Kapitel 3.2.1 ausgeführt wird, lassen sich bereits für das 17. Jahrhundert
Schaustellungen von Riesen auf der Frankfurter Messe nachweisen und eigene Erhebungen
ergaben, dass bereits im Jahr 1820 die „Große Schweizerin Katharina Bödner“ in Mainz
gastierte. Die 1952 von Alfred Lehmann verfasste Kulturgeschichte Zwischen Schaubuden
und Karussells63 bietet neben einer Beschreibung der wichtigsten Fahrgeschäfte einen
kursorischen Überblick über die berühmtesten Abnormitäten der vergangenen Jahrhunderte.
Eine der wichtigsten Publikationen für den deutschsprachigen Raum ist indes Hans Scheugls
Buch Showfreaks & Monster (1974), in dem der Autor die These entwirft, dass die
Abnormitätenschauen dem Publikum die Möglichkeit boten, sich der eigenen Normalität zu
vergewissern.
Zwar gibt es einige volkskundliche Arbeiten zu vagierenden Unterschichten, Hausierern
und Schaustellern64, doch „auffällige Arbeiten über die Präsentation von menschlichen
Abnormitäten auf dem Jahrmarkt liegen […] nicht vor“65, wie der Volkskundler Heinrich
Mehl vor einigen Jahren bedauerte. Sein Aufsatz „Frauenzimmer, ohne Arme gebohren…“.
Zur Ausstellung behinderter Menschen auf Jahrmärkten des 16.-19. Jahrhunderts66 (2002),
in welchem er anhand von Schaustellerzettel, die sich im Landesarchiv Schleswig-Holstein
erhalten haben, die Schaustellung fehlgebildeter Menschen untersucht, kann daher als ein
erster Schritt auf dem Wege der kulturanthropologischen Auseinandersetzung mit dem
Thema angesehen werden.
Während die Arbeiten von Otto, Würtz67, Lehmann und Scheugl die Zurschaustellung der
berühmtesten Abnormitäten überblicksartig darlegen und dabei kaum Erklärungsansätze für
die Faszination am körperlich Anderen bieten, haben einige amerikanische Autoren sehr gute
62
Saltarino (H. Otto): Fahrend Volk. S. 43.
Lehmann, Alfred: Zwischen Schaubuden und Karussells. Ein Spaziergang über Jahrmärkte und Volksfeste.
Frankfurt/ Main 1952.
64
Hinrichsen, Ute/ Hirschbiegel, Sabine: „Gewerbe, welche eine herumtreibende Lebensart mit sich führen.“
Hausierer und Schausteller in Schleswig-Holstein zwischen 1774 und 1846 (=Studien zur Volkskunde und
Kulturgeschichte Schleswig-Holsteins, 39). Neumünster 1999. Eine Dissertation über das Schaustellergewerbe
liegt von Michael Faber vor: Faber, Michael: Schausteller. Volkskundliche Untersuchung einer reisenden
Berufsgruppe im Köln-Bonner Raum. Universität bonn, Diss., 1981.
65
H. Mehl: Zur Ausstellung behinderter Menschen auf Jahrmärkten des 16. – 19. Jahrhunderts. S. 40.
66
Mehl, Heinrich: „Frauenzimmer, ohne Arme gebohren…“. Zur Ausstellung behinderter Menschen auf
Jahrmärkten des 16.-19. Jahrhunderts. In: Kieler Blätter zur Volkskunde 34, 2002. S. 38-69.
67
Würtz, Hans: Sieghafte Lebenskämpfer. München 1919.
63
13
theoretische
Ansätze
zum
Phänomen
Abnormitätenschauen
erarbeitet.
Den
wissenschaftlichen Diskurs um die Freak Show eröffnete in den USA 1978 Leslie Fiedler mit
seiner Arbeit Freaks. Myths and Images of the Secret Self68. In dieser ausführlichen und
zutiefst persönlichen Studie zeichnet Fiedler die Zurschaustellung von Abnormitäten auf
Jahrmärkten und in Zirkussen bis hin zu ihrer Darstellung in Literatur und Film nach. Dabei
vertritt er die These, dass Menschen eine tiefsitzende Furcht vor Individuen mit sichtbaren
körperlichen Anomalien hätten, weil diese ureigene Ängste verkörpern, wie etwa die Angst,
nicht zu wachsen (Kleinwüchsige) oder jene, sich sexuell nicht eindeutig verorten zu können
(Hermaphroditen). Eine der wichtigsten Publikationen zum Thema in den letzten Jahren ist
der Sammelband Freakery69, in dem Autoren verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen
im Sinne der disability studies die Konstruktion von Behinderung – auch vor dem
Hintergrund der amerikanischen Freakshows – untersuchen.
Für die vorliegende Untersuchung waren indes Robert Bogdans Thesen über die
schaugewerblichen Inszenierungsstrategien von fehlgebildeten Menschen forschungsleitend,
die er in seiner 1988 erschienenen Publikation Freak show: presenting human oddities for
amusement and profit formulierte. Nach Bogdan folgen die Präsentationsweisen von
fehlgebildeten Menschen einem kulturellen Muster, das er als „exotic mode“ und
„aggrandized status mode of representation“70 identifiziert. Die jüngere Forschung bezieht
sich meist auf diese Thesen, so etwa ein Aufsatz der deutschen Ethnologin Ariane Karbe
(2003)71 oder eine Monographie über das amerikanische Schaustellergewerbe von Robert M.
Lewis (2003)72.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass insbesondere die deutschsprachigen
Arbeiten zu Abnormitätenschauen kaum mehr als einen kursorischen Überblick und nur
selten Erklärungsansätze für die Faszination am körperlich Fremdartigen bieten. Dass sich
der Besucher beim Anblick der Abnormitäten seiner eigenen Normalität vergewissern wolle,
ist eines der gängigen Erklärungsmuster für Entstehen und Erfolg der Zurschaustellungen.
Allerdings greifen solche Deutungen zu kurz, um dem Phänomen hinreichend Rechnung zu
tragen. Wie ist zum Beispiel der lang anhaltende Erfolg der Zurschaustellungen zu erklären,
68
Fiedler, Leslie: Freaks. Myths and Images of the Secret Self. New York 1978.
Thomson, Rosemarie Garland: Freakery. Cultural Spectacles of the Extraordinary Body. New York/ London
1996.
70
R. Bogdan: The Social Construction of „Freaks“. S. 28.
71
Karbe, Ariane: Wie aus großen Menschen Riesen werden – Zu den Inszenierungsstrategien von
Abnormitätenschauen. In: Zur Schau gestellt. Ritual und Spektakel im ländlichen Raum. Hrsg. v. Karl-Heinz
Ziessow. Cloppenburg 2003. S. 143-157.
72
Lewis, Robert M.: From Traveling Show to Vaudeville. Theatrical Spectacle in America, 1830-1910.
Baltimore 2003.
69
14
insbesondere im 19. Jahrhundert, als Begriffe wie „Ernüchterung“, „Entzauberung“ und
„Verwissenschaftlichung des Blicks“73 den medizinischen Diskurs um Abnormitäten
bestimmten?
Die
vorliegende
Untersuchung
versucht
durch
die
historische
Auseinandersetzung mit Fehlbildungen und Anomalien – gerade weil sie in einem
dialektischen Verhältnis zum scheinbar Richtigen stehen – Antworten auf diese Fragen zu
geben und so Aufschluss über „den Gang der Normalität“74 zu erhalten.
73
74
M. Dederich: Körper, Kultur und Behinderung. S. 86.
U. Zürcher: Monster oder Laune der Natur. S. 16.
15
2.
DER „VERSEHRTE“ KÖRPER: ZUR WAHRNEHMUNG VON
KÖRPERLICHER FEHLBILDUNG SEIT DER FRÜHEN NEUZEIT
Was in einer Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt als monströs, als „wider die
Natur […] gebohren“75, angesehen wird und sich in der Konstruktion von „Bildern des ganz
Fremden und Befremdlichen“76 ausdrückt, spiegelt immer auch das Selbstverständnis und die
Ängste und Hoffnungen dieser Gesellschaft wider, die „sie anders nur schwer oder gar nicht
ausdrücken könnte.“77 Auch körperliche Fehlbildungen wurden in die Sphäre des Monströsen
verwiesen und die Ursache ihres Auftretens zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich
bewertet. Fasst man die Berichte über menschliche „Monstrositäten“ und „Abnormitäten“
zusammen, so ergeben sich zwei große Phasen der Diskursivierung des Monströsen.78 Die
erste Phase reicht von 1500 bis etwa 1650, die zweite umfasst grob gesagt das gesamte 19.
Jahrhundert. Scheugl zufolge sind „die Gründe dafür […] beide Male fast die gleichen,
ebenso wie die gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Voraussetzungen, die sie
herbeiführten.“79 Diese Behauptung soll am Ende der Arbeit einer kritischen Prüfung
unterzogen werden.
Die nachfolgenden Paragraphen beleuchten nach thematischen Gesichtspunkten die
Deutungsgeschichte
des
Monströsen
seit
der
frühen
Neuzeit
und
erörtern
die
Erklärungsmodelle, die für das Vorkommen von physiognomischen Abweichungen
herangezogen wurden, da jene ätiologischen und semantischen Prämissen die Voraussetzung
für den Umgang mit körperlicher Normabweichung im 18. und 19. Jahrhundert schufen. In
einem ersten Schritt wird die Nomenklatur der körperlichen Abweichung ermittelt, da
insbesondere die Etymologie des Wortes „Monstrum“ Aufschluss über inhaltliche
Bedeutungsverschiebungen geben und diese in einen größeren Zusammenhang mit der
kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklung stellen kann. Daneben werden in einzelnen
thematischen Kapiteln die juristischen, theologischen und naturkundlichen Diskurse über
körperliche Fehlbildungen untersucht. Dabei kommt der Prodigienlehre, also der Lehre von
den Wunderzeichen, der Theorie vom „Versehen“ und der Vorstellung vom lusus naturae
besondere Beachtung zu.
75
Artikel „Monsra [!] oder Monstrum“. In: Zedlers Universal-Lexikon. Bd. 21. Sp. 1220.
W. Röcke: Die Zeichen göttlichen Zorns. S. 145.
77
Ebd.
78
H. Scheugl: Showfreaks & Monster. S. 154.
79
Ebd. S. 154.
76
16
2.1 Monstrum. Abnormität. Freak. – Die Nomenklatur der körperlichen Abweichung
Das Auftreten von sichtbaren angeborenen Fehlbildungen bei Menschen und Tieren hat
„überall und zu jeder Zeit“80 Anlass für Spekulationen über die Herkunft und Bedeutung
solcher von der Norm abweichenden Körper ausgelöst. Eine Vorstellung, die bis ins 18.
Jahrhundert virulent blieb, war die antike Auffassung, dass „monströse“ Geburten als von
Gott gesandte Warnzeichen zu verstehen seien. So deutete etwa der römische Philosoph
Marcus Tullius Cicero (106 – 43 v. Chr.) gemäß der christlichen Überzeugung, „daß alle
Geschöpfe von Gott geschaffen seien, daß aber alles von Gott Geschaffene gut und sinnvoll
sein müsse“81, körperliche Anomalien als göttliche Vor- und Wunderzeichen. Entsprechend
ihrer spezifischen zukunftsweisenden Funktion unterschied er dabei zwischen Monstrum
(„Wahrzeichen der Götter“), Miraculum („Wunderding“), Portentum („Vorzeichen“),
Ostentum („Wunderzeichen, das auf die Zukunft deutet“), und Prodigium („böse
Vorbedeutung/ Andeutung“)82. Durch die Wiederbelebung der antiken Prodigienlehre in der
Renaissance waren diese Bezeichnungen bis ins 18. Jahrhundert gebräuchlich und wurden
noch in Zedlers Universal-Lexikon synonym mit den zeitgenössischen Begriffen Missgeburt
und Wundergeburt verwendet83. Als im Verlauf des 18. Jahrhunderts wissenschaftliche
Abhandlungen „zunehmend nicht mehr auf Latein“ verfasst wurden, setzten sich die
synonym gebrauchten Begriffe Missgeburt und Monstrum durch.84 Unter der Bezeichnung
Missgeburt, die sich aus dem althochdeutschen „missa“ beziehungsweise „missi“ herleitet,
was ursprünglich „wechselseitig“, später auch „schlecht, verfehlt, verunglückt“ bedeutet85,
verstand man ein menschliches oder tierisches Lebewesen, das „auf einige Weise von der
Ordnung und Gestalt [seiner] Gattung abweichet.“86 Dazu gehörten Zwerg- und
Riesenwuchs, fehlende beziehungsweise überzählige Gliedmaßen, Doppelfehlbildungen und
schließlich auch „Gesichtsfehlbildungen wie Lippen- und Gaumenspalten“87, die in
Anlehnung an die zeitgenössische ätiologische Vorstellung über ihre Entstehung als
80
J. Kunze/ I. Nippert: Genetik und Kunst. S. V.
G. Wahl: Entstehung von Missgeburten. S. 7f.
82
„Monstra, ostenta, portenta, prodigia, appellantur quoniam monstrant, ostendunt, portendunt, praedicant“
(Cicero: De Divinatione) = „Denn weil sie vorzeigen (ostendunt), andeuten (portendunt), hinweisen
(monstrant), so heißen sie Vorzeichen (ostenta), Andeutungen (portenta), Hinweisungen (monstra),
Vormeldungen (prodigia).“ Zitiert nach J. Kunze/ I. Nippert: Genetik und Kunst. S. 3.
83
Artikel „Mißgeburt“. In: Zedlers Universal-Lexikon. Bd. 21. S. 486-492.
84
M. Lorenz: Von Normen, Formen und Gefühlen. S. 21.
85
U. Enke: Schriften zur Embyologie und Teratologie. S. 20.
86
Artikel „Mißgeburt“. In: Zedlers Universal-Lexikon. Bd. 21. S. 486.
87
U. Enke: Schriften zur Embyologie und Teratologie. S. 20.
81
17
„Hasenscharten“ und „Wolfsrachen“ bezeichnet wurden88. Dass sich bei der Vorstellung von
„Missgeburten“ noch im 18. Jahrhundert Plausibles mit Phantastischem vermischte, belegt
der im gleichen Lexikonartikel gebrachte Hinweis, dass unter die „Missgeburten“ auch jene
Kreaturen zu zählen seien, die „mit einem Kalbs- oder Pferde-Kopffe u.d.g zur Welt“89
gekommen sind oder „Hände wie Gänse-Füsse“ und „einen Hundes-Kopff“90 haben. Die hier
beschriebenen Monstrositäten erinnern in ihrer Gestalt eher an die frühneuzeitlichen
Monstren- und Prodigiendarstellungen oder an die vielfältigen Berichte von Wundergeburten
aus dieser Zeit91. So gleichen letztere den fabelhaften Kynokephaloi, hundeköpfige
Monster92, die den monströsen Erdrandbewohnern der antiken und mittelalterlichen
Enzyklopädien zuzuordnen sind.
Die Bezeichnung Monstrum wird in Zedlers Universal-Lexikon unter einem eigenen
Stichwort spezifiziert als „alles dasjenige, was wider die Natur ist oder gebohren wird, oder
welches gleichsam den wahren Ursprung seiner Geburt durch Annehmung einer fremden
Gestalt verläugnet, oder verändert.“93 Der entsprechende Eintrag in Meyers KonversationsLexikon aus dem Jahr 1872 stimmt hingegen inhaltlich mit Zedlers Definition von
„Missgeburt“ überein. Ein Monstrum ist demnach „jeder Gegenstand, der in seiner
Gestaltung von Gegenständen derselben Art in auffallender Weise abweicht“ 94. Hier deutet
sich bereits die sprachliche Unschärfe der Bezeichnungen an, die teils synonym, teils in
Abgrenzung voneinander verwendet wurden. Da sich die Bezeichnung Monstrum sowohl
von dem lateinischen Verb „monere“ (mahnen, warnen) als auch von „monstrare“ (zeigen)“
ableiten lässt95, bestand, wie Javier Moscoso erläutert, lange Zeit Unklarheit darüber, ob
„[die] Monster ihren Namen […] dadurch erhalten [haben], daß man sie öffentlich zur Schau
stellte, [oder] weil sie als außergewöhnliche Erscheinungen angesehen wurden, die gerade in
dieser Eigenschaft eine klare und eindeutige Warnung darstellten.“96 Wenn auch den so
genannten Monstren im 18. Jahrhundert noch das „Unberechenbare, Zerstreute und
Enigmatische“97 des physiognomisch Abweichenden anhaftete, so erfuhr der Begriff im
Rahmen der fortschreitenden wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem fehlgebildeten
88
Vgl. dazu Kapitel 2.2.5.
Artikel „Mißgeburt“. In: Zedlers Universal-Lexikon. Bd. 21. S. 489f.
90
Ebd. S. 486.
91
U. Helduser: Poetische „Missgeburten“ und die Ästhetik des Monströsen S. 671.
92
W. Röcke: Die Zeichen göttlichen Zorns. S. 157.
93
Artikel „Monsra [!] oder Monstrum“. In: Zedlers Universal-Lexikon. Bd. 21. S. 1220.
94
Artikel „Monstrum“. In Meyers neues Konversations-Lexikon (1872), Bd. 11. S. 696.
95
J. Moscoso: Vollkommenen Monstren und unheilvolle Gestalten. S. 59.
96
Ebd.
97
U. Zürcher: Monster oder Laune der Natur. S. 12.
89
18
Körper insbesondere im Verlauf des 19. Jahrhunderts eine Bedeutungsverschiebung.
Während im medizinwissenschaftlichen Kontext der Terminus Missbildung die Begriffe
Missgeburt und Monstrum ersetzte, bezeichnete das Monstrum beziehungsweise Monster
fortan „weniger reale körperliche Fehlbildungen als vielmehr die mythologischen Ungeheuer
und Mischwesen“.98 Ferner wurden die Begriffe im späten 19. Jahrhundert zunehmend für
das Riesige und Gewaltige verwendet. In Herders Universal-Lexikon aus dem Jahr 1906 ist
unter dem Stichwort Monster zu lesen: „Kolossal…, Riesen…, Massen…, in
Zusammens[setzung], z.B. M.-meeting, Massenversammlung.“99 Demgemäß wurde eine
Musikveranstaltung im Mainzer Anzeiger als „Monstre-Konzert“ angekündigt, wobei sich die
Bezeichnung wohl eher auf die Größe des Konzertes als auf die Charakterisierung der
Akteure beziehen sollte100. Zuletzt popularisierten die Literatur der Romantik und des Fin-desieclè, das Kino und selbst die politische Rhetorik des 20. Jahrhunderts101 den monströsen, da
gewalttätigen und abscheulichen, Verbrechertypus. So wird Frankensteins mordende Kreatur
in Mary Shelleys Frankenstein, or the Modern Prometheus (1818) etwa als „a detestable
monster“102 bezeichnet.103 Der Begriff Monster wurde nun mehr, so auch der Hinweis in
Meyers Lexikon, „sowohl im physischem, als im moralischem Sinne gebraucht“104. Diese
Konnotation haftet dem Monströsen bis heute an, wie nicht zuletzt der Spielfilm Monster
(2003), der eine amerikanische Serienmörderin porträtiert, zeigt. Die Bezeichnung Monstrum
beziehungsweise Monster vollzog also eine definitorische Genese von der sichtbaren
körperlichen Fehlbildung hin zum moralisch „verfehlten“ Menschen und deutet an, wie
fehlgebildete Menschen wahrgenommen und bewertet wurden.
Im Rahmen der Abnormitätenschauen des 18., 19. und frühen 20. Jahrhunderts waren die
Begriffe Abnormität, Monstrosität, Spezialität und schließlich Freak als Bezeichnungen für
körperbehinderte Menschen gebräuchlich. Der Begriff Abnormität meint, ähnlich wie der
Ausdruck Monstrum, „eine Abweichung von der Regel oder Norm eines Naturkörpers“105
und die Bezeichnung Monstrosität lässt sich auf das lateinische Adjektiv monstruosus im
98
U. Zürcher: Monster oder Laune der Natur. S. 11.
Artikel „Monster“. In Herders Konversations-Lexikon (1906), Bd. 6. S. 111.
100
Mainzer Anzeiger vom 18. August 1896, No. 191, Jahrgang 47.
101
U. Zürcher: Monster oder Laune der Natur. S. 11.
102
M. Shelley: Frankenstein, or The Modern Prometheus. S. 109.
103
Da eine Analyse der monströsen Figuren in der Literatur des Fin-de-siècle den Rahmen der vorliegenden
Arbeit sprengen würde, sei an dieser Stelle auf die Untersuchung von Florian Beckerhoff, Monster und
Menschen. Verbrechererzählungen zwischen Literatur und Wissenschaft (Frankreich 1830-1900), Würzburg
2007, verwiesen.
104
Artikel „Monstrum“. In Meyers neues Konversations-Lexikon (1872), Bd. 11. S. 696.
105
Artikel „Abnormität“. In Meyers großes Konversations-Lexikon (1909), Bd. 1. S. 45.
99
19
Sinne von „widernatürlich“ und „scheußlich“ zurückführen106. Der englische Begriff Freak,
der auch in eingedeutschter Form verwendet wird, meint „etwas Außergewöhnliches“, „eine
Laune der Natur“, im spezifischeren Sinne auch „Missgeburt“ und „Monster“.107 Im heutigen
Sprachgebrauch ist die Bezeichnung nicht nur negativ konnotiert. In der Fankultur meint sie
etwa eine Person, die „in ihrem Wissen als auch in ihrem gesammelten Besitz [andere Fans]
um ein Vielfaches [übertrifft]“108, so zum Beispiel „Star Trek Freak“.
Gemeinsam ist allen Bezeichnungen, dass der körperbehinderte Mensch als außerhalb der
Norm liegend begriffen wurde und dass diese Normabweichung zumeist negativ konnotiert
war. Die Vielzahl der kaum eindeutig voneinander abgrenzbaren und teils synonym
verwendeten Termini demonstriert, wie schwer sich eine morphologische Veränderung der
Physiognomie – auch terminologisch – greifen ließ. Die Begriffsverwirrungen und
Bedeutungsverschiebungen in dem komplexen Diskursfeld über Monstrositäten verweisen
letztendlich auf die unterschiedlichen Wahrnehmungsmodi, die in Abhängigkeit von den
ethisch-religiösen und medizinischen Diskursen der Zeit den abweichenden Körper
definierten.
In der vorliegenden Arbeit werden die erläuterten Bezeichnungen als historische
Kategorien benutzt, die sich nicht ohne Bedeutungsverschiebung durch die wertneutralen
Bezeichnungen „Fehlbildung“ und „Körperbehinderte“ ersetzen lassen. Die Verwendung der
Begriffe „Monstrum“, „Monstra“ und „Missgeburt“ beziehungsweise „monströse Geburt“
folgt der frühneuzeitlichen Diktion; eine Diskriminierung ist damit nicht beabsichtigt.
2.2 Zur Deutungsgeschichte des „Monströsen“: Vorstellungen über die Entstehung
von „Missgeburten“ in der frühen Neuzeit
Angeborene Fehlbildungen haben nachweislich seit der Antike die Aufmerksamkeit der
Menschen erregt und zu verschiedenen Auffassungen über die Ursache und die Bedeutung
des fehlgebildeten Körpers geführt. So vermutete etwa der römische Gelehrte Cajus Plinius
Secundus (23-79 n. Chr.), der wie Cicero ein Anhänger der Prodigienlehre war, dass die
Monstra vom Rande der Welt stammten. Zu diesen Monstravölkern zählte er etwa die
Hundsköpfigen (Kynokephaloi) und die Schattenfüßler (Skiapoden), die er in seiner
enzyklopädischen Naturkunde Naturalis historia beschrieb.109 Die Vorstellung, dass
106
U. Zürcher: Monster oder Laune der Natur. S. 10.
M. Dederich: Körper, Kultur und Behinderung. S. 87.
108
A. Hepp: Cultural Studies und Medienanalyse. S. 233.
109
I. Ewinkel: De monstris. S. 1.
107
20
„monströse“ Geburten als apokalyptische Warnzeichen zu verstehen seien, blieb durch die
Wiederbelebung der antiken Prodigienlehre in der Renaissance bis weit in das 17. und 18.
Jahrhundert hinein erhalten110 und wurde nur langsam durch die „Naturalisierung des
missgebildeten Körpers“, also die Erklärung der so genannten Wunder durch natürliche
Ursachen, widerlegt. Dennoch blieben verschiedene als falsifiziert geltende Vorstellungen
über „Missgeburten“ im populären Diskurs virulent, wie die ausführliche Analyse der
Zeitungs- und Zeitschriftenannoncen in Kapitel 3 zeigen wird.
2.2.1 „Göttliche Zeichen“ und „Wunderwerck“ – Die Monstradeutung im 15. und
16. Jahrhundert
Im März des Jahres 1512 notierte der Florentiner Apotheker Luca Landucci in seinem
Tagebuch: „Wir hörten, dass in Ravenna ein Monstrum zur Welt gekommen war; […] es
hatte ein Horn auf dem Kopf, das war steil aufgerichtet wie ein Schwert, und statt Armen
hatte es zwei Flügel wie eine Fledermaus, und in der Höhe der Brust hatte es auf einer Seite
ein ƒio [ein Y-förmiges Zeichen] und auf der anderen ein Kreuz, und weiter unten an der
Gürtellinie zwei Schlangen, und es war ein Hermaphrodit, und am rechten Knie hatte es ein
Auge, und sein linker Fuß war wie eine Adlerkralle. Ich habe es auf einem Bild gesehen, und
jeder, der wollte, könnte dieses Bild in Florenz betrachten.“111 Achtzehn Tage nach der
Geburt des Monstrums wurde Ravenna von französischen Truppen okkupiert. Für Landucci
war es „offenkundig, welches Unheil das Monstrum […] angezeigt hatte“112. Er schrieb: „Es
scheint, als ob die Stadt, wo solche Wesen geboren werden, immer von einem großen
Unglück befallen wird […]“113. Seine Auffassung über die Bedeutung des Monstrums
spiegelt die im 16. Jahrhundert weit verbreitete Annahme wider, dass die Natur, insbesondere
aber außergewöhnliche Naturereignisse wie Himmelserscheinungen, Naturkatastrophen und
eben auch Monstra, gleichgültig ob es sich um real existierende „Missgeburten“ oder um
augenscheinliche Phantasiegestalten wie das vorgenannte Monstrum von Ravenna handelte,
eine von Gott intendierte Zeichenfunktion besäßen.114 Solche Zuschreibungen an Monstra
waren keineswegs neu. Bereits in der Antike glaubte man, in einer abweichenden
Physiognomie eine Warnung Gottes zu erkennen, und es war die Aufgabe einiger weniger
110
J. Kunze/ I. Nippert: Genetik und Kunst. S. 3.
Landucci, Luca: Diario fiorentino dal 1450 al 1516. Hrsg. v. I. Del Badia. Florenz 1883, S. 314, zit. n.
Daston, Lorraine/ Park, Katharine: Wunder und die Ordnung der Natur 1150-1750. S. 210.
112
Ebd.
113
Ebd.
114
I. Ewinkel: de monstris. S. 2f.
111
21
Gelehrter, diese Mahnzeichen zu deuten. Ähnlich moralisierende Auslegungen für das
Auftreten von Monstra lassen sich für das Mittelalter bezeugen. In ihrem Liber Scivias
(Wisse die Wege) schrieb Hildegard von Bingen (1098-1180): „Oft auch geschieht […] die
Begegnung von Mann und Frau in Gottvergessenheit und Teufelstrug, und es erfolgt eine
Mißgeburt.“115 Mit der Renaissance der lateinischen Kulturepoche im 16. Jahrhundert wurde
die antike Lehre von den Wunderzeichen, die so genannte Prodigienlehre, – und damit die
Deutung des fehlgebildeten Körpers als göttliches Zeichen – wiederbelebt116. Deutliches
Indiz für diese Entwicklung war die Entstehung der Wunderzeichensammlungen als „eine
der produktivsten und beliebtesten literarischen Gattungen des 16. Jahrhunderts“117 und die
Verbreitung von Einblattdrucken118, welche neben der Verkündung von außergewöhnlichen
Naturzeichen wie Kometen oder Überflutungen die Beschreibung und Auslegung von
monströsen Geburten zum Inhalt hatten119. Zu den bekanntesten Wunderzeichensammlern
der frühen Neuzeit zählten der Zwickauer Stadtarzt Jobus Fincelius (1556-1562)120, die
lutherischen Theologen Caspar Goltwurm (1557)121 und Christoph Irenäus (1584)122 und der
protestantische Humanist Conrad Wolfhardt, genannt Lycosthenes, (1557)123. Ihre
Sammlungen bildeten zusammen mit den Monstraflugblättern, den enzyklopädischen
Beschreibungen
der
entlegenen
Monstravölker
und
den
naturkundlichen
Monstrasystematiken Teil eines komplexen Diskursfeldes über die Deutung des
Monströsen.124
115
H. v. Bingen: Wisse die Wege, Scivias. S. 129.
I. Ewinkel: De monstris. S. 5.
117
W. Röcke: Die Zeichen göttlichen Zorns. S. 145.
118
Einblattdrucke sind einseitige Druckschriften zur Verbreitung besonderer Mitteilungen, die das politische,
kirchliche, soziale oder wissenschaftliche Tagesgeschehen betreffen. Sie enthielten meist eine Illustration in
Kupferstich oder Holzschnitt und eine dazugehörige Erläuterung. Die Herausgabe eines Blattes bedurfte der
behördlichen Genehmigung. Da es erst seit der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts reguläre Tageszeitungen gab,
bilden Flugblätter eine wichtige Geschichtsquelle für die Neuzeit. (Vgl. E. Holländer: Wunder, Wundergeburt
und Wundergestalt. S. 55-57./ Der große Brockhaus (1954), Bd. 4, S. 155.)
119
I. Ewinkel: De monstris. S. 7.
120
Fincelius, Jobus: Warhafftige beschreybung vnd gruendlich verzeichnuß schröcklicher Wunderzeichen vnd
Geschichten. 3 Teile. Nürnberg 1556-1562.
121
Goltwurm, Caspar Athesinus: Wunderwerck vnd Wunderzeichen Buch. Darinne alle fuernemste Goettliche/
Geistliche/ Himlische / Elementische/Irdische vnd Teuflische wunderwerck/ so sich in solchem allem von
anfang der Welt-schoepfung biss auff vnser jetzige zeit/zugetragen vnd begeben haben/Kuertzlich vnnd
ordentlich verfasset sein /…/“. Frankfurt/Main 1557.
122
Irenäus, Christoph: De monstris. Von seltzamen. Wundergeburten, Ursel 1584.
123
Lycosthenes, Conrad: Wunderwerck oder Gottes unergründtliches vorbilden/das er inn seinen Geschöpffen
allen/so Geystlichen, so leyblichen/in Fewr/Lufft/Wasser/Erden/auch auß den selben vier vrhaben/ineingfügtem
stuck dem Mentschen/in Gflügel/Vieh/Thier/Visch/Gwürm/von anbegin der weldt/biß zuo unserer diser
zeit/erscheynen/hören/brienen lassen… Auß Herrn Conrad Lycosthenis Latinisch zuosammen getragner
beschreybung/mit grossem fleiß/durch Johann Herold/vffs trewlichst inn vier Büchern gezogen vnnd
Verteutscht. Basel 1557.
124
W. Röcke: Die Zeichen göttlichen Zorns. S. 147.
116
22
Eine beachtliche Anzahl der Monstraflugblätter hat sich in der Wickina erhalten, einer
Sammlung von Druckschriften, Flugblättern, handschriftlichen Briefen und Notizen, die der
protestantische Geistliche Johann Jakob Wick zwischen 1560 und 1587 anlegte125. Eugen
Holländer (1921) und Albert Sonderegger (1929) waren die ersten Autoren, die die
Monstraflugblätter
der
Wickiana
unter
kulturwissenschaftlichen
Gesichtspunkten
auswerteten.126 In einem Großteil der von ihnen untersuchten Monstraflugblätter zeichnet
sich eine eschatologisch-theologische Auslegung der Missgeburten ab. Tatsächlich wurden
die so genannten Wundergeburten vorrangig von Autoren beschrieben, die der Reformation
sehr nahe standen und die in den Monstra meist „Zeichen für den Zorn Gottes und sein nahe
bevorstehendes Weltengericht“127 zu erkennen glaubten. So ist auf einem Flugblatt aus dem
Jahr 1560 über einen mutmaßlich fehlgebildeten Jungen aus „Hispania“ folgendes zu lesen:
„[D]as solch grausam wundersachen / zuletst ein iamer werden machen […] Mit solchen
zeichen warnt uns gott […]“128. In demselben Flugblatt heißt es etwas später: „Gen Rom dem
langen ward gegeben / Der jetz und ist ein Cardinal / Der solch wunderlichen fal / in seinem
hoff lang hat gehalten“129. In seiner Funktion als göttliches Warnzeichen verblieb der „Knabe
aus Hispania“ am Hof des besagten katholischen Geistlichen und figurierte dort
möglicherweise als ständiges Mahnmal. Denn bisweilen wurden „die ausserordentlichen
Erscheinungen, die Anzeichen und Wunder, die Kometen aller Art, wie auch ähnliche Lichtund Lufterscheinungen“ als „Gottes wunderbare […] gesandte väterliche Mahnung“
gedeutet, „Busse zu tun für das frühere Leben“130, wie aus einem auf Latein verfassten
Flugblatt aus dem Jahr 1543, das ein totgeborenes „Doppelkind“131 beschreibt, hervorgeht.
Doch welche göttliche Absicht sich hinter den „Wunderzeichen“ und insbesondere den
„Wundergeburten“ tatsächlich verbarg, „ist jm allein wissend“132, wie zahlreiche
Prodigienautoren schlossen. Wenn also die Reformatoren Martin Luther (1483-1546) und
125
A. Sonderegger: Missgeburten und Wundergestalten. S. 5f.
Vgl. Holländer, Eugen von: Wunder, Wundergeburt und Wundergestalt in Einblattdrucken des fünfzehnten
bis achtzehnten Jahrhunderts. Stuttgart: Ferdinand Enke, 1921./ Sonderegger, Albert: Missgeburten und
Wundergestalten in Einblattdrucken und Handzeichnungen des 16. Jahrhunderts. Aus der Wickiana der Zürcher
Zentralbibliothek. Medizinische Fakultät der Universität Zürich, Diss., 1927.
127
W. Röcke: Die Zeichen göttlichen Zorns. S. 145.
128
Flugblatt „Der Knabe aus Hispania“ (1560), In: Wickiana, Bd. I, S. 54. zit. n. A. Sonderegger: Missgeburten
und Wundergestalten. S. 12.
129
Flugblatt „Der Knabe aus Hispania“ (1560), In: Wickiana, Bd. I, S. 54., zit. n. A. Sonderegger: Missgeburten
und Wundergestalten. S. 13.
130
Kupferstich. In: Wickiana, Bd. 16, S. 146. Übersetzt n. A. Sonderegger: Missgeburten und Wundergestalten.
S. 31f.
131
A. Sonderegger: Missgeburten und Wundergestalten. S. 29.
132
Flugblatt aus dem Jahre 1563 aus B. 4, S. 417 der „Wickiana“, zitiert nach A. Sonderegger: Missgeburten
und Wundergestalten. S. 16.
126
23
Philipp Melanchthon (1497-1560) das „Mönchskalb“, eine auffällige Kalbsmissgeburt, und
den „Papstesel zu Rom“ als ein Zeichen für Gottes Missbilligung „der geystlichenn
missethatt“133 des Mönchstums und des Papstes deuteten, so lässt sich hier die
Instrumentalisierung der Monstra vor allem in konfessionspolitischer Hinsicht feststellen.
Darüber hinaus wurde ein „Verweiszusammenhang von Wunderzeichen und historischem
Ereignis“ hergestellt und die Funktion des Monstrums somit vereindeutigt und
konkretisiert134. Ferner finden sich Beispiele für eine moralisierende Auslegung der Monstra,
die vermutlich der sexuellen Disziplinierung der neuzeitlichen Gesellschaft dienen sollte.
Auf einer Federzeichnung aus der Wickiana heißt es über eine Missgeburt: „Zwei Eheleute,
die im heiligen Stand der Ehe gar übel gelebt und diss hat jenen Gott zur Strafe und Warnung
ein sölich erschröcklich Anblick gäben, wie diese Figur zu verstan gibt.“135
Das Auftreten von „Missgeburten“ wurde aber auch mit dem Teufel „als Verursacher
aller Unordnung auf der Welt“136 in Zusammenhang gebracht. Die abweichende
Physiognomie der Monstra und die entsetzliche Erscheinung des Teufels, die in der
Vorstellung der Menschen ebenfalls von der anthropomorphen Gestalt abwich, legten die
Verwandtschaft zwischen beiden nahe137. Diese erklärten die Gelehrten zumeist mit der
These von den so genannten „Wechselbälgen“, die „so die Hexen mit dem Teuffel sollen
gezeuget, und hernach an anderer von ihnen gestohlener junger Kinder Stelle den
unglücklichen Eltern eingeschoben“138 worden sein. Da sie nicht als beseeltes menschliches
Lebewesen wahrgenommen wurden, war es legitim, eine solche Teufelsgeburt zu töten139. So
hatte etwa Luther dem „Fürsten von Anhalt geraten […], man solle den Wechselbalg […]
ersäufen“, da „solche Wechselkinder nur ein Stück Fleisch, eine massa carnis sein, da keine
Seele innen ist“140. Die Einschätzung des fehlgebildeten Menschen als eine bloße fleischliche
133
Luther, Martin: Deutung des Munchkalbs zu Freyberg. In: Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe
(WA). Werke und Schriften. 80 Bde. Band 11. Weimar 1883-2000. S. 380. zit. n. Werner Röcke: Zeitenwende
und apokalyptische Ängste in der Literatur des Spätmittelalters. S. 24.
134
W. Röcke: Zeitenwende und apokalyptische Ängste in der Literatur des Spätmittelalters. S. 24f.
135
Federzeichnung. In: Wickiana, Bd. 18, S. 3. zit. n. A. Sonderegger: Missgeburten und Wundergestalten. S.
78.
136
I. Ewinkel: De monstris. S. 185.
137
Ebd.
138
Artikel: „Wechselbälge“. In: Zedlers Universal-Lexikon, Bd. 53. Sp. 1078.
139
Auch die Wickiana enthält ein Flugblatt, das die Tötung einer solchen „Teufelsmissgeburt“ schildert:
Nachdem das Wesen, das „zur Stund ganz rauch von Haar und sehr schröcklich anzuschauen“, unter das Bett
der Entbundenen gelaufen war, hat „man […] es zwischen den Betthen erwürgt.“ zit. n. A. Sonderegger:
Missgeburten und Wundergestalten. S. 93.
140
Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (WA). Tischreden. 6 Bde. Band 5. Weimar 1912-1921. S.
8, Nr. 5207, zit. n. Gisela Wahl. S. 40.
24
Masse provozierte zwangsläufig die theologisch-moralische Frage, ob die Missgeburten der
Taufe für würdig zu erachten seien141.
2.2.2 Die Tauffrage
Die protestantischen Theologen der frühen Neuzeit gestanden Kindern mit körperlichen
Fehlbildungen im Allgemeinen die Taufe zu, da das Mindestmaß an Kriterien, die zur Taufe
berechtigten, als erfüllt galt.142 Demnach mussten Kinder vollständig geboren143, lebend und
noch nicht getauft sein144. Zwar blieb die Frage nach der Beseelung eines Monstrums damit
unbeantwortet, doch im Zweifelsfall schienen sich die Theologen in Anbetracht der hohen
Sterblichkeitsrate der Monstra, die ein schnelles Handeln erforderte, für die Taufe zu
entscheiden145, wie auch verschiedentlich in den Monstraflugblättern der Wickiana belegt ist.
Über die Geburt einer Doppelfehlbildung resümierte ein Autor: „Als aber dises Wunderkind
in diese welt geboren wurde/hat der ein Kopff das leben gehept/der andere aber schon tod
gewesen/welches
kind
auch
zu
der
heiligen
empfangen/überal aber nur uff zwey stund gelebt.“
tauffe
gebracht/und
denselbigen
146
Maßgebend für die Theologen war augenscheinlich der Grad der Abweichung von der
normalen menschlichen Physis. Wies ein Monstrum vornehmlich menschliche Züge auf, so
galt es als „gleich einem Menschen beseeltes und somit tauffähiges Lebewesen“147, wich es
stark von der menschlichen Physiognomie ab, gab eine durch eschatologische Ängste
infiltrierte Obrigkeit bisweilen der Tötung des Kindes statt. Ein Flugblatt aus dem Jahr 1586
schilderte den Fall der Margaretha Aeckelin, die „ein seltsam und erschröckliche
Wundergeburt an diese wällt bracht, nemlich ein greuwlich tier“, das „zuletzt für den wysen
und Ersamen Rhat zu Passau getragen. Und erkannt der Rhat, dieses thier zu thöden, es kundt
niemand wüssen, was dies für ein Creatur were […]“148.
141
I. Ewinkel: De monstris. S. 208.
Ebd.
143
Paul Schoen führt in seinen Anmerkungen aus, dass die Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts
„ausdrücklich [die] ganze Geburt des Kindes“ fordern und „die Vollziehung der Taufe an einzelnen aus dem
Mutterleibe herausgekommenen Teilen“ verbieten (Vgl. P. Schoen: Das evangelische Kirchenrecht in Preußen.
S. 345.)
144
P. Schoen: Das evangelische Kirchenrecht in Preußen. S. 345.
145
I. Ewinkel: De monstris. S. 209.
146
Flugblatt. In: Wickiana, Bd. 6, S. 163. zit. n. A. Sonderegger: Missgeburten und Wundergestalten. S. 17f.
147
I. Ewinkel: De monstris. S. 215.
148
Aquarellierte Federzeichnung aus Band 25, S. 9 der „Wickiana“; zitiert nach A. Sonderegger: Missgeburten
und Wundergestalten. S. 90f.
142
25
Letztlich entschied das Vorhandensein zweier Organe, ob eine Missgeburt als Monstrum
oder als Mensch anzusehen sei: das Herz und das Gehirn149. Diese Annahme hielt sich
nachweislich bis ins 18. Jahrhundert, heißt es doch in Zedlers Universal-Lexikon in Bezug
auf Doppelfehlbildungen: „Ob nun eine solche gedoppelte Mißgeburt vor eine oder zwey
Personen zu achten, wird daher entschieden, wenn die zu einen Menschen wesentlich
erfoderten [sic] Theile, als nemlich der Kopff und das Hertz, doppelt vorhanden.“150
Handelte es sich jedoch um „wahrhafftige Monstra“ 151, die also stark von der menschlichen
Gestalt abwichen oder Ähnlichkeiten mit Tieren aufwiesen, etwa „einen Hundes- oder
Schweins-Kopff“152, so wurden diese Wesen „mit Vorbewußt und Genehmhaltung der
Obrigkeit, oder auch nach vorher eingeholter Rechtlicher Erkänntniß, todt gemacht […], es
wäre denn, daß dieselben noch einige Anzeige der Vernunfft von sich gäben.“153 Hier zeigt
sich die Verschränkung von theologischem und juristischem Diskurs bei der Klärung der
Tauffrage.
2.2.3 Der juristische Diskurs
Noch im 18. Jahrhundert wurden vielfach „Misgeburten, Zwerge, Krippel, Stumme,
Lahme, Blinde, Taube und ungestalte Personen von der Erbfolge, Lehenfolge und
Landesfolge“ ausgeschlossen, weil sie den damit verbundenen Aufgaben und Pflichten nicht
gerecht werden könnten.154155 Aus einem entsprechenden Gesetzestext aus dem Jahr 1802
geht hervor, dass „etwas, das keinen menschlichen Körper hat, [also] eine Mißgeburt, […]
die Rechte der Menschen, z.e. das Erbrecht, nicht“ besitzt156. Was jedoch per definitionem als
Missgeburt zu gelten hatte und ab welchem Grad der morphologischen Abweichung ein
Körper als nicht mehr menschlich anzusehen war, war von Seiten der Jurisprudenz nicht
verbindlich festgelegt worden und so oblag diese Aufgabe im Zweifelsfall einer
medizinischen Autorität wie Hebammen und später auch studierten Ärzten157. Doch gerade
149
I. Ewinkel: De monstris. S. 219.
Artikel „Mißgeburt“. In: Zedlers Universal-Lexikon. Bd. 21. Sp. 486.
151
Ebd. Sp. 490.
152
Ebd. Sp. 486.
153
Ebd. Sp. 490.
154
F.C.J. Fischer: Lehrbegrif sämtlicher Kameral- und Polizeyrechte. S. 7.
155
Unter dem Stichwort „Zwerg“ heißt es in Zedlers Universal-Lexikon dazu: „Die Zwerge werden in dem
Sächsischen Land-Rechte Lib. I, art. 4. mit denen Kröpeln, Stummen, Blinden, Gebrechlichen, u.s.w. in eine
Classe gesetzt, und zwar vor Erbes- aber nicht vor Lehnsfähig erkläret.“ (Vgl. Artikel „Zwerg“. In: Zedlers
Universal-Lexikon. Bd. 64. Sp. 1120).
156
Repertorium des gesammten positiven Rechts der Deutschen. Besonders für practische Rechtsgelehrte. Teil
10. Leipzig 1802. S. 205. zit. n. M .Lorenz: Von Normen, Formen und Gefühlen. S. 23.
157
M. Lorenz: Von Normen, Formen und Gefühlen. S. 23
150
26
die Schilderungen der Hebammen, die diese über jede vollzogene Geburt geben mussten,
lieferten
kaum
adäquate
Beschreibungen
über
die
Abnormitäten,
da
sich
die
Geburtshelferinnen „mangels notwendiger sprachlicher Gewandtheit“ oft bildlicher
Vergleiche aus dem Tierreich bedienten.158 Diese tierisch-monströsen Mischwesen
provozierten den „Horror angesichts [der] an alte Mythen erinnernde[n] Formen“159 und
entluden sich in Verdachtsäußerungen wie Sodomie. Einen Erkenntnisgewinn über die
Ätiologie der Monstra erhoffte man sich daher durch die Sektion, die sich seit Vesal (15141564) als erkenntnisförderndes Teilgebiet der Anatomie etabliert hatte.160 Doch vielfach
beklagten Naturforscher die Verweigerung der Eltern, ihre fehlgebildeten Kinder zur
Obduktion freizugeben, da diese ein bekannt werden der Missgeburt zu verhindern
suchten161. Ein Flugblatt der Wickiana beschreibt den Fall einer „erlichen wybspersonen“,
die im Jahr 1580 „ein erschröckenlich monstrum“ gebar „und hett man es umb minders
geschreys willen hinweg gethen und in gheim ghelten.“162 Dass betroffene Eltern die Geburt
eines fehlgebildeten Kindes verheimlichen wollten, lag nicht zuletzt an der empfundenen
Beschämung (auch für das vermeintliche eigene Fehlverhalten) und der Befürchtung, sich
den Schuldzuweisungen und Verdachtsäußerungen der Bevölkerung aussetzen zu müssen.
Vor allem im Zusammenhang mit der Imaginationslehre, also der Theorie von der
Einbildungskraft
(Imagination)
der
Schwangeren,
wurden
Vorwürfe
wie
„Geschlechtsverkehr während der Menstruation, […] sodomitische[ ] Ausschweifung der
Frau oder […] Beischlaf mit dem Teufel und seinen Dämonen“163 geäußert.
Bisweilen führte die Verweigerung der Sektion zur Erlassung entsprechender Gesetze,
die zur „sofortigen Ablieferung deformierter Geburten bei Strafandrohung“ verpflichteten, so
etwa um 1770 in Preußen.164 Allerdings weist Maren Lorenz darauf hin, dass die
andauernden Beschwerden von Seiten der Mediziner und die wiederholten Erlässe andeuten,
dass solche Maßnahmen kaum fruchteten.165 In seinem Obduktionsbericht äußerte ein
Chirurg, der im Jahre 1796 der Geburt einer Doppelfehlbildung beiwohnte, sein Bedauern
über den Widerstand des betroffenen Vaters: „Ich wünschte das Kind zum Andenken
aufbewahren zu können, der Vater wollte es mir aber um keinen Preiß überlassen; und nur
158
C. Riedl-Dorn: Wissenschaft und Fabelwesen. S. 112.
M. Lorenz: Von Normen, Formen und Gefühlen. S. 23
160
G. H. Schumacher: Monster und Dämonen. S. 129.
161
M. Lorenz: Von Normen, Formen und Gefühlen. S. 24.
162
Flugblatt. In: Wickiana. Bd. 19, S. 16. zit. n. A. Sonderegger: Missgeburten und Wundergestalten. S. 63f.
163
M. Lorenz: Von Normen, Formen und Gefühlen. S. 20.
164
Ebd. S. 24.
165
Ebd.
159
27
durch dringendes Zureden des Geistlichen [!] wurde uns die Section, erst ungefähr eine
Stunde vor der Beerdigung des Kindes vergönnt. […] Wie manches blieb uns noch zu
untersuchen übrig! […]“166.
Wenngleich von theologischer und juristischer Seite Zweifel an der Beseelung der
Monstra bekundet wurde, signalisieren die Ablehnung der Sektion167 und die Insistierung der
Eltern auf ein ordentliches Begräbnis ihrer fehlgebildeten Kinder, dass Angehörige in den
„monströsen“
Geburten
durchaus
beseelte
Wesen
sahen,
die
einer
christlichen
beziehungsweise jüdischen Bestattung würdig waren und die folglich auch die Taufe
empfangen durften.168
2.2.4 „Missgeburten“ als „lusus naturae“ – Zur Ästhetisierung des Monströsen
Gemäß der neuzeitlichen Signaturenlehre galten die Natur und insbesondere die
außergewöhnlichen Naturphänomene als Träger göttlicher Zeichen. Doch wie diese Zeichen
Gottes zu lesen waren, darüber war man unterschiedlicher Ansicht. Neben der mythologischmantischen Deutung der Monstra als Prodigien, die, wie das Monstrum von Ravenna, als
Mahnung oder Drohung Gottes, also als Zeichen drohenden Unheils, gedeutet wurden,
existierten gleichermaßen naturalistische Erklärungsversuche, die die Mannigfaltigkeit der
anthropomorphen Gestalt als Spiel der Natur (lusus naturae) interpretierten.169 Bereits die
Antike kannte die Vorstellung vom „lusus naturae“.170 Der griechische Gelehrte Plinius
verstand physiognomische Auffälligkeiten nicht als Abirrungen vom Telos der Natur,
sondern sah in ihnen die Verkörperung der unbegrenzten Gestaltungsmöglichkeiten
derselben, worin er sich apodiktisch von Aristoteles (384-322 v. Chr.) unterschied.171 Plinius
war der Ansicht, dass die Natur keinen einheitlichen Plan verfolgte oder aber dass es dem
Menschen an kognitiven Fähigkeiten fehlte, um diesen Plan zu begreifen.172 Das
Fremdartige, so Plinius, lag nicht in der Natur selbst, sondern vielmehr im Betrachter, der
das, was von dem Gewohnten abweicht, als sonderbar empfindet.173 Ganz ähnlich
166
Osiander, Friedrich Benjamin: Neue Denkwürdigkeiten für Ärzte und Geburtshelfer. Band 1. Göttingen
1797. 1. Bogenzahl, IX. zit. n. M. Lorenz: Von Normen, Formen und Gefühlen. S. 25.
167
Auf einem Monstraflugblatt der Wickinana wurde eine „Wundergeburt“ beschrieben, die nach vier Stunden
verstarb. Der herbeigerufene Arzt wollte das Kind daraufhin sezieren, die Eltern gestatten es jedoch nicht. (Vgl.
Flugblatt. In: Wickiana. Bd. 20, S. 176. zit. n. A. Sonderegger: Missgeburten und Wundergestalten. S. 65.)
168
M. Lorenz: Von Normen, Formen und Gefühlen. S. 30.
169
M. Hagner: Monstrositäten haben eine Geschichte. S. 12.
170
M. Hagner: Monstrositäten in gelehrten Räumen. S. 14.
171
M. Hagner: Monstrositäten haben eine Geschichte. S. 12.
172
Ebd. S. 12.
173
J. N. Neumann: Der mißgebildete Mensch. S. 38.
28
argumentierte im 16. Jahrhundert Michel de Montaigne in seinem Essay Über ein
mißgeborenes Kind: „Ce que nous appellons monstres, ne le sont pas à Dieu, qui voit en
l’immensité de son ouvrage, l’infinité des formes, qu’il y a comprinses. […] De sa toute
sagesse, il ne part rien que bon, et commun, et reglé: mais nous n’en voyons pas
l’assortiment et la relation. […] . Nous appellons contre nature, ce qui advient contre la
coustume. Rien n'est que selon elle, quel qu'il soit. Que cette raison universelle et naturelle,
chasse de nous l'erreur et l'estonnement que la nouvelleté nous apporte.“174 Montaigne zog
die aristotelische These von der naturwidrigen Irregularität der Fehlbildungen in Zweifel und
konstatierte stattdessen, dass sich die „wohlgeordnete“ Schöpfung Gottes auch in einem
„mißgeborenen Kind“ manifestiere, selbst wenn der Mensch dies nicht zu erkennen
vermag.175 Auch der deutsche Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) wies in
seiner Theodizee auf die Regelhaftigkeit der Monstrositäten hin und postulierte, dass „die
Missgeburten zur Ordnung gehören“ und „in den Regeln eingeschlossen“ sind, „wenn wir
auch nicht im Stande sind, diese Uebereinstimmung klar darzulegen“.176
Bis weit in das 17. Jahrhundert hinein hielt sich die Vorstellung von den lusus naturae als
Manifestationen von Gottes unermesslicher Schöpfungskraft, die unter den Menschen
Verwunderung und Bewunderung für das Werk Gottes auslösen sollten. Sebastian Münster
schrieb in seiner Weltchronik Cosmographei (1628) über die in Indien beheimateten
monströsen Erdrandbewohner, dass Gott mit „veil [sic] der gleichen monstra oder wunder
[…] in dem land India […] sein onaußsprechlich weysheit und mechtigkeit wollen den
mensche durch mancherley werck vor augen stellen und in einem jedem land etwas machen
darab sich die ynwoner der ander lender verwunderten […]“177. Stellte die aristotelische
Auffassung, es handle sich bei Monstren um „Fehler“ der Natur und um eine
174
M. de Montaigne: Chapitre XXX: D’un enfant monstrueux. In: Les Essais. Livre II. S. 749.
In der Gesamtübersetzung von Hans Stilett heißt es: „Was wir Mißgeburten nennen, sind für Gott keine, da er
in der Unermeßlichkeit seiner Schöpfung all die zahllosen Formen sieht, die er darin aufgenommen hat. […]
Gott läßt in seiner grenzenlosen Weisheit nichts entstehn, was nicht gut, wohlgeordnet und allgemeingültig
wäre – wir können nur die innren Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten nicht erkennen. […] Was wider die
Gewohnheit geschieht, nennen wir wider die Natur. Doch es gibt nichts, überhaupt nichts, was nicht gemäß der
Natur geschähe. Laßt uns an Hand ihrer universalen Vernunft die abwegige Verblüffung abschütteln, die uns
bei ungewohnten Erscheinungen jedesmal überkommt!“ (Vgl. Michel de Montaigne: „Über ein mißgeborenes
Kind“, in: ders.: Essais, 2. Buch. Erste moderne Gesamtübersetzung von Hans Stilett, München 1998, S. 352).
175
U. Helduser: Poetische „Missgeburten“ und die Ästhetik des Monströsen. S. 674.
176
Leibniz, Gottfried Wilhelm: Die Theodizee von der Güte Gottes, der Freiheit des Menschen und dem
Ursprung des Übels, 3. Teil, Philosophische Schriften. Bd. 2.2. Frankfurt/Main 1986, S. 3. zit. n. Hagner,
Michael: Vom Naturalienkabinett zur Embryologie. S. 83.
177
S. Münster: Cosmographei. Das fünffte Buch. Von den lendern Asie.
Unter dem Kapitel „Causes des Monstres“ führt auch Ambroise Paré die Bewunderung für Gottes Schöpfung
als eine der Ursachen für das Vorkommen von Monstra an: „Les causes des monstres sont plusieurs. La
première est la gloire de Dieu.“ (Ambroise Paré: Des Monstres et prodiges. S. 4).
29
„Unregelmäßigkeit […] in der Ordnung der Wesen“178, den Schöpfungsplan Gottes in Frage,
so bezeugte die Auslegung der Monstra als „Spiel der Natur“ indes Gottes Allmacht. Ferner
wurde mit der Ästhetisierung des Monströsen im 17. Jahrhundert die Aufstellung von
Missgeburten im Kuriositätenkabinett legitimiert.
Wenngleich die wenigen Hinweise in Chroniken und Tagebüchern kaum Aufschluss
darüber geben, wie der neuzeitliche Betrachter auf die öffentliche Vorführung von Monstra
reagierte, so legen die Augenzeugenberichte, die Daston und Park zusammengetragen haben,
doch nahe, dass die Zuschauer „je nach Begleitumständen Vergnügen oder Grauen“
empfinden konnten.179 Unter diesen „Begleitumständen“ verstehen die Autorinnen „die
vielfältigen und schwankenden Bedeutungen“, die den Monstren in Abhängigkeit von den
religiösen beziehungsweise politischen Geschehnissen der Zeit zugeschrieben wurden.180
Kam es zu „Kriegen, Aufständen oder Religionskämpfen“ oder wies ein Monstrum eine
besonders augenfällige Anomalie auf, für die sich keine natürliche Erklärung finden ließ, so
wurden die Monstren meist als göttliche Unheilszeichen gedeutet.181 Wichen sie indes in
ihrer Physiognomie kaum „vom Natürlichen und Erwartbaren […] ab“, so waren sie
„zumindest potentiell Quellen des Vergnügens“; sie evozierten nun mehr „Staunen im
Übergang zur angenehmen, unterhaltsamen Überraschung.“182 So demonstriert ihr
Vorkommen in zeitgenössischen fürstlichen und gelehrten Sammlungen, dass Monstren
durchaus „Gegenstände ästhetischer Wertschätzung“ waren.183 Auch ihre Zurschaustellung
auf Wochen- und Jahrmärkten diente wohl primär „der Bildung und des Vergnügens“184.
Einige glaubensstarke Bürger befürchteten jedoch, dass die Monstra als unterhaltsame
Schauobjekte ihre Wirksamkeit als unheilvolle Omina einbüßten.185 So argwöhnte etwa der
französische Schriftsteller und Übersetzer von Münsters Cosmographei, François de
178
U. Helduser: Poetische „Missgeburten“ und die Ästhetik des Monströsen. S. 674.
So definierte die französische Encyclopédie Monstra als Wesen gegen die Ordnung der Natur. (Vgl. Artikel
„Monstre“. In: Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers. Bd. 10. Neuchatel
1765. S. 671.)
179
L. Daston/ K. Park: Wunder und die Ordnung der Natur 1150-1750. S. 225.
Der Londoner Staatssekretär und Chronist Samuel Pepys beschrieb in seinem Tagebucheintrag vom 21.
Dezember 1668 seine Begegnung mit einer bärtigen Frau, deren Anblick ihm augenscheinlich großes
Vergnügen bereitete: „Went into Holborne, and there saw the woman that is to be seen with a beard. She is a
little plain woman, a Dane; her name, Ursula Dyan; about forty years old; her voice like a little girl's; with a
beard as much as any man I ever saw, black almost and grizly […] It was a strange sight to me, I confess, and
what pleased me mightily.” (Vgl. S. Pepys: The Diary of Samuel Pepys. S. 2209).
180
L. Daston/ K. Park: Wunder und die Ordnung der Natur 1150-1750. S. 226.
181
Ebd. S. 226f.
182
Ebd. S. 228.
183
Ebd.
184
Ebd. S. 229.
185
Ebd. S. 228f.
30
Belleforest (1530-1583), in seinem Werk Histoires prodigieuses, dass die primäre Bedeutung
des Wortes „monströs“ im Sinne von „Unheil verkündend“ verloren ginge, würde es als
Bezeichnung für alles Seltene verwendet werden.186 Im Hinblick auf die etymologische
Entwicklung des Adjektivs im späten 19. Jahrhundert mutet seine Befürchtung fast visionär
an.
Im Verlauf des 17. Jahrhunderts mehrten sich jedoch kritische Stimmen, die die
körperlichen Fehlbildungen weder als Gegenstände des Vergnügens noch des Grauens
verstanden wissen wollten. Ganz im Sinne der aristotelischen Tradition bewerteten diese
Autoren, darunter Medizintheoretiker, Naturphilosophen und Theologen, Monstren als
„Verirrungen der Natur“.187 Das Monströse wurde nunmehr als ein Verstoß gegen die
harmonische Ordnung Gottes und das Prinzip der concinnitas begriffen, demzufolge sich die
Geschöpfe durch Funktionalität und Ebenmäßigkeit auszeichnen.188
Die Frage, ob Missgeburten als „Monster oder Laune der Natur“ auszulegen seien und ob
„Vergnügen oder Grauen“ die angemessenen Empfindungen waren, mit denen den
fehlgebildeten Menschen zu begegnen seien, sollte in der Neuzeit ungeklärt bleiben und
wurde durch die naturphilosophische These, Monstra seien „Verirrungen der Natur“189
zusätzlich verkompliziert.
2.2.5 Das „Versehen“ der Frauen
Neben den apokalyptisch-theologischen Deutungen der „Missgeburten“ bestand seit der
Antike190 eine zweite ätiologische Theorie über deren Vorkommen. So erklärte man eine
körperliche Fehlbildung „nach der gemeinesten Meynung mehrentheils von der falschen
Einbildung der Mutter, welche dem zarten Leibe gantz widrige Gestalten und Bildnisse […]
eindrückte.“191 Da die Einbildungskraft oder „Imagination“ durch das Auge angeregt wurde,
welches die visuellen Reize der Umgebung aufnahm, die in der Folge zu einer heftigen
Gemütserregung der Mutter führten, sprach man von „Versehen“
192
. Demzufolge konnte
beispielsweise die allzu intensive Betrachtung eines Heiligenbildes zur körperlichen
186
Belleforest, François de: Histoires prodigieuses. Bd. 3, S. 698, zit. n. Daston, Lorraine/ Park, Katherine:
Wunder und die Ordnung der Natur 1150-1750. S. 229.
187
L. Daston/ K. Park: Wunder und die Ordnung der Natur 1150-1750. S. 237f.
188
U. Helduser: Poetische „Missgeburten“ und die Ästhetik des Monströsen. S. 675.
189
Vgl. dazu Kapitel 3.1.1.
190
Erna Lesky konstatiert in ihrer Arbeit über die antiken Zeugungs- und Vererbungslehren, dass das Versehen
zum ersten Mal literarisch für Empedokles (490-430 v. Chr.) bezeugt sei. (Vgl. E. Lesky: Die Zeugungs- und
Vererbungslehren der Antike und ihre Nachwirkungen. S. 103).
191
Artikel „Mißgeburt“. In: Zedlers Universal-Lexikon. Bd. 21 (Mi-Mt). S. 487.
192
I. Ewinkel: De monstris. S. 158.
31
Fehlbildung des ungeborenen Kindes führen. Der Pariser Chirurg und königliche Leibarzt
Ambroise Paré (1510-1590) beschreibt in seinem Werk Des Monstres et prodiges den Fall
eines stark behaarten Mädchens, dessen Mutter während der Empfängnis das Portrait des mit
Fell bekleideten Heiligen Johannes, das am Fußende ihres Bettes hing, eingehend betrachtete
haben soll.193 Auch körperliche Fehlbildungen, die der tierischen Physiognomie ähnelten,
erklärten Gelehrte mit dem Versehen an dem infrage kommenden Tier. Eine Lippenspalte
wurde auf die „stete[ ] Einbildung, genauer Betrachtung eines Hasen-Mauls“ zurückgeführt
und folglich als „Hasenscharte“ bezeichnet194 und die widrige Rothaarigkeit der Kinder
begründete man mit dem Versehen der Schwangeren an einem Eichhörnchen oder an einer
rothaarigen Nachbarin195. Erschrak sich die werdende Mutter etwa an einer Maus, konnte
dies die Stigmatisierung des Kindes durch einen so genannten Mäusefleck zur Folge haben.
Auf Grund der zahlreichen teratogenen Wirkungen196, die dem Versehen zugeschrieben
wurden, waren die schwangeren Frauen dazu angehalten, sich keinen Eindrücken
auszusetzen, welche die Phantasie anregen könnten.197 So warnte der Schweizer Stadtarzt
Fabrizius Hildanus (1560-1634) vor den verheerenden Auswirkungen des Betrachtens von
Schlachtungen198 und der Theologe Christoph Irenäus (1522-1595) rief in seinem Werk De
monstris dazu auf, die Zurschaustellung von Missgeburten zu beschränken199. Die Angst vor
dem Versehen gereichte zudem als Begründung, um das Bettlerwesen, das man im 16.
Jahrhundert ohnehin stark zu begrenzen suchte, einzuschränken.200 Einen entsprechenden
Erlass verabschiedete 1622 der Rat der Reichsstadt Hall: „Der kropfend Bettelvogt soll
seines Unfleißes, absonderlich aber des abscheulichen Kropfes, der kindenden Weiber
wegen, abgeschafft werden.“201 Noch 1708 verbot der Rat der Stadt Nürnberg „der
193
„Damascene, autheur grave, atteste avoir veu une fille velue comme un Ours, laquelle la mere avoit
enfantee ainsi difforme et hideuse pour avoir trop ententivement regardé la figure d’ un sainct Jean, vestu de
peau avec son poil, laquelle estoit attachee aux pieds de son lit, pendant qu’elle concevoit.” (Vgl. A. Paré: Des
Monsters et prodiges. Chap. IX, S. 35). Goltwurm schildert in seinem „Wunderwerck vnd Wunderzeichen
Buch“ den ganz ähnlichen Fall eines übermäßig behaarten Mädchens, das dem böhmischen König Karl
präsentiert worden sei. Die Mutter des Mädchens, welches „gantz härig unnd rauch gewest wie ein wildes
Thier“, habe „in der Conceptio […] inbrünstiglich an den heiligen Johannem den Täuffer“ gedacht „wie er inn
der Wüsten mit Camels haren […] bekleidet gewest were.“ (S. 229b).
194
Matthäus Purrmann: Grosser und gantz Neu-gewundener Lorbeer-Krantz oder Wund-Artzney. Frankfurt/
Leipzig 1722 (1. Aufl. Halberstadt 1684), S. 223. zit. n. Wahl, Gisela: Entstehung von Missgeburten. S.55f.
195
Artikel „Schwangerschaft“ In: Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens. Bd. 7. Sp. 1422.
196
Vgl. dazu auch Artikel „Schwangerschaft“. In: Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens. Bd. 7. Sp.
1418-1424.
197
I. Ewinkel: De monstris. S. 160f.
198
E. Fischer-Homberger: Krankheit Frau. Darmstadt/Neuwied 1984. S. 26f.
199
Irenäus, Christoph: De monstris. Von seltzamen. Wundergeburten, Ursel 1584. Kap. 5, zit. n. I. Ewinkel: De
monstris. S. 161.
200
I. Ewinkel: De monstris. S. 161.
201
Artikel Schwangerschaft. In Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens. Bd. 7. Sp. 1422.
32
schwangeren Frauen halber“ das Auftreten von fehlgebildeten oder verstümmelten Personen
auf den Märkten202. Irene Ewinkel zufolge forcierte die Imaginationslehre somit „die
gesellschaftliche Ausgrenzung und Internierung Mißgestalteter“203 in der neuzeitlichen
Gesellschaft. Darüber hinaus wurden die Frauen für die körperlichen Fehlbildungen ihrer
Kinder verantwortlich gemacht und ob ihrer scheinbaren Schreckempfindlichkeit und der
daraus
resultierenden
eingeschränkt
204
Schutzbedürftigkeit
in
ihren
Handlungsmöglichkeiten
stark
, was nicht ohne Konsequenzen für das Frauenbild in der neuzeitlichen
Gesellschaft blieb205. Zur Vermeidung des Versehens empfahlen Mediziner und Theologen
die Disziplinierung der weiblichen Einbildungskraft durch innerhäusliche Tätigkeiten,
Beschränkung der sozialen Kontakte und schließlich auch die Unterdrückung unkeuscher
Gedanken206. Hier erwies sich die Imaginationslehre als nützliches Vehikel im
protestantischen Bestreben um die „Domestizierung“207 der Frau. Gleichwohl gestattete die
Theorie vom Versehen den Frauen, die Fehlbildung ihrer Kinder auf äußere Ursachen
zurückzuführen und so ein selbstverschuldetes Fehlverhalten von sich zu weisen208.
Noch Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Imaginationslehre als Erklärung für
phänotypische Abweichungen von der normalen Physiognomie herangezogen209, obwohl
bereits im 16. Jahrhundert Autoren wie Fortunius Licetus (1577–1656) die teratogene
Wirkung des Versehens bezweifelten. Wenngleich Licetus das Versehen grundsätzlich als
Ursache für menschliche Fehlbildungen in Betracht zog, so schränkte der Mediziner doch
ein, dass insbesondere „die Stummelbildungen gewiß nicht durch die Kraft des Versehens
entstanden sein könnten, da eine noch so heftige Phantasie nicht die Kraft haben könne,
etwas einmal Geschaffenes zu zerstören“210. Der französische Arzt James Blondel (16661734) nahm schließlich mit seiner Abhandlung Dissertation physique sur la force de
l'imagination des femmes enceintes sur le fetus211 (1727) eine Vorreiterrolle im Kampf gegen
die Versehenslehre ein. Hundert Jahre später sprach sich noch einmal der Kasseler Anatom
Samuel Thomas Soemmering (1775-1830) gegen die Möglichkeit des Versehens aus. In
202
G. Wahl: von Missgeburten. S.47.
I. Ewinkel: De monstris. S. 161.
204
Ebd. 169.
205
Ebd. S. 184f.
206
Ebd.
207
Ebd. S. 184.
208
G. Wahl: Entstehung von Missgeburten. S.49.
209
So erklärte der „Löwenmensch Lionel“ seine Überbehaarung mit dem Schock, den seine Mutter während
ihrer Schwangerschaft erlitt, nachdem sie gesehen hatte, wie ihr Mann von einem Löwen getötet wurde. (Vgl. F.
Kahn: Das Versehen der Schwangeren in Volksglaube und Dichtung. S. 34).
210
Licetus, Fortunius: De monstrorum natura, causis et differentiis. Padua 1634 [Padua 1616]. S. 74.
Übersetzung nach G. Wahl: Entstehung von Missgeburten. S.58.
211
Deutscher Titel: Blondel, James: Über die Einbildungskraft der schwangeren Weiber.
203
33
seinen Abbildungen und Beschreibungen einiger Misgeburten äußerte er sich polemisch über
das Versehen als teratogene Ursache für die Lippenspalte: „Ist es wohl gar keine Frage, daß
es Hasenscharten und alle übrige Misgeburten in Ländern giebt, wo sich keine Hasen [...]
befinden, an denen sich denn doch die Mütter gewöhnlich versehen haben sollen.“212
2.2.6 Der medizinisch-naturkundliche Diskurs zur Ätiologie der „Monstra“
Wie in Kapitel 2.2.1 erläutert wurde, trat die Frage nach der Ursache der körperlichen
Fehlbildungen häufig zugunsten der Frage nach dem Sinn derselben zurück. Doch neben den
theurgischen Deutungsversuchen mehrten sich im Verlauf des 16. Jahrhunderts auch
medizinisch-naturwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Ursache der körperlichen
Abweichungen.213 Kennzeichnend für diese Transitionsphase waren naturkundliche
Abhandlungen, die neben phantastischen Darstellungen auch Illustrationen mit hohem
Realitätsbezug enthielten, wie beispielsweise das Werk De monstris (1665) von dem
italienischen Gelehrten Fortunius Licetus (auch Liceti)214. In diesem Werk trug Licetus alle
ihm bekannt gewordenen Fälle von Monstrageburten zusammen, um auf dieser Grundlage
eine Systematik der Missbildungen zu entwickeln, wie vor ihm bereits die Mediziner Jakob
Rueff (um 1500-1558), Ambroise Paré (1510-1590) und Johann Georg Schenck von
Grafenberg (gest. 1620)215. Allerdings wich die bildliche Umsetzung der auf den
neuzeitlichen
Flugblättern
dokumentierten
Missgeburten
oftmals
von
der
realen
phänotypischen Gestalt der Fehlbildungen ab. Da häufig ein sachkundiger Arzt vor Ort
fehlte, musste sich der Illustrator, dessen Talent zur präzisen Wiedergabe immanent war, auf
Augenzeugenberichte verlassen216, die nicht selten von abergläubischen Teufels- und Hexenvorstellungen geprägt waren. Zudem schritten findige Buchdrucker, die mit den beliebten
Monstraflugblättern „erkleckliche Summen“ verdienten, bisweilen zur „Fabrikation von
Wundergeburten“217, die sich phänotypisch-stereotyp an die Darstellungstradition der
Monstravölker in den Enzyklopädien der frühen Neuzeit anlehnten. Neben der Sammlung
von Einblattdrucken nahmen Mediziner im Rahmen von Sektionen auch Untersuchungen am
fehlgebildeten
Körper
vor
oder
erwarben
Monstra
für
ihre
Wunder-
und
212
S.T. Soemmerring: Abbildungen und Beschreibungen einiger Misgeburten. S. 33.
W. Röcke: Die Zeichen göttlichen Zorns. S. 147.
214
G.-H. Schumacher: Monster und Dämonen. S.13/
215
Rueff, Trostbuechle (1554); Paré, Wundtartzney; Schenck von Grafenberg, Wunder-Buch (Monstrorum
Historia mirabilis, 1609) (Vgl. I. Ewinkel: De monstris. S. 121f).
216
I. Ewinkel: De monstris. S. 123.
217
A. Sonderegger: Missgeburten und Wundergestalten. S. 32.
213
34
Naturalienkabinette.218 So ist es zu erklären, dass „gerade in den Monstrenbüchern der
Renaissance, in Kompendien des französischen Arztes Ambroise Paré oder der italienischen
Gelehrten Fortunio Liceti oder Ulisse Aldrovandi […] ein eigenartiges Nebeneinander von
Darstellungen „realistischer“ körperlicher Deformationen bzw. „Fehlbildungen“ und deutlich
phantastisch anmutenden, aus dem Reich der Mythologie stammenden Gestalten“ 219 bestand.
Auch die Zeitgenossen und Begründer der modernen Zoologie Ulisse Aldrovandi (15221605) und Conrad Gessner (1516-1565) reihten in ihren naturkundlichen Enzyklopädien
Phantasiewesen wie Drachen und Einhörner neben „echte“ Monstrositäten. In seinem
Bemühen um Vollständigkeit stellte Aldrovandi die Existenz jener Wesen, die er in seiner
Systematik Historia animalium beschrieb, kaum in Frage.220 Conrad Gessner (auch Gesner,
Gesnerus) hingegen war „derlei Erfindungen gegenüber“221 skeptischer eingestellt und
postulierte im Vorwort zu seinem „Fischbuch“, dass „sehr wenige [Darstellungen]
geradewegs erfunden [sind] wie allein […] das fabelhafte Pferd des Neptun […]“222. Dass
sich in Gessners Naturgeschichte dennoch Phantasiegestalten neben real existierenden Tieren
und echten Missgeburten finden, hat zweierlei Gründe. Infolge der zahlreichen
Entdeckungsreisen in der Renaissance gelangten jene pflanzlichen, tierischen und
mineralischen „Naturwunder“, die in den mittelalterlichen Weltchroniken „vor allem mit
dem fernen Rand der Welt“ assoziiert wurden, „im Gepäck von Forschungsreisenden und
Sammlern [und] in den Warenballen von Kaufleuten“ nach Zentraleuropa und in den
Mittelmeerraum.223 Dort angekommen entfachten sie Spekulationen über die Grenzen des
Artenreichtums
und
ließen
schier
endlose
morphologische
Variationen
möglich
erscheinen.224 Darüber hinaus fehlte noch eine hinreichende wissenschaftliche Kenntnis auf
dem Gebiet der Fehlbildungen, die zu einer fachkundigen Überprüfung der dargestellten
Fälle nötig gewesen wäre.225
In dem umfangreichen Werk Monstrorum Historia, das 1642 von einem Schüler
Aldrovandis posthum veröffentlicht wurde226, verzeichnete der Gelehrte alle bekannten
menschlichen, tierischen und pflanzlichen „Absonderlichkeiten“ wie etwa siamesische
218
I. Ewinkel: De monstris. S. 125.
U. Helduser: Poetische „Missgeburten“ und die Ästhetik des Monströsen S. 671.
220
C. Riedl-Dorn: Wissenschaft und Fabelwesen. S. 71.
221
Ebd.
222
„Paucißima prorsus ficta sunt, ut solus (opinor) equus Neptuni fabulosus.” (Vgl. Conrad Gesnerus:
Historiae Animalium liber IV, qui est de piscium & aquatilium animantium. Tiguri 1558. zit. n. C. Riedl-Dorn:
Wissenschaft und Fabelwesen. S. 71).
223
L. Daston/ K. Park: Wunder und die Ordnung der Natur 1150-1750. S. 205.
224
Ebd.
225
A. Sonderegger: Missgeburten und Wundergestalten. S. 92.
226
P. Mauriès: Das Kuriositätenkabinett. S. 151.
219
35
Zwillinge, behaarte Menschen, zweiköpfige Tiere und der Mythologie entlehnte vielköpfige
Ungeheuer, die dem „Zeitgeschmack besonders angepasst“ waren.227 Im 16. Jahrhundert
hatte sich der Manierismus mit seiner „Vorliebe für Zerrbilder, Phantastereien und
Missgeburten“228 als eigene Kunst- und Literaturströmung etabliert und die privaten
Wunderkammern und Naturalienkabinette mit ihrer kaum zu überschauenden Vielfalt an
Bizarrem und Ungewöhnlichem waren Ausdruck dieser Bewegung.229 In der Monstrorum
Historia kollidierte Aldrovandis wissenschaftlicher Anspruch mit dem zeitgenössischen
Glauben an wundersame Gestalten, die dem „Reich der Mythen und Märchen“230 entlehnt
waren. So stellte er die Abbildung zweier berühmter Fälle von Hirsutismus231 den
phantastischen Illustrationen der von Plinius beschriebenen Monstrarassen gegenüber.232
Bei den Falldarstellungen in seiner kaleidoskopischen Wunderschau befolgte Aldrovandi
eine strenge Systematisierung, die zwar eine Typologisierung der Monstra gestattete, aber
eine eindeutige Identifizierung der einzelnen Individuen unmöglich machte.233 Eine ähnliche
Vorgehensweise lässt sich auch in den naturkundlichen Monstrasystematiken von Jakob
Rueff oder Ambroise Paré feststellen, die der vereinheitlichenden Illustration gegenüber der
naturgetreuen Abbildung der Monstra den Vorrang einräumten.234 Die Erklärungsversuche,
die in der Monstrorum Historia für die Entstehung von Missgeburten angeboten werden,
fanden sich später ebenfalls wieder bei Paré. Unter der Überschrift „Causae“ nannte
Aldrovandi neben übernatürlichen Ursachen wie der Strafe Gottes auch natürliche teratogene
Faktoren wie Überschuss, Mangel oder Mischung verschiedener Stoffe im Körper.235 Auch
Paré distanzierte sich in seinem populärwissenschaftlichen Werk Des Monstres et Prodiges
(1571) von der protestantischen Hermeneutik der deutschen Prodigienautoren und erwog in
dem Kapitel „Causes des Monstres“ neben eschatologisch-theologischen Deutungen auch
biologisch-pathologische Gründe wie eine zu kleine Gebärmutter, ein Zuviel oder Zuwenig
an männlichem Samen sowie die Einbildungskraft der Schwangeren236. Trotz des
gleichberechtigten
Nebeneinanders
von
naturwissenschaftlichen
und
theologischen
227
C. Riedl-Dorn: Wissenschaft und Fabelwesen. S. 73.
Ebd.
229
Vgl. dazu Kapitel 2.2.7.
230
P. Mauriès: Das Kuriositätenkabinett. S. 151.
231
abnorme Körperbehaarung.
232
P. Mauriès: Das Kuriositätenkabinett. S. 151.
233
C. Riedl-Dorn: Wissenschaft und Fabelwesen. S. 111.
234
I. Ewinkel: De monstris. S. 123.
235
C. Riedl-Dorn: Wissenschaft und Fabelwesen. S. 111f.
236
„Les causes des monstres sont plusieurs. La première est la gloire de Dieu. La seconde, son ire. La
troisiesme, la trop grande quantité de semence. La quatriesme, la trop petite quantité. La cinquiesme,
l’imagination. […] La treiziesme, par les Demons ou Diables.“ (Vgl. Ambroise Paré: Des Monstres et prodiges.
S. 4).
228
36
Erklärungsversuchen für das Auftreten von Fehlbildungen, sollte Parés Werk nicht voreilig
als Indikator für einen Paradigmenwechsel in der Wahrnehmung von körperlicher
Abweichung begriffen werden. Bereits seit dem 13. Jahrhundert reflektierten Theologen und
Naturforscher über natürliche Ursachen für das Vorkommen von Monstra237 und noch im 17.
Jahrhundert blieben vereinzelte Autoren der apokalyptischen Auslegung der Missgeburten
verhaftet. Dennoch konturieren die Werke Parés und auch Aldrovandis eine Tendenz in
Richtung „Rationalisierung“ und „Naturalisierung“ der Monstren, die im Verlauf des 18.
Jahrhunderts maßgeblich für die Wahrnehmung des körperlich Abweichenden werden sollte.
2.2.7 „Wo die Dinge hingehören“ I – Das Kuriositätenkabinett
Die bildreiche Schrift Monstrorum Historia (1642), in welcher Aldrovandi eine Reihe
von
„Wundern“
und
„Sonderbarkeiten“
beschrieb,
war
eine
von
zahlreichen
Naturgeschichten des 16. und 17. Jahrhunderts, die das zeitgenössische Interesse an
Naturwundern
dokumentierte.238
Doch
diese
Naturwunder
wurden
nicht
nur
in
Monstrasystematiken zusammengetragen, sondern seit der Renaissance auch in gelehrten
Wunderkammern oder Kuriositätenkabinetten gesammelt und ausgestellt.239 Es war kein
geringerer als Aldrovandi selbst, der „die berühmteste und größte dieser Sammlungen im
Europa des sechzehnten Jahrhunderts“
241
Worm in Kopenhagen
240
sein eigen nennen durfte. Zusammen mit Ole
und Conrad Gessner in Basel beziehungsweise Zürich gilt er als
einer jener Sammlerpersönlichkeiten, die die Geschichte der barocken Kuriositätenkabinette
maßgeblich prägte242, nicht zuletzt auch deshalb, weil er sich intensiv mit der
Kategorisierungsproblematik der Sammlungen befasste243.
Die Vorläufer der rinascimentalen Kuriositätenkabinette waren zum einen die
Reliquienschätze mittelalterlicher Kirchen, in denen neben sakralen Gegenständen wie etwa
Bruchstücke eines Kreuzes auch Curiosa wie beispielsweise ein Gefäß mit Milch der
Jungfrau Maria aufbewahrt wurden.244 Zum anderen waren es die so genannten studioli, die
237
L. Daston/ K. Park: Wunder und die Ordnung der Natur 1150-1750. S. 221.
Ebd. S. 176f.
239
Ebd.
240
Ebd. S. 177.
241
Der Arzt und Naturforscher Ole Worm (latinisiert Olaus Wormius, 1585-1654) hatte bereits im Jahr 1623
versucht, ein privates naturhistorisches Museum in Kopenhagen zu etablieren. Bekannt wurde indes sein
Kuriositätenkabinett Wormianum, nachdem 1655 der Katalog des Museums veröffentlicht wurde.
242
P. Mauriès: Das Kuriositätenkabinett. S. 7.
243
H. Roth: Die Bibliothek als Spiegel der Kunstkammer. S. 204.
244
P. Mauriès: Das Kuriositätenkabinett. S. 7.
238
37
im späten 15. Jahrhundert in norditalienischen Herrscherhäusern entstanden245. Diese
aufwendig dekorierten Studierzimmer von geringer Größe befanden sich meist in
abgeschiedener Lage innerhalb der Residenzen und enthielten neben Objekten, „die einen
intellektuellen Anspruch verkörperten“, auch antike Kunstwerke und ungewöhnliche
Gegenstände, die so genannten Kuriositäten.246 Die studioli dienten dem Studium und der
privaten Erbauung247, vor allem aber der Profilierung ihres Besitzers248, denn die
Bewunderung, die den Objekten entgegengebracht wurde, sollte sich auf den als
„kenntnisreichen“ und „geschmackssicheren“ Besitzer übertragen249.
Die Begriffe „Wunderkammer“ beziehungsweise „Kuriositätenkabinett“ setzten sich erst
allmählich durch und bezeichneten ein kleines, verstecktes Zimmer, das in erster Linie für
Studienzwecke genutzt wurde.250 In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nahm die Anzahl
an Kuriositätenkabinetten rasch zu251, was nicht zuletzt mit der sukzessiven Entdeckung der
„Neuen Welt“ zu erklären ist, die „allmählich ihren unerschöpflichen Fundus an ‚Wundern’
preisgab“252, welche in der Folge in den Kuriositätenkabinetten ausgestellt wurden. Denn das
Ziel der Wunderkammern und Kuriositätenkabinette bestand darin, so die Forderung des
niederländischen Arztes Samuel Quiceberg (auch Quiccheberg, 1529-1567) im Jahr 1560, als
„ein möglichst breit angelegtes Theater [zu fungieren], das echte Materialien und präzise
Reproduktionen des gesamten Universums enthält.“253 Entsprechend umfangreich war das
Spektrum an Gegenständen, die in die Sammlungen aufgenommen wurden.254 Neben
naturkundlichen Objekten wie etwa Fossilien oder botanischen und zoologischen Exponaten
fanden sich „Gemälde, Skulpturen, Arbeiten aus Gold, Silber […], Keramik, Leder und
Textilien sowie […] wissenschaftliche Instrumente, Automaten und völkerkundliche
Objekte“255, die unter den lateinischen Bezeichnungen Naturalia, Mirabilia, Artefacta,
Scientifica, Curiosa, Exotica und Antiquites zusammengefasst wurden und dem universalen
Anspruch der Kuriositätenkabinette Rechnung trugen. Gleichzeitig war der Seltenheitswert
245
P. Mauriès: Das Kuriositätenkabinett. S. 54.
Ebd.
247
Ebd.
248
Ebd. S. 65.
249
L. Daston / K. Park: Wunder und die Ordnung der Natur 1150-1750. S. 186.
250
P. Mauriès: Das Kuriositätenkabinett. S.50f. Zedlers Universal-Lexikon definiert das „Cabinet“ als „ein
kleines und geheimes Zimmer […], darinnen man studiret, schreibet, die kostbaresten Sachen verwahret, sich
mit andern von geheimen Dingen unterredet, und so ferner […].“ (Vgl. Artikel „Cabinet“. In: Zedlers
Universal-Lexikon. Bd. 5. Sp. 23).
251
P. Mauriès: Das Kuriositätenkabinett. S. 91
252
Ebd. S. 43.
253
Vgl. Mauriès: das Kuriositätenkabinett, S. 23.
254
Ebd.. S. 51f.
255
Ebd.
246
38
eines Gegenstandes wichtige Voraussetzung für die Aufnahme in eine Sammlung256, „denn
das Staunen war“, so der Kunstjournalist Patrick Mauriés, „das Hauptanliegen solcher
Kabinette“257. Das Streben nach dem Seltenen und Außergewöhnlichen hatte zur Folge, dass
die Gegenstände in den Sammlungen immer noch einzigartiger zu sein hatten. Das
Eigenartige „wurde bis ins Überzogene gesteigert“ und resultierte in der Suche nach
Fehlbildungen und normativen Abweichungen von der natürlichen Ordnung.258
Seit der Renaissance war das Sammeln von naturalia, artificalia oder mirabilia nicht
mehr alleiniges Privileg der Patrizier und Fürsten, sondern wurde nun auch von interessierten
Ärzten und Apothekern betrieben, die in ihren Naturalienkabinetten in der Regel Exponate
aus den „drei Reichen der Natur“, also zoologische, mineralogische und botanische
Objekte259, zusammentrugen.260 Den Medizinern und Apothekern dienten diese theatri
naturae der Forschung, aber auch der „beruflichen und gesellschaftlichen Profilierung“261,
worin die naturkundlichen Kabinette eine erstaunliche Nähe zu den herzoglichen
Schatzsammlungen und italienischen studioli aufwiesen.262 Neben therapeutischen Mirabilia
wie Arzneien oder Gewürzen fanden sich in einigen naturkundlichen Sammlungen des
Barockzeitalters auch anatomische und pathologische Raritäten.263 Ambroise Paré besaß den
Körper eines Kindes, der eine Doppelfehlbildung des Kopfes und der Beine aufwies, und der
Apotheker Francesco Calzolari (1521-1600) aus Verona besaß einen mumifizierten Kopf.264
Die Exponate in den barocken Naturalienkabinetten waren indes noch nicht als
wissenschaftliche Sammlungen anzusehen, da ihrer Aufstellung keine systematischen
Ordnungsprinzipien zugrunde lagen und ihre Nutzung in der Lehre nicht nachzuweisen ist.265
Vielmehr handelte es sich bei den Objekten um kuriose Singularitäten, die in erster Linie
Repräsentationszwecken dienten.266
256
P. Mauriès: Das Kuriositätenkabinett. S. 73.
Ebd. S. 67.
258
Ebd. S. 73f.
259
J. Hacker: Vom Kuriositätenkabinett zum wissenschaftlichen Museum. S. 4.
260
L. Daston / K. Park: Wunder und die Ordnung der Natur 1150-1750. S. 177.
261
Ebd. S. 183f.
262
Ebd. S. 186.
263
Ebd. S. 183.
264
Ebd. S. 183.
265
J. Hacker: Vom Kuriositätenkabinett zum wissenschaftlichen Museum. S. 5.
266
Ebd. S. 4.
257
39
2.2.8 Zusammenfassung
Vom 15. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts determinierte vor allem die protestantische
Hermeneutik das komplexe Diskursfeld über Monstrositäten. „Autoritätsgläubigkeit und
[die] Abhängigkeit von der Kirche“267 prägten das Bild der frühen Neuzeit und resultierte in
den apokalyptisch-theologischen Deutungen der Missgeburten als sichtbare, in körperlicher
Form manifestierte Zeichen des drohenden Weltgericht Gottes. Im Vordergrund der
neuzeitlichen Traktatliteratur stand die Frage nach dem Sinn und der Funktion der Monstra,
die entsprechend der religiösen beziehungsweise politischen Motivation des Autors gedeutet
wurden. So instrumentalisierten etwa die Reformatoren Luther und Melanchthon auffallende
Fehlbildungen wie das „Mönchskalb“ und den „Papstesel“ für ihre konfessionspolitischen
Zwecke und deuteten sie als ein Zeichen für Gottes Missbilligung „der geystlichenn
missethatt“268 des Mönchstums und des Papstes. Ferner finden sich Beispiele für eine
moralisierende Auslegung der Monstra, die vermutlich der sexuellen Disziplinierung der
neuzeitlichen Gesellschaft dienen sollte. Dass Monstra primär allegoretische Erscheinungen
waren, belegt indes ihre Ausstellung in Kuriositätenkabinetten und auf Wochen- und
Jahrmärkten. Ihrer religiösen Implikationen entledigt und auf ihre physiognomische
Einzigartigkeit reduziert, konnten sie als „Objekte des Vergnügens“ fungieren.
Die Ursache der „Missgeburten“ war im Kontext eschatologischer Ängste269 nur von
sekundärem Interesse.270 Dennoch mehrten sich vor allem im 17. Jahrhundert auch
naturwissenschaftliche Betrachtungen, die für die Deutungsgeschichte des „Monströsen“ im
18. Jahrhundert maßgeblich werden sollten.
267
G. Wahl: Die Entstehung von Missgeburten. S.27.
Luther, Martin: Deutung des Munchkalbs zu Freyberg. In: Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe
(WA). Werke und Schriften. 80 Bde. Band 11. Weimar 1883-2000. S. 380. zit. n. Werner Röcke: Zeitenwende
und apokalyptische Ängste in der Literatur des Spätmittelalters. S. 24.
269
Vgl. dazu Delumeau, Jean: Angst im Abendland. Die Geschichte kollektiver Ängste im Europa des 14. bis
18. Jahrhunderts, Band 2. Übersetzung nach Monika Hübner u.a. Hamburg 1985. Hier vor allem Kapitel 6. „Die
Gotteserwartung“. S. 311-353.
270
G. Wahl: Die Entstehung von Missgeburten. S.7.
268
40
2.3 Die „Naturalisierung des Monströsen“ – Zur medizinisch-naturwissenschaftlichen
Auseinandersetzung mit „Missgeburten“ seit dem 18. Jahrhundert
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts setzte eine maßgebende Transformation in der
Wahrnehmung des fehlgebildeten Körpers ein. Das Monstrum, das im Mittelalter und in der
frühen Neuzeit am „Rand der Welt“271 und in seiner Funktion als göttliches Zeichen in der
„Über-Welt“272 beheimatet gewesen war, wurde im Verlauf des 18. Jahrhunderts unter der
Bezeichnung
„Missbildung“
Gegenstand
medizinisch-naturwissenschaftlicher
Untersuchungen, die zunehmend natürliche Ursachen für das Entstehen von körperlichen
Fehlbildungen dokumentierten. Das Monstrum wurde somit „irdisch“273, das Abnorme und
das Normale näherten sich an.
2.3.1. Die Anfänge der Teratologie im 18. Jahrhundert
Im Jahr 1832274 führte Etienne Geoffroy St. Hilaire (1772-1844) den bis heute
gebräuchlichen Begriff Teratologie als Bezeichnung für die Lehre von den Missbildungen275
ein.276 Seit den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts hatte er zusammen mit seinem Sohn
Isidore (1805-1861) versucht, das fragmentarische Wissen über Fehlbildungen, das sich aus
vereinzelten Arbeiten von Anatomen wie Johann Friedrich Meckel (1714-1774) oder Johann
Friedrich Blumenbach (1752-1840) konstituierte, zu systematisieren.277 Die Bezeichnung
Teratologie leitet sich von dem altgriechischen Wort τέρας (téras) her, was „Wunder“ aber
auch „Schreckbild“ und „Ungeheuer“ bedeutet.278 Diese Wortwahl mutet irreführend und
paradox an, bestand das Ziel der Teratologie doch genau darin, sich von den mittelalterlichen
beziehungsweise
frühneuzeitlichen
mythologisch-mantischen
Erklärungsversuchen
zu
distanzieren und die physiognomischen Abweichungen auf natürliche Gesetzmäßigkeiten
zurückzuführen.279 Hier deutet sich bereits an, wie schwer die Loslösung von den
271
L. Daston / K. Park: Wunder und die Ordnung der Natur 1150-1750. S. 205.
U. Zürcher: Monster oder Laune der Natur. S. 12.
273
Ebd.
274
In einem Beitrag über die Genese der Teratologie wird das Jahr 1811 als Zeitpunkt der Namensgebung
genannt (Vgl. U. Enke: Schriften zur Embyologie und Teratologie. S. 21). Da Etienne Geoffroy St. Hilaires
Studien zu den Fehlbildungen jedoch erst in den 1820er Jahren einsetzten, erscheint das Jahr 1832 als Zeitpunkt
der Namensgebung plausibler.
275
Obgleich der veraltete Begriff „Missbildung“ inzwischen von der neutraleren Bezeichnung „Fehlbildung“
ersetzt wurde, wird er hier als historische Bezeichnung beibehalten.
276
U. Zürcher: Monster oder Laune der Natur. S. 12.
277
Ebd.
278
Ebd.
279
Ebd.
272
41
neuzeitlichen Prämissen, die die Wahrnehmung von körperlichen Fehlbildungen über
Jahrhunderte geprägt hatten, fiel.
Die wissenschaftliche Diskursivierung der körperlichen Abweichung hatte ihren Anfang
in der pathologischen Anatomie genommen280. Erklärtes Ziel der Anatomen war es, die
verstreuten Einzelbeobachtungen der kasuistischen Sammlungen eines Aldrovandi, Liceti
oder Bartholinus281 in eine Ordnung zu bringen und – gemäß ihrem Selbstverständnis als
moderne Naturwissenschaftler – grundlegende Gesetze für das Auftreten von Fehlbildungen
zu entwickeln.282 Einen solchen frühen Systematisierungsversuch unternahm der Anatom
Albrecht von Haller (1708-1777) mit seiner Textsammlung De monstris, die 1768
erschien.283
Die Lehre von den Missbildungen war eng verknüpft mit den medizinisch-anatomischen
Studien über die Embryonalentwicklung der Wirbeltiere. Im 18. Jahrhundert bestanden noch
zwei konkurrierende Theorien über die Embryogenese nebeneinander: die antike
Präformationstheorie und die Theorie der Epigenesis.284 Die Präformisten gingen von der
Annahme aus, dass die Keimzellen bereits vollständig vorgebildet waren und im Verlauf der
Schwangerschaft nur noch wachsen müssten.
285
Demnach waren auch die Fehlbildungen
bereits in den männlichen oder weiblichen Geschlechtszellen angelegt286. Die neuere Theorie
der Epigenesis besagte indes, dass der Keim verschiedene Entwicklungsstadien zu
durchlaufen hätte.287 Ein Anhänger dieser Theorie, der englische Arzt und Anatom William
Harvey (1578-1657), war der Ansicht, dass die einzelnen Teile des Körpers durch eine
treibende Kraft, die Vis essentialis, sukzessive entstehen. In einer körperlichen Fehlbildung
vermutete er folglich das Nachlassen dieser Lebenskraft in einem bestimmten
Entwicklungsstadium288. Der Anatom Caspar Friedrich Wolff (1734-1794) konnte in seiner
Dissertation Theoria generationis (1759) erstmals nachweisen, dass sich organisches Leben
durch die „Differenzierung embryonaler Zellen sowie durch Wachstum“289 stufenweise
entwickelt. Demgemäß waren Fehlbildungen als eine natürliche Folge einer zufälligen oder
280
Ebd.
Der dänische Anatom Thomas Bartholinus (1616-1680) beschrieb in seinen naturkundlichen Sammlungen
De monstris in natura et medicina (1645) und Historiarum anatomicarum centuriae VI (1654-1661) sowohl
tierische als auch menschliche Fehlbildungen. (Vgl. U. Enke: Schriften zur Embryologie und Teratologie. S.
32.)
282
U. Zürcher: Monster oder Laune der Natur. S. 90.
283
U. Enke: Schriften zur Embyologie und Teratologie. S. 33.
284
M. Lorenz: Von Normen, Formen und Gefühlen. S. 16.
285
Ebd. S. 16f.
286
G.-H. Schumacher: Monster und Dämonen. S. 131.
287
M. Lorenz: Von Normen, Formen und Gefühlen. S. 16f.
288
G.-H. Schumacher: Monster und Dämonen. S. 132.
289
Ebd.
281
42
durch äußere Einflüsse induzierten Entwicklungsstörung während der Embryogenese
anzusehen.290 Diese Störung des Bildungstriebs war jedoch, wie Johann Friedrich
Blumenbach (1752-1840) fast schwärmerisch feststellte, „an sehr bestimmte Gesetze
gebunden“, die „eine bewundernswürdige[ ] Gleichförmigkeit […] unter vielen Arten von
Monstrositäten“291 hervorbrachten. Blumenbachs Hinweis auf die embryogenetischen
Gesetzmäßigkeiten, denen die Monstrositäten unterworfen waren, band die Missgeburten
zwar einerseits in die naturgeschichtliche Systematik ein292, andererseits verweist die
Ästhetisierung
des
physiognomisch
Abweichenden
(„bewundernswürdige
Gleichförmigkeit“) zurück auf neuzeitliche Autoren wie etwa Michel de Montaigne.
Die phänotypischen Übereinstimmungen, auf die Blumenbach hingewiesen hatte,
veranlassten Samuel Thomas Soemmerring (1755-1830), der im Jahre 1784 eine Professur
für Anatomie an der Universität Mainz angenommen hatte293, in seiner Abhandlung über
Doppelfehlbildungen294 eine „vollständige [ontologische] Stufenfolge von zweiköpfigen
Missgeburten“295 abzubilden. Er beabsichtigte, durch die Synopse von realen Fällen eine
Regelhaftigkeit bei der Entwicklung von Fehlbildungen nachzuweisen.296 Mit dieser
Vorgehensweise blieb er der Physiognomik Johann Caspar Lavaters (1741-1801)297
verhaftet, der einen Zusammenhang zwischen dem Erscheinungsbild eines Organismus und
seiner inneren Beschaffenheit herstellte.298 Und ähnlich wie Wolff instrumentalisierte
Soemmerring den fehlgebildeten Körper als epistemisches Objekt, anhand dessen sich
verschiedene zeitliche Entwicklungsstufen während der Embryogenese ablesen ließen. Der
fehlgebildete Körper hatte nun eine Schlüsselposition „in der Erzeugung wissenschaftlichen
Wissens“299 inne.
Die Werke von Wolff, Blumenbach und Soemmerring sind letztlich die prominentesten
Beispiele für die zunehmende Verwissenschaftlichung des Monströsen seit der zweiten
Hälfte des 18. Jahrhunderts, infolgedessen Fehlgebildete sowie Nicht-Fehlgebildete als von
denselben
epigenetischen
Naturgesetzen
determiniert
begriffen
wurden.300
Die
290
A. M. Leroi: Tanz der Gene. S. 29.
J. F. Blumenbach: Über den Bildungstrieb. S. 111f.
292
U. Zürcher: Monster oder Laune der Natur. S. 52.
293
U. Enke: Schriften zur Embyologie und Teratologie. S. 1.
294
Soemmerring, Samuel Thomas von: Abbildungen und Beschreibungen einiger Misgeburten, die sich
ehemals auf dem anatomischen Theater zu Cassel befanden. Mainz 1791.
295
U. Zürcher: Monster oder Laune der Natur. S. 60.
296
U. Enke: Schriften zur Embyologie und Teratologie. Vorwort.
297
Zur Physiognomik Johann Caspar Lavaters Vgl. Kapitel 2.3.3.
298
M. Hagner: Vom Naturalienkabinett zur Embryologie. S. 99.
299
U. Zürcher: Monster oder Laune der Natur. S. 12.
300
Ebd. S. 48.
291
43
physiognomische Abweichung wurde nun nicht länger „als das Resultat von moralischen
oder religiösen Verfehlungen“301 angesehen. Doch obgleich der fehlgebildete Körper zu
einem entmystifizierten und naturalisierten Wissenskörper geworden war, wurde das
Monströse im populären Diskurs weiterhin als dasjenige begriffen, was „wider die Natur
ist“302. So verweist auch die nebulöse Differenzierung zwischen dem widernatürlichen
„Monstrum“, der „eigentlich [ ] natürliche[n]“303 „Missgeburt“ und dem „menschenähnlicher[en]“ „Ostentum“304 auf die Uneindeutigkeit und scheinbare Unbestimmbarkeit der
Monstrositäten.305 Diese Ambiguität in der Wahrnehmung des Monströsen sollte bis weit in
das 19. Jahrhundert hinein den (populär-)wissenschaftlichen Diskurs um die Fehlbildungen
bestimmen und den Rahmen für zum Teil divergierende Konnotationen über die körperliche
Abweichung schaffen.
2.3.2 Wo die Dinge hingehören II – Vom Naturalienkabinett zum anatomischen
Museum
Im Zuge der Aufklärung im 18. Jahrhundert veränderte sich der Umgang mit den Dingen
im Naturalienkabinett maßgeblich. Während im 17. Jahrhundert die aufbewahrten Objekte
das barocke Naturalienkabinett als Einzigartigkeiten der Natur zierten, wurden sie im Verlauf
des 18. Jahrhunderts zu epistemisch bedeutsamen Körpern, die geordnet, klassifiziert und
verglichen wurden.306 Mit dem Aufkommen der Teratologie wurden der fehlgebildete Körper
beziehungsweise die fehlgebildeten Körperteile, die bereits seit dem ausgehenden 17.
Jahrhundert präpariert und konserviert wurden307, zu naturalisierten „Wissenskörpern“308, die
bei der Konstituierung von Missbildungswissen eine zentrale Rolle einnahmen.309 „Das
301
M. Dederich: Körper, Kultur und Behinderung. S. 91.
U. Zürcher: Monster oder Laune der Natur. S. 75. Vgl. Artikel „Monsra [!] oder Monstrum“. In: Zedlers
Universal-Lexikon. Bd. 21. S. 1220.
303
Artikel „Mißgeburt“. In: Zedlers Universal-Lexikon. Bd. 21. S. 486.
304
Auch die 1752 veröffentlichte Schrift Ausführliche Beschreibung der Zwey-Köpfigen Mißgeburt des
„Zergliederers“ Christoph Gottlieb Büttner (1708-1776) befolgt diese Unterscheidung. (Vgl. U. Zürcher:
Monster oder Laune der Natur. S. 76.)
305
U. Zürcher: Monster oder Laune der Natur. S. 76.
306
A. te Heesen/ E.C. Spary: Sammeln als Wissen. S. 14.
307
Zum Konservieren wurden einzelne Organe oder vollständige Körper in Alkohol (spiritus vini) in eigens
geformte, mundgeblasene Glaszylinder eingelegt. Nachdem der Alkohl dem Körper das Wasser entzogen hatte,
wurden die Präparate zur endgültigen Lagerung in Terpentinöl oder Branntwein eingelegt. (Vgl. U. Enke:
Schriften zur Embyologie und Teratologie. S. 55.)
308
U. Zürcher: Monster oder Laune der Natur. S. 75.
309
Ebd. S. 66.
302
44
Sammeln geht der Wissenschaft immer voraus“310, schrieb Adalbert Stifter 1977 in seinem
Roman Der Nachsommer (1977) und tatsächlich bildeten die pathologisch-anatomischen
Sammlungen des 18. und 19. Jahrhunderts den konstitutiven Grundstock für die
teratologische Forschung.311 Samuel Thomas Soemmerrings Tafelwerk Abbildungen und
Beschreibungen einiger Misgeburten schrieb im Jahre 1791 paradigmatisch vor, was sich in
den medizinischen Schriften des ausgehenden 18. Jahrhunderts abzuzeichnen begann und
sich alsbald in den anatomischen Sammlungen fortsetzen sollte: die fehlgebildeten Körper
wurden systematisiert und zu Serien geordnet.312 Indem die Wissenschaft der Serienbildung
den Vorrang einräumte, ging das Interesse am Singulären verloren, „das Staunen des Plinius
[angesichts der launenhaften lusus naturae] machte einer nüchternen Beobachtung
immanenter Gesetzmäßigkeiten Platz.“313 Wichtige Impulse für das System ihrer Anordnung
lieferte der schwedische Naturforscher Carl von Linné (1707-1778)314, der zur Benennung
von Organismenarten sein Gliederungsprinzip der binären Nomenklatur entwickelte und ein
hierarchisches System von Rangstufen aufstellte.315
An der Wende zum 19. Jahrhundert waren die naturkundlichen Sammlungen daraufhin
ausgelegt, möglichst umfangreiche Serien missgebildeter Körper und Körperteile zu
erzeugen, ein Bestreben, das, so Zürcher, „in einem Naturalienkabinett fünfzig Jahre vorher
noch undenkbar gewesen wäre.“316 Neben Soemmerring, der eine Stufenfolge von
anencephalen menschlichen Embryonen mit fortschreitender Doppelbildung des Gesichts
aufbaute, bildete zum Beispiel der englische Anatom und Chirurg William Hunter (17181783) eine monströse Serie von „Hydrocephalus. Human“ („menschliche Wasserköpfe“), die
in einem Katalog unter einer nummerierten Serie zusammengefasst wurden.317 Eine solche
Reihenbildung gab der Visualisierung der Fehlbildung gegenüber der Inszenierung den
Vorrang.318 Im barocken Naturalienkabinett des niederländischen Anatomen Frederik Ruysch
(1638-1731) hingegen wurden die konservierten Körper als Allegorien inszeniert, wie etwa
310
Adalbert Stifter: Der Nachsommer. München 1977, S. 110. zit. n. Anke te Heesen/ E. C. Spary: Sammeln als
Wissen. S.7.
311
U. Zürcher: Monster oder Laune der Natur. S. 66.
312
U. Zürcher: Monster oder Laune der Natur. S. 137.
313
Ebd.
314
Ebd. S. 71.
315
P. H. Raven: Biologie der Pflanzen. S. 251f./ F. Sauerhoff: Pflanzennamen im Vergleich. S. 38.
316
U. Zürcher: Monster oder Laune der Natur. S. 137.
317
Ebd.
318
M. Hagner: Vom Naturalienkabinett zur Embryologie. S. 98.
45
das Feuchtpräparat eines Kinderbeines, das mit einem Leinenrüschen verziert und von einem
Skorpion umgeben war.319
Zur Vervollständigung seiner Anschauungsmaterialien erwarb Samuel Thomas
Soemmerring im Frühsommer 1780 eine Sammlung von vier fehlgebildeten Embryonen aus
dem Nachlass des Jenaer Anatomieprofessors Karl Friedrich Kaltschmied (1706-1769)320
und vier Jahre später suchte er über eine Anzeige in der Kassler Policey- und
Commercienzeitung frische „Mißgeburten von Thieren, z.B. Kälber mit zwey Köpfen,
Doppeleibige, oder dergleichen“321. Diese Erzeugung pathologischer „KörperObjekte“322, die
durch eine verbesserte Präparationstechnik dauerhaft haltbar gemacht wurden, resultierte in
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in einer nahezu unüberschaubaren Fülle an
Sammlungsgegenständen, die in anatomischen und pathologischen Museen und Sammlungen
der Universitäten aufbewahrt wurden.323
Im Zuge der Naturalisierung im 18. Jahrhundert wandelten sich die monströsen
Ausstellungsobjekte, die in den barocken Kuriositätenkabinetten als enzyklopädische Körper
„die unendliche Mannigfaltigkeit“
324
der göttlichen Schöpfung demonstrierten, zum
alltäglichen Forschungsgegenstand.325 Als die körperlichen Fehlbildungen in den Fokus der
Anatomie gerieten und zur „wissenden Natur“ 326 wurden, „war es“, wie der Historiker Urs
Zürcher bemerkte, „nicht mehr länger möglich, sie als kurioses, an allerlei Wunderliches und
verwunderliches erinnerndes Schauobjekt zu betrachten“327.
2.3.3 Die Abweichung und die Norm I: Die Physiognomik Johann Caspar Lavaters
Fehlgebildete Menschen wurden noch im 17. Jahrhundert nicht selten als sündhafte
Kreaturen begriffen, „die in ihrer Hässlichkeit und Unvollkommenheit durch die Allmacht
Gottes gestraft wurden.“328 Zwar waren solche Überlegungen hundert Jahre später
überkommen, doch ausgerechnet Johann Caspar Lavaters Physiognomik, die als Paradigma
der modernen Identifikationstechniken gilt, sah in der körperlichen Normabweichung das
319
Ebd.
U. Enke: Schriften zur Embyologie und Teratologie. S. 54.
321
Casselischen Policey- und Commercien-Zeitung vom 16. Februar 1784, S. 135. zit. n. U. Enke: Schriften zur
Embyologie und Teratologie. S. 4.
322
U. Zürcher: Monster oder Laune der Natur. S. 136.
323
Ebd. S. 139f.
324
Ebd. S. 13
325
Ebd. S. 131.
326
Ebd. S. 13.
327
Ebd. S. 13
328
M. Hagner: Monstrositäten haben eine Geschichte. S. 16.
320
46
erforderliche Erkennungsmerkmal, an dem sich moralisches Verfehlen ablesen ließe.329 So ist
etwa unter der Überschrift „Allgemeine Regeln“ in Johann Caspar Lavaters (1746-1801)
Abhandlung Von der Physiognomik folgendes zu lesen: „Wessen Figur schief – / Wessen
Mund schief – / Wessen Gang schief – / Wessen Handschrift schief ist, […] – / Dessen
Denkensart, dessen Charakter, dessen Manier, zu handeln, ist schief, inkonsequent, […]
falsch, listig, […] kalt-schalkhaft, hartgefühllos.“330 Im Jahr 1772 formulierte der Schweizer
Schriftsteller und reformierte Pfarrer seine Hypothesen über die Korrelation von Charakter
und Physis des Menschen und exemplifizierte diese anhand von hundert physiognomischen
Regeln. In seinem umfangreichen Werk Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der
Menschenkenntnis und Menschenliebe, das Lavater in den Jahren 1775 bis 1778 in vier
Folianten publizierte, nannte er eine Vielzahl von Beispielen, die seine Thesen bekräftigen
und seinem Anspruch, mit der Physiognomik „eine würkliche Wissenschaft“331 zu
begründen, Rechnung tragen sollten.
Lavater verstand die Physiognomik als „die Wissenschaft, den Charakter […] des
Menschen […] aus seinem Aeußerlichen zu erkennen.“332 Mit dem Äußerlichen meinte er
insbesondere jene „festen Teile“333 des Körpers, die nicht durch „Verstellung“334 zu
manipulieren seien. Während „die Miene, de[r] Ton, [oder] die Gebehrden […] täuschen und
betrügen“ können, könnten die unveränderlichen Teile des Gesichts wie Augenbrauen, Nase,
Lippen, Kinn und Augen den Charakter eines Menschen untrüglich preisgeben, wie Lavater
in seinem Fragment „Ueber Verstellung, Falschheit und Aufrichtigkeit“ erläuterte.335
„Gebehrde sich ein Kopf“, so schreibt er, „noch so sehr um weise zu scheinen – er wird das
Profil seines Gesichtes […] nicht verändern und dem Profil eines weisen und großen Mannes
ähnlich machen können.“336 Hierin distanzierte sich Lavater deutlich von der Pathognomik,
also der Deutung des mimischen Ausdrucks als „vorübergehende[s] Zeichen [einer
bestimmten] Gemütsbewegung“337, wie sie später Georg Christoph Lichtenberg propagierte.
Gemäß Lavaters Analogie-Denken bildeten jene festen, unveränderlichen Merkmale die
329
Ebd.
J. C. Lavater: Von der Physiognomik und Hundert Physiognomische Regeln. Hg. von Karl Riha und Carsten
Zelle. Frankfurt/ Main 1991. S. 67. Nach dieser Ausgabe wird im laufenden Text zitiert.
331
J. C. Lavater: Von der Physiognomik und Hundert Physiognomische Regeln. S. 11.
332
Ebd. S. 10
333
U. Geitner: Klartext. Zur Physiognomik Johann Caspar Lavaters. S. 360.
334
J. C. Lavater: Physiognomische Fragmente. Band 2, 7. Fragment. S. 55. Nach dieser Ausgabe wird im
laufenden Text zitiert: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der
Menschenkenntniß und Menschenliebe. Hrsg. v.Weidmanns Erben und Reich, und Heinrich Steiner und
Compagnie. 4 Bde. Leipzig/ Winerthur 1776.
335
J. C. Lavater: Physiognomische Fragmente. Band 2, 7. Fragment. S. 55f.
336
Ebd. S. 57.
337
G. C. Lichtenberg: Über Physiognomik. In: Schriften und Briefe III, S. 264.
330
47
Voraussetzung für eine solide Interpretation des Äußeren.338 Doch hier liegt, wie Richard
Weihe bemerkt hat, Lavaters kapitaler Denkfehler. Denn „der Aussagewert der
Physiognomik [liegt] gerade nicht“ in den äußeren Merkmalen, sondern in der Auslegung
derselben, was aber „keineswegs [bedeutet], daß ihre Interpretation dadurch exakter
würde.“339.
Die physiognomische Lesart Lavaters folgte der griffigen Formel: „Je moralisch besser;
desto schöner. Je moralisch schlimmer; desto hässlicher.“340 Die äußere Schönheit eines
Menschen diente ihm somit als Gradmesser für die Qualität des Charakters. Lavater zufolge
bedingten sich innere und äußere Schönheit gegenseitig341, ihr Verhältnis verstand er
demnach „nicht als arbiträr, sondern als kausal“342. Gemäß dieser Prämisse könnte ein
moralisch verkommener Mensch niemals schön sein und ein hässlicher Mensch niemals gut
und
würde
„somit
allein
„physiognomische Anmaßung“
auf
344
Grund
[seines]
Aussehens
inkriminiert.“343
Die
, einen Zusammenhang zwischen Charaktereigenschaften
und Körpermerkmalen herzustellen, resultierte zwangsläufig in der Stigmatisierung und
Denunzierung von Menschen, die von der anthropologischen Norm abwichen.345 Lavater
schien empört von der Vorstellung, „Leipnitz [sic] habe im Schädel eines Lappen die
Theodicee erdacht“ 346 oder Newton habe „im Kopfe eines Mohren, dessen Nase aufgedrückt,
dessen Augen zum Kopfe heraus ragen, dessen Lippen, so aufgeworfen sie sind, kaum die
Zähne bedecken, […] die Planeten gewogen, und den Lichtstrahl gespaltet“347. Im gleichen
Tenor äußerte sich Lavater über fehlgebildete Menschen, in deren äußeren Gestalt er die
untrüglichen Zeichen für ihre charakterlichen Verfehlungen sah: „Ein jeder Krüppel hat seine
ihm eigene Art von Krüppelhaftigkeit, die sich durch alle Theile seines Körpers verbreitet.
So wie alle böse Handlungen eines bösen, und alle gute eines guten Menschen denselben
Charakter […] haben - -“348. Zu wünschen bliebe dem „elenden, […] thorichten, schwachen
Menschen“ somit nur, dass Gott „einst auch diese Geschöpfe von den Drückungen und
Lasten befreyen, und ihre Körper nach [seinem] Bilde, nach dem Bilde des Erstgebohrnen,
338
U. Geitner: Klartext. Zur Physiognomik Johann Caspar Lavaters. S. 361.
R. Weihe: Gesicht und Maske. Lavaters Charaktermessung. S. 40.
340
Lavater: Physiognomische Fragmente. Band 1, 4. Fragment. S. 63.
341
R. Weihe: Gesicht und Maske. Lavaters Charaktermessung. S. 44.
342
Ebd. S. 37.
343
R. Weihe: Gesicht und Maske. Lavaters Charaktermessung. S. 45.
344
H. R. Brittnacher: Der böse Blick des Physiognomen. S. 128.
345
Ebd. S. 129.
346
J. C. Lavater: Von der Physiognomik und Hundert Physiognomische Regeln. S. 14.
347
Ebd.
348
J. C. Lavater: Physiognomische Fragmente. Band 4, 3. Fragment, S. 42.
339
48
umwandeln“ würde.349 Diese offenkundige Herabwürdigung verunstalteter Menschen war
Ausdruck eines Strebens „nach Wiederaneignung dessen […], was der Ordnung des Wissens
zu entgleiten droht[e]“350. Im Zuge der Naturalisierung des Monströsen im 18. und verstärkt
im 19. Jahrhundert wurde der fehlgebildete Körper zum epistemischen Objekt anhand dessen
die Gesetzmäßigkeiten und Mechanismen der menschlichen Embryogenese nachvollzogen
werden konnten. Da die Fehlbildung „den gleichen Naturgesetzen gehorchte [ ] wie die
normale Entwicklung“351, wurde der körperlichen Abweichung „das Unheimliche und
Schauerliche“352 genommen. Lavater konzipierte indes mit seiner Theorie der Physiognomik
ein semiologisches Modell, das, ähnlich wie die mythisch-semantischen Deutungsmuster in
der frühen Neuzeit, die im Körper manifestierten Zeichen lesbar machen wollte und dadurch
den anachronistischen Dualismus von maßästhtetischer Schönheit und Unheil verheißender
Ungestalt aufrecht erhielt. Hier deutet sich auch Lavaters Nähe zu der Signaturen-Lehre des
16. Jahrhunderts an353, der zufolge die von Gott gesetzten Zeichen eindeutige und
unumstößliche Bedeutungen besäßen.354 So heißt es zum Beispiel bei dem Arzt und
Alchemisten Paracelsus (1493-1541): „Und nichts ist so Heimliches im Menschen, das nit
ein auswendiges Zeichen hat.“355
Lavaters Theorem von der zwingenden Entsprechung von Schönheit und Moral und seine
pseudowissenschaftlichen Methoden wie die Interpretation von menschlichen Schattenrissen
wurden von verschiedenen Seiten zum Teil heftig kritisiert. In einer Rezension der
Physiognomischen
Fragmente
beanstandete
Albrecht
von
Haller,
dass
Lavaters
physiognomisches Zuordnungssystem den wahren Charakter eines Menschen kaum zu
erkennen vermochte: „Wir kennen einen Theil der hier abgemahlten Männer, und zum Theil
genauer, als es Hrn. Lavater möglich ist, aber unmöglich können wir in ihrem Gesichte die
subtilen zusammengesetzten Kräfte finden, die Herr L. an denselben entdeckt. Von einigen
glauben wir auch so viel zu wissen, daß sie die Eigenschaften ganz und gar nicht besitzen,
die man hier aus ihrem Gesichte erräth.“356 Einige Jahre zuvor hatte sich der körperlich
versehrte Naturwissenschaftler Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799), der sich als
349
J. C. Lavater: Physiognomische Fragmente. Band 2, 16. Fragment. S. 190.
M. Dederich: Körper, Kultur und Behinderung. S. 91.
351
J. Moscoso: Vollkommene Monstren und unheilvolle Gestalten. S. 72.
352
M. Hagner: Vom Naturalienkabinett zur Embryologie. S. 81.
353
U. Geitner: Klartext. Zur Physiognomik Johann Caspar Lavaters. S. 358.
354
Ebd. S. 372.
355
Paracelsus (d. i. Theophrastus von Hohenheim): Die Geheimnisse. Ein Lesebuch aus seinen Schriften. Hrsg.
v. Will-Erich Peuckert. Leipzig: Dieterich 1941. S. 273f, zit. n. U. Geitner: Klartext. Zur Physiognomik Johann
Caspar Lavaters. S. 372.
356
A. v. Haller: Tagebuch seiner Beobachtungen über Schriftsteller und über sich selbst. Zweyter Theil. S. 68.
350
49
Lavaters schärfster Kritiker erweisen sollte357, in seiner Schrift Über Physiognomik wider die
Physiognomen (1778) kritisch über Lavaters Referenzsystem geäußert. Obschon selbst
Lichtenberg zugestand, dass „wir [...] täglich aus den Gesichtern [schließen], […] selbst die,
die wider Physiognomik streiten […]“358, schränkte er anschließend ein: „Wir urtheilen
stündlich aus dem Gesicht, und irren stündlich.“359 Hauptkritikpunkt seiner Abhandlung war
Lavaters Berufung auf die festen Teile, die, so Lichtenberg, keine „objektive Lesbarkeit“360
verbürgten.
Das Ende der Physiognomik konnte die Debatte, die um Lavaters Werk geführt wurde,
jedoch nicht bewirken. „Zu groß“, schreibt Ursula Geitner, war wohl „die Faszination,
welche
von
der
physiognomischen
Vision
[…]
ungestörter,
uneingeschränkter
Referentialität“ ausging und die die Beziehung zwischen „Signifikat (das so genannte Innere)
[und] Signifikanten (dem so genannten Äußeren) […] als nicht bloß wahrscheinlich, sondern
als gewiß, nicht als interpretationsbedürftig, sondern als eindeutig“ beschrieb.361
Entsprechend enthusiastisch hieß es in einer Zeitungsannonce des Frankfurter StaatsRistrettos, dass der geneigte Leser mit Lavaters „physiognomische[n] Geheimregeln […] mit
höchster Wahrscheinlichkeit auf den wirklichen inneren Charakter […] schliessen […]“362
könnte. Letztlich entsprang das Lavatersche Theorem dem humanistischen Bedürfnis, „in der
bindungs- und orientierungslos gewordenen Gesellschaft des Aufklärungszeitalters
Parameter einer allgemeingültigen Ordnung zu finden.“363 Auch wenn Lavaters Weltbild
einer göttlichen Ordnung nicht mit den sozialdarwinistischen Konzepten des 19. Jahrhunderts
zu vergleichen ist und der Physiognomiker noch vor 1800 wissenschaftlich erledigt war364, so
schuf er mit seinem Grundsatz von der Schönheit als Symbol der Tugendhaftigkeit doch die
Voraussetzungen für die früheugenischen Arbeiten Cesare Lombrosos.
357
H. R. Brittnacher: Der böse Blick des Physiognomen. S. 128.
G. C. Lichtenberg: Über Physiognomik wider die Physiognomen. S. 53.
359
Ebd. S. 65.
360
G. C. Lichtenberg: Über Physiognomik wider die Physiognomen. S. 80.
361
U. Geitner: Klartext. Zur Physiognomik Johann Caspar Lavaters. S. 358.
362
Frankfurter Staats-Ristretto vom 15.03.1802, 43. Stück, S. 216.
363
H. R. Brittnacher: Der böse Blick des Physiognomen. S. 131.
364
M. Hagner: Monstrositäten haben eine Geschichte. S. 17.
358
50
2.3.4 Die Abweichung und die Norm II: Die kriminalanthropologische Physiognomik
Cesare Lombrosos
Das der Teratologie eigene Interesse an der Ätiologie des fehlgebildeten Körpers, das
sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts in zahlreichen Experimenten und Abhandlungen über
die Genese der Fehlbildungen niederschlug, verquickte sich im letzten Jahrhundertdrittel
zunehmend mit unterschiedlich motivierten Degenerationstheorien und infolgedessen mit
sozialdarwinistischen beziehungsweise früheugenischen Thesen über das körperlich
Abweichende.365 An der Schwelle zum 20. Jahrhundert hatte vor allem die Arbeit des
englischen Naturforschers Charles Darwin, On the Origin of Species (1859), eine tief
greifende Angst vor der Degeneration des Menschen evoziert, die zu einem Nebeneinander
unterschiedlicher Disziplinen führte, die sich gemeinsam der Erforschung der Abweichung
verschrieben.366 Charles Darwin (1809-1882) war zu der Erkenntnis gelangt, dass sich
Organismen allmählich durch natürliche Selektion entwickeln und nicht, wie die seinerzeit
weitläufig akzeptierten Theorien der Schöpfungsbiologie postulierten, von einem
Schöpfergott erschaffen worden waren. Als Darwin in seinem 1871 veröffentlichten
zweibändigen Werk The Descent of Man, and Selection in Relation to Sex behauptete, „man
is descended from some lowly organised form […] there can hardly be a doubt that we are
descended from barbarians”367, wurde damit gleichermaßen das Selbstverständnis der
Europäer infrage gestellt. Die kolonialistischen Bestrebungen vor allem in der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts hatten zu einem autoaffirmativen Eurozentrismus auch in der
wilhelminischen Gesellschaft geführt, der nicht zuletzt durch die „anthropologischzoologischen“ Völkerschauen eines Carl Hagenbeck oder Wilhelm Siebold immer wieder
bekräftigt und dadurch internalisiert wurde.368 Darwins Evolutionstheorie brachte die
überkommene Maxime von der europäischen Überlegenheit ins Wanken und führte
infolgedessen zu Verunsicherung und der Angst, sich nicht mehr sicher einordnen oder klar
abgrenzen zu können. Dem vermeintlich zivilisierten Menschen war ein „zunehmend […]
beunruhigendes, animalisches Inneres“369 attestiert worden, infolgedessen sich die
Gesellschaft
von
„Erbschäden,
Degenereszenz,
geborenen
Verbrechern,
moralisch
Irrsinnigen und verdorbenen Anlagen“370 bedroht sah. Wortführer in dem Diskurs über
365
U. Zürcher: Monster oder Laune der Natur. S. 13.
K. Breitenfellner: Physiognomie und Charakter. S. 62.
367
C. Darwin. The Descent of Man. S. 415.
368
Vgl. dazu Kapitel 3.2.7.
369
J. Person: Der pathographische Blick. S. 101.
370
Ebd.
366
51
Fortschritt und Degeneration war der Arzt und Kulturkritiker Max Nordau (1849-1923), der
in seiner 1892/93 erschienenen Radikalpolemik Entartung die Literaten des Fin-de-Siècle als
augenfälliges Symptom für die Degeneration der Gesellschaft begriff.371 Der italienische
Arzt Cesare Lombroso (1835-1909) sah indes den Verbrecher als „Träger von
Degenerationszeichen“372 und entwickelte in Anlehnung an die Physiognomik Johann Caspar
Lavaters eine Semiotik, „die unabhängig von einer Straftat den nicht besserungsfähigen Täter
entlarven sollte.“373 Anhand von bestimmten körperlichen Stigmata wie einer starken
Kinnlade, vorragenden Stirnhöhlen, schmalen Lippen oder gesenkten Augenlidern374 glaubte
Lombroso Korrelationen zu der „entartete[n] Seele“375 des Verbrechers herstellen zu können
und folgte damit ganz dem Analogie-Denken Lavaters. In diesem Zusammenhang wirkt
Georg Christoph Lichtenbergs Prophetie über die forensische Anwendbarkeit der
Physiognomik nicht ganz unberechtigt: „Wenn die Physiognomik das wird, was Lavater von
ihr erwartet, so wird man die Kinder aufhängen, ehe sie die Thaten gethan haben, die den
Galgen verdienen.“376 Lombroso war der Ansicht, dass kriminelle Aktivitäten weder als
moralische Frevel noch als Reaktionen auf widrige soziale Umstände anzusehen seien,
sondern die Folge eines biologischen Determinismus waren, namentlich den Rückschlag
(Atavismus) in ein früheres Entwicklungsstadium der Menschheit.377 Gemäß jener
Atavismus-Theorie degenerierten bei einem solchen Rückschlag nicht nur die moralischen
Eigenschaften jenes „geborenen Verbrechers“378, sondern auch bestimmte körperliche
Merkmale, die es als Maßnahme zur Prävention krimineller Handlungen zu dechiffrieren
galt.
Das semiotische Modell der Atavismus-Theorie kontrastierte die sichtbaren körperlichen
Anomalien mit dem „idealtypischen Bürgerkörper“379 und infolgedessen wurden jene
sichtbaren Abweichungen von der „Normativität des Schönen“380 zum Verdachtsindiz für
moralische Verfehlungen des somit in doppelter Hinsicht stigmatisierten Menschen. Zwar
sprach sich Lombroso keineswegs für eine grundsätzliche Inkriminierung von Menschen mit
angeborenen
Fehlbildungen
aus,
doch
der
Analogieschluss
von
körperlicher
371
Ebd.
P. Becker: Der Verbrecher als „monstruoser Typus“. S. 148.
373
Ebd.
374
K. Breitenfellner: Physiognomie und Charakter. S. 63.
375
P. Becker: Der Verbrecher als „monstruoser Typus“. S. 148.
376
G. C. Lichtenberg: Vermischte Schriften. S. 204.
377
P. Becker: Der Verbrecher als „monstruoser Typus“. S. 148.
378
K. Breitenfellner: Physiognomie und Charakter. S. 63.
379
P. Becker: Der Verbrecher als „monstruoser Typus“. S. 159.
380
P. Strasser: Die verspielte Aufklärung. S. 93.
372
52
Normabweichung zu moralischer Verfehlung deutet an, dass die Naturalisierung des
Menschenbildes nicht die vermeintliche Zeichenhaftigkeit des Körpers hatte überwinden
können. Die kriminalanthropologische Physiognomik Cesare Lombrosos ging jene
„unheilvolle Verbindung von Mythos und Wissenschaft“ ein, deren Auflösung eines der
primären Ziele der Verwissenschaftlichung seit dem 17. Jahrhundert gewesen war.381
2.4 Zusammenfassung
Die Geschichte der Wahrnehmung körperlicher Fehlbildung seit der frühen Neuzeit ist
eine Geschichte divergierender Deutungsversuche über die Ätiologie und Phänomenologie
des so genannten „Monströsen“. An dem überaus komplexen Diskursfeld über
Monstrositäten waren verschiedene Institutionen wie Kirche, Jurisprudenz und die sich
etablierenden Naturwissenschaften beteiligt, die der Existenz der Monstra unterschiedliche
Funktionen und Ursachen zuschrieben. So galten unter anderem psychische Einflüsse auf die
Schwangere, menschliche Wollust, der Teufel und schließlich Gott, der mit den Monstren
bestraft oder Zeichen vor drohendem Unheil setzt, als Ursachen beziehungsweise Urheber
des Monströsen. Dabei wurde vor allem in konfessionspolitischer Hinsicht ein
Verweiszusammenhang von Wunderzeichen und historischem Ereignis hergestellt. Dem
Monsterdiskurs entsprang eine große Variationsbreite an Texten, die sich mit der Bedeutung
des Monströsen auseinandersetzten. Neben Monstraflugblättern, die die Geburt fehlgebildeter
Kinder ankündigten, und populären Monsterbeschreibungen wie Goltwurms Wunderwerck
vnd Wunderzeichen Buch oder Rueffs Trostbüchle, mehrten sich auch die naturkundlichmedizinischen Abhandlungen über Typen und Ursachen von Monstren. Dabei schlossen sich
in der frühneuzeitlichen Ontologie natürliche und übernatürliche Ursachen nicht aus, allein
schon deshalb, weil das Gebiet der Fehlbildungen ausreichender wissenschaftlicher Kenntnis
ermangelte. So fanden sich in den medizinischen Traktaten eines Parés oder Licetus
Darstellungen von tatsächlichen körperlichen Anomalien neben Phantasiegestalten. Die
verschiedenen Erklärungs- und Einordnungsversuche existierten bei gelegentlichen
Überschneidungen lange nebeneinander und bestanden selbst dann noch fort, als im 17.
Jahrhundert die Natur als undurchschaubarer lusus naturae zur primären Ursache für
körperliche Anomalien erklärt wurde.382 Doch die Ursachenforschung der frühneuzeitlichen
Mediziner hatte die Voraussetzung für die zunehmende wissenschaftliche Aneignung des
381
382
K. Breitenfellner: Physiognomie und Charakter. S. 65.
M. Hagner: Vom Naturalienkabinett zur Embryologie. S. 73.
53
fehlgebildeten Körpers im 18. Jahrhundert geschaffen. Diesen Prozess charakterisierte der
französische Arzt und Philosoph Georges Canguilhem als eine „Naturalisierung des
Monströsen“, die mit der Verwissenschaftlichung und Rationalisierung der modernen Welt
einherging.383 In ihrem Buch Wunder und die Ordnung der Natur (1998, deutsche
Übersetzung 2002) wenden sich Daston und Park gegen dieses „teleologische Modell der
fortschreitenden und fortschrittlichen Naturalisierung“384, da bereits mittelalterliche Autoren
natürliche Erklärungen für die so genannten Missgeburten anboten und noch im späten 17.
Jahrhundert Monstren als Zeichen Gottes interpretiert oder als lusus naturae verstanden
wurden.385 Folglich hätten nicht konsekutive Entwicklungsstadien sondern „verschiedene
Komplexe aus Interpretationen“, die, so Daston und Park, untrennbar mit „dem besonderen
Publikum, den besonderen historischen Bedingungen und kulturellen Bedeutungen
verknüpft“ seien, den Diskurs über Monstrositäten geprägt. 386
Mit dem Aufschwung der anatomischen Forschung im 18. Jahrhundert wurde der
versehrte Körper zum epistemischen Objekt, anhand dessen sich die Naturgesetzmäßigkeiten
der Embryogenese und die Mechanismen der Fehlbildung nachvollziehen ließen. Das
Monströse wurde nicht mehr als Wunderzeichen Gottes oder als Spielerei beziehungsweise
Verirrung der Natur, sondern als Teil der natürlichen Ordnung angesehen. Daraus ergab sich
jedoch nicht notwendigerweise die Integration fehlgebildeter in den Lebensalltag normal
gebildeter
Menschen.387
„Von
der
Naturgeschichte
der
Aufklärung“
über
die
kriminalanthropologische Physiognomik Cesare Lombrosos bis zum „Genomprojekt“ der
Gegenwart wurde in der Abweichung „eine Störung und Bedrohung von Ordnungsmustern“
vermutet.388 Gleichwohl gingen mit der medizinwissenschaftlichen Aneignung des
fehlgebildeten Körpers nach und nach die religiösen Implikationen, die die Wahrnehmung
von Menschen mit abweichender Physiognomie so lange bestimmt hatten, verloren. Welche
Auswirkungen die medizinwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fehlbildungen auf die
Zurschaustellung versehrter Menschen im 18. und 19. Jahrhundert hatte, wird in den
folgenden Kapiteln zu klären sein.
Ihre größte Popularität erreichten die Abnormitätenschauen in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts, also gerade zu jenem Zeitpunkt, als Charles Darwin mit der Veröffentlichung
383
Ebd.
L. Daston / K. Park: Wunder und die Ordnung der Natur 1150-1750. S. 208.
385
Ebd.
386
Ebd.
387
M. Hagner: Vom Naturalienkabinett zur Embryologie. S. 73.
388
Ebd.
384
54
seiner Evolutionstheorie „wie einst Nicolaus Copernicus, das ‚Weltbild’ des Menschen und
insbesondere sein Selbstverständnis erschüttert[e]“ und eine „Neuorientierung in fast allen
Bereichen“389 provozierte. Dies legt die Frage nahe, ob es einen Zusammenhang zwischen
den naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozessen beziehungsweise gesamtgesellschaftlichen
Wandlungsprozessen und der Zurschaustellung körperbehinderter Menschen gab und welche
Funktion dem zur Schau gestellten, fehlgebildeten Menschen in der zunehmend
verwissenschaftlichten und säkularisierten Welt des 18. und 19. Jahrhunderts zukam.
389
Ä. Bäumer: NS-Biologie. S. 58.
55
3.
DIE ZURSCHAUSTELLUNG VON MENSCHEN MIT KÖRPERLICHER
NORMABWEICHUNG SEIT DEM 18. JAHRHUNDERT
In seiner Erzählung Die Fastnachtsbeichte, die von einem Mord während der Mainzer
Fastnacht handelt, gewährt Carl Zuckmayer einen anschaulichen Einblick in die
eigentümliche Welt einer Abnormitätenschau während der Mainzer „Meß“: „Schließlich
veranlasste sie ihn, mit ihr in eine obskure Bude einzutreten, die sich als ‚AbnormitätenSchau’ anschilderte, und in der es allerhand Mißgeburten und Groteskfiguren, teils echter,
teils fingierter Natur, zu sehen gab: ein Kalb mit zwei Köpfen, draußen wie ein lebendiges
angepriesen, das aber drinnen in Spiritus schwamm, eine Dame ohne Unterleib und eine
Jungfrau mit Fischschwanz, was durch Spiegelungstricks glaubhaft gemacht wurde, die
dickste Frau der Welt, vier Zentner schwer, die bayrisch sprach und freiwillige Herren aus
dem Publikum auf den Armen schaukelte, einen verharschten Krüppel ohne Hände, der mit
den Fußzehen seinen Kopf kratzen, die Gabel zum Mund führen, Schlösser und Riegel
öffnen, eine Knallpistole abschießen und sogar die ersten Takte von ‚Guter Mond’ auf der
Geige kratzen konnte. Außerdem aber, als Sensation, für deren Besichtigung man zehn
Pfennige extra zahlen musste, ein Geschöpf, das auf dem anreißerischen Plakat mit
gesträubter Riesenmähne und wild aufgerissenem Raubtierrachen als ‚Lionel der
Löwenmensch’ – ‚halb Mensch halb Löwe’ – abgebildet war.“390 Wenngleich Zuckmayers
Schilderung einem fiktiven Text entnommen ist, so nennt er doch einige Merkmale, die für
die Abnormitätenschauen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts charakteristisch waren. Dabei
fügt sich Zuckmayers Darstellung in ein unüberschaubares Sammelsurium von Texten und
Abbildungen verschiedener Provenienz, die auf die Zurschaustellung von Menschen mit
abweichender Physiognomie hinweisen.
Bereits in der Antike wurden Menschen mit ungewöhnlicher Körpergestalt als lusus
naturae, als staunenswerte (Schau-)spiele der Natur, „bei Banketten ausgestellt“ oder „in die
Arena zum Kämpfen“ geschickt.391 In London erfreuten sich die so genannten „MonsterShows“ während der Regierungszeit Elisabeths I großer Beliebtheit. Zu sehen waren
Sensationen wie „the hand of a Sea-Monster, half man and half fish“, ein Monstrum „from
the Coast of Brazil, having a head like a Child, Legs and Arms very wonderful, with a Long
Tail like a Serpent, where with he feeds himself, as an Elephant doth with his Trunk“; sowie
390
C. Zuckmayer: Die Fastnachtsbeichte. S. 125f.
J. Kunze/I. Nippert: Genetik und Kunst. S. 5. Zedler schrieb dazu: „Die alten Römer haben bey ihren
Schauspielen in den letzten Zeiten eine Anzahl Zwerge aufgeführet, so miteinander kämpfen müssen.“ (Vgl.
Artikel „Zwerg“. In: Zedlers Universal-Lexikon. Bd. 64, Sp. 1120).
391
56
„a wide variety of persons with natural anomalies”.392 Auch in Deutschland wurden
Menschen mit abweichender Physiognomie zur Schau gestellt. In Flugblättern und populären
Schriften der frühen Neuzeit werden behinderte Menschen beschrieben, die als Attraktionen
über Jahrmärkte zogen und sich in Gaststätten dem interessierten Publikum zeigten.393 Neben
Riesen und Zwergen wurden Albinos, stark behaarte Menschen, siamesische Zwillinge, armoder beinlose „Krüppel“ und Menschen mit körperlichen Entstellungen jeder Art meist gegen
Entgelt an fürstlichen Höfen, auf öffentlichen Plätzen und Jahrmärkten und in Bürger- und
Gasthäusern vorgeführt, nachdem sie „per Zeitungsinserat, Plakat und Handzettel“
angekündigt worden waren.394 Doch es war das 19. Jahrhundert, das die Hochphase der
Abnormitätenschauen markierte. Ein interessiertes Massenpublikum sowie Vertreter der
Medizin und der noch jungen Wissenschaftsdisziplinen Anthropologie und Ethnologie
konnten die „Exoten“ und „Abnormitäten“ in Schaubuden, stationären und ambulanten
Panoptiken, Zoologischen Gärten, im Zirkus oder Varieté sowie schließlich auf Gewerbeund Weltausstellungen bestaunen.395 Ein Rückgang der Abnormitätenschauen war schließlich
in den 1920er Jahren zu verzeichnen und die frühen 1960er Jahre werden in der
einschlägigen Literatur meist als die Endphase der Schauen begriffen396, wenngleich noch in
der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert vereinzelt Abnormitäten in Vergnügungsparks und in
Zirkussen zur Schau gestellt wurden.
Die nachfolgenden Kapitel untersuchen, welche „besonderen historischen Bedingungen
und kulturellen Bedeutungen“397 die Voraussetzungen für die Popularisierung der
Abnormitätenschau im 19. Jahrhundert schufen und wie Menschen mit ungewöhnlicher
Körpergestalt im Rahmen der Vorführungen wahrgenommen und bewertet wurden. Darüber
hinaus ist zu überprüfen, inwieweit die frühneuzeitlichen Deutungs- und Erklärungsmuster,
392
P. Semonin: Monsters in the Marketplace. S. 70.
In der Wickiana finden sich verschiedene Monstraflugblätter, die dezidiert auf die Schaustellung der
beschriebenen „Missgeburten“ eingehen. Eine aquarellierte Federzeichnung aus dem 16. Jahrhundert zeigt
einen jungen Mann, der ohne Hände mit den Armstümpfen schreibt und seine Kunst anno 1570 in Frankfurt/
Main demonstrierte: „Es ist anno 70. zu frankfortt uff der Herbistmess ein junger Gsell gsin, wie dann diese
Figur anzeyget, ist uff diese wält allso erboren worden […]“ (Vgl. Flugblatt von 1570. In: Wickiana, Bd. 8, S.
118. zit. n. A. Sonderegger: Missgeburten und Wundergestalten. S. 57). Einem anderen Flugblatt aus dem 16.
Jahrhundert ist zu entnehmen, dass „Christoffel Tayler […]ein jung knab […] hierher gebracht ist worden auss
Engelandt, 7 jar alt und 8 Monat, 48 Daumen umfang, jeder arm 18 Daumen dick“. Wick ergänzte in einer
Randnotiz, dass der Junge „allhie zu Zürich in meiner Herren Statt zum Schwert am 28 Julij Anno 1582“
vorgeführt wurde. (Vgl. Flugblatt. In: Wickiana, Bd. 20, S. 261. zit. n. A. Sonderegger: Missgeburten und
Wundergestalten. S. 54).
394
H. Mehl: Zur Ausstellung behinderter Menschen auf Jahrmärkten des 16. – 19. Jahrhunderts. S. 38.
395
B. Lange: „Aechtes und Unächtes“. Zur Ökonomie des Abnormalen als Täuschung. S. 216.
396
Vgl. H. Scheugl: Showfreaks & Monster. S. 21.
397
L. Daston/ K. Park: Wunder und die Ordnung der Natur 1150-1750. S. 209.
393
57
die für das Vorkommen von körperbehinderten Menschen herangezogen wurden,
überwunden oder durch andere Erklärungsansätze abgelöst wurden.
Die
Schaustellung
fehlgebildeter
Menschen
ist
ein
transatlantisches
und
panamerikanisches Phänomen, das, wie die Beispiele gezeigt haben, bis in die Antike
zurückreicht. Für eine erschöpfende Untersuchung der Abnormitätenschauen war neben der
zeitlichen eine örtliche Einengung unumgänglich. Die vorliegende Arbeit beschränkt sich auf
den deutschsprachigen Raum und im Speziellen auf die Messestädte Frankfurt und Mainz,
die beide über eine lange Messetradition verfügen. Anhand der in den Mainzer und
Frankfurter Beständen vorgefundenen Zeitungsinserate und Schaustellerzettel, die dezidiert
auf die Präsentation fehlgebildeter Menschen eingehen, soll exemplarisch die Entwicklung
der Abnormitätenschau in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert nachgezeichnet werden.
3.1 Die Messen in Frankfurt und Mainz
Die Anfänge der Frankfurter Messen398 reichen bis in das hohe Mittelalter zurück; eine
Urkunde, die ihre genauen Anfänge belegt, ist der Forschung jedoch nicht bekannt.399 Es
kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die Pfalzsiedlung schon früh Sitz eines
Kornmarktes war, auf dem die regionalen Überschüsse an Korn- und Feldfrüchten gehandelt
wurden.400 Als gesichert gilt, dass König Heinrich VII im Jahr 1227 die Messen zu Frankfurt
am Main und Donauwörth als Vorbilder bei der Errichtung der Würzburger
Allerheiligenmesse benannte und dass Kaiser Friedrich II. am 11. Juli 1240 vom Heerlager
bei Ascoli aus alle Kaufleute, die zu der Messe nach Frankfurt reisten, unter seinen und des
Reiches Schutz stellte.401
Neben der Augustmesse, die sich vermutlich aus dem Fruchtmarkt entwickelt hatte402,
erhielt Frankfurt als erste Stadt des Heiligen Römischen Reiches im Jahr 1330 durch
kaiserliches Privileg eine zweite Messe von vierzehntägiger Dauer verliehen403, die
schließlich als „Fastenmesse vom Sonntag Oculi bis zum Sonntag Judica, also vom vierten
398
Nach der 1953 von der Société Jean Bodin geprägten weiten Definition von Messe sind diese als „large
organized gatherings, at regularly spaced intervals, of merchants coming from distant regions“ zu verstehen.
(Vgl. Gillison, John: The Notion of the Fair in the Light of the Comparative Method. In La Foire. Recueils de la
Société Jean Bodin V. Brüssel 1953, S. 334. zit. n. B. Schneidmüller: Die Frankfurter Messen des Mittelalters –
Wirtschaftliche Entwicklung, herrschaftliche Privilegierung, regionale Konkurrenz In: Brücke zwischen den
Völkern. Bd. 1. S. 70).
399
B. Schneidmüller: Die Frankfurter Messen des Mittelalters. In: Brücke zwischen den Völkern. Bd. 1. S. 69f.
400
Ebd. S. 70.
401
Ebd.
402
Ebd.
403
M. Rothmann: Die Frankfurter Messen im Mittelalter. S. 68./ B. Schneidmüller: Die Frankfurter Messen des
Mittelalters. In: Brücke zwischen den Völkern. Bd. 1. S. 72.
58
bis zum zweiten Sonntag vor Ostern“404, stattfand. Im späten Mittelalter erwuchs aus den
Frankfurter Messen „ein Handelszentrum von europäischer Bedeutung“405, was nicht zuletzt
an Frankfurts günstiger geographischer Lage an den beschifften Flüssen Rhein und Main
lag406 Neben Leipzig wurde Frankfurt so zum zweiten großen Messestandort im Heiligen
Römischen Reich deutscher Nation.407 Doch „die Messe beschränkte sich nicht auf Kaufen
und Verkaufen“408 und mit Rücksicht auf die Messfreiheit gestattete die Ordnungspolitik des
Rates „vieles […], was außerhalb der Messezeit verboten war“.409 Bis ins Spätmittelalter
duldete der Rat etwa die Prostitution auf der Messe, da sie der Befriedigung der
Vergnügungslust des Messepublikums diente und dabei indirekt „ehrbare“ Frauen vor
sittlichen Übergriffen schützte.410 Darüber hinaus vergab der Rat zur Messezeit
Spielkonzessionen an „Schauspielerbanden“, deren Repertoire neben Lustspielen auch
Akrobatik, Tanz und Musik umfasste und die zur Unterhaltung der Messegäste beitragen
sollten.411 Neben akrobatischen Darbietungen durch Seiltänzer, Springer und Gaukler und der
Zurschaustellung fremder Tiere wie Tiger, Löwen, Nashörner, Kamele und Zebras gestattete
der Rat Zahnärzten, Okulisten, Quacksalbern und sonstigen Heilern den Besuch der Messe,
sofern diese bereit waren, eine Abgabe an das Rechneiamt zu tätigen.412 Zuletzt „lockten
Abnormitäten die Schaulustigen an“: Im Jahr 1656 etwa wurde auf der Herbstmesse ein
Schumacher vorgeführt, „der ware kopffs laenger als der groeßte Mensch in hiesiger Stadt“
und 1748 gastierte ein nur 1,5 Frankfurter Ellen (ca. 81 cm) großer Ungar, der keine Beine
hatte, auf der Frankfurter Messe.413
Mit dem Rückgang der Handelsmesse um 1800 erfuhr die Unterhaltungsbranche „am
Rande der Messe“ einen Bedeutungszuwachs, der um 1880 in der Errichtung eigener
Schaustellerhütten in der Ostendstraße münzte, von wo aus die Dippemeß am Ostpark ihren
Anfang nehmen sollte.414
Obgleich der deutsche König Ludwig IV (1281-1347) im Jahr 1337 der Stadt Frankfurt
das Privileg erteilt hatte, dass „weder er noch seine Nachfolger der Stadt Mainz oder einer
anderen Stadt eine Messe oder einen Markt verleihen würden, wenn sie den Frankfurter
404
B. Schneidmüller: Die Frankfurter Messen des Mittelalters. In: Brücke zwischen den Völkern. Bd. 1. S. 73.
Ebd.
406
B. Schneidmüller: Die Frankfurter Messen des Mittelalters. In: Brücke zwischen den Völkern. Bd. 1. S. 68.
407
G. Klunkert: Schaustellungen und Volksbelustigungen auf Leipziger Messen des 19. Jahrhunderts. S. 22.
408
T. Bauer: Am Rande der Messe. In: Brücke zwischen den Völkern. Bd. 2. S. 308.
409
Ebd.
410
Ebd. S. 313f.
411
Ebd. Bd. 2. S. 316.
412
Ebd. Bd. 2. S. 318f.
413
Ebd. Bd. 2. S. 318. Vgl. dazu W. v. Reinöhl: Die gute alte Zeit. S. 351.
414
T. Bauer: Am Rande der Messe. In: Brücke zwischen den Völkern. Bd. 2. S. 320.
405
59
Messen schaden könnten“415, erhielt Mainz im Jahr 1348 als eine der ersten Städte
Deutschlands durch Dekret des römisch-deutschen Königs Karls IV (1316-1378;
Regierungszeit 1346-1378) das Recht, „zwischen dem 3. Sonntag vor Beginn der Fastenzeit
und dem Sonntag Reminiscere [2. Fastensonntag] einen „ewigen Jahrmarkt“ von vier
Wochen Dauer“416 unter den gleichen Bedingungen wie die Frankfurter Herbstmesse417
auszutragen. Zu einer Bedrohung für die benachbarte Reichsstadt Frankfurt wurde Mainz
dennoch nicht, da die Messe von den Kaufleuten nicht angenommen wurde.418 Erst die Jahre
1429-1431 brachten eine erneute Konkurrenzsituation zwischen Frankfurt und Mainz, als die
Mainzer abermals versuchten, zwei Jahrmärkte von je zweiwöchiger Dauer gegen die
Frankfurter Messen einzurichten.419 Die Mainzer Messen waren „als Kampfansage gegen
Frankfurt“ jeweils genau vierzehn Tage vor den Frankfurter Messen terminiert.420 Doch
bereits am 27. Juni 1431 verbot Siegmund (1368-1437) die Mainzer Messen und untersagte
den Kaufleuten ihren Besuch.421
Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde unter Kurfürst Johann Friedrich Karl von
Ostein (1689-1763) versucht, die Mainzer Messe wiederzubeleben422, um, wie es in einer
diesbezüglichen Verordnung hieß, die „Emporbring- und Befestigung des Handels und
Wandels zum allgemeinen Besten“423 zu befördern. Einige wichtige Maßnahmen, die den
Einkauf auf der Mainzer Messe anregen sollten, waren „die Einrichtung einer „CommerzienKommission’, […] religiöse Toleranz, […] Befreiung von der Judensteuer, Erlaß von
Abgaben auf Importwaren“424 und andere. Als sich der gewünschte Erfolg nicht einstellte,
kam es zum Erlass von Gewerbeverboten und der Konfiszierung von Waren, die nicht auf
der Mainzer Messe erstanden worden waren.425 Neben seiner primären Funktion als
Handelsmesse zog der Jahrmarkt in Mainz auch schon früh Schausteller an. Im Jahr 1704
hatte der bekannte fahrende „Johann Andreas Eisenbarth; Chirurgus und Operator“426, der
durch seine „mit großer mühe und arbeit erlernte[ ] profesion […] [schon] drey hundert
415
M. Rothmann: Die Frankfurter Messen im Mittelalter. S. 69.
F. Irsigler: Markt- und Messeprivilegien auf Reichsgebiet im Mittelalter. S. 211f.
417
M. Rothmann: Die Frankfurter Messen im Mittelalter. S. 69.
418
F. Irsigler: Markt- und Messeprivilegien auf Reichsgebiet im Mittelalter. S. 212.
419
M. Rothmann: Die Frankfurter Messen im Mittelalter. S. 70.
420
Ebd.
421
Ebd.
422
K. Härter: Policey und Strafjustiz in Kurmainz. S. 156.
423
MNZ Sign. 980, Verordnung, 18.12.1749. zit. n. K. Härter: Policey und Strafjustiz in Kurmainz. S. 156.
424
K. Härter: Policey und Strafjustiz in Kurmainz. S. 156.
425
Ebd. S. 157.
426
MNZ, Best. 26, Sign. 026 / 0011, Bittschreiben, 1689 8/2.
416
60
Patienten curiret“427, in Mainz die Erlaubnis erhalten, im Rahmen der Messe sein „Theater“
auf dem Heumarkt in Mainz zu installieren428, nachdem er sich in seinem Bittschreiben an
den Kurfürsten auf ein „Privilegium de Anno 1689“429 berufen hatte, welches ihm den
Besuch sämtlicher, in Kurmainz abgehaltener Wochen- und Jahrmärkte gestattete.430 Doch
insbesondere das 19. Jahrhundert brachte „vor allem dem, was der Schau diente, eine
großzügige Entwicklung“431. Der Verfasser eines Artikels über die Geschichte der Mainzer
Messe, der 1926 in der Zeitschrift Komet veröffentlicht wurde, resümierte: „Man sah
Guckkasten, die späteren Panoramen, Abnormitäten – Riesen und Zwerge -, Raritäten,
Wachsfigurenkabinette.“432 Darüber hinaus gastierten auf der Mainzer Messe des 19. und
frühen 20. Jahrhunderts der Illusionist ‚Agoston’, die „mysteriöse Hand“, die „Dame ohne
Unterleib“, englische Reiter, Diadoramen, Affen- und Hundetheater, „Herkulesse, Athleten,
Ringkämpfer, wilde Menschen aller Arten, Schlangen, Krokodille, […] Flohzirkusse, […]
Papa Schichtl […] mit einem kleinen Kasperltheater, […] Hippodroms, Schieß- und
Schnellphotographiebuden, […] „Haut ihn, den Lukas“, orientalische[ ] Irrgarten,
Lachkabinetts […]“ und Anton Wallendas Wander-Varieté mit seiner Hundedressur. 433
Als sich in der Neuzeit der städtische Einzelhandel und das Warenangebot in den Städten
zu differenzieren begann, verloren die Messen als Handelsmärkte an Bedeutung, wodurch
„sich der Anteil der Schausteller434 und das Unterhaltungsangebot auf den Jahrmärkten
[vergrößerte]“435 und auch die Zurschaustellung von Abnormitäten zunahm.
427
Ebd.
T. Grumbach: Kurmainzer Medicinalpolicey 1650-1803. S. 73.
429
MNZ, Best. 26, Sign. 026 / 0011, Brief, 1704 26/7.
430
T. Grumbach: Kurmainzer Medicinalpolicey 1650-1803. S. 73.
431
J. Moebus: Ueber 500 Jahre Mainzer Messe. In: Der Komet. Nr. 2152, vom 24.Juli 1926. S. 5.
432
Ebd.
433
Ebd. S. 5f.
434
Schausteller gehören zum ambulanten Gewerbe, sie sind „fahrendes Volk“. Dering definiert Schausteller als
all „diejenigen, die einzeln oder im Familienverband eigene Geschäfte betreiben, die innerhalb des Gewerbes
verschiedenen Sparten zugeordnet werden können. Dazu gehören Schau-, Fahr-, Belustigungs-,
Geschicklichkeits- und Ausspielungsgeschäfte, außerdem die mobilen Verkaufs-, Gaststätten- und
Imbissbetriebe. All diese Anlagen sind transportabel und werden in der Regel während einer Saison auf
mehreren Plätzen aufgestellt. (Vgl. F. Dering: Volksbelustigungen. S. 23).
435
L. Petzold: Volkstümliche Feste. S. 424.
428
61
3.2 Die Abnormitätenschau – Zur Inszenierung und Vermarktung fehlgebildeter
Menschen auf dem Jahrmarkt
Als Mitte der 1920er Jahre der hochgewachsene Universitätsstudent Jack Earl eine
Zirkusvorführung der Ringling Brothers besuchte, fragte ihn der Impresario: „How would
you like to be a giant?“436 Diese kurze Geschichte, die Robert Bogdan in seinem Aufsatz The
Social Construction of „Freaks“ (1996) wiedergibt, impliziert, dass ein Mann von sehr hoher
Statur nicht zwangsläufig ein Riese ist.437 Ebenso wenig sind körperlich und/ oder geistig
behinderte Menschen mit „Abnormitäten“ gleichzusetzen. Bei der Schaustellung von
Abnormitäten, so Robert Bogdan, bedienten sich die Impresarios verschiedener Strategien
und Techniken und rekurrierten bestimmte Bilder, um so das öffentliche Interesse an ihren
Schützlingen zu steigern.438 Demzufolge sind Abnormitäten soziale beziehungsweise
kulturelle Konstrukte, die Aufschluss darüber geben können, was zu einem bestimmten
Zeitpunkt in einer Gesellschaft als normabweichend aufgefasst wurde. Bogdan führt weiter
aus, dass die Präsentationsweisen von körperlich Beeinträchtigten einem kulturellen Muster
folgten und unterscheidet dabei zwischen dem „exotic mode“ und dem „aggrandized status
mode of representation“.439 Die „exotisierende Inszenierung“ sprach das Interesse der
Menschen am kulturell Fremden, am Primitiven und Exotischen an, das nicht zuletzt durch
die Entdeckungsreisen und die imperialistischen Bestrebungen einiger europäischer Staaten
evoziert worden war. Zu den schaugewerblichen Attributen zählten Kostüme, die der
landestypischen
Tracht
der
meist
imaginierten
Völker
entsprechen
sollten,
und
abenteuerliche Herkunftslegenden, die den Reisebeschreibungen entlehnt waren, die sich seit
dem 18. Jahrhundert einer großen Leserschaft erfreuten. Das Herkunftsland der
Abnormitäten war, so Bogdan, „most often the non-Western world“.440 Die „glorifizierende
Inszenierung“ diente der Idealisierung der Abnormitäten „by laying claim to the superiority
of the freak.“441 Mit erdachten Titeln wie etwa „General“, „Prinzessin“ oder „Prinz“ und
Kostümen,
die
bürgerliche
beziehungsweise
aristokratische Kleidungskonventionen
aufnahmen, wurde die Abnormität als wohlhabend, gebildet und elitär charakterisiert.442
436
R. Bogdan: The Social Construction of „Freaks“. S. 23.
Ebd. S. 24.
438
Ebd. S. 23.
439
Ebd. S. 28.
440
Ebd. S. 28.
441
Ebd. S. 29.
442
Ebd. S. 29f.
437
62
Unter Berücksichtigung der von Bogdan herausgearbeiteten Inszenierungsstrategien
untersuchen die nachfolgenden Kapitel die Präsentationsweisen von Abnormitäten auf
Jahrmärkten in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert. Gleichwohl werden die Grenzen von
Bogdans Modell dargelegt, macht er doch selbst das Zugeständnis, dass die aufgezeigten
Inszenierungsstrategien lediglich wiederkehrende Muster repräsentieren, aber kaum das
ganze Spektrum an Zurschaustellungen abdecken können.443 Zudem konzentrierte sich
Bogdan in seiner Studie Freak show: presenting human oddities for amusement and profit
(1988) auf die amerikanischen Freak Shows zwischen 1840 und 1940. Die wissenschaftlich
weniger gut aufgearbeiteten Inszenierungskonventionen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts
werden in der vorliegenden Arbeit eingehend untersucht und zu den Darstellungs- und
Vermarktungstechniken des 19. und frühen 20. Jahrhunderts in Beziehung gesetzt.
Wenngleich Bogdan davor warnt, Abnormitäten anhand ihrer physiologischen
Auffälligkeiten zu kategorisieren444, da sie primär kulturelle Konstrukte sind, deren
körperliche Normabweichung bisweilen vorgetäuscht oder zumindest dramatisiert wurde,
folgt die vorliegende Untersuchung einer an physiognomischen Charakteristika angelehnten
Gliederung, da sich so die abnormitätsspezifischen Präsentationsweisen des 18., 19. und
frühen 20. Jahrhunderts besser vergleichen lassen. Die Kapitel 3.2.1 bis 3.2.9 behandeln
Abnormitäten, die hinsichtlich ihrer Körpergröße oder ihres Gewichts von der Norm
abwichen, die eine übermäßige Behaarung oder eine Erkrankung der Epidermis aufwiesen,
oder die sichtbar körperlich und/ oder geistig fehlgebildet waren, wie etwa Mikrozephale,
„Rumpfmenschen“ oder „siamesische Zwillinge“.
Vorgebliche „Abnormitäten“, die als Resultat einer Täuschung oder einer Illusion zur
Schau gestellt wurden, werden unter dem Kapitel „‚Humbug’ und ‚Hoaxes’“ (3.2.10) separat
behandelt. Als „Prince of Humbugs“ bezeichnete sich der amerikanische Impresario Phineas
Taylor Barnum (1810-1891), dessen Inszenierungsstrategien in Kapitel 3.2.11 beleuchtet
werden, da sie wichtige Impulse für die Inszenierung von körperlich versehrten Menschen im
19. Jahrhundert gaben, die streckenweise auch die Abnormitätenschauen in Deutschland
prägten.
Kapitel 3.2.12 setzt sich dann kritisch mit der in der einschlägigen Fachliteratur nahezu
einhellig formulierten Behauptung auseinander, dass die öffentliche Zurschaustellung für
Menschen mit abweichender Physiognomie oft die einzige Existenzgrundlage gewesen ist.
443
444
R. Bogdan: The Social Construction of „Freaks“. S. 32.
Ebd. S. 28.
63
Auf die Wechselwirkungen zwischen zeitgenössischer Medizin und Schaugeschäft soll
schließlich in Kapitel 3.2.13 eingegangen werden.
3.2.1 „Laenger als der groeßte hiesige Mensch“ – Die Zurschaustellung von „Riesen“
Die beachtliche Anzahl von Anzeigen, in denen Riesen und Zwerge beworben wurden,
lassen vermuten, dass „für […] Bürger mit Normalmaß Menschen mit stark abweichender
Körpergröße […] von beträchtlicher Faszination gewesen sein [müssen]“445. Berichte über
Riesen finden sich etwa in der griechischen Mythologie, im Alten Testament und im
Märchen, in denen sie als „Giganten und Cyklopen“, als „Enakskinder“, als „Riese Goliath“
und als bärtiger „Rübezahl“ dargestellt werden.446 Immer impliziert ihre mächtige Statur
Stärke und Unbesiegbarkeit, was sicherlich nicht zuletzt ein Grund dafür war, dass
insbesondere Generäle und Fürsten ein ausgeprägtes Interesse an hochgewachsenen
Menschen
zeigten447.
Der
preußische
König
Friedrich
Wilhelm
I.
(1688-1740;
Regierungszeit 1712-1740), dessen „größte Liebhaberei […] große Soldaten“448 waren,
unterhielt eine Garde „aus lauter Riesen“449, die im Volksmund als „Lange Kerls“ bezeichnet
wurden. Nachdem sein Nachfolger die meisten der langen Grenadiere aus dem
Soldatendienst verabschiedet hatte, „haben sich wirklich die größten davon als Riesen für
Geld sehen lassen“450, ein Schicksal, das Mehl zufolge häufig jenen Männern widerfuhr, die
„von Alter und Gesundheitszustand nicht mehr für den Soldatendienst [taugten]“ oder selbst
für den Militärdienst zu groß waren.451
Aus den Aufzeichnungen Wilhelm von Reinöhls ist zu entnehmen, dass Riesen bereits im
17. Jahrhundert in Frankfurt zur Schau gestellt wurden: „Anno 1613 war ein Mensch hier,
der sich auf der Schmidtstuben um Geld sehen ließ wegen seiner großen Statur. Er war 96
Zoll oder 8 Werkschuhe lang; in dem Zimmer konnte er von einem Ende zum anderen
reichen; über sich schriebe er 101 Zoll und mit einem Arm 121 Zoll.“ 452 Diese kurze Episode
deutet bereits eine Vermarktungsstrategie an, die für die Schaustellung von fehlgebildeten
Menschen charakteristisch werden sollte: die Übertreibung. Sowohl in Zeitungsinseraten als
445
H. Mehl: Zur Ausstellung behinderter Menschen auf Jahrmärkten des 16. – 19. Jahrhunderts. S. 47.
Saltarino (H. Otto): Fahrend Volk. S. 40.
447
H. Mehl: Zur Ausstellung behinderter Menschen auf Jahrmärkten des 16. – 19. Jahrhunderts. S. 47.
448
F. Nösselt: Lehrbuch der Weltgeschichte für Töchterschulen und zum Privatunterricht heranwachsender
Mädchen. S. 292.
449
Ebd.
450
F. Nösselt: Lehrbuch der Weltgeschichte für Töchterschulen und zum Privatunterricht heranwachsender
Mädchen. S. 292f.
451
H. Mehl: Zur Ausstellung behinderter Menschen auf Jahrmärkten des 16. – 19. Jahrhunderts. S. 47.
452
W. v. Reinöhl: Die gute alte Zeit. S. 351.
446
64
auch auf Flugblätter und in Annoncen der Fachzeitschrift Der Komet wurden die
physiognomischen Eigentümlichkeiten der Abnormitäten dramatisiert. Übergewichtige
Knaben, hochgewachsene Männer oder stark behaarte Damen wurden als die „schwersten“,
„größten“ oder „schönsten“ ihrer Art beworben. In einer Anzeige des Komet aus dem Jahr
1914 kritisierte der Impresario H. Bremser, der seinerzeit in Berlin und Mainz auf dem
Meßplatz gastierte, den Superlativismus, mit dem ein „in Berlin zur Schau gestellte[r]
Riese[s]“453 beworben wurde: „Auf Grund meiner eigenen Ueberzeugung, sowie der Urteile
einiger erfahrener Schausteller, erkläre ich […] den Titel ‚Größter Mann der Welt!’ als einen
unwahren Reklame-Trick.“454 Dass der Hinweis des Impresarios nicht ganz uneigennützig
war, ging schließlich aus dem klein gedruckten Teil der Anzeige hervor. Nicht der in Berlin
vorgeführte „Teddy Bobs“ sei derjenige, der „jede[n] Riesen […] in allen Körpermaßen
übertrifft“, sondern „Pisjakoff“, der vermutlich ein Engagement bei Bremser absolvierte.455
Dieses Beispiel zeigt, dass das Quellenmaterial der Schausteller stets einer kritischen
Betrachtung unterzogen werden muss, da die Anzeigen üblicherweise der eigenen
Profilierung dienten. Der Riese „Pisjakoff“ oder „Pisjak“ gastierte im August 1898 „zum
ersten Male“456 auf der Mainzer Messe. Mit einer Größe von 2,41 Metern und einem Gewicht
von 375 Pfund wurde er in dem Mainzer Anzeigeblatt Neuester Anzeiger als „Rußlands
größter Soldat“ und als „der größte u. schwerste Riese der Welt“, der „unbestreitbar der
schönste […] des Jahrhunderts“ sei, angekündigt.457 (Abb. 1) Ein weiterer hochgewachsener
Soldat wurde 1917 in Mainz zur Schau gestellt. In dem illustrierten Zeitungsinserat des
Mainzer Anzeigers wurden neben „den langen Joseph“ „zum Beweis seiner Abnormität“458
zwei normal gewachsene Soldaten postiert. Sein Rock aus dunklem Tuch mit weißem Gürtel,
die Hose aus hellem Stoff und die Grenadiermütze kennzeichneten ihn als Infanteristen des
ersten Garderegiments Kaiser Wilhelms II.; in dem beigefügten Text wurde er als
„Reisebegleiter des Kaisers“ bezeichnet.459 Während die beiden Soldaten zu seiner Rechten
und Linken mit Tschakos460 dargestellt wurden, betonte die kegelförmige Grenadiermütze
des langen Joseph seine abnorme Körpergröße von 2,39 Meter zusätzlich. (Abb. 2) Die
Kontrastierung
von
Riesenwuchs
und
Normalwuchs
war
eine
gebräuchliche
453
Anzeige in Der Komet, Nr. 1514, vom 28. März 1914, S. 34.
Ebd.
455
Der Komet, Nr. 1514, vom 28. März 1914, S. 34.
456
Neuester Anzeiger, Nr. 181, vom 6. August 1898.
457
Ebd.
458
H. Mehl: Zur Ausstellung behinderter Menschen auf Jahrmärkten des 16. – 19. Jahrhunderts. S. 49.
459
Mainzer Anzeiger, Nr. 186, vom 11. August 1917, S. 6.
460
Der Begriff stammt aus dem Ungarischen und bedeutet „Husarenhelm“, also eine militärische
Kopfbedeckung von zylindrischer oder konischer Form.
454
65
Inszenierungsstrategie bei der Zurschaustellung besonders hochgewachsener Menschen.
Bisweilen wurden Riesen auch gemeinsam mit außergewöhnlich kleinen Personen
vorgeführt, wodurch der kontrastive Effekt noch verstärkt wurde. Beim Schlossermeister
Diehl auf der Zeil war in der Ostermesse 1788 „[e]in grosser Riese“ zu sehen, der „wegen
seiner Gröse und gutproportionierten Körpers einer der schönsten ist, den man noch allhier
gesehen hat. […] Auch ist dabey eine kleine Madmoiselle, welche schön und wohlgebildet,
doch ohne Hände gebohren ist […]“.461 Auch auf Werbepostkarten bediente man sich der
vergleichenden
Darstellung
von
auffallend
divergierenden
Körpergrößen.
So
ist
beispielsweise auf einer Postkarte der deutschen Schaustellerfamilie Siebold die „Riesin
Sofia mit ihren Däumlingsmenschen“ abgebildet (Abb. 3) und auf einer weiteren Postkarte
ist die „Riesin Elfriede“ zusammen mit der kleinwüchsigen „Prinzessin Elisabeth“ zu sehen
(Vgl. Abb. 4).
Wurden riesenhafte Männer als Soldaten, zumindest aber „in martialischer Haltung“
präsentiert, so akzentuierten Schaustellerzettel und Zeitungsannoncen bei weiblichen Riesen
häufig „das Schöne und Angenehme der Erscheinung“.462 So heißt es in einem
Zeitungsinserat aus dem Jahr 1820, das im Mainzer Wochenblatt abgedruckt wurde: „Mit
obrigkeitlicher Bewilligung habe ich die Ehre ergebenst anzuzeigen, daß in hiesiger Stadt
angekommen ist: Die große Schweizerin, oder: Der weibliche Koloß. Katharina Bödner, von
Schlüpfheim, Kanton Luzern, eine junge Person von 21 Jahren, Größe von 6 Schuh 4 Zoll
deutschen Maaßes, und 300 Pfund wiegend. Dieselbe zeigt sich täglich in ihrer
eigenthümlichen Nationaltracht, und ist in jeder Hinsicht eine der sehenswürdigsten
Naturerscheinungen, sowohl in der Größe, als in der Stärke, alles ist bei ihr verhältnismäßig
und im strengen Einklang mit dem ganzen Körperbau, was so selten bei denjenigen Personen
der Fall ist, die unter der Benennung von sogenannten Riesen sich der Welt zur Schau
darstellen. Uebrigens vereinigt unsere Schweizerin mit einer angenehmen Gesichtsbildung,
einen sehr sanften Charakter, und jenen natürlichen Witz, der den Gebürgsvölkern so
vorzüglich eigen ist.“463 Attribute wie Sanftmut und Witz erweckten sicherlich zusätzlich das
Interesse der Zuschauer, da jene Wesenszüge im eigentümlichen Kontrast zu der
„Walkürengestalt“464 der Riesin standen. Die Anzeige schließt mit dem Hinweis, dass „diese
Person […] von morgens 10 Uhr bis Abends 9 Uhr zu sehen [ist]. Auf Begehren begibt sie
sich nach einer bestimmten Zeit in Familienzirkel. Preise der Plätze: Erster Platz 16, Zweiter
461
Frankfurter Staats-Ristretto vom 25. März 1788, S. 206.
H. Mehl: Zur Ausstellung behinderter Menschen auf Jahrmärkten des 16. – 19. Jahrhunderts. S. 49.
463
Mainzer Wochenblatt, Nr. 67, vom 19. August 1820.
464
Saltarino (H. Otto): Fahrend Volk. S. 46.
462
66
8 Kreuzer. Standespersonen zahlen nach Belieben. […] Der Schauplatz ist im römischen
König.“465 Dieser Zusatz verweist explizit auf die Funktion des Inserats: Es war eine
Reklame für die Zurschaustellung einer jungen Frau mit abnormem Körperwuchs, die sich
dem interessierten Publikum gegen Entgelt in einem Gasthof präsentierte. Wenngleich die
zahlenden Zuschauer sicherlich ihre „Lust an Sensation und Abnormität“ befriedigt wissen
wollten, so betonten die standardisierten Formulierungen indes „die Sittlichkeit der
beteiligten Personen“ und die „Lehrhaftigkeit des Gezeigten“, zwei wesentliche Kriterien, die
zur obrigkeitlichen Genehmigung solcher Vorführungen zu erfüllen waren.466 In einem
Zeitungsinserat, das 1792 in der Beilage des Frankfurter Staats-Ristrettos veröffentlicht
wurde, wird etwa darauf hingewiesen, dass auf der Frankfurter Ostermesse „ein berühmtes
Kunstkabinett von allen erdenklichen Modellen und Maschinen zu sehen [ist], die von
jedermann zum größten Nutzen dienen können.“ Außerdem „wird sich ein kleiner
Lappländer von 23 Jahr alt, und nur 28 Zoll hoch, zeigen, desgleichen von Schönheit und
Geschicklichkeit noch niemals ist gesehen worden.“467
Neben Frauen wurden auch Kinder mit abnormer Körpergröße zur Schau gestellt. Einer
der bekannteren Fälle ist der des Riesen Karl Ullrich (auch Carl Ullrich), der 1895 ein
Engagement in Mainz absolvierte468 und im selben Jahr in Saltarinos Übersicht zu
„Abnormitäten, Kuriositäten und interessanten Vertretern der wandernden Künstlerwelt“
erwähnt wurde. Saltarino zufolge wurde Karl Ullrich am 12. September 1880 in GroßMohnau, Kreis Schweidnitz geboren. Beide Eltern sowie die sieben Geschwister waren von
normaler Körpergestalt und auch Karl Ullrichs Wachstum verlief bis zu seinem dritten
Lebensjahr normal, bevor er „mit grosser Unheimlichkeit zu wachsen“ begann.469 Mit
vierzehn Jahren maß er bereits 1,87 Meter und wog 130 kg, sein Kopfumfang betrug 62
cm470, ein knappes Jahr später wurden seine Körpermaße in einem Inserat des Mainzer
Anzeigers mit „2m [und] 350 [Pfund]“angegeben.471 Saltarino führt weiter aus, dass an dem
Jungen, trotz seiner stattlichen Größe, „keine krankhaften Erscheinungen zu beobachten […]
[seien und] alle Organe“, so die Diagnose des Berliner Pathologen Prof. Dr. Rudolf Virchow,
„fehlerlos [arbeiteten]“.472 Mit der Erwähnung Virchows deutet sich an, dass es durchaus
465
Mainzer Wochenblatt, Nr. 67, vom 19. August 1820.
H. Mehl: Zur Ausstellung behinderter Menschen auf Jahrmärkten des 16. – 19. Jahrhunderts. S. 52.
467
Beylage zu Nro. 60 des Frankfurter Staats-Ristrettos vom 16. April 1792, S. 274.
468
Vgl. dazu Mainzer Anzeiger, Nr. 186, vom 9. August 1895.
469
Saltarino (H. Otto): Fahrend Volk. S. 49.
470
Ebd.
471
Mainzer Anzeiger, Nr. 186, vom 9. August 1895.
472
Saltarino (H. Otto): Fahrend Volk. S. 49.
466
67
Rückkopplungen zwischen Schaugeschäft und zeitgenössischer Medizin gab, die im
Einzelnen noch näher zu untersuchen sein werden.473 Wie aus einer Mitteilung des
Schaustellerinformationsorgans Der Komet hervorgeht, verstarb Karl Ullrich achtzehnjährig
am 21. Mai 1898 infolge einer Gehirnhautentzündung.474
Zwar blieben hochgewachsene Menschen im 18. und 19. Jahrhundert eine Zugnummer
des Jahrmarkts, doch um 1900 zeigten sich erste Anzeichen für eine Übersättigung des
Marktes. Für ein Engagement in Hamburg suchte ein Impresario über eine Anzeige im Komet
„Abnormitäten und sonstige Sehenswürdigkeiten“, Riesen waren jedoch „ausgeschlossen“.475
Auf die große Anzahl an Riesen ist es wohl auch zurückzuführen, dass insbesondere ab der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts viele der im Komet abgedruckten Anzeigen in großen
Lettern
den
Namen
der
zur
Schau
gestellten
Abnormität
enthielten,
um
die
Unterscheidbarkeit der vermeintlichen „Einzigartigkeiten der Natur“476 zu gewährleisten.
3.2.2 „General Mitge“, „Princeß Kolibri“ und „die lebende Teepuppe“ Zur Inszenierung kleinwüchsiger Menschen
Ähnlich wie Riesen haben Menschen mit ungewöhnlich kleiner Statur schon früh das
Interesse der Menschen auf sich gezogen.477 Bereits die römischen Kaiser Tiberius, Augustus
und Domitian hielten sich zu ihrer Unterhaltung Zwerge478, die „bey ihren Schauspielen […]
so miteinander kämpfen [mussten]“479. Im Mittelalter erwarben einige Fürstenhöfe besonders
kleine Menschen zu „Hofnarrenzwecken“ und „noch im 18. Jahrhundert fehlte an den
deutschen Höfen selten ein solcher ‚Kammerzwark’.“480 Häufig wurden Zwerge als
leibhaftige Sammlerstücke an europäische Herrscherhäuser gebracht. Im ausgehenden 16.
Jahrhundert lebten auf dem Hof des polnischen Königs Sigismund-Augustus neun Zwerge
und Caterina de’ Medici konnte sechs Zwerge ihr eigen nennen481. Diese Hofzwerge und
Hofnarren wurden in zahlreichen Gemälden wie etwa „Las Meniñas“ (1656), „Hofzwerg mit
Hund“ (um 1640) oder „Sebastián de Morra“ (1645)482, der als Hofzwerg zur höfischen
473
Vgl. dazu Kapitel 3.2.13.
Der Komet, Nr. 690, vom 11. Juni 1898, S. 28.
475
Der Komet, Nr. 869, vom 16. November 1901, S. 23.
476
M. Hagner: Monstrositäten haben eine Geschichte. S. 14.
477
H. Mehl: Zur Ausstellung behinderter Menschen auf Jahrmärkten des 16. – 19. Jahrhunderts. S. 55.
478
Saltarino (H. Otto): Fahrend Volk. S. 50.
479
Artikel „Zwerg“. In: Zedlers Universal-Lexikon. Bd. 64. Sp. 1120.
480
Saltarino (H. Otto): Fahrend Volk. S. 50.
481
L. Fiedler: Freaks. S. 48.
482
Alle drei Gemälde stammen von dem spanischen Hofmaler Diego Velázquez (1599-1660).
474
68
Entourage König Philipps IV. von Spanien gehörte, porträtiert.483. Einen vorläufigen
Höhepunkt erreichte „die Spielerei mit Zwergen“ im Jahr 1710, als der russische Zar Peter
der Große eine Zwergenhochzeit veranstaltete, bei der 72 Zwerge beiderlei Geschlechts
zugegen waren.484
Auch das Schaustellergewerbe bediente sich der „Zwerge“ als Komplement zu den
Riesen. Infolge der Publikation von Jonathan Swifts Roman Gulliver’s Travels (1726, dt.:
Gullivers Reisen) wurden die zur Schau gestellten Kleinwüchsigen häufig als „Liliputaner“
bezeichnet485, doch auch der ältere Terminus „Zwerg“, der unweigerlich Assoziationen mit
märchenhaften Erzählungen wie etwa Schneewittchen und die sieben Zwerge evozierte486,
war gebräuchlich. Wilhelm von Reinöhl berichtete in seiner umfangreichen Chronik, dass im
Jahr 1665 auf der Frankfurter Messe „ein Zwerg, ein Indianer, 46 Jahre alt, ums Geld gezeigt
[wurde]; [er] war 1 ½ Schuh lang.“487
Für das 18. Jahrhundert belegen verschiedene Zeitungsannoncen die Zurschaustellung
von kleinwüchsigen Menschen auf der Frankfurter Messe. Im Herbst 1775 gastierte die
damals sechszehnjährige „Catharina Helena Stöberin“, ein „kleine[s] Frauenzimmer, […] nur
2 Schuh und 4 Zoll hoch, […] in der Fahrgasse im goldenen Stern“488 in Frankfurt. Aus einer
Anzeige im Frankfurter Staats-Ristretto vom 22. September 1775 geht hervor, dass „selbige
nichts zwergenhaftiges an sich hat, sondern im Gegentheil, alle Glieder nach ihrer Größe
wohl proportionirt sind.“489 Fiedler hat in seiner Untersuchung Freak: Myths and Images of
the Secret Self (1978) darauf hingewiesen, dass „die Vorstellung von zwei Pygmäenarten“
zwar schon „immer und überall“ existierte, doch nur die englische Sprache würde zwischen
den kleinen, „grotesk“ erscheinende Menschen mit langem Torso, großem Kopf und kurzen
Beinen und den „hübsch“ proportionierten Kleinwüchsigen differenzieren und diese
entsprechend als „dwarfs“ beziehungsweise „midgets“ bezeichnen.490 Im deutschsprachigen
Raum wurde im 20. Jahrhundert analog dazu zwischen „Liliputanern“ und „Bastarden“
unterschieden, wie der Essener Schausteller Erich Knocke in einem Gespräch, das der
Materialerhebung vorausging, erklärte.491 Die Diskriminierung von achondroplastischen oder
483
T. Macho: Zoologiken: Tierpark, Zirkus und Freakshow. S. 171.
Saltarino (H. Otto): Fahrend Volk. S. 50.
485
H. Mehl: Zur Ausstellung behinderter Menschen auf Jahrmärkten des 16. – 19. Jahrhunderts. S. 55.
486
L. Fiedler: Freaks. S. 43.
487
W. v. Reinöhl: Die gute alte Zeit. S. 351.
488
Frankfurter Staats-Ristretto, 149 St., vom 22. September 1775, S. 598.
489
Ebd.
490
L. Fiedler: Freaks. S. 43.
491
Das Gespräch wurde am 21. März 2009 während einem Besuch der Autorin im Essener Markt- und
Schaustellermuseum geführt und als Gesprächsprotokoll dokumentiert.
484
69
„unechten Zwergen“492 im Schaugeschäft belegen auch zwei Anzeigen, die im Jahr 1896 im
Komet veröffentlicht wurden: Die erste Anzeige war eine „Offerte“, die sich an „Zwerge,
Damen und Herren, proportionirt gebaut“493 richtete, die zweite ein Stellengesuch eines 100
cm großen „Zwerges“, der sich als „hübsch gewachsen“494 beschrieb.
Es ist anzunehmen, dass die „Zwergin“ Catharina Helena Stöberin für die ganze Dauer
der Herbstmesse in Frankfurt verweilte. Am 3. Oktober 1775 wurde ihre Schaustellung
abermals angekündigt, diesmal mit dem zusätzlichen Hinweis, dass „sich niemand scheuen
darf, selbige anzusehen“, da „alles sehr wohl gebildet“ ist.495 Dieses Textbeispiel bezeugt,
dass Abnormitäten trotz ihrer abweichenden Physiognomie bestimmte maßästhetische
Kriterien zu erfüllen hatten, um als sehenswert zu gelten. Robert Bogdan interpretiert die
betont positive Darstellung der äußeren Erscheinung, insbesondere bei Riesen und Zwergen,
als Teil des „aggrendized mode“, einer Inszenierungsstrategie, die der Idealisierung der
Abnormitäten dient.496 So wurde die Zwergin in einem Kupferstich von J. E. Nilson, der im
Historischen Museum in Frankfurt aufbewahrt wird497, im Kontrapost auf einem Tisch
stehend und „in hübschem Rokoko-Kostüm“498 gekleidet gezeigt. Ein handschriftlicher
Vermerk auf dem Schaustellerzettel erinnert: „ware in Franckfurt zu sehen in der HerbstMesse 1775.“499 (Abb. 5) In seinem Aufsatz über die Zurschaustellung behinderter Menschen
auf Jahrmärkten beschreibt Mehl einen ganz ähnlichen Kupferstich, der ebenfalls von Nilson
angefertigt wurde und Catharina Helena Stöberin im Alter von siebzehn Jahren zeigt, wie
einer Schrifttafel zu entnehmen ist. Dieses ebenfalls 1775 datierte Blatt aus den Magazinen
der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen500 legt nahe, dass Stöberin quer durch
Deutschland reiste, um mehrere Engagements in einem Jahr zu absolvieren.
492
In seinem populärwissenschaftlich gehaltenen Werk Monster und Dämonen (1996) unterscheidet der
Rostocker Anatom Gert-Horst Schumacher „zwischen echten Zwergen oder Primordialzwergen und unechten
Zwergen oder Sekundärzwergen.“ In der medizinischen Fachsprache wird entsprechend zwischen dem
hypoplastischen und dem achondroplastischen Zwergwuchs unterschieden. Während beim „echten“ oder
hypoplastischen Zwergwuchs die Körperproportionen mit denen normalwüchsiger Menschen übereinstimmen,
zeigen „unechte“ beziehungsweise achondroplastische Zwerge „einen disproportionierten Körperbau, der auf
Störungen des Knorpel- und Knochenwachstums beruht. In der Regel sind die unteren Extremitäten stark
verkürzt.“ (Vgl. Schumacher, Gert-Horst: Monster und Dämonen. S. 47f./ R. Bogdan: The Social Construction
of „Freaks“. S. 31).
493
Der Komet, Nr. 565, vom 18. Januar 1896. S. 19.
494
Der Komet, Nr. 608, vom 14. November 1896. S. 19.
495
Frankfurter Staats-Ristretto vom 3. Oktober1775. S. 626.
496
R. Bogdan: Freak Show. S. 109.
497
T. Bauer: Zwergin. In: Brücke zwischen den Völkern, Bd. 3. S. 328.
498
H. Mehl: Zur Ausstellung behinderter Menschen auf Jahrmärkten des 16. – 19. Jahrhunderts. S. 55.
499
T. Bauer: „Zwergin“. In: Brücke zwischen den Völkern, Bd. 3. S. 328.
500
Vgl. H. Mehl: Zur Ausstellung behinderter Menschen auf Jahrmärkten des 16. – 19. Jahrhunderts. S. 55.
70
Wie aus einem veröffentlichten Tagebucheintrag501 des sächsischen Hofmarschalls Graf
Salisch hervorgeht, zählte „zum Merkwürdigsten der Herbstmesse 1801 […]die
zweiundzwanzigjährige Nannette Stockerin“502, die „nicht größer als ein zweijähriges
Kind“503 war und „geläufig Klavier [spielte]“504. Der Hinweis, dass sie „allgemein bedauert
[wurde], da sie bis in die späte Nacht hinein von Neugierigen umlagert war“505, deckt sich
mit Angaben zum Vorführungszeitraum in vergleichbaren Inseraten des 18. und frühen 19.
Jahrhunderts. Häufig wurden die Abnormitäten täglich und ganztägig zur Schau gestellt,
etwa von „Morgens 9 Uhr, bis Abends 9 Uhr“506; zusätzlich hatten sie „auf Begehren“507
Engagements in Privathäusern zu absolvieren. Die langen Arbeitszeiten der zur Schau
gestellten Abnormitäten trugen dabei primär den kommerziellen Interessen der Impresarios
Rechnung.
Ein Kupferstich, der Nannette Stockerin oder Nanette Stocker beim Musizieren am
Klavier zusammen mit dem ebenfalls kleinwüchsigen Jean Hauptmann zeigt, hat sich im
Schleswig-Holsteinischen Landesmuseum Schloss Gottorf erhalten.508 (Abb. 6) Mehl
erläutert, dass die Abbildung an Darstellungen der Geschwister Wolfgang und Nannerl
Mozart erinnert, „die als hochbegabte Kinder […] von Hof zu Hof gebracht wurden, um vor
entzückten
Gesellschaften
ihre
Kunststücke
vorzuführen.“509
Im
Rahmen
von
Abnormitätenschauen diente die Aufführung von Kunststücken einer ausgeklügelten
Inszenierungsstrategie, die Robert Bogdan in seiner Studie zu Freak Shows (1988)510 als
„aggrandized mode“511 bezeichnet. Indem sie aristokratischen Tätigkeiten wie Gedichte
Schreiben, Malen oder Musizieren nachgingen, wurden die zur Schau gestellten
Abnormitäten als dem Publikum überlegen präsentiert.512 Diese vermeintliche Überlegenheit
konnte sich auch in einer „standesgemäßen“ Kleidung, das heißt Abendgarderobe, Schmuck,
501
Dem Komet zufolge, wurde die Messebeschreibung des Hofmarschalls in der Frankfurter Zeitung im Ersten
Morgenblatt vom 5. Dezember 1801 unter dem Titel „Aus dem Tagebuch eines Hofmarschalls“ veröffentlicht.
(Vgl. Der Komet, Nr. 858, vom 31. August 1901, S. 3f). Da eine Anfrage in Archiven und Bibliotheken ohne
Erfolg blieb, sind die Angaben zur Schaustellung der Zwergin einem Bericht des Komet entnommen, der die
Schilderungen des Hofmarschalls und „andere[r] Berichterstatter“ zusammengefasst wiedergibt.
502
T. Bauer: „Am Rande der Messe“. In: Brücke zwischen den Völkern. Bd. 2. S. 318f.
503
Die Frankfurter Herbstmesse im Jahr 1801. In: Der Komet, Nr. 858, vom 31. August 1901, S. 4.
504
Ebd.
505
Ebd.
506
MNZ, Best. 26, Sign. 026 / 0011, Einblattdruck, 1777 16/4.
507
Mainzer Wochenblatt, Nr. 67, vom 19. August 1820.
508
Vgl. H. Mehl: Zur Ausstellung behinderter Menschen auf Jahrmärkten des 16. – 19. Jahrhunderts. S. 55.
509
H. Mehl: Zur Ausstellung behinderter Menschen auf Jahrmärkten des 16. – 19. Jahrhunderts. S. 55.
510
Bogdan, Robert: Freak Show. Presenting Human Oddities for Amusement and Profit. Chicago/ London
1988.
511
R. Bogdan: Freak Show. S. 108.
512
R. Bogdan: The Social Construction of Freaks. S. 29f.
71
Pelze, Zylinder, Frack und andere Accessoires „des feinen Geschmacks“ oder etwa in
prestigeträchtigen Titeln ausdrücken.513 Im Jahr 1895 gastierte „‚General Mitge’ der kleinste
Mann der Welt“514 in Mainz und 1903 „das rätselhafte Menschenwunder Prinzessin Nouma
Hawa, das lebende Tautröpfchen, 17 Jahre alt, 68 cm. groß“515. Auch im Komet wurden
insbesondere kleinwüchsige Frauen mit imaginierten Titeln wie etwa „Princesse
Picollomini“516 oder Prinzeß Pilinett, […] die Königin der Zwerge“517 angekündigt.
Eine weitere Praktik zur Inszenierung des „aggrendized status“518 resultierte aus der
Beteuerung der Impresarios, dass selbst Staatsoberhäupter und Mitglieder der Königs- und
Fürstenhäuser zu den staunenden Zuschauern gehörten.519 Eine Anzeige, die sich der
beschriebenen Strategien bedient, erschien etwa 1781 im Frankfurter Staats-Ristretto. Dem
Zeitungsinserat war zu entnehmen, dass „Mr. Francesco Carata von Trient, mit einer Tochter
namens Dominica“520 auf der Herbstmesse in Frankfurt gastierte. Sie war „nicht größer […]
als 2 Schuh 5 Zoll [und] dabey so proportionirlich, daß sie von vielen Herrschaften
bewundert worden.“521 Ihre besonderen Begabungen wurden in der Anzeige wie folgt
beschrieben: „Sie ist […] sehr verständig, tanzet einen artigen Menut und balanciret mit einer
Pfaufeder, wo sie zu Schönbrunn vor Ihro Kayserl. Majest. sich zu zeigen die Gnade
gehabt.“522 Bogdan zufolge suggerierte die vermeintliche Popularität dem Zeitungsleser, dass
die Abnormitäten trotz ihrer Behinderung in vornehmen Gesellschaftskreisen verkehrten und
somit nicht als „mere scientific specimens, but a loftier breed entirely“523 anzusehen seien.
Die Darbietung von Kunststücken, „that one might assume could not be done by a person
with that particular disability“, kompensierte die körperliche Behinderung und bekräftigte so
die Charakterisierung der Abnormitäten als „physically normal, or even superior“.524
513
R. Bogdan: Freak Show. S. 108.
Mainzer Anzeiger, Nr. 186, vom 9. August 1895.
515
Mainzer Anzeiger, Nr. 182, vom 7. August 1903.
516
Der Komet, Nr. 595, vom 15. August 1896. S. 19.
517
Der Komet, Nr. 759, vom 7. Oktober 1899. S. 23.
518
R. Bogdan: The Social Construction of Freaks. S. 29.
519
Ebd. S. 30.
520
Frankfurter Staats-Ristretto vom 14. September 1781, S. 596.
521
Ebd.
522
Frankfurter Staats-Ristretto vom 14. September 1781, S. 596. Mit großer Ausführlichkeit wurde ein stark
behaartes Mädchen, das 1777 in Frankfurt „im weißen Greis auf der Zeil“ zur Schau gestellt wurde, beworben:
Dem Einblattdruck war zu entnehmen, dass „[d]ieses Mägdchen […] so wundernswürdig [ist], daß es die
Aufmerksamkeit Sr. Allergloreichst regierenden Römisch-Kaiserl. Majestät, Josephs II, gleich als Sr.
Allerchristl. Königl. Majestät, Ludwig des XVI und der ganzen königl. Familie, auf sich gezogen hat. Wie nicht
weniger solches von Sr. Majestät dem Könige von Großbritannien, von dem Durchlauchtigsten Churfürsten zu
trier, und von Sr. Durchl. dem Prinzen von Oranien, bewundert worden ist. […]“ (Vgl: MNZ, Best. 26, Sign.
026 / 0011, Einblattdruck, 1777 16/4).
523
R. Bogdan: Freak Show. S. 108.
524
Ebd. S. 109.
514
72
In seiner 1662 veröffentlichten Abhandlung Physica Curiosa unterteilte der Pädagoge
und
Naturwissenschaftler
Gaspar
Schott
(1608-1666)
Lebewesen
mit
abnormer
Physiognomie in mirabilia hominum und mirabilia monstrorum. Während er schwere
Fehlbildungen
wie
etwa
„Akephalie“525,
„Polykephalie“,
Doppelfehlbildungen,
Fehlbildungen der Gliedmaßen und Hybridwesen „cum capite non humano“526, also
Lebewesen ohne menschlichen Kopf, den mirabilia monstrorum zuordnete, kategorisierte er
Zwerge, Riesen und übergewichtige Männer und Frauen als mirabilia hominum527. Erst mit
der Etablierung der Teratologie im 19. Jahrhundert wurde Kleinwuchs zu den Fehlbildungen
gezählt.528 Die Betonung der Normalität beziehungsweise Überlegenheit von körperlich
versehrten Menschen und insbesondere Kleinwüchsigen im Schaugeschäft stand somit im
Gegensatz zur Pathologisierung derselben in der Teratologie.
3.2.3 „Positively Fat“: Die Schaustellung von beleibten Menschen
Am 25. August 1827 wurde „[m]it hoher obrigkeitlicher Bewilligung“ die Schaustellung
eines „Riesen-Knaben“ auf der Mainzer Messe in einer Anzeige des Mainzer Wochenblatts
angekündigt.529 Aus dem Zeitungsinserat geht hervor, dass der siebenjährige Junge bei einer
Körpergröße von „etwa 4 Schuh 6 Zoll […] über die Schultern 20 Zoll, über die Schenkel 25
Zoll, über die Waden 15 Zoll [maß], und […] 150 Pfund [wog], und […] schon bei der
Geburt 24 ½ Pfund gewogen [hat].“530 Die akribische Wiedergabe der Körpermaße, die an
die Darstellung pathologischer Fälle von Obesität in medizinischen Journalen des 19.
Jahrhunderts erinnert531, sollte die Authentizität und Verbindlichkeit der beschriebenen
Abnormität unterstreichen. Doch ähnlich wie außergewöhnlich starke Menschen, die mit
vielsagenden Namen wie etwa „Samson“ oder „Herkules“ auf Jahrmärkten zur Schau gestellt
wurden, unterscheiden sich übergewichtige Menschen von anderen Abnormitäten dadurch,
525
grch. „ohne Kopf“.
G. Schott: Physica curiosa. Liber Quintus: De mirabilibus monstrorum. S. 573f.
527
L. Fiedler: Freaks. S. 47. (Vgl. dazu Schott, Gaspar: Physica curiosa, sive mirabilia naturae et artis libris XII.
comprehensa. sumptibus Wolfgangi Mauritii Endteri. Würtzburg 1662. Digitalisat der lateinischen Ausgabe,
Würzburg 1697: http://num-scd-ulp.u-strasbg.fr:8080/view/authors/Schott,_Gaspar.html).
528
L. Fiedler: Freaks. S. 47.
529
Mainzer Wochenblatt, Nr. 68, vom 25. August 1827.
530
Ebd.
531
In Canstatt’s Jahresbericht über die Fortschritte der gesammten Medicin in allen Ländern im Jahre 1859
heißt es etwa in der Beschreibung eines zwölfjährigen übergewichtigen „Hinduknaben“: „Er wiegt 206 Pfund,
ist 48 ½ Zoll hoch, der Umfang der Brust misst 39, der des Bauches 43, des Oberschenkels 27, der Wade 16,
des Armes 15 ½ Zoll […]“. (Vgl. Canstatt’s Jahresbericht über die Fortschritte der gesammten Medicin in allen
Ländern im Jahre 1859. Redigiert von Prof. Dr. Scherer, Prof. Dr. Virchow und Dr. Eisenmann. Bd. 4.
Würzburg 1860.S. 254).
526
73
dass ihre abweichende Physiognomie nicht angeboren ist. Fiedler bemerkte in seiner Studie
über “Freaks”: „The Fats […] begin not with an irreversible fate, but a tendency, a possibility
of attaining monstrous size, which they can fight or feed or merely endure.“532 Ganz ähnlich
argumentierte 1996 Johnny Meah, als er in seinen Anmerkungen zu Jim Secretos Aufsatz
Larger Than Life. Positively Fat schrieb: „Although I readily acknowledge Fat People as a
popular attraction, I’ve never regarded them in the same way I regard Midgets and Giants. A
Midget, Dwarf or Giant has a course charted for them at birth by their pituitary gland. Most
professional Fat People (mind you, I say most), are self-made freaks who have literally eaten
their way into the spotlight.”533
In einem amerikanischen Standardwerk über Jahrmärkte von Joe McKennon konstatiert
der Autor: „Fat people have been featured on all important midways. They are the most
popular of all human freaks of nature with the show-going public”534. Dabei wurden
beleibtere Menschen stets mit einer eigentümlichen Ambivalenz betrachtet.535 In
dickwanstigen Figuren wie etwa Silenos, Bruder Tuck und Falstaff wurde Obesität
gleichgesetzt mit Lebenslust, Maßlosigkeit und Trunksucht; eine Konnotation, die auch in
der englischen Redewendung „Laugh and grow fat“ zum Ausdruck kommt.536 Der englische
Arzt John Gideon Millingen537 publizierte im Jahr 1839 ein Kompendium, das in gedrängten
Aufsätzen
pseudowissenschaftliche
Themen
wie
„spontane
Selbstentzündung“,
„Riesenrassen“ oder die „heilende Wirkung von Musik“ behandelt. In seinem Kapitel über
Fettleibigkeit gibt er eine knappe Zusammenfassung über die Wahrnehmung von beleibten
Menschen seit der Antike. Millingen zufolge empfanden die Griechen für übergewichtige
Menschen eine „unübertreffliche Geringschätzung“ und die „Gentoos“, die ihre Behausungen
über ein Loch im Dach betreten, erachteten „any fat person who cannot get through it […] as
an excommunicated offender who has not been able to rid himself of his sins.“538
Andererseits gäbe es auch Länder „especially in the East“, wo eine moderate Fettleibigkeit
sehr geschätzt würde.539 Junge Tunesierinnen etwa würden vor ihrer Hochzeit „gemästet“
und die „absurden Ausmaße“ der Hottentotten gälten als „Perfektion“.540
532
L. Fiedler: Freaks. S. 124f.
J. Secreto: Larger Than Life. Positively Fat. S. 90.
534
J. McKennon: A pictorial history of the American carnival. S. 17.
535
L. Fiedler: Freaks. S. 126.
536
Ebd.
537
Fiedler nennt den Arzt in seiner Arbeit fälschlicherweise „J. G. Milligan“. (Vgl. L. Fiedler: Freaks. S. 126).
538
J. G. Millingen: Curiosities of medical experience. S. 2.
539
Ebd. S. 3.
540
Ebd.
533
74
Fiedler hat darauf hingewiesen, dass viele Herrscher des Okzidents über eine auffallende
Leibesfülle verfügten, darunter etwa der griechische Gott Dionysos, William der Eroberer
oder der französische König Louis XVIII.541 Da im rinascimentalen Europa Leibesfülle
folglich häufig mit politischer Macht gleichgesetzt wurde, dienten korpulente Menschen,
anders als etwa Zwerge oder Bucklige, nicht als Hofbelustigungen an Fürsten- und
Königshäusern.542 Erst im 18. Jahrhundert begann ihre Schaustellung als Abnormitäten.543
Insbesondere das englische Publikum schien an beleibten Personen Gefallen zu finden und
immerhin waren die drei berühmtesten „Fat Men“ des 18. Jahrhunderts englischer
Herkunft.544 Der prominenteste unter ihnen war Daniel Lambert (1770-1809), ein
Gefängnisaufseher aus Leicester, der bei einer Größe von 1,80 m545 ein Höchstgewicht von
739 Pfund erreichte.546 Nachdem das Gefängnis, in dem er arbeitete, im Jahr 1805
geschlossen wurde, zog sich „[T]he Jolly Goaler of Leicester“547 für etwa ein Jahr zurück,
ehe er begann, sich in London und in seinem Haus in Leicester gegen Entgelt zur Schau zu
stellen.548 Für seine abnorme Leibesfülle, die ihm den Titel „prodigy of human dimensions“
einbrachte, interessierten sich nicht nur Schaulustige und Journalisten, sondern alsbald auch
Mediziner, die seinen Fall in medizinischen Kompendien, wie etwa dem Medical and
Physical Journal, veröffenlichten.549 Obgleich Daniel Lambert durch seine Umgangsformen,
seine Bildung und Eloquenz die Erwartungen der Zuschauer übertraf, wie ein Reporter der
Times schrieb550, wurde ihm auch Spott zuteil. Nach seinem Tod infolge einer „fatty
degeneration of the heart“ bemerkte ein Journalist hämisch: „[H]e had reached the acme of
mortal hugeness“551 und in seiner Grabinschrift heißt es süffisant: „[I]n personal greatness he
had no competitor“552.
Die Widersprüchlichkeiten in der Wahrnehmung übergewichtiger Menschen bezeugen
auch die Zurschaustellungen von so genannten „Wunderknaben“ und „Kolossaldamen“ auf
Jahrmärkten und in Zirkussen. Oft gingen Kompromittierung und Bewunderung einher, wie
etwa eine illustrierte Annonce im Mainzer Anzeiger belegt, die einen 350 Pfund schweren
541
L. Fiedler: Freaks. S. 127.
Ebd.
543
Ebd. S. 127f.
544
Ebd. S. 128.
545
J. Bondeson: The two-headed boy, and other medical marvels. S. 243.
546
L. Fiedler: Freaks. S. 128f.
547
J. Nickell: Secrets of the sideshows. S. 95.
548
J. Bondeson: The two-headed boy, and other medical marvels. S. 239f.
549
Ebd. S. 243.
550
Ebd.
551
L. Fiedler: Freaks. S. 128f.
552
J. Bondeson: The two-headed boy, and other medical marvels. S. 252.
542
75
vierzehnjährigen Jungen bewirbt. Aus dem beigefügten Text geht hervor, dass der aus Paris
stammende Knabe „auffallend wenig essen thut“ und in Begleitung „seine[r] Eltern und zwei
Geschwister [ist] […], welche beiden Letzteren jedoch ganz proportionirt sind.“553 Bogdan
schildert in seinem Kapitel über die verherrlichende Darstellungskonvention: „[S]tatus
aggrandizement was also accomplished by emphasizing the normalcy of the freak’s spouse,
children, and family life.“554 Mit Rücksicht auf den normalen Körperwuchs der engsten
Familienangehörigen wirkte der als “Naturseltenheit” betitelte Junge umso merkwürdiger
und außergewöhnlicher. Dieser Eindruck wurde durch den Hinweis, dass er „wenig essen
thut“ nur noch bestärkt. Während seiner Lebzeit war im Umfeld des “menschlichen
Kolosses” Daniel Lambert immer wieder bemerkt worden, „that since he did not eat to
excess, and never drank ale, his extreme corpulence could only be due to some unknown
disease.”555 Wenngleich die moderne Biologie hinlänglich bewiesen hat, dass starkes
Übergewicht ohne die Anwesenheit einer weiteren Krankheit auftreten beziehungsweise
durch endokrine oder genetische Ursachen ausgelöst werden kann556, korrespondierte die
Vorstellung von einer unerklärlichen Krankheit mit der Inszenierung übergewichtiger
Menschen als „prodig[ies] in nature“557, als rätselhafte Naturphänomene. Die Ambivalenz in
der Darstellung des Jungen ergibt sich aus dem großflächigen Kupferstich, der den Knaben
spärlich bekleidet zeigt. Wenngleich der erläuternde Text die Außergewöhnlichkeit der
„Abnormität“ hervorhebt und der Inszenierungsstrategie des „aggrandized status“ folgt, so
entkräftet die Abbildung die vermeintlich „idealisierende Inszenierung“. Denn nicht in
vornehmer Abendgarderobe mit Frack und Zylinder wird der Junge porträtiert, sondern mit
einem knappen Tuch um die Hüften, das kaum mehr als seine Scham bedeckt und den Blick
unverhohlen auf den aufgedunsenen Körper des Knaben freigibt. (Abb. 7) Die annähernde
Nacktheit, die unförmigen Arme, die kräftigen Oberschenkel und die zu kleinen Hände und
Füße, die insgesamt an Darstellungskonventionen eines Peter Paul Rubens erinnern,
fokussieren die Aufmerksamkeit des Lesers – ähnlich wie bei den Riesen – gänzlich auf die
abweichende Physiognomie, anstatt, wie etwa bei der Präsentation kleinwüchsiger
Menschen, von ihr abzulenken. Indem der Junge dem neugierigen Blick des Lesers
beziehungsweise Zuschauers preisgegeben wird, wird ein erotisch-voyeuristisches Bedürfnis
553
Mainzer Anzeiger, Nr. 186, vom 12. August 1855.
R. Bogdan: Freak Show. S. 109.
555
J. Bondeson: The two-headed boy, and other medical marvels. S. 257.
556
Ebd.
557
Ebd. S. 252.
554
76
bedient, das sich auch in der Zurschaustellung beleibterer Frauen und Mädchen nachweisen
lässt.
Im Sommer des Jahres 1903 gastierte „Paolos Panoptikum“ auf dem Mainzer Messplatz,
das „in der Abteilung lebender Naturphänomene die 3 ostpreussischen Kolossal-Geschwister
Wilhelm, Hulda und das Riesenbaby Emil, unstreitig die schwersten Kinder der Welt!“558 zur
Schau stellte (Abb. 8). Die illustrierte Annonce zeigt ein fünfjähriges Mädchen, dessen Hand
auf dem Arm eines älteren Jungen ruht. Sie trägt eine große Schleife im Haar und ist in ein
lose fallendes Negligé gekleidet, das ihren nackten Oberkörper kaum bedeckt. Eine
vergleichbare erotisierte Darstellung findet sich auch in der Schaustellerzeitschrift Komet.
Auf einer Fotografie sind die beiden sieben- beziehungsweise elfjährigen „Riesen-Kinder“
Theresia und Marista in dunkelfarbigen, mit weißer Spitze gesäumten Negligés zu sehen
(Abb. 9).559 Das sitzende Mädchen präsentiert dem augenscheinlich als männlich
imaginierten Betrachter gleich einer Revuetänzerin ihr bestrumpftes Bein und das
hochgerutschte, etwa wadenlange Kleidchen gibt den Blick frei auf das entblößte Knie. Der
großzügige Rundhalsausschnitt des ärmellosen Kleidchens forciert die Sexualisierung der
beleibten Mädchen zusätzlich. In ähnlicher Weise wurden korpulente Frauen dargestellt, die
sich etwa in hochgeschlitzten Kleidern oder in knappen, mit Volants und Spitzen verzierten
Unterkleidern, jedoch stets mit entblößten Armen und Beinen und tief dekolletiert
präsentierten (Vgl. Abb. 10). Wie ihre männlichen Kollegen galten auch weibliche „Kolosse“
als Inbegriff jovialer Lebenslust und insbesondere in amerikanischen Abnormitätenschauen
wurden sie häufig mit Künstlernamen wie „Dolly Dimples“, „Jolly Irene“560 oder „Happy
Jenny“561 beworben. Meah argwöhnte in seinen „Notes“, dass der Urheber des Begriffspaares
glücklich/fett „never spent much time around Fat People, however, these two words have
enjoyed the longest marriage ever recorded.“562 Die vermeintliche Humorigkeit der zur
Schau
gestellten
übergewichtigen
Menschen
diente
sicherlich
nicht
zuletzt
als
Rechtfertigungsstrategie, um ungestraft Spott mit den dickleibigen „Abnormitäten“ zu
treiben, hieß es doch etwa auf einem Banner einer amerikanischen Sideshow: „I love my
wife, but oh you Fat Trixie/ she’s so fat it takes seven men to hug her.“563
558
Mainzer Anzeiger, Nr. 182, vom 7. August 1903.
Der Komet, Nr. 905, vom 26. Juli 1902, S. 24.
560
L. Fiedler: Freaks. S. 129.
561
J. Nickell: Secrets of the sideshows. S. 95.
562
J. Meah: Notes on Fat People. In: Freaks, Geeks, and Strange Girls. S. 90.
563
Abbildung in J. Secreto: Larger than Life. Positively Fat. S. 87.
559
77
Da sie unterdrückte Begierden heraufbeschwören, die sonst nur im Reich der Phantasie
befriedigt werden könnten, seien Abnormitäten, so Fiedler, von Natur aus sexualisiert.564
Doch korpulente Frauen seien „the most erotically appealing of all Freaks“ und vielerorts
hätten Männer, insbesondere Angehörige der bildungsfernen Schichten, weibliche Obesität
verehrt, wie etwa die Venus von Willendorf bezeuge.565 Fiedler führt weiter aus, dass in den
Filmen Federico Fellinis ein junger Mann typischerweise seine ersten sexuellen Erfahrungen
mit einer stark übergewichtigen Frau erlebt und dass in manchen Dörfern der USA noch zum
Zeitpunkt der Veröffentlichung seiner Arbeit jährlich die beleibteste Frau als „Miss Fatty“
gekrönt wird.566 Dieses dezidiert männliche Interesse an korpulenten Frauen entspringe – und
hier argumentiert Fiedler ganz im Sinne Freuds – „memories of having once been cuddled
against the buxom breast and folded into the ample arms of a warm, soft Giantess, whose
bulk – to our 8-pound, 21-inch infant selves – must have seemed as mountainous as any 600pound Fat Lady.”567 Im Erwachsenenalter dienten jene ödipalen Kindheitserinnerungen als
Motor „to rediscover in our later loves the superabundance of female flesh […] a satisfaction
we all project in dreams, though we may be unwilling to confess it once we are awake.“568
Rachel Adams hat in ihrer Arbeit über amerikanische „Sideshows“ (2001) darauf
hingewiesen, dass Fiedler, geleitet von seinen eigenen sexuellen Vorlieben, weibliche
„Freaks“ primär als “objects of male desire”569 betrachtet. Doch tatsächlich dürfte seine
Charakterisierung von korpulenten Frauen als Projektionsfläche für männliche Phantasien
gerade im Kontext der Abnormitätenschauen des ausgehenden 19. Jahrhunderts zutreffend
gewesen sein. Die industrielle Revolution hatte eine „zunehmend rationelle, technisierte und
verdinglichte Lebensweise“ hervorgebracht, die eine „Aufwertung des Erotischen in der
subjektiv-privaten Sphäre“ und somit ein zunehmend erotisch konzipiertes Frauenbild seit
dem Ende des 18. Jahrhunderts zur Folge hatte.570 Hinter der Thematisierung des Erotischen
verbarg sich die „wachsende Sehnsucht nach authentischem, unentfremdeten Leben“ in einer
Gesellschaft, die sich mehr und mehr über eine als „verfremdet erlebte[ ] Berufs- und
Arbeitswelt“ definierte.571 Im Zuge der Industriellen Revolution verlor die Frau ihre Funktion
als ökonomische Stütze für die Familie und somit auch ihren Status als gleichberechtigte
564
R. Adams: Sideshow U.S.A: Freaks and the American cultural imagination. S. 152. (Vgl. L. Fiedler: Freaks.
S. 137).
565
L. Fiedler: Freaks. S. 131f.
566
Ebd. S. 132.
567
Ebd. S. 131.
568
Ebd.
569
R. Adams: Sideshow U.S.A: Freaks and the American cultural imagination. S. 152.
570
U. Weinhold: Die Renaissance-Frau des Fin de siècle. S. 244.
571
Ebd.
78
Partnerin des Mannes.572 „Als Ersatz“, so Ulrike Weinhold, „blieb ihr lediglich die Aufgabe,
sich emotionell und d.h. vor allem erotisch bedeutsam zu machen.“573 Um zu ökonomischem
Wohlstand und sozialem Status zu gelangen, blieb ihr als „einzige und unumgängliche
Voraussetzung“ die Heirat; ihr Körper wurde dabei zur „wirksamste[n] Waffe im Kampf um
einen Mann“574. Die Stilisierung der Frau zum sexualisierten „Schaustück des Mannes“575
manifestierte sich insbesondere in den Kleidungskonventionen des Wilhelminischen
Kaiserreichs, die gezielt die dezidiert weiblichen Körpermerkmale wie Busen, Taille und
Gesäß betonten und die Frau als ein dem Mann gefälliges und sich ihm gehorsam
unterordnendes Wesen auswiesen. Die kompromittierende Freizügigkeit und erotische
Eindeutigkeit, mit der beleibtere Frauen und selbst junge Mädchen auf Jahrmärkten zur
Schau gestellt wurden, pervertierten die gesellschaftlich legitimierte Erotisierung der Frau
und müssen in einer Zeit, in der die Erziehung junger Damen auf „Sitte, Anstand und
Passivität“576 ausgerichtet war, wie ein Affront gegen die wilhelminische Moral empfunden
worden sein. Hinzu kamen detaillierte Studien über die physische Anthropologie der
Prostituierten, die einen Zusammenhang zwischen weiblicher Leibesfülle und „eine[r]
Eignung zur Prostitution“577, wie Freud sagte, nahe legten. Erwähnenswert ist etwa die
Arbeit De la prostitution dans la ville de Paris (1836) des französischen Hygienikers
Alexandre Jean B. Parent-Duchâtelet, die Körpergestalt, Stimmlage, Augen- und Haarfarbe,
physische Anomalien und sexuelle Verhaltensweisen von Pariser Prostituierten statistisch
erfasste578. Unter dem Kapitel „Embointpont“ erläutert der Autor, dass eine „große Anzahl“
an Prostituierten eine „besondere Fülligkeit“ besäßen579, die auf „la grande quantité de bains
chauds qu’elles prennent pour la plupart, et surtout à la vie inactive que mènent la plupart
d’entre elles“580 zurückzuführen sei. Auch Pauline Tarnowsky, eine Petersburger Ärztin,
beschrieb in ihrer detailreichen Studie über die Physiognomie der Prostituierten581 in
Anlehnung
an
die
Kategorien
Parent-Duchâtelets
das
übermäßige
Gewicht
der
572
U. Weinhold: Die Renaissance-Frau des Fin de siècle. S. 246.
Ebd.
574
W. Wördemann: Dessous und Moral. S. 30.
575
F. Chenoune: Dessous. S. 17.
576
W. Wördemann: Dessous und Moral. S. 30.
577
Freud, Sigmund: Gesammelte Werke. Frankfurt/ Main 1981, Bd. 5, S. 91f. zit. n. S. L. Gilman: Hottentottin
und Prostituierte. S. 134.
578
S. L. Gilman: Hottentottin und Prostituierte. S. 133.
579
A. J. B. Parent- Duchâtelet: De la prostitution dans la ville de Paris. S. 193.
580
Ebd. S. 195. (Übersetzung der Autorin: „[…] die große Anzahl heißer Bäder, die die Mehrzahl dieser Frauen
nimmt, und auf das inaktive Leben, das die Mehrzahl dieser Frauen führt […]“).
581
Tarnowsky, Pauline: Étude anthropométrique sur les prostituées et les voleuses. Paris 1889.
573
79
Prostituierten.582 Einige Jahre später konzedierte Cesare Lombroso in seiner Untersuchung
über kriminelle Frauen, die er zusammen mit seinem Schwiegersohn Guillaume Ferrero
verfasste583, ebenfalls Parent-Duchâtelets Bild von der beleibten Prostituierten.584 Die
Erotisierung der Frau im 19. Jahrhundert und das wissenschaftlich etablierte Bild von der
„fetten Prostituierten“ als sexualisierte Frau per se schlugen sich in den frivolen
Präsentationen von korpulenten Frauen auf dem Jahrmarkt um 1900 nieder. Die diskursiven
Verbindungen
zwischen
Schaugeschäft
und
zeitgenössischen
wissenschaftlichen
Betrachtungen haben mithin auch die sexualisierte Schaustellung von Kindern befördert.
Denn „in der medizinischen Literatur des ausgehenden 18. und 19. Jahrhunderts“ finden sich
„durchgehend“ Hinweise auf die Sexualität des Kindes585 und auch Sigmund Freud hatte in
seinen Drei Abhandlungen der Sexualtheorie (1905) auf die infantile Sexualität aufmerksam
gemacht.
Die Typisierung korpulenter Frauen als Sexualobjekte deutet indes an, dass es sich bei
den Präsentationsformen des Weiblichen nicht um „realistische“ Darstellungen der konkreten
individuellen und historisch-gesellschaftlichen Lebenssituation von Frauen handelte, sondern
um Inszenierungen, die es dem als männlich gedachten Zuschauer gestatteten, jene
Sexualphantasien in die „Kolossaldamen“ hineinzuprojizieren, die ihnen im technisierten und
zunehmend rationellen Lebensalltag verwehrt wurden.
3.2.4 Der Hungerkünstler – Nahrungsverweigerung als Jahrmarktsattraktion
Als Pendant zu übermäßig dicken Menschen traten seit dem ausgehenden 19.
Jahrhundert586 außergewöhnlich dünne Individuen, die so genannten „Hungerkünstler“, auf
Jahrmärkten und in Panoptiken auf. Ebenso wie „Kollosaldamen“ und „Riesenknaben“, „who
have literally eaten their way into the spotlight”587, sind auch Hungerkünstler „self-made
freaks“588, da sie durch eine freiwillig erfolgte Nahrungsverweigerung für einen von ihnen
selbst festgelegten Zeitraum zur ausstellungswürdigen Abnormität wurden. Diejenigen, die in
ihrer Physiognomie auffallend von der Norm abwichen, wurden als „Living Skeleton“, „The
Skeleton Dude“ oder „The Shadow“589 beworben.
582
S. L. Gilman: Hottentottin und Prostituierte. S. 134f.
Lombroso, Cesare/ Ferrero, Guillaume: La donna delinquente: La prostituta e la donna normale. Turin 1893.
584
S. L. Gilman: Hottentottin und Prostituierte. S. 138.
585
S. L. Gilman: Das männliche Stereotyp von der weiblichen Sexualität im Wiener Fin de siècle. S. 156.
586
P. Payer: Hungerkünstler in Wien. S. 3.
587
J. Secreto: Larger Than Life. Positively Fat. S. 90.
588
Ebd.
589
L. Fiedler: Freaks. S. 134.
583
80
Bereits im 16. Jahrhundert wurden so genannte „Fastenwunder“ und „Hungermädchen“
während ihren meist religiös motivierten Hungerkuren zur Schau gestellt.590 Doch nicht
selten entsprang „die ganze Produktion einer hysterischen Veranlagung“591, einem
Schwindel. In seinem 1577 herausgegebenen Büchlein De commentitiis jejuniis (Über
schwindelhaftes Fasten)592 trug der rheinische Arzt Johann Weyer nicht weniger als zehn
bekannt gewordene Betrugsfälle zusammen, wie etwa der Fall der Margaretha Ulmer aus
Esslingen, die behauptete, weder zu essen noch zu trinken und zudem „den ganzen Bauch
voll Würmer und Schlangen“593 zu haben. Da selbst kaiserliche Leibärzte, die die junge Frau
untersucht hatten, diese Angaben bestätigten, wurde der Schwindel erst nach rund vier Jahren
aufgedeckt,
nachdem
der
Magistrat
angeordnet
hatte,
„der
Ulmer
den
‚Leib’
aufzuschneiden.“594 Ein weiterer von Weyer beschriebener Fall geht auf das zwölfjährige
„Wundermädchen von Speyer“, Margaretha Weiß, zurück, die 1542 angeblich bereits seit
zehn Jahren fastete.595 Nicht ohne Verwunderung schreibt der Zirkushistoriker Alfred
Lehmann, dass obschon „allmählich allgemein bekannt wurde, daß dieses Hungern weiter
nichts als plumper Schwindel war, so ließ sich das Publikum […] doch immer wieder
düpieren.“596 Im Jahr 1800 veröffentlichte D. L. J. Schmidtmann, ein praktizierender Arzt im
Osnabrückschen Melle, die Wunderbare Geschichte eines jungen Mädchens im Hochstifte
Osnabrück, das bereits achtzehn Monate ohne Speise und Getränke lebt, nebst
physiologischen und pathologischen Betrachtungen darüber597. In einer dazugehörigen
Anzeige, die im Frankfurter Staats-Ristretto veröffentlicht wurde, hieß es: „Durch diese
ausführliche Erzählung dieser wunderbar scheinenden, aber durch unpartheiische
Beobachtung vieler einsichtsvoller Männer gegen jeden Verdacht von Betrügerey und
Täuschung gesicherten Geschichte, macht Herr Doct. Schmidtmann nicht nur Aerzten und
Naturforschern ein sehr angenehmes Geschenk, sondern befriedigt auch die Neugierde des
großen Publikums […]“598. Jene „Neugierde des Publikums“ sollte schließlich dazu
beitragen, dass sich das Schauhungern im ausgehenden 19. Jahrhundert zu einer beliebten
Jahrmarktsattraktion etablierten konnte.
590
A. Lehmann: Zwischen Schaubuden und Karussells. S. 117.
Ebd. S. 117.
592
Weyer, Johann: De commentitiis jejuniis. Basel (Oporiunus) 1577.
593
E. v. Holländer: Wunder, Wundergeburt und Wundergestalt. S. 212.
594
A. Lehmann: Zwischen Schaubuden und Karussells. S. 117.
595
Ebd. S. 118.
596
A. Lehmann: Zwischen Schaubuden und Karussells. S. 118.
597
Schmidtmann, Ludwig Joseph: Wunderbare Geschichte eines jungen Mädchens im Hochstifte Osnabrück,
das bereits achtzehn Monate ohne Speise und Getränke lebt, nebst physiologischen und pathologischen
Betrachtungen darüber. Osnabrück 1800.
598
Frankfurter Staats-Ristretto, 34. St., vom 28. Februar 1800.
591
81
Einer der ersten und populärsten Hungerkünstler des 19. Jahrhunderts war der
amerikanische Arzt Henry Tanner, der im Jahr 1880 gewettet hatte, er könne vierzig Tage
lang hungern, „nur Wasser zu trinken müsse ihm erlaubt sein.“599 Nachdem Tanner sein unter
Aufsicht durchgeführtes Experiment erfolgreich abgeschlossen hatte, fand sein Beispiel 1886
in dem italienischen Hungerkünstler Giovanni Succi „einen viel bestaunten Nachahmer“600.
Der Norditaliener beendete seine 30tägige „Hungerkur“ ohne eine „Spur von der Schwäche,
Erschlaffung und den Übelkeiten [zu zeigen], welche bei Tanner häufig vorkamen“, wie eine
Kommission aus Ärzten befand.601 Die große Beliebtheit solcher Vorführungen resultierte in
beachtlichen finanziellen Gewinnen, doch die Veranstaltungen waren nicht unumstritten.602
Insbesondere die Behörden, die die mehrtägigen Schaustellungen zu genehmigen hatten,
zweifelten am gesellschaftlichen Nutzen des Schauhungerns und sorgten sich um die daraus
resultierenden gesundheitlichen Risiken für die Fastenden.603 Nicht selten brachen die
Künstler
während
ihrer
Hungerkur
entkräftet
zusammen
und
der
holländische
Hungerkünstler Wolly etwa „hat am 10. Tage schon seinen Arm geöffnet, […] um von dem
hervorquellenden Blut seinen Wahnsinnsdurst zu stillen.“604 Die geplanten „Vorstellungen
des Hungerkünstlers Papus“ wurden denn auch „behördlicherseits verboten“, wie Der Komet
1902 berichtete.605 Auch die Seriosität solcher Darbietungen wurde bisweilen in Frage
gestellt und der Hungerkünstler mithin der heimlichen Nahrungsaufnahme bezichtigt. Um
diesen Vorwurf Lügen zu strafen, war es um 1900 üblich geworden, den Hungerkünstler für
die Dauer seiner Darbietung in „eine Art Glaskasten“ einzusperren, der ständig bewacht
wurde.606 In einem Bericht der Fachzeitschrift Der Komet wurde am Beispiel des
Südamerikaners „Professor“ Papus der genaue Ablauf eines solchen „Hungerexperiments“
wie folgt beschrieben: „Zuerst wird er in Bandagen […] eingewickelt, hierauf in einen
Glasapparat gelegt, der hermetisch geschlossen und versiegelt wird. Der Glaskasten wird
darauf unter Wasser versenkt und Papus bleibt nunmehr in dieser Lage […], ohne irgend
welche Nahrung, ohne einen Tropfen irgend eines Getränks. Die Atmung wird ihm durch
einen wasserdichten Schlauch ermöglicht […]. Eine Wache von verantwortlichen Wärtern
hat Tag und Nacht Dienst, so daß Mr. Papus jederzeit mit der Außenwelt […] in Verbindung
599
P. Payer: Hungerkünstler in Wien. S. 3.
Ebd. S. 4.
601
Ebd. S. 4f.
602
Ebd. S. 6.
603
Ebd. S. 6.
604
„Die Kunst zu hungern“. In: Der Komet, Nr. 2139, vom 24. April 1926. S. 5.
605
Der Komet, Nr. 897, vom 31. Mai 1902. S. 3.
606
P. Payer: Hungerkünstler in Wien. S. 6.
600
82
bleibt.“607 Doch „der Wissenschaft“, so der Artikel weiter, „dienten solche Vorführungen so
gut wie gar nicht.“608 So wurde auch das 1887 veranstaltete Schauhungern des
„Fastenkünstlers“ Francisco Cetti in Castans Panoptikum in Berlin, nachdem es zuvor bereits
polizeilich verboten worden war, bereits nach elf Tagen eingestellt, da die ihn
überwachenden Ärzte befunden hatten, dass „zur Verwertung der Beobachtungen für die
Wissenschaft ein längeres Fasten unnötig sei.“609 Dennoch verwiesen die Hungerkünstler in
ihren Werbeanzeigen häufig auf die ärztliche Attestierung ihrer Darbietungen. In einer
Anzeige im Komet heißt es etwa, dass „die weltberühmte Hungerkünstlerin“ Flora Tosca
„von Prof. diplomiert“ sei und „ihre Experimente nur unter ärztlicher Kontrolle“
durchführt.610
Wie in dem vorangegangenen Kapitel über Riesen erörtert wurde, konnte durch die
Kontrastierung von auffallend divergierenden Körpermaßen die physische Abnormität der
zur Schau gestellten Personen hervorgehoben werden. So gab es laut Fiedler „frequent
reports in the popular press of marriages between Fat Ladies and skeletal males”, doch die
meisten dieser Nachrichten „turn out, in fact, to have been fraudulent inventions of public
relations men“.611
Mit dem Ersten Weltkrieg und der entbehrungsreichen Nachkriegszeit verschwand das
Schauhungern vorübergehend aus dem Schaustellergewerbe.612 Viele Menschen hatten in den
Kriegs- und Nachkriegsjahren selbst Hunger erleiden müssen und begegneten den
jahrmarktlichen „Hungerexperimenten“ mit wachsendem Unverständnis.613 Ein Autor des
Komet echauffierte sich etwa: „Im Kriege haben wir übrigens alle […] einen unfreiwilligen
Vorbereitungskursus für diesen Beruf durchmachen müssen, mit dem Unterschiede, daß wir
in keinem Glaskasten saßen und nicht ein hübsches Stück Geld damit verdienen konnten.
Vielmehr gaben die meisten ihr Letztes hin. Wir aber leben in einer fortschrittlichen Zeit;
heute darf ein Mann Geld verdienen, weil er hungern will und 250.000 Menschen in Berlin
allein müssen hungern, weil sie kein Geld verdienen dürfen.“614 Auch Franz Kafka bemerkte
die veränderte Wahrnehmung der Nachkriegsgesellschaft gegenüber dem Hungerkünstler. In
seiner gleichnamigen Erzählung, die er Anfang der 1920er Jahre verfasste, resümierte er: „In
607
Der Komet, Nr. 897, vom 31. Mai 1902. S. 3.
Ebd.
609
Saltarino (H. Otto): Fahrend Volk. S. 101.
610
Der Komet, Nr. 1195, vom 15. Februar 1908. S. 41.
611
L. Fiedler: Freaks. S. 134.
612
P. Payer: Hungerkünstler in Wien. S. 7.
613
Ebd.
614
„Kunsthungern nach Hungerkunst“. In: Der Komet, Nr. 2141, vom 8. Mai 1926. S. 6.
608
83
den letzten Jahrzehnten ist das Interesse an Hungerkünstlern sehr zurückgegangen. Während
es sich früher gut lohnte, große derartige Vorführungen […] zu veranstalten, ist dies heute
völlig unmöglich. Es waren andere Zeiten. […] [W]ie in einem geheimen Einverständnis
hatte sich überall geradezu eine Abneigung gegen das Schauhungern ausgebildet.“615
In der von Inflation und Arbeitslosigkeit geprägten Zeit nach dem Ersten Weltkrieg kam
es
schließlich
zu
Unterhaltungsform.
616
einer
Wiederbelebung
dieser
ökonomisch
überaus
rentablen
In den späten Zwanziger Jahren konkurrierten eine Vielzahl von
Hungerkünstlern um die Gunst des Publikums und versuchten sich durch das Aufstellen von
Rekorden gegenseitig zu überbieten.617 Der Komet berichtete 1926 etwa von dem
amerikanischen Hungerkünstler Mr Johnston, der einen neuen Hungerrekord in den USA
aufstellen wollte, indem er „ohne einen Bissen zu sich zu nehmen“ von Chicago nach New
York marschierte.618 Doch mit der „demotivierenden Flut an neuen Rekorden“619 mehrten
sich auch die Fälle von Betrug.620 So konnte dem Hungerkünstler „Jolly“ der heimliche
Verzehr von Schokolade nachgewiesen werden und der Hungerkünstler Harry Nelson wurde
zu einer Geld- und Haftstrafe verurteilt, nachdem er nachts mit Hühnerbrühe und Malzzucker
versorgt worden war.621 Durch die Betrugsfälle geriet das Schauhungern in Verruf und
„verlor zunehmend an Anziehungskraft“.622 Darüber hinaus stand das Schaustellergewerbe
zunehmend mit den modernen Unterhaltungsformen wie etwa dem Kino in Konkurrenz.623
Als der Zweite Weltkrieg „den Begriff Hungernmüssen so grausame Wirklichkeit werden
ließ“624 schwand das Interesse an derartigen „Hungertouren“625 endgültig. Zwar gab es noch
einmal in den 1950er Jahren Bestrebungen, das Schauhungern zu reanimieren, als der
Deutsche Ludwig Schmitz, genannt Heros, 53 Tage lang in einem Glaskasten im Frankfurter
Zoo fastete, doch im Vergleich mit anderen schaustellerischen Darbietungen erschienen die
Hungerexperimente „zu antiquiert, zu unspektakulär und nicht zuletzt zu unästhetisch“.626 So
615
F. Kafka: Der Hungerkünstler. S. 184 und S. 189. Ob Kafka Darbietungen von Hungerkünstlern besuchte, ist
nicht bekannt. Gesichert ist indes, dass er sich generell für das Schaustellergewerbe interessierte und die
berühmtesten Hungerkünstler seiner Zeit kannte. (Vgl. Spann, Meno: Franz Kafka’s Leopard. In: Germanic
Review, Vol. XXXIV, Nr. 2, April 1959. S. 85-104. Hier vor allem S. 101 f.)
616
P. Payer: Hungerkünstler in Wien. S. 8.
617
Ebd. S. 9.
618
Der Komet, Nr. 2150, vom 10. Juli 1926. S. 11.
619
P. Payer: Hungerkünstler in Wien. S. 9.
620
Ebd. S. 10.
621
Ebd. S. 10f.
622
Ebd. S. 11.
623
Ebd.
624
A. Lehmann: Zwischen Schaubuden und Karussells. S. 112.
625
P. Payer: Hungerkünstler in Wien. S. 11.
626
Ebd. S. 11f.
84
beschied Lehmann im Jahr 1952 dass, „[d]ieser langsame Qualprozeß […] zwar von
wissenschaftlichem Wert [ist], aber im großen und ganzen doch eine Schaustellung, die nicht
schön ist. Jeder große Zauberakt, jede nervenkitzelnde Vorbereitung tollkühner
Luftakrobaten sind in ihrem Endeffekt wirksamer als diese Schaustellung“627 und bereits
1926 bezweifelt ein Berichterstatter des Komet, „ob es ein ästhetischer Genuß ist, einen
Mitmenschen in einem Glaskäfig zu bewundern, wie er täglich etwas mehr an Gewicht
verliert und immer ungesunder und elender aussieht.“628
3.2.5 „Junger Mensch ohne Aerme geboren“ – Von „Rumpfmenschen“ und
„Fußkünstlern“
Im Jahr 1785 wurde im Mainzer Intelligenzblatt „ein bewundernswürdiger junger
Mensch“ angekündigt, „der ohne Aerme gebohren, und mit seinen Füßen alle Handlungen
verrichtet, welche andere Leute mit den Händen verrichten“.629 So könne er etwa, wie einer
Auflistung der „Kunststücke die er vorzeigen wird“ zu entnehmen war, „Zeichnen“, „Eine
Feder schneiden“, „Schreiben, und hernach das Papier beschneiden“, „Kartenspielen“, „Eine
Nähnadel von der Erde aufheben und einfädeln“, „In einem Buche umblättern“, „Fechten“
und „Sich den Bart scheeren.“630 Zudem würde „er zeigen, wie er sich bei Tische mit Essen
und Trinken bedient, ohne Beyhilfe eines andern.“631 Das Verrichten von alltäglichen
Tätigkeiten war integraler Bestandteil der Vorführung von Menschen ohne Arme
beziehungsweise Menschen ohne Gliedmaßen, die als „Fußkünstler“ beziehungsweise
„Rumpfmenschen“ bezeichnet wurden. Auf einem Kupferstich aus dem 17. Jahrhundert, auf
dem der armlose Thomas Schweicker632 abgebildet war, war etwa zu lesen: „Er trank, er aß,
er schrieb, schnid Federn mit den Füßen, spannt Bogen, er drückt sie ab [...]“633 und einem
Mainzer Flugblatt von 1789 war zu entnehmen, dass eine dreizehnjährige armlose Chinesin
mit ihren Füßen „ißt, trinkt, schreibt und […] Karten [spielt]“634. Zudem sei sie in der Lage
„einen Faden Garn in die kleinste Nähnadel“ einzufädeln, ein Gewehr zu laden und „es mit
627
A. Lehmann: Zwischen Schaubuden und Karussells. S. 114.
„Kunsthungern nach Hungerkunst“. In: Der Komet, Nr. 2141, vom 8. Mai 1926. S. 6.
629
Reklamezettel im Mainzer Intelligenzblatt, Nr. 96, vom 30. November 1785.
630
Ebd.
631
Ebd.
632
Zum Leben von Thomas Schweicker vgl. Liese, Ernst: Thomas Schweicker als Mensch und Künstler. Zur
400. Wiederkehr seines Geburtsjahres. In: Jahrbuch des Historischen Vereins für Württembergisch Franken,
Neue Folge 20/21, 1940. S. 255-282./ Mehl, Heinrich: „Frauenzimmer, ohne Arme gebohren…“. Zur
Ausstellung behinderter Menschen auf Jahrmärkten des 16.-19. Jahrhunderts. In: Kieler Blätter zur Volkskunde
34, 2002. S. 41-44.
633
H. Mehl: Zur Ausstellung behinderter Menschen auf Jahrmärkten des 16. – 19. Jahrhunderts. S. 43.
634
MNZ, Best. 26, Sign. 026 / 0011, Flugblatt, 1789.
628
85
der größten Unerschrockenheit ab[zudrücken]“635. Rund hundert Jahre später, im Jahr 1898,
gastierte der „Rumpfkünstler“ Nicolaus Kobelkoff, der „ohne Hände und Füße [geboren]“636
wurde und sich seit 1870 als Rumpfkünstler zur Schau stellte637 „[z]um ersten Male“ in
Mainz.638 Seine Darbietungen hat Hermann Waldemar Otto (Signor Saltarino) in seiner
Übersicht zu „Abnormitäten, Kuriositäten und interessanten Vertretern der wandernden
Künstlerwelt“ wie folgt beschrieben: „[…] dann taucht er die Feder in die Tinte und schreibt
mit sehr schön geschwungener Schrift seinen Namen auf Papierstücke. […] Weiter ergreift er
eine Flasche, nimmt deren Stöpsel ab, giesst sich in ein Glas ein […] Er ergreift eine Gabel,
sticht damit kleine Brotstücke an und führt sie zum Munde. […] Mit Armstrumpf und Lippen
gelingt es ihm, eine Nadel einzufädeln; er versteht es, ein Pistol [sic] zu ergreifen, zu laden
und mit gutgezieltem Schuss eine Kerze auszulöschen.“639 Es ist bemerkenswert, „wie formal
unverändert sich die Präsentation solcher Gestalten durch die Jahrhunderte zieht.“640 Karbe
zufolge steckt dahinter die Absicht, die Normalität der zur Schau gestellten Abnormitäten zu
unterstreichen und ihre „Ähnlichkeit mit den Zuschauern“641 zu betonen. Möglicherweise
sollte so dem Unbehagen des Publikums beim Anblick eines stark fehlgebildeten Menschen
begegnet werden. Bei der Beschreibung des Artisten Kobelkoff lobte Saltarino etwa, „dass
man bei ihm nie das Gefühl hat, einen Krüppel vor sich zu sehen; er thut alles mit einer
Leichtigkeit, Anmut, Zierlichkeit, welche uns jedes beklemmende Gefühl benehmen.“642
Gleichzeitig wurde jedoch gerade durch die schaugewerbliche Inszenierung von an sich
alltäglichen Tätigkeiten die Andersartigkeit der Abnormität betont. Der armlose Carl
Hermann Unthan erläuterte etwa: „Wer mich geigen, blasen, Karten spielen, schießen
schwimmen sieht, […] der sieht sich zunächst einer Reihe von Resultaten gegenüber, die ihm
unbegreiflich erscheinen.“643 Denn was einen fehlgebildeten Menschen veranlasste, sich zur
Schau zu stellen, war zunächst einmal sein vermeintliches Unvermögen, traditionellen
Tätigkeiten nachgehen zu können.644 Demgemäß definierte ein Encyclopädisches
Wörterbuch der medicinischen Wissenschaften aus dem Jahr 1839 einen „Krüppel“ als
denjenigen „Menschen, der durch […] Verlust von Gliedmaßen u. s. w. unfähig geworden
635
MNZ, Best. 26, Sign. 026 / 0011, Flugblatt, 1789.
Neuester Mainzer Anzeiger, Nr. 181, vom 6. August 1898.
637
Saltarino (H. Otto): Fahrend Volk. S. 110.
638
Neuester Mainzer Anzeiger, Nr. 181, vom 6. August 1898.
639
Saltarino (H. Otto): Fahrend Volk. S. 109f.
640
H. Mehl: Zur Ausstellung behinderter Menschen auf Jahrmärkten des 16. – 19. Jahrhunderts. S. 47.
641
A. Karbe: Wie aus großen Menschen Riesen werden. S. 144.
642
Saltarino (H. Otto): Fahrend Volk. S. VIII.
643
H. Würtz: Sieghafte Lebenskämpfer. S. 25.
644
E. O’Connor: Raw Material. Producing Pathology in Victorian Culture. S. 195.
636
86
ist, sich seinen Lebensunterhalt gehörig zu verdienen.“645 Doch insbesondere armlose
Künstler neutralisierten Erin O’Connor zufolge „the notion of incapacity, transforming gross
defect into rare skill“646.
Neben dem Verrichten von typisch bürgerlichen Tätigkeiten wurden bei der Vorführung
von Rumpfmenschen und Fußkünstlern auch „die artistischen Leistungen der Darsteller
berücksichtigt“647,
darunter
etwa
öffentliche
Malvorführungen
oder
akrobatische
Darbietungen. Einer Anzeige im Frankfurter Staats-Ristretto zufolge konnte die
kleinwüchsige Frau ohne Hände, die im Jahr 1788 gemeinsam mit dem bereits erwähnten
Riesen beim Schlossermeister Diehl auf der Zeil auftrat, „zur Verwunderung der Anschauer
viele sehenswürdige Kunststücke verrichten […] mit ihren Füssen, als ein anderer Mensch
mit seinen Händen“648. 1748 gastierte auf der Herbstmesse, so Thomas Bauer, „ein
sechzigjähriger Ungar, der nur 1,5 Frankfurter Ellen (1 Frankfurter Elle 0 54, 73 cm) groß
war und keine Beine hatte […]. Sein Repertoire bestand aus 319 eigenen Kunststücken, zum
Beispiel sprang er mit einer Hand auf einen Tisch oder kletterte eine Leiter hinauf.“ 649 Einer
der „bekannteste[n] und geachtetste[n]“650 armlosen Künstler des 19. Jahrhunderts war Carl
Hermann Unthan (1850-1929), der erfolgreich Geige spielte. Bei einer Untersuchung
Unthans konstatierte Virchow, „dass hier keineswegs ein atavistischer Rückschlag auf
‚Greiffuss’ tierartiger Urformen des Menschen, sondern einfach eine durch unausgesetzten
Gebrauch der Füsse erworbene Geschicklichkeit vorliege.“651 In seiner 1925 veröffentlichten
Autobiographie mit dem bezeichnenden Titel Das Pediskript schrieb Unthan, dass die „ewig
Durstigen im Dorfe“ indes der Ansicht gewesen seien, dass er „ohne Arme gar nicht
lebensfähig sei.“652 So hatte etwa die Amme dem Vater vorgeschlagen, „sie werde den
Schaden mit einem auf [sein] Gesicht gedeckten Kissen endgültig heilen.“653 Hier deutet sich
an, welche Diskrepanz zwischen der naturwissenschaftlichen Auslegung des Armlosen und
der Wahrnehmung desselben in der Dorfgemeinschaft bestand.
Auf Grund seiner Erziehung, die auf „Selbstständigkeit und Aktivierung der Füße“
ausgerichtet war654, konnte Unthan schließlich, wie er schrieb, „auf eigenen Füßen“655
645
Artikel Krüppel. In: Encyclopädisches Wörterbuch der medicinischen Wissenschaften. Bd. 20. S. 570.
E. O’Connor: Raw Material. Producing Pathology in Victorian Culture. S. 195.
647
U. Bischoff: Freaks, Abnormitäten, Schaustellerei. S. 184.
648
Frankfurter Staatsristretto vom 25. März 1788. S. 206.
649
T. Bauer: Am Rande der Messe. In: Brücke zwischen den Völkern. Bd. 2. S. 318f.
650
H. Scheugl: Show Freaks & Monster. S. 61.
651
Saltarino (H. Otto): Fahrend Volk. S. 112.
652
C. H. Unthan: Das Pediskript. S. 15.
653
Ebd.
654
C. Mürner: Medien- und Kulturgeschichte behinderter Menschen. S. 124.
646
87
stehen. Dass „[f]ür Taten, wie sie in den verachteten Tingeltangels geleistet werden, […]
Askese und eiserne Arbeit vonnöten [ist]“656, befand denn auch der armlose Künstler Arthur
Stoß, eine Romanfigur in Gerhard Hauptmanns Atlantis (1912), die nach dem Vorbild
Unthans erschaffen worden war.657
Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges wandelte sich Unthans Funktion vom
Schauobjekt, das „drollige Künste“ vorführte, zum „Experten“, der „lebensnotwendiges
Wissen“ an Kriegsverletzte weitergeben konnte.658 Als Unthan 1914 sah, wie die ersten
Kriegsversehrten in Lazaretten untergebracht wurden, fragte er: „Wie werden sich die vielen
Tausende in dem unvermittelt über sie hereingebrochenen Krüppeltum zurechtfinden?“659
Etwa ein halbes Jahr später hielt Unthan, der „Kunstarme“ und den „Prothesenwahnsinn“
ablehnte660, in einem Kriegslazarett bei Königstadt seinen ersten Vortrag und erzählte, wie
man trotz Arm- und/ oder Beinlosigkeit alltägliche Tätigkeiten verrichten könne661, „wie man
sich helfen und dabei fröhlich sein kann“662. Bis 1917 reiste er wöchentlich von Lazarett zu
Lazarett und referierte vor kriegsversehrten Soldaten.663 Zürcher hat die Implikationen, die
mit dem Funktionswandel von Unthans Fertigkeiten einhergingen, wie folgt beschrieben:
„Unthan war mit Kriegsbeginn Subjekt geworden. Er war nicht mehr Wissensobjekt, von
Medizinwissenschaftlern beschaut, vermessen und beschrieben […] seine körperlichen
Fähigkeiten machten ihn zum Experten, die Zuhörer und Zuhörerinnen zum Objekt, zum
Heilobjekt, denn Unthan war bereits geheilt, er führte ja ein bürgerliches Leben.“664. Die
Durchsicht des Mainzer Anzeigers (bis einschl. 1945), des Neuesten Mainzer Anzeigers (bis
einschl. 1920) und des Komet (jeder dritte Jahrgang bis einschl. 1926) ergab, dass sich die
Schaustellung einer Fusskünstlerin letztmalig für November 1905 belegen lässt (Vgl. Der
Komet, Nr. 1078, vom 18. November 1905. S. 26). Als im Verlauf des Ersten Weltkrieges die
Zahl von Menschen mit fehlenden Gliedmaßen sprunghaft anstieg und der versehrte Körper
in der Folge nicht mehr als seltenes Kuriosum sondern als allgegenwärtiger Bestandteil des
Alltags wahrgenommen wurde, verschwanden die Fußkünstler und Rumpfmenschen
vermutlich als Folge dieser Entwicklung von den Schaubühnen.
655
C. H. Unthan: Das Pediskript. S. 98.
G. Hauptmann: Atlantis. S. 93.
657
H. Scheugl: Show Freaks & Monster. S. 61.
658
U. Zürcher: Monster oder Laune der Natur. S. 277f.
659
C. H. Unthan: Das Pediskript. S. 268.
660
Ebd. S. 267f.
661
U. Zürcher: Monster oder Laune der Natur. S. 278.
662
C. H. Unthan: Das Pediskript. S. 268.
663
U. Zürcher: Monster oder Laune der Natur. S. 278.
664
Ebd.
656
88
3.2.6 „Kind mit zweyn Köpffen geboren“ – Von Zwillingen und Doppelfehlbildungen
Die zahlreichen Meldungen, die die Geburt oder die Zurschaustellung von so genannten
„Doppelmissgeburten“ beziehungsweise „Doppelmenschen“ ankündigten und etwa auf
Flugblättern der Wickiana oder in der halbjährlich publizierten Frankfurter Meßrelation
abgedruckt waren, deuten darauf hin, dass Zwillingsgeburten schon in der Neuzeit von
beträchtlicher Faszination gewesen sein müssen.665 Im Jahr 1716 wurden etwa „2 lebendige
Mägden/ welche auff eine ganz wunderbahre Weise an einander gewachsen“ „[a]us dem
Eyland Zypern […] nach Konstantinopel gebrachet/ und […] dem Groß-Sultan
präsentiert.“666 Auch auf Jahrmärkten wurden Zwillinge und Doppelfehlbildungen zur Schau
gestellt. Unter dem Artikel „Missgeburt“ in Zedlers Universal-Lexikon wird etwa
beschrieben, „wie denn vor einigen Jahren zwey Knaben, so mit den Köpffen, und zwey
Mägdlein, so mit dem Creutz an einander fest gewesen, zur Schau herum geführet
worden.“667 Auch Mehl urteilt in seinem Aufsatz, dass die „Krönung aller einschlägiger
Jahrmarktattraktionen […] lebende Schauobjekte mit Verdopplung von Gliedern, Köpfen
oder des gesamten Leibes [waren].“668
Zu den Doppelfehlbildungen zählen neben den Siamesischen Zwillingen auch parasitäre
Zwillinge. Während bei einem Siamesischen Zwillingspaar beide Individuen gleichmäßig
ausgebildet sind, ist bei parasitären Zwillingen ein Individuum weniger gut oder nur
rudimentär entwickelt.669 Bei parasitären Zwillingen wird der normalgroß ausgeprägte
Individualteil als „Autosit“, der unterentwickelte, meist lebensunfähige Teil als „Parasit“
bezeichnet.670 Die Bezeichnung „Siamesische Zwillinge“ geht auf das Zwillingspaar Chang
und Eng Bunker (im Deutschen auch Bunkes) aus Siam (1811-1874) zurück, die oberhalb
des Nabels durch einen Bindegewebsstrang zusammengewachsen waren und sich seit den
1830er Jahren in Amerika und später auch in Europa zur Schau stellen ließen.671
Möglicherweise in Anlehnung an die antike Erzähltradition wurden sie wie etwa Castor und
Pollux, Romulus und Remus oder Jakob und Esau als Antagonisten porträtiert.672 Fiedler
fasste ihre Typisierung wie folgt zusammen: „Chang ‚loved the ladies’, as his brother did
665
Zwischen 1650 und 1670 beziehungsweise 1700-1730 konnten in der Frankfurter Meßrelation elf
beschriebene Fälle von Doppelfehlbildungen ausgemacht werden (und zwar in den Jahren 1651,1667, 1716,
1717, 1719, 1723 (zwei Zwillingsgeburten), 1724, 1725 (zwei Zwillingsgeburten) und 1729).
666
Frankfurter Meß-Relation, Herbst 1716. S. 110f.
667
Artikel „Mißgeburt“. In: Zedlers Universal-Lexikon. Bd. 21. Sp. 486.
668
H. Mehl: Zur Ausstellung behinderter Menschen auf Jahrmärkten des 16. – 19. Jahrhunderts. S. 57.
669
H. Ribbert: Lehrbuch der allgemeinen Pathologie und der pathologischen Anatomie. S. 231.
670
G. Klunkert: Schaustellungen und Volksbelustigungen auf Leipziger Messen des 19. Jahrhunderts. S. 225.
671
A. Lehmann: Zwischen Schaubuden und Karussells. S. 100f.
672
L. Fiedler: Freaks. S. 203f.
89
not; liked highly spiced Oriental foods, while his brother preferred a bland vegetarin diet; and
told dirty jokes in public, embarrassing the more circumspect and scholarly Eng.“673 Nach
einer erfolgreichen Karriere als Showfreaks heirateten Chang und Eng das Geschwisterpaar
Sarah Ann und Adelaide Yates, mit denen sie insgesamt 22 Kinder674 zeugten. Die Brüder
führten fortan ein bürgerliches Leben: sie ließen sich im ländlichen North Carolina nieder,
arbeiteten als Farmer und hielten sich Sklaven. Als die ökonomische Krise, die der
amerikanische Bürgerkrieg verursacht hatte, die Brüder zwang, sich in den frühen 1870er
Jahren erneut zur Schau zu stellen, war ihr Erfolg verhalten.675 Virchow, der die Brüder als
einer der ersten Mediziner untersucht hatte, urteilte, sie seien inzwischen zu alt für ihre
Flickflacks und Purzelbäume, die das Publikum von einst begeistert hatte.676 Doch es waren
wohl weniger ihre artistischen Darbietungen als vielmehr ihre neue Ich-Identität, die sich in
einer veränderten Wahrnehmung der Zwillinge niederschlug: „No longer were they young
performers eager to please and having nothing to offer except the abnormality which made
them two in one. They were sixty-year-old solid citizens, temporarily down on their luck and
therefore deigning to perform one more time.“677 Wenngleich ihre körperliche Abweichung
dieselbe geblieben war, hatte ihre bürgerliche Existenz einen Normierungs- und
Normalisierungsprozess herbeigeführt, der sich in einer Relativierung der körperlichen
Abnormität niederschlug. Hier zeigt sich deutlich, dass Abnormitäten primär kulturelle
beziehungsweise soziale Konstrukte sind und nur sekundär auf eine physiologische
Konstitution verweisen.
Das Interesse an Siamesischen Zwillingen rührte nicht zuletzt von dem Unbehagen
lebenslanger gegenseitiger Abhängigkeit678, die die Individualität und Selbstbestimmtheit des
Einzelnen in Frage stellte. Gerade bei siamesischen Zwillingen, deren Organismen teils
eigenständig, teils in Abhängigkeit voneinander arbeiteten, wurde die Identitätsproblematik
auf der Schaubühne thematisiert. Die Siamesischen Zwillinge Millie-Christine teilten sich
zwar einen gemeinsamen Blutkreislauf, doch ihre Verdauung, ihre Atmung und ihr
673
Ebd. S. 204f. Mark Twain beschrieb die beiden Brüder in seinem satirischen Aufsatz The Siamese Twins
(1868) als Trunkenbold und Abstinenzler, die während dem Bürgerkrieg an gegnerischen Fronten kämpften:
„[…] both fought galantly, Eng on the Union side and Chang on the Confederate. They took each other
prisoners at Seven Oaks […]“. (Vgl. Twain, Mark: The Siamese Twins. In: Sketches New and Old. Fairfield
2004 [1868]. S. 255-260).
674
Andere Quellen sprechen von insgesamt elf Kindern. (Vgl. Der Komet, Nr. 884, vom 1. März 1902. S. 3).
675
L. Fiedler: Freaks. S. 213f.
676
Ebd. S. 215.
677
Ebd.
678
Ebd. S. 223.
90
Bewusstsein operierten eigenständig.679 Während die von P. T. Barnum kreierte Bezeichnung
„The Two-Headed Girl“680 eine einzelne Identität nahe legte, ließ das Geschwisterpaar die
Frage ihrer Identität scheinbar offen. Vor Zuschauern besangen sie ihren Zustand wie folgt:
„A created marvel to myself am I/ As well as to all who passes by./ […] I love all things that
God has done,/ Whether I’m two or one.“681
Die Zurschaustellung von siamesischen Zwillingen lässt sich auch für Frankfurt belegen.
Im Jahr 1904 waren in „Castan’s Panopticum“, einem Ableger des Berliner Panoptikums,
„[d]ie
einzig
noch
lebenden
zusammengewachsenen
Zwillingsschwestern.
Instrumentalistinnen.“682 zu sehen.
Bereits im Jahr 1690 wurde die Trennung von lebenden siamesischen Zwillingen
angestrebt, doch erst im Jahr 1952 meldete das Journal of the American Medical Association
den ersten Fall, „so far as it is known, of both members of a pair of Siamese Twins surviving
this
long
[ein
Trennungsversuche
Jahr]
des
after
a
frühen
separation
20.
operation.“683
Jahrhunderts
war
Einer
der
der
Fall
bekanntesten
des
indischen
Geschwisterpaares Radica (auch Rodica) und Doodica, die 1893 erstmals in einer
Abnormitätenschau zu sehen waren und 1902, nachdem Doodica an Tuberkulose erkrankt
war, getrennt wurden. Innerhalb eines Jahres verstarb auch Radica an Tuberkulose. Während
der Fall der indischen Mädchen eine starke mediale Beachtung fand und etwa im Komet
diskutiert wurde684, erreichten die siamesischen Zwillinge, auf die sich der Artikel im
Journal of the American Medical Association bezieht, nicht annähernd die Berühmtheit der
indischen „Orissa Zwillinge“685. Fiedler zufolge waren die siamesischen Zwillinge der
1950er Jahre zu bloßen „Komparsen in einem Psychodrama“ geworden, deren Protagonisten
nun mehr die Ärzte waren, „who make normal humans out of monsters“686. Hier gehen
Medizin und Schaugeschäft eine bislang nicht erwogene Beziehung ein: durch den
chirurgischen Eingriff werden die Abnormitäten normalisiert und „humanisiert“; man könnte
auch sagen: erst durch die Anpassung an die Norm werden sie zu Menschen.
679
Saltarino (H. Otto): Fahrend Volk. S. 104.
L. Fiedler: Freaks. S. 210.
681
Ebd. S. 209 (Hervorhebungen im Original).
682
Mainzer Anzeiger, Nr. 193, vom 20. August 1904. S. 8.
683
L. Fiedler: Freaks. S. 197f.
684
Vgl. Der Komet, Nr. 882, vom 15. Februar 1902. S. 5/ Der Komet, Nr. 884, vom 1. März 1902. S. 3/ Der
Komet, Nr. 885, vom 8. März 1902. S. 8.
685
L. Fiedler: Freaks. S. 199.
686
Ebd.
680
91
Weitaus seltener als siamesische Zwillinge waren Fälle von Dipygus parasiticus, also
„dem Herauswachsen eines Parasiten aus dem menschlichen Körper“687. Einem
Tagebucheintrag aus dem Jahr 1747 des Frankfurters Jost Henrich Sprückmann ist zu
entnehmen, dass sich „[i]n der Herbstmeß […] ein junger Italiener […] und ein Madgen von
5 Jahr welches viele Künste machte“, zur Schau stellten. „Besagter Mann ist eine Fugur [sic]
zum Leib heraußgewachsen, in Gestaltd eines Kindes wie unten steht!“688 (Abb. 11) Bei dem
Mann handelte es sich vermutlich um den Italiener Antonio Martinelli aus Cremona, „dem
ein ‚halber Bruder’ aus dem Bauch herauswuchs, ohne Kopf und Arme, aber mit Unterleib
und Beinen“689, der um 1750 lebte und gemeinsam mit seinen beiden Kindern auftrat, die
tänzerische und akrobatische Darbietungen vorführten690. 1749 berichtete die „Vossische
Zeitung“, Nr. 129, (Berlin) von einem Doppelwesen aus Italien, das in Deutschland zur
Schau gestellt wurde und bei dem es sich ebenfalls um Marcinelli gehandelt haben dürfte.691
Im Jahr 1752 trat ein Mann in Regensburg auf, „deme ein Kind aus dem Leibe […] hervor
geraget“; vermutlich war der Zurschaugestellte ebenfalls Marcinelli.692 Der Regensburger
Stadtschreiber Dimpfel hielt fest, dass Frauen bei der Vorführung nicht zugelassen wurden,
da man befürchtete, sie könnten sich beim Anblick des Italieners versehen und in der Folge
selbst fehlgebildete Kinder gebären.693 Im Jahr 1780 gastierte in Mainz der Schausteller
Antonio Cetti mit einem „curiose[n] Kind, […] welches zween Köpffe hat, einer so groß wie
der andere, […] und mit vier Händ, […] und drey Armen, […] [aber] nur zween Füeß als wie
ein anderer Mensch.“694 Anscheinend sorgte sich der Impresario nicht um die Gefahren des
Versehens, war doch seinem Schaustellerzettel zu entnehmen, „daß sich Niemand daran
scheuen darf, denn solches ist schon von vielen vornehmen Fürsten […] auch andern grossen
Herren und Damen, mit grosser Verwunderung gesehen worden.“695
Einer der bekanntesten Autositen des 19. Jahrhunderts war der Italiener Jean Liberra mit
seinem parasitären Zwilling „Jacques“696, der unter anderem 1913 im Komet mit dem
einprägsamen Satz „Zwei Körper und ein Kopf!“697 beworben wurde. (Abb. 12) Fiedler
687
A. Lehmann: Zwischen Schaubuden und Karussells. S. 98.
ISG Frankfurt/ Main, Best. S5, Sign. 16, Tagebuchaufzeichnungen von Jost Henrich Sprückmann (16891812).
689
A. Lehmann: Zwischen Schaubuden und Karussells. S. 98.
690
H. Scheugl: Show Freaks & Monster. S. 120.
691
Ebd.
692
G. Klunkert: Schaustellungen und Volksbelustigungen auf Leipziger Messen des 19. Jahrhunderts. S. 225.
693
Ebd.
694
MNZ, Best. 26, Sign. 026 / 0011, Flugblatt, 1780.
695
Ebd.
696
H. Scheugl: Show Freaks & Monster. S. 120.
697
Der Komet, Nr. 1523, vom 30. Mai 1914. S. 41.
688
92
zufolge weckten insbesondere Oberkörperparasiten, die in der Regel kopflos sind,
Assoziationen mit acephalen Monstra, deren fehlende Schädel und folglich fehlende Gehirne
ein menschliches Bewusstsein und Gedächtnis und folglich eine menschliche Identität in
Abrede stellten698 und somit Fragen nach der „Beseelung“ und dem Ichbewusstsein des
Parasiten aufwarfen.
3.2.7 Atvismustheorien und Missing Links – Zur Mythologisierung von Mikrozephalie
und Hypertrichose im Schaugeschäft des 19. Jahrhundert
Als im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts der europäische Konkurrenzkampf um die
Kolonien in Asien, Afrika und der Südsee seinen Höhepunkt erreichte, kam es zu einem
sprunghaften Anstieg von Völkerschauen.699 Obschon sich bereits für das Jahr 1832 die
Schaustellung eines Afrikaners „von der durch ihren kriegerischen Muth bekannten Nation
der Ashantées, welche in Westafrika im großen Konggebirge nächst der Goldküste
wohnen“700 in Mainz nachweisen lässt, so weisen die 1880er und insbesondere die 1890er
Jahre eine besonders hohe Dichte an anthropologisch-zoologischen Ausstellungen, wie die
Zurschaustellungen von Menschen aus Übersee euphemistisch genannt wurden, auf.701 1891
etwa war auf dem Mainzer Messplatz eine Beduinenkarawane702 zu sehen und 1892 „Die
Bewohner der Ostküste Afrika“703. Der Frankfurter Zoologische Garten veranstaltete unter
anderem im Jahr 1893 ein „großes chinesisches Nachtfest“704 und beherbergte 1894 eine
„Dinka-Neger-Karawane“705
und
1897
eine
„Samoaner-Truppe“706.
Nährten
die
kolonialistischen Bestrebungen Kaiser Wilhelms II die Vorstellung von der Überlegenheit
des eigenen Volkes, so geriet diese Überzeugung gleichsam durch Darwins Evolutionstheorie
und seinem Postulat: „[M]an is descended from some lowly organised form […] there can
698
L. Fiedler: Freaks. S. 223.
B. Lange: „Aechtes und Unächtes“. Zur Ökonomie des Abnormalen als Täuschung. S. 218.
700
Mainzer Wochenblatt, Nr. 67, vom 22. August 1832. S. 637.
701
Zu Völkerschauen vgl Dreesbach, Anne: Gezähmte Wilde. Die Zurschaustellung „exotischer“ Menschen in
Deutschland 1870-1940. Frankfurt/New York 2005; Wolter, Stefanie: Die Vermarktung des Fremden:
Exotismus und die Anfänge des Massenkonsums. Frankfurt a. M. 2005; Eißenberger, Gabi: Entführt, verspottet
und gestorben: lateinamerikanische Völkerschauen in deutschen Zoos. Frankfurt a. M. 1996; Thode-Arora,
Hilke: Für fünfzig Pfennig um die Welt: die Hagenbeckschen Völkerschauen. Frankfurt a. M. 1989; Hans-Peter
Bayerdörfer/ Eckart Hellmuth (Hrsg.): Exotica. Konsum und Inszenierung des Fremden im 19. Jahrhundert.
Münster 2003.
702
Mainzer Anzeiger, Nr. 183, vom 30. Juli 1891.
703
Mainzer Anzeiger, Nr. 185, vom 13. August 1892.
704
Mainzer Anzeiger, Nr. 183, vom 8. August 1893.
705
Mainzer Anzeiger, Nr. 185, vom 10. August 1894.
706
Mainzer Anzeiger, Nr. 186, vom 13. August 1897.
699
93
hardly be a doubt that we are descended from barbarians”707 ins Wanken. Durch die
eurozentrische Darstellungsweise der vermeintlich rückständigen und unzivilisierten
„Wilden“ in den Völkerschauen Carl Hagenbecks oder Wilhelm Siebolds wurden indes die
bestehenden Herrschafts- und Besitzverhältnisse legitimiert. Der westliche Denk- und
Lebensstil diente dabei als Bewertungsmaßstab bei der Beurteilung der fremden
Lebensweise, die gemäß der Unterscheidung zwischen europäischem „Kultur-“ und
außereuropäischem „Naturmensch“ als der europäischen Lebensart unterlegen präsentiert
wurde.
Die Faszination am Exotischen und kulturell Fremden, die nicht zuletzt durch die
intensiven Entdeckungsreisen und die westliche Expansion entfacht worden war708, machten
sich auch die Impresarios der Abnormitätenschauen zu nutze. Die Veranstalter priesen ihre
Abnormitäten als Vertreter eines bislang unentdeckten Stammes oder etwa als Entkommene
eines „türkischen Harems“ an.709 Manche Impresarios gingen gar so weit, den zur Schau
gestellten Abnormitäten eine außerirdische Herkunft zu bescheinigen. In den 1920er und
1930er Jahren wurden etwa die an Albinismus leidenden Brüder Eko und Iko in einer
amerikanischen Side-Show als Botschafter vom Planeten Mars präsentiert.710 Um ihrer
Beschreibung mehr Glaubhaftigkeit zu verleihen, kleideten die Impresarios ihre Schützlinge
in Kostüme, die den stereotypen Vorstellungen des Publikums vom jeweiligen Herkunftsland
der Abnormitäten entsprachen.711 Traten sie als unzivilisierte Wilde auf, so schlichen die
Abnormitäten in Lendenschurz und mit Knochenkette über die Bühne, alldieweil „snarling,
growling, and letting off warrior screams.“712 Diese Art der Inszenierung, die der
Exotisierung und dadurch letztlich der Primitivierung der zur Schau gestellten Abnormitäten
diente, hat Bogdan als „the exotic mode of representation“713 klassifiziert. Beeinflusst war
diese Darstellungsform von der Reiseliteratur und den wissenschaftlichen Abhandlungen des
19. und frühen 20. Jahrhunderts.714 Insbesondere die Thesen Charles Darwins zur
Abstammungs- und Rassenlehre des Menschen und sein Theorem vom „missing link“, dem
707
C. Darwin. The Descent of Man. S. 415.
R. Bogdan: Freak Show. S. 106.
709
Ebd. S. 105.
710
Ebd.
711
Ebd.
712
Ebd.
713
Ebd. S. 105f.
714
Ebd. S. 106.
708
94
mutmaßlichen fehlenden Bindeglied zwischen Affen und Menschen, inspirierten die
Impresarios bei der Ausgestaltung ihrer Schauen.715
Körperlich oder geistig behinderte Menschen, die auf Grund ihrer abnormen
Physiognomie Ähnlichkeiten mit bestimmten Tieren aufwiesen, wurden nicht nur als
„missing links“, sondern auch als Ergebnisse sodomitischer Praxis präsentiert.716 Stanley
Barant, der in den USA als „Sealo the Seal Boy“ zur Schau gestellt wurde, leidete an
Phokomelie (altgriech. φώκη „Robbe“ und μέλος „Glied“), einer angeborenen Fehlbildung,
die sich in verkürzten oder fehlenden Gliedmaßen zeigt, wodurch Hände und Füße direkt am
Torso ansetzen.717 „Dickie the Penguin Boy“, der wie Barant an Phokomelie litt und stark
verkürzte Beine hatte, wurde auf einem Banner etwa mit „Looks and Walks Like a Penguin“
angekündigt.718 Im Jahr 1898 gastierte die kleinwüchsige Französin „Feodora“ auf der
Mainzer Messe. Da die Finger beider Hände stark verkürzt waren, wurde sie in
Werbeanzeigen als „Zwergin mit vier Löwentatzen“719 beworben. (Vgl. Abb. 13) Die
Tiervergleiche, die auch bei Fehlbildungen wie etwa Ektrodaktylie720 angewandt wurden,
implizierten indirekt sodomitische Handlungen, wodurch sich eine erstaunliche Nähe zu
früheren Erklärungsversuchen zeigt. Bereits in der frühen Neuzeit waren körperliche
Fehlbildungen beim Kind, insbesondere dann, wenn sie Tierähnlichkeit aufwiesen, auf die
„sodomitische Ausschweifung der Frau“721 zurückgeführt worden.
3.2.7.1 „Die letzten lebenden Menschen vom Stamme der Azteken“ – Zur Inszenierung
von Mikrozephalen
Eine weitere Erklärung, die für das Auftreten von bestimmten Abnormitäten
herangezogen wurde, war die Atavismustheorie.722 Ihr lag die Prämisse zugrunde, dass
gewisse Fälle von Monstrositäten durch „Rückschläge“ in eine frühere Entwicklungsstufe der
715
R. Bogdan: Freak Show. S. 106.
Ebd.
717
J. Nickell: Secrets of the sideshows. S. 148.
718
Ebd.
719
Neuester Mainzer Anzeiger, Nr. 181, vom 6. August 1898.
720
von grch. dáktylos: Finger; wird auch als Karsch-Neugebauer-Syndrom bezeichnet. Bei der Ektrodaktylie
handelt es sich um eine angeborene Fehlbildung des Handskeletts. Dabei sind Finger oder Zehen verstümmelt
oder fehlen (Oligodaktylie), was auch als Spalthand bzw. Spaltfuß bezeichnet wird. (Artikel „Ektrodaktylie“ in:
Pschyrembel. Klinisches Wörterbuch (2004). S. 464, 909, 1702./ J. Nickell: Secrets of the sideshows. S.
148).Der Amerikaner Grady Stiles Jr., der am Karsch-Neugebauer-Syndrom litt, wurde in den 1940er Jahren als
„Lobster Boy“ zur Schau gestellt.
721
M. Lorenz: Von Normen, Formen und Gefühlen. S. 20.
722
R. Bogdan: Freak Show. S. 106.
716
95
Menschheit entstünden.723 Insbesondere Mikrozephale724, die auf Grund ihres verkleinerten
Schädelumfangs meist auch geistig behindert sind, wurden häufig als Atavismen, als
„vestiges of the childhood of the race“ präsentiert.725 Carl Vogt, der 1867 eine erschöpfende
Studie über Mikrozephalismus veröffentlichte726, erläuterte in derselben, „dass die
Mikrozephalie eine partielle atavistische Bildung ist, welche in den Gewölbtheilen des
Gehirnes auftritt und als nothwendige Folge eine Ablenkung der embryonalen Entwicklung
nach sich zieht, die in ihren wesentlichen Charakteren auf den Stamm zurückführt, von
welchem aus die Menschengattung sich entwickelt hat.“727 Die bekanntesten, öffentlich
vorgeführten Mikrozephalen waren die „vogelköpfigen Zwerge“ Maximo und Bartola, ein
indisch-mulattisches Geschwisterpärchen, das zwischen 1851 und 1901 auf Schaustellungen
in Europa und Amerika zu sehen war.728 In einer Broschüre, die den ungelenken Titel
Illustrierte Denkschrift einer wichtigen Expedition in Centralamerika, aus der die
Entdeckung der Götzenstadt Iximaya in einer ganz unbekannten Gegend hervorgeht trägt und
im Rahmen der Vorstellung von interessierten Zuschauern käuflich erworben werden konnte,
wurde die abenteuerliche Geschichte der Herkunft der Geschwister referiert, der zufolge sie
im Jahr 1848 als Kinder in einem Tempel in der erfundenen Aztekenstadt „Iximaya“ in
Zentralamerika entdeckt worden waren. Angeblich seien sie, so die Broschüre weiter, die
letzten „liliputanischen“ Überlebenden der ausgestorbenen „Rasse“ der „Azteken“. Unter
großen Mühen seien die Kinder schließlich nach Europa gebracht worden, um als
anthropologische Phänomene von höchstem Interesse ausgestellt zu werden.729 Der deutsche
Arzt Carl Gustav Carus, der die Kinder 1856 eingehend untersuchte, glaubte gar eine
Ähnlichkeit zwischen den Geschwistern und altmexikanischen Skulpturen in Chiapas zu
erkennen730, wodurch er einen Mythos mitschuf, „den Impresarios dankbar für eine
wirkungsvolle Bewerbung der nur etwa 1,30m großen [Kinder] aufgriffen.“731 So wurden
Bartola und Maximo etwa in „landestypischer“ mexikanischer Tracht vor einer
723
L. Fiedler: Freaks. S. 45.
Die Mikrozephalie ist eine Form der Schädelfehlbildung, bei der der Schädelumfang verkleinert ist. (Artikel
„Mikrozephalie“ in: Pschyrembel. Klinisches Wörterbuch (2004). S.1222).
725
L. Fiedler: Freaks. S. 45.
726
Vogt, Carl: Ueber die Mikrocephalen oder Affen-Menschen. In: Archiv für Anthropologie. Zeitschrift für
Naturgeschichte und Urgeschichte des Menschen. Bd. 2. Braunschweig 1867. S. 129-284.
727
C. Vogt: Ueber die Mikrocephalen oder Affen-Menschen. S. 276.
728
L. Fiedler: Freaks. S. 45.
729
Hartmann, Robert: Die sogenannten Azteken. Sitzung vom 21. Februar 1891. In: VBGAEU, Bd. 23. 1891, S.
278f. (Vgl. B. Lange: „Aechtes und Unächtes“. Zur Ökonomie des Abnormalen als Täuschung. S. 228f./ N.
Rothfels: Aztecs, Aborigines, and Ape-People: Science and Freaks in Germany, 1850-1900. S. 159f).
730
Vgl. Carus, Gustav Carl: Die Azteken. In: Berichte über die Verhandlungen der Königlich Sächsischen
Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig, Mathem. Phys. Classe I. 1856. S. 11f.
731
B. Lange: „Aechtes und Unächtes“. Zur Ökonomie des Abnormalen als Täuschung. S. 228f.
724
96
Tempelkulisse gezeigt732 (Abb. 14) oder in einer Anzeige des Komet als „[d]ie zwei letzten
lebenden Menschen vom Stamme der Azteken“ beworben, die „in prachtvollen OriginalInka-Kostümen“733 auftreten. Wie willkürlich die Inszenierung des Geschwisterpaares
letztlich war, belegt ein Auftritt in Castan’s Panoptikum im März 1891. Bartola und Maximo
betraten die Bühne nicht etwa „mit den Attributen der sagenhaften Mexikaner“734, sondern
„in einem salonfähigen, europäischen Anzuge, wohl frisiert und geschniegelt.“735 Die
Uneindeutigkeit der Identitätszuschreibungen veranlasste Virchow schließlich, die Azteken
nach der Vorführung in Castan’s Panotikum zu vermessen.736 Bereits 1866 und 1877 hatte
Virchow das Geschwisterpaar untersucht und kam bei seiner dritten Vermessung erneut zu
dem Ergebnis, dass „es sich bei Bartola und Maximo weder um Relikte einer ausgestorbenen
Rasse“737 handele, da „die Übereinstimmung ihrer Köpfe mit altmexikanischen […] mehr
scheinbar, als wirklich [ist]“, noch um Mischlingskinder, wie der Anatom Johannes Müller
(1801-1858) in einer seiner letzten Vorlesungen im Jahr 1857 vermutet haben soll.738
Vielmehr sei „der microcephale [Schädel]“, so Virchows Befund, „eine Monstrosität“739.
Auch der Naturforscher Robert Hartmann bemühte sich in einer Sitzung der Berliner
Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte (BGAEU) vom 21. Februar
1891 die „erstaunlichsten und unglaubwürdigsten Sagen“ zu entlarven und die „allergröbsten
und langweiligsten Lügenberichte“, die sich um das Geschwisterpaar rankten, zu
dementieren.740 Dessen ungeachtet sollte es erst 1968 mit der Veröffentlichung einer Studie
über Dos microcéfalos „aztecas“. Leyenda, historia y antropología741 des mexikanischen
Gelehrten Juan Comas zu einer endgültigen Entmystifizierung und damit zu einer
Pathologisierung der beiden mikrozephalen Kinder kommen.
Obschon es nur wenige gesicherte Informationen über die vermeintlichen Aztekenkinder
gibt, wie etwa, dass sie seit 1853 in Europa zur Schau gestellt wurden und 1867 trotz ihrer
vorgeblichen Verwandtschaft verheiratet wurden, nehmen sie einen wichtigen und nahezu
einzigartigen Platz in der deutschen Wissenschafts- und Kulturgeschichte des 19.
732
N. Rothfels: Aztecs, Aborigines, and Ape-People: Science and Freaks in Germany, 1850-1900. S. 161.
Der Komet, Nr. 690, vom 11. Juni 1898. S. 24.
734
B. Lange: „Aechtes und Unächtes“. Zur Ökonomie des Abnormalen als Täuschung. S. 229.
735
„Hr. Rud[olf] Virchow bespricht die sogenannten Azteken und die Chua”, Sitzung vom 21. März 1891. In:
VBGAEU, Bd. 23. S. 370.
736
B. Lange: „Aechtes und Unächtes“. Zur Ökonomie des Abnormalen als Täuschung. S. 229f.
737
Ebd. S. 230.
738
N. Rothfels: Aztecs, Aborigines, and Ape-People: Science and Freaks in Germany, 1850-1900. S. 159.
739
„Hr. Rud[olf] Virchow bespricht die sogenannten Azteken und die Chua”, Sitzung vom 21. März 1891. In:
VBGAEU, Bd. 23. S. 371.
740
R. Hartmann: Die sogenannten Azteken. S. 278.
741
Vgl. Comas, Juan: Dos microcéfalos „aztecas“. Leyenda, historia y antropología. Mexico, Universidad
Nacional Autónoma de México, Instituto de investigaciones Históricas, 1968.
733
97
Jahrhunderts ein, wie Nigel Rothfels in seinem Aufsatz über Aztecs, Aborigines, and ApePeople betont.742 Sie stehen nicht nur exemplarisch für die Mythenbildung im Schaugeschäft,
sondern auch für die diskursiven Verbindungen zwischen Schaustellergewerbe und scientific
community; wurden doch anhand der mikrozephalen „Aztekenkinder“ die zwei maßgeblichen
wissenschaftlichen Theorien des 19. Jahrhunderts diskutiert: die Evolution und die
Rekapitulation.743 Die Theorie der Rekapitulation (auch „Biogenetisches Gesetz“), die der
Zoologe Ernst Haeckel (1834-1919) im Jahr 1866 aufstellte, besagt, dass die Ontogenese, das
heißt die Entwicklung des Menschen vom Embryo bis zum Erwachsenen, die
Stammesentwicklung der gesamten Menschheit sozusagen „im Zeitraffer“ rekapituliert.744
Demzufolge wurden fehlgebildete Körper beziehungsweise Körperteile als Indizien für ein
unabgeschlossenes Entwicklungsstadium verstanden, das einem bestimmten Zeitpunkt in der
stammesgeschichtlichen Entwicklung entspricht.745 Wenn Vogt also Mikrozephalismus als
atavistischen Rückschlag zum Affenmenschen mit plattem Schädel verstand, so
argumentierte er ganz im Sinne Haeckels.
3.2.7.2 Von „Affenmädchen“ und „Löwenmenschen“ – Zur Inszenierung von
Überbehaarung beim Menschen
Wenngleich die Ankunft der beiden „Azteken“ im Europa der 1850er Jahre der
Veröffentlichung von Charles Darwins On the Origin of Species (1859) vorausging, so sollte
seine Theorie bald „a major component in the enfreakment of a whole range of individuals,
including the ‚Aztecs’“ werden.746 Seine Theorie implizierte, dass sich der Mensch durch
natürliche Selektion aus vormenschlichen Stufen der Evolution entwickelt habe, wobei
Bindeglieder oder so genannte „missing links“ die Übergänge zwischen diesen einzelnen
Entwicklungsstufen belegten.747 Insbesondere das fehlende Bindeglied zwischen Mensch und
Affe, das Haeckel im Pithecanthropus alalus, „dem sprachlosen Affenmensch”, identifiziert
zu haben glaubte und dessen fossile Überreste er in Südostasien vermutete748, wurde in
weiten Teilen der Bevölkerung diskutiert. Der Anthropologe Carl Heinrich Stratz bemerkte
dazu im Jahr 1904: „Die verschiedenen niederen Menschenrassen wurden auf ihre
742
N. Rothfels: Aztecs, Aborigines, and Ape-People: Science and Freaks in Germany, 1850-1900. S. 160.
Ebd. S. 161f.
744
B. Lange: „Aechtes und Unächtes“. Zur Ökonomie des Abnormalen als Täuschung. S. 230.
745
Ebd.
746
N. Rothfels: Aztecs, Aborigines, and Ape-People: Science and Freaks in Germany, 1850-1900. S. 162.
747
Ebd.
748
P. Hoff (Hg.): Evolution. S. 120.
743
98
Affenähnlichkeit geprüft, unter Virchows Leitung wurde eine Liste der pithekoiden
(affenähnlichen) Merkmale des Menschen aufgestellt und man suchte eifrig nach dem
missing link, dem letzten verbindenden Glied zwischen Mensch und Affe.“749 In Menschen
mit auffallend “animalischen” Körpermerkmalen wie etwa einer starken Körperbehaarung
glaubte man das fehlende Bindeglied zwischen Mensch und Tier entdeckt zu haben und so
wurden alsbald „Affenmenschen“, „Geschwänzte Menschen“ oder „Haarmenschen“ in
Abnormitätenschauen als vermeintliche „missing links“ vorgestellt.750 Die Zurschaustellung
des „Affenmädchens“ Krao (1876-1926), einem pathologischen Fall von Hypertrichose751,
war dabei in vielerlei Hinsicht typisch für die Deutung von fehlgebildeten Menschen als
„missing links“ im ausgehenden 19. Jahrhundert.752
Die Zurschaustellung von Menschen mit übermäßigem Haarwuchs lässt sich bereits für
das 16. Jahrhundert bezeugen. Aldrovandi beschrieb in seiner Monstrorum Historia den Fall
einer an Hypertrichose leidenden Familie von den Kanarischen Inseln, die sich während einer
Italienreise um 1560-80 vermutlich öffentlich zeigte.753 Ein in der napoleonischen Galleria
Nazionale ausgestelltes Gemälde des Agostino Carracci, das um 1596 entstand, legt die
Schaustellung eines Haarmenschen nahe; es zeigt „Arrigo, den Haarigen“ zusammen mit
„Pietro, dem Narren“ und „Amon, dem Zwerg“.754 Die öffentliche Vorführung von
Haarmenschen auf Jahrmärkten belegt auch ein Eintrag vom 15. September 1657 in John
Evelyns Tagebuch, der nach einem Besuch in London schrieb: „I also saw the hairy maid, or
Woman wh‹om› 20 yeares before I had also seene when a child: her very Eyebrowes were
combed upward, & all her forehead as thick & even as growes any womans head, neately
dress’d: There come also tw‹o› lock‹s› very long out of Each Eare: she had also a most prolix
beard, & mustachios, with long lockes of haire growing on the very middle of her nose,
exactly like an Island dog […]”755 In Frankfurt auf der Zeil wurde im Jahr 1777756 und dann
noch einmal 1787757 ein Mädchen vorgeführt, das „den vorderen Theil seines Leibes mit
749
C. H. Stratz: Naturgeschichte des Menschen. S. 15.
N. Rothfels: Aztecs, Aborigines, and Ape-People: Science and Freaks in Germany, 1850-1900. S. 162.
751
Lokalisiert oder generalisiert auftretende, vermehrte Körperbehaarung (Artikel „Hypertrichose“ in:
Pschyrembel. Klinisches Wörterbuch (2004). S. 868).
752
N. Rothfels: Aztecs, Aborigines, and Ape-People: Science and Freaks in Germany, 1850-1900. S. 162.
753
H. Scheugl: Show Freaks & Monster. S. 33. (Vgl. Ulisse Aldrovadi: Monstrorum Historia. S. 16f).
754
Ebd. (Vgl. dazu auch Zapperi, Roberto: Ein Haarmensch auf einem Gemälde von Agostino Carracci. In: Der
falsche Körper. Beiträge zu einer Geschichte der Monstrositäten. Hrsg. v. Michael Hagner. Göttingen 1995. S.
45-55).
755
J. Evelyn: The Diary of John Evelyn. S. 104.
756
Vgl. MNZ, Best. 26, Sign. 026 / 0011, Einblattdruck, 1777 16/4.
757
In Georges Louis Le Clerc de Buffons Naturgeschichte des Menschen findet sich eine ausführliche
Beschreibung des Mädchens. Einer Fußnote ist zu entnehmen, dass ein Leser „dieses Mädchen, im Jahre 1787,
750
99
Haaren von der Farbe eines Hirschrehes, und den Rücken mit Hirschhaaren bedeckt [hatte];
seine Arme, Schenkel und Beine sehen wie ein natürlicher Tiger, und haben ein sehr weisses
Fleisch, mit Flecken von der Farbe eines Rehes vermengt.“758 Bei dem Kind handelt es sich
höchstwahrscheinlich um Anna Maria Herrig, die am 25. März 1771 in der Pfarrei Watern
bei Trier zur Welt gekommen war. Einem Flugblatt war zu entnehmen, dass ihre Mutter
während der Schwangerschaft derart heftig ein Stück Hirschfleisch begehrt habe, dass sie
darüber mit einer anderen Frau in Streit geriet. Der autobiographischen Beschreibung zufolge
resultierte die starke Erregung der Mutter darin, „daß mein Körper nicht nur mit Hirsch- und
Reh-Haaren unterschiedener Farbe, sondern auch mit Rehflecken bezeichnet“ ist.759 (Abb.
15) Wie die beiden letztgenannten Beispiele veranschaulichen, wurden zur Beschreibung der
Abnormitäten schon früh Tieranalogien bemüht. Auch Sonderegger erwähnt ein
zweiköpfiges Kind mit außerordentlichem Haarwuchs, aus dem „der Volksmund […]
natürlich einen Affenkopf konstruiert [hat].“760
Bis zur Wende zum 20. Jahrhundert wurden körperliche Fehlbildungen meist mit dem
Versehen erklärt, insbesondere dann, wenn sie Tierähnlichkeit aufwiesen, wie etwa das
Beispiel der Anna Maria Herrig zeigt. Mit dem darwinistischen Theorem vom „missing link“
griffen die Impresarios ab den 1860er Jahren ein gelehrtes Konzept auf, das in weiten Teilen
der Bevölkerung diskutiert wurde761 und dessen Bewerbung daher hohe Besuchszahlen
versprach. Indem die zur Schau gestellten Abnormitäten dem zoologisch-anthropologischen
Wissensbereich zugeordnet wurden, verwiesen die Impresarios auf die wissenschaftliche
Relevanz der Schauobjekte, die durch entsprechende Urkunden und Testate von Medizinern
und Anthropologen verbrieft wurde. So wurde etwa „Marietta das ‚Leopardenmädchen’“ mit
dem Hinweis beworben, dass „Belege, sowie ff. Atteste und Zeugnisse der Herren
Professoren Carl Hennig – Leipzig, Geh. Medizinalrath Bonsick – Breslau, F. J. Pick – Prag,
Johannes Rauke – München u. Dr. med. W. Opitz – Chemnitz […] zur Seite [stehen]”, die
die Echtheit des „Haarmädchens“ bezeugen sollten.762 Diese Testate dürfen indes nicht
darüber hinwegtäuschen, dass die scientific community die Ansicht der Impresarios, der
Haarmensch
sei
das
fehlende
Bindeglied
zwischen
Mensch
und
Affe,
nicht
zu Frankfurth am Mayn, in der Herbstmesse“ sah. (Vgl. Buffon, Georges Louis Le Clerc de, u.a. (Hrsg.):
Naturgeschichte des Menschen. Berlin 1807. S. 422).
758
MNZ, Best. 26, Sign. 026 / 0011, Einblattdruck, 1777 16/4.
759
I. Ritzmann: Sorgenkinder. S. 146.
760
Flugblatt. In: Wickiana, Bd. 21, S. 45, zit. n. A. Sonderegger: Missgeburten und Wundergestalten. S. 40.
761
N. Rothfels: Aztecs, Aborigines, and Ape-People: Science and Freaks in Germany, 1850-1900. S. 162.
762
Der Komet, Nr. 759, vom 7. Oktober 1899. S. 23.
100
notwendigerweise teilte.763 Die bürgerliche Zeitschrift Die Gartenlaube hatte in einem 1888
veröffentlichten Artikel darauf hingewiesen, dass „[d]ie Wissenschaft […] in den letzten
Jahren [jene] Menschengattung zu Grabe getragen [hat], an deren Vorhandensein noch vor
wenigen Jahrzehnten die größten Gelehrten glaubten, den ‚wilden’ Menschen, der […] ein
Zwischenglied zwischen dem Menschen und dem Affen bildete.“764 Die „ungenaue[n]
Berichte“ über den „wilden Menschen“, so der Artikel weiter, müssten ebenso also
„Fabel[n]“ abgetan werden wie die Erzählungen über „Schwanzmenschen“, Hundsköpfige
oder „Fußschattner“ 765, die Plinius in seiner Naturalis historia beschrieben hatte. Allerdings
würde die Vorstellung vom „missing link“ „noch heute in der Einbildung vieler fortleb[en],
die keine Gelegenheit hatten, sich mit den neueren Forschungen zu befassen.“766 Noch 1896
präsentierte etwa Wilhelm Bölsche in seiner Entwicklungsgeschichte der Natur das
„Affenmädchen Krao“ (1876-1926) als lebendiges „missing link“.767 Das an Hypertrichose
leidende laotische Mädchen, das zwischen den 1880er und 1890er Jahren in Deutschland
vorgeführt wurde und 1884 sowie 1894 auch im Frankfurter Zoologischen Garten gastierte,
wurde auch in dem besagten Artikel der Gartenlaube erwähnt. In knappen Worten fasste der
Bericht die Geschichte von der Entdeckung des Kindes, das „einem jeden von unsern Lesern
ohne Zweifel bekannt[ ] [ist]“ wie folgt zusammen: „[E]ines Tages, vor wenigen Jahren,
lasen […] die erstaunten Europäer in den Tagesblättern die Nachricht, daß ein Affenmensch,
ein Mädchen von 7-8 Jahren, in dem Walde von Laos eingefangen worden sei und eine
Rundreise durch Europa antreten werde. In der Ankündigung wurde erzählt, daß von dieser
sonderbaren Rasse eine ganze Familie, Vater, Mutter und Tochter, gefangen worden sei, der
Vater sei in Laos an der Cholera gestorben, der Beherrscher des Landes habe nicht gestattet,
die Mutter zu exportiren, und so sei das Kind allein nach Europa gebracht worden.“768 Den
detaillierten Werbebroschüren zufolge hatte der Impresario Farini unter großen
Anstrengungen den Agenten Carl Bock engagiert, eine Familie von Haarmenschen aus der
Gefangenschaft des burmesischen Königs zu befreien. Bock organisierte eine Expedition
nach Laos, während der er einen ganzen Stamm von Haarmenschen gesehen haben will, die
in Baumhäusern lebten und rohes Fleisch gegessen haben sollen. Unter der Bedingung, dass
Farini „Krao“ adoptierte, gestattete der burmesische König schließlich die Ausreise des
763
N. Rothfels: Aztecs, Aborigines, and Ape-People: Science and Freaks in Germany, 1850-1900. S. 162.
Der ‚wilde’ Mensch. In: Die Gartenlaube (1888). S. 879.
765
Ebd.
766
Ebd.
767
A. Košenina: Der gelehrte Narr. S. 42. Vgl. Bölsche, Wilhelm: Entwicklungsgeschichte der Natur. 2 Bde.
Band 2. Berlin/ Leipzig1922 [1896]. S. 105.
768
Der ‚wilde’ Mensch. In: Die Gartenlaube (1888). S. 882.
764
101
Mädchens.769 Wenngleich Gelehrte wie Max Bartels oder Rudolf Virchow konstatierten,
„daß die kleine Krao eine echte Siamesin sei, bei der man die längst bekannte Erscheinung
der Ueberbehaarung beobachten könne, […] die von Zeit zu Zeit bei den verschiedensten
Völkern sich vorfinden“770, blieb Krao als „missing link“ bekannt.771 Ihre Rolle als fehlendes
Bindeglied zwischen Mensch und Affe wurde nicht zuletzt durch die aufwendigen
Broschüren, die ihre ausgeschmückte Lebensgeschichte referierten, und die knappen
Kostüme, die der Kleidung des imaginierten laotischen Stammes nachempfunden war, immer
wieder bestätigt und dadurch internalisiert. Noch 1894 wurde sie auf einem Plakat des
Zoologischen Gartens zu Frankfurt als „Krao, the missing link, half monkey, half woman“
(Abb. 16) angekündigt. Ähnlich wie bei Julia Pastrana, die ebenfalls als „Affenmädchen“
ausgestellt wurde, war die Zurschaustellung von Krao „a combination of fact and fantasy.“772
Wie eine reproduzierte Fotographie in Hutchinsons The Living Races of Mankind (1901)
nahe legt, war Kraos Körper mit einem dünnen Flaum bedeckt (Abb. 17), doch auf dem
Poster
des
Zoologischen
Gartens
wurde
sie,
umgeben
von
einer
stereotypen
Dschungellandschaft, mit dichtem Fell und auf einem Baum sitzend dargestellt, also mit
schaugewerblichen Attributen, die ganz dem „exotic mode of representation“ entsprachen.
In einer halbseitigen Annonce, die am 2. August 1860 im Mainzer Anzeiger veröffentlicht
wurde und eine „Anatomische Ausstellung“ ankündigte, war in großen Lettern zu lesen:
„Auch ist zu beobachten: Miss Julia Pastrana“773. Doch die Mexikanerin, die wie Krao an
Hypertrichose litt, war bereits im März desselben Jahres verstorben. Dem klein gedruckten
Teil der Anzeige war denn auch zu entnehmen, dass es sich bei der zur Schau gestellten Frau
um eine „Figur“ handelte, die „dem lebenden Originale mit der größten Genauigkeit
nachgeahmt [sei] und […] alle diejenigen Theile zu sehen [seien], durch welche sie eben so
merkwürdig wurde; die mit Haaren von verschiedener Länge besetzten Arme und Brust,
sowie ihr, dem männlichen Geschlechte angehörender reicher üppiger Bart.“ Die Anzeige
fuhr fort, dass zwar „[v]iele Leute […] im Circus Renz […] dieses Spiel der Natur gesehen
[haben], aber gerade der interessanteste Theil, die Formation des Mundes (Zahnfleisch und
Zunge haben mit keiner anderen menschlichen oder thierischen Bildung eine Aehnlichkeit,)
konnte wegen der großen Entfernung nicht wahrgenommen werden […].“774 Tatsächlich
769
N. Rothfels: Aztecs, Aborigines, and Ape-People: Science and Freaks in Germany, 1850-1900. S. 162f.
Der ‚wilde’ Mensch. In: Die Gartenlaube (1888). S. 882.
771
N. Rothfels: Aztecs, Aborigines, and Ape-People: Science and Freaks in Germany, 1850-1900. S. 163.
772
Ebd.
773
Mainzer Anzeiger, Nr. 178, vom 2. August 1860.
774
Ebd.
770
102
wies Pastrana neben einer übermäßigen Behaarung eine Überentwicklung der Kiefer mit „je
zwei Zahnreihen“775 auf, wodurch ihr Antlitz affenähnliche Züge annahm776, was ihr in den
amerikanischen Side Shows den Namen „Ape Girl“ einbrachte777 und den Biologen Ernst
Haeckel veranlasste, sie in seiner Anthropogenie (1874) mit einem Nasenaffen zu
vergleichen.
Pastranas Lebensgeschichte liest sich ebenso abenteuerlich wie die Herkunftslegende
Kraos und wurde in der Annonce des Mainzer Anzeigers wie folgt resümiert: „Ihre Mutter,
eine Indianerin, verirrte sich in der Sierra Madûa [Sierra Madre, Anm. d. A.] in Mexiko,
wurde nach sechs Jahren erst gefunden, wo sie dieses, damals 2 Jahre alte Kind säugte.“778
Einer anderen Quelle zufolge soll die Mutter von wilden Indianern in eine menschenleere
Höhle verschleppt worden und später in einem Gebiet „abounding in monkeys, baboons, and
bears“ gefunden worden sein; Julia soll zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Jahre alt gewesen
sein.779 Diese Herkunftsschilderung sollte der schaugewerblichen Inszenierung Pastranas als
potentiell hybrides Wesen Glaubwürdigkeit verleihen. Untermauert wurde diese Implikation
durch ein Zertifikat des Arztes Dr. B. Alex Mott, der nach einer Untersuchung bestätigte:
„She is therefore a Hybrid“780. Über Pastranas Geburtsjahr herrscht in den Quellen indes
Uneinigkeit: Lehmann und Scheugl geben 1832 an781, Oettermann das Jahr 1836782.
Gesichert ist jedoch, dass Pastrana seit Anfang der 1850er Jahre zunächst in den USA und
später auch in Deutschland zur Schau gestellt wurde. Als sie 1854 in der Gothic Hall am
New Yorker Broadway vorgeführt wurde, wurde sie, ebenso wie später in Mainz, als “Spiel
der Natur” apostrophiert. Ein Reporter notierte: „The eyes of this lusus natura [sic] beam
with intelligence, while its jaws, jagged fangs and ears are terrifically hideous […]“783. Die
Qualifizierung Pastranas als lusus naturae implizierte, dass dem Publikum eine
staunenswerte „Spielerei der Natur“ gegenübertrat und nicht ein pathologisierbares oder gar
klassifizierbares
Geschöpf.
Dabei
hatte
bereits
Linné
in
seiner
taxonomischen
Untergliederung der Systema naturae (1753) eine auffällige Überbehaarung als Merkmal für
775
H. Beigel: Ueber abnorme Haarentwicklung beim Menschen. S. 427.
J. Bondeson: A Cabinet of Medical Curiosities. S. 217.
777
T. Macho: Zoologiken: Tierpark, Zirkus und Freakshow. S. 174.
778
Mainzer Anzeiger, Nr. 178, vom 2. August 1860.
779
J. Bondeson: A Cabinet of Medical Curiosities. S. 219.
780
R. Garland-Thomson: Making Freaks. Visual Rhetorics and the Spectacle of Julia Pastrana. S. 136.
781
A. Lehmann: Zwischen Schaubuden und Karussells. S. 93/ H. Scheugl: Showfreaks and Monster. S. 35.
782
S. Oettermann: „Der Leviathan vom Rhein“. Deutschlands erstes und einziges Showboat. S. 32f.
783
J. Bondeson: A Cabinet of Medical Curiosities. S. 219.
776
103
die präsupponierte Art des „homo ferus“, eine vierfüßige, stumme und zottige Variante des
homo sapiens, angenommen.784
Bondeson zufolge verließ Pastrana ihr Apartment niemals während des Tages, da ihr
Impresario der Ansicht war, „that her drawing power would be diminished if she were seen
by nonpaying spectators“785. Auch ein deutscher Riese, der sich 1713 in St. Germain zur
Schau gestellt hatte, „reiste des Nachts und hielt sich des Tages inne“786. Die Loslösung aus
dem Alltag war eine wesentliche Voraussetzung für die Ideologisierung beziehungsweise
Mystifizierung der Abnormitäten. Nur so lange sie als außeralltägliche Phänomene
wahrgenommen wurden, konnte ihre Inszenierung als seltene und seltsame „Launen der
Natur“ und somit als Gegenbild zur Normalität und Normativität des Alltags aufrechterhalten
werden. Die Verkörperung des Anormalen in der Figur der Julia Pastrana manifestierte sich
auch in Bezeichnungen wie etwa „Nondescript“, „Bear Woman“, „Ape Woman“, „Hybrid
Indian“, „Extraordinary Lady“ oder „The Ugliest Woman in the World“, die allesamt
suggerierten, dass ihr Körper nicht dem normativen Bild eines gesunden und schönen
Menschen entsprach.787 Ihre abnorme Physiognomie beschrieben 1857 auch zwei Autoren in
einem Artikel der Zeitschrift Die Gartenlaube, der den vielsagenden Titel „Julia Pastrana, ein
Menschenungeheuer“ trug: „Obgleich wir beide uns seit den Kinderjahren keine Gelegenheit
hatten entgehen lassen, aller derartigen Merkwürdigkeiten in Augenschein zu nehmen, so oft
dergleichen zur Schau gestellt wurden, so mussten wir doch zugeben, daß das vor uns
stehende Geschöpf an Seltenheit und Monstrosität aller bisher gesehenen Erscheinungen
außergewöhnlicher organischer Bildungen weit übertraf.“788
Nach ihrem Tod im Kindbett wurde ihr konservierter Körper noch bis in die
Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts auf diversen Ausstellungen gezeigt, 1972 etwa in dem
fahrenden Vergnügungspark „The Million Dollar Midways“.789 Nachdem mehrheitlich
Einwände gegen die Zurschaustellung Pastranas geäußert wurden, wurde ihr balsamierter
Körper in dem Untergeschoss des „Institute of Forensic Museum“ in Oslo eingelagert, wo,
wie Rosemarie Garland Thomson in einer unveröffentlichten Schrift über das Leben
Pastranas ausführte, „it is studied by medical experts whose careers benefit from the
784
C. Neis: Anthropologie im Sprachdenken des 18. Jahrhunderts. S. 277.
J. Bondeson: A Cabinet of Medical Curiosities. S. 226.
786
C. E. Geppert: Chronik von Berlin von Entstehung der Stadt an bis heute. S. 216.
787
R. Garland-Thomson: Making Freaks. Visual Rhetorics and the Spectacle of Julia Pastrana. S. 129
788
Julia Pastrana, ein Menschenungeheuer. In: Die Gartenlaube (1857). S. 657.
789
T. Macho: Zoologiken: Tierpark, Zirkus und Freakshow. S. 174.
785
104
exhibition of Julia Pastrana’s extraordinary body.”790 Die Lebensgeschichte Julia Pastranas
„offenbart auf einen Schlag die wissenschaftlichen Interessen, die sich mit der modernen
Freakshow assoziiert haben“791. Von der Teratologie im 19. Jahrhundert und Ernst Haekels
Anthropogenie (1874) über die von Darwins Evolutionstheorie inspirierte Suche nach dem
„missing link“ bis hin zu den modernen Biowissenschaften des 20. Jahrhunderts wurde der
Körper Julia Pastranas von Medizinern und Anthropologen untersucht und verschiedenartig
gedeutet.792 Dabei diente Pastranas Körper während ihrer Zurschaustellung als eine
Projektionsfläche für die Unsicherheiten und Ängste, die Darwins Theorie von der
Abstammung des Menschen evoziert hatte.
Der Ethnologe Felix von Luschan vermutete, dass die so genannte „Hypertrichosis
universalis“ überaus selten auftrat, nämlich „dass auf 1000 Millionen Menschen erst ein
richtiger Haarmensch kommt.“793 In den Verhandlungen der BGAEU und in der Zeitschrift
für Ethnologie wurden daher bei der Besprechung von Haarmenschen immer wieder
dieselben Namen genannt.794 Neben der Siamesin Krao und der Mexikanerin Julia Pastrana
gehörten Andrian und sein Sohn Fedor aus Russland und der Pole Stephan (auch Stefan)
Bibrowski alias Lionel der Löwenmensch zu den wenigen bekannten Fällen von
Hypertrichose. Ebenso wie sein Kollege Rudolf Virchow schloss von Luschan aus, „daß
diese Individuen durch Sodomie oder durch atavistische Rückschläge entstanden seien.“795
Vielmehr handle es sich bei den Haarmenschen um „rein pathologische Formen“796. In einer
Sitzung vom 25. Mai 1907 ermahnte er deshalb: „Ebensowenig wie wir einen mikrocephalen
Idioten auf die Affen zurückführen dürfen, ebensowenig dürfen wir für die Hundemenschen
einen Rückschlag auf Affen, Löwen, [oder] Hunde annehmen.“797
Lionel der Löwenmensch, der bei der Sitzung vom 25. Mai als wissenschaftliches
Untersuchungsobjekt zugegen war, erklärte seine Überbehaarung indes mit dem Versehen.
Seine Mutter habe während ihrer Schwangerschaft einen Schock erlitten, nachdem sie
790
R. Garland-Thomson: Naratives of Deviance and Delight. Staring at Julia Pastrana, the “Extraordinary
Lady”. Unveröffentlichtes Typoscript. S. 5f. zit. n. T. Macho: Zoologiken: Tierpark, Zirkus und Freakshow. S.
174.
791
T. Macho: Zoologiken: Tierpark, Zirkus und Freakshow. S. 174.
792
Vgl. Rosemarie Garland Thomson: Naratives of Deviance and Delight. Staring at Julia Pastrana, the
“Extraordinary Lady”. Unveröffentlichtes Typoscript. Howard University. Reston 2000. S. 5f.
793
Hr. [Felix] v[on] Luschan stellt einen Haarmenschen vor. Sitzung vom 25. Mai 1907. In: Zeitschrift für
Ethnologie. Bd. 39 (1907). S. 428.
794
S. Benninghoff-Lühl: Die Jagd nach dem Missing Link. S. 116.
795
B. Lange: „Aechtes und Unächtes“. Zur Ökonomie des Abnormalen als Täuschung. S. 232.
796
Hr. [Felix] v[on] Luschan stellt einen Haarmenschen vor. Sitzung vom 25. Mai 1907. In: Zeitschrift für
Ethnologie. Bd. 39 (1907). S. 429.
797
Ebd.
105
gesehen hatte, wie ihr Mann von einem Löwen getötet worden war.798 Im 19. Jahrhundert
wurde die Frage nach der Ursache einer Fehlbildung meist mit dem Versehen beantwortet799,
dessen teratogene Wirkung noch in der zweiten Jahrhunderthälfte auch von ärztlicher Seite
bekundet wurde. Der Arzt Herrmann Beigel nahm an, dass in „sehr seltene[n] Fällen […]
nach einer plötzlichen Nervenerregung […] ein excessiver Haarwuchs“ ausgelöst werden
könnte.800 Als Beispiel nannte er den Fall eines zwölfjährigen Mädchens, „dessen
Oberkörper zum grössten Theile in einer Weise behaart war, welche das Kind einem Affen
ähnlich machte. Die Mutter gab auch an, im dritten Schwangerschaftsmonate einen heftigen
Schreck erlitten zu haben, indem ein auf einer Drehorgel befindlicher Affe plötzlich auf ihre
Schulter gesprungen ist“801. Der „Elefantenmensch“ Joseph Merrick führte seine schweren
Deformationen auf den Schreck zurück, den seine Mutter erlitten hatte, nachdem sie
zwischen die Beine eines Zirkuselefanten geraten war.802
Lionel kam 1890 in Wilezagora in Russisch-Polen zur Welt.803 Der Schauunternehmer
Sedlmeyer brachte den Jungen im Alter von drei Jahren nach Deutschland, wo er durch die
BGAEU besichtigt und alsbald von Sedlmayer als Jahrmarktsattraktion zur Schau gestellt
wurde.804 Lionel absolvierte unter anderem ein Engagement in den USA bei Barnum &
Bailey, verbrachte den Hauptteil seiner Karriere jedoch in Europa805 und gastierte Anfang
des 20. Jahrhunderts auch in Mainz. In seinem autobiographischen Werk Als wär’s ein Stück
von mir. Horen der Freundschaft (1966) schrieb der in Mainz aufgewachsene Schriftsteller
Carl Zuckmayer: „Nun war die ersehnte Attraktion des Jahres, außer der Fastnacht, die
Mainzer „Meß“ – der große Jahrmarkt, der im Frühling und Herbst mit all seinen lockenden
Buden, mit ‚Ahua dem Fischweib’, ‚Lionel dem Löwenmenschen’, ‚Wallenda’s
Wolfszirkus’, ‚Schichtl’s Zaubertheater’, dem Kölner Hännesje, den Ringkämpfern und den
tätowierten Schönheiten des Orients (nur für Erwachsene!), […] auf dem Halleplatz,
gegenüber der Stadthalle, für eine Woche aufgeschlagen war.“806 Die durchgesehenen
Mainzer Zeitungen erlauben zwar keine Rückschlüsse auf das genaue Aufenthaltsjahr
Lionels in Mainz, aber eine illustrierte Postkarte aus dem Mainzer Stadtarchiv, die „De[n]
„Knabe[n] mit der Löwenmähne“ darstellt und mit dem handschriftlichen Vermerk „1903.
798
R. Bogdan: Freak show. S. 110.
Ebd.
800
H. Beigel: Ueber abnorme Haarentwicklung beim Menschen. S. 420.
801
Ebd. S. 420f.
802
K. Angell: Joseph Merrick and the Concept of Monstrosity. S. 143.
803
N. Rothfels: Aztecs, Aborigines, and Ape-People: Science and Freaks in Germany, 1850-1900. S. 170.
804
H. Scheugl: Show Freaks & Monster. S. 35.
805
N. Rothfels: Aztecs, Aborigines, and Ape-People: Science and Freaks in Germany, 1850-1900. S. 170.
806
C. Zuckmayer: Als wär’s ein Stück von mir. S. 169.
799
106
Besten Gruß aus Mainz“ versehen ist (Vgl. Abb. 18), legt die Vermutung nahe, dass Lionel
im Jahr 1903 auf der Mainzer Messe gastierte.
Mit „Lionel, dem Löwenmenschen“ beherbergte die Mainzer Messe einen vermeintlichen
Mensch-Tier-Hybriden, der jedoch im Unterschied zu Krao oder Julia Pastrana weder als
„missing link“ noch als Ergebnis sodomitischer Praxis präsentiert wurde. Zwar gibt es
vereinzelte Darstellungen, die ihn inmitten einer Löwenherde zeigen, doch die meisten
erhaltenen Bilder zeigen ihn in bürgerlicher oder gar aristokratischer Kleidung „in stately and
educated poses.“807 Auf der besagten Mainzer Postkarte wurde er etwa in einer mit Spitzen
verzierten Kniebundhosen, einem üppig dekoriertem Rock und mit einem Reifspielzeug
dargestellt (Abb. 18); eine Annonce im Komet zeigte ihn indes beim Lesen Friedrich von
Schillers (Abb. 19). Diese halbseitige Anzeige enthielt einen knappen Artikel, der am 8.
Februar 1908 im Kölner Tageblatt erschienen war. In dem Artikel wurde Lionel als „normal
gewachsener
Jüngling“
beschrieben,
dessen
„treublickende
Augen“
aus
einem
„kapillarischen Urwald“ hervortauchen und der „trotz aller Lebhaftigkeit ein bescheidenes
und freundliches Wesen“ hat. Wenngleich „die Abnormitäten [durchweg] etwas
Abstoßendes, Widerwärtiges oder doch Unsympathisches an sich“ haben, sei das „bei Lionel
aber keineswegs der Fall.“808 Die Zurschaustellung von Haarmenschen hatte sich vom
„exotic mode“ hin zu einem „aggrandized mode of representation“ verschoben. Die
idealisierte Darstellung Lionels als kultivierten Knaben, dessen Betragen in deutlichem
Kontrast zu seinem animalischen Erscheinungsbild stand, ist als Reaktion auf eine sich
wandelnde Wahrnehmung der pathologischen Überbehaarung zum Ende des 19. Jahrhunderts
zu verstehen. Als zu Beginn des 20. Jahrhunderts körperlich beeinträchtigte Menschen
zunehmend als krank angesehen wurden809, kompensierte die glorifizierende Inszenierung
die gleichzeitige Pathologisierung der Schauobjekte. Darüber hinaus galt die Theorie des
„missing link“ als weitestgehend widerlegt, hatte doch bereits 1890 Johannes Ranke in seiner
anthropologischen Studie Der Mensch postuliert: „Thierartige, wilde Völker oder Stämme,
welche die Mittelglieder zwischen Mensch und Affe darstellen, giebt es nicht“810. Es ist
anzunehmen, dass dieser Befund zügig Eingang in den populären Diskurs fand, erläuterte
Saltarino doch nur fünf Jahre später, „dass das fehlende Glied in der Verbindungsreihe von
807
N. Rothfels: Aztecs, Aborigines, and Ape-People: Science and Freaks in Germany, 1850-1900. S. 170.
Der Komet, Nr. 1210, vom 30. Mai 1908. S. 47.
809
R. Bogdan: The Social Construction of „Freaks“. S. 33.
810
Der ‚wilde’ Mensch. In: Die Gartenlaube (1888). S. 882. Vgl. Ranke, Johannes: Der Mensch. Band 1.
Leipzig/ Wien 1911 [1890]. Insb. Kapitel „Haarmenschen“ und „Geschwänzte Menschen“. S. 162-181.
808
107
Affe und Mensch bisher n i c h t gefunden worden ist.“811 Bald darauf war das „missing link“
auch von den Schaubühnen der Jahrmärkte und Panoptiken verschwunden.
3.2.8 Zwischen den Geschlechtern – „Bartfrauen“ und Hermaphroditen
Eine Variante der „Haarmenschen“ waren die so genannten „Bartfrauen“, die sich durch
eine ausgeprägte Gesichtsbehaarung auszeichneten. Scheugl zufolge sei der Bartwuchs bei
Frauen ein Hinweis auf eine „geschlechtliche Zwitternatur“812, tatsächlich jedoch deutet er
auf eine anlage- oder krankheitsbedingte vermehrte Androgenbildung hin, die sich im
männlichen Verteilungsmuster der Terminalhaare bei der Frau zeigt und als Hirsutismus (von
lat. hirsutus, „haarig“) bezeichnet wird.813 Die Zurschaustellung von bärtigen Frauen lässt
sich bereits für das 17. Jahrhundert nachweisen, das, so Fiedler, „seems to have been a
particularly favorable time for bearded females.“814 1670 ließen sich zwei bärtige Schwestern
in Hermersdorf zur Schau stellen815 und 1668 war eine bärtige Frau in London zu sehen, wie
aus einem Eintrag in Samuel Pepys Tagebuch hervorgeht: „Went into Holborne, and there
saw the woman that is to be seen with a beard. She is a little plain woman, a Dane; her name,
Ursula Dyan; about forty years old; her voice like a little girl's; with a beard as much as any
man I ever saw, black almost and grizly […] It was a strange sight to me, I confess, and what
pleased me mightily.”816 Bereits Anfang des 17. Jahrhunderts stellte Shakespeare die drei
prophetischen Hexen in Macbeth als bärtige Frauen dar. Bei ihrem Anblick entfährt es
Banquo, dem Anführer des Heeres: „What are these/ So wither’d, and so wild in their attire,/
That look not like the inhabitants o’ the earth,/ And yet are on’t? Live you? […]/ you should
be women,/ And yet your beards forbid me to interpret/ That you are so.“817 Aufgrund ihrer
Bärte entziehen sich die Hexen einer eindeutig weiblichen Geschlechtsidentität und Banquos
Zweifel an ihrer Existenz wird nicht zuletzt durch den Zweifel über die Identität ihres
Geschlechts ausgelöst. Das Interesse an Bartfrauen sowie an Hermaphroditen basierte auf
eben jener geschlechtlichen Uneindeutigkeit, die sie als ausstellungswürdige Schauobjekte
charakterisierte.
811
Saltarino (H. Otto): Fahrend Volk. S. 127 (Hervorhebungen im Original).
H. Scheugl: Show Freaks & Monster. S. 48.
813
Vgl. Artikel „Hirsutismus” in: Pschyrembel. Klinisches Wörterbuch (2004). S. 773.
814
L. Fiedler: Freaks S. 144.
815
H. Scheugl: Show Freaks & Monster. S. 48.
816
S. Pepys: The Diary of Samuel Pepys. 21st December 1668. S. 2209.
817
W. Shakespeare: The Tragedy of Macbeth. I,3. S. 356.
812
108
Eine der bekanntesten Bartfrauen war Annie Jones (1865-1902), die Barnum bereits als
Kleinkind zur Schau stellte und der er in Anlehnung an den behaarten Sohn des biblischen
Isaaks den Namen „Child Esau“ gab.818 Mit Barnum & Bailey reiste sie als „Lady Esau“
durch die USA und Europa und gastierte auch in Deutschland, bevor sie schließlich mit 37
Jahren an „Erschöpfung“ starb.819 Annie Jones wurde wie die meisten Bartfrauen „mit allen
Attributen der Weiblichkeit“820 präsentiert. Gekleidet in Ballkleidern, mit hochgestecktem
Haupthaar und einer anmutigen Körperhaltung sollte „der lange, dunkle Vollbart um so
störender und schockierender“821 wirken. (Vgl. Abb. 20) Selbst in gelehrten Kreisen galt der
Bartwuchs bei Frauen als unästhetisch und widrig, bemerkte doch etwa der Arzt Dr.
Herrmann Beigel in seinem Aufsatz Ueber abnorme Haarentwicklung beim Menschen
(1868): „Obgleich schon Aristoteles in seiner Naturgeschichte von den Priesterinnen in
Carien erzählte, dass sie Bärte hatten, und dass man dies für ein Zeichen ihrer
Weissagungsgabe gehalten, so darf sich nach ästhetischen Regeln der Haarschmuck des
Weibes doch nur ausschliesslich auf das Haupt beschränken.“822
Die Zurschaustellung von Bartfrauen lässt sich auch für Mainz belegen. Während der
Mainzer Messe im August 1917 war einer Zeitungsanzeige zufolge „[d]as größte Phänomen
der ganzen Erde, Hede, das 14jährige Mädchen mit dem Johanneskopf lebend zu sehen.“823
Weder eine Illustration noch eine nähere Beschreibung der Abnormität waren der Anzeige
beigefügt, doch vergleichbare Anzeigen im Komet legen nahe, dass es sich bei dem
ausgestellten Mädchen um Hedwig Koschinski handelt, die vermutlich an Hirsutismus litt.
Schon als Achtjährige war sie im Komet als „Mädchen mit dem Männerkopf mit Vollbart
und Schnurrbart“824 und als „Wundermädchen mit dem Johannes-Kopf“825 angekündigt
worden (Abb. 21). Ob sie zum Zeitpunkt ihrer Zurschaustellung in Mainz bereits so bekannt
war, dass ihre Vorführung keiner weiteren Erklärung bedurfte, ob die Anzeige den
neugierigen Leser veranlassen sollte, sich das Original anzusehen, oder ob detailliertes
Werbematerial in der Stadt ausgegeben wurde, konnte nicht ermittelt werden. Die
Bezeichnung „Johanneskopf“ wirft indes die Frage auf, ob die Namensgeber mit dem im 16.
Jahrhundert beschriebenen Fall von Überbehaarung bei einem jungen Mädchen vertraut
818
J. Nickell: Secrets of the sideshows. S. 151.
Ebd. S. 151f.
820
B. Lange: „Aechtes und Unächtes“. Zur Ökonomie des Abnormalen als Täuschung. S. 224.
821
Ebd.
822
H. Beigel: Ueber abnorme Haarentwicklung beim Menschen. S. 418f.
823
Mainzer Anzeiger, Nr. 192, vom 20. August 1917. S. 8.
824
Der Komet, Nr. 1349, vom 28. Januar 1911. S. 33.
825
Der Komet, Nr. 1383, vom 23. September 1911. S. 30.
819
109
waren, dessen Fehlbildung die Gelehrten Goltwurm und Paré mit dem „Versehen“ der Mutter
an einem Heiligenbild, das Johannes den Täufer darstellte, erklärt hatten.826 Ob das Versehen
als Ursache für Hedwigs Überbehaarung angenommen wurde, geht aus den Anzeigen nicht
hervor; die Bärtigkeit des Mädchens indes wurde als Indiz für die vermeintliche
Zweigeschlechtlichkeit des Kindes gedeutet. Die Anzeige im Komet schloss mit dem
Hinweis, dass Hede „bis zur Hälfte des Körpers ein normaler Mann [ist], die andere Hälfte
des Körpers ist eine normale Frau. […] Sämtl. Aerzte stehen vor einem absoluten Rätsel“827.
Tatsächlich jedoch war das vorliegende Krankheitsbild von Ärzten bereits im letzten Drittel
des 19. Jahrhunderts besprochen worden. Im Februar 1891 hatte der Mediziner Max Bartels,
der bereits eine dreiteilige Arbeit „Über abnorme Behaarung beim Menschen“828 publiziert
hatte, der BGAEU die bärtige Dame „Miss Annie Jones“, vorgestellt.829 Er führte aus, dass
man „vier verschiedene Arten der Weiberbärte zu unterscheiden vermag“830. Neben dem
Bärtchen, der leichten Barthaarbildung bei älteren Frauen und der „Hypertrichosis
universalis“, deren Träger als Hunde- oder Löwenmenschen zur Schau gestellt wurden,
könnte man die „ächte Heterogenie der Behaarung, d.h. […] das Auftreten der männlichen
Geschlechtscharaktere in Bezug auf die Art und Anordnung des Haarwuchses bei jungen
weiblichen Individuen“ identifizieren.831 Sein Schauobjekt Annie Jones sei ein „ganz
besonders vortreffliches Beispiel“832 dieser vierten Kategorie. Die „äusseren und inneren
Genitalien“ bärtiger Frauen seien indes, so Bartels weiter, „vollkommen normaler weiblicher
Natur“ und „weder die Funktion der Eierstöcke, noch auch diejenige der Milchdrüsen“
würden durch die Bärtigkeit „beeinträchtigt […] werden“833. Die Diskrepanz zwischen
ärztlichem Befund und schaugewerblicher Inszenierung zeigt, dass Abnormitäten primär
kulturelle Konstrukte waren und nur sekundär auf eine physiologische Verfassung verwiesen.
Dazu schreibt Bogdan: „Freak is a frame of mind, a set of practices, a way of thinking about
and presenting people. It is the enactment of a tradition, the performance of a stylized
presentation.”834 Die Zurschaustellung als “Performanz” im Sinne Goffmans ermöglichte
nicht
zuletzt
das
Oszillieren
zwischen
verschiedenen
schaugewerblichen
826
Vgl. dazu Kapitel 2.2.5.
Der Komet, Nr. 1349, vom 28. Januar 1911. S. 33.
828
Bartels, Max: Über abnorme Behaarung beim Menschen. Drei Teile. In: Zeitschrift für Ethnologie. Teil 1:
Bd. 8,1876, S. 110-129; Teil 2: Bd. 11, 1879, S. 145-194; Teil 3: Bd. 13, 1881, S. 213-233.
829
B. Lange: „Aechtes und Unächtes“. Zur Ökonomie des Abnormalen als Täuschung. S. 223.
830
„Hr. [Max] Bartels stellt eine bärtige Dame, die Esau-Lady Miss Annie Jones vor“. Außerordentliche
Sitzung vom 14. Februar 1891. In: VBGAEU, Bd. 23, 1891. S. 243.
831
Ebd.
832
Ebd.
833
Ebd. S. 245.
834
R. Bogdan: Freak Show. S. 3.
827
110
Präsentationsweisen. Das „Affenmädchen“ Julia Pastrana wurde unter anderem auch als
„Bartfrau“ beworben und die „Bartfrau“ Hede etwa als „Mädchen aus der Steinzeit“ (Abb.
22). Zu berücksichtigen ist jedoch, wie Ariane Karbe argwöhnt, dass Bogdans „Aussage […]
die Gefahr in sich [birgt], den Abnormitäten quasi ihre Körperlichkeit abzusprechen, denn
selbstverständlich sind sie bis zu einem gewissen Grad an ihre Physis und deren
Beschränkungen gebunden.“835
Auf Grund ihrer phänotypischen Abweichung von der normativen Weiblichkeit und der
propagierten Zweigeschlechtlichkeit zogen Bartfrauen die zeitgenössischen ästhetischen
Standards von Femininität in Zweifel. Ähnlich wie Hermaphroditen oszillierten Bartfrauen
zwischen den Geschlechtern und hoben dadurch die Bipolarität der Geschlechterdifferenz
auf. So nahmen sie eine Position zwischen zwei feststehenden Kategorien ein und führten
dadurch das Gegensatzpaar männlich/weiblich ad absurdum.
Noch deutlicher zeigte sich die Verbindung der beiden Geschlechter in der Figur des
Hermaphroditen, der im Rahmen amerikanischer Freak Shows meist mit Doppelnamen wie
etwa „Roberta-Robert“, „Frieda-Fred“ oder „Joseph-Josephine“836 beworben wurde. Bei ihrer
Zurschaustellung wurde der Körper üblicherweise vertikal in zwei geschlechtliche Hälften
geteilt. Die eine Körperseite wurde mit phänotypisch-stereotypen Attributen des Männlichen
wie etwa kurz geschnittenem Haar und Bartwuchs versehen, die andere Seite wies typisch
weibliche Charakteristika wie langes Haar oder wie im Fall Josephines ein spitzenbesetztes
Oberteil auf.837 (Abb. 23) Damit folgte die Inszenierung, so Köhler und Metzler, „der
gängigen Repräsentation von Hermaphroditen in der Alltagskultur, die entweder eine
horizontale, oder […] eine vertikale Teilung des geschlechtlichen Körpers vornimmt.“838
Bezeichnend ist indes, dass solche vermeintlichen „Fälle“ von Hermaphroditismus839
innerhalb des medizinisch-biologischen Diskurses nicht bekannt sind.840 Durch die
inszenierte Zweiteilung wurde im Rahmen der Freak Show „eine theatralische
Überzeichnung des zweigeschlechtlichen Körpers“ vollzogen, um so die Anormalität des
Hermaphroditen „überdeutlich“ herauszustellen.841 Gleichzeitig blieben durch die künstliche
835
A. Karbe: Wie aus großen Menschen Riesen werden. S. 155.
L. Fiedler: Freaks S. 180.
837
Ebd.
838
S. G. Köhler/ J. C. Metzler: Extraordinary Bodies. Figuren des Ab/Normen im 20. Jahrhundert. S. 118.
839
Hermaphroditismus oder Zwittrigkeit bezeichnet in der Biologie das Vorkommen von
doppelgeschlechtlichen Individuen, also Individuen mit männlicher und weiblicher Geschlechtsausprägung.
(Artikel „Hermaphroditismus“ in: Pschyrembel. Klinisches Wörterbuch (2004). S. 741).
840
S. G. Köhler/ J. C. Metzler: Extraordinary Bodies. Figuren des Ab/Normen im 20. Jahrhundert. S. 118.
841
Ebd.
836
111
Zweiteilung beide Geschlechter als voneinander getrennt erhalten, wodurch die binäre
Geschlechterdifferenz letztendlich bestehen blieb.
Die Uneindeutigkeit ihrer Identität ist das gemeinsame Merkmal aller Abnormitäten,
wodurch sie gleichermaßen Grauen und Faszination evozieren.842 Sie beanspruchen das
definitorische Niemandsland zwischen zwei als konträr gedachten Kategorien wie etwa
zwischen Mensch und Tier („Pudelmenschen“, „Löwenmenschen“, „Affenmädchen“ etc.),
zwischen Erwachsenen und Kindern (Zwerge), zwischen dem Ich und dem Anderen
(siamesische
Zwillinge,
Doppelfehlbildungen),
zwischen
Ganzheit
und
Fragment
(„Armlose“, „Rumpfmenschen“, „Halbmenschen“) und schließlich zwischen Mann und
Frau.843 Auf Grund ihrer Ambivalenz gefährden sie gesellschaftlich fest verankerte
normative Muster und weisen klare Zuschreibungen an die menschliche Identität und somit
auch an die Ich-Identität zurück. Dabei werden nicht nur Geschlechtergrenzen überschritten,
sondern gleichsam die Grenzziehung vom Eigenen zum Fremden erschwert.
3.2.9 Von „merkwürdigen Lichterscheinungen“ und „Leopardenmädchen“ – Die
Zurschaustellung von albinotischen Menschen
Die Zurschaustellung von Menschen mit Albinismus lässt sich in Mainz unter anderem
für die Jahre 1855 und 1859, in Speyer für das Jahr 1865 belegen. Die zeitliche Nähe der
einzelnen
Nachweise
darf
indes
nicht
darüber
hinwegtäuschen,
dass
sich
die
Zurschaustellung von so genannten „Albinos“ bereits für die Zeit um 1800 nachweisen lässt.
Georg Gamber, der behauptete, von schwarzafrikanischen Eltern abzustammen und daher
unter anderem als „Weißer Mohr“ beworben wurde, „dürfte“, so Scheugl, „um 1800
aufgetreten sein“.844 Im Jahr 1808 untersuchte ihn der Mainzer Arzt Karl Strack, der seine
Beobachtungen in der Medicinisch-chirurgischen Zeitung veröffentlichte: „Die Tage sah ich
einen wohlgewachsenen, großen, gesunden Menschen auf der Straße Orgel spielen, und
erkannte gleich, daß derselbe ein Kakerlak sey. Ich nahm ihn mit nach Hause, untersuchte
ihn, und fand, daß er nebst seiner schön weißen und zarten Haut und solchen Haaren, alle
Merkmahle von Albinos hatte, nämlich die empfindlichen Augen […], die zitternde
Bewegung der Augen, den Abscheu vor dem Sonnenlicht […]. Sein Nahme ist Georg
Gamber; er ist 26 Jahre alt, von Offenbach, aus dem Bezirke von Speyer […], der Sohn eines
842
E. Grosz: Intolerable Ambiguity. S. 57.
Ebd.
844
H. Scheugl: Show Freaks & Monster. S. 100.
843
112
Glasers.“845 Der Begriff „Kakerlak“ wurde neben den Bezeichnungen „Dondos“, „Bedos“,
„Chacrelas“ bzw. „Chakerlas“ oder „Leukopathen““ synonym für „Albinos“ verwendet.846
Beim Albinismus (lat. albus = weiß) handelt es sich um eine genetisch bedingte
Pigmentarmut oder Pigmentlosigkeit von Haut, Haar und Augen, die sich in einer
weißblonden Kopf- und Körperbehaarung, einer hellrosafarbenen Haut und einer hellblauen
oder rötlichen Iris zeigt.847 In Zeitungsanzeigen wurden Betroffene als „lichtscheue[ ]“848
oder „weißgeborene [h] Nachtmenschen“849 „mit rothen Augensternen und weißem Haar“850
„so fein wie Seide und weiß wie Schnee“851 beworben und in den einschlägigen
Werbebroschüren und auf Postkarten als „Polarmenschen“ oder „Eisweiber“ angekündigt
(Abb. 24 und 25), die auf Grund ihrer Lichtempfindlichkeit „bei Nacht und Eis im Hohen
Norden“ lebten.852 In den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts trat etwa der Tscheche Karl Breu,
der sich später Toya nannte, mit seiner „Eisfamilie“ als „Toya und die Eismenschen“ auf.
Schaugewerbliche Attribute wie Eskimo-Kostüme, Polarhunde und Rentiere „sollten die
Illusion des Nordpols erwecken.“853 Ein albinotisches Paar, das 1899 mehrfach im Komet
beworben wurde, wurde als „[d]ie Albino-Prinzessin Myty […] mit ihrem Albino-Gemahl
Harry“854
angekündigt.
Die
Mystifizierung
war
wesentlicher
Bestandteil
ihrer
Zurschaustellung855, vermutlich nicht zuletzt deshalb, weil „[d]er Grad ihrer Missbildungen
[…] nicht extrem genug [war], um sie als außergewöhnliche Sensation anpreisen zu
können.“856 Aus demselben Grund wurde die Zurschaustellung von Menschen mit
Albinismus meist um artistische Vorführungen ergänzt.857 „Rob Roy“ etwa, „Albino und
Verrenkungsmensch“, der 1901 während „Barnum & Bailey’s „Grösster Schaustellung der
845
K. Strack: „Nachricht von einem Kakerlaken“. In: Medicinisch-chirurgische Zeitung. S. 413.
H. Scheugl: Show Freaks & Monster. S. 100. (Vgl. dazu auch Artikel „Kakerlack, Kakerlak“. In:
Medizinisches Realwörterbuch: zum Handgebrauch practischer Aerzte und Wundärzte und zu belehrender
Nachweisung für gebildete Personen aller Stände. Erste Abtheilung Anatomie und Physiologie. Bd. 4. Hrsg. v.
Johann Friedrich Pierer. Leipzig 1821. S.352-356.
847
Artikel „Albinismus“ in: Pschyrembel. Klinisches Wörterbuch (2004). S. 44.
848
Beilage zum Speyerer Anzeige-Blatt, Nr. 129, vom 28. Oktober 1865.
849
Mainzer Anzeiger, Nr. 181, vom 7. August 1859.
850
Ebd.
851
Mainzer Anzeiger, Nr. 187, vom 14. August 1855.
852
H. Scheugl: Show Freaks & Monster. S. 100.
853
Ebd.
854
Der Komet, Nr. 734, vom 15. April 1899. S. 24.
855
H. Scheugl: Show Freaks & Monster. S. 100.
856
U. Bischoff: Freaks, Abnormitäten, Schaustellerei. S. 188.
857
H. Scheugl: Show Freaks & Monster. S. 100.
846
113
Erde“ zu sehen war, konnte „nach Belieben und völlig schmerzlos jede Verrenkung, die in
der ärztlichen Wissenschaft bekannt ist, herbeiführen.“858
Wie in den vorangegangenen Kapiteln bereits erörtert wurde, wurde durch die
Kontrastierung von auffallend divergierenden Körpermaßen die physische Abnormität der
zur Schau gestellten Personen hervorgehoben. Ein ähnlich kontrastiver Effekt ergab sich aus
der gemeinsamen Zurschaustellung von albinotischen und dunkelhäutigen Menschen. Im
August 1859 traten in Mainz zwei „weißgeborene Nachtmenschen“ zusammen mit einer
Schwarzafrikanerin auf859 und 1855 war „ein lebender Albinos oder Platmon“ zusammen mit
einer Indianerfamilie zu sehen. Auch das Beispiel aus Speyer belegt die gemeinsame
Zurschaustellung von Menschen mit Albinismus und Indianern. (Vgl. Abb. 26) Diese
Präsentationsweise suggerierte zugleich – und darauf verweist auch der Hinweis „[F]ür alle
Freunde der Länder- und Völkerkunde“860 –, dass albinotische Menschen Abkömmlinge
einer fremden Ethnie seien. Auch Bogdan weist darauf hin, dass eine Vielzahl der
Abnormitäten in den Herkunftslegenden als Bewohner der nicht-westlichen Welt beschrieben
wurde.861 Indem der fehlgebildete Mensch in der kaum näher definierten exotischen Fremde
verortet und das Befremdliche somit in die Fremde verwiesen wurde, wurde gleichsam die
interne Alterität zu einer externen. Gerade im 19. Jahrhundert entsprach diese
Präsentationsweise nicht zuletzt dem eurozentrischen Bedürfnis, die Überlegenheit des
eigenen Landes und die sichtbare Unterlegenheit nicht-westlicher Länder zu demonstrieren.
Gleichzeitig begegnete man dem Unbehagen des durch Degenerationstheorien verängstigten
Zuschauers, Teil einer Gesellschaft zu sein, die fehlgebildete Menschen hervorbringt. Die
Exotisierung beziehungsweise Mystifizierung von Abnormitäten resultierte zugleich in deren
„Entpathologisierung“, der fehlgebildete Mensch wurde primär als „fremd“ und „exotisch“,
nicht als „krank“ wahrgenommen. Die Verortung von hundeköpfigen oder einäugigen
Monstra an den Rand der Welt in der mittelalterlichen Literatur entsprach ebenfalls dem
Bedürfnis, das „ganz Andere“, das nicht mehr „mit den vertrauten Standards menschlichen
und tierischen Aussehens“ in Einklang zu bringen war und das als „Gegenbild zum Eigenen
und Vertrauten“ verstanden wurde, in die räumliche Fremde zu verweisen.862
858
Das Buch der Wunder in Barnum & Bailey’s Grösster Schaustellung der Erde. Officieller Führer. Wien
1901. zit. n. Nagel, Stefan: www.schaubuden.de, S. 131.
859
Mainzer Anzeiger, Nr. 181, vom 7. August 1859.
860
Mainzer Anzeiger, Nr. 187, vom 14. August 1855.
861
R. Bogdan: The Social Construction of „Freaks“. S. 28.
862
W. Röcke: Befremdliche Vertrautheit. S. 119.
114
Es ist davon auszugehen, dass „sich naturwissenschaftliche Grundkenntnisse in der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erst langsam in der Bevölkerung ausbreiteten“863, war
doch schon etwa 1853 in dem Handbuch der Pathologie und Therapie zu lesen, dass der
„angeborene Pigmentmangel“ oder Albinismus „bei allen Menschenraçen und unter allen
Himmelsstrichen“864 vorkommt.
Neben dem vollständigen Albinismus kommt insbesondere bei Schwarzafrikanern der
partielle Albinismus, der die Haut fleckig erscheinen lässt, relativ häufig vor.865 Scheugl
zufolge erregten gefleckte Kinder schon im Europa des 18. Jahrhunderts Aufsehen „und
wurden auf zahlreichen Kupferstichen abgebildet.“866 In der Naturgeschichte des Menschen
(1807) war etwa ein Gemälde eines „scheckigen Neger-Kindes“867, Maria Sabina genannt,
abgedruckt, dessen Konterfei in ganz Europa zirkulierte868 und dessen Fehlbildung sich die
Ärzte damit erklärten, „daß […] weiße Negerinnen, mit schwarzen Negern, scheckige,
nähmich schwarz und weiß gefleckte Kinder zeugen“869. Das Kind wurde mit exotisierenden
Attributen wie vermeintlich indigenem Kopfschmuck und einem Papagei dargestellt (Vgl.
Abb. 27) und soll Martin zufolge im New York Hippodrome von Barnum zur Schau gestellt
worden sein870. Eine ähnliche Abbildung, die vermutlich ein albinotisches Kind darstellt, war
1899 im Komet abgedruckt. Sie zeigt ein etwa zehnjähriges Mädchen, das mit einem
Lendenschurz bekleidet war und dessen Erscheinung als „leopardenartig“ bezeichnet
wurde.871 (Vgl. Abb. 28) Tatsächlich wurden im späten 19. Jahrhundert Menschen mit
partiellem Albinismus als so genannte „Leopard Children“ oder als „Panthermenschen“ zur
Schau gestellt,872 darunter die „Pantherdame Fräulein Irma Loustau aus Paris“, die 1911 im
Komet ein Gesuch für ein Engagement in Hamburg inserierte873. P.T. Barnum stellte in
seinem American Museum albinotische Schwarzafrikaner zur Schau, die er als „Leopard
Boys“ und „Leopard Girls“ bezeichnete.874 Ähnlich wie etwa stark behaarte Menschen
nahmen sie eine Position zwischen zwei einander ausschließenden Kategorien ein. Sie
figurierten einerseits als Hybridwesen und somit indirekt als Resultat sodomitischer
863
A. Schwarz. Der Schlüssel zur modernen Welt. S.233.
K. R. A. Wunderlich: Handbuch der Pathologie und Therapie, Bd. 2. S. 263.
865
H. Scheugl: Show Freaks & Monster. S. 102.
866
Ebd.
867
G. L. Le Clerc de Buffon (Hrsg.): Naturgeschichte des Menschen. S. 406.
868
C. D. Martin: The white African American body: a cultural and literary exploration. S. 10.
869
G. L. Le Clerc de Buffon (Hrsg.): Naturgeschichte des Menschen. S. 404f.
870
C. D. Martin: The white African American body: a cultural and literary exploration. S. 167.
871
Vgl. Der Komet, Nr. 768, vom 9. Dezember 1899. S. 25.
872
H. Scheugl: Show Freaks & Monster. S. 102.
873
Vgl. Der Komet, Nr. , vom 16. September 1911. S.
874
C. D. Martin: The white African American body: a cultural and literary exploration. S. 63.
864
115
Handlungen, und implizierten zugleich, dass die Hautfarbe als Distinktionsmedium, in dem
vermeintlich spezifische Differenzen zwischen Schwarzafrikanern und Europäern semantisch
verdichtet wurden, uneindeutig und irreführend ist.875 Gerade im Hinblick auf die AntiSklaverei-Bewegung in den USA im 19. Jahrhundert mag die Zurschaustellung von
albinotischen Schwarzafrikanern so auch eine politische Dimension erhalten haben.
3.2.10 „Humbug“ und „Hoaxes“ – Das Abnormale als Täuschung
Wie die vorangegangenen Kapitel gezeigt haben, waren Übertreibungen, Idealisierungen
und Täuschungen wesentlicher Bestandteil der Inszenierung von Menschen mit
abweichender Physiognomie. „Every person exhibited was misrepresented“876, behauptet
etwa Bogdan und meint damit, dass sowohl Impresarios als auch Darsteller durch
schaugewerbliche Attribute und exotische Kontexte körperliche Abweichungen betonten. Mit
der Konstruktion von „Haarmenschen“ als „missing links“, albinotischen Menschen als
„leopard people“ oder etwa kleinwüchsigen Menschen als „Prinzen“ oder „Admiräle“
wurden die Abnormitäten zu kulturellen und sozialen Entitäten, die als Projektionsfläche für
Ängste und Unsicherheiten im Ungang mit dem körperlich Anderen, dem Nicht-Verortbaren
dienten. Die Faszination, die das körperlich Andere erzeugte, veranlasste Impresarios, selbst
gesunde Menschen als vermeintliche Abnormitäten zur Schau zu stellen. Im Sommer 1899
gab der Komet eine Nachricht „[v]on der Mainzer Messe“ wieder, die zuvor in der Pfälzer
Presse erschienen war. Dem Artikel war zu entnehmen, dass „[a]uf der Herbstmesse in
Mainz […] letzte Woche ein Mädchen gezeigt [wurde], welches ohne Arme und Beine auf
die Welt gekommen sei. Am Samstag Abend erhielt die Polizei die Mittheilung, daß das
angebliche Mädchen ohne Arme und Beine die ihren Eltern aus Hechtsheim entlaufene
14jährige Barbara Schneider sei. Die Polizei untersuchte die Bude, und es stellte sich die
Richtigkeit der Mittheilung heraus. Das Mädchen war vollständig gesund und wurde noch
am Samstag ihren Eltern übergeben.“877 Der Bericht im Komet schloss mit dem Hinweis,
dass „solche Nachrichten sehr schadenbringend wirken“ und es daher „sehr angebracht“
wäre, „wenn den Fachblättern aus der Mitte der Schausteller Näheres zuginge.“878 Es kann
sicher davon ausgegangen werden, dass es sich bei Barbara Schneider nicht um einen
Einzelfall handelte. Gerade im Kontext der Abnormitätenschauen und im weiteren Sinne
875
C. D. Martin: The white African American body: a cultural and literary exploration. S. 63.
R. Bogdan: Freak show. S. 10.
877
Der Komet, Nr. 753, vom 26. August 1899. S. 7.
878
Ebd.
876
116
auch im Kontext des Jahrmarkts, der sich durch die Konstruktion einer vorübergehenden
karnevalesken Gegenwelt zur Lebensrealität der Zuschauer auszeichnet879, waren die
Grenzen zwischen inszenatorischer Praxis und genuiner Irreführung fließend.
Der amerikanische Impresario Theodore Lent, der Julia Pastrana protegiert hatte, bewarb
eine behaarte Frau, die als Marie Bartels in Karlsbad geboren worden war880, als eine
Schwester Julia Pastranas. So berichtete etwa die Wochenzeitung Wöchentliche Anzeigen für
das Fürstenthum Ratzeberg im Jahr 1865, dass sich „[i]m Circus Carré in Berlin […]
gegenwärtig die Schwester der Julia Pastrana, Zenona Pastrana“881 zeigt. Im Jahr 1871
gastierte die vermeintliche Schwester zur Messe in Mainz. Als Schaunummer des
„Swimming Circus“, dessen Besitzer Lent war882, war sie „täglich von 10 Uhr morgens für
eine Stunde vor jeder Vorstellung in der oberen Restauration des Circus“883 zu sehen. Der
Komet urteilte, dass Lent die junge Frau, „da ihr Haarwuchs sensationell nicht gerade war,
zur Sensation stempelte, indem er sie als Schwester der Pastrana ausgab.“884
Die Überprüfung von Abnormitäten durch Ärzte und Anthropologen und die
Zertifizierung derselben galten als verlässliche Instrumente, um sich der Echtheit der zur
Schau gestellten Abnormitäten zu vergewissern, zumal die kulturelle Autorität von
Wissenschaft kaum hinterfragt wurde. Diese Autoritätsgläubigkeit machte sich etwa der
amerikanische Impresario P. T. Barnum bei der Zurschaustellung einer bärtigen Frau
zunutze. Er verbreitete das Gerücht, sie sei in Wahrheit ein Mann in Frauenkleidern und ließ
anschließend eine ärztliche Untersuchung durchführen, um die Echtheit seiner Abnormität zu
demonstrieren.885 Barnum hatte erkannt, dass die Forcierung von Kontroverse und Zweifel –
und nicht die Unterbreitung einer finalen Wahrheit – Zuschauer anlockte.886 Diese Erkenntnis
zog sich wie ein roter Faden durch Barnums Karriere, der als selbsternannter „prince of
humbugs“887 seine Besucher häufig im Unklaren über die Authentizität seiner Exponate
ließ.888 Da seine Vermarktungsstrategien wichtige Impulse für die Inszenierung von
körperlich versehrten Menschen im 19. Jahrhundert gab, die schließlich auch die
879
Vgl. Bachtin, Michael: Probleme der Poetik. S. 136-148.S. 195f.
H. Scheugl: Show Freaks & Monster. S. 47.
881
Wöchentliche Anzeigen für das Fürstenthum Ratzeberg, Nr. 15, vom 3.März 1865.
882
Der Komet, Nr. 862, vom 28. September 1901. S. 4.
883
Mainzer Anzeiger, Nr. 192, vom 19. August 1871.
884
Der Komet, Nr. 862, vom 28. September 1901. S. 4.
885
J. Nickell: Secrets of the sideshows. S. 12/ H. Scheugl: Show Freaks & Monster. S. 49.
886
J. W. Cook: The arts of deception. S. 8, 16, 34-39.
887
P.T. Barnum: Life of P.T. Barnum. S. 225.
888
J. W. Cook: The arts of deception. S. 8, 16, 34-39.
880
117
Abnormitätenschauen in Deutschland prägen sollten, werden seine Präsentationsweisen
nachstehend näher beleuchtet.
3.2.11 Die moderne „Freak Show“: P. T. Barnum und das „American Museum“
In seinem Werk The humbugs of the world (1866) definierte Barnum den Begriff
“Humbug” als „putting on glittering appearances – outside show – novel expedients, by
which to suddenly arrest public attention, and attract the public eye and ear.”889
Phineas Taylor Barnum (1810-1891), der spätere „prince of humbugs“, war im Jahr 1834
mit dem Ziel, eine eigene Ausstellung zu besitzen, nach New York gezogen.890 Anfang der
1840er Jahre erwarb er das American Museum in New York, in dem er neben diversen
Curiosa wie etwa Fossilien, völkerkundlichen Artefakten, Automaten oder seltenen
Münzen891, die an Sammlungen renascimentaler Kuriositätenkabinette erinnern, auch
menschliche Abnormitäten präsentierte.892 Um Neugierde zu provozieren und möglichst viele
zahlende Gäste in seine Ausstellung zu locken, bediente sich Barnum ausgeklügelter
Inszenierungsstrategien893, die immer wieder die Frage der Authentizität der präsentierten
Schauobjekte aufwarfen. Die Vermarktung des kleinwüchsigen Charles Sherwood Stratton
alias „General Tom Thumb“, den Barnum im November 1842 entdeckt hatte und mit dem er
bald große Erfolge feierte894, beschrieb er in seiner Autobiographie Life of P.T. Barnum
(1855), wie folgt: „He was only five years old, and to exhibit a dwarf of that age might
provoke the question, How do you know that he is a dwarf? […] Mrs. Stratton was greatly
astonished to find her son heralded in my museum bills as Gen. Tom Thumb, a dwarf of
eleven years of age, just arrived from England!“895 Barnum hatte nicht nur den Namen des
Jungen modifiziert, sondern auch dessen Alter und Herkunft. In seiner Biographie, die sich
bisweilen wie ein Bekenntnis liest, erklärte Barnum: „The boy was undoubtly a dwarf, […]
but had I announced him as only five years of age, it would have been impossible to excite
the interest or awaken the curiosity of the public. […] [T]he announcement that he was a
foreigner answered my purpose […] I had observed […] the American fancy for European
889
P.T. Barnum: The humbugs of the world. S. 20.
E. Fretz: P.T. Barnum’s Theatrical Selfhood and the Nineteenth-Century Culture of Exhibition. S. 97.
891
J.W. Cook: Of Men, Missing Links, and Nondescripts. S. 147.
892
R. Bogdan: The Social Construction of „Freaks“. S. 23.
893
J.W. Cook: Of Men, Missing Links, and Nondescripts. S. 139.
894
T. Macho: Zoologiken: Tierpark, Zirkus und Freakshow. S. 172.
895
P.T. Barnum: Life of P.T. Barnum. S. 243 (Hervorhebungen im Original).
890
118
exotics.“896 Bei der Namensgebung berief sich Barnum indes auf die englische Legende von
Tom Thumb, einem Jüngling, der nicht größer war, als der Daumen seines Vaters.
Insbesondere die Zurschaustellung von kleinwüchsigen Menschen war häufig durch die
Bezugnahme auf tradierte Mythen und Märchen, zu dessen Standard-Repertoire auch
besonders kleine Individuen wie Däumlinge und Zwerge gehörten, gekennzeichnet und noch
in den 1950er Jahren führte etwa der deutsche Impresario Carl Schäfer seine kleinwüchsigen
Darsteller in der „Märchenstadt Liliput“897 vor.
Eine weitere Strategie, die sicherlich zur Popularität des Zwerges beitrug, bestand darin,
ihn während einer Europatournee vor Königin Victoria und vor Mitgliedern des Adels
auftreten zu lassen. „[Not] a single member of the nobility failed to see General Tom
Thumb“898, bemerkte Barnum später nicht ohne Stolz. Wie die vorangegangenen Kapitel
gezeigt haben, war die Zurschaustellung von Abnormitäten in Königs- oder Fürstenhäusern
schon im 18. Jahrhundert eine übliche Praktik gewesen, die der Profilierung der Impresarios
und der Popularisierung der Abnormitäten diente. In seinen Memoiren schilderte der
Entrepreneur eine Unterhaltung zwischen mehreren Schaustellern, in deren Verlauf ein
Impresario geäußert haben soll: „Tom Thumb couldn’t never shine, even in my van, ’long
side of a dozen dwarfs I knows, if this Yankee [Barnum, Anm. d. A.] hadn’t bamboozled our
Queen – God bless her – by getting him afore her half a dozen times.“899
Die Anziehungskraft seiner Ausstellungen rührte nicht zuletzt von der Tatsache, dass
Barnum die Besucher über die Echtheit beziehungsweise Authentizität seiner Exponate im
Unklaren ließ.900 Fragen, ob es sich bei Joice Heth (1835) tatsächlich um die angeblich
161jährige Amme George Washingtons handelte, oder ob die „Feejee Mermaid“ (1842)
wirklich ein Hybridwesen aus Affe und Fisch war901, blieben „for the public to decide.“902
Kurz nach der Veröffentlichung von Darwins On the Origin of Species (1859) initiierte
Barnum eine Reihe von Ausstellungen unter dem Titel „What is it?“903 Die erste davon zeigte
einen dunkelhäutigen Darsteller als mögliches „missing link“904, als das fehlende Bindeglied
zwischen Mensch und Affe, das Barnum zufolge auf einem Baum im Inneren Afrikas gelebt
896
P.T. Barnum: Life of P.T. Barnum. S. 244.
Der Komet, Nr. 3125, vom 30. April 1949. S. 15.
898
P.T. Barnum: Life of P.T. Barnum. S. 264.
899
Ebd. S. 278.
900
J.W. Cook: Of Men, Missing Links, and Nondescripts. S. 140.
901
Ebd. S. 139.
902
Ebd. S. 140.
903
T. Macho: Zoologiken: Tierpark, Zirkus und Freakshow. S. 173.
904
J.W. Cook: Of Men, Missing Links, and Nondescripts. S. 140.
897
119
hatte, bevor es gefangen genommen worden war905. Die Implikation, das Zwischenglied sei
ein „full blooded African“906, hätte gerade zu einem Zeitpunkt, als die Sklavereifrage zu
Tage trat und der Sezessionskrieg kurz vor dem Ausbruch stand, leicht zu einer öffentlichen
Debatte über die „Rassenfrage“ anschwellen können, doch Barnum wählte seine
Terminologie vorsichtig.907 Die ausgestellte Kreatur sei, so erklärte er seinem New Yorker
Publikum, „undescribable“, weder „man“ noch „monkey“, kurzum ein „nondescript“,
welches sowohl menschliche als auch animalische Züge besäße.908 Die Präsentationsweise
der „nondescripts“ folgte ausnahmslos einem „exotic mode of representation“, den im
Verlauf der 1860er Jahre auch zunehmend deutsche Impresarios rekurrierten. Neben
Afrikanern wurden Mikrozephale wie der „Pinhead Zip“ und vermutlich auch Menschen mit
Hypertrichose, wie die Zurschaustellung William Henry Johnsons als eine Art „missing link“
zwischen Mensch und Orang-Utan909 nahe legt, als „nondescripts“ präsentiert. Meist waren
die „nondescripts“ mit kaum mehr als ihrem eigenen Haar bekleidet, stammten aus
exotischen, nahezu unbekannten Ländern910, ernährten sich von rohem Fleisch, Äpfeln und
Nüssen911 und gingen naturgemäß auf allen vier Füßen912 – hier erwiesen sich die
„nondescripts“ als Variationen des linneischen „Homo ferus“. Doch ihre Gefangennahme –
das geht aus dem Subtext der Programmhefte hervor – ermöglichte schließlich ihre
Kultivierung und Zivilisierung. In einem solchen Heft, das anlässlich der Ausstellung von
1860 erschien, war über die „Domestizierung“ der Kreatur folgendes zu lesen: „When he first
came, his only food was raw meat, sweet apples, oranges, nuts, […] but he will now eat
bread, cake, and similar things“913.
Wenngleich die „nondescripts“ als Vergegenständlichungen rassistischer Denkfiguren
fungierten914 und die Überlegenheit westlicher Lebensweisen demonstrierten, forderten
sowohl der Titel der Schaustellung („What is it?“) sowie Barnums Vermeidung einer
eindeutigen Klassifizierung („nondescript“) die Öffentlichkeit auf „to fill in the blanks.“915
905
New York Herald, vom 19. März 1860. S.1. zit. n. J.W. Cook, Jr.: Of Men, Missing Links, and Nondescripts.
S. 144.
906
New York Herald, vom 2. März 1860. S.7. zit. n. J.W. Cook, Jr.: Of Men, Missing Links, and Nondescripts.
S. 140.
907
J.W. Cook: Of Men, Missing Links, and Nondescripts. S. 140.
908
Ebd.
909
T. Macho: Zoologiken: Tierpark, Zirkus und Freakshow. S. 173.
910
J.W. Cook: Of Men, Missing Links, and Nondescripts. S. 144.
911
Ebd. S. 148.
912
Ebd. S. 148.
913
New York Herald, vom 19. März 1860. S.1. zit. n. J.W. Cook, Jr.: Of Men, Missing Links, and Nondescripts.
S. 148.
914
J.W. Cook: Of Men, Missing Links, and Nondescripts. S. 152.
915
Ebd. S. 140.
120
Es drängt sich die Frage auf, ob die „What is it?“-Ausstellungen folglich als Instrument zur
Konsensbildung in der „Rassenfrage“ verstanden werden müssen.916
3.2.12 „War ein Mensch hier, der sich um Geld sehen ließ“ – Zur Ökonomie des
Abnormalen
Im Juni 1786 erging an den „Hochwürdigsten Erzbischof“ und den „Gnädigsten
Kurfürst“ von Mainz das Konzessionsgesuch eines zwanzigjährigen Mannes aus Bayern, der
dem beigefügten Schaustellerzettel zufolge „ohne Arme […] mit seinen Füßen die
wunderlichsten Bewegungen macht“ 917. In dem Bittschreiben stellte er seine Lebenssituation
wie folgt dar: „Die Natur hat mich in den betrübten Zustand gesetzet, daß ich aus [dem]
Mutterleibe ganz ohne Aerme zur Welt gebohren wurd: Die weise Vorsehung des
Allmächtigen fügte es jedoch, daß ich meine Füße zu dem brauchen kann wozu die Natur
jedem anderen Menschen Hände gibt. Ich hab es soweit gebracht, daß ich nunmehr mit
meinen Füßen nicht allein meinem Körper die nöthige Nahrung reichen und mich aus und
ankleiden kann, sondern ich kann auch verschiedene schoene Kunststücke mit den Füßen
machen; Ich bin von Haus arm und ohne Unterstützung, und da ich auch wegen Abgang
dieser so nöthigen Glieder der Hände mich auf diese Weiße ernähren kann, so bin ich leider
in die Noth versetzet, mich unter fremden Leuten aufzuhalten, und durch meine erlernte
Kunst mit den Füßen alles das zu bewürken was jeder anderen [sic] natürlich gebohrene
Mensch mit den Händen verrichtet, mir den nöthigen Lebensunterhalt zu verschaffen. An
Eure Kurfürstliche Gnaden gelanget demnach mein flehentliches Bitten, […] an die Behörde
die höchste Weißung ergehen zulaßen, daß ich mich einige Zeit hier aufhalten und meine mit
den Füßen erlernte Künsten [sic] sehen laßen dürfe.“918 Inwiefern der Absender des Briefes
tatsächlich „in die Noth versetzet“ war, sich „unter fremden Leuten aufzuhalten“, kann
retrospektiv nicht mehr geklärt werden. Zwar waren Behinderte, insbesondere sozial niedrig
gestellte, in der Neuzeit meist auf den Bettel oder auf Almosen angewiesen gewesen919, doch
im späten 18. Jahrhundert setzte eine „teils sozial-karitativ[e], teils medizinisch-kurativ[e]
und teils pädagogisch motiviert[e]“ institutionalisierte Hilfe für Behinderte ein.920 Das
Beispiel zeigt jedoch, dass die Zurschaustellung von behinderten Menschen auch vor dem
916
J.W. Cook: Of Men, Missing Links, and Nondescripts. S. 153.
MNZ, Best. 26, Sign. 026 / 0011, Konzessionsgesuch und Flugblatt, 1786 1/7.
918
Ebd.
919
A. Weber: Behinderte und chronisch kranke Menschen. S. 45.
920
M. Dederich: Körper, Kultur und Behinderung: Eine Einführung in die Disability Studies. S. 9.
917
121
Hintergrund kommerzieller Interessen zu sehen sind. Schon Michel de Montaigne (15331592) beschrieb in seinem Essay D’un enfant monstrueux, wie ein Kind mit einer
Doppelfehlbildung „que deux hommes et une nourrisse, qui se disoient estre le pere, l'oncle,
et la tante, conduisoient, pour tirer quelque soul de le monstrer, à cause de son estrangeté.“921
Der Komet erwähnt den Fall eines Dijoner Hungerkünstlers, den, so seine Ehefrau, „nur die
Arbeitslosigkeit getrieben habe“922 sich zur Schau zu stellen. Zwar entpuppte sich sein
„Hungerexperiment“ als Schwindel, doch „die Frau des armen ‚Arbeitslosen’ hatte
mittlerweile eine Menge Geld und das war ja“, so der Komet, „der Zweck des Hungerns.“923
Das wiederholte Auftreten von Täuschungsversuchen und die lange Phase der
Abnormitätenschauen legen die Vermutung nahe, dass die Zurschaustellung von behinderten
Menschen eine erfolgreiche Gattung der Schaustellerei war.
Den kommerziellen Erfolg der Abnormitätenschauen sicherten im Wesentlichen drei
Elemente: die Mystifizierung der Abnormitäten, die Anknüpfung an die Lebenswelt des
Publikums und die Darbietung von etwas Neuem. Die Einbettung der Abnormitäten in einen
exotischen, aristokratischen oder fiktiv-märchenhaften Kontext schuf den Rahmen, in dem
sich der Besucher bestätigt fühlte. Das körperlich Befremdliche wurde in die räumliche,
zeitliche oder soziale Fremde verwiesen, wodurch die Ordnung des Eigenen als Gegenbild
zum „Fremden“ aufrechterhalten blieb und immer wieder internalisiert wurde. Indem
Abnormitäten typisch bürgerliche Tätigkeiten verrichteten, wurde die Lebenswelt des
Zuschauers berücksichtigt. Die Präsentation von vertrauten Handlungen suggerierte die
Authentizität und Wahrhaftigkeit des Gezeigten. Als drittes Element kam das unerwartet
Neue
hinzu.
Durch
Superlativierung
(„die
beste,
schönste
und
interessanteste
Sehenswürdigkeit“924, „das schwerste Ehepaar der Welt“925 etc.) oder Betonung der
Einzigartigkeit der Abnormität – etwa durch den Hinweis, es handle sich um ein vom
Aussterben bedrohtes Volk („[d]ie zwei letzten lebenden Menschen vom Stamme der
921
M. de Montaigne: Chapitre XXX: D’un enfant monstrueux. In: Les Essais. Livre II. S. 748.
In der Übersetzung von Hans Stilett heißt es: „Vorgestern sah ich, wie ein Kind von zwei Männern und einer
Amme, die sich als Vater, Onkel und Tante ausgaben, wegen seiner Absonderlichkeit zur Schau gestellt wurde,
denn sie wollten sich so ein paar Groschen verdienen“ (Vgl. Michel de Montaigne: „Über ein mißgeborenes
Kind“, in: ders.: Essais, 2. Buch. Erste moderne Gesamtübersetzung von Hans Stilett, München 1998, S. 352).
922
Die Kunst zu hungern. In: Der Komet, Nr. 2139, vom 24. April 1926. S. 5.
923
Ebd.
924
Der Komet, Nr. 578, vom 18. April 1896. S. 19.
925
Der Komet, Nr. 580, vom 2. Mai 1896. S. 23.
122
Azteken“926) – machten die Impresarios und Darsteller das Publikum glauben, es würde an
einem spektakulären Ereignis teilhaben.927
Die gewinnorientierte Zurschaustellung von behinderten Menschen wirft indes die Frage
auf, „wie Abnormitätenschauen aus ethischer Perspektive zu bewerten“928 sind. In dem
Diskurs um das öffentliche Präsentieren behinderter Menschen haben sich im Wesentlichen
zwei Positionen herauskristallisiert. Autoren wie Franz Althoff sind der Ansicht, dass die
Zurschaustellung ihrer körperlichen Abweichung für viele behinderte Menschen die einzige
Möglichkeit gewesen sei, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.929 Andere Autoren, darunter
David A. Gerber, argumentieren, dass insbesondere die Impresarios von der ökonomischen
Ausbeutung ihrer Schützlinge profitiert hätten. Einige Indizien deuten in der Tat darauf hin,
dass primär die Impresarios Nutznießer der Zurschaustellungen waren. Die Durchsicht der
Anzeigen ergab, dass etwa die Hälfte aller „Schauobjekte“ Kinder waren, deren
Zurschaustellung wohl nicht immer auf dem freien Willen basierte. Die amerikanische
Bartfrau Annie Jones wurde bereits als Kleinkind zur Schau gestellt930 und auch das
„Riesenbaby Emil“, das im Sommer des Jahres 1903 zusammen mit seinen „ostpreussischen
Kolossal-Geschwistern“ auf der Mainzer Messe gastierte, war einer Anzeige im Komet
zufolge bereits zweijährig zur Schau gestellt worden.931 In seinem Aufsatz über The
„Careers” of People Exhibited in Freak Shows (1996) weist David A. Gerber darauf hin,
dass Abnormitäten auf Grund ihrer Behinderung „eine andere Ausgangsposition als
Schausteller und Artisten ohne physische Anomalien hätten“932. Dieses strukturelle
Ungleichgewicht rühre daher, dass behinderte Menschen bereits im Alltag zur Schau gestellt
würden, ohne dies steuern oder gar verhindern zu können; diesen Zustand beschreibt Gerber
als „the oppression of unwanted attention“933 Demzufolge seien Abnormitätenschauen
zwangsläufig das Ergebnis sozialer Ungleichheit, die sich in der Ausbeutung,
Diskriminierung und Hierarchisierung der Abnormitäten ausdrücken könne. 934
926
Der Komet, Nr. 690, vom 11. Juni 1898. S. 24.
Ganz ähnlich argumentiert Dreesbach im Bezug auf die Völkerschauen des 19. Jahrhunderts. Vgl. A.
Dreesbach: Gezähmte Wilde. S. 14.
928
A. Karbe: Wie aus großen Menschen Riesen werden. S. 143.
929
Ebd. S. 144. Vgl. Althoff, Franz u.a.: So'n Circus: Franz Althoff erzählt; ein Buch über Circus heute.
Freiburg 1982.
930
J. Nickell: Secrets of the sideshows. S. 152.
931
Der Komet, Nr. 756, vom 17. September 1899. S. 28.
932
A. Karbe: Wie aus großen Menschen Riesen werden. S. 156.
933
D. A. Gerber: The „Careers” of People Exhibited in Freak Shows. S. 46.
934
Ebd. S. 39.
927
123
3.2.13 „Von vielen Aerzten gesehen und untersucht“ - Die diskursiven Verbindungen
von Medizin und Schaugeschäft
Wie in den vorangegangenen Kapiteln bereits dargestellt wurde, bestand ein
gemeinsames Interesse von Vergnügungsindustrie und Wissenschaft am menschlich und
tierisch Abnormen. Ex aequo wurden stark behaarte, deformierte, besonders hochgewachsene
und körperlich entstellte Menschen jeder Art von Impresarios ausgestellt und gleichsam von
medizinischen Autoritäten wie etwa Rudolf Virchow oder Max Bartels untersucht. Durch die
zahlreichen Völker- und Abnormitätenschauen des ausgehenden 19. Jahrhunderts wurde die
interessierte Ärzteschaft immer wieder auf neue außergewöhnliche medizinische Fälle
aufmerksam und so bemerkte Virchow etwa 1891 über die Aktivitäten der Berliner
Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte (BGAEU)935, deren Vorsitz er
innehatte: „Glücklicherweise bringen die erweiterten Verkehrsverhältnisse uns immer
reichlicher Vertreter der verschiedensten fremden Völker, namentlich auch der Naturvölker,
zur Anschauung und Untersuchung. […] Wir haben hier in der Gesellschaft […] Neger […],
Melanesier und Tagalen, Lappen und ‚Azteken’ gesehen. Die wunderbarsten Monstrositäten
sind vor uns aufgetreten: ein heterardelpher Inder, xiphodyme Italiener, eine bärtige Dame
aus Nordamerica […] – kurz, jedes unserer Mitglieder war in der Lage, gleichsam zu Hause,
seine anthropologischen Anschauungen mit selbsterlebten Erinnerungen zu füllen.“936 Die
BGAEU war 1869 auf Initiative des Arztes und Politikers Rudolf Virchow (1821-1902)937
zusammen mit Adolf Bastian gegründet worden und zählte Wissenschaftler verschiedener
Disziplinen und Laien zu ihren Mitgliedern.938 In monatlich stattfindenden Diskussionen und
Vorträgen wurden unter anderem die Besuche der Völkerschauen und „merkwürdigen
Menschen“, die ab den 1870er Jahren regelmäßig in Berlin gastierten, besprochen.939 „Nicht
selten“ wurden die vorgefundenen „Schau-Objekte“ von den „hervorragende[n] ärztliche[n]
Autoritäten […]als lebende Illustrationen zu ihren einschlägigen Vorträgen in den Hörsälen
der Kliniken [vorgestellt]“, wodurch „das Interesse für sie in weiter ausgedehnte Bahnen“
gelenkt wurde.940 Indem sie auf den Nutzen ihrer Schützlinge als wissenschaftliche
935
Zur BGAEU vgl. Andree, Christian: Geschichte der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und
Urgeschichte. 1. Teil. Berlin 1969. S. 9-140.
936
Sitzung vom 19. Dezember 1891. In: Verhandlungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie,
Ethnologie und Urgeschichte (im Folgenden: VBGAEU), Bd. 23, 1891. S. 896.
937
Zu Virchow vgl Goschler, Constantin: Rudolf Virchow. Mediziner – Anthropologe – Politiker. Köln/
Weimar/ Wien 2002.
938
B. Lange: „Aechtes und Unächtes“. Zur Ökonomie des Abnormalen als Täuschung. S. 216f.
939
Ebd. S. 217.
940
Saltarino (H. Otto): Fahrend Volk. S. 1.
124
Untersuchungsobjekte hinwiesen und die Abnormitäten mit wissenschaftlichen Termini wie
etwa „missing link“ präsentierten werteten die Impresarios wiederum ihre Vorstellungen auf.
„Die colossale Negerin Prinzessin Marschall“ etwa hatte sich einer Anzeige im Komet
zufolge „dem Herrn Professor Joh. Ranke, der anthropologischen Gesellschaft München
vorgestellt“941. War im 18. Jahrhundert auf „die Sittlichkeit der beteiligten Personen“ und die
„Lehrhaftigkeit des Gezeigten“942 verwiesen worden, so argumentierten Impresarios im
ausgehenden 19. Jahrhundert mit der vermeintlichen Wissenschaftlichkeit ihrer Darbietungen
ganz ähnlich. Die diskursiven Verbindungen von Schaugeschäft und zeitgenössischer
Medizin zeigen sich auch am Beispiel der beiden Berliner Wachsfigurenkabinette, Castan’s
Panoptikum und dem Passage-Panoptikum, deren regelmäßig abgehaltene Völker- und
Abnormitätenschauen häufig von der BGAEU besichtigt wurden.943 Die Inhaber der
Panoptiken sowie die Direktoren des Berliner Zoologischen Gartens und des Aquariums
waren wiederum ordentliche Mitglieder der Berliner Gesellschaft.944
Die gegenseitige Durchdringung von populärem Schaugeschäft und Medizinwissenschaft
hat Zürcher als ein „Verhältnis des permanenten Austausches“945 beschrieben. Wesentliche
Voraussetzung für diesen Austausch war die Seltenheit des Schauobjekts. War eine
Abnormität einmal untersucht, „so macht[e] eine zweite Untersuchung und Publikation
wenig Sinn, sodass beide Seiten, Impresario und Professor, auf der Suche waren nach immer
selteneren Missbildungen.“946 Die siamesischen Zwillinge Chang und Eng zeigten sich
während ihrer beiden Europatourneen nicht nur in „unzählige[n] Varietées, Panoptiken,
Messen und Zirkusse[n]“, sondern auch in Universitäten, vor akademischen Gesellschaften
und in naturhistorischen Museen.947 1835 untersuchte Isidore Geoffroy-Saint-Hilaire das
Geschwisterpaar und 1870 hatte Virchow die Gelegenheit, die Geschwister zu befragen und
in der Folge über sie zu publizieren.948 In einem Vortrag über Die siamesischen Zwillinge,
den Virchow am 14. März 1870 vor der Berliner medicinischen Gesellschaft hielt, erläuterte
er am Beispiel der Geschwister, die nunmehr in der Funktion epistemischer Objekte
auftraten, „dass Doppelmissbildungen nicht durch Verwachsung, sondern durch Theilung
941
Der Komet, Nr. 565, vom 18. Januar 1896. S. 20.
H. Mehl: Zur Ausstellung behinderter Menschen auf Jahrmärkten des 16. – 19. Jahrhunderts. S. 52.
943
B. Lange: „Aechtes und Unächtes“. Zur Ökonomie des Abnormalen als Täuschung. S. 217.
944
Ebd.
945
U. Zürcher: Monster oder Laune der Natur. S. 264.
946
Ebd. S. 266.
947
Ebd. S. 264.
948
Ebd. S. 265.
942
125
(Spaltung) entstehen.“
949
Chang und Eng wurden so „die ersten großen Stars sowohl der
Medizin wie auch der internationalen Vergnügungsindustrie.“950 Der Titel des Vortrags
deutet indes an, dass im Zuge der Verschmelzung von Teratologie und Schaugeschäft
„mindestens punktuell eine vereinheitlichte Begrifflichkeit“ gewählt wurde.951 Nicht die
enigmatisch
anmutenden
Klassifizierungsversuche
eines
Linné
bestimmten
den
schaumedizinischen Raum, sondern Bezeichnungen, die dem Schaugewerbe oder der
Alltagssprache entlehnt waren.952 So wurde etwa die Zurschaustellung der mikrozephalen
„Azteken“ im akademischen Diskurs unter dem Stichwort „Azteken“ besprochen.953
Die Wechselwirkungen zwischen Schaugeschäft und Medizinwissenschaften erreichten
im ausgehenden 19. Jahrhundert ihren Höhepunkt; die Anfänge dieses Interaktionsprozesses
sind indes im 18. Jahrhundert zu suchen, als Fehlbildungen zu einem Gegenstand
wissenschaftlichen Interesses wurden.954 In der Tat lässt sich das Tauschgeschäft
„Bescheinigung gegen Untersuchung“955 bereits für das späte 18. Jahrhundert belegen. Auf
einem Flugblatt aus dem Jahr 1777 wurde „ein Kind von fünftehalb Jahren“ beworben,
„welches von so sonderbarer Beschaffenheit ist, daß es die Bewunderung der ganzen
medicinischen Fakultät nach sich gezogen, auch den Physicis und andern Naturkennern zu
erkennen giebt, was die Natur Ausserordentliches an Tag bringen kann […]“956. Die
Authentizität der Abnormität, bei der es sich höchstwahrscheinlich um Anna Maria Herrig
handelt, wurde durch „ein Certificat“ des „Herr[n] von Buffon, erster königl. Leibarzt“
verbrieft957, der das Mädchen wiederum in seiner Naturgeschichte des Menschen
erwähnte958. Durch die gegenseitige Begutachtung immer neuer „abnormer“ Menschen kam
es zu einer wechselseitigen Legitimierung zwischen dem Schaugeschäft und der
Wissenschaft. Wenngleich sie von verschiedenen Interessen, namentlich Aufklärung und
Kommerz, geleitet waren, so bildeten das Schaugewerbe und die Medizinwissenschaften
doch „ein zusammenhängendes ökonomisches System.“959
949
R. Virchow: Die siamesischen Zwillinge. Vortrag vor der Berliner medicinischen Gesellschaft am 14. März
1870.
950
U. Zürcher: Monster oder Laune der Natur. S. 265.
951
Ebd. S. 270.
952
Ebd. S. 270.
953
Vgl. Hartmann, Robert: Die sogenannten Azteken. Sitzung vom 21. Februar 1891. In: VBGAEU, Bd. 23.
1891. S. 278f.
954
U. Zürcher: Monster oder Laune der Natur. S. 268.
955
Ebd. S. 268. (Hervorhebung im Original).
956
MNZ, Best. 26, Sign. 026 / 0011, Flugblatt, 1777 16/4.
957
Ebd.
958
Vgl. Buffon, Georges Louis Le Clerc de, u.a. (Hrsg.): Naturgeschichte des Menschen. Berlin 1807. S. 418f.
959
B. Lange: Echt. Unecht. Lebensecht. S. 63.
126
4.
SCHLUSSBEMERKUNGEN UND AUSBLICK
Von den Monstra der frühneuzeitlichen Prodigienliteratur bis zu den fehlgebildeten
Akteuren der Abnormitätenschauen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts erweist sich der
versehrte Körper als Indikator der Wertmaßstäbe und Überzeugungen, aber auch der Ängste
der jeweiligen Gesellschaft. Stets fungiert seine Monstrosität als Gegenbild zum Ideal
menschlicher Schönheit und Normalität, die jedoch erst am Maßstab einer vorgeblichen
Normalgestalt ersichtlich wird. Ob sich die Monstrositäten durch fehlende oder überzählige
Glieder, eine atrophe oder hypertrophe Gestalt oder gar durch tierähnliche Physiognomien
auszeichnen, entziehen sie sich einer eindeutigen, am menschlichen „Normalmaß“
orientierten Kategorisierung. „Betwixt and between“ (Victor Turner) befinden sich die
Monstrositäten in einem klassifikatorischen Niemandsland960, in dem die gängigen
Dualismen von Mensch und Tier („Kynokephaloi“, „Löwenmenschen“), dem Ich und dem
Anderen (siamesische Zwillinge, Doppelfehlbildungen), Ganzheit und Fragment („Armlose“,
„Rumpfmenschen“, „Halbmenschen“) und Mann und Frau aufgehoben sind. Die gänzlich
ambivalente Monstrosität ist, wie es Victor Turner für die liminalen Subjekte im
Übergangsritual beschrieben hat, sowohl nicht mehr als auch noch nicht klassifiziert.961
Diese Nichtklassifizierbarkeit schafft einen quasi definitionsleeren Raum, der von der
Gesellschaft mit Zuschreibungen und Bewertungen gefüllt werden muss. Während dieses
Prozesses fungiert der fehlgebildete Körper als eine Projektionsfläche für die Ängste und
Sehnsüchte der jeweiligen Gesellschaft. In ihm koinzidiert „die penetrante Sichtbarkeit
ausnahmehafter Erscheinungen“ mit einer unsichtbaren „potentiell unsichere[n] Referenz
sinnfälliger Zeichenhaftigkeit“962.
Mit Rekurs auf den Monstradiskurs der frühen Neuzeit wurde im ersten Teil der
Untersuchung gezeigt, dass das Monstrum primär als ein genutztes beziehungsweise
inszeniertes Zeichen fungierte, das „gemäß seinem etymologischen Versprechen“
(monstrare) etwas außerhalb seiner selbst zeigen sollte.963 Das neuzeitliche Monstrum
figurierte als sichtbares Emblem gesellschaftlicher Normverstöße; mit ihm wurden
sodomitische Ausschweifungen, Beischlaf mit dem Teufel und seinen Dämonen und sonstige
moralische
Verfehlungen
assoziiert.
Das
Monstrum
verkörperte
demzufolge
das
960
M. Toggweiler: Kleine Phänomenologie der Monster. S. 77.
M. Toggweiler: Kleine Phänomenologie der Monster. S. 30f. Vgl. Turner, Victor: Betwixt and Between:
The Liminal Period in ‚Rites de Passage’. In: ders.: The Forest of Symbols. Aspects of Ndembu Ritual. Ithaca
1967. S.
962
R. Overthun: Das Monströse und das Normale. S. 50.
963
M. Toggweiler: Kleine Phänomenologie der Monster. S. 77.
961
127
abschreckende Beispiel, „das ex negativo die kulturellen Codes bestärkt, gegen die es
verstößt.“964 Die Zeichenhaftigkeit, die dem fehlgebildeten Körper testiert wurde, machten
sich insbesondere die protestantischen Autoren zunutze, die die Monstra im Kontext
eschatologischer Ängste als sichtbare, in körperlicher Form manifestierte Zeichen des
drohenden Weltgericht Gottes deuteten. Mit der wissenschaftlichen Aneignung des
„monströsen“ Körpers in der Teratologie wichen die religiösen Implikationen schließlich
einer zunehmenden Entmystifizierung und Pathologisierung des fehlgebildeten Körpers. Das
Ziel der Teratologie bestand darin, die physiognomischen Abweichungen auf natürliche
Gesetzmäßigkeiten zurückzuführen, infolgedessen der fehlgebildete sowie der nicht
fehlgebildete Körper als von denselben epigenetischen Naturgesetzen determiniert begriffen
wurde. Das Monstrum wurde irdisch, das Abnorme und das Normale näherten sich an.
Dederich zufolge wurde die physiognomische Abweichung nun nicht länger „als das Resultat
von moralischen oder religiösen Verfehlungen“965 angesehen, doch wie die Beispiele
Lavaters und Lombrosos gezeigt haben, bestand der Dualismus von maßästhetischer
Schönheit und Unheil verheißender Ungestalt auch im 19. Jahrhundert fort. Zu groß war die
Verlockung, Parameter einer allgemeingültigen Ordnung zu finden, die dem Monströsen
einen klaren Platz innerhalb, oder vielmehr am Rand der Gesellschaft zuwiesen.
Es waren insbesondere die Abnormitätenschauen, die dem Bedürfnis nach einer klaren
Grenzziehung zwischen dem „Eigenen“ und dem „Fremden“ Rechnung trugen, indem sie das
körperlich Befremdliche, das nicht mit den normativen Mustern der zeitgenössischen
Gesellschaft in Einklang zu bringen war, in die räumliche, soziale und kulturelle Fremde
verwiesen und so den konturlos gewordenen Antagonismus von Normalität und Abnormität
aufrechterhielten. So wurden die Abnormitäten im Rahmen der Schauen etwa dem Reich der
Mythen und Märchen zugeordnet oder als „Prinzen“ und „Generäle“ in soziale Positionen
„jenseits der Mitte“ der Gesellschaft befördert. Bei der exotisierenden Inszenierung wurden
die Abnormitäten, gleich den monströsen Erdrandbewohnern bei Plinius und Münster, in der
geographischen Fremde verortet, etwa in der Polarregion (albinotische Menschen) oder in
„exotischen“ Ländern wie Mexiko oder Afrika (stark behaarte Menschen). Dabei war die
Wohnstätte der Monstrosität weniger ein konkreter, geographisch bestimmbarer Ort als
vielmehr ein am Fremdheitsempfinden der Gesellschaft orientierter Platz in der Peripherie,
die sich „entsprechend den sich erweiternden Vorstellungen von der Welt“ nach außen
964
965
M. Toggweiler: Kleine Phänomenologie der Monster. S. 78.
M. Dederich: Körper, Kultur und Behinderung. S. 91.
128
verlagerte.966 Die identitätsstiftende Funktion, die der Abnormität im Rahmen der Schauen
zukam, war beachtlich: Sie gab die Grenzen des sozialen und geographischen Raumes vor,
innerhalb dessen eine Gesellschaft sich ihrer Normalität sicher sein durfte. Die Abnormitäten
wurden in der Folge zum Sinnbild für alles Fremde: In ihren Zurschaustellungen spiegelte
sich die „Monstrosierung“ des kulturell, körperlich und geschlechtlich Anderen wieder,
wodurch sie gleichsam als Projektionsflächen für die Ängste und Unsicherheiten, aber auch
die unerfüllten Sehnsüchte der bestehenden Gesellschaft fungierten. So ist etwa die
Inszenierung von Haarmenschen als „missing links“ als Reaktion auf die Verunsicherung
durch Darwins Abstammungslehre zu verstehen, die in einer Gesellschaft, die die Theorien
der Schöpfungsbiologie bislang als maßgebend betrachtet hatte, zu Verunsicherungen und
der Angst, sich nicht mehr sicher einordnen oder klar abgrenzen zu können, führte.
Vergleicht man die Präsentationsweisen von Abnormitäten im 18. mit denen im 19.
Jahrhunderts, so zeigt sich ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Spezialisierung
und
Diversifizierung
der
Schauobjekte,
die
auf
die
sich
ausdifferenzierenden
Inszenierungsstrategien der Impresarios zurückzuführen sind. Zunehmend beinhalteten die
Schaustellerzettel und Werbeinserate neben einer Beschreibung der Abnormität auch
Erklärungen für deren Normabweichung. Allerdings wurden keine medizinischen Diagnosen
angeboten, sondern vielmehr Bilder des Fremden rekurriert. Dabei entsprang insbesondere
die exotisierende Präsentationsweise dem eurozentrischen Bedürfnis, die Überlegenheit des
eigenen Landes und die sichtbare Unterlegenheit nicht-westlicher Länder zu demonstrieren.
Gleichzeitig begegnete man dem Unbehagen des von Normalisierungsprozessen967 geprägten
Zuschauers, Teil einer Gesellschaft zu sein, die fehlgebildete Menschen hervorbringt. Die
Exotisierung beziehungsweise Mystifizierung der Abnormitäten resultierte letzten Endes in
deren „Entpathologisierung“, der fehlgebildete Mensch wurde primär als „fremd“ und
„exotisch“, nicht als „krank“ wahrgenommen. All diese Implikationen dürfen indes nicht
darüber hinwegtäuschen, dass die Impresarios bei der Zurschaustellung von fehlgebildeten
Menschen primär kommerzielle Interessen verfolgten. Dabei ist der lang anhaltende Erfolg
der Schauen insbesondere auf die Inszenierungskonzepte der Impresarios zurückzuführen,
die sich bei der Präsentation ihrer Abnormitäten einerseits an den zeitgenössischen Diskursen
966
M. Toggweiler: Kleine Phänomenologie der Monster. S. 77.
Im 19. Jahrhundert werden Normalisierungen wesensbestimmend für das Militär, die Industrialisierung, die
Erziehung und die medizinische Versorgung; „die sich etablierende bürgerliche Gesellschaft wird zur
Normalisierungsgesellschaft.“ Erstmals tritt die binäre Unterscheidung normal-anormal zutage, infolgedessen
diejenigen pathologisiert oder kriminalisiert werden, die sich nicht der Norm anpassen können. (Vgl. E. v.
Stechow: Erziehung zur Normalität. S. 22, S. 38).
967
129
orientierten und andererseits bei etablierten Märchen und Mythen bedienten. Auf dem
Jahrmarkt war die Abnormität Teil einer karnevalesken Gegenwelt, die Abenteuer und Lust
versprach und in der kulturelle Schranken aufgehoben wurden. So dienten etwa
Kolossalfrauen als Figurationen sexueller Freizügigkeit, die damit das fleischgewordene
Gegenbild zur restriktiven Sexualmoral des Wilhelminischen Reiches konstituierten. Dabei
konnte der Erfolg der Schauen nur so lange währen, wie die Abnormitäten als
Einzigartigkeiten der Natur und somit als außeralltägliche Phänomene wahrgenommen
wurden, was die Impresarios dazu veranlasste, ihre Abnormitäten immer wieder in neue
Kontexte einzuordnen und mit neuen Zuschreibungen zu versehen. Als in Folge des Ersten
Weltkrieges Entstellungen und Behinderungen kriegsversehrter Soldaten zu einem
Massenphänomen wurden, wandelten sich „[d]ie Zeichen der Missbildungen […] zu einer
Inschrift des Krieges, der staunende, leicht erschauernde Blick auf das Schauobjekt wich dem
mitleidigen Blick auf die Kriegsversehrten“968. Die körperliche Abweichung faszinierte nicht
mehr als sonderbare Einzigartigkeit, sondern wurde zum alltäglichen Anblick, infolgedessen
die Monstrositäten allmählich ihre Attraktivität verloren.
Der Rückgang der Schauen Anfang der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts ist indes nicht
allein damit zu erklären, dass fehlgebildete Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg
zunehmend vom sozialen Netz aufgefangen wurden969, sondern auch damit, dass sich die
historischen Voraussetzungen, die zu einer Popularisierung des Monströsen geführt hatten,
wandelten. Wie eingangs bereits angemerkt wurde, sind die Gründe, die im 16. und 19.
Jahrhundert zu einer Diskursivierung des Monströsen führten, „beide Male fast die gleichen,
ebenso wie die gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Voraussetzungen, die sie
herbeiführten.“970 Nach Röcke evozierte die Zeitenwende um 1500 eine apokalyptische
Angst vor dem bevorstehenden Strafgericht Gottes, einem Bewusstsein vom Ende der alten
und dem Anfang einer neuen Welt.971 Im 19. Jahrhundert sind es Schlagworte wie
Urbanisierung, Industrialisierung, soziale Unsicherheit und wirtschaftlicher Wandel, kurzum
der Wandel von der Agrar- zur Industriegesellschaft, die Ängste vor dem Neuen und
Unbekannten evozierten. Das gesellschaftliche Bedürfnis, sich verorten und abgrenzen zu
können, ist ein grundlegendes, doch besonders in Zeiten der Verunsicherung durch soziale,
wirtschaftliche oder kulturelle Umbrüche suchen Menschen nach Orientierungspunkten und
festen Werten, die der durch die Abnormitätenschauen vermittelte Dualismus von Normalität
968
U. Zürcher: Monster oder Laune der Natur. S. 275.
Vgl. F. Dering: Das Oktoberfest. S. 342.
970
H. Scheugl: Showfreaks & Monster. S. 154.
971
W. Röcke: Zeitenwende und apokalyptische Ängste in der Literatur des Spätmittelalters. S. 12.
969
130
und Abnormität bieten konnte. Dabei füllt das Monströse, das befremdlich Andere, eine
flexible Nische aus, die sich in dem Maße verändert, wie sich die Gesellschaft wandelt.
131
5.
LITERATURVERZEICHNIS
Quellen
Ungedruckte Quellen
Bittschreiben an die Kurfürstliche Landesregierung von 1689 bezüglich des fahrenden
Heilers Andreas Johann Eisenbarth [Mappe mit Sign. 026/0011, 1689 8/2, Stadtarchiv
Mainz].
Brief der Kurfürstlichen Landesregierung von 1704 bezüglich des fahrenden Heilers Andreas
Johann Eisenbarth [Mappe mit Sign. 026/0011, 1704 26/7, Stadtarchiv Mainz].
Konzessionsgesuch und Flugblatt des Schaustellers Antonio Cetti [Mappe mit Sign.
026/0011, 1780, Stadtarchiv Mainz].
Konzessionsgesuch und Flugblatt [Mappe mit Sign. 026/0011, 1786 1/7, Stadtarchiv Mainz].
Tagebuchaufzeichnungen von Joh. Peter Heyl (1671-1699) und Jost Henrich Sprückmann
(1689-1812). [Best. S5, Sign. 16, ISG Frankfurt/ Main]
Gedruckte Quellen
Enzyklopädien, Wörterbücher, Lexika
Busch, D. W. H./ Gräfe, C. F./ Hufeland, C. W. (Hrsg.): Encyclopädisches Wörterbuch der
medicinischen Wissenschaften. 37 Bde. Band 20. Berlin 1828 – 1849.
Der große Brockhaus. 16. Aufl. 12 Bde. Band 4. Leipzig/ Berlin 1954.
Diderot, Denis/ d’Alembert, Jean Baptiste le Rond (Hrsg.): Encyclopédie ou Dictionnaire
raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers. 35 Bde. Band 10. Neuchatel 17511780.
Herders Konversations-Lexikon. 3. Aufl. 9 Bde. Band 6. Freiburg 1906.
Meyer’s neues Konversations-Lexikon, ein Wörterbuch des allgemeinen Wissens. 2. Aufl. 16
Bde. Band 11. Hildburghausen 1872.
Meyers Großes Konversations-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens. 6.
Aufl. 27 Bde. Band 1. Leipzig/ Wien 1909.
Pierer, Johann Friedrich (Hrsg.): Medizinisches Realwörterbuch: zum Handgebrauch
practischer Aerzte und Wundärzte und zu belehrender Nachweisung für gebildete
Personen aller Stände. Erste Abtheilung Anatomie und Physiologie. Band 4. Leipzig
1821.
Pschyrembel. Klinisches Wörterbuch. 260. Aufl. Berlin/ New York 2004.
Zedler, Johann Heinrich: Großes Vollständiges Universallexikon Aller Wissenschaften und
Künste. 64 Bde. Band 5. Halle/Leipzig, 1747.
Zedler, Johann Heinrich: Großes Vollständiges Universallexikon Aller Wissenschaften und
Künste. 64 Bde. Band 21. Halle/Leipzig, 1747.
132
Zedler, Johann Heinrich: Großes Vollständiges Universallexikon Aller Wissenschaften und
Künste. 64 Bde. Band 53. Halle/Leipzig, 1747.
Zedler, Johann Heinrich: Großes Vollständiges Universallexikon Aller Wissenschaften und
Künste. 64 Bde. Band 64. Halle/Leipzig, 1747.
Zeitungen, Zeitschriften
Anzeige-Blatt der Kreis-Hauptstadt Speyer. Speyer 1848 [1855-1867. Stadtarchiv Speyer].
Die Gartenlaube. Illustrirtes Familienblatt. Hrsg. v. Ernst Keil/ Ernst Keil’s Nachfolger.
Leipzig 1835-1944.
Frankfurter Staats-Ristretto: oder kurzgefaßte Erzählung der neuesten und merkwürdigsten
Nachrichten und Begebenheiten der Europäischen Staaten, wie auch der
Wissenschaften, der Künste und nützlichen Erfindungen. Frankfurt a. M.: Schillers
Erben. [1772-1818. ISG Frankfurt/ Main].
Frankfurter Meß-Relation, das ist: halbjährliche Erzehlungen der neuesten Staats - und WeltGeschichten. Frankfurt a. M. [1598-1774. ISG Frankfurt/ Main].
Intelligenz-Blatt der freyen Stadt Frankfurt. Hrsg. v. Holtzwart/ Streng. Frankfurt a. M.
[1819- 1866. ISG Frankfurt/ Main].
Intelligenz-Blatt der Stadt Frankfurt am Main. Hrsg. v. Holtzwart/ Streng. Frankfurt a. M.
[1866-1910. ISG Frankfurt/ Main].
Affiches, annonces et avis divers de Mayence. Mainzer Anzeigeblatt. Mainz. [Mikrofilm:
04.01.1812 – 04.05.1814 (cpl.). Sign. MF 66:2°/5, Stadtbibliothek Mainz]
Mainzer Anzeiger. [Mikrofilm: 01.05.1854 – 19.03.1945. Sign. MF 66:2°/3, Stadtbibliothek
Mainz].
Mainzer Intelligenzblatt. [Mikrofilm: 1774-1811. Sign. MF Mog 483, Stadtbibliothek Mainz]
Mainzer Wochenblatt. [Mikrofilm: 07.05.1814 – 31.12.1871. Sign. MF 66:2°/5,
Stadtbibliothek Mainz].
Neuester Mainzer Anzeiger. [Mikrofilm: 02.12.1879 – 31.03.1920 (cpl.). Sign. MF 66:2°/7,
Stadtbibliothek Mainz].
Verhandlungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte
[=Beilage der Zeitschrift für Ethnologie. Organ der deutschen Gesellschaft für
Völkerkunde]. Bd. 1-74. Braunschweig 1869-1944.
Wöchentliche Anzeigen für das Fürstenthum Ratzeberg, Nr. 15, vom 3.März 1865.
Zeitschrift für Ethnologie. Organ der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie
und Urgeschichte. Bd. 1-74. Hrsg. v. Adolf Bastian/ Robert Hartmann. Braunschweig
1869-1944.
133
Aufsätze, Zeitschriftenartikel, Vorträge
Beigel, Herrmann: Ueber abnorme Haarentwicklung beim Menschen. In: Archiv für
pathologische Anatomie und Physiologie und für klinische Medicin. Hrsg. v. Rudolf
Virchow. Bd. 44. Berlin 1868. S. 418-427. URL: http://books.google.de/books?id=
DOcVAAAAYAAJ&pg=PA418&dq=beigel&lr=&client=firefox-a#v=onepage&q
=beigel&f=true.
Carus, Gustav Carl: Ueber die sogenannten Aztekenkinder. In: Berichte über die
Verhandlungen der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu
Leipzig, Mathem. Phys. Classe I. Leipzig 1856. S. 11-19. URL: http://books.
google.de/books?id=ayYWAAAAYAAJ&pg=RA1PA14&dq=bartola+maximo&lr=
&client=firefox-a#v=onepage&q=bartola%20maximo&f=true.
Die Frankfurter Herbstmesse im Jahr 1801. In: Der Komet, Nr. 858, vom 31. August 1901, S.
4-6.
Die Kunst zu hungern. In: Der Komet, Nr. 2139, vom 24. April 1926. S. 5-6.
Der ‚wilde’ Mensch. In: Die Gartenlaube. Illustrirtes Familienblatt. Hg. v. Ernst Keil’s
Nachfolger. Leipzig 1888. S. 879-883.
Hartmann, Robert: Die sogenannten Azteken. Sitzung vom 21. Februar 1891. In:
Verhandlungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und
Urgeschichte. Band 23. Berlin 1891. S. 278-279. URL: http://www.archive.org/
details/zeitschriftfre23berluoft.
Hr. [Felix] v[on] Luschan stellt einen Haarmenschen vor. Sitzung vom 25. Mai 1907. In:
Verhandlungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und
Urgeschichte. Band 39. Berlin 1907. S. 425-429. URL: http://www.archive.org/
details/zeitschriftfre39berluoft.
Hr. [Max] Bartels stellt eine bärtige Dame, die Esau-Lady Miss Annie Jones vor.
Außerordentliche Sitzung vom 14. Februar 1891. In: Verhandlungen der Berliner
Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte. Band 23. Berlin 1891.
S. 243-247. URL: http://www.archive.org/details/zeitschriftfre23berluoft.
Hr. Rud[olf] Virchow bespricht die sogenannten Azteken und die Chua”, Sitzung vom 21.
März 1891. In: Verhandlungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie,
Ethnologie und Urgeschichte. Band 23. Berlin 1891. S. 370-377. URL: http://www.
archive.org/details/zeitschriftfre23berluoft.
Hüetlin, Thomas: Tränen mit Susie Simple. In: SPIEGEL, Nr. 18, vom 27. April 2009. S.
148-150.
Isolani, Eugen: Bärtige Frauen. In: Der Komet. Nr. 862. Pirmasens, 28. September 1901. S.
4.
Julia Pastrana, ein Menschenungeheuer. In: Die Gartenlaube. Illustrirtes Familienblatt. Hrsg.
v. Ernst Keil. Leipzig 1857. S. 657-659.
Kummer, Bernhard: Schwangerschaft. In: Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens.
Hrsg. v. Eduard Hoffmann-Krayer/ Hanns Bächtold-Stäubli. 10 Bde. Band 7. Berlin/
Leipzig 1932-1933. S. 1406-1427.
134
Kunsthungern nach Hungerkunst. In: Der Komet, Nr. 2141, vom 8. Mai 1926. S. 6-7.
Moebus, Jean: Über 500 Jahr Mainzer Messe. In: Der Komet. Nr. 2152. Pirmasens, 24. Juli
1926. S. 5-6.
Strack, Karl: Nachricht von einem Kakerlaken. In: Medicinisch-chirurgische Zeitung. Dritter
Band. Salzburg 1808. S. 413-414. URL: http://books.google.de/books?id=NgAH
AAAAcAAJ&pg=PT416&dq=georg+gamber&lr=&client=firefox-a#v=onepage&q
=georg%20gamber&f=true.
Virchow, Rudolf: Die Siamesischen Zwillinge. Vortrag vor der Berliner medicinischen
Gesellschaft am 14. März 1870. Berlin 1870. URL: http://de.wikisource.org/wiki/
Die_siamesischen_Zwillinge.
Vogt, Carl: Ueber die Mikrocephalen oder Affen-Menschen. In: Archiv für Anthropologie.
Zeitschrift für Naturgeschichte und Urgeschichte des Menschen. Bd. 2. Braunschweig
1867. S. 129-284. URL: http://books.google.de/books?id=Zh4XAAAAYAAJ&pg=
PA276&dq=eine+partielle+atavistische+Bildung+ist&lr=&client=firefoxa#v=onepage&q=eine%20partielle%20atavistische%20Bildung%20ist&f=true.
Monographien
Barnum, Phineas Taylor: The Life of P.T. Barnum. London 1855. URL:
http://books.google.de/books?id=wisLAAAAIAAJ&printsec=frontcover&dq=The+Li
fe+of+P.T.+Barnum&lr=&client=firefox-a#v=onepage&q=&f=true.
Barnum, Phineas Taylor: The Humbugs of the World. An Account of Humbugs, Delusions,
Impositions, Quackeries, Deceits and Deceivers. Generally, in all Ages. New York
1866. URL: http://books.google.de/books?id=5N4OAAAAIAAJ&pg=PA11&dq=
The+Humbugs+of+the+World&lr=&client=firefox-a#v=onepage&q=&f=true.
Bingen, Hildegard von: Wisse die Wege, Scivias. Salzburg 1954.
Blondel, Jacques: Dissertation physique sur la force de l’imagintion des femmes enceintes
sur le fetus. Leiden 1737.
Blumenbach, Johann Friedrich: Über den Bildungstrieb. Göttingen 1791.
Buffon, Georges Louis Le Clerc de/ Ulmenstein, Friedrich Wilhelm von (Hrsg.):
Naturgeschichte des Menschen. Berlin 1807. URL: http://books.google.de/books?id=
c4Y5AAAAcAAJ&pg=PA731&dq=anna+maria+herrig&lr=&client=firefoxa#v=onepage &q=anna%20maria%20herrig&f=true
Canstatt’s Jahresbericht über die Fortschritte der gesammten Medicin in allen Ländern im
Jahre 1859. Redigiert von Prof. Dr. Scherer, Prof. Dr. Virchow und Dr. Eisenmann.
Band 4. Würzburg 1860.
Darwin, Charles: The descent of man, and selection in relation to sex. The Concise Edition.
Hrsg. v. Carl Zimmer/ Frans de Waal. New York 2007 [1859].
Evelyn, John: The Diary of John Evelyn. Hrsg. v. Guy de la Bédoyère. Woodbridge 1995
[London 1818].
135
Fischer, Friedrich Christoph Johann: Lehrbegrif sämtlicher Kameral- und Polizeyrechte.
Sowohl von Teutschland überhaupt als insbesondere von den Preussischen Staaten. 3
Bde. Band 1. Frankfurt an der Oder 1785.
Geppert, Carl Eduard: Chronik von Berlin von Entstehung der Stadt an bis heute. 3 Bde.
Band 2. Berlin 1840. URL: http://books.google.de/books?id=EN0AAAAAcAAJ
&printsec=frontcover&dq=Chronik+von+Berlin+von+Entstehung+der+Stadt+an+bis
+heute&lr=&client=firefox-a#v=onepage&q=&f=true.
Goltwurm Athesinus, Caspar: Wunderwerck vnd Wunderzeichen Buch. Darinne alle
fuernemste Goettliche/ Geistliche/ Himlische/ Elementische/ Irdische vnd Teuflische
wunderwerck/ so sich in solchem allem von anfang der Welt-schoepfung biss auff
vnser jetzige zeit/zugetragen vnd begeben haben/ Kuertzlich vnnd ordentlich verfasset
sein/ Der gestalt vor nie gedruckt worden. Caspar Goltwurm Athesinus. Luce. 12:
Wem aber dieses alles anfehet zugeschehen/ so sehet auff/ vnnd hehet erere haeubter
auff/ Darumb das sich ewer erloesung nahet. Hrsg. Von David Zephelius. Frankfurt /
Main 1557. URL: http://www.obrasraras.usp.br/obras/000154/.
Haller, Albrecht von: Tagebuch seiner Beobachtungen über Schriftsteller und über sich
selbst. 2 Bde. Band 2. Bern 1787. URL: http://books.google.de/books
?id=XD8JAAAAQAAJ&printsec=frontcover&dq=Albrecht+von+Hallers+tagebuch&
lr=&client=firefox-a#v=onepage&q=&f=true.
Hauptmann, Gerhart: Atlantis. Berlin 1912.
Hutchinson, Henry Neville/ Lydekker, Richard/ Gregory, John Walter: The Living Races of
Mankind. A Popular Illustrated Account of the Costums, Habits, Pursuits, Feasts &
Ceremonies of the Races of Mankind throughout the World. Hrsg. v. K. M. Mittal. 2
Bde. Band 1. Delhi 1985. [London 1901].
Kafka, Franz: Der Hungerkünstler. In: Ders.: Sämtliche Erzählungen. Hrsg. v. Paul Raabe.
Frankfurt a. M./ Berlin 1981.
Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der
Menschenkenntniß und Menschenliebe. Hrsg. v.Weidmanns Erben und Reich, und
Heinrich Steiner und Compagnie. 4 Bde. Leipzig/ Winerthur 1776. URL: http://numscd-ulp.u-strasbg.fr:8080/view/authors/Lavater,_Johann_Caspar.html.
Lavater, Johann Caspar: Von der Physiognomik und hundert physiognomische Regeln. Hrsg.
v. Karl Riha / Carsten Zelle. Frankfurt a. M./ Leipzig 1991 [1772].
Lichtenberg, Georg Christoph: Schriften und Briefe. 4 Bde. Band 3. Hrsg. v. Wolfgang
Promies, München/ Wien 1971.
Lichtenberg, Georg Christoph: Über Physiognomik; wider die Physiognomen. Zu
Beförderung der Menschenliebe und Menschenkenntniß. Göttingen 1778. URL:
http://books.google.de/books?id=jMg6AAAAcAAJ&printsec=frontcover&dq=Lichte
nberg:+%C3%9Cber+die+Physiognomik.&client=firefoxa#v=onepage&q=gem%C3%BCth&f=true.
Lichtenberg, Georg Christoph: Vermischte Schriften. Neue vermehrte, von dessen Söhnen
veranstaltete Original-Ausgabe. Band 1. Göttingen 1844.
136
Millingen, John Gideon: Curiosities of medical experience. London 1839. URL:
http://books.google.de/books?id=HcAiPaxqBTEC&dq=Curiosities+of+medical+expe
rience&printsec=frontcover&source=bl&ots=LniwPZZ1zq&sig=DS7Z8IVjzZzQvkj
B19GvLxev0zw&hl=de&ei=yv_9SoOOA9L0_Abf-yHCw&sa=X&oi=book_result&ct= result&resnum= 1&ved=0CAgQ6AEwAA#v=
onepage&q=&f=true.
Montaigne, Michel de: Les Essais. Hrsg. v. Jean Balsamo/ Michel Magnien/ Catherine
Magnien-Simonin. Paris 2007 [Bordeaux 1580-1588].
Montaigne, Michel de: Essais. Erste moderne Gesamtübersetzung von Hans Stilett. München
1998.
Münster, Sebastian: Cosmographei oder beschreibung aller länder, herschafften, fürnemsten
stetten/ geschichten/ gebreuche/ hantierungen etc. ietz zum drittem mal trefflich sere
durch Sebastianum Munsteru gemeret und gebessert/ in welldtliche und naturlichen
historien. Jte uff ein neuws mit hübschen figuren unnd landtaflen geziert/
sunderlichen aber werden dar in contrashetet sechs unnd vierzig stett/ under welche
bey dreissig auß Teuscher nation nach irer gelegenheit dar zu komme/ und von der
stetten oberkeiten do hin sampt irenn beschreibungen verordnet. 3. Auflage, Basel
1550. URL: http://www.digitalis.uni-koeln.de/Muenster/muenster_index.html.
Nösselt, Friedrich: Lehrbuch der Weltgeschichte für Töchterschulen und zum
Privatunterricht heranwachsender Mädchen. Dritter Theil. Breslau 1836.
Paré, Ambroise: Des monstres et prodiges. Hrsg. v. Jean Céard. Genève 1971 [Paris 1573].
Parent-Duchâtelet, Alexandre Jean B.: De la prostitution dans la ville de Paris. Paris 1836.
URL: http://books.google.de/books?id=7OMTAAAAIAAJ&pg=PA56&dq=De+la+
prostitution+dans+la+ville+de+Paris#v=onepage&q=&f=true.
Pepys, Samuel: The Diary of Samuel Pepys. Hrsg. v. H. B. W. Brampton. London 1962
[London 1660-1669].
Reinöhl, Wilhelm von: Die gute alte Zeit geschildert in historischen Beiträgen zur näheren
Kenntniß der Sitten, Gebräuche und Denkart, vornehmlich des Mittelstandes, in den
letzten fünf Jahrhunderten; nach großtentheils alten und seltenen Druckschriften,
Manuscripten, Flugblättern ec. Erster Band: Zur Geschichte hauptsächlich des
Stadtlebens, der Kleidertrachten, des Hauswesens, der Kinderspiele, Tanzfreuden,
Gaukler, Bankette, Frauenhäuser, magischen Mittel, kirchenfeste, Pilderfahrten ec.
Aus Wilhelm von Rheinöhl’s handschriftlichen und artistischen Sammlungen. Hrsg.
v. Johann Scheible. Stuttgart 1847.
Ribbert, Hugo: Lehrbuch der allgemeinen Pathologie und der pathologischen Anatomie. 5.
Aufl. Leipzig 1915.
Schott, Gaspar: Physica curiosa, sive Mirabilia naturæ et artis libris XII. comprehensa,
quibus pleraque, quæ de Angelis, Dæmonibus, Hominibus, Spectris, Energumensis,
Monstris, Portentis, Animalibus, Meteoris, &c. rara, arcana, curiosaq; circumferuntur,
ad Veritatis trutinam expenduntur, variis ex historia ac philosophia petitis
disquisitionibus excutiuntur, & innumeris exemplis illustrantur. Würzburg 1697
[1662]. URL: http://imgbase-scd-ulp.u-strasbg.fr/displayimage.php?album=
798&pos=3.
137
Shakespeare, William: The Tragedy of Macbeth. In: Four Great Tragedies. Hrsg. v. William
Aldis Wright. New York 1948 [London 1606].
Shelley, Mary: Frankenstein, or The Modern Prometheus. Hrsg. von Marilyn Butler. Oxford
1998 [London 1818].
Soemmerring, Samuel Thomas von: Abbildungen und Beschreibungen einiger Misgeburten,
die sich ehemals auf dem anatomischen Theater zu Cassel befanden. Mainz 1791.
Stratz, Carl Heinrich: Naturgeschichte des Menschen: Grundriss der somatischen
Anthropologie. Stuttgart 1904.
Unthan, Carl Hermann: Das Pediskript. Aufzeichnungen aus dem Leben eines Armlosen.
Stuttgart 1925.
Wunderlich, Karl Reinhold August: Handbuch der Pathologie und Therapie. 2. Aufl. 2 Bde.
Band 2. Stuttgart 1852.
Zuckmayer, Carl: Als wär’s ein Stück von mir. Horen der Freundschaft. Wien 1966.
Zuckmayer, Carl: Die Fastnachtsbeichte. Eine Erzählung. Frankfurt am Main 1959.
Sekundärliteratur
Adams, Rachel: Sideshow U.S.A: Freaks and the American cultural imagination. Chicago
2001.
Angell, Katherine: Joseph Merrick and the Concept of Monstrosity in Nineteenth Century
Medical Thought. In: Hosting the Monster. Hrsg. v. Holly Lynn Baumgartner/ Roger
Davis. Amsterdam/ New York 2008. S. 131-152.
Bachtin, Michael: Probleme der Poetik Dostoevskijs. München 1985 [1929].
Bauer, Thomas: Am Rande der Messe: Bettler, Diebe, Dirnen und Schausteller. In: Brücke
zwischen den Völkern – Zur Geschichte der Frankfurter Messe. 3 Bde. Band 2. Hrsg.
v. Patricia Stahl. Frankfurt a. M. 1991. S. 308-327.
Bäumer, Änne: NS-Biologie. Stuttgart 1990.
Becker, Peter: Der Verbrecher als ‚monstruoser Typus’. Zur kriminologischen Semiotik der
Jahrhundertwende. In: Der falsche Körper. Beiträge zu einer Geschichte der
Monstrositäten. Hrsg. v. Michael Hagner. Göttingen 1995. S. 147-173.
Benninghoff-Lühl, Sabine: Die Jagd nach dem Missing Link in den Verhandlungen der
Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte. In: Das Fremde.
Reiseerfahrungen, Schreibformen und kulturelles Wissen. Hrsg. v. Alexander Honold/
Klaus R. Scherpe. Bern 2000. S. 105-121.
Bischoff, Ulrich: Freaks, Abnormitäten, Schaustellerei. In: Zirkus – Circus – Cirque. Katalog
Nationalgalerie Berlin. Hrsg. v. Jörn Merkert. Frankfurt a. M. 1978. S. 178-193.
Blumberg, Mark S.: Freaks of Nature. What Anomalies tell us about Development and
138
Evolution. Oxford/ New York 2009.
Bogdan, Robert: Freak Show. Presenting Human Oddities for Amusement and Profit.
Chicago/ London 1988.
Bogdan, Robert: The Social Construction of “Freaks”. In. Freakery. Cultural Spectacles of
the Extraordinary Body. Hrsg. v. Rosemarie Garland-Thomson. New York/ London
1996. S. 23-37.
Bondeson, Jan: A Cabinet of Medical Curiosities. London 1997.
Bondeson, Jan: The two-headed boy and other medical marvels. New York 2004.
Breitenfellner, Kirstin: Physiognomie und Charakter. Die „Wissenschaft“ der Physiognomik
von Lavater bis zum Nationalsozialismus. In: Wie ein Monster entsteht. Zur
Konstruktion des anderen in Rassismus und Antisemitismus. Hrsg. v. Kirstin
Breitenfellner/ Charlotte Kohn-Ley. Bodenheim 1998. S. 56-76.
Bremer, Ernst/ Hildebrandt, Reiner: Stand und Aufgaben der deutschen
Dialektlexikographie. Beiträge zu der Marburger Tagung vom Oktober 1992. II.
Brüder-Grimm-Symposion zur Historischen Wortforschung. Hrsg. v. Ernst Bremer/
Reiner Hildebrandt. Berlin 1996.
Brittnacher, Hans Richard: Der böse Blick des Physiognomen. Lavaters Ästhetik der
Deformation. In: Der falsche Körper. Beiträge zu einer Geschichte der
Monstrositäten. Hrsg. v. Michael Hagner. Göttingen 1995. S. 127-146.
Chenoune, Farid: Dessous. Ein Jahrhundert Wäschekult. München 1999.
Cook, James W.: Of Men, Missing Links, and Nondescripts: The Strange Career of P.T.
Barnum’s “What is it?” Exhibition. In: Freakery. Cultural Spectacles of the
Extraordinary Body. Hrsg. v. Rosemarie Garland-Thomson. New York/ London
1996. S. 139-157.
Cook, James W.: The Arts of Deception. Playing with Fraud in the Age of Barnum.
Cambridge 2001.
Crais, Clifton C./ Scully, Pamela: Sara Baartman and the Hottentot Venus: A Ghost Story
and a Biography. New Jersey 2009.
Daston, Lorraine/ Park, Katharine: Wunder und die Ordnung der Natur 1150-1750.
Übersetzung nach Sebastian Wohlfeil/ Christa Krüger. Berlin 1998.
Dederich, Markus: Körper, Kultur und Behinderung. Eine Einführung in die Disability
Studies. Bielefeld 2007.
Dering, Florian: Das Oktoberfest. 175 Jahre bayerischer National-Rausch.
Jubiläumsausstellung im Münchner Stadtmuseum vom 25. Juli - 3. November 1985.
München 1985.
Dering, Florian: Volksbelustigungen. Eine bildreiche Kulturgeschichte von den Fahr-,
Belustigungs- und Geschicklichkeitsgeschäften der Schausteller vom 18. Jahrhundert
bis zur Gegenwart. Nördlingen 1986.
Dreesbach, Anne: Gezähmte Wilde. Die Zurschaustellung „exotischer“ Menschen in
139
Deutschland 1870-1940. Frankfurt/New York 2005
Enke, Ute: Schriften zur Embryologie und Teratologie. Samuel Thomas von Soemmerring:
Werke. Hrsg. v. Jost Benedum/ Werner Friedrich Kümel. Akademie der
Wissenschaften und der Literatur Mainz. Band 11. Basel, 2000.
Ewinkel, Irene: De monstris. Deutung und Funktion von Wundergeburten auf Flugblättern
im Deutschland des 16. Jahrhunderts. Tübingen 1995
Fiedler, Leslie: Freaks. Myths and Images of the Secret Self. New York 1978.
Fischer-Homberger, Esther: Krankheit Frau. Zur Geschichte der Einbildungen. Darmstadt/
Neuwied 1984.
Fretz, Eric: P.T. Barnum’s Theatrical Selfhood and the Nineteenth-Century Culture of
Exhibition. In: Freakery. Cultural Spectacles of the Extraordinary Body. Hrsg. v.
Rosemarie Garland-Thomson. New York/ London 1996. S. 97-107.
Geitner, Ursula: Klartext. Zur Physiognomik Johann Caspar Lavaters. In: Geschichten der
Physiognomik. Text, Bild, Wissen. Hrsg. v. Rüdiger Campe/ Manfred Schneider.
Freiburg im Breisgau 1996. S. 357-385.
Gerber, David A.: The „Careers” of People Exhibited in Freak Shows: The Problem of
Volition and Valorization. In: Freakery. Cultural Spectacles of the Extraordinary
Body. Hrsg. v. Rosemarie Garland-Thomson. New York/ London 1996. S. 38-54.
Gilman, Sander L.: Hottentottin und Prostituierte. Zu einer Ikonographie der sexualisierten
Frau. In: Rasse, Sexualität und Seuche. Stereotype aus der Innenwelt der westlichen
Kultur. Hrsg. v. Sander L. Gilman. Übersetzung nach Helmut Rohlfing/ Katharina
Gerstenberger/ Sabine Gölz/ Vera Pohland/ Catherine Gelbin. Hamburg 1992. S. 119154.
Gilman, Sander L.: Das männliche Stereotyp von der weiblichen Sexualität im Wiener Fin de
siècle. In: Rasse, Sexualität und Seuche. Stereotype aus der Innenwelt der westlichen
Kultur. Hrsg. v. Sander L. Gilman. Übersetzung nach Helmut Rohlfing/ Katharina
Gerstenberger/ Sabine Gölz/ Vera Pohland/ Catherine Gelbin. Hamburg 1992. S. 155180.
Glenister, T: W.: Fantasies, Facts and Foetuses. The interplay of fancy and reason in
teratology. In: Medical History. A Quarterly Journal devoted to the History and
Bibliography of Medicine and the related Sciences. Hg. von F. N. L. Poynter. Band 8,
London 1964. S. 15-30.
Grosz, Elizabeth: Intolerable Ambiguity: Freaks as/ at the Limit. In: Freakery. Cultural
Spectacles of the Extraordinary Body. Hrsg. v. Rosemarie Garland Thomson. New
York/ London 1996. S. 55-66.
Grumbach, Torsten: Studien zu Policey und Policeywissenschaft. Kurmainzer
Medicinalpolicey 1650-1803: Eine Darstellung entlang der landesherrlichen
Verordnungen. Frankfurt a. M., Johann Wolfgang Goethe-Univ., Diss., 2005.
Hacker, Jörg: Vom Kuriositätenkabinett zum wissenschaftlichen Museum: die Entwicklung
der Zoologischen Sammlung der Kieler Universität von 1665-1868. Hrsg. v.
Zoologisches Museum der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Krefeld 1984.
140
Hagner, Michael: Monstrositäten haben eine Geschichte. In: Der falsche Körper. Beiträge
zu einer Geschichte der Monstrositäten. Hrsg. von Michael Hagner. Göttingen 1995.
S. 7-20.
Hagner, Michael: Vom Naturalienkabinett zur Embryologie. Wandlungen des Monströsen
und die Ordnung des Lebens. In: Der falsche Körper. Beiträge zu einer Geschichte
der Monstrositäten. Hrsg. von Michael Hagner. Göttingen 1995. S. 73-107.
Hagner, Michael: Monstrositäten in gelehrten Räumen. In: Alexander Polzin, Abgetrieben.
Hrsg. v. Sander L. Gilman. Göttingen 1997. S. 11-30.
Hänel, Dagmar: Überlegungen zur Bedeutung des Monströsen. Zur Normalität des
gesunden Körpers und dem Umgang mit Normbrüchen. In: Körperlichkeit und Kultur
2005. geschichtliches, Normen, Methoden. Hrsg. v. Rainer Alsheimer/ Roland
Weibezahn. Bremen 2005. S. 59-76.
Härter, Karl: Policey und Strafjustiz in Kurmainz. Gesetzgebung, Normdurchsetzung und
Sozialkontrolle im frühneuzeitlichen Territorialstaat. Frankfurt a. M. 2005.
Helduser, Urte: Poetische „Missgeburten“ und die Ästhetik des Monströsen. In: Monströse
Ordnungen. Zur Typologie und Ästhetik des Anormalen. Hrsg. von Achim
Geisenhanslüke/ Georg Mein. Bielefeld 2009. S. 669-687.
Hepp, Andreas: Cultural Studies und Medienanalyse. Eine Einführung. 2. Aufl. Wiesbaden
2004.
Hoff, Peter/ Miram, Wolfgang/ Paul, Andreas (Hrsg.): Evolution. Materialien für den
Sekundarbereich II. Biologie. Hannover 2003.
Holländer, Eugen von: Wunder, Wundergeburt und Wundergestalt in Einblattdrucken des
fünfzehnten bis achtzehnten Jahrhunderts. Stuttgart 1921.
Irsigler, Franz: Markt- und Messeprivilegien auf Reichsgebiet im Mittelalter. In: Das Privileg
im europäischen Vergleich. 2 Bde. Band 2. Hrsg. v. Barbara Dölemeyer/ Heinz
Mohnhaupt. Frankfurt a. M. 1999. S. 189-214.
Kahn, Fitz: Das Versehen der Schwangeren in Volksglaube und Dichtung. Berlin 1912.
Karbe, Ariane: Wie aus großen Menschen Riesen werden – Zu den Inszenierungsstrategien
von Abnormitätenschauen. In: Zur Schau gestellt. Ritual und Spektakel im ländlichen
Raum. Hrsg. v. Karl-Heinz Ziessow. Cloppenburg 2003. S. 143-157.
Klunkert, Gabriele: Schaustellungen und Volksbelustigungen auf Leipziger Messen des 19.
Jahrhunderts. Eine wirtschafts- und sozialgeschichtliche Untersuchung. Chemnitz,
Technische Univ., Diss., 2008.
Köhler, Sigrid G./ Metzler, Jan Christian: Extraordinary Bodies. Figuren des Ab/Normen im
20. Jahrhundert. In: Sprach-Welten der Informationsgesellschaft: Perspektiven der
Philologie: Tag des wissenschaftlichen Nachwuchses der Universität Münster 2000.
Hrsg. v. Doerte Bischoff/ Joachim Frenk. Münster 2002. S. 117- 130.
Kunze, Jürgen/ Nippert, Irmgard: Genetik und Kunst. Angeborene Fehlbildungen in
verschiedenen Kulturepochen. Berlin 1986.
Lange, Britta: „Aechtes und Unächtes“. Zur Ökonomie des Abnormalen als Täuschung. In:
141
Der [im-]perfekte Mensch. Metamorphosen von Normalität und Abweichung. Hrsg.
v. Petra Lutz/ Thomas Macho/ Gisela Staupe/ Heike Zirden. Deutsches HygieneMuseum Dresden in Zusammenarbeit mit der Aktion Mensch. Berlin 2003. S. 214234.
Lange, Britta: Echt. Unecht. Lebensecht. Menschenbilder im Umlauf. Berlin, HumboldtUniv., Diss., 2005.
Lehmann, Alfred: Zwischen Schaubuden und Karussells. Ein Spaziergang über Jahrmärkte
und Volksfeste. Frankfurt am Main 1952.
Lesky, Erna: Die Zeugungs- und Vererbungslehren der Antike und ihre Nachwirken.
Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Geistes- und
Sozialwiss. Klasse, No. 19. Mainz 1950.
Lorenz, Maren: Leibhaftige Vergangenheit. Einführung in die Körpergeschichte. Tübingen
2000.
Lorenz, Maren: Von Normen, Formen und Gefühlen. Zur Wahrnehmung so genannter
‚Missgeburten’ im 17. und 18. Jahrhundert. In: MenschenFormen. Visualisierungen
des Humanen in der Neuzeit. Hrsg. v. Susanne Scholz/ Felix Holtschoppen.
Königstein 2007. S. 16-53.
Lutz, Petra u.a.: Einleitung der Herausgeber. In: Der [im-]perfekte Mensch. Metamorphosen
von Normalität und Abweichung. Hrsg. v. Petra Lutz/ Thomas Macho/ Gisela Staupe/
Heike Zirden. Deutsches Hygiene-Museum Dresden in Zusammenarbeit mit der
Aktion Mensch. Berlin 2003. S. 10-17.
Macho, Thomas: Zoologiken: Tierpark, Zirkus und Freakshow. In: Anthropometrie. Zur
Vorgeschichte des Menschen nach Maß. Hrsg. v. Gert Theile. München 2005. S. 155177.
Martin, Charles D.: The white African American body: a cultural and literary exploration.
New York 2002.
Mauriès, Patrick: Das Kuriositätenkabinett. Köln: Dumont 2002.
McKennon, Joe: A pictorial history of the American carnival. Sarasota 1972.
Mehl, Heinrich: „Frauenzimmer, ohne Arme gebohren…“. Zur Ausstellung behinderter
Menschen auf Jahrmärkten des 16.-19. Jahrhunderts. In: Kieler Blätter zur
Volkskunde 34, 2002. S. 38-69.
Merians, Linda Evi: Envisioning the worst: representations of "Hottentots" in early-modern
England. London 2001.
Moscoso, Javier: Vollkommene Monstren und unheilvolle Gestalten. Zur Naturalisierung
der Monstrosität im 18. Jahrhundert. In: Der falsche Körper. Beiträge zu einer
Geschichte der Monstrositäten. Hrsg. von Michael Hagner. Göttingen 1995. S. 56-72.
Mürner, Christian: Medien- und Kulturgeschichte behinderter Menschen. Sensationslust und
Selbstbestimmung. Weinheim/Basel/Berlin: Beltz Verlag, 2003.
Neumann, Josef N.: Der mißgebildete Mensch. Gesellschaftliche Verhaltensweisen und
142
moralische Bewertungen von der Antike bis zur frühen Neuzeit. In: Der falsche
Körper. Beiträge zu einer Geschichte der Monstrositäten. Hrsg. v. Michael Hagner.
Göttingen 1995. S. 21-44.
O’Connor, Erin: Raw Material. Producing Pathology in Victorian Culture. Durham 2000.
Oettermann, Stephan: “Der Leviathan vom Rhein”. Deutschlands erstes und einziges
Showboat. In: Programmbuch Nr. 25: Showboat. Staatstheater Darmstadt. Darmstadt
1985. S. 32-48.
Overthun, Rasmus: Das monströse und das Normale. Konstellatuionen einer Ästhetik des
Monströsen. In: In: Monströse Ordnungen. Zur Typologie und Ästhetik des
Anormalen. Hrsg. v. Achim Geisenhanslüke/ Georg Mein. Bielefeld 2009. S. 43-79.
Payer, Peter: Hungerkünstler in Wien. Zur Geschichte einer verschwundenen Attraktion.
Wien 2000.
Pellengahr, Astrid: Von der ‚programmierten’ zur ‚natürlichen’ Geburt. Zur kulturellen
Konstruktion von Geburtsvorstellungen und deren Wandel in der Gegenwart. In:
Natur – kultur. Volkskundliche Perspektiven auf Mensch und Umwelt. 32. Kongress
der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde in Halle vom 27.9. bis 1.10. 1999. Hrsg.
v. Rolf Wilhelm Brednich/ Anette Schneider/ Ute Werner. Münster 2001. S. 269-280.
Person, Jutta: Der pathographische Blick. Physiognomik, Atavismustheorien und Kulturkritik
1870-1930. Würzburg 2003.
Raven, Peter H./ Evert, Ray F./ Eichhorn, Susan E. (Hrsg.): Biologie der Pflanzen. Berlin
2006.
Ritzmann, Iris: Sorgenkinder. Kranke und Behinderte Mädchen und Jungen im 18.
Jahrhundert. Köln 2008.
Riedl-Dorn, Christa: Wissenschaft und Fabelwesen. Ein kritischer Versuch über Conrad
Gessner und Ulisse Aldrovandi. Wien, Univ., Diss., 1988.
Röcke, Werner: Die Zeichen göttlichen Zorns. Monster und Wunderzeichen in der Literatur
des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit. In: Literarisches Leben in Zwickau im
Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Vorträge eines Symposiums anläßlich des
500jährigen Jubiläums der Ratsschulbibliothek Zwickau am 17. und 18. Februar
1998. Hrsg. von Margarete Hubrath/ Rüdiger Krohn. Göppingen 2001.
Röcke, Werner: Zeitenwende und apokalyptische Ängste in der Literatur des Spätmittelalters.
In: Zeitschrift für Germanistik NF 1. 2000. S. 11-29.
Röcke, Werner: Befremdliche Vertrautheit. Inversionen des Eigenen und des Fremden in der
deutschen Literatur des 16. Jahrhunderts. In: Reisen über Grenzen. Kontakt und
Konfrontation, Maskerade und Mimikry. Münster 2003. S. 119-132.
Roth, Harriet: Die Bibliothek als Spiegel der Kunstkammer. In: Sammler – Bibliophile –
Exzentriker. Hrsg. v. Aleida Assmann/ Monika Gomille/ Gabriele Rippl. Tübingen
1998. S. 193-210.
Rothfels, Nigel: Aztecs, Aborigines, and Ape-People: Science and Freaks in Germany, 18501900. In: Freakery. Cultural Spectacles of the Extraordinary Body. Hrsg. v.
Rosemarie Garland-Thomson. New York/ London 1996. S.158-173.
143
Rothmann, Michael: Die Frankfurter Messen im Mittelalter. Frankfurt/ Main, Johann
Wolfgang Goethe-Univ., Diss., 1995.
Sauerhoff, Friedhelm: Pflanzennamen im Vergleich. Studien zur Benennungstheorie und
Etymologie. Stuttgart 2001. (=Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik: Beihefte;
H 113)
Scherpner, Christoph: Von Bürgern für Bürger. 125 Jahre Zoologischer Garten Frankfurt am
Main. Frankfurt am Main 1983.
Scheugl, Hans: Showfreaks & Monster. Sammlung Felix Adonos. Köln 1974.
Schlosser, Julius v.: Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance. Ein Beitrag zur
Geschichte des Sammelwesens. Leipzig 1908.
Schneidmüller, Bernd: Die Frankfurter Messen des Mittelalters – Wirtschaftliche
Entwicklung, herrschaftliche Privilegierung, regionale Konkurrenz. In: Brücke
zwischen den Völkern – Zur Geschichte der Frankfurter Messe. 3 Bde. Band 1:
Frankfurt im Messenetz Europas. Hrsg. v. Rainer Koch. Frankfurt a. M. S. 67-84.
Schoen, Paul: Das evangelische Kirchenrecht in Preußen. 2 Bde. Band 2. Berlin 1910.
Schumacher, Gert-Horst: Monster und Dämonen. Unfälle der Natur. Eine Kulturgeschichte.
Berlin, 1996.
Schwarz, Angela: Der Schlüssel zur modernen Welt: Wissenschaftspopularisierung in
Großbritannien und Deutschland im Übergang zur Moderne (ca. 1870-1914).
Stuttgart 1999.
Secreto, Jim: Larger than Life: Positively Fat. In: Freaks, Geeks, and Strange Girls. Hrsg. v.
Teddy Varndell/ Johnny Meah/ Jim Secreto. San Francisco 2004. S. 87-100.
Semonin, Paul: Monsters in the Marketplace: The Exhibition of Human Oddities in Early
Modern England. In: Freakery. Cultural Spectacles of the Extraordinary Body. Hrsg.
v. Rosemarie Garland Thomson. New York/ London 1996. S. 69-81.
Signor Saltarino ( d.i. Hermann Waldemar Otto ): Fahrend Volk. Abnormitäten , Kuriositäten
und interessante Vertreter der wandernden Künstlerwelt. Leipzig 1895.
Sonderegger, Albert: Missgeburten und Wundergestalten in Einblattdrucken und
Handzeichnungen des 16. Jahrhunderts. Aus der Wickiana der Zürcher
Zentralbibliothek. Medizinische Fakultät der Universität Zürich, Diss., 1927.
Spann, Meno: Franz Kafka’s Leopard. In: Germanic Review, Vol. XXXIV, Nr. 2, April
1959. S. 85-104.
Stechow, Elisabeth von: Erziehung zur Normalität. Eine Geschichte der Ordnung und
Normalisierung der Kindheit. Wiesbaden 2004.
Stevenson, Jack: Tod Brownings Freaks. München 1997.
Strasser, Peter: Die verspielte Aufklärung. Frankfurt a. M. 1986.
te Heesen, Anke/ Spary, E.C.: Sammeln als Wissen. In: Sammeln als Wissen. Das Sammeln
144
und seine wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung. Hg. von Anke te Heesen/ E.C.
Spary. Göttingen 2001. S. 7-21.
Tervooren, Anja: Körper- und Menschenbilder. In: Behinderte in Familie, Schule und
Gesellschaft. 5/ 2005. S. 50-59.
Thomann, Klaus-Dieter: Das behinderte Kind. “Krüppelfürsorge” und Orthopädie in
Deutschland 1886-1920. Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz.
Stuttgart; Jena; New York: G. Fischer, 1995.
Thomson, Rosemarie Garland: Introduction: From Wonder to Error – A Genealogy of Freak
Discourse in Modernity. In. Freakery. Cultural Spectacles of the Extraordinary Body.
Hrsg. v. Rosemarie Garland Thomson. New York/ London 1996. S. 1-22.
Thomson, Rosemarie Garland: Extraordinary bodies: figuring physical disability in
American culture and literature. New York 1997.
Thomson, Rosemarie Garland: Making Freaks. Visual Rhetorics and the Spectacle of Julia
Pastrana. In: Thinking the Limits of the Body. Hrsg. v. Jeffrey Jerome Cohen/ Gail
Weiss. Albany 2003.
Toggweiler, Michael: Kleine Phänomenologie der Monster. Arbeitsblatt Nr. 42, Institut für
Sozialanthropologie, Universität Bern. Bern 2008. URL: http://www.anthro.unibe.ch/
content/publikationen/arbeitsblaetter/arbeitsblatt_42/index_ger.html.
Wahl, Gisela: Zur Geschichte der ätiologischen Vorstellungen über die Entstehung von
Missgeburten. Düsseldorf, 1974.
Weber, Andreas: Behinderte und chronisch kranke Menschen – „Problemgruppen“ auf dem
Arbeitsmarkt? Universität Hamburg, Diss., 2002.
Weihe, Richard: Gesicht und Maske. Lavaters Charaktermessung. In: Anthropometrie.
Vermessung des Menschen von Lavater bis Avatar. Hrsg. von Gert Theile. München
2005. S. 35-65.
Weinhold, Ulrike: Die Renaissancefrau des Fin de siècle. Untersuchungen zum Frauenbild
der Jahrhundertwende am Beispiel von R. M. Rilkes Die weiße Fürstin und H. v.
Hofmannsthals Die Frau im Fenster. In: Aufsätze zu Literatur und Kunst der
Jahrhundertwende. Hrsg. v. Gerhard Kluge. Amsterdam 1984. S. 235-272.
Wördemann, Wilfried: Dessous und Moral. Zur Geschichte der weiblichen Unterwäsche im
Zweiten Deutschen Kaiserreich. In: Korsetts und Nylonstrümpfe. Hrsg. v. Uwe
Meiners. Oldenburg 1994. S. 9-20.
Würtz, Hans: Sieghafte Lebenskämpfer. München 1919.
Zürcher, Urs: Monster oder Laune der Natur. Medizin und die Lehre von den Missbildungen
1780-1914. Frankfurt/ New York 2004.
145
Quellen aus dem Internet
http://entertainment.timesonline.co.uk/tol/arts_and_entertainment/music/article6409751.ece,
1.11.2009, 18:54 Uhr.
http://news.bbc.co.uk/2/hi/entertainment/8077075.stm, 1.11.2009, 19.15 Uhr.
http://www.schaubuden.de, 13.09.2009, 13:07 Uhr.
146
6.
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abb. 1:
„Der russische Riese Pisjak“. Anzeige im Neuesten Mainzer
Anzeiger von 1898.
(Quelle: Neuester Mainzer Anzeiger, Nr. 181, vom 6. August 1898)………150
Abb. 2:
„Der lange Joseph“. Anzeige im Mainzer Anzeiger von 1917
(Quelle: Mainzer Anzeiger, Nr. 186, vom 11. August 1917, S. 6)………….150
Abb. 3:
Postkarte von der Riesin Sofia mit ihren Däumlingsmenschen um 1941.
(Quelle: Sammlung Nagel)……………………………………………….…151
Abb. 4:
Postkarte von Riesin Elfriede und Prinzessin Elisabeth um ca. 1920.
(Quelle: Sammlung Nagel)………………………………………………….152
Abb. 5:
„Zwergin“; Kupferstich von J. E. Nilson um 1775.
(Quelle: Stahl, Patricia: Brücke zwischen den Völkern - Zur Geschichte
der Frankfurter Messe. Band 3: Ausstellung zur Geschichte der
Frankfurter Messe. Frankfurt a. M. 1991. S. 328)…………………………..153
Abb. 6:
Kupferstich von zwei musizierenden Zwergen, Anfang 19. Jahrhundert.
(Quelle: Mehl, Heinrich: „Frauenzimmer, ohne Arme gebohren…“.
Zur Ausstellung behinderter Menschen auf Jahrmärkten des
16.-19. Jahrhunderts. In: Kieler Blätter zur Volkskunde 34, 2002. S. 53)….154
Abb. 7:
„Naturseltenheit“. Anzeige im Mainzer Anzeiger von 1855.
(Quelle: Mainzer Anzeiger, Nr. 186, vom 12. August 1855)……………….155
Abb. 8:
„Drei ostpreussische Kollossal-Geschwister“. Anzeige im
Mainzer Anzeiger von 1903.
(Quelle: Anzeige im Mainzer Anzeiger, Nr. 182, vom 7. August 1903)……155
Abb. 9:
„Theresia und Marista, die ungarischen Riesen-Kinder“.
Anzeige im Komet von 1902.
(Quelle: Der Komet, Nr. 905, vom 26. Juli 1902, S. 24)…………………...156
Abb. 10:
Postkarte von Teresina, „la plus grosse femme du monde“, um 1900.
(Quelle: Sammlung Knocke, Markt- und Schaustellermuseum Essen)…….157
Abb. 11:
Zeichnung eines parasitären Zwillings aus dem Tagebuch von
Jost Henrich Sprückmann von 1747.
(Quelle: ISG Frankfurt/ Main, Best. S5, Sign. 16,
Tagebuchaufzeichnungen von Jost Henrich Sprückmann)…………...…….158
Abb. 12:
Postkarte von Jean Libbera um 1905.
(Quelle: Sammlung Nagel)…………………………………….……………159
Abb. 13:
Ausschnitt aus einer Postkarte von Madmoiselle Feodora um 1901.
(Quelle: Sammlung Nagel)………………………………………………….160
147
Abb. 14:
Souvenirfoto der beiden „Azteken“ Bartola und Maximo um 1880 (?)
(Quelle: Rothfels, Nigel: Aztecs, Aborigines, and Ape-People: Science
and Freaks in Germany, 1850-1900. In: Freakery. Cultural Spectacles
of the Extraordinary Body. Hrsg. v. Rosemarie Garland-Thomson.
New York/ London 1996. S.161)……………………………………..…….161
Abb. 15:
Schaustellerzettel von Anna Maria Herrig. Holzschnitt, ca. 1782.
(Quelle: Ritzmann, Iris: Sorgenkinder. Kranke und Behinderte Mädchen
und Jungen im 18. Jahrhundert. Köln 2008. S. 148)………………..………162
Abb. 16:
„Krao, the missing link, half monkey, half woman“. Plakat des
Zoologischen Gartens zu Frankfurt, 1894.
(Quelle: Scherpner, Christoph: Von Bürgern für Bürger. 125 Jahre
Zoologischer Garten Frankfurt am Main. Frankfurt a. M. 1983. S. 60)……163
Abb. 17:
Fotographie von Krao in Hutchinsons The Living Races of Mankind (1901)
(Quelle: Hutchinson, Henry Neville u.a. (Hrsg): The Living Races of
Mankind. A Popular Illustrated Account of the Costums, Habits, Pursuits,
Feasts & Ceremonies of the Races of Mankind throughout the World.
Hrsg. v. K. M. Mittal. 2 Bde. Band 1. Delhi 1985. [London 1901]. S. ii).....164
Abb. 18:
„Der Knabe mit der Löwenmähne“. Postkarte um 1903.
(Quelle: Stadtarchiv Mainz)………………………………………...………165
Abb. 19:
„Lionel, der Löwenmensch, halb Mensch, halb Löwe“. Ausschnitt aus
einer Anzeige im Komet von 1908.
(Quelle: Der Komet, Nr. 1210, vom 30. Mai 1908. S. 47)………………….166
Abb. 20:
Annie Jones, die „Esau-Lady“.
(Quelle: Hr. [Max] Bartels stellt eine bärtige Dame, die Esau-Lady
Miss Annie Jones vor. Außerordentliche Sitzung vom 14. Februar 1891.
In: VBGAEU. Band 23. Berlin 1891. S. 244)……………………….……...167
Abb. 21:
Anzeige zu Hedwig Koschinski im Komet von 1911.
(Quelle: Der Komet, Nr. 1349, vom 28. Januar 1911. S. 33)…………….…167
Abb. 22:
„Das Mädchen aus der Steinzeit“. Postkarte um 1912 (?).
(Quelle: Sammlung Nagel)……………………………………..…………..168
Abb. 23:
„Joseph-Josephine“, Film still aus Freaks (Regie: Ted Browning,
MGM 1932).
(Quelle: Stevenson, Jack: Tod Brownings Freaks. München 1997. S. 40)....169
Abb. 24:
Postkarte zum „Andenken an Abalutta das Eisweib“ um 1920.
(Quelle: Sammlung Nagel)………………………………………………….170
Abb. 25:
Postkarte „Zur Erinnerung von der Jüngsten der Polarmenschen“, ca. 1920.
(Quelle: Sammlung Nagel)………………………………………………….171
Abb. 26:
„Lichtscheue Menschen“. Anzeige im Anzeige-Blatt der Kreis-Hauptstadt
Speyer von 1865.
(Quelle: Beilage zum Anzeige-Blatt der Kreis-Hauptstadt Speyer,
Nr. 129, vom 28. Oktober 1865)……………………………………………172
148
Abb. 27:
Gemälde von Maria Sabina in Buffons Naturgeschichte des Menschen.
(Quelle: Buffon, Georges Louis Le Clerc de u.a. (Hrsg.): Naturgeschichte
des Menschen. Berlin 1807. S. 405)…………………………………...……173
Abb. 28:
„Nobont, the Spottet Girl“. Anzeige im Komet von 1899.
(Quelle: Der Komet, Nr. 768, vom 9. Dezember 1899. S. 25)…………...…174
149
7.
ANHANG
Abbildung 1:
Anzeige im Neuesten Mainzer Anzeiger von 1898
Abbildung 2:
Anzeige im Mainzer Anzeiger
von 1917
150
Abbildung 3:
Postkarte um 1941
151
Abbildung 4:
Postkarte um ca. 1920
152
Abbildung 5:
„Zwergin“; Kupferstich von J. E. Nilson um 1775
153
Abbildung 6:
Kupferstich von Nanette Stocker und Jean Hauptmann,
Anfang 19. Jahrhundert
154
Abbildung 7:
Anzeige im Mainzer Anzeiger von 1855
Abbildung 8:
Anzeige im Mainzer Anzeiger von 1903
155
Abbildung 9:
Theresia und Marista, die ungarischen Riesen-Kinder“
Anzeige im Komet von 1902
156
Abbildung 10:
Postkarte von Teresina, „la plus grosse femme du monde“,
um 1900
157
Abbildung 11:
Zeichnung eines parasitären Zwillings aus dem Tagebuch von Jost
Henrich Sprückmann von 1747
158
Abbildung 12:
Postkarte von Jean Libbera mit seinem parasitären Zwilling, um 1905
159
Abbildung 13:
Ausschnitt aus einer Postkarte von Madmoiselle Feodora, um 1901
160
Abbildung 14:
Souvenirpostkarte der beiden „Azteken“ Bartola und Maximo, um
1880 (?)
161
Abbildung 15:
Schaustellerzettel von Anna Maria Herrig. Holzschnitt, ca. 1782
162
Abbildung 16:
Fotographie von Krao in Hutchinsons The Living Races of Mankind (1901)
163
Abbildung 17:
Plakat des Zoologischen Gartens zu Frankfurt, 1894
164
Abbildung 18: Postkarte um 1903
165
Abbildung 19:
Ausschnitt aus einer Anzeige im Komet von 1908
166
Abbildung 20: Annie Jones, die „Esau-Lady“
Abbildung 21: Anzeige im Komet von 1911
167
Abbildung 22: Postkarte um 1912 (?)
168
Abbildung 23: „Joseph-Josephine“, Film still aus Freaks (Regie: Tod Browning, MGM 1932)
169
Abbildung 24: Postkarte um 1920
170
Abbildung 25: Postarte um ca. 1920
171
Abbildung 26:
Anzeige im Anzeige-Blatt der Kreis-Hauptstadt Speyer von 1865
172
Abbildung 27:
Gemälde von Maria Sabina in Buffons Naturgeschichte des Menschen
173
Abbildung 28: Anzeige im Komet von 1899
174
Erklärung gemäß § 19 Abs. 5 der Ordnung für die Prüfung im lehramtsbezogenen Bachelorstudiengang an der Johannes Gutenberg‐Universität Mainz (POLBA), bzw. § 13 Abs. 2 und 3 der Ordnung im Zwei‐
Fächer‐ Bachelorstudiengang an der Johannes Gutenberg‐Universität Mainz (BAPO) Hiermit erkläre ich, _________________________________ (Matr.‐Nr.: ____________________), dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen oder Hilfsmittel (einschließlich elektronischer Medien und Online‐Quellen) benutzt habe. Mir ist bewusst, dass ein Täuschungsversuch oder ein Ordnungsverstoß vorliegt, wenn sich diese Erklärung als unwahr erweist. § 19 Absatz 3 und 4 POLBA/§ 20 Abs. 3 und 4 BAO gilt in diesem Fall entsprechend. ________________________________ Ort, Datum __________________________ Unterschrift Auszug aus § 19 POLBA: Versäumnis, Rücktritt, Täuschung, Ordnungsverstoß (3) Versucht die Kandidatin oder der Kandidat das Ergebnis einer Prüfung durch Täuschung oder Benutzung nicht zugelassener Hilfsmittel zu beeinflussen, gilt die betreffende Prüfungsleistung als mit „nicht ausreichend“ (5,0) absolviert (…) (4) Die Kandidatin oder der Kandidat kann innerhalb einer Frist von einem Monat verlangen, dass Entscheidun‐
gen nach Absatz 3 Satz 1 und 2 vom jeweils zuständigen Prüfungsausschuss überprüft werden. Belastende Ent‐
scheidungen sind der Kandidatin oder dem Kandidaten unverzüglich schriftlich mitzuteilen, zu begründen und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen. Der Kandidatin oder dem Kandidaten ist vor einer Entscheidung Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Auszug aus §20 BAO: Versäumnis, Rücktritt, Täuschung, Ordnungsverstoß (3) Versucht die Kandidatin oder der Kandidat das Ergebnis einer Prüfung durch Täuschung oder Benutzung nicht zugelassener Hilfsmittel zu beeinflussen, oder erweist sich eine Erklärung gemäß § 13 Absatz 2 Satz 5 als unwahr, gilt die betreffende Prüfungsleistung als mit „nicht ausreichend“ (5,0) absolviert (…) (4) Die Kandidatin oder der Kandidat kann innerhalb einer Frist von einem Monat verlangen, dass Entscheidun‐
gen nach Absatz 3 Satz 1 und 2 vom zuständigen Prüfungsausschuss überprüft werden. Belastende Entscheidun‐
gen sind der Kandidatin oder dem Kandidaten unverzüglich schriftlich mitzuteilen, zu begründen und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen. Der Kandidatin oder dem Kandidaten ist vor einer Entscheidung Gelegen‐
heit zur Äußerung zu geben.