K. Dykmann: Perceptions and Politics Dykmann, Klaas: Perceptions

Transcrição

K. Dykmann: Perceptions and Politics Dykmann, Klaas: Perceptions
K. Dykmann: Perceptions and Politics
Dykmann, Klaas: Perceptions and Politics. The
Foreign Relations of the European Union with Latin America. Frankfurt: Vervuert Verlag 2006.
ISBN: 3865272614; 208 S.
Rezensiert von: Felix Brahm, Universität
Hamburg, Historisches Seminar
Unter Politikwissenschaftlern und Zeithistorikern ist es inzwischen trotz der begrenzten Handlungsfähigkeit der EU in außenpolitischen Fragen weitgehend Konsens, von ihr
als einem eigenständigen Akteur der internationalen Beziehungen auszugehen. Dies tut
– ohne die breite Diskussion zu dieser Frage noch einmal referieren zu müssen – auch
Klaas Dykmann in der vorliegenden Studie,
in der er die Beziehungen der Europäischen
Union zu Lateinamerika der letzten etwa 20
Jahre untersucht. Nach den klassischen Studien von Hazel Smith ist diesem Thema in
den letzten Jahren verstärkt auch im deutschsprachigen Raum Aufmerksamkeit geschenkt
worden.1 Dykmann geht es vor allem darum,
Licht in Entscheidungsprozesse und die ihr
zugrunde liegenden Funktionsweisen, Interessenlagen und Problemwahrnehmungen innerhalb und außerhalb der EU zu bringen, die
strategische Handlungsfähigkeit der GASP
einer kritischen Revision zu unterziehen und
Perspektiven für eine zukünftige Gestaltung
der Beziehungen zu entwickeln. Im Mittelpunkt stehen bei Dykmann politische Beziehungen der EU. Wirtschafts- und Handelsbeziehungen und die Entwicklungszusammenarbeit werden nur insoweit in die Untersuchung einbezogen, als dass sie diese tangieren oder zumindest tangieren könnten. Insofern handelt es sich in der vorliegenden Studie freilich nicht, wie der Titel vermuten lassen könnte, um eine Gesamtbetrachtung der
offiziellen Beziehungen zwischen der EU und
Lateinamerika.
Wer sind die entscheidenden Akteure politischer Beziehungen zwischen der EU und
Lateinamerika und welchen Stellenwert messen sie diesen Beziehungen auf der Wahrnehmungsebene bei? Wie unabhängig und wirkungsvoll kann die GASP, gerade in Krisensituationen in Lateinamerika, handeln? Ist die
Region Teil langfristiger strategischer Planungen? Welche Rolle spielen nationale Akteu-
re, vor allem Spanien und die USA, in der
Konfiguration dieser Beziehungen? Zur Beantwortung dieses Fragenkomplexes wählt
Dykmann eine empirische und zugleich pragmatische Vorgehensweise, indem er Interessen und Problemwahrnehmungen der Akteure und deren Niederschlag in den verschiedenen Initiativen untersucht. Dabei kann er auf
einen reichen Fundus von über einhundert Interviews und panel discussions zurückgreifen, die er zwischen 2003 und 2005 mit officials diverser EU-Institutionen, mit lateinamerikanischen, US-amerikanischen und spanischen Diplomaten sowie mit Wissenschaftlern geführt hat.
Zunächst geht Dykmann auf die Entstehung und Struktur der GASP ein und gibt
einen historischen Abriss der Beziehungen
der Europäischen Gemeinschaften bzw. der
EU zu Lateinamerika. Er zeigt, dass speziell
die sicherheitspolitischen Initiativen der EU
in Bezug auf die Krisen in Zentralamerika in
den 1980er Jahren, indem sie ein Gegengewicht zur US-amerikanischen Politik bildeten,
nicht nur den Beginn für politische Beziehungen der EU zu Lateinamerika darstellten, sondern gleichzeitig eine konstitutive Rolle für
die GASP insgesamt gespielt haben. Verglichen mit der heute marginalen Stellung Lateinamerikas in der außenpolitischen Agenda
der EU, die Dykmann für die Zeit nach dem
Ende des Ost-West-Konflikts konstatiert, ist
diese Entwicklung „somewhat ironic“ (S. 55).
Besondere Bedeutung für die Gestaltung
der politischen Beziehungen zwischen der
EU und Lateinamerika fällt Spanien und den
USA zu. Beiden widmet Dykmann besondere Aufmerksamkeit. Häufig metaphorisch als
„Brücke“ zwischen Europa und Lateinamerika bezeichnet, zeigt Dykmann auf, welche
aktive aber gleichzeitig problematische Rolle
Spanien für die Außenpolitik der EU zu Lateinamerika gespielt hat. Zwar sei es nichts
Ungewöhnliches, dass Spanien seit seinem
1 Insbesondere
Smith, Hazel, European Union Foreign
Policy and Central America, Basingstoke 1995; Grabendorff, Wolf; Seidelmann, Reimund (Hgg.), Relations
between the European Union and Latin America. Biregionalism in a changing global system, Baden-Baden
2005; Kernic, Franz; Feichtinger, Walter (Hgg.), Transatlantische Beziehungen im Wandel. Sicherheitspolitische Aspekte der Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Lateinamerika, Baden-Baden 2006.
© H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved.
EU-Beitritt 1986 versucht habe, die Linie der
politischen Beziehungen der EU zu Lateinamerika vorzugeben. Die Problematik sieht
Dykmann vielmehr darin, dass Spanien keine
mit Frankreich und Großbritannien vergleichbare Machtposition in der EU innehat, um
entsprechend deren Afrika- bzw. Asienpolitik, seine Lateinamerikapolitik auf eine europäische Ebene zu stellen.
Beispielhaft deutlich wird dies in einem
der beiden case studies, in denen Dykmann
die Reaktion der EU auf Krisensituationen
in Lateinamerika untersucht: auf die Regierungskrise und die Unruhen in Argentinien um den Jahreswechsel 2001/2002 und auf
den gescheiterten Staatsstreich in Venezuela
2002. Bei letzterem Fall hatte Spanien, das
die EU-Ratspräsidentschaft innehatte, einen
eigenen declaration draft in Umlauf gebracht,
der kritische Töne gegenüber dem Staatsstreich vermissen ließ, ohne sich mit den anderen Mitgliedstaaten und dem Hohen Vertreter der GASP abzustimmen. Beide case
studies zeigen für Dykmann neben der allgemeinen Handlungsschwäche aber vor allem
drei Missstände der GASP: Behäbigkeit, ungenügende Koordination und Desinformation. Ließen sich die Ziele aber vielleicht auch
weniger hoch ansetzen? Dann könnte man
im Falle des spanischen Vorstoßes immerhin
die nachfolgende Korrektivfunktion der GASP hervorheben.
Die USA zieht Dykmann in die Untersuchung mit ein, indem er das Spektrum
unterschiedlicher Wahrnehmungen und Interessenlagen im Dreieck USA, Lateinamerika und EU aufzeigt. Unter anderem arbeitet
er die Wahrnehmung der Außenpolitik der
EU und der USA in Lateinamerika heraus,
verdeutlicht den Skeptizismus, der bei vielen US-amerikanischen Akteuren gegenüber
der EU vorherrscht und thematisiert die Problematik, die sich für die EU aus der USamerikanischen, auf Nationalstaaten konzentrierten Außenpolitik, ergibt. Auf der anderen Seite ist es aber auch so – das wird bei
Dykmann wiederholt deutlich – dass auch die
EU Lateinamerika nicht als einen einheitlichen politischen Raum wahrnimmt, sondern
sich bei der Suche nach strategischen Partnern
auf „verlässliche Partner“, wie insbesondere
Mercosur, Chile und Mexiko konzentriert.
Gerade auch vor diesem Hintergrund wird
die abschließend von Dykmann nach ihrem
Gehalt hin untersuchte, 1999 proklamierte
„strategische Partnerschaft“ zwischen Europa und Lateinamerika zu einer Worthülse. Es
gibt keine langfristige Strategie politischer Beziehungen der EU in Bezug auf Lateinamerika – das ist nicht nur Dykmanns Befund,
sondern gleichzeitig sein Hauptkritikpunkt.
Denn sein Buch ist nicht nur eine wissenschaftliche, sondern zugleich eine Politik beratende Studie, ein Statement für eine Stärkung der politischen Handlungsfähigkeit der
GASP und insbesondere ein Plädoyer für die
Entwicklung einer langfristigen Perspektive
politischer Beziehungen der EU zu Lateinamerika, für die Dykmann am Schluss konkrete Vorschläge entwickelt.
Angesichts der starken empirischen Orientierung der Arbeit und der Tatsache, dass sie
sich wesentlich auf die, angesichts des knappen Umfanges des Bandes große Interviewzahl stützt, hätte man sich freilich gewünscht,
dass Dykmann – auch wenn nach Auskunft
des Autors eine Vorraussetzung für die Verwendung der Interviews war, dass die Quellen anonym bleiben mussten – Auswahlkriterien, Zusammenstellung und Methodik der
Auswertung seiner Interviews für den Leser
noch transparenter macht, um die Schlussfolgerungen für eine wissenschaftlich-kritische
Auseinandersetzung zu öffnen. Die Interviews könnten zudem, systematisiert, über
Interessen und Problemwahrnehmungen der
Beteiligten hinaus, noch stärker zur Klärung
konkreter Entscheidungsprozesse herangezogen werden.
Trotz dieses Wermutstropfens ist die Studie Dykmanns ist aus mehreren Gründen sehr
wertvoll: Sein Autor erweist sich als außerordentlich gut informiert und betrachtet sein
Untersuchungsfeld, was sehr lobenswert ist,
aus den Perspektiven europäischer, lateinamerikanischer und US-amerikanischer Akteure. Zudem ist Dykmanns Untersuchung
gut strukturiert, und kann über die eigentliche Fragestellung hinaus – auch wenn
Dykmann dies erklärtermaßen nicht beabsichtigt hat – auch als ein Überblickswerk der
bisherigen politischen Beziehungen der EU
zu Lateinamerika dienen.
© H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved.
K. Dykmann: Perceptions and Politics
Felix Brahm über Dykmann, Klaas: Perceptions and Politics. The Foreign Relations of the
European Union with Latin America. Frankfurt
2006, in: H-Soz-Kult 05.10.2007.
© H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved.