sampling im zeitalter seiner absoluten verwendbarkeit

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sampling im zeitalter seiner absoluten verwendbarkeit
SAMPLING IM ZEITALTER
SEINER ABSOLUTEN
VERWENDBARKEIT
Medientheoretische Analyse von Audio-Sampling
und „Détournement“ im politischen Kontext.
Seminararbeit in Technologie- und Medientheorie 3
vorgelegt bei Prof. Dr. Robert Riesinger
an der FH-Joanneum/Graz
von Ursula Feuersinger
im Juni 2004
IND02
1
INHALT
INHALT.................................................................................................................................................................................2
EINLEITUNG ..........................................................................................................................................................................3
THEORETISCHER RAHMEN .......................................................................................................................................................4
BEGRIFFSDEFINITION ..................................................................................................................................................4
SAMPLINGKONZEPTIONEN ...........................................................................................................................................4
MEDIENTHEORIE NACH BENJAMIN .................................................................................................................................5
ANALYSE..............................................................................................................................................................................7
TEXT: THE GOOD, THE BAD AND THE DUBYA ....................................................................................................................7
TOLERANZ UND MENSCHLICHKEIT .................................................................................................................................8
GEGENÜBERSTELLUNG ...............................................................................................................................................9
ASPEKTE DES DÉTOURNEMENT ..................................................................................................................................11
RESUMÉ 12
LITERATUR | QUELLEN ..........................................................................................................................................................13
2
EINLEITUNG
Sampling ist eine der interessantesten medialen und künstlerischen Produktionsmethoden im 21. Jahrhundert. Praktiken
wie Multiplikation, Zitieren, Aneignung, Covern und Repetition kommen heute in den Produktionen der bildenden Kunst
und in der Musik zum Tragen. Wie in den fünfziger Jahren die elektro-akustische Musik das Modell für die Avantgarde
bildete, so auch heute die digitale Audiotechnologie für emanzipatorische Praktiken der Kunst. Sampling verwirklicht die
demokratischen Ansprüche der Moderne als Ästhetik der Materialität. (Vgl. Weibel 1999)
Der Titel “Sampling im Zeitalter seiner absoluten Verwendbarkeit“ will dieser enormen Bedeutung Rechnung tragen und
gleichzeitig auf Walter Benjamins Aufsatz über „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“
verweisen. Diese Seminararbeit hat zum Ziel, einen Teilbereich des großen Komplexes Sampling genauer zu
beleuchten: politisches Audiosampling und Détournement.
In einem theoretischen Rahmen werden zunächst Begriffe definiert, verschiedenen Konzepte von Sampling erklärt und
schließlich Walter Benjamins Verflechtungen zu Sampling aufgezeigt.
Im zweiten Teil dieser Arbeit werden zwei Beispiele von politischem Sampling evaluiert - Musikstücke , die sich durch
Reproduktion von ihrer Vorlage emanzipieren. Reden politischer „Player“ – vom Kärntner Landeshauptmann und
ehemaligen Parteivorsitzenden der Freiheitlichen Partei Österreichs - Jörg Haider und vom amtierenden Präsidenten der
Vereinigten Staaten von Amerika, George W. Bush, dienten als Vorlage für die Musikstücke.
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THEORETISCHER RAHMEN
BEGRIFFSDEFINITION
Sampling ist eine Aufnahmetechnik, bei der verschiedene Tonquellen wie z.B. Musikstücke, Alltagslärm, Kommentare
usw. mittels eines Mischpultes auf einem Tonband zusammengeführt und zu einem neuen Musikstück verarbeitet
werden [engl. sample: probieren, sammeln].(Vgl. Wicke et al.1997, 461)
Diese Definition von Sampling beschränkt sich auf den Audiobereich. Andere Quellen sprechen von einem Phänomen
des Sampling, das die Populärkultur durchdringt und vielfältige Anwendung findet – in der Musikindustrie als auch in der
bildenden Kunst, Computer-Art, Literatur, usw. (Vgl. Weibel 1999)
Diese Unklarheit eröffnet weite Spielräume. Eine Differenzierung zwischen Samples und „Originalen“ wird jedenfalls mit
steigender Professionalität, Perfektion und technologischem Fortschritt zunehmend schwieriger.
Ergänzend zum weiten Begriff des Sampling beschreibt der kunsthistorische Begriff „Détournement“ näher, was im
Bereich des politischen Audiosampling passiert.
Détournement bedeutet Zweckentfremdung, Entwendung, Umleitung, Verführung, Missbrauch, Abweichung,
Wiedereinsetzung. Es soll verleiten, verderben, verführen, ästhetische Artefakte aus ihren Zusammenhängen entfernen
und sie in neue selbstentworfene Zusammenhänge umleiten. "Es ist eine neue Art sozialer Sprache; eine
Kommunikation, die die Kritik ihrer selbst enthält; eine Technik, die nicht mystifizieren kann, da sie schon von der Form
her Entmystifizierung ist. Die Entwendung (Détournement) ist aber auch eine genaue Recherche aus Geschichte und
Soziologie, bewaffnet mit den Freiheiten der Poesie. (Vgl. http://www.geocities.com/wiederaneignung/si_einf3.htm)
SAMPLINGKONZEPTIONEN
Musik ist das Gegenteil von Zeit. Die Frequenzen, die einen Klang ausmachen, sind Ereignisse pro Zeiteinheit. Weil
Schall die Zeit auf diese Weise beansprucht, gibt es keine Methode, Musik in ihrem eigenen Medium überdauern zu
lassen. Das hieße ja, das Gegenteil von Zeit über die Zeit zu retten. Um ein Stück Schall zu wiederholen, braucht man
Tricks, die immer eine Verwandlung voraussetzen. Nur in einem Material, das von Zeit nicht angegriffen wird, kann
Musik gespeichert werden.
Sampling ist ein solcher Verwandlungstrick, der neueste Trick, wenn man so will. Ein Sample ist eine gespeicherte
Messreihe. Es misst die Druckunterschiede der Schallwellen, und zwar so oft, dass Ohren von der Messung selbst
nichts mehr hören. Gespeichert werden die Werte üblicherweise als Ziffern auf einer CD oder einer Festplatte. Bereits
ein Sample von 30 Sekunden Länge benötigt mehr Speicherplatz als alle Texte in dieser Seminararbeit.
Auf die Verfahren und Regeln, nach denen Musik gemacht, gelernt und gehört wird, haben Technologien der
Speicherung einen enormen Einfluss. (Vgl. Richard et al. 1998)
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Grundsätzlich können drei unterschiedliche Formen und Grade des Sampling unterschieden werden.
1. Geräusche und Klänge werden kopiert, um Originalinstrumente durch den Sampler zu ersetzen.
Diese Nutzung wird vor allem ökonomisch und weniger ästhetisch begründet. Der Realismus beschränkt sich in diesem
Fall auf den Simulationsversuch eines möglichst wirklichkeitsgetreuen Klangabbildes des Originals. Die fortschreitende
Perfektion des Sampling machte die Unterschiede zwischen Original und Reproduktion zum Teil nicht mehr
wahrnehmbar.
2. Sampler werden von Produzenten und Remixer verwendet.
Sampling lässt die Möglichkeiten des Produzenten deutlich anwachsen. Hier wird auch vom Mischpult als neuem
Instrument gesprochen. Die Rolle des Musikproduzenten wird mit der Rolle des Filmregisseurs verglichen: die
Toningenieure sind die Kameramänner, die Songs das zu inszenierende Stück. Sampling ist jedoch nicht zentrales
Kompositionselement.
3. Die entfesselte Nutzung der digitalen Klangspeicherung ist zentrales Kompositionselement.
Sampling wird damit zum ästhetischen Programm. Der „Diebstahl“ oder das „musikalische Zitat“ wird nicht nur als eine
Ästhetik, sonder auch als Politik verstanden. Die Do-it-yourself-Ideologie wurde teilweise als Wiedergeburt des PunkGeistes und dessen Politik gesehen. Andererseits tauchen hier Begriffe wie Desorientierung, Zerrüttung, Futurismus und
das „Ende des Liedes“ auf. Sampling wird ein haltloser Dekonstruktivismus vorgeworfen, der sich für Geschichtlichkeit
nicht sonderlich interessiert. Obwohl dem Sampling ständige ästhetische Innovationen zugeschrieben wurde, sahen
Kritiker in der Popularisierung der fortschrittlichen Cut-up und Bricolage-Technik auch eine Destabilisierung des Hörers,
seiner Werte und seiner Wahrnehmung. (Vgl. Poschardt 1997, 282-301)
MEDIENTHEORIE NACH BENJAMIN
„Das Kunstwerk ist immer reproduzierbar gewesen. Was Menschen gemacht hatten, das konnte immer von Menschen
nachgemacht werden. [...] Die technische Reproduktion ist dem gegenüber etwas Neues, das sich in der Geschichte mit
wachsender Intensität durchsetzt.[...]“ (Helmes/Köster 2002, 165)
Die digitale Technologie eroberte den traditionellen Klang – von Instrumenten, Gesang und Sprache – und behandelte
diesen als Quelle für die Erzeugung neuer Informationen.
Moderne technische Audio-Reproduktion funktioniert durch hochwertige Mikrophone, die den Schalldruck abnehmen.
Analog-Digital-Wandler nehmen den Klang und zersetzen ihn in eine punktartige Struktur von diskreten Informationen (in
Bytes). Der Klang wird in digitalen Gedächtnissen (Harddisk, Sampler, RAM-Chips usw.) gespeichert. Graphische
Software ermöglicht die Visualisierung der Klangstruktur bis zu ihrem kleinsten mikroskopischen Element, dem Sample.
(Vgl. Ungeheuer 2002, 191-192)
Mit dem Kunstwerk/Musikstück im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit ist jedoch etwas verloren gegangen –
etwas, das Walter Benjamin als Aura beschrieben hat. Die Aura definiert Benjamin als „einmalige Erscheinung einer
Ferne, so nah sie sein mag.“ Diese einmalige Erscheinung ist an das einmalige Kunstwerk gebunden, das als Original
im Hier und Jetzt erscheint: „Denn die Aura ist an sein Hier und Jetzt gebunden. Es gibt kein Abbild von ihr.“
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Mit der Reproduzierbarkeit, die Benjamin an der Fotografie und am Film hervorhebt, verschwindet diese Aura, um einem
gesellschaftlichen Anliegen Platz zu machen: der „Tendenz einer Überwindung des Einmaligen jeder Gegebenheit durch
die Aufnahme von deren Reproduktion.“ Die Reproduzierbarkeit hat ein Phänomen wie die Popularisierung von Kultur
gefördert und zugleich die Ideologie der Einmaligkeit und Einzigartigkeit perforiert. Dh die Reproduktion und
Reproduzierbarkeit ermöglichen eine Emanzipation von der Einmaligkeit und mit diesem Verlust der Einmaligkeit
eröffnet sich die Möglichkeit, das Abbild des Originals in Situationen zu bringen, die dem Original selbst nicht erreichbar
sind. (Vgl. Helmes/Köster 2002, 165-189)
Den RezipientInnen wird das Kunstwerk/Musikstück unter anderen Bedingungen entgegengebracht.
„In dem Augenblick aber, da der Maßstab der Echtheit an der Kunstproduktion versagt, hat sich auch die gesamte
soziale Funktion der Kunst umgewälzt. An die Stelle ihrer Fundierung aufs Ritual tritt ihre Fundierung auf eine andere
Praxis: nämlich ihre Fundierung auf Politik.“(Helmes/Köster 2002, 171)
Materialspeicherung und Montage
Das Jetzt von Klangereignissen konnte zu einem Hier umgewandelt werden, das jeglichen Raum darstellbar machte.
Erst als mit der Erfindung des Radios und des Films die Veränderungen der Umwelt unübersehbar wurden, erfolgte
auch theoretisch eine Auseinandersetzung mit der technisch möglich gewordenen Reproduktion der Wirklichkeit.
Bekannt wurde vor allem Walter Benjamins Schrift von 1936 "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen
Reproduzierbarkeit", eine Schrift, die den Verlust des Hier und Jetzt durch die positive Utopie einer allgegenwärtigen
Verfügbarkeit aufgehoben sieht. Benjamin hatte an neue zerstreute Formen der Wahrnehmung gedacht, die den
montierten Ansichten der Welt angemessen sind.
Speicherung, Reproduzierbarkeit und Montage wurden generell lange in einem engen Kontext gesehen. Die
künstlerische Technik, durch Montage mit den gespeicherten Objekten oder Klängen umzugehen, wurde direkt am Film
abgelesen, sie wurde jedoch auch durch die in der Malerei und Dichtung entwickelten Collageverfahren stimuliert. (Vgl.
Ungeheuer 2002)
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ANALYSE
Zwei Beispiele von politischem Sampling bilden das Ausgangsmaterial der folgenden Untersuchung. „The Good The
Bad and The Dubya“ beinhaltet Reden George W. Bush. „Toleranz und Menschlichkeit“ basiert auf Reden von Jörg
Haider. Sowohl das Album "Toleranz und Menschlichkeit", als auch die Bush-Samples fallen in die letzte Kategorie der
Samplingkonzeptionen, da Découpage zum zentralen Kompositionselement wird. Sie bedienen sich der Reden von
George W. Bush und Jörg Haider, zerstückeln sie, drehen ihnen das Wort im Mund um und koppeln die Fragmente an
andere Musikelemente. Im Sinne des Détournement entfremden sie die Reden und setzen sie in neue Kontexte.
Die beiden Beispiele stellen nicht den Anspruch, als „Prototypen“ repräsentativ für das Feld „politisches Sampling“ zu
stehen. Vielmehr dienen sie als Vorlage die medientheoretischen Aspekte von politischem Sampling zu beleuchten.
TEXT: THE GOOD, THE BAD AND THE DUBYA
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(Speaker:) Ladies and Gentlemen, the president of the United States George W. Bush.
(Affenkreischen)
(Bush:) Today the greatest danger on the war on terror is the United States of America.
It is not only repressing its own people, it is threatening people everywhere.
America remained by history and by choice the slaveholding society.
Its goal is, we make in the world one heart and one soul at a time.
As long as the United States of America is determined not to defend but to conquer, to plot evil and destruction
I will live and lead by this principles.
And by the mait(?) of the United States of America, set out to dominate the week and intimidate the world.
(Aus dem Off: You do and you will be the biggest mistake you ever made you Texas plinch popper(?))
We heart open for negotiation or discussion, we will not tire, we will not falter and we will not fail.
We found our mission and our mumm(?).
War with rape love, war never finishing, nature of terror, blackmail threats, violence, cruelty, politics, depression theory and mass murder.
Any world of chaos and custom alarm, no peace at all.
Americas gift to the world.
The American people bloat and fellow people, sure of the rightness of our course and confident of the victories to come.
We know that god is not neutral.
Responsible citizens and urgent to kill all Americans all across the world, including women and children.
We are enemies of freedom we are failures of love, set us free.
The American flag produces all the richness of life to a single destructive desire.
Austrialia and Africa, XX America, El Salvador, India, Iran, Mexico, Japan, Carribean, Afghanistan, Great Britain.
It could be me.
We bring justice, patient justice. Freedom, liberty, pain and poverty, progression, war goes on. American justice will be done.
And this is my soul in flinch the vulnerable will suffer first.
These problems will not be solved, seen god bless America.
Americas future is one of fear.
In the name of all: help wanted.
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TOLERANZ UND MENSCHLICHKEIT
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Toleranz und Menschlichkeit.
Toleranz und Menschlichkeit.
Toleranz und Menschlichkeit.
Freiheit und Demokratie.
Freiheit und Demokratie.
Toleranz und Menschlichkeit.
Toleranz und Menschlichkeit.
Toleranz und Menschlichkeit.
Freiheit und Demokratie.
Für eine gute Zukunft.
Für eine gute Zukunft.
Für eine gute Zukunft.
Für eine gute Zukunft braucht niemand seine Koffer zu packen.
Braucht niemand seine Heimat zu verlassen.
Freiheit und Demokratie.
Toleranz und Menschlichkeit.
Für eine gute Zukunft.
Das alte Staatsschiff Österreich.
Das alte Staatsschiff Österreich.
Das alte Staatsschiff Österreich
muss wieder seetauglich gemacht werden,
den Stürmen der kommenden Zeit zu trotzen.
Zweitens, drittens, erstens.
Zweitens, drittens, erstens.
Zweitens, drittens, erstens.
Das alte Staatsschiff Österreich muss wieder seetauglich gemacht werden.
Freiheit Toleranz Menschlichkeit.
Freiheit Toleranz Menschlichkeit.
Freiheit Toleranz Menschlichkeit.
Freiheit Toleranz Menschlichkeit.
Freiheit Demokratie
Toleranz und Menschlichkeit.
Sämtliche Eliten, die dieses Land braucht, sind gebildete, aufgeschlossene und kritische Menschen die nicht
Idiot... ideologische Bedenkenkrieger spielen.
Idiot... ideologische Bedenkenkrieger spielen.
Idiot... ideologische Bedenkenkrieger spielen.
Für eine gute Zukunft.
Für eine gute Zukunft.
Für eine gute Zukunft.
Wenn es notwendig ist, meine lieben Freunde, sind wir bereit
auf die Kommandobrücke zu treten.
8
Für eine gute Zukunft.
Für eine gute Zukunft.
Für eine gute Zukunft.
Für eine gute Zukunft.
Für eine gute Zukunft.
Für eine gute Zukunft.
Für für eine gute Zukunft.
Für für eine eine gute Zukunft.
Für für eine eine gute Zukunft (verschwimmt).
GEGENÜBERSTELLUNG
In der folgenden Übersicht findet sich ein grober Vergleich der beiden Musikstücke.
KRITERIEN
Dauer
Quelle / Kanäle
Autoren
THE GOOD, THE BAD AND THE DUBYA
TOLERANZ UND MENSCHLICHKEIT
2:48 Minuten
5:41 Minuten
„Anti-Bush“ Internetplattform
http://www.diymedia.net/collage/gwb-bestof.htm
Album Toleranz und Menschlichkeit (Musicpark)
auf 12“ (Vinyl)
Unbekannt, Pseudonym: „The Mentally Ill”
Tonmeister Guggi (Tirol)
konkretes Ausgangsmaterial
unbekannt
„Konstrukt“
1) Aussage(n) des Politikers (zB Pressekonferenz)
2) Mediale Filterung, Multiplikation (TV, Radio, Internet, Zeitung,...)
3) Digitale Speicherung, dann Détournement
4) Verbreitung (Internet/Vinyl)
„Personen“
Aufbau/Stilmittel
3
1
Ennio Morricones "The Good, the Bad, and the Ugly."
(WildWestern Sound, Pfeifen, Pferdewiehern,
Schüsse, stählerne Gitarre, Trompete, Männerchor)
minimalistischer elektronischer Sound > macht
Rhythmus und primärer SpannungsaufbauTräger
relativ gleiche Lautstärke
unterschiedliche Lautstärken der Stimme George W.
Bushs (Betonungen)
Sprecher am Beginn
Wiederholung von Phrasen/Satzteilen
Kreischen
Verzerrungseffekte gegen Ende hin
Bush, Applaus abwechselnd
kein „Verdrehen“ der Aussagen.
Sprecher aus dem Off
relativ linearer Aufbau
„Verdrehen“ der Aussagen
Nähe
(räumlich, politisch, kulturell)
international, globalpolitisch
national, innenpolitisch (Österreich, max.
Europa)
Auf den ersten Blick erscheint auffällig, dass die Dauer des zweiten Werks mehr als doppelt so lang ist, obwohl man aus
den Texten sehen kann, dass diese Länge hauptsächlich durch Wiederholung entsteht und nicht durch ein Mehr an
Inhalten.
9
Der Titel „Toleranz und Menschlichkeit“ ist auf dem gleichnamigen Album von Tonmeister Guggi unter dem Label
Musicpark als Vinylplatte erschienen. The Good, the Bad and the Dubya ist hingegen Teil einer umfangreichen
Sammlung an Bush-Samples, die im Internet abrufbar sind. Andere Veröffentlichungen sind nicht angegeben. Der
unbekannte Autor veröffentlichte das Werk unter dem Pseudonym „The Mentally Ill“ auf der Anti-Bush Plattform
Diymedia.
Die Autorenfrage sollte in der elektronischen Musik neu gestellt werden. Die Informationen kommen nämlich nicht von
einem mystischen Autor her, sonder aus einem kontinuierlichen Prozess von Dialogen, an dem Menschen mit
unterschiedlichen Aufgaben beteiligt sind.
Der Dialog setzt voraus, dass die beteiligten Menschen Apparate bedienen und ihre Möglichkeiten erforschen. Die
Apparate sind intelligente Werkzeuge oder künstliche Gedächtnisse, die programmiert sind, um Informationen zu
erzeugen oder zu speichern. Der Mensch bedient den Apparat, indem er mit ihm spielt.
Das Idealbild eines Musikers, bei dem Komponist, Interpret und Instrumentenbauer in einer Person vereint sind, ist kaum
noch anzutreffen. Vielmehr werden Mittler zwischen Musik und Technik gebraucht, wie Sampling- und
Sequencerspezialisten.(Vgl. Ungeheuer 2002)
Bei beiden Werken ist das originale Ausgangsmaterial nicht angegeben. Diese Vorgehensweise ist im Sampling nicht
untypisch, erschwert aber eine wissenschaftliche Analyse der Titel.
Im Bereich der Musikrezeption macht sich eine Flut von digitalisiertem Material bemerkbar, das sich aber hinsichtlich
seiner Ursprünge und somit hinsichtlich seiner Verlässlichkeit nicht oder nur schwer überprüfen lässt. Wie verändert sich
die Haltung des Rezipienten, wenn die Verbindung zum eigentlichen Objekt vollkommen gekappt ist? Kann in ortloses
Kunstwerk ähnlich wie ein reales rezipiert werden? (Vgl. Poschardt 1997)
Einerseits existiert die Meinung, dass Sampling umso interessanter ist, je schwieriger das Original erkennbar ist,
andererseits kann ein Original dank makelloser Reproduktion im neuen Kontext weiterleben. Beide Theorien benötigen
jedoch das Original zur Überprüfung und Analyse. (Vgl. Poschardt 1997)
Beide Stücke bedienen sich der klassischen Konstruktion von politischen Samples. Als Basis dienen die Reden eines
Politikers in den Medien. Die erste Abänderung passiert bereits in der medialen Filterung durch Kürzung und Selektion.
Das Sampling beginnt mit der digitalen Aufarbeitung der verfügbaren Daten und endet mit Reproduktion und
Détournement. Anschließend erfolgt die Verbreitung via Internet und/oder Tonträger.
Die musikalische Grundlage von The Mentally Ills Titel ist Ennio Morricones Soundtrack aus dem Film „The Good, the
Bad and the Ugly“. Übernommen wird sowohl der Wildwestern Sound, Pfeifen, Pferdewiehern, Schüsse, stählerne
Gitarre, Trompete und Männerchor, was sich auf Bushs Texanische Herkunft beziehen könnte, als auch der Titel, den er
für seine Zwecke verfremdet und Bushs Rede damit betitelt.
Im Gegensatz dazu arbeitet Guggi mit einem minimalistischen elektronischen Sound, dessen Rhythmus der primäre
Spannungsaufbau-Träger ist.
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Akustische Klänge im Sampling bedeuten eine Raum-Zeit-Erfahrung als Klänge der Natur oder als von Menschen
produzierte Klänge. Elektronische Klänge sind Abstraktionen, bevor sie als akustische Phänomene, als Raum-ZeitErfahrung wahrgenommen werden. Die Abstraktion ist ein symbolischer Akt und entsteht durch die Möglichkeit, Klänge
von Stimmen und Instrumenten elektromagnetisch zu reproduzieren. Die akustischen Klänge werden aus dem
natürlichen Kontext herausgerissen und ins Universale der ästhetischen Bedeutung projiziert. Akustische und
elektronische Klänge stellen die extremen Pole einer Dialektik dar, aus deren Zwischenbereichen sich ständig neue
künstlerische Ausdrucksfelder entwickeln. (Vgl. Ungeheuer 2002)
Von der Machart unterscheiden sich die beiden Stücke unter anderem durch unterschiedliche Lautstärken, Betonungen
und Anzahl der Stimmen. Während bei „The Good, the Bad and the Dubya“ mit drei Personen gearbeitet wird, wenn
auch Bushs Stimme am dominantesten ist, wird bei Guggi nur die Stimme von Haider verwendet. Durch das Sampling
des Materials, die stückweise Aufbereitung wird ein Effekt erzielt, der die ursprünglichen Betonungen entfremdet bzw.
verstärkt. Im Vergleich dazu vermittelt Guggi mit der einheitlichen Lautstärke der Stimme Haiders ein monotones Bild.
Nun zum Aufbau von „The Good, the Bad and the Dubya“:
Zu Beginn wird George W. Bush durch einen Sprecher angekündigt. Anstatt des normalen Applauses folgt ein Kreischen
von Affen. Anschließend folgt die verfremdete Rede Bushs, alternierend mit Applaus. Einmal wird Bush von einem
Sprecher aus dem Off unterbrochen und beschimpft. Wie zu erkennen ist, wurde darauf Wert gelegt, im Stück die
Struktur einer Rede beizubehalten.
Bei Guggis Stück wird wie schon erwähnt hauptsächlich mit Wiederholung von Phrasen und Satzteilen experimentiert,
was dem Refrain eines Lieds gleicht. Der Verzerrungseffekt am Ende könnte die inhaltliche Unhaltbarkeit der Aussagen
andeuten.
Die räumliche und kulturelle Nähe der Werke bezieht sich bei „The Good, the Bad and the Dubya“ auf das Verhältnis
USA und Welt. In „Toleranz und Menschlichkeit“ wird hingegen nur auf die sozialen Verhältnisse innerhalb Österreichs
eingegangen. Dh Guggis Welt ist national konstruiert und The Mentally Ills international.
ASPEKTE DES DÉTOURNEMENT
Die Zweckentfremdung ist ein kritischer Umgang mit der Geschichte. Man entfremdet etwas Geschichtliches, oft erstarrt
oder sinnentleert und wiederbelebt es in der Gegenwart.
Detournement ist die Verwendung von allgemeinen Objekten oder Bildern nicht in ihren üblichen kulturellen Kontexten
sondern Restituieren sie in einer unangemessenen und desorientierenden Art, um Gesellschaft mitsamt ihren Normen
zu konfrontieren oder herauszufordern.
So werden auch die Reden von Haider und Bush entfremdet und in einem anderen Kontext wieder verwertet. Wobei
trotz der eingesetzten Techniken, die Ausgangsbasis, die Reden, noch erkennbar bleiben. Während The Mentally lll mit
seinem Sampling die Rede Bushs eher ins Lächerliche, Absurde zieht, die Inhalte klar umkehrt und verfälscht, arbeitet
Guggi subtiler. Er erreicht beim Hörer viel mehr das Gefühl, dass Haiders Worte nur wenig politisch klar zuordenbare
Aussagekraft haben.
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Sätze wie „Für eine gute Zukunft“ haben nur noch wenig politisches Profil und könnte im Programm jeder Partei stehen.
Bushs Rede wird also durch die Reproduktion entfremdet und neukonstruiert, Haiders Rede hingegen eher destabilisiert
und transformiert.
Die Erleichterung des Détournement durch politischen Populismus
Anhand der obrigen Beispiele lässt sich gut zeigen, wie politischer Populismus für Sampling geeignet ist. Bush und
Haider greifen in ihren Reden zu plakativen, klaren, verständlichen Aussagen, um u.a. nicht missinterpretiert zu werden.
In der Medienberichterstattung passiert bereits die erste Änderung des Originals. Aussagen werden so verkürzt, gefiltert
und wiedergegeben, dass der ursprüngliche Kontext überspitzt formuliert wird.
Beim Sampling geht man mittels Détournement noch einen Schritt weiter, die Aussagen werden nicht nur übertrieben,
sondern ihre inhaltliche Bedeutung entfremdet. Je plakativer das Ursprungsmaterial ist, desto besser kann es für das
Sampling verwendet werden.
Die Ablösung vom Hier und Jetzt
Détournement bietet die Möglichkeit zur Ablösung vom Hier und Jetzt mit der Ablösung eines Klangereignisses von
seiner Schallquelle. Das Soundsampling impliziert letztendlich ein neues Verhältnis der Kunst zu einer fragmentierten
Realität.
Bei beiden oberen Reden wird durch die musikalische Unterlegung eine ganz andere Umgebung geschaffen.
Das Jetzt von Klangereignissen konnte zu einem Hier umgewandelt werden, das jeglichen Raum darstellbar machte.
Wie schon Benjamin in seiner Schrift von 1936 "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit"
schreibt, können durch neue zerstreute Formen der Wahrnehmung die Ansichten der Welt demoniert werden und der
Verlust des Hier und Jetzt durch die positive Utopie einer allgegenwärtigen Verfügbarkeit aufgehoben sein.
Die Veränderungen der Umwelt mit der technisch möglich gewordenen Reproduktion der Wirklichkeit bietet eine
interessante theoretische Auseinandersetzung.
RESUMÉ
Sampling und Détournement bieten vielfältige Möglichkeiten einer kritischen Auseinandersetzung mit der heutigen Kultur
und Politik. Mit verschiedenen Methoden können unterschiedliche Effekte für die Entfremdung eingesetzt werden.
Politischer Populisumus kann durch die Technik des Samplings ins „Kreutzverhör“ genommen werden und eine kritische
Auseinandersetzung auf musikalischer Ebenen kann stattfinden.
Es stellt sich nur die Frage, ob die angewandten Methoden von The Mentally Ill und Tonmeister Guggi genug weit
reichen und sich qualitativ vom Original abheben.
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LITERATUR | QUELLEN
>
Wicke: Wicke, Peter/Ziegenrücker, Wieland/Ziegenrücker, Kai-Erik (1997): Handbuch der populären Musik
Mainz: Schott Musik International GmbH & Co KG
>
Ungeheuer, Elena (2002): Elektroakustische Musik - Handbuch der Musik im 20. Jahrhundert, Band 5
Laaber: Laaber-Verlag
>
Poschardt, Ulf (1997): DJ Culture - Diskjockeys und Popkultur.
Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH
>
Richard: Richard, Birgit/Klanten, Robert/Heidenreich, Stefan (1998): Icons - Localizer 1.3
Berlin: dgv - Die Gestalten Verlag GmbH
(Zitat aus: De la Motte, Helga: Soundsampling)
>
Weibel, Peter (1999): Kunst ohne Unikat - Multiple und Sampling als Medium: Techno-Transformationen der Kunst.
Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König
>
Helmes, Günther/Köster, Werner (2002): Texte zur Medientheorie
Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co.
>
http://www.diymedia.net/collage/gwb-bestof.htm (28.6.2004): Best of George W. Bush
>
http://www.geocities.com/wiederaneignung/si_einf3.htm (28.6.2004): Détournement
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