„dann wolln wir des Vergangenen gedenken“1?

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„dann wolln wir des Vergangenen gedenken“1?
MT 25, 1-13
Ewigkeitssonntag 22.11.09
KAUFMANNSKIRCHE
AM
ANGER
Liebe Predigthörerinnen, liebe Predigthörer.
Was ist das, „dann wolln wir des Vergangenen gedenken“1?
Den Zusammenhang erforschen zwischen Schmerz und Vorstellungskraft. Zwischen Gedächtnis und Identität.
Trauer-Gesänge und Totenklage. Zwischen dem Stoff der Erinnerung und der Tätigkeit des Erinnerns.2
Wann beginnst du über das Alter, über die Restzukunft zu sprechen? Du willst es noch einmal versuchen alles
zum Abschluss zu bringen. Du willst noch einmal gebraucht werden, denn du hast viel zu bieten. Und am
Ende des Lebens, wo bleibt dein Platz? Platz auf einem abgelegten Ruderboot mit Blick über das Meer. Das
melancholische Abbild des Gestrandeten in seiner Geschichte.3
Das Fenster gibt den Blick frei nach Draußen. Auf die Vorbeieilenden. Auf alles Schemenhafte. Das Fenster
gibt den Blick frei und markiert das Draußen und Drinnen. Drinnen die Zwiegespräche zwischen Leben und
Tod. Die wundersame leichte Art und Weise nimmt das Schwebende dieses Zustandes auf. Im Raum kann
alles gesagt werden. keine Lüge. Kein Vorgeben von Größe, von Stärke. Geschäftsfrau, Schüler, Rentner,
Schwangere, Großmutter, Intellektuelle, Arbeiter, die Nonnen. Sie liegen nebeneinander. hier werden Witze
erzählt. Hier ist die Reinigung von Perücken wichtig. Die alten und die neuen Zeiten. Das Banale und das
Existenzielle. Gott, Verantwortung, Sinn, Hoffnung und Abschied. Am Ende ein Gang, durch den die Patienten
nach Draußen gehen. Wohin der Weg führt bleibt offen.4
Fragend: Wann ist niemand mehr da, der sich erinnert? Und was ist das,
„Doch willst du uns noch einmal Freude schenken
an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
dann wolln wir des Vergangenen gedenken,
und dann gehört dir unser Leben ganz.“5
Das DANN „mitten im Leben“, wo mitten im Leben der Tod ist. Das DANN nach dem Tod des Menschen. Das
DANN, wo alles Vergängliche Gleichnis wird. Das DANN im Gleichnis vom Himmelreich aus dem Bibelwort.
DANN: Das Himmelreich gleicht zehn Brautjungfrauen.
Und der Bräutigam lässt lange auf sich warten. So lange bis alle zehn Brautjungfrauen schläfrig wurden und
schliefen.
Um Mitternacht kommt der Bräutigam. Fünf Brautjungfrauen waren klug. Mit Lampen, mit Öl in Gefäßen.
Gingen mit dem Bräutigam hinein zur Hochzeit. Und die Tür wurde verschlossen.
Fünf Brautjungfrauen waren töricht. Mit Lampen, aber ohne Gefäße mit Öl. Als sie hingingen zu kaufen, kam
der Bräutigam. Und als sie später vom Kaufen kamen, kamen sie an die verschlossene Tür, hinter der die
Hochzeit gefeiert wurde, und sprachen: „Herr, Herr, tu uns auf!“ Der Bräutigam antwortet: „Wahrlich, ich sage
euch: Ich kenne euch nicht.“
Ohne Gefäße mit Öl. Bei aller Ermüdung. Denn es ist immer Trauer, die ermüdet. Nachtmüd. Herbstmüd.
Lebensmüd. Müd der Erinnerungen. Ausgebrannt. „Komm, o Tod, du Schlafes Bruder.“ Hoffnungslos.
Erwartungslos. Ohne erinnerte Hoffnung. Ohne Erwartung des Himmelreichs.
Bei aller Ermüdung. Bei aller Trauer. Aller Herbstmüdigkeit. Lebensmüdigkeit. Bei allem „Komm, o Tod, du
Schlafes Bruder“ voll Hoffnung. Voll Erwartung des Himmelreichs. „Gefäße mit Öl“ wie ein erinnernd singend
Herz:
„Gloria sei dir gesungen
mit Menschen- und mit Engelzungen,
mit Harfen und mit Zimbeln schön.
Von zwölf Perlen sind die Tore
an deiner Stadt; wir stehn im Chore
der Engel hoch um deinen Thron.
Kein Aug hat je gespürt,
kein Ohr hat mehr gehört
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Dietrich Bonhoeffer, Von guten Mächten wunderbar geborgen, Gefängnisgedichte 1944
The Genom Chronicles, John Akomfrah, Vereinigtes Königreich Großbritannien 2008
Jolly Old Farts, ManfredVainokivi, Estland 2009
Chemo, Pawel Lozinski, Polen 2009
Dietrich Bonhoeffer, ebd.
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solche Freude.
Des jauchzen wir und singen dir
das Halleluja für und für.“6
Bei aller „Mitternacht“ im Leben im Herzen Lieder der Erwartung des Himmelreichs, die in der Gemeinde des
gekreuzigten und auferweckten Christus gesungen werden.
Bei aller „Mitternacht“ im Leben voll der Kultur des Chorgesangs und des Musizierens der Erwartung des
Himmelreichs, die in der Gemeinde des gekreuzigten und auferweckten Christus erklingt. Was anmutend in
den Menschenherzen nachklingt. Trost der Hoffnung. Trost der Erwartung. Trost der geöffneten Tür, die
eintreten lässt.
Bei aller „Todes-(Mitter)-Nacht“ erinnern „Todsein heißt er lebt“7. Denn „Hoffnung macht nicht dick“, aber
„Hoffnung lässt nicht zuschanden werden“8. „O Jesu, liebster Freund ... Wer so stirbt, der stirbt wohl.“9 Mit
dieser Hoffnung lässt sich leben. Mit dieser Hoffnung lässt sich sterben.
Des Menschen Leben ohne Erwartung des Himmelreichs.
Das Herz, das mitten im Leben nicht betet: „Dein Reich
komme“. Menschen, die die Not des Lebens nicht gelehrt hat zu beten: „Dein Reich komme.“
Und des Menschen Leben voll erinnerter Erwartung des Himmelreichs. Das mitten im Leben betende Herz:
„Dein Reich komme.“ Menschen, die die Not des Lebens zu oft gelehrt hat zu beten: „Dein Reich komme.“
„Um Mitternacht aber erhob sich lautes Rufen: Siehe, der Bräutigam kommt!“ Die Schlussfolgerung wird nun
verständlich. Verständlich als Weisheit des christlichen Glaubens. „Darum wachet! Denn ihr wisst weder Tag
noch Stunde.“ Verständlich als eine Weisheit, die Hoffnung an ein Drinnen erinnert. Die das Erinnern
unterstreicht, wo sie vom Warten draußen vor der verschlossenen Tür spricht.
Verständlich wo das Reich der Lebendigen endet, da öffnet das Gebet „Dein Reich komme“.
Es ist die Glaubensweisheit der Frommen im Leben, die ruft: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen,
auf dass wir klug werden.“10 Erinnert: Lehre uns bedenken, dass das was ist nicht alles ist. Es ist das
Aufschlagen der Bibel und das Lesen, das Hoffnung lehrt. Es bleibt im Gleichnis das DANN, das Hoffnung
markiert.
Es geht um das Gespräch um den Tod. Nicht um den Tod an sich. Es geht um den Tod eines Menschen. Es
geht heute um den Tod eines Menschen, der mit uns gelebt hat. Geliebt, vertraut, geachtet. Erinnert.
Und es geht um uns, die wir nun mit seinem Tod leben. Es geht um unsere Erinnerungen. Und es geht um
uns, dass wir nicht nur leben können, sondern dass wir auch sterben können. Es geht um Lebenszeit. Die ist,
die war, die kommt. Es geht in der Lebenszeit um das Fragen: „Is mer wirklich erlöst, dort im Himmel?“11 Es
geht um Ermutigung des kummervollen ängstlichen Menschenherzen: „I wers schon tragn, nur nicht verzagn.
Wir teffen uns ja bald om im Himmel. Has mich verstandn?“12 Es geht um das
Schmunzeln des Herzens: „Habe die Ehre, dort im Himmel, dass mer uns dort treffen.“13 Und es geht nach der
Zeit um Ewigkeit: „Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des
Herrn, bis er kommt.“14 Heute hier im Gottesdienst. Bei der dunklen Entmutigung, die keinen Sinn stiftet, das
sinnstiftende DANN der leuchtenden Ermutigung. Erinnernd bei Brot und Kelch „Jesus sagt: ‚Ich werde von
nun an nicht mehr von diesem Gewächs des Weinstocks trinken bis an den Tag, an dem ich von neuem
davon trinken werde mit euch in meines Vaters Reich‘.“15 Zwischen der Erinnerung und der Tätigkeit des
Erinnerns bleibt „Darum wachet! Denn ihr wisst weder Tag noch Stunde.“
Der Friede Gottes bewahre unsere Herzen und Sinne und die Herzen und Sinne der Völker in Christus Jesus
unserem Herrn. Amen.
© Thomas M. Austel 2009
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Philipp Nicolai 1599, in »Freudenspiegel des ewigen Lebens«, innerlichen mystischen Frömmigkeit, geschrieben
nach der Pest in Unna, geb. 1556 in Mengeringhausen (Waldeck)1601 Hauptpastor an St. Katharinen in Hamburg; dort
gest. 1608. vgl. Offb 21,21
7
André Heller
8
Rö 5, 5
9
Paul Gerhard
10
Psalm 90
11
André Heller
12
ebd.
13
ebd.
14
1. Ko 11, 26
15
Matthäus 26, 29