„Ich habe Gott nicht mehr gespürt“
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„Ich habe Gott nicht mehr gespürt“
026 „Ich habe Gott nicht mehr gespürt“ TEXT Lu Yen Roloff FOTOS Four Music MUSIC INTERVIEW 027 GENTLEMAN IST UNBESTRITTEN DAS WAHRE ORIGINAL DER DEUTSCHEN REGGAE-SZENE. 15 JAHRE NACH SEINEM ERSTEN JAMAIKA-TRIP ERKLÄRT ER SEINEN PERSÖNLICHEN JAH-GLAUBEN UND SPRICHT ÜBER STUMPFEN SCHWULENHASS, DIE GRENZENLOSIGKEIT VON MUSIK UND SEINE FAMILIENANGELEGENHEITEN. IQ Style: Du hast gerade dein neues Album auf Jamaika aufgenommen – wo du ja auch schon seit vielen Jahren arbeitest. Fühlst du dich dort inzwischen so richtig zu Hause? Gentle- Ich habe immer mehr das Gefühl, dass die Grenzen zwischen man Jamaika und Deutschland verschwimmen. In beiden Ländern (GM): gehe ich ins Studio, treffe Leute, die Reggae machen, gehe mit der Band in den Proberaum und spiele live. Ich lebe in einer Welt der Musik, die unabhängig davon ist, in welchem Land ich mich gerade befinde. Überall sind andere Musiker, geht es um Musik. Das merke ich übrigens auch, wenn ich auf Tour bin. Flughäfen und Backstage-Räume sehen überall gleich aus. IQ Style: Deine aktuelle Single „Different Places“ handelt von der Offenheit gegenüber anderen Kulturen und Menschen. Wer lange im Ausland lebt, bekommt auch einen anderen Blick auf seine eigene Kultur und Gesellschaft. War das bei dir auch so? GM: Reisen war für meine ganze Entwicklung und mein spirituelles Wachstum total wichtig, es gibt einem eine andere Art der Objektivität. Früher habe ich mich in Deutschland oft eingeengt und ängstlich gefühlt. Da bin ich dann jedes Mal nach einer Tour in ein Loch gefallen. Wenn du etwa in Gambia warst und hier dann MTV anmachst, wirst du wahnsinnig. Was die Kids für Werte haben! Die Verteilung auf der Welt ist so krank. Und das deutsche Sicherheitsdenken und die Freiheit, die wir dafür zu opfern bereit sind. Hier vermisse ich im Moment das Leben, die Gespräche auf der Straße etwa – das findet in anderen Kulturen viel mehr statt. IQ Style: Und wie fühlst du dich sonst heute in Deutschland? GM: Heute fühl’ ich mich hier eigentlich total wohl. Das System ist der Knaller! Und gerade wächst eine Generation heran, die total viel Potenzial hat. Uns geht’s hier echt gut. Es ist schon hart, wenn ich in Jamaika mit Leuten zu tun habe, die nicht wissen, was abends auf den Tisch kommt. Jamaika ist nicht dieses SunshineLand, für das es alle halten. Es gibt viel Kriminalität, Korruption und Gewalt. Man bekommt da Schnellfeuerwaffen im Handel und bei Wahlen gibt es bürgerkriegsähnliche Zustände. Vieles stört mich auch persönlich: der krasse Sexismus etwa – und die Schwulenfeindlichkeit. IQ Style: Du hast ja schon mit vielen großen jamaikanischen Reggae-Stars Musik gemacht, deren Texte oft extrem schwulenfeindlich oder gewaltverherrlichend sind. Diskutiert ihr über diese Themen? GM: Na ja, nimm zum Beispiel Bounty Killer. Seine Hauptthemen sind Knarren, Frauen und Autos. Der ist in einer extrem trostlosen Gegend von Kingston groß geworden, seine Geschwister sind vor seinen Augen erschossen worden. Da ist es doch klar, dass man dem nicht mit „Ey, warum klingst du denn immer so negativ?“ kommen kann. Und wo kämen wir denn hin, wenn wir nur mit Leuten zusammenwären, die genau die gleiche Einstellung haben wie wir selbst? Es geht ja darum, eine gemeinsame Ebene finden. Die finde ich in der Musik und in der Art, wie ich meinen Glauben lebe. IQ Style: GM: Aber du hast diese Diskussionen doch schon gesucht, oder? Ja, aber du kommst da nicht weiter. Da knallen schon zwei Kulturen aufeinander. Du hörst irgendwann genervt auf, weil es zum Thema Schwulenhass am Ende immer heißt: „It’s in the bible, man! It’s Adam and Eve, not Adam and Steve.“ Andererseits gibt es solche Mechanismen in jeder Gesellschaft. Ich find’s bescheuert, wenn jamaikanische Künstler wegen Protesten der Schwulenverbände von Festivals ausgeladen werden, wenn hier HipHopper in ihren Texten Frauen vergewaltigen und dafür von der „Bild“ und MTV gepusht werden. Da stimmt für mich was nicht. IQ Style: Auf dem legendären „Sting Festival“ 2003 auf Jamaika bist du für deine Friedensbotschaft auch schon mal übel mit Flaschen beworfen worden. Ja, das war eine schöne Erfahrung. Beim ersten Song waren 30.000 Feuerzeuge in der Luft, alle haben den Chorus mitgesungen und ich dachte: „Komm, jetzt geh’ ich richtig ab.“ Und meinte: „Wieso singt ihr so viel über wickedness? Singt doch mehr über righteousness. Was ist mit eurer ganzen Liebe?“ Da flog die erste Flasche. Und dann noch weitere. GM: IQ Style: GM: Das heißt, da bist du mit deiner Völkerverständigung gescheitert? Das Schöne war, dass ich mich in dem Moment total akzeptiert gefühlt habe. Ich war da nicht mehr der Typ aus Germany, den man aus Höflichkeit nicht mit Flaschen bewerfen darf. Die gleichen Leute waren übrigens auch zwei Wochen später beim „Rebel Salute“ und haben wieder gejubelt. IQ Style: GM: Deine neuen Lyrics sind wieder sehr spirituell gehalten. Wegen der positiven Texte habe ich mich in die Musik verliebt. Vor allem denke ich aber, dass ich mit meinen Texten eine Verantwortung habe. Mein Sohn ist jetzt sechs und fragt mich schon: „Papa, was singst du denn da?“ Ich versuche, eher meine Positivität als meine Negativität in meiner Musik unterzubringen. Einzelne Wahrheiten, die mir guttun. Aber auch meine Angst vor der Ignoranz der Menschen, meine Liebe zu meiner Frau und zu meinen Kindern. Sachen zu hinterfragen und kritisch zu sein, das ist für mich Reggae. Und nicht Minderheiten zu dissen und über Geld und Sex zu singen. IQ Style: Die Song-Titel „Hosanna“ und „Mount Zion“ stammen sogar aus der Bibel. Wie verwendest du sie? Stimmt, die kommen aus dem Alten Testament. Aber ich bin da näher an den Jamaikanern. Das sind ja sehr bibelfeste Leute, und viele Begriffe sind in den Alltagsgebrauch übergegangen. „Mount Zion“ ist für die Rastas beispielsweise ein paradiesischer Zustand, totale Zufriedenheit und Gelassenheit, aber eben auf Erden. Und wenn das Essen gut ist, heißt es: „Ah, you gonna eat the food, you feel like Mount Zion.“ GM: Auf und ab 028 IQ Style: GM: Der Kölner Gentleman war der Erste, der dem deutschen Mainstream den Reggae nahebrachte. Du bist bekanntermaßen sehr gläubig. Wer hat dich mehr beeinflusst: dein Vater oder die Rasta-Religion? Als Pastorensohn hab’ ich viel vom Christentum mitgekriegt. Mit der Kirche bin ich aber irgendwann nicht mehr weitergekommen, weil ich Gott nicht mehr spüren konnte, da war es kalt und ich durfte nicht lachen. Und bei den Rastas habe ich die guten Sachen, die Nächstenliebe und die positiven Lyrics auf einmal wiedergefunden und mich wohlgefühlt. Mein Gott gehört eigentlich auch keiner Religion an, für mich ist er Energie, ein Gefühl und ein Spirit. Ich glaube halt an das Gute im Menschen, das ist für mich das Göttliche. Und diese Wahrheit kann ich in Musik packen und mit den Leuten teilen. 1992 1999 2000 2002 2004 2006 2007 1992 Tilmann Otto alias Gentleman reist als abenteuerlustiger Jugendlicher zum ersten Mal in seinem Leben nach Jamaika. 1999 Nach einer Kollabo mit Freundeskreis („Tabula Rasa“) und Auftritten bei Festivals erscheint Gentlemans Debüt „Trodin’ On“ auf Four Music. 2000 Gentlemans Sohn Samuel wird geboren. „Nichts hat sich verändert, IQ Style: GM: Du hast seit langem davon geträumt, einen Track mit Sizzla zu produzieren. Jetzt ist der Traum wahrgeworden. Ja, ich bin echt ein Fan, das sage ich normalerweise ungern. Sizzla habe ich schon mal vor sechs Jahren angehauen, ob er einen Song mit mir machen möchte. Er hat mich nur wortlos angeschaut und ist weitergegangen. Er gilt halt auch als der Unnahbare, das grimmige Genie. Aber weil wir die gleiche Backband, die Firehouse Crew, benutzen, haben wir uns öfter gesehen. Auf einem gemeinsamen Konzert in Miami saß er auf einmal in meinem Container – mit seiner arroganten Art, hat aus meinem Kühlschrank getrunken und fünf Journalisten Interviews gegeben. Und ich war schon so: Jetzt geh’ mal in deinen Wagen! Plötzlich hat er alle anderen rausgeschmissen. Ich habe ihn dann als einen Menschen kennengelernt, aber alles ist intensiver geworden“, resümiert der Musiker. 2002 Für „Journey to Jah“ erhält er den deutschen Musikpreis „Echo“. Das Album bekommt Gold und wird rund 220.000 Mal verkauft. 2004 „Confidence“ wird veröffentlicht und steigt sofort auf Platz 1 in den deutschen Charts ein. In New York City wird er bei den „Martin Awards“ als „Best New Reggae Artist“ nominiert. 2006 Nach zweieinhalb Jahren auf Tour fühlt sich Gentleman ausgebrannt und zieht sich für einige Monate ins jamaikanische Port Antonio zurück. Er verbringt dort viel Zeit mit dem Reggae-Musiker Jack Radics. 2007 Gentlemans neues Album „Another Intensity“ erscheint diesen Monat. Es stehen Einladungen für Konzerte aus aller Welt an. H C S T QUA DICH LEER! * Voraussetzung ist die Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses. Mindestalter 18 Jahre, Höchstalter 25 Jahre. Nach Ablauf der Mindestlaufzeit des Vertrages und nicht wiederholter Berechtigungsprüfung wird der monatliche 24 Monaten. Einmaliger Bereitstellungspreis 25,– €. Im monatlichen Grundpreis von 25,– € bzw. 34,– € im Tarif Max Friends mit Handy sind alle netzinternen Gespräche und Gespräche ins deutsche Festnetz sowie netzinterne SMS enthalten. In Service- und Sonderrufnummern. MUSIC INTERVIEW 029 der bescheiden, schlau und tolerant ist. Und er meinte überraschend: „Komm mal in meinem Studio vorbei.“ So ist der Song entstanden. IQ Style: GM: THE ARTIST FORMERLY KNOWN AS MR. GENTLEMAN. Heute verzichtet Tilmann Otto auf die förmliche Anrede. Im Jahr 1999 ist dein erstes Album in Deutschland erschienen. Freut es dich da nicht auch, dass die Reggae-Szene inzwischen aus der deutschen Musiklandschaft nicht mehr wegzudenken ist? Im Vergleich mit R&B oder HipHop ist Reggae, abgesehen von dem einen oder anderen Charts-Song, immer noch ein Nischending. Stars wie Luciano oder Sizzla verkaufen in Deutschland nicht viele Platten. Andererseits gibt’s eine gesunde Struktur, immer bessere Produzenten und viele Künstler, die ich richtig gut finde: Mono & Nikitaman, Nosliw oder Jahcoustix. Aber der Hype, von dem alle sprechen, den gibt es so nicht. IQ Style: GM: Also zielst du mehr auf den internationalen Markt ab. Ja, vor allen Dingen das Reisen hat mittlerweile schon ganz andere Ausmaße angenommen. IQ Style: GM: Und wie bringst du das mit deiner Familie in Einklang? Meine Frau Tamika singt ja bei mir in der Background-Band und ist deswegen logischerweise immer mit auf Tour. Meine Kinder leben bei meiner Ex-Freundin in Köln. Wenn ich toure, versuche ich, möglichst viel zu pausieren, um sie zu besuchen. Mein Sohn geht hier zur Schule – und davon möchte ich natürlich auch möglichst viel mitbekommen. n Max Friends hole und monatlich * 10,– €n! Rabatt abgreife Endlos telefonieren mit Max Friends. Du bist unter 25 Jahre? Dann kannst Du jetzt für nur 25,– €* monatlich (statt 35,– €/Monat) quatschen ohne Ende. Kostenlos ins gesamte T-Mobile Netz und ins deutsche Festnetz! Und: Für SMS ins T-Mobile Netz zahlst Du natürlich auch nix. 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