Nr. 167, Juli-Sept. 2012 - Albrecht-Bengel-Haus

Transcrição

Nr. 167, Juli-Sept. 2012 - Albrecht-Bengel-Haus
No.167: Juli – September 2012
TO
Beten
THEOLOGISCHE
ORIENTIERUNG
: Unsortierte Gedanken zum Vaterunser
: Wofür beten wir eigentlich?
: Mit den Psalmen beten, mit den Psalmen leben
: Wenn Gott unser Gebet nicht erhört
: Beter fallen nicht vom Himmel
: Das Gebet in den Religionen
: Die dankbare Ergebung in Gottes Willen
: Anregungen für die Gestaltung
und das Bittgebet
des Gebetslebens
editorial
Liebe Freunde des Albrecht-Bengel-Hauses,
12
Beter fallen nicht vom Himmel
24
Wie beten wir im Gottesdienst?
inhalt
Biblische Besinnung
7
Unsortierte Gedanken zum Vaterunser (Matthäus 6,9-13)
D r. C l e m e n s H ä g e l e
Them a: Beten
9
12
15
17
19
21
24
26
28
29
Mit den Psalmen beten, mit den Psalmen leben
D r. U w e R e c h b e r g e r
Beter fallen nicht vom Himmel
Von der Schwierigkeit und der Übung des Gebets
D r. R o l f S o n s
Die dankbare Ergebung in Gottes Willen und das Bittgebet
D r. C l e m e n s H ä g e l e
Wofür beten wir eigentlich?
Von der Kunst, Spannungen auszuhalten
M ar k us Weimer
Wenn Gott unser Gebet nicht erhört
Nicole Mutschler
Beten wie die Heiden. Das Gebet in den Religionen
D r. P a u l M u r d o c h
Wie beten wir im Gottesdienst?
D r. R o l f S o n s
Anregungen für die Gestaltung des Gebetslebens
Nicole Mutschler
Beten heißt für mich…
Simon Blatz
Was das Gebet eines Kindes vermag
D r. P a u l M u r d o c h ( Ü b e r s e t z u n g )
28
32
Die Mission des Gebets für die Mission
Der ABH-Missionsgebetskreis stellt sich vor
D o m i n i k F r a n k , S r. A n n e R e n t s c h l e r,
Rosalie Baumann
Herzliche Einladung
zum TurmTreff 2013
zum Bengelhaus-Café
zur ABH-Gemeindeakademie
IMPRESSUM
Herausgegeben von Dr. Rolf Sons im Auftrag des Vereins
Albrecht-Bengel-Haus e.V.
Redaktion: Dr. Uwe Rechberger
Ludwig-Krapf-Str. 5, 72072 Tübingen
Telefon 07071/7005-0 Fax 07071/7005-40
brauchen wir überhaupt eine TO zum
„Gebet“? Diese Gedanken begleiten
mich beim Verfassen dieses Editorials.
Gibt es nicht schon zu viele gute Bücher,
Seminare und theologische Abhandlungen zu diesem wichtigen Thema?
Findet sich in unseren Bücherregalen
nicht schon genügend Hilfreiches zum
Gebet? Sollten wir uns daher nicht viel
eher an den Rat eines geistlichen Vaters
halten, der gesagt hat „weniger von den
Büchern abhängen, mehr beten“?
Tatsächlich kann man über das Gebet
wie über jedes andere theologische
Thema auch Vieles lesen, nachdenken
und sogar darüber streiten. Dies hat sein
Recht und angesichts vieler Fragen, die
mit dem Gebet zusammenhängen, auch
seine Notwendigkeit. Gleichzeitig soll
uns dieses Nachdenken über das Gebet
zum Gebet selbst hinführen. Oder um es
mit Karl Barth zu sagen: „Der erste und
grundlegende Akt theologischer Arbeit,
der dann in der Art eines anhaltenden
Grundtons auch in den folgenden weitergehen wird, ist das Gebet.“ Barth hat
völlig richtig erkannt: Das Gebet ist das
Erste und Ursprüngliche. Es geht allem
Nachdenken, Forschen und allem Reden
über die großen und bedeutenden
Dinge des Glaubens voraus. Beten heißt:
Wir reden nicht über Gott, sondern zu
ihm als unserem Vater. Ohne das Gebet
fehlt unserem Denken die frische Luft.
Es fehlt das Licht von oben. Ohne das
Gebet bleiben wir bei uns und kreisen
um uns selbst.
Wir können an dieser Stelle sehr viel
von unseren orthodoxen Glaubensgeschwistern lernen. Eine unserer Studentinnen aus Weißrussland begann einen
Vortrag mit einem tiefgehenden Gebet
aus dem Schatz ihrer Kirche. Sie begründete dies damit, dass es an den theologischen Fakultäten ihres Landes üblich
sei, so zu beginnen. Wir wollen es in
unserem Lehren und Studieren hier im
Haus und anderswo genauso halten. Ich
bin mir sicher, dass das Gebet unserem
beruflichen oder gemeindlichen Arbeiten eine neue Richtung verleihen kann.
Es öffnet unser Arbeiten nach oben.
Gott kann seinen Segen hineinlegen.
Die vorliegende TO soll uns ein
Anstoß sein, vom Nachdenken über
das Gebet zur Erneuerung unserer
Gebetspraxis zu kommen. In diesem
Sinne bin ich überzeugt, dass es die
vorliegende TO braucht. Dass Sie gute
Impulse daraus empfangen und dann
auch gute Erfahrungen Ihr Beten begleiten, wünscht Ihnen
Ihr Rolf Sons
E-Mail: [email protected]
Internet: www.bengelhaus.de
Layout und Satz: agentur krauss GmbH, Herrenberg
Druck: Zaiser, Nagold
Fotos: Titel, Yuri Arcurs/shutterstock.com;
abh/shutterstock.com/photocase.de
Autorinnen- und Autorenportraits: privat
Die Theologische Orientierung des Albrecht-Bengel-Hauses
erscheint vierteljährlich. Nachdruck – auch auszugsweise –
2
Aus dem Albrecht- Bengel- Haus
nur mit Einwilligung der jeweiligen Autoren und des
3
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Herausgebers.
Editorial
NEU! Die ABH-Gemeindeakademie
Verabschiedung Markus Weimer
Neu im ABH
Soirée 2012 – ein großartiger Festabend
T HEO LO GISCHE ORIENT IERUNG : Jul i – S eptember 2012
Der Bezug ist mit keinen Verpflichtungen verbunden.
Wir freuen uns über jede Spende: ABH-Verein
Dr. Rolf Sons
Rektor
EKK Stuttgart, Konto 41 90 01, BLZ 520 604 10
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NEU
ABH GEMEINDE
AKADEMIE
Seminare
Studientage
1) Das Alte Testament. Entstehung,
Botschaft, geschichtliche Hintergründe
1) Konkret verkündigen
Dozent: Dr. Uwe Rechberger
Wintersemester Okt. 2012 – Febr. 2013
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2
Beginn: Dienstag, 16.10.2012
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Zeit: Dienstags, 20.00 – 21.30 Uhr
Das Seminar bietet eine Einführung in das Alte Testament.
Behandelt werden die alttestamentlichen Bücher (bes.
1-5Mose, Jesaja, Amos, Psalmen, Hiob u.a.), wesentliche
Themen alttestamentlicher Theologie (z.B. Schöpfung,
Erwählung, Bund, Exodus, Königtum, Prophetie, Messias
u.a.) sowie Hintergrundinformationen zur Geschichte
Israels.
2) Die Unterscheidung der Geister in
Seelsorge und Gemeindeleitung
„Gut zu wissen“
Die ABH Gemeindeakademie
Biblische Lehre.
Theologische Orientierung.
Praktische Kompetenz.
Denken Sie manchmal auch über der aufgeschlagenen Bibel:
Da wüsste ich jetzt gerne mehr?
Fühlen Sie sich in der Vielzahl theologischer Ansichten gelegentlich auch etwas verloren und fragen sich: Was hat denn
nun Bestand?
Möchten Sie sich gerne mehr einbringen, fragen sich aber:
Wie macht man eine Andacht? Wie bereitet man eine Predigt
oder Bibelarbeit vor?
Möchten Sie sich theologisch auch gerne weiterbilden, sehen
aber keinen Spielraum für den Besuch einer Bibelschule?
Wer bei diesen Fragen nicht stehen bleiben will, für den gibt es
ein neues, attraktives Angebot:
Die ABH-Gemeindeakademie bietet unter dem Motto „Gut zu
wissen“ biblische Lehre, theologische Orientierung und praktische Kompetenz.
Das erste Kursangebot von Oktober 2012 bis Juli 2014 beinhaltet vier Seminare mit je zehn Doppelstunden sowie zwei Studiensamstage. Die Seminare und Studientage können einzeln
oder als Komplettpaket besucht werden.
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T HEO LO GISCHE ORIENT IERUNG : Jul i – S eptember 2012
Dozent: Dr. Rolf Sons
Sommersemester Apr. – Juli 2013
Beginn: Dienstag, 16.04.2013
Zeit: Dienstags, 20.00 – 21.30 Uhr
Was meint „Unterscheidung der Geister“ und wie kann
diese heute geschehen? Wie sehen Unterscheidungskriterien aus und wie lassen sie sich anwenden? Diesen Fragen
wollen wir in unserem Seminar nachgehen. Leiten sollen
uns die biblischen Texte, aber auch die sog. Wüstenväter,
Ignatius von Loyola und Martin Luther.
3) Wie kommen wir zum Neuen
Testament? – Wie und warum die
Texte entstanden sind
Dozent: Dr. Paul Murdoch
Wintersemester Okt. 2013 – Febr. 2014
Beginn: Dienstag, 15.10.2013
Zeit: Dienstags, 20.00 – 21.30 Uhr
Die Evangelien erzählen nur einen kleinen Ausschnitt
aus dem Leben Jesu. Wie kam es dazu, dass die Jesusgeschichte in dieser Form aufgeschrieben wurde? Was für
Hinweise geben die neutestamentlichen Texte selbst zu
ihrer Entstehung und zur Entstehung der jungen Kirche,
die uns wiederum das Neue Testament als Gottes Wort
bewahrt hat?
4) Wie handle ich gut?
Eine Einführung in die Ethik
Dozent: Dr. Clemens Hägele
Sommersemester Apr. – Juli 2014
Beginn: Dienstag, 08.04.2014
Zeit: Dienstags, 20.00 – 21.30 Uhr
In diesem Seminar geht es darum, welche Maßstäbe dem
glaubenden Menschen gegeben sind, um sein Handeln
daran auszurichten. Wie muss ich, darf ich, kann ich als
Christ handeln – und warum?
Dozent: Dr. Rolf Sons
Samstag, 27. April 2013; 10.00 – 16.00 Uhr
Wie können unsere Andachten, Predigten und Bibelarbeiten konkreter und lebensbezogener werden? Wie
können sie mehr sein als nur die Reproduktion von Altbekanntem? – Theoretische Impulse und viele praktische
Beispiele prägen diesen Studientag.
2) Gut zu wissen, dass wir
Glaubensväter haben
Dozent: Sebastian Schmauder
Samstag, 5. April 2014; 10.00 – 16.00 Uhr
Glaubensväter prägen Kirchengeschichte. Von ihnen
sollen wir lernen und ihrem Beispiel nachfolgen. Deshalb wollen wir Spuren einiger zentraler Gestalten des
württembergischen Pietismus und der Erweckungsbewegung verfolgen: Wer sind diese Menschen? Wie und
womit haben sie unsere Kirche (bis heute) geprägt? Was
können wir von ihnen lernen? Neben anderen werden
uns dabei Bengel, Hofacker und Blumhardt begegnen.
Ort
Albrecht-Bengel-Haus
Ludwig-Krapf-Str. 5
72072 Tübingen.
Anfahrtsskizze: www.bengelhaus.de
Kosten
Unsere Theologiestudentenarbeit finanziert sich ausschließlich durch Spenden. Wir bitten Verdienende
deshalb, sich an folgenden Richtwerten zu orientieren.
Sie unterstützen und ermöglichen damit unsere Arbeit.
Einzelne Seminare: 75,- Euro
Einzelne Studientage: 30,- Euro (inkl. Mittagessen und
Kaffee)
Gesamtes Kursangebot (4 Seminare + 2 Studientage):
250,– Euro
Anmeldung
Für die Teilnahme am gesamten Kursprogramm sowie
an den Studientagen bitten wir um eine Anmeldung
vorab, telefonisch oder per email.
Telefon: 07071/7005-0; Email: [email protected]
Bei den Seminaren genügt eine Anmeldung bei der
ersten Sitzung.
Zertifikat
Die Teilnahme wird mit einem Fortbildungszertifikat
bescheinigt.
Wir freuen uns auf Sie!
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Verabschiedung
von Studienassistent
Markus Weimer
„Schön, Dich zu sehen!“ – Mit diesen
Worten hat Markus Weimer mich und
viele andere im Haus in den vergangenen vier Jahren immer wieder begrüßt.
Dabei hat man es ihm angemerkt, dass
diese Worte für ihn keine Floskel sind.
Die Freude an der Begegnung mit
Menschen gehört zu seinen Markenzeichen. Vier Jahre lang war Markus
Weimer nun Teil unseres Lehrerteams.
Zusammen mit seiner Familie, seiner
Frau Anja und den Buben Leo, Tim und
Jona, gehörte er zu unserer Hausgemeinschaft. Unterrichtet hat er das Fach
Neues Testament und vor allem sein
großes Herzensthema Gemeindeaufbau und Leiterschaft.
Markus war uns ein wertvoller
Impulsgeber. Er stieß Diskussionen an
und brachte Themen ein. Er suchte die
Innovation und liebte die Herausforderung. Mit den Studierenden ging er
intensive Wege der Begleitung bzw.
des „Coaching“, wie er es sagen würde.
In seinen Lehrveranstaltungen war
sowohl Kompetenz wie auch Begeiste-
rung für die Sache zu spüren. In den
Gemeinden und auch bei Vorträgen war
er ein geschätzter Redner. Ich persönlich bin sehr dankbar für die gemeinsam
zurückgelegte Wegstrecke. Deshalb
sei ihm an dieser Stelle auch ein ganz
großes und herzliches Dankeschön
gesagt!
Eines muss hier unter allen Umständen noch erwähnt werden, weil es
zu Markus Weimer gehört: Mit einer
großen Portion Selbstironie betonte er
häufig seine badische Herkunft. Seine
„Badener Seele“ hat uns allen sehr gut
getan. So hat er uns„schaffigen“ Schwaben ins Stammbuch geschrieben, dass
das Leben nicht nur aus Arbeiten, sondern auch aus Genießen und anderen
schönen Dingen besteht.
Wenn Markus Weimer nun in seine
badische Heimat zurückkehrt, um dort
ein Gemeindepfarramt zu übernehmen, begleiten ihn unsere herzlichen
Segenswünsche und Gebete.
Matthäus 6,9-13
Vater unser im Himmel, geheiligt
werde dein Name. Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so
auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns
heute. Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem
Bösen. Denn dein ist das Reich und die
Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.
ein groSSartiger Festabend
Im Rahmen des Tübinger Bezirkskirchentages veranstalteten die Bengelinnen
und Bengel am 19. Mai einen fröhlichen bunten Abend im vollen Festsaal des
ABH unter dem Motto „Lach- und Sachgeschichten – Die Soirée mit der Maus“.
Neu
im ABH
Zum Sommersemester
2012 konnten wir acht
neue Mitglieder aufnehmen.
Wir wünschen ihnen Gottes
Segen für ihr Studium.
T HEO LO GISCHE ORIENT IERUNG : Jul i – S eptember 2012
Unsortierte Gedanken
zum Vaterunser
Dr. Rolf Sons, Rektor
Soirée 2012
6
Biblische Besinnung
Mein Vater wuchs in einer Freikirche auf. In dieser Freikirche war es
nicht üblich, in den Gottesdiensten
das Vaterunser zu beten. Als Jugendlicher fragte er einmal bei seinen
Ältesten nach, warum dies so sei. Sie
antworteten ihm, dass das Vaterunser
im Laufe der Kirchengeschichte doch
schon so oft missbraucht worden sei.
Schade, dass diese Freikirche deshalb
die Konsequenz gezogen hat, das
Vaterunser aus ihrem Gottesdienst
auszuscheiden. Denn das Vaterunser ist eine Gabe Jesu. Sie trotzdem,
aus welchen Gründen auch immer,
abzuweisen, kann deshalb nur zu
einer gefährlichen geistlichen Verarmung der Gemeinde führen. Außerdem: Was ist nicht schon alles aus
dem Schatz des christlichen Glaubens missbraucht worden? Müssen
wir deswegen alles zur Seite stellen?
So ein Unsinn! Das Gegenteil muss
der Fall sein: Lasst es uns nehmen
und gut gebrauchen, so wie Jesus es
gedacht hat.
„Dein Name werde geheiligt!“
Es ist eigenartig: Konfirmanden
haben oft von den 10 Geboten
anfangs noch wenig Ahnung, aber
dass man den Namen Gottes nicht
missbrauchen soll, das wissen in
jedem Jahrgang schon erstaunlich
viele. Vielleicht haben sie ein noch
unverdorbenes Gespür für die Hei-
ligkeit Gottes, wenn sie es auch
vielleicht nicht weiter benennen
könnten. Aber es geht ja nun nicht
nur darum, mit Gottes Namen nicht
unbedacht umzugehen. Er soll ganz
aktiv „geheiligt“ werden. Was aber
bedeutet das? Lassen wir Martin
Luther in seiner Auslegung dieser
Vaterunserbitte zu Wort kommen:
„Das ist nun die Meinung und die
Summe dieser Bitte: Ach! Lieber
Vater, dein Name werde geheiligt in
uns; das bedeutet, dass ich bekenne,
dass ich, leider! deinen Namen oft
verunehrt habe, und auch noch mit
Hoffart durch meine eigene Ehre und
Namen deinen Namen lästere. Darum,
durch deine Gnade hilf mir, dass in
mir mein Name weniger wird, und
ich zunichte werde, auf dass du allein
und dein Name und Ehre in mir sei.
Ich hoffe, dass der Leser genügend
verstanden hat, dass das Wort »dein
Name« so viel bedeutet wie »deine
Lesedauer
5 – 10 min
7
Biblische Besinnung
„Dein Reich komme...“
Wörtlich übersetzt lautet diese
Bitte: „Deine Königsherrschaft
komme!“ Aber: Ist Gott nicht schon
der Herrscher? Er ist doch der Gott
Israels und des ganzen Universums?
Wozu dient dann aber diese Bitte
des Vaterunsers um das „Kommen“
seiner Herrschaft? Stellen wir uns ein
Königreich im Mittelalter vor, dessen
Herrscher gewechselt hat. Der neue
Herrscher setzt neue Mitarbeiter ein,
erlässt neue Gesetze usw. Er ist der
Herrscher, ihm gehört das Reich, er
hat das Sagen. Aber: Es dauert seine
Zeit, bis sich das durchsetzt. Denn:
Viele Menschen an den Rändern des
Reiches haben vom Wechsel noch
gar nichts mitbekommen. Sie leben,
als wäre ihr alter Herrscher noch am
Leben. Andere wissen zwar um den
neuen Herrscher, aber sie lehnen
ihn innerlich ab, scheren sich nicht
um seine Neuerungen. Das Reich ist
also einerseits schon da, andererseits
muss es sich noch durchsetzen. Diese
Bitte des Vaterunsers hat also ihren
guten Sinn.
„Unser Vater“, „unser tägliches Brot“,
„unsere Schuld“,„unsern Schuldigern“,
„führe uns nicht“, „erlöse uns“
Uns, uns, uns... Das Vaterunser ist
kein Gebet eines Einzelnen. Und das
ist nicht nur eine grammatikalische
Beobachtung. Das Vaterunser ist ein
Gebet der Gemeinde, des Leibes Christi. Schon die ersten beiden Worte
des Vaterunser verbieten einen Glaubensindividualismus. Sie erinnern uns
an die Tatsache, dass wir alle Glieder
eines Leibes sind und alle einen Vater
haben. Wir sind Geschwister. Jede
Bitte aus dem Vaterunser ist darum
immer zugleich auch eine Fürbitte für
die Geschwister. Sie ist immer auch
eine Fürbitte für die Geschwister der
eigenen Gemeinde, und für diejenigen aus der weltweiten Gemeinde
Jesu, die Hungernden und Verfolgten.
„ . . . wie au c h wir vergeben
unsern Schuldigern“
Kummer machen, die er nicht versteht,
sondern diejenigen, die er versteht. Diese
Worte aus dem Vaterunser könnten
zu letzterer Gruppe gehören. Jesus
verbindet die Bitte um Vergebung mit
unserer Bereitschaft, selbst anderen
zu vergeben. Er tut das übrigens nicht
nur hier, sondern auch an anderer
Stelle. Das ist hart und fordernd.
Aber überlegen wir doch einmal, was
wäre, wenn Jesus unserem Empfinden
entgegengekommen wäre, und das
Ganze abgeschwächt hätte. Wenn er
uns also zu beten gelehrt hätte: Vergib
uns unsere Schuld, wie auch wir –
wenn es gerade passt, wir uns dazu
imstande sehen und die Sache auch
nicht allzu schlimm war – vergeben
unsern Schuldigern. Dann wäre der
Damm gebrochen. Vergebung wäre
dann keine heilige Pflicht mehr, sondern
abhängig davon, wie es uns gerade geht.
Der zurückbehaltene Hass hätte eine
Rechtfertigung bekommen. Die Welt
würde noch dunkler. Es ist eine bewährte
Methode, sich solche Konsequenzen
dadurch deutlich zu machen, dass man
einmal im Gedankenexperiment die
harten Forderungen Jesu abschwächt.
Das macht sie in der Realität natürlich
nicht weniger herausfordernd. Aber
man erkennt vielleicht besser, wo auch
in dieser Härte die Gnade leuchtet.
Mark Twain hat einmal gesagt, dass
ihm nicht diejenigen Bibelstellen
Mark Twain hat einmal gesagt,
dass ihm nicht diejenigen
Bibelstellen Kummer machen,
die er nicht versteht, sondern
diejenigen, die er versteht.
T HEO LO GISCHE ORIENT IERUNG : Jul i – S eptember 2012
Mit den Psalmen beten,
mit den Psalmen leben
„Ich habe die Nacht einsam hingebracht [...] und habe [...] schließlich die
Psalmen gelesen, eines der wenigen
Bücher, in dem man sich restlos unterbringt, mag man noch so zerstreut und
ungeordnet und angefochten sein.“
(Rainer Maria Rilke)
Was zeichnet die Psalmen aus, dass
ich mich restlos in ihnen unter- und vor
Gott bringen kann?
Die Psalmen – ein Gebetbuch
Dr. Clemens Hägele
St u d i e n le i te r
8
In 10 Worten: Gedicht, Offenheit, Bilder,
Gebetsvorlage, Aktualität, Klage, Vertrauen,
Lob, Volk, Gottes Wort
FOTO: S. 7 Patrick Loedel/photocase
Ehre und Lob«. Denn einen guten
Namen nennt die Schrift Ehre und
Lob; einen bösen Namen nennt sie
eine Schande und ein böses Gerücht.
Also, darauf läuft alles hinaus, dass
dieses Gebet nichts anderes will, als
dass Gottes Ehre vor allen und über
allen und in allen Dingen gesucht
wird, und unser ganzes Leben ewiglich allein zu Gottes Ehre gelangen
soll, nicht zu unserem Nutzen, auch
nicht zu unserer Seligkeit oder irgendetwas Gutem, es sei zeitlich oder
ewig, außer, wenn es zu Gottes Ehre
und Lob verordnet ist.“ Es geht also
bei der Heiligung des Gottesnamens
nicht lediglich um ein Vermeiden
unbedachter Rede; es geht um die
Gestaltung unseres ganzen Lebens.
Schon die ersten beiden Worte
des Vaterunser verbieten einen
Glaubensindividualismus.
Aufschlussreich ist die Frage nach
der Entstehung der Psalmen. Wann
wurden sie erstmals gebetet? Und
wozu wurden sie gedichtet? Schauen
wir uns z.B. Ps 25 an: „Von David.
Nach dir, HERR, verlanget mich. Mein
Gott, ich hoffe auf dich; lass mich nicht
zuschanden werden [...].“ Im ersten
Moment könnte man angesichts der
Lutherübersetzung meinen: Hier leidet
ein Mensch und wendet sich inmitten
seiner Not an Gott. Schaut man in
den hebräischen Text, dann fällt auf,
dass der Psalm alphabetisch aufgebaut ist, also der Anfangsbuchstabe
eines jeden Verses sich am Alphabet
orientiert. Deutlich wird: Die Psalmen
sind Gedichte. Kunst. Und vermutlich knieten die wenigsten von uns
einmal tränenüberströmt auf dem
Boden und haben spontan in gedichteten kunstvollen Reimen gebetet.
Natürlich haben die Psalmen einen
konkreten persönlichen Hintergrund.
Sicher haben sich die Psalmisten in
persönlichen Notsituationen klagend
und bittend an Gott gewendet. Dann
aber brachten sie diese persönlichen
Gebete in eine poetische Form und
haben sie verallgemeinert. Dahinter
steht die Idee, dass zum einen andere
Menschen im Gemeindegottesdienst
bzw. der Gemeinde-Dankopferfeier
(siehe TO 165, Jan-März 2012, S.15-27)
miteinstimmen können in den Lobpreis Gottes für seine Erhörung und
Hilfe, und zum anderen wir uns noch
heute diese Gebetsvorlagen zu eigen
machen können, um unsere je eigene
Person und Notsituation hineinzulegen und vor Gott zu bringen.
Lesedauer
10 – 15 min
Öffentliches Zeugnis
im Rahmen einer
Dankopferfeier
der Gemeinde
Persönliche Gebete
poetische Form
Allgemeine
Gebetsvorlage
für zukünftige
Beter
9
Mit den Psal men beten, mit den Psal men leben
Die Aktualität der Psalmen
Was den Psalmen ihre Aktualität
verleiht, ist allem voran die Offenheit
ihrer Sprache und ihrer Bilder. Etwas
vereinfacht: In keinem Psalm liest
man von Arbeitslosigkeit, Eheproblemen oder einer Grippe. Wäre dem
so, könnte sich niemand diesen Psalm
zu eigen machen, es sei denn, genau
dieses Problem wäre auch das eigene.
Die Psalmen sind als Gebetsvorlagen so
konzipiert, dass es jedem Menschen
möglich sein soll, sich mit der eigenen
Person und Situation in diese Texte hineinzubergen. Dazu hilft nicht zuletzt
die Bildsprache. Zwei Beispiele:
a) „Gott, errette mich [...], dass mich
[...] die Tiefe nicht verschlinge und das
Loch des Brunnens sich nicht über mir
schließe“ (Psalm 69,16).
Jeder kann hier seine ganz persönliche „Tiefe“ in diesen Vers hineinlegen,
der trotz seiner inhaltlichen Offenheit
sehr konkret ist in seiner bedrängenden Aussagekraft.
b) Ähnlich ist es, wenn Psalmen – wie
z.B. der bekannte Psalm 51 – uns einen
Sprachraum anbieten, um unsere
Schuld vor Gott zu bringen und ihn um
Vergebung zu bitten. Seine Überschrift
Abb. aus Keel, O., Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das
Alte Testament, Göttingen 51996, 61.
10
legt es nahe, den ganzen Psalm 51
unter dem Blickwinkel „Ehebruch“ zu
lesen. Lässt man – wie beim Psalmgebet üblich – die Überschrift zunächst
außen vor, ist der Psalm plötzlich für
alles offen, was sich zwischen Gott und
mich geschoben hat, und wofür ich
ihn um Vergebung bitten will. Psalm
51 will mich nicht nur an die Sünde
eines Menschen vor 3000 Jahre erinnern, sondern mir eine Hilfe sein, um
meine ganz persönliche Schuld Gott zu
bekennen und Vergebung zu erfahren:
„Gott, sei mir gnädig nach deiner Güte,
und tilge meine Sünden nach deiner
großen Barmherzigkeit“ (Psalm 51,2).
Von der Klage zu neuem
Vertrauen
Beispielhaft zeigt uns Psalm 22 ganz
konkrete Schritte für einen Weg von
der Klage zu neuem Vertrauen und
zum Lob Gottes, wenn er klagend und
bittend beginnt und ab Vers 22 Gott
dankt, ihn lobt und ihn anbetet.
Wenn Psalm 22 mit den Worten
beginnt „Mein Gott, mein Gott,
warum hast du mich verlassen?“,
lernen wir von ihm: Du darfst klagen.
Klagen ist bei Gott erlaubt.
Doch schon die Anrede „mein Gott“
offenbart den Unterschied zwischen
manchem Gejammer und einer
biblischen Klage. Ersteres bleibt bei
sich stehen. Letztere wendet sich
an Gott. Nach der Bereitschaft zum
Gebet, wird uns die Anrede, die auch
nicht nur mit „Du Gott“ beginnt,
sondern noch in der Krise an Gott als
„meinem Gott“ festhält zur zweiten
Hilfestellung für unseren Weg aus
der Klage zum neuen Vertrauen.
Dann wagt der Psalmist einen ersten
Blickwechsel: Nach zwei Versen
der Klage hebt er seine Augen auf
zu Gott: „Du aber bist heilig, der du
thronst über den Lobgesängen Israels“
(Psalm 22,4). Eine weitere Hilfe zu
neuem Vertrauen ist der Blickwechsel von der Not auf Gott: „Du aber“.
David ermutigt uns, auf den zu
schauen, der auf dem Thron sitzt und
der auch meine Not wenden kann.
Direkt im Anschluss folgt eine weitere Hilfestellung: die Erinnerung
an Gottes Heilshandeln im Leben
der Väter. „Unsere Väter hofften auf
T HEO LO GISCHE ORIENT IERUNG : Jul i – S eptember 2012
dich; und da sie hofften, halfst du
ihnen heraus [...]“ (Psalm 22,5f). Der
Psalmbeter vergleicht sich und seine
Situation mit den Vätern: „Sie haben
vertraut. Ich vertraue. Sie haben
geschrien. Ich schreie. Sie hast du
gerettet, also rette auch mich...“ Wer
sich mitten im Leid daran erinnert,
was Gott schon Gutes getan hat –
nicht zuletzt in den biblischen Überlieferungen –, der hat einen weiteren
großen Schritt aus der Klage heraus
getan. Die Not ist immer noch da,
doch sind uns Gott (V.4) und seine
Wunder ( V.5f ) groß geworden.
Im Sinn von V.5f sagte der Maler
Michelangelo einmal: „Gott hat der
Hoffnung einen Bruder gegeben. Er
heißt Erinnerung“.
Nach einem erneuten Rückfall in die
Klage (V.7) geschieht etwas Eigenartiges: „»Er klage es dem Herrn, der
helfe ihm heraus und rette ihn, hat er
Gefallen an ihm«“ (Psalm 22,9). Für
sich genommen, könnte es sich bei
diesem Vers um eine Verheißung
handeln. Nun zitiert David hier aber
die Spottrede seiner Feinde, die
jenes ursprüngliche Verheißungswort hämisch ins Gegenteil verkehren und er vergeblich auf Gottes
Hilfe wartet. Was David nun unternimmt, ist eine weitere Hilfe auf dem
Weg zu neuem Vertrauen: Er reibt
Gott sein Verheißungswort unter
die Nase, das im Mund der Feinde
zum Spottwort wurde. Indirekt argumentiert er damit gegenüber Gott:
„Jetzt geht es nicht mehr nur um
mich. Jetzt geht es um dich und dein
Wort. Wenn du jetzt nicht eingreifst,
dann haben die Feinde Recht behalten.“ Wir lernen von David, dass wir
Gott seine Verheißungen vorhalten
dürfen – erst recht, wenn sie durch
Menschen oder Leiderfahrungen in
Frage gestellt werden.
Nach der Erinnerung an die Heilserfahrungen der Väter, erinnert sich
David in V.10f an Heilserfahrungen
im eigenen Leben: „Du hast mich
aus meiner Mutter Leibe gezogen;
du ließest mich geborgen sein an der
Brust meiner Mutter. Auf dich bin ich
geworfen von Mutterleib an, du bist
mein Gott von meiner Mutter Schoß
an“ (Psalm 22,10f).
Zusammengefasst sehen wir an
Psalm 22: Beten lässt sich üben.
Es gibt ganz konkrete Schritte für
einen Weg aus der Klage zu neuem
Vertrauen. Und doch haben wir es
letztlich nicht im Griff. Glaube und
Vertrauen bleiben ein Geschenk
Gottes. So bekennt es auch David
in V.22: „Du hast mir geantwortet.“ Im
Mitbeten dieses Bekenntnisses nach
den vorausgegangenen Klagen,
Bitten und Vertrauensschritten
dürfen wir festhalten: Gott erhört
Gebet. Auch wenn die biografische Situation noch unverändert
schwierig sein sollte, vergewissert
uns Gottes Psalmwort: Gott hat
mit seiner „Antwort“ die „Verantwortung“ für mich übernommen.
Entsprechend kann Wilhelm Bruners
unter dem Titel „Ergebnis" dichten:
Nach dem morgendlichen
Gang über die
Psalmbrücke
drehe ich mich nicht
mehr um die eigene
Achse
ich atme die alten
Heilworte in meine
Tagängste
und bin
guter Hoffnung.
Wilhelm Bruners
Als Volk vor Gott
FOTO: S. 9 Zurijeta/shutterstock
Beispielhaft macht sich Jesus Christus am Kreuz die Worte von Psalm 22
zu eigen und füllt sie mit seiner ganz
eigenen Anfechtung, wenn er betet:
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du
mich verlassen?“
Die Psalmen ermutigen uns aber
nicht nur zum persönlichen Gebet,
sondern erinnern uns mit Klage- und
Lobliedern des Volkes auch an unser
Volk. Israel wendet sich mit „Klagepsalmen des Volkes“ anlässlich konkreter
Bedrängnisse an Gott (z.B. Psalm 44).
Die Nöte sind ganz unterschiedlich:
Naturkatastrophen, Feindeinfall oder
vor allem die Zerstörung Jerusalems
und des Tempels, verbunden mit der
Wegführung nach Babylon im Jahr 587
v.Chr., sind Anlässe zur gemeinsamen
gottesdienstlichen Klage. Ein Gebetsanliegen ist die Bitte um Vergebung
für das Volk, das von Gott abgewichen
ist und sich nun in der babylonischen
Gefangenschaft befindet: „Errette uns
und vergib uns unsere Sünden um deines
Namens willen“ (Psalm 79,9). Die „Volksklagepsalmen“ mahnen uns, miteinander nicht nur für uns oder notleidende
Einzelne aus unserer Gemeinschaft vor
Gott einzustehen, sondern auch für
unsere Gesellschaft und diejenigen,
die eine besondere Verantwortung
tragen. Und sie erinnern uns: Wir sind
ein Teil unseres Volkes, auch mit all
seiner Schuld. Wenn die Israeliten mit
Worten der Volksklagepsalmen um
Vergebung bitten oder Gottes Hilfe
erflehen, dann tun sie dies als solidarische Gemeinschaft und in dem
Bewusstsein: Ich bin nicht besser als
die anderen. Auch ich lebe allein von
Gottes Gnade.
Die Psalmen – so bunt wie
das Leben
Zu den Klage- (z.B. Psalm 13), Dank(z.B. Psalm 30) und Lobliedern (z.B.
Psalm 8), mit denen ein Mensch oder
ein ganzes Volk zu Gott kommt, prägen
den Psalter Lieder, die den Zion besingen (z.B. Psalm 46; 48) oder die Schöpfung (z.B. Psalm 104) oder Gottes Handeln in der Geschichte (z.B. Psalm 78).
Andere Psalmen leiten zum Gebet für
den König an (z.B. Ps 72), und erinnern
damit auch uns, für unsere Obrigkeit
zu beten (vgl. 1.Timotheus 2,2). Wieder
andere beten JHWH als König an (z.B.
Psalm 47). Weiter sind Weisheits- und
Torapsalmen (z.B. Psalm 73; 119) zu
nennen, oder die Wallfahrtslieder (z.B.
Psalm 121).
Angesichts dieser Vielfalt mag es
auf den ersten Blick verwundern,
weshalb die einzelnen Psalmen bei
ihrer Aufnahme in den Psalter thematisch nicht genauer sortiert wurden.
Es wäre ja naheliegend gewesen, alle
Loblieder zusammenzunehmen, alle
Klagepsalmen, alle Zionslieder usw.
Deutlich wird daran: Die Psalmen sind
ein Buch aus dem Leben und für das
Leben. Sie sind ein Spiegel der manchmal widersprüchlichen Vielfalt des
Lebens. Trotzdem sind sehr bewusste
Platzierungen erkennbar, nicht zuletzt
ein Weg von vielen Klagepsalmen im
ersten Teil des Psalters bis zum großen
Schlusslobpreis am Ende.
Der Psalter – „Eine kleine
Biblia“
In seiner Vorrede zu den Psalmen
fasst Martin Luther unsere Beobachtungen zusammen und nennt den
Psalter eine „kleine Biblia“: „Der Psalter
sollte allein deshalb teuer und lieb sein
[...] dass er wohl möchte eine kleine
Biblia heißen, darin alles aufs schönste
und kürzeste, wie in der ganzen Biblia
stehet, gefasset.“ Der Psalter ist eine
„kleine Biblia“, weil er Gottes Wort ist.
Daneben fasziniert ihn am Psalter
die Beobachtung, dass „ein jeglicher,
in welcherlei Sache er ist, Psalmen und
Worte drinnen findet, die sich auf seine
Sache reimen und ihm so eben sind,
als wären sie allein um seinetwillen
also gesetzt“.
Beides kommt in den Psalmen
zusammen: Hier verbinden sich die
unterschiedlichsten Erfahrungen von
Menschen und Gottes lebendiges
Wort. Menschen wenden sich mit ihren
verschiedenen Lebensbezügen an
Gott und Gott wendet sich an sie und
spricht in ihr Leben hinein.
150 Gebete und 150 mal
Gottes Wort
Diese Beobachtung hat Konsequenzen. Wenn die Psalmen nicht nur
menschliche Gebete und Lieder sind,
wie andere Gebete und Lieder auch,
sondern unser menschliches Wort an
Gott – vor allem durch die Aufnahme
der Psalmen in die Bibel – auch zu
Gottes eigenem Wort an uns Menschen wird, dann drängt sich für unser
Beten die Frage auf: Welche Lieder und
Gebete sollte Gott eigentlich lieber
annehmen und erhören sollte als seine
eigenen?
Dr. Uwe Rechberger
Stu di en l e ite r
11
Beter fallen nicht
vom Himmel
Von der Schwierigkeit und
der Übung des Gebets
In 10 Worten:
Unkonzentriertheit, Gedanken, Aktivismus,
Sammlung, keine Zeit, Nachlässigkeit, Stimmung, Regelmäßigkeit, Übung, Wiederholung
Lesedauer
10 – 15 min
12
Das Gebet ist eines der größten Geschenke, die Gott uns
Menschen gemacht hat. Durch seinen Sohn Jesus Christus
hat er uns eine offene Türe geschenkt. Jederzeit dürfen wir
zu ihm kommen und mit allen Anliegen vor ihn treten. Die
Verheißungen des Gebetes geben uns die Zuversicht, dass
wir nicht leer ausgehen. Wir wissen, dass der Vater uns nur
gute Gaben gibt.
Warum tun wir uns dennoch mit dem Gebet so schwer?
Weshalb lassen wir uns so leicht ablenken? Warum fehlt uns
angeblich die Zeit zum Beten? Und schließlich: Warum fehlt
uns manchmal regelrecht die Lust, die Hände zu falten und
mit unserem Vater im Himmel zu reden?
C.S. Lewis, der für seinen humoristisch-bissigen
Stil bekannt ist, schreibt dazu: „Beten ist schwer! Eine
Entschuldigung, die dazu dient, dem Gebet auszuweichen, ist
uns eigentlich immer willkommen. Wenn wir unser Gebet am
Morgen beendet haben, macht sich für den Rest des Tages das
Gefühl der Erleichterung und Entspannung breit, denn es ist
uns schließlich gelungen, mit dem Beten anzufangen, und wir
sind dann froh, wenn wir es zu Ende gebracht haben. Ist es nicht
so: Wenn wir beten, dann reicht schon die kleinste Kleinigkeit
aus, um uns abzulenken, was uns beim Lesen eines Buches
oder beim Lösen eines Kreuzworträtsels niemals passieren
würde.“ Ähnlich sieht es Romano Guardini: „Im allgemeinen
betet der Mensch nicht gern. Er empfindet dabei leicht eine
T HEO LO GISCHE ORIENT IERUNG : Jul i – S eptember 2012
Langeweile, eine Verlegenheit, einen Widerwillen, geradezu
eine Feindseligkeit. Alles andere erscheint ihm reizvoller und
wichtiger.“
Ist es wirklich so schlimm? Wer sich selbst beobachtet,
wird merken, wie raffiniert unser Herz ist und welche Wege
es findet, um der Gegenwart Gottes auszuweichen. Er wird
feststellen, wie gerade an dieser Stelle unser Charakter
schwach und unser Wille angefochten ist. Sollte das große
Privileg des Gebets zugleich ein so großes Problem sein?
Wir wollen zunächst genauer anschauen, was unser Gebet
so schwierig macht. In einem zweiten Schritt überlegen wir,
wie wir dieser Schwierigkeit begegnen können:
Ein erstes Problem ist die Unkonzentriertheit. Während
wir versuchen, mit Gott ins Gespräch zu kommen,
durchkreuzen tausend Dinge unsere Gedanken. Am
Ende können wir nur darüber erschrecken, was uns alles
beschäftigt hat, obwohl wir mit Gott reden wollten. Martin
Luther hat diese Erfahrung auch gemacht. Daher schreibt
er: „Und man hüte sich mit Fleiß vor falschen, betrügerischen
Gedanken, die sagen: Warte ein wenig, in einer Stunde will ich
beten; ich muss dieses oder jenes zuvor erledigen. Denn mit
solchen Gedanken kommt man vom Gebet in die Geschäfte,
die einen dann halten und umfangen, so dass aus dem Gebet
den ganzen Tag nichts wird.“ In unserer Zeit gewinnt dieses
Problem immer mehr an Bedeutung. Die Allgegenwart
der Medien, unsere Hektik und Eile erschweren es, sich zu
konzentrieren und ganz und gar bei der Sache des Gebets
zu sein.
Ein zweites Problem ist der Aktivismus: Zwar gehören
Beten und Tun untrennbar zusammen. Dennoch scheint
es so, dass das Tun ein immer größeres Eigengewicht
bekommt. Auch in der Kirche ist das so. Es gibt so viele
Dinge, die uns beanspruchen und die es gleichzeitig zu
tun gilt, dass kaum Zeit bleibt, um in Ruhe und innerer
Sammlung vor Gott zu treten. Wie Martha sind wir mit dem
Vielen so überlastet, dass wir für das Notwendige keine Zeit
finden, nämlich ruhig zu den Füßen Jesu zu sitzen (Lukas
10,38-42).
Ein Drittes ist die eigene Nachlässigkeit. Wir meinen, es
reiche vollkommen, wenn wir nur dann beten, wenn wir
in der Stimmung dazu sind oder Lust dazu haben. Beten
sei doch etwas Spontanes und Ursprüngliches, das aus
dem Herzen nur so heraussprudeln müsse. Pflicht oder gar
Zwang aber sei in diesem Fall völlig unangebracht. Beten sei
eine Sache der Begeisterung oder des Ergriffenseins, nicht
aber der Treue und des Gehorsams.
Nun könnten wir weitere Schwierigkeiten beim Beten
anführen. Manch einer kann einfach nicht mehr beten, weil
er zu erschöpft ist, weil er krank ist oder schlicht deshalb,
weil er vom Gebet nichts mehr erwartet. Doch wollen wir
uns nicht länger mit den Schwierigkeiten aufhalten, sondern
vielmehr sehen, wie man diese überwinden kann.
Das Gebet verlangt Entscheidung
Wenn unser Gebet nicht nur auf gelegentliche Stoßgebete
oder spontanes Danken für gute Erfahrungen beschränkt
bleiben soll, dann bedarf es der Regelmäßigkeit. Wenn wir
es nicht nur dem Zufall überlassen wollen, dann braucht es
eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Ort. Deshalb
ist es wichtig, dass wir dem Gebet täglich eine bestimmte
Zeit widmen. Jesus hatte seinen Jünger empfohlen, in die
Vorratskammer des Hauses zu gehen und die Türe hinter
sich zu schließen. In einem galiläischen Hause war die
Vorratskammer der einzige abschließbare Raum im Hause.
Wenn Jesus diesen Rat erteilt, setzt dies eine Entscheidung
voraus. Man zieht sich aus dem Alltagsgeschäft zurück, um
mit dem himmlischen Vater alleine zu sein. Jetzt sind nicht
die Menschen und die Arbeit wichtig, sondern Gott allein.
Eine solche Entscheidung für das Gebet muss man nicht
täglich neu treffen. Hat man sie einmal getroffen, so wird
Während wir versuchen, mit Gott ins
Gespräch zu kommen, durchkreuzen
tausend Dinge unsere Gedanken.
13
Beter fallen nicht vom him mel
Das Gebet verlangt Sammlung
Das Gebet verträgt keinen „Kaltstart“. Deshalb bedarf es
der Sammlung. Sammlung aber bedeutet, dass der Mensch
ruhig wird. Er soll von dem Vielen zu dem Einen, aus der
Zerstreuung zur Mitte, zu Gott finden. Wie dringlich die
innere Sammlung zum Gebet ist, schreibt Martin Luther
an seinen Freund Peter, den Barbier (Friseur). Dieser hatte
Luther um Rat gefragt, wie er denn beten könne. Luther gibt
ihm daraufhin verschiedene praktische Tipps. Eindrücklich
aber ist, wie Luther die Notwendigkeit der inneren
Sammlung hervorhebt: „Darum ist es die Hauptsache, dass
sich das Herz zum Gebet frei und geneigt mache, wie auch Sir
18,23 sagt: Bereite dein Herz vor dem Gebet, auf dass du nicht
Gott versuchst. Was ist’s anders als Gott versuchen, wenn das
Maul plappert und das Herz anderswo zerstreut ist? Wie jener
Pfaff, der auf diese Weise betet: Gott lass mir Hilfe zukommen –
Knecht, hast du angespannt? – Herr, eile mir zu helfen – Magd,
geh und melke die Kuh! – Ehr sei dem Vater und dem Sohne
und dem heiligen Geiste – Lauf Bube, dass dich das Fieber
schüttle. (...) Denn in einem rechten Gebet denkt man fein aller
Worte und Gedanken vom Anfang an bis zum Ende des Gebets.
So auch ein guter fleißiger Barbier: Er muss seine Gedanken,
Sinne und Augen gar genau auf das Messer und auf die Haare
richten und nicht vergessen, woran er sei, am Rasieren oder
am Schneiden. Wenn er aber zugleich viel will plaudern und
anderswohin denken oder gucken, würde er einem wohl Maul
und Nase, die Kehle dazu abschneiden. So will auch jedes Ding,
wenn es gut gemacht werden soll, den Menschen ganz haben
mit allen Sinnen und Gliedern, wie man sagt: Ein auf vielerlei
bedachter Sinn taugt weniger fürs Einzelne. Wer mancherlei
denkt, denkt nichts, macht auch nichts Gutes. Wie viel mehr
will das Gebet das Herz einzig, ganz und allein haben, soll´s
anders ein gutes Gebet sein.“
Gott, zu dir rufe ich am frühen Morgen.
Hilf mir beten und meine Gedanken sammeln.
Ich kann es nicht allein.
In mir ist es finster,
aber bei dir ist Licht,
ich bin einsam, aber du verlässt mich nicht.
Ich bin kleinmütig, aber bei dir ist die Hilfe.
Ich bin unruhig, aber bei dir ist Frieden.
In mir ist Bitterkeit, aber bei dir ist die Geduld.
Ich verstehe deine Wege nicht, aber du weißt den
rechten Weg für mich.
Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung,
München 1951, 79.
14
T HEO LO GISCHE ORIENT IERUNG : Jul i – S eptember 2012
Zur Sammlung kommen wir, indem wir uns mit unseren
vagabundierenden Gedanken immer wieder zurückholen
in die Gegenwart Gottes. Weil Gott ganz da ist, wollen auch
wir ganz in der Gegenwart sein.
Die dankbare Ergebung
in Gottes Willen
und das Bittgebet
Das Gebet verlangt Übung
Innerhalb der geistlichen Tradition der Kirche gibt
es eine Fülle von Übungen zum Gebet, wie etwa das
Auswendiglernen oder auch das Bibelteilen. Es ist schön,
dass diese Übungen gegenwärtig wieder entdeckt
werden. Der Sinn solcher Übungen besteht darin, dass
sich durch Wiederholung eine selbstverständliche Praxis
ausbildet und diese verinnerlicht wird. Übungen helfen, in
der Gottesbeziehung zu wachsen. In der bereits zitierten
Schrift Luthers an Meister Peter empfiehlt er die Methode
des „vierfach gedrehten Kränzleins“. Hierbei empfiehlt er
im Anschluss an einen Gebetstext, etwa die Gebote oder
auch den Katechismus, diesen unter vier Fragerichtungen
zu betrachten:
a) Was lehrt mich dieser Text?
b) Wofür habe ich zu danken?
c) Wofür muss ich um Vergebung bitten?
d) Worum muss ich bitten?
Da eine solche Übung relativ stark vorstrukturiert ist, rät
Luther, dass es „genug sei, wenn du ein Stück oder ein halbes
kannst kriegen, daran du in deinem Herzen ein Feuerlein kannst
aufschlagen“.
Beter fallen nicht vom Himmel. Beten ist uns auch nicht
angeboren. Doch dürfen wir es mit Hilfe des Heiligen Geistes
lernen (Römer 8,26). Dabei machen wir die Erfahrung,
dass das Gebet uns immer kostbarer und Gott uns immer
vertrauter wird.
Zur Sammlung kommen
wir, indem wir uns mit
unseren vagabundierenden
Gedanken immer wieder
zurückholen in die
Gegenwart Gottes.
FOTO: S. 14 jock+scott/photocase
sie zu einer guten Gewohnheit. Dann ist klar, dass etwa
der Morgen vor Arbeitsbeginn für das Gebet reserviert
ist. John Wesley hat seinen vielen Tagebüchern das Motto
vorangestellt: „Ich entscheide mich dazu, eine Stunde am
Morgen und eine weitere am Abend dem Gebet und der
Stille zu widmen, ohne dass ich jemals eine Ausnahme
mache oder irgendeine Ausrede erfinde.“ Entscheidend ist
hier nicht die Zeitdauer, sondern der Vorsatz.
Die Jünger bitten Jesus: „Herr, lehre uns beten!“ Beten
ist offensichtlich etwas, wofür man einen Lehrer braucht.
Beten versteht sich nicht von selbst. Beten wirft Fragen
auf. Eine Frage, die sich manche stellen, ist die, welches
Beten denn nun das bessere ist: dasjenige, das sich dankbar ganz dem Willen Gottes ergibt, egal, was er für uns
bedeutet, oder dasjenige, das wir Bittgebet nennen, das
Gebet, in dem wir Gott unsere Anliegen nennen. Ist das
erste nicht offenkundig das bessere, höherstehende?
Schauen wir uns die Sache noch einmal an:
Zwei der bekanntesten Gebete der
Bibel
enthalten
jeweils eine Wendung, mit der sich der Beter ganz dem
Willen Gottes unterwirft. Diese beiden Gebete sind das
Vaterunser, in dem Jesus uns zu beten lehrt: „Dein Wille
geschehe!“ (Matthäus 6,10), und das Gebet Jesu im Garten
Gethsemane, kurz bevor ihn die Tempelwache verhaftet:
„Doch nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ (Matthäus
26,39). Wer so betet wie in diesen beiden Gebeten, der
schränkt seine eigenen Bitten in gewisser Weise ein. Er
spricht sie zwar vor Gott aus, so wie auch Jesus seinen
Vater gebeten hat, dass der Kelch an ihm vorübergehen
möge, aber er stellt sie gleichzeitig unter einen GlaubensVorbehalt. Er betet, dass letztlich nur das geschehen solle,
was Gott will, auch dann, wenn der göttliche Wille ein
anderer Wille sein sollte als der eigene. Dass diese beiden Wendungen sowohl in dem Gebet stehen, das uns zu
beten geboten ist, im Vaterunser, als auch in dem Gebet,
das der heiligste aller Beter, Jesus selbst, gebetet hat, –
das sollte uns zu denken geben. Es geht um nichts Nebensächliches, sondern
um Wesentliches.
Was heißt das aber
nun für unser Beten?
Man könnte aus dieser Ergebung in Gottes Willen z.B.
die praktische Folgerung ziehen, das Bittgebet in seiner
Bedeutung gegenüber der Ergebung in den göttlichen
Willen tatsächlich ein wenig herabstufen. Die höhere
Stufe des Betens wäre dann die dankbare Ergebung in
den göttlichen Willen, in den Willen dessen, der ohnehin
weiß, was wir bedürfen, noch bevor wir es aussprechen.
Die niedrigere Stufe des Betens wäre dann das schlichte
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5 – 10 min
Der Pharisäer dankt, der Zöllner bittet.
Dr. Rolf Sons
Re k to r
15
Die dankbare Ergebung in Got tes Willen und da s Bit tgebet
Bitten. Und da ist ja auch erst einmal etwas Wahres dran.
Der Tübinger Theologe Adolf Schlatter (1852 - 1938) hat
den Glauben an Gott des Öfteren als „Willenseinigung“
bezeichnet, also als eine wachsende Übereinstimmung
des menschlichen Willens mit dem göttlichen Willen: Ich
lerne zu wollen, was Gott will. Und was läge da näher, als
nur noch die dankbare, Gott lobende Ergebung in den
göttlichen Willen als eigentliches Gebet gelten lassen zu
wollen, es wenigstens als ein höheres und wichtigeres
Gebet anzusehen als das Bittgebet? Ein berühmter Theologe des 19. Jahrhunderts, Albrecht Ritschl,
hat tatsächlich das Bittgebet nicht als Gebet im
eigentlichen Sinne gelten lassen wollen. Das
Gebet sei, so Ritschl, „als
Ganzes und unter allen
Umständen auf Dank,
Lob und Preis, Anerkennung, Anbetung Gottes
gestellt“. Die Bitte kommt in dieser Reihe nicht vor.
Ich meine aber, dass Ritschl da etwas übersehen hat.
Wir müssen zwar unbedingt daran festhalten, dass wir uns
als Christen dem Willen Gottes dankbar ergeben sollen.
Aber entsteht daraus die notwendige Konsequenz, dem
Bittgebet einen geringeren Platz anzuweisen, es gar ganz
aus dem Gebetsleben wegzulassen? Ich meine nein. Das
Neue Testament zieht diese Konsequenz auf jeden Fall
nicht. Jesus lehrt uns zu bitten, u.a. durch das Vaterunser.
– In Klammern bemerkt: Ritschl musste deshalb das Vaterunser etwas künstlich zu einem reinen Lob- und Dankgebet umdeuten. – Wir sollen den Vater bitten um unser
Brot, um Vergebung, um Bewahrung vor Versuchung
usw. Jesus erzählt weiter das Gleichnis vom bittenden
Freund, in dessen Mitte die Worte stehen: „Bittet, so wird
euch gegeben...“ (Lukas 11,9). Der Apostel Paulus leistet
selbstverständlich Fürbitte für die Gemeinde: „Darum lassen wir auch von dem Tag an, da wir´s gehört haben, nicht
davon ab, für euch zu beten und zu bitten“ (Kolosser 1,9).
Überall im Neuen Testament ist das Gebet in der Form
der Bitte präsent. Für Jesus und die Apostel ist die Bitte
selbstverständlicher Teil des Betens; des Betens, wie Gott
es will und verheißt.
Auch sollten wir vorsichtig sein, das eine Beten gegen
das andere auszuspielen und dem einen einen geistlich
höheren Rang einzuräumen als dem anderen. Martin
Kähler schreibt: „Wir halten denen, welche den Christen
[...] lediglich den Dank statt der Bitte auf die Lippe legen
wollen, das Urteil des Herzenskündigers entgegen: Der
Pharisäer dankt, der Zöllner bittet.“
Wer das Bittgebet lediglich als eine kindliche Art des
Betens ansieht, eine Art, mit der ich eben von Gott nur
etwas will, anstatt mich ganz seinem Willen zu ergeben,
der denkt vom Bitten
viel zu gering. Es mag
Beter geben, die sich von
Gott tatsächlich lediglich
einen Vorteil erhoffen
und ihm etwas abtrotzen wollen. Aber, wer
im Glauben bittet, der
nimmt damit den einzigen Platz gegenüber
Gott ein, der Gott gegenüber angemessen ist, nämlich den des Empfangenden. Er
weiß, dass er gegenüber Gott nur der Empfangende ist
und sein kann. Die hebräische Bibel nennt den Menschen
eine „Näfäsch“, was unter anderem „Kehle“ bedeuten
kann. Damit betont sie die Bedürftigkeit des Menschen.
Am kürzesten und berührendsten hat das der Zöllner in
einem Bittgebet vorgebetet: „Herr, sei mir Sünder gnädig!“ (Lukas 18,13). Es hat durchaus mit geistlicher Reife
zu tun, das kindliche Bitten wieder zu lernen und damit
den Platz einzunehmen, der uns allein gebührt, nämlich
den des Empfangenden.
Wie ist es aber nun mit den Worten „Dein Wille geschehe“? Sind die nicht doch etwas ganz anderes als das Bittgebet? Ich meine nein. Die dankbare Ergebung in den
Willen Gottes steht mit dem Bittgebet Seite an Seite. Sie
gibt zum einen Gott die Ehre, indem sie seine Souveränität
anerkennt; Gott ist von nichts abhängig. Zum anderen
vertraut sie darauf, dass ich auch dann, wenn der Wille
Gottes meinem eigenen Bitten vielleicht gar nicht entspricht, Gutes empfangen werde, vielleicht nicht jetzt,
aber ich werde es empfangen. Dieses Beten ist keine leere
Schicksalsergebenheit, sondern ein Beten im Wissen, dass
Gottes Wille alles zu einem guten Ziel führen wird.
Wofür beten wir
eigentlich? Von der Kunst, Spannungen auszuhalten
Hoffnung macht sich breit,
wenn ich mich unter Tränen und Trauer
dazu durchringe zu sagen:
Gott, ich verstehe dich nicht,
aber ich will dir vertrauen.
FOTO: S. 15 biletskiy/shutterstock
Dieses Beten ist keine leere
Schicksalsergebenheit, sondern
ein Beten im Wissen, dass Gottes
Wille alles zu einem guten Ziel
führen wird.
Etwas unruhig rutschte ich in der
abgedunkelten Halle auf meinem
Stuhl hin und her. Kann man denn
so etwas behaupten? Ist das nicht
ein bisschen zu steil? Sollte es denn
falsch sein, dafür zu beten, dass Gott
meine Kinder in dieser Nacht schützend umgibt? Ist es falsch, persönliche
Bedürfnisse im Gebet auszusprechen?
Vor einigen Wochen hätte ich noch mit
Nein geantwortet. Mittlerweile lautet
meine Antwort eindeutig: Ja und Nein!
Sind Sie nun auch ein wenig verwirrt? Dann geben Sie mir ein paar
Minuten Zeit, diesen Gedanken zu
erklären und dann bin ich auf Ihre
Reaktion gespannt.
Gebete in der Wiederholungsschleife
Dr. Clemens Hägele
St u d i e n le i te r
Wenn man als Familie mit dem Auto
unterwegs ist und die Kinder ein Lieblingslied dabei haben, dann kann das
mitunter die Nerven der Erwachsenen
erheblich strapazieren. Immer und
immer wieder hört man dann vom
Rücksitz: „Nochmal, bitte nochmal...“.
Je nach Stimmungs- oder Verkehrslage
lassen sich die Eltern erneut darauf ein,
die Wünsche der Kleinen zu erfüllen.
Aber anstrengend ist es schon. Spätestens ab der dritten Wiederholung.
So muss es Gott auch ergehen, meint
Andy Stanley, Pastor der NorthpointGemeinde in Atlanta, wenn wir immer
und immer wieder mit den gleichen
Gebetsanliegen bei ihm ankommen. Widerspruch! Sofort fiel mir das
Gleichnis der bittenden Witwe ein, die
dem ungerechten Richter tagelang
mit ihrem Anliegen auf die Nerven
ging (Lukas 18,1-8). Dieser Text ermutigt uns doch dazu, nicht müde zu
werden, unsere Anliegen bei Gott im
Gebet vorzubringen. Kurz darauf war
ich gedanklich wieder zurück beim
Vortrag. Die Provokation ging weiter.
Stanley sagte: „Wenn du herausfinden
möchtest, wie es deiner Gemeinde
geht, dann achte darauf, worüber
geklagt und vor allem, wofür gebetet
wird.“ Wieder durchzuckte mich ein
Unwohlsein. Ich möchte mich doch
nicht zum Richter erheben. Aber ganz
langsam dämmerte mir, worum es
hier ging.
Lesedauer
5 – 10 min
Eine provozierende Frage:
Wofür bete ich eigentlich?
Plötzlich unterbrach Stanley seine
Ausführungen mit einer kleinen
Geschichte. Er erzählte, dass neulich
ein Freund zu ihm kam und darüber klagte, dass er morgens wieder
mal keinen Parkplatz vor der Kirche
bekommen habe. Darauf konterte er:
Dann geh doch einfach in eine der
umliegenden Gemeinden. Da findest
du ganz sicher einen freien Platz.
Nur wenig später kam ein anderer
Freund, dessen Anliegen ihn wirklich
nachdenklich machte. Dieser sagte
Dorothea Hille
16
T HEO LO GISCHE ORIENT IERUNG : Jul i – S eptember 2012
17
Wofür beten wir eigentlich?
Probleme lösen oder Spannungen aushalten?
Mir wurde in diesem Vortrag eines
klar: Beim Beten geht es nicht zuerst
darum, meine Probleme zu lösen,
sondern die Probleme von mir wegzuwerfen. „Alle eure Sorge werft auf
ihn; denn er sorgt für euch“ (1.Petrus
Beim Beten geht es
nicht darum, meine
Probleme zu lösen,
sondern meine
Probleme von mir
wegzuwerfen.
5,7). Indem ich dies tue, wird mein
Kopf plötzlich frei, dass ich wieder
sehen kann, was in meinem Umfeld
wichtig ist. Plötzlich entdecke ich die
Nöte des Obdachlosen, an dem ich
tagtäglich mit dem Rad vorbeifahre.
Oder ich sehe die Tränen in den Augen
der Mutter, die mit zwei Kindern durch
die sonnige Innenstadt läuft. Die
Tagesschau ist plötzlich nicht mehr
mein vorabendliches Unterhaltungsprogramm, sondern öffnet ein Fenster,
das mir die Bedürfnisse und Nöte der
Welt aufs Herz legt.
Doch dann merke ich: Nicht alle
Probleme lassen sich lösen. Viele
Herausforderungen sind um einiges
zu groß für mich. Dennoch will ich
es nicht lassen, mich ernsthaft damit
auseinanderzusetzen, betend und
handelnd. Beten bedeutet immer,
auch Spannungen auszuhalten. Auch
die bittende Witwe lebte in dieser
Spannung.
Göttliche Daumenschule
Spannungen können wertvoll sein.
Am Beispiel unserer Hand lässt sich das
leicht erklären. Nur weil mein Daumen
auf die anderen Finger Gegendruck
ausübt, kann ich überhaupt Dinge
anpacken. Spannungen sind Teil
unseres Lebens. Die Spannung zwi-
Spannungen machen uns
nicht diesseitsflüchtig, sondern
lebenstüchtig.
18
T HEO LO GISCHE ORIENT IERUNG : Jul i – S eptember 2012
schen Familie und Beruf lässt sich nie
ganz lösen, genauso wenig, wie die
Spannung, die durch unterschiedliche
Bedürfnisse von älteren und jüngeren
Gemeindegliedern entsteht. Auch
die Spannung zwischen dem Gebet
für mich und für mein Umfeld bleibt
bestehen. Diese Spannung ist wichtig,
um nicht einseitig zu werden. Spannungen machen mich nicht diesseitsflüchtig, sondern lebenstüchtig. Im
Gebet setze ich mich dieser Spannung
bewusst aus in dem Wissen, dass Gott
am Werk ist und die Dinge in der Hand
hält.
Wenn
Gott
unser
Gebet
nicht
erhört
Zeit für eine Inventur des
Gebets
Ein letzter Einwand: Hat nicht die
bittende Witwe auch wiederholt um
Schutz vor ihrem Widersacher gebeten? Sicher, aber liest man das Gleichnis bis zum Ende, dann wird folgendes
klar: Die Pointe liegt nicht darauf, dass
wir Gott in der Wiederholungsschleife
mit unseren Sorgen unterhalten. Das
scheint mir nur ein (wichtiger) Aspekt
des Gebets zu sein. Das ist der Kerngedanke: Wenn sich sogar der böse
Richter von der Witwe erweichen
lässt, um wie viel mehr wird unser
Vater im Himmel eingreifen und für
Gerechtigkeit sorgen. Gott ist mit uns
und er greift in die Zusammenhänge
dieser Welt ein.
Sollten wir daher im Gebet nicht
öfters unseren Blick weiten lassen?
Es tut uns gut, von Zeit zu Zeit eine
Gebets-Inventur durchzuführen und zu
prüfen, wofür wir eigentlich immerzu
beten. „Gott wird Recht schaffen in
Kürze“ (Lukas 18,8). Diese Verheißung
gilt nicht nur für private Anliegen!
Markus Weimer
St ud i e n a s s i s te n t
Kennen Sie das auch? Da haben Sie
lange und inbrünstig für eine Sache
gebetet. Es war Ihnen wirklich ernst
damit. Sie haben auf Gott und sein
Eingreifen vertraut. Aber es ist nichts
passiert. Gott hat Ihr Gebet nicht
erhört.
FOTO: S. 17 3format/photocase
zu ihm: „Andy, mein Nachbar ist heute
zum ersten Mal mit in die Gemeinde
gekommen und leider waren bereits
alle Parkplätze belegt. Er musste leider
wieder gehen – können wir da etwas
verbessern?“
Damit war er beim Kern der Botschaft angekommen. Worüber klagen
wir, wofür beten wir? Welche Bitten
dominieren das Gespräch mit Gott?
Drehe ich mich im wesentlichen um
mich selbst oder habe ich meine
Mitmenschen, meine Stadt, meine
Umwelt im Blick? Stanley hatte durchaus vor, die 7500 Zuhörer zu provozieren. Bei mir jedenfalls klappte das
ausgezeichnet. Der innere Widerstand
führte dazu, dass ich noch während
des Vortrags darüber zu grübeln
begann, wofür ich in den letzten
Tagen gebetet hatte. Und tatsächlich.
Die meisten meiner Gedanken und
Gebete drehten sich rein um mich
und meine persönlichen Bedürfnisse.
Wir glauben aber doch nicht an einen
„Wohlfühl-Gott“, der nur dafür da ist,
meine individuellen Bedürfnisse zu
befriedigen. Gott ist viel größer. Er ist
der Schöpfer des Universums, der mit
uns sein Reich schon in dieser Welt aufrichtet. Natürlich können hier meine
innersten Bedürfnisse zur Sprache
kommen. Natürlich darf ich um Schutz
und Bewahrung beten. Aber wo liegt
eigentlich der Schwerpunkt? Was ist
das Herz meines Gebetes?
Das Problem mit unerhörten Gebeten
Ich denke, jeder Christ kennt solche
unerhörten Gebete. Und das Problem
mit ihnen ist ein Doppeltes: Zum einen
ist es schon schwer genug, wenn
das Gebetsanliegen an sich nicht
erhört wird. Wenn man nicht geheilt
wird, wenn die Ehe doch zerbricht,
wenn das Kind doch den falschen
Weg einschlägt. Und zum Anderen
gesellt sich zu diesem Gefühl der
Enttäuschung oft noch ein zweites
Gefühl: Unverständnis gegenüber
Gott. Warum hat er mein Gebet nicht
erhört? War mein Anliegen falsch
oder nicht wichtig genug? Oder bin
vielleicht ich Gott nicht wichtig genug?
Ist ihm mein Leben etwa egal? Oder
soll ich etwas aus dem unerhörten
Gebet lernen? All diese Fragen führen
dazu, dass wir uns von Gott allein
gelassen fühlen, dass wir an seiner
Liebe und Fürsorge zweifeln. Oder an
seiner Allmacht. Vielleicht hat Gott
doch nicht alles in der Hand?
Und ganz ehrlich: manchmal
verschlimmert in so einer Situation
das Bibellesen zum Thema Gebet das
Problem noch. Denn dort werden
Verheißungen gemacht, die Gott in
unserem Leben auf den ersten Blick
so nicht hält: „Bittet, so wird euch
gegeben.“, „Wer an mich glaubt, der
wird dieselben Dinge tun, die ich
getan habe.“, „Bittet um was ihr wollt,
Gott hat das
Ganze im Blick.
in meinem Namen, und ich werde es
tun.“ Ich zumindest merke in meinem
Gebetsleben oft nichts davon, dass
Gott genau das tut, was ich in Jesu
Namen erbitte. Dann frage ich mich,
ob meine Motive nicht stimmen, ob
ich auf unangemessene Art bete oder
ob etwas mit meinem Glauben nicht
in Ordnung ist.
Nein, Gott lässt sich nicht in die
Karten schauen, warum er das eine
Gebet erhört und das andere nicht.
Gott darf auch nicht degradiert
werden zu einer Art himmlischer
Wunscherfüllungsmaschine. Gott
hat im Gegensatz zu uns, die wir oft
nur einen Teil der Situation erkennen
können (und zumeist den, der uns
persönlich betrifft), das Ganze im Blick:
die Vergangenheit, die Gegenwart und
die Zukunft.
Beruhigend finde ich, dass auch
in der Bibel nicht alle Gebete erhört
werden. Selbst Jesus musste als Sohn
Gottes die Erfahrung unerhörter
Gebete machen. Er hat im Garten
Gethsemane gebetet: „Lass diesen
Kelch an mir vorübergehen.“ Und
trotzdem musste er den schmerzvollen
Tod am Kreuz erleiden. Eben weil Gott
das große Ganze im Blick hatte – in
diesem Fall unsere Erlösung.
Lesedauer
5 – 10 min
Ein paar Gedankenanstöße, die mir
im Umgang mit unerhörten Gebeten
schon geholfen haben:
19
Wenn got t unser gebet nicht erhört
Du bist bei mir
alle Tage
alltags
Du bist mein Gott des Alltags
dann darf ich dir
bitte schön
auch meinen Ärger
über die hohe Reparaturrechnung
die Freude über den Fischreiher
meine Einsamkeit heute abend
und den zerrissenen Schuhbändel
übergeben
und jetzt beschwer dich nicht
so
sieht mein Alltag aus
Andrea Schwar z
Das Neue Testament gibt uns
keine vorschnellen Ant wor ten
zu unbeantworteten Gebeten. Es
fordert uns aber dazu auf, im Gebet
auszuharren. Die Ausdauer der
bittenden Witwe zahlte sich aus: Sie
machte den Richter mürbe. Am Ende
gab er ihrem Antrag nach, damit sie
ihn in Ruhe ließ.
Unbeantwortete Gebete scheinen
ein Vertrauenstest zu sein. Wir bestehen
diesen Test, wenn wir weiterbeten.
Jesus fordert uns mehrmals zur
Beharrlichkeit im Gebet auf. Denn
Beharrlichkeit treibt uns zu Gott und
stärkt unsere Beziehung zu ihm.
Schließlich geht es beim Gebet in erster
Linie um die Beziehung zu Gott und
nicht um die Dinge, die wir aus dieser
Beziehung bekommen. Beharrlichkeit
führt zu einem reiferen Gebetsleben.
Wir fangen an, Gott unserer höchsten
Liebe und Zuneigung würdig zu
erachten, weil die Beziehung zu Gott
das Ziel unserer Gebete ist und nicht
nur der Erwerb der Dinge, die wir von
Gott wollen. Wir fangen an, Gott als
Gott zu schätzen.
Der größte Fehler beim Beten ist
der, zu früh damit aufzuhören. Wir
wollen gerne unmittelbaren Erfolg
und unmittelbare Ergebnisse. Gebet
aber braucht Zeit. Mangel an Geduld
und Ausdauer hindern uns daran, in
der Kunst des Betens zu reifen (Jerry
Sittser).
Warten
Beim Gebet geht es um
die Beziehung zu Gott
und nicht um das, was
wir aus dieser Beziehung
bekommen.
Vi e l l e i c h t g i b t e s g a r k e i n e
unbeantworteten Gebete: Was wir
als „nein“ interpretieren, könnte auch
„noch nicht“ oder „nicht auf diese Art“
bedeuten. Vielleicht hat Gott sich aus
Gründen, die wir nicht kennen, dazu
entschieden, unsere Gebete nicht
oder anders als erwartet zu erhören.
Das Warten selbst kann notwendig,
kreativ und nützlich sein. Durch das
Warten können sich Umstände ändern,
Menschen zu Neuem bewegt werden
und der Beter selbst verändert werden
oder neue Impulse bekommen.
Ein unbeantwortetes Gebet nach
unserem Verständnis heißt nicht,
dass es auch nach Gottes Verständnis
unbeantwortet ist.
Klagen
Wi r d ü r fe n G o t t a u c h u n s e r
Unverständnis klagen. Der Psalter
besteht zur Hälfte aus Klagen, und die
Psalmisten zögern nicht, vor Gott zu
klagen, zu weinen oder sogar ihn für
ihr Leid verantwortlich zu machen.
Johannes Calvin sagt in seinem
Psalmenkommentar:„Der Heilige Geist
hat hier jeden Kummer, jedes Leid, alle
Ängste, Zweifel, jede Hoffnung, allen
Kummer und Ratlosigkeit, kurz, alle
Gefühle, mit denen der Verstand des
Menschen nicht aufgeregt werden
will, hervorgeholt.“ Gott erlaubt uns,
unsere Gefühle vor ihm auszuschütten
und wirklich ehrlich zu sein. Gott
hält unsere Klagen aus. Ein zorniges
Gebet ist besser als gar kein Gebet.
Denn so kann uns das, was uns
eigentlich hinunterziehen und von
Gott wegbringen will, hinaufziehen
zu Gott und die Beziehung zu ihm
stärken.
In 10 Worten: Gebet, allgemeines
Bedürfnis, Religionen, Bitte, Fürbitte,
Lob, Manipulation, Unterwerfung,
rituelles Gebet, freies Gebet
Vertrauen
Am wichtigsten ist es mir aber,
mein Vertrauen in jeder Situation auf
Gott zu setzen. So habe ich in manch
schwieriger Lebenssituation schon
wie ein trotziges Kind ein „ich will
aber!“ ausgestoßen: „Ich will aber“ an
diesem Gott festhalten, auch wenn
gerade alles so aussieht, als ob er mich
vergessen hat. „Ich will aber“ auf seine
Liebe zu mir vertrauen, die er schon
so oft bewiesen hat, auch wenn ich in
dieser Situation gerade nichts davon
spüre. „Ich will aber“ mein Leben an
diesem Gott festmachen und mich
nicht von ihm abbringen lassen. Das
Eheversprechen „in guten wie in
schlechten Tagen“ gilt für mich auch
für die Lebensbeziehung zu meinem
Herrn. „Ich will aber bei Gott bleiben
– in guten wie in schlechten Tagen.“
Und in letzteren sogar ganz besonders.
Beten wie die Heiden
Das Gebet in den Religionen
Not lehrt beten
FOTO: S. 21 Aaron Amat/shutterstock
Beharren
Das Gebet ist etwas zutiefst Menschliches. Es scheint ein
allgemeines Bedürfnis der Menschheit zu sein, sich an Gott
zu wenden. Der Mensch ist seit jeher auf der Suche nach
Gott. Selbst im säkularisierten Deutschland geben ein Drittel
der Befragten an, regelmäßig zu beten. In anderen Ländern,
Kulturen und Religionen gibt es dieses Grundbedürfnis in
gleicher Weise. Menschen aller Zeiten haben sich an Gott
gewandt. Meistens geschah und geschieht das aus der
„Not-Wendigkeit“: Menschen versuchen eine höhere Macht
für sich in Anspruch zu nehmen, weil das eigene Vermögen
nicht ausreicht, die Problematik des Lebens zu bewältigen.
Der Mensch weiß um seine Unvollkommenheit und um
seine Bedürftigkeit. Das muss ihm nicht erzählt werden,
das Leben selbst lehrt ihn das. Darum gibt es das Gebet
in den Religionen als Appell an höhere Mächte bzw. die
höchste Macht.
Gerade in dieser Bedürftigkeit ahnt der Mensch, dass es
etwas Größeres als ihn selbst gibt, etwas, wozu er sich hingezogen fühlt, wovor er aber auch Ehrfurcht oder gar Angst
hat. Der französische Naturwissenschaftler und Philosoph
Blaise Pascal, der die physikalische Existenz eines Vakuums
experimentell nachwies, nannte diese Bedürftigkeit „das
Gott-förmige Vakuum“ im Herzen des Menschen.
Daneben gibt es aber auch ein universelles Staunen
über Gott, bzw. über seine Schöpfung, das zum Lobpreis
animiert. In den verschiedenen Religionen äußert sich das
als Lob für den Schöpfer oder als Lob an die Schöpfung,
die göttliche Qualitäten in diesen Religionen annimmt.
Manchmal ist es geradezu die Ahnung von der unbeschreiblichen Größe Gottes, die dazu führt, dass Mächte angerufen
werden, die als leichter „zugänglich“ erscheinen.
Lesedauer
10 – 15 min
Nicole Mutschler
St u d i e n le i te ri n
20
T HEO LO GISCHE ORIENT IERUNG : Jul i – S eptember 2012
21
Beten wie die heiden
Was für eine Religion vermuten Sie hinter dem folgenden
Auszug aus einem Gebet?
1. Wir rufen dich, den Herrn der Heerscharen, an,
den Weisen, dich, der Weisen hochberühmtesten,
als der Gebete Fürsten, dich, Herr des Gebets,
mit Huld uns hörend setze dich auf deinen Sitz.
8. Dich, den Beschützer unsrer Leiber, rufen wir,
Erretter, du, der holder Gesinnung für uns sprichst;
die Götterhasser stürz herab, Herr des Gebets;
nicht Bösgesinnte lass erlangen höhere Huld.
Der indo-chinesische Raum
Was in manchen Zügen fast an einen Psalm des Alten
Testaments erinnert, kann erst durch weitere Gebetsstrophen als hinduistisches Gebet richtig eingeordnet werden,
gerichtet an„den Herrn des Gebets“ Brihaspati, Begleiter des
Donnergottes Indra, „Priester der Götter“ und einer der neun
Planeten(götter). Hier sehen wir, dass, obwohl das menschliche Anliegen im Gebet der Religionen ähnlich gelagert
sein kann, die Gottesvorstellung, die damit einhergeht,
grundlegend anders ausfallen kann! So etwa im chinesischen Volksbuddhismus, wo Menschen Ihre Gebetswünsche
in eine Aussparung zwischen den Schulterblättern der
häuslichen Buddha-Statue stecken, damit es den Buddha
unablässig jucke und er an ihre Gebete denke. Nur wenig
aufgeklärter ist die Praxis der Lama-Buddhisten, Stofffetzen,
Plastiktüten, Flaschen und Dosen in die seltenen heiligen
Bäume der tibetischen Hochebene als Erinnerungen an ihre
Gebete zu stecken. Der Herr Buddha soll durch das Wedeln
der Fetzen und das Klirren der Flaschen – wie durch das
Drehen der Gebetsmühlen u.a. auch – an die Gebete seiner
Verehrer erinnert werden.
Auch die altchinesische Volksreligion und Philosophie
kennt das Gebet, selbst wenn letztere – wie der philosophische Buddhismus im Gegensatz zur Volksreligion – diese
auch in Frage stellt. Texte des „Himmelsopfers“ sowie des
„Erdopfers“ aus der Han-Zeit richten sich an den „Himmel“,
bzw. im zweiten unten angeführten Gebet den Erdboden
bzw. die Scholle:
Das Gebet in den nach-christlichen
Religionen
»O erhabener, hoher Himmel!
Leuchte herab auf die niedere Erde,
sammle die Seele der Erde
und sende süßen Wind und Regen,
dass alle Wesen üppig wachsen
und jedes seinen Ort finde.
Vor dir gibt es kein einst und heute.
Ich, der König (N.), bete verehrend an
des erhabenen Himmels Segen.«
Das Christentum hat im Alten Testament eine gemeinsame Gebetstradition mit dem nachchristlichen Judentum. Deswegen gehen wir hier nicht darauf ein, sondern
beschränken uns auf den Islam als größte nach-christliche
Religionsgemeinschaft, zu der sich etwa ein Viertel der
Weltbevölkerung zählt.
Das Gebet im Islam
»O weiter, weiter Boden!
Der du aufnimmst des Himmels Geist,
erhebe süßen Wind und Regen,
dass alle Pflanzen und die hundert Körnerfrüchte
üppig gedeihen mögen
und alles in Frieden und Ruhe kommt!
Ich, der König (N.), bete ehrfurchtsvoll die Seele der
Erde an.«
Der Islam unterscheidet sich von den alten Weltreligionen
darin, dass er eine eingebaute implizite und explizite Kritik
an die bereits bestehenden Religionen und ihre Praktiken
hat. Das betrifft auch das Gebet. Beispielhaft wird im
Islam zwischen rituellem und freiem Gebet strengstens
unterschieden. Daneben hat der Islam Gebetshaltungen
und Rituale sowohl aus dem Judentum, dem syrischen
Christentum als auch aus dem altarabischen Heidentum
übernommen. Die Umrundung der Kaaba etwa geht auf die
alte heidnische Praxis der Umrundung der Götzenbilder in
Mekka – etwa bei Pfeilorakeln – zurück. Das gemeinschaftliche, rituelle Gebet übernimmt die Elemente der Erhebung
der Hände, des Stehens vor Gott, des Niederkniens vor
Gott und der Prostration (der Verneigung zu Boden/der
Niederwerfung), die aus dem Alten wie aus dem Neuen
Testament bekannt sind.
Ahnenkulte und Animismus
Die diversen Ahnenkulte unterschiedlichster Kulturen
gehen von einer Ansprechbarkeit der verstorbenen Ahnen
aus. Hier ist allerdings der Horizont des Beters bereits deutlich eingeschränkt. Vermutlich hatten die Menschen aller
Kulturen ursprünglich eine Erinnerung an den allmächtigen
Schöpfergott. Diese ist aber durch animistische Vorstellungen von Geistern (der Ahnen) und Dämonen immer weiter
in den Hintergrund gedrängt worden, wie es in vielen
afrikanischen und amerikanischen Stammesreligionen
und dem Schamanismus allgemein deutlich erkennbar ist.
Im Taoismus ist die Verneigung vor dem Räucheraltar mit
brennenden Weihrauchstäbchen zwischen den Händen
beim bai-bai-Ritual sowie das Verbrennen von „Geistergeld“
(Zahlungsmittel wie Papiergeld, das richtigem ähnelt,
inzwischen auch nachgemachte Kreditkarten) für die Ahnen
eher mit einem Opfer als mit einem Gebet zu vergleichen.
Gebete und Opfer sind oft der Versuch, die Götter oder
Geistesmächte zu manipulieren.
Keine Religion kennt die christliche
Gewissheit, voller Zuversicht und
als sein Kind im Gebet vor den
allmächtigen Gott treten zu dürfen.
„Salāt“ – das rituelle Gebet
FOTO: S. 23 chonlapoom/shutterstock
Das Gebet in den vorchristlichen Religionen
Im rituellen islamischen Gebet sind diese Gesten und
die dazu gehörenden arabisch-sprachigen Gebetssprüche
sowohl in Form als auch in der Reihenfolge streng vorgeschrieben. Es gibt keinen Spielraum für Abwechslung oder
Abweichungen, auch nicht für die Übersetzung der Gebetssprüche in die jeweiligen Landessprachen. Das rituelle,
formelle Gebet heißt im Islam„Salāt“. Während des Gebetsrituals steht, kniet und verneigt sich der Betende zum Boden
in wiederholten Gesten. Der Begriff Salāt kommt – wie vieles
im Koran bzw. Islam – aus dem Syrisch/Aramäischen und
meint die Verbeugung vor Gott. Der fromme Muslim „wirft
sich vor Allah im Gebet nieder“, und zwar im Verlauf der fünf
Gebetszeiten in 17 Gebetsgängen täglich insgesamt 34mal.
Dabei berührt er den Boden mit der Stirn als Zeichen der
Unterwerfung.„Islam“ heißt ja wörtlich„Unterwerfung“, und
dies wird im fünfmal täglichen Pflichtgebet ganz praktisch
geübt. Im Islam naht sich der Mensch Gott nicht – auch nicht
im Gebet – das wäre in den Augen eines Muslims vermessen. (Eine gewisse Ausnahme bilden mystische Sekten im
Islam, die von christlichem oder östlichem Gedankengut
beeinflusst sind und ansatzweise eine innere Verbindung
zu Gott annehmen).
Gebete sind oft der Versuch, die
Götter zu manipulieren.
Muslime, die durch den wiederholten Druck der Stirn
auf den Boden den „Gebetsfleck“ – eine ständige Blessur
an der Stirn – haben, tragen diesen stolz zur Schau. Es gibt
aber unter Muslimen auch schon seit der Zeit Mohammeds
Kritik daran. In den Hadithen wird negativ von einer Frau
gesprochen, die„ein Schafsknie zwischen den Augen“ hatte.
In Ägypten wird der Gebetsfleck heute auch spöttelnd
Zabība (deutsch „Rosine“, schwäbisch „Zibeba“) genannt.
In einem Land wie Pakistan hingegen versteht man solch
einen „Spaß“ nicht…
„ Duʿa “ – das persönliche Gebet als Bitte
oder Fürbitte
Immer wieder bin ich als Christ von Muslimen gebeten
worden, für sie zu beten. Neben den rigiden rituellen
Gebetsvorschriften gibt es unter Muslimen auch die Vorstellung, dass der Mensch als Privatperson „seine Sache“ vor
Gott bringen kann. Zumindest im Volksislam spielt darum
das persönliche Gebet eine wichtige Rolle. Trotzdem gilt
allgemein, dass beim Duʿa es für wichtig erachtet wird,
religiöse Bedingungen und Pflichten (farḍ) sowie die von
der Religion vorgeschriebenen Verhaltensweisen/Manieren
(adāb) einzuhalten.
Ausblick
Menschen suchen Gott. Menschen ersuchen Gott mit
ihren Bitten, unabhängig davon, wie sie sich ihn vorstellen. In manchen Religionen wird „Gott“ mit der Natur
gleichgesetzt. In anderen beten Menschen lieber zu den
„Geistern“, den Ahnen oder anderen Kräften und Mächten,
in der Erwartung, von Ihnen Hilfe zu bekommen – oder
aber auch von ihnen in Ruhe gelassen zu werden! Im Islam
hat das rituelle Gebet, fünfmal am Tag, die Bedeutung der
Unterwerfung unter Allah. In keiner Religion gibt es die
christliche Gewissheit, voller Zuversicht und als Gottes Kind
im Gebet vor den Allmächtigen treten zu dürfen. Nur Christen haben Zutritt zum Vater durch den Mittler Jesus Christus.
Nur Christen können sich an das Wort Jesu halten „Bittet, so
wird euch gegeben“. Nur Christen wissen, dass der Heilige
Geist ihre Anliegen mit „unaussprechlichen Seufzern“ vor
den Vater bringt. Bei Christen ist das Gebet ganz anders,
weil sie darin nicht Gott suchen, sondern darin auf das UrWort Gottes, der sie gesucht und gefunden hat, antworten.
Dr. Paul Murdoch
Stu di enlei ter
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T HEO LO GISCHE ORIENT IERUNG : Jul i – S eptember 2012
23
Wie beten wir im
Gottesdienst?
5 – 10 min
In unserer Gemeinde bat ich gelegentlich eine ältere
Dame, das Fürbittengebet im Gottesdienst zu übernehmen.
Sie wusste zwischen dem persönlichen Gebet im Kämmerlein und dem öffentlichen Gebet eines Gottesdienstes zu
unterscheiden. In Wortwahl, Inhalt und Sprache besaßen
ihre Gebete Niveau. Sie verstand es, mit ihren Gebeten die
Gemeinde mitzunehmen und ihre Anliegen aufzunehmen.
Als Einzelner kam man in ihren Gebeten vor. Am meisten
hat mich jedoch ihre Echtheit und ihre Hingabe an Christus
beeindruckt, die in ihren Gebeten zum Ausdruck kam. Ihre
Gebete verliehen dem Gottesdienst Tiefe.
Im Gottesdienst zu beten stellt eine sehr hohe und verantwortungsvolle Aufgabe dar. Unsere Fragestellung lautet
daher: Wie können wir im Gottesdienst beten? Worauf ist
zu achten?
Weil das gottesdienstliche
Gebet immer öffentlich ist,
bedarf es wie jede andere
öffentliche Rede auch der
Vorbereitung.
Die Vorbereitung des Gebets
Da das gottesdienstliche Gebet immer öffentlich ist,
bedarf es wie jede andere öffentliche Rede auch der Vorbereitung. „Wie sollte ausgerechnet das »öffentliche« Reden mit
Gott weniger Sorgfalt verdienen, weniger Vorbereiten, weniger
Nachdenken als das »öffentliche« Reden mit Menschen?“, fragt
Gerhard Hennig zu Recht. Es gehört sich ganz einfach, dass
man dort, wo man öffentlich das Wort ergreift, vorbereitet ist. Dies gilt auch für das Gebet im Gottesdienst. Sich
unvorbereitet auf die eigene Intuition oder Spontaneität zu
verlassen, kann zu Peinlichkeiten führen. Es spricht daher
sehr viel dafür, das gottesdienstliche Gebet auch inhaltlich
vorzubereiten.
Das Eingangs- oder Kollektengebet
Dies gilt zunächst für das Eingangsgebet. Mit diesem
bittet die Gemeinde Gott um seine Gegenwart und Nähe.
Vor allem aber dankt sie Gott für das Geschenk des Sonntags und bittet ihn um seinen Segen für den Gottesdienst.
Das Eingangsgebet schlägt die Brücke von draußen nach
drinnen. Es sammelt die Gedanken. Es sollte daher prägnant
und nicht ausufernd sein. Fürbitten haben an dieser Stelle
keinen Platz.
Eine Möglichkeit des Eingangsgebets stellt das sogenannte Kollektengebet dar. Der Name kommt von dem
lateinischen Wort für „sammeln“: colligere. Typisch für ein
Kollektengebet ist seine klare, feststehende Struktur, weshalb man es auch als ein Modellgebet bezeichnet. Folgende
Elemente sind konstitutiv:
ein zuverlässiger Begleiter in Angst und Not. In
diesem Glauben können wir uns bergen. Darauf
setzen wir unsere ganze Hoffnung.“
Bit te: „Wir bitten dich. Gib uns ein Wort, das uns Mut
macht. Komm uns zur Hilfe, wo wir nicht mehr
weiterwissen.“
S chl uss: „Um Jesu Christi willen.“
G em ein de: Amen.
Die klare Struktur durch Anrede, Prädikation, Bitte
und Schluss verleiht dem Gebet Prägnanz. Die wenigen
Worte dienen der Sammlung. Die Gefahr eines freieren
Eingangsgebetes liegt in seiner Verselbständigung. Das
Eingangsgebet kann ausufern oder zur gesellschaftlichen
oder psychologischen Analyse missbraucht werden. Eine
Hilfe kann es sein, auf dem Boden eines Bibelwortes zu
beten. Sei es der Wochenspruch oder ein Leitgedanke des
Sonntages. Das Gebet bekommt dadurch ein Fundament
und einen Inhalt.
„Lass in Furcht mich vor dich treten, heilige du Leib und Geist,
dass mein Singen und mein Beten ein gefällig Opfer heißt.
Heilige du Mund und Ohr, zieh das Herze ganz empor.
Benjamin Schmolck ,
Tut mir auf die schöne Pfor te, EG 166,3
24
T HEO LO GISCHE ORIENT IERUNG : Jul i – S eptember 2012
Das Allgemeine Kirchen- oder
Fürbittengebet
E in l a dun g z um G ebet: „Lasst uns beten.“
An rede: „Herr, unser Gott.“
P rä dik a t ion : „Du bist unsere Zuversicht und Stärke,
FOTO: S. carölchen/photocase
Lesedauer
Wir sollten es wieder lernen,
gesammelter und knapper,
anbetender und demütiger,
gottesbewusster und
christusorientierter zu beten.
Das Fürbittengebet kann man auch als ein „Allerweltsgebet“ bezeichnen, denn die ganze Welt kommt darin vor. Das
Allgemeine Kirchengebet kann von der Predigt gegebene
Themen und Anliegen aufnehmen. Aber das Gebet ist predigtunabhängig. Es hat seinen geistlichen Selbstwert und ist
liturgisch selbständig. Das Gebet darf zu keiner Zusammenfassung der Predigt in Gebetsform werden. Ebenso falsch
ist es, durch das Gebet die Gemeinde zu informieren oder
sie zu indoktrinieren. Nein, das Allgemeine Kirchengebet ist
um seiner selbst willen da, geboten und sinnvoll.
Die Fürbitten bewegen und ordnen sich in drei Dimensionen:
1. Die Fürbitte für die Kirche und ihre Glieder, insbesondere
für die um des Evangeliums willen Verfolgten, für
die Ausbreitung des Evangeliums, für alle Dienerinnen
und Diener Jesu Christi.
2. Die Fürbitte für die Welt, sowohl für die politische Welt
und die, die in ihr Verantwortung tragen, als auch für
die kreatürliche Welt, um „Gesundheit der Luft, Fruchtbarkeit der Erde und friedliche Zeiten“ (so Johannes
Chrysostomos).
3. Die Fürbitte für die Menschen, die sich nicht selber vertreten und helfen können: für die Not leidenden, für die
nach Brot und Gerechtigkeit hungernden, die Kinder, die
Kranken, die Alten, Witwen und Waisen, für die Sterbenden und für unser aller letzte Stunde.
Sprachliche Gestaltung des Gebets
Am Anfang eines Gebets muss klar sein, worum es
geht. Dazu gehört die gezielte Anrede Gottes. Das Gebet
bekommt auf diese Weise eine Richtung. Es erhält seine
Adresse. Neuerdings hörte ich ein „Gebet“, das sich allerdings überhaupt nicht an Gott richtete. Ein Beispiel:
„Lasst uns träumen, es gäbe das gelobte Land. Kinder
kommen auf die Welt und spielen Frieden. Sie reißen
die Alten mit. Die gedrückt waren, fangen an zu singen,
tanzen und lachen. Arbeit wird Spaß machen, denn die
Ernte ist gut. Alle werden sich freuen am Leben. Die
Freude wird anstecken.“
Der Schwerpunkt wird eindeutig verschoben. Anstatt
sich an Gott zu wenden bleibt der Betende bei sich, bei der
Gemeinde und bei ihren Träumen. Das gottesdienstliche
Gebet träumt nicht, sondern redet Gott an. Es erwartet,
dass Gott handelt.
Schließlich sollte ein Gebet sprechbar sein. Zur Sprechbarkeit aber tragen kurze Sätze bei. Schachtelsätze stiften eher
Verwirrung. Es kostet Mühe dranzubleiben. Hier ein Beispiel:
„Wenn Menschen unter uns verachtet werden, weil sie
anders denken und anders glauben, dann zeige uns,
wie wir ihnen in deinem Geiste beistehen können.“
Wir sollten es wieder lernen, gesammelter und knapper,
anbetender und demütiger, gottesbewusster und christusorientierter zu beten.
Dr. Rolf Sons
Rektor
25
Anregungen
für die
Gestaltung des
Gebetslebens
5 – 10 min
„Gebet ist ein Reden des Herzens mit Gott.“ So beschreibt
Martin Luther das Beten in seinem kleinen Katechismus.
Eigentlich ein Privileg für uns Christen – wir dürfen mit Gott
über das reden, was unser Herz bewegt. Trotzdem gibt es
manchmal Phasen im Glaubensleben, in denen einem das
Beten schwerfällt. Weil man zu müde ist, weil Sorge und Last
einen niederdrücken, weil man von Zweifeln geplagt wird,
weil das Beten schon zur Routine geworden ist.
Vielleicht finden Sie die eine oder andere Anregung, um
wieder Schwung in das Reden Ihres Herzens mit Gott zu
bringen.
Gebetsecke
Suchen Sie sich Ihre spezielle „Gebetsecke“, einen ganz
bestimmten Platz, an dem Sie sich regelmäßig mit Gott
treffen können: der Lieblingssessel, die Sofaecke, der
Platz am Fenster, die Bank im Park o.a. Auch wenn Sie
Gott natürlich immer und überall ansprechen können,
tut es manchmal gut, einen ganz speziellen Rückzugsort
zu haben, an dem man mit Gott alleine sein kann.
Gebetsbücher, eine Bibel, Lieblingslieder, eine Kerze etc.
machen die Gebetsecke komplett, um die Gebetszeit ganz
individuell und abwechslungsreich zu gestalten.
Eigene Gebetsliturgie
Um etwas Regelmäßigkeit in das Gebet zu bringen,
können Sie sich z.B. eine eigene Gebetsliturgie entwerfen,
an der Sie sich beim Beten orientieren, und die Ihren
Gebeten einen vertrauten Ablauf gibt. Diese Liturgie könnte
z.B. aus einer bestimmten Reihenfolge von Dank, Anbetung
und Fürbitte bestehen, aus einem immer wiederkehrenden
Text oder einem vorformulierten Gebet wie dem Vaterunser,
aus einem bestimmten Lied, das Sie jedes Mal am Beginn
oder am Ende Ihrer Gebetszeit singen, aus einem Psalm,
der Sie über eine gewisse Zeit begleitet, etc. Eine bereits
vorstrukturierte Möglichkeit dazu sind die „Perlen des
Glaubens“, ein Büchlein mit Perlenarmband, an dem jede
Perle für einen anderen Gebetsbereich steht.
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T HEO LO GISCHE ORIENT IERUNG : Jul i – S eptember 2012
Wartezeiten nutzen
Wie oft sitzt man im Wartezimmer und wartet auf die
Sprechstunde? Tauschen Sie doch in der Wartezeit Ihre
Neuigkeiten mit Gott aus. Denn bei ihm müssen Sie nie
im Warteraum sitzen. Gott hat durchgehend Sprechzeit!
Mit ihm kann man immer reden, im Supermarkt an der
Schlange, am Bahnsteig oder an der roten Ampel. Egal wo
Sie warten, Gott wartet immer auf ein kurzes Gespräch mit
Ihnen.
Beten ist ein Reden des
Herzens mit Gott.
Gebetskärtchen
Gebetsspaziergang
Überlegen Sie sich vor dem Beten verschiedene Anliegen,
für die Sie gerne beten möchten, und schreiben Sie jedes
dieser Anliegen auf ein Kärtchen. Sie können die Kärtchen
farblich sortieren nach den Bereichen, die Ihnen wichtig
sind, wie z.B. „Persönliche Anliegen“, „Fürbitte für andere“,
„Gebet für die Welt“, „Dank“, „Anbetung“, etc. Das bringt
schon mal äußerlich Farbe in Ihr Gebetsleben. Sie können
dabei auch für jeden Freund, Kollegen etc., für den Sie
beten wollen, ein eigenes Kärtchen anlegen, auf das Sie
die speziellen Gebetsanliegen für diese Person schreiben.
Um das Ganze noch persönlicher zu gestalten, können
Sie anstelle der Kärtchen auch Fotos nehmen. Ein netter
Nebeneffekt ist auch, dass man die Kärtchen mit den
Anliegen, die „sich erledigt haben“, in eine „Dankschachtel“
legen und sich immer wieder darüber freuen kann, sobald
man den Deckel hebt.
Um wieder frischen Wind in Ihr Gebetsleben zu bringen,
lassen Sie sich doch tatsächlich den Wind um die Nase
wehen und gehen Sie mit Gott spazieren. Unterwegs hat
man manchmal mehr Abstand zu den eigenen Problemen,
einen weiteren Blick und ist offener für das, was Gott einem
zu sagen hat. Man kann außerdem auch gleich für die Dinge
beten, die man sieht: Gottes Schöpfung, Menschen, die
einem begegnen, die Nachbarn, an deren Häusern man
vorbeigeht... .
Beten beim Autofahren
Mein persönlicher Geheimtipp ist, einfach mal das
Autoradio abzuschalten. Gerade längere Autofahrten
können ohne musikalische Dauerberieselung zu den
intensivsten Gebetszeiten werden. Denn im Auto hat man
zum einen wirklich mal die Zeit und die Ruhe, um still zu
werden und mit Gott zu reden, und man wird zum anderen
nicht dauernd durch all die „unglaublich wichtigen Dinge“
aus dem Gebet gerissen, die sonst natürlich sofort erledigt
werden müssen. Der Vorteil des Autos ist auch, dass man
dort wirklich allein und ungestört ist und so laut oder leise
singen und mit Gott reden kann wie man will.
Vorformulierte Gebete
Wenn uns mal die Worte zum Gebet fehlen, müssen
wir den Kontakt mit Gott nicht abbrechen. Wir können
stattdessen die Worte anderer Menschen gebrauchen, um
mit Gott zu reden. Beten Sie Psalmen, Gebete oder Lieder
aus dem Gesangbuch oder einem anderen Liederbuch oder
nehmen Sie Gebetsbücher zu Hilfe.
Gebetstagebuch
Gebetszweierschaft
Manchmal hat man das Gefühl, dass das eigene Gebet
ziemlich kraftlos ist, sich im Kreis dreht oder nur bis zur
Zimmerdecke reicht. Mir hat es in so einer Phase geholfen,
mit einer Freundin eine Gebetszweierschaft zu beginnen.
Wir haben uns jede Woche an einem festen Termin für eine
Stunde getroffen, in der wir zuerst einmal ausgetauscht
haben, wie es uns geht, was uns beschäftigt, für welche
Leute und Dinge wir beten wollen. Danach haben wir das,
was wir besprochen haben, Gott erzählt und unseren Dank
und unsere Bitten vor ihn gebracht. Ich fand es zum einen
hilfreich, diesen festen Gebetstermin zu haben, und zum
anderen zu wissen, dass ich nicht alleine für etwas bete,
FOTO: Sorin Popa/shutterstock
Lesedauer
sondern dass wir gemeinsam beten. Wenn der Freund, mit
dem man gerne beten möchte, zu weit weg wohnt, kann
man sich auch am Telefon „treffen“ und dort zusammen
beten.
Literaturtipps:
Amt für Öffentlichkeitsarbeit der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche
in Zusammenarbeit mit der Pastoralen Dienststelle im Erzbistum
Hamburg (Hg.), Mit den Perlen des Glaubens leben, Kiel 2005.
Hans Peter Royer, Nach dem Amen bete weiter.
Im Alltag mit Jesus unterwegs. Holzgerlingen 2004.
Schreiben Sie doch mal Ihre Gebete auf. Das Schreiben
hilft, sich über manche Dinge klar zu werden und das
Eigentliche deutlicher zu fassen. Außerdem kann man
später immer wieder zurückblättern und nachsehen, wo
Gott ein Gebet erhört hat, wo sich eine Situation und somit
auch das Gebetsanliegen verändert hat, wie man selbst in
seiner Beziehung zu Gott gewachsen und gereift ist, und
wie Gott im eigenen Leben gewirkt hat.
Nicole Mutschler
Stu di enlei teri n
27
Die Mission
des Gebets für
die Mission
Der ABH-Missionsgebetskreis
stellt sich vor
D a s M i s s i o n s g e b et s k re i s te a m :
Sr. Anne Rentschler, Dominik Frank und Rosalie Baumann
Weltweit erdulden viele Christen um ihres Glaubens
willen schlimme Verfolgungen. Sie werden von ihren Familien verstoßen oder sogar mit dem Tod bedroht! Um Gottes
Missionsbefehl zu erfüllen, verlassen viele ihren geschützten Rahmen und nehmen Unbequemes auf sich. Sie sind
besonders auf Gottes Beistand angewiesen. Deutlich sehen
gerade sie, dass alle unsere Bemühungen vergeblich sind,
wenn nicht Gott selbst dahintersteht, und dass unsere
menschlichen Kräfte schnell verbraucht sind, wenn nicht
er durch seine Kraft in uns wirkt.
„Alle Dinge sind möglich bei Gott!“ Davon gehen wir aus!
Deshalb treffen wir uns einmal in der Woche, um gemeinsam für unsere weltweiten Geschwister vor Gott einzutreten
und ihn um Kraft für sie zu bitten. Es ist eine wunderbare
Sache zu erfahren, wie Gott Gebet erhört, Gefängnistüren
öffnet und Menschen die rettende Botschaft annehmen,
oder auch von Christen zurückgemeldet zu bekommen, wie
dankbar sie für Gebetsunterstützung sind. Wir selbst können
Beten
heiSSt
für
mich…
28
dabei lernen, nicht nur um uns und unsere Probleme zu kreisen, sondern unseren Blick auch über den Horizont unserer
kleinen Welt zu heben und die zu sehen, für die die Bitte um
das tägliche Brot noch eine ganz andere Bedeutung hat.
So erleben wir, wie Gott seine Kinder, egal wo sie sich
auf dem Globus befinden, durch seinen Geist miteinander
verbindet.
Neben Anliegen aus den verschiedensten Ländern beten
wir in jedem Semester ganz besonders für ein konkretes
Missionswerk. Im Rahmen unseres Missionsfestes wird
dieses Werk dann durch den jeweiligen Leiter vorgestellt. In
diesem Semester beten wir vor allem für Indien mit seinen
vielen unerreichten Bevölkerungsgruppen.
Wir wollen einüben, die Kraft des Gebets beständig in
Anspruch zu nehmen; schließlich wendet es sich an den,
der alle Dinge wenden kann!
Bruder Andrew, der Gründer von „Open
Doors“ berichtet in seinem Buch „Der
Schmuggler Gottes“ von einem Erlebnis während seiner Bibelschulzeit. Er war auf Grund
von Studiengebühren in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Nicht einmal das Geld
für Zahnpasta hatte er noch zur Verfügung.
In dieser Phase wurde ihm etwas bewusst:
Wenn Gott tatsächlich der Herr der Welt ist,
ihm etwas an mir liegt und er mich in diese
Situation geführt hat, dann kann, und dann
wird er sich auch um Zahnpasta kümmern.
Dieser Gedanke hat mein Gebetsleben
revolutioniert. Schon seit einiger Zeit war ich
frustriert über meine kläglichen Versuche,
mit Gott ins Gespräch zu kommen. Während
ich Anliegen um Anliegen herunterleierte,
brachen immer wieder Zweifel durch. Was
nützt es eigentlich, wenn ich nur Dinge ausspreche, die Gott sowieso längst weiß? Warum
soll ich ihn um etwas bitten, wenn er doch viel
T HEO LO GISCHE ORIENT IERUNG : Jul i – S eptember 2012
besser überblicken kann, was ich und andere
brauchen? Mir war etwas Wichtiges entgangen: Beten lebt nicht von einem stumpfen
Bitte-Danke-Schema, sondern von Abhängigkeit. Es geht über das ständige Mitteilen
der eigenen Bedürfnisse hinaus. Es nimmt das
ganze Leben in die Pflicht und es verlangt, sich
jeden Tag neu auszuliefern und gleichzeitig
alles von Gott zu erwarten. Da bleibt nichts
außen vor, und da hat alles seinen Platz, vom
Höchstheiligen bis zum zutiefst Nebensächlichen. Gebet ist deshalb in erster Linie Ausdruck einer Lebenshaltung, einer Haltung,
die sich selbst zurückstellt und bereit ist, das
eigene Leben von Jesus her zu denken.
Was das
Gebet
eines Kindes
vermag
Die englische Missionsärztin Dr.
Helen Roseveare gab am 4. Februar
1976 vor einer Gemeinde folgenden Bericht von ihrer Arbeit in Zaire
(Kongo):
„Ich hatte im Kreissaal hart gearbeitet in jener Nacht, um das Leben
einer Mutter zu retten. Trotz aller
Anstrengungen starb sie jedoch. Sie
hinterließ uns ein winziges Frühchen und eine zweijährige, weinende
Tochter. Es sollte sich als schwierig
erweisen, dass Frühchen am Leben
zu erhalten, hatten wir doch keinen
Wärmekasten und keine Einrichtung
für die Fütterung einer solchen Frühgeburt. Obwohl wir am Äquator lebten,
waren die Nächte kühl und es gab
oftmals einen gefährlichen Luftzug.
Eine Hebammenschülerin holte die
Kiste mit der Baumwollwatte, die wir
für solche Notfälle hatten. Eine andere
hatte Feuer gemacht, um Wasser für
eine Heißwasserflasche zu erwärmen.
Aufgebracht kam diese zurück und
berichtete, dass die Bettflasche beim
Befüllen geborsten war. Gummi wird
eben in den Tropen schnell spröde.
„Und das war unsere letzte Blattflasche!“, gab sie gequält von sich. „Okay!“
sagte ich, „deine Aufgabe wird es sein,
das Kind warm zu halten. Stelle die
Kiste so nah es geht ans Feuer und leg
dich zwischen das Kind und die Tür, um
es vor Zugluft zu schützen.“
Am folgenden Mittag traf ich mich,
entsprechend meiner Gewohnheit, mit
den Waisenkindern, die das Verlangen
hatten, zu beten. Ich nannte verschiedene Gebetsanliegen und erzählte
dabei auch von dem Frühchen und
von dem weinenden Zweijährigen, das
seine Mutter verloren hatte. Während
der Gebetszeit betete die zehnjährige
Ruth mit der für unsere afrikanischen
Kinder üblichen Direktheit:„Bitte lieber
Gott, schicke uns eine Bettflasche.
Wir brauchen sie aber heute. Morgen
wird sie uns nichts mehr nützen, denn
das Baby würde dann bereits tot sein.
Also schicke sie gleich heute Nachmittag!“ Innerlich erschrak ich vor der
Anmaßung der Bitte, aber sie fuhr fort:
„und wo du dabei bist, würdest Du
bitte auch eine Puppe für das kleine
Mädchen mitschicken, damit sie es
begreift, dass du sie wirklich lieb hast.“
Wie so oft bei Kindergebeten, war
ich völlig perplex. Konnte ich ehrlich
zu diesem Gebet „Amen“ sagen? Ich
weiß schon, dass Gott alles vermag.
Aber es gibt doch Grenzen, oder nicht?
Ich war schon vier Jahre in Afrika und
hatte noch kein einziges Paket von
zuhause erhalten. Und sollte jemand
mir ein Paket schicken, würde keiner
auch nur im Traum daran denken eine
Wasserflasche beizulegen, nachdem
ich ja am Äquator wohne, geschweige
denn eine Puppe…
Am späteren Nachmittag, als ich
beim Unterricht für die Schwesterschülerinnen war, erhielt ich die Nachricht, etwas läge auf der Veranda vor
meiner Wohnung. Als ich nach Hause
kam, lag tatsächlich eine große, zehn
Kilogramm schwere Schachtel vor der
Türe. Ich fühlte schon die Tränen in den
Augen und mit wachsender Aufregung
rief ich die Waisenkinder zusammen.
30 bis 40 Augenpaare starrten auf das
Paket, als ich die Schnüre vorsichtig
löste, um herauszufinden, was das
das Paket enthielt. Obendrauf waren
Lesedauer
5 – 10 min
Simon Blatz
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Bücher aus dem Bengelhaus
sie unten ankam und schließlich eine
wunderschön angezogene Puppe
hervorzog. Sie hatte nie daran gezweifelt. Sie schaute zu mir hoch und bat
mich: „Mama, darf ich mit dir hinüber
gehen und diese Puppe dem kleinen
Mädchen geben, damit sie erfährt, dass
Jesus sie wirklich liebt?“
Das Paket war schon fünf Monate
unterwegs nach Afrika. KinderkirchKinder hatten es gepackt. Ihre Mitarbeiterinnen waren einer inneren
Stimme gefolgt, eine Bettflasche beizugeben – und diese an den Äquator
zu schicken. Und eines der Mädchen
hatte eine Puppe hineingelegt – als
Gebetserhörung auf das Gebet einer
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Zehnjährigen, ihr Gebet doch noch am
selben Tag zu erhören; ein Gebet, das
erst fünf Monate später ausgesprochen
werden sollte.“
Die Missionarin Helen Roseveare,
die zuvor einen grausamen Überfall
der Simba-Rebellen überlebt hatte,
bei dem sie selbst schwer misshandelt
und vergewaltigt worden war und der
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mit einem Wort aus Jesaja 65,24 „Und
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konnte es sein? Ich holte es heraus und
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Gummi! Ich musste weinen. Ich hatte
Gott nicht darum gebeten, die Bettflasche zu senden. Ich hatte auch nicht
wirklich geglaubt, dass er es konnte.
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„Gut zu wissen“ biblische Lehre, theologische
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Wenn Sie jetzt neugierig geworden sind:
Dann schauen Sie gleich auf Seite 4 und melden sich am
besten schnell an, denn im Oktober beginnen wir
mit dem ersten Seminar.
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Wir freuen u
Mensch, wer bin ich?
Selbstbild.Weltbild.Ebenbild
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Impulse und Gedanken zum Thema des
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Samstag, 19. Januar,
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