Darum ist ein Ausstieg aus der Sexarbeit so schwierig

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Darum ist ein Ausstieg aus der Sexarbeit so schwierig
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Politik extra
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NR. 140 . DONNERSTAG, 20. JUNI 2013
Darum ist ein Ausstieg aus der Sexarbeit so schwierig
Interview Sozialpädagogin Christine Bangert hilft Prostituierten – Langer Prozess mit Hindernissen – Viele Beratungsstellen in Deutschland
Von unserer Reporterin
Charlotte Scharf
M Koblenz. Oft ist Hilfe ganz nah:
Deutschlandweit gibt es viele Beratungsstellen, an die sich Sexarbeiterinnen wenden können. Seit
vier Jahren gibt es Roxanne in Koblenz. Christine Bangert ist seitdem
die einzige Sozialpädagogin in
Rheinland-Pfalz, die sich ausschließlich um die Beratung von
Prostituierten kümmert. Einmal in
der Woche fährt sie raus und besucht Frauen in der Region, die ihr
Geld mit der Sexarbeit verdienen
– auf der Straße, in Terminwohnungen oder im Wohnwagen. Die
Sozialpädagogin gibt rechtliche Informationen, Hilfe bei Alltags- und
Familienproblemen, Aufklärung zu
sexuell übertragbaren Krankheiten
und hilft vor allem bei einem Ausstiegswunsch. Das Interview:
Warum ist es für eine Sexarbeiterin
so schwer, aus ihrem Beruf auszusteigen?
Die Chancen sehen ziemlich
schlecht aus, wenn die Frauen kei-
ne Berufsausbildung haben, was
bei vielen der Fall ist, oder schon
lange aus dem normalen Berufsleben heraus sind. Ihnen fehlen
Perspektiven, berufliche Alternativen, Angebote zur Wiedereingliederung in den Beruf. Wenn die
Frau jung ist, ist es noch möglich,
einen Schulabschluss nachzuholen. Aber in der Regel sind es Frauen um die 40, die einen Ausstiegswunsch haben, weil die Verdienstmöglichkeiten im Sexgewerbe dann nicht mehr gegeben sind.
Die haben dann meistens einen
sehr schwierigen Weg vor sich.
Viele Frauen haben auch Angst,
aus ihrem vergangenen Leben als
Sexarbeiterin zu reden. In den
meisten Fällen heißt es für die
Frauen, dass sie in den ALG II-Bezug kommen. Das ist insofern kaum
eine Alternative.
Sind die Frauen überhaupt berechtigt ALG II, also Hartz IV, zu
beziehen?
Das kommt darauf an, aus welchem Heimatland sie kommen und
wie lange sie schon hier in
Deutschland sind. Insbesondere
kommt es darauf an, ob sie nachweisen können, dass sie hier selbstständig waren, Steuern gezahlt haben und sich nicht nur zur Ar-
Serie
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Warten auf den Freier
Ein Leben auf dem
Straßenstrich
Teil 1: Im Rotlichtviertel
Teil 2: Handel mit Menschen
Teil 3: Wie Prostituierte leben
Teil 4: Alles legal – oder?
Teil 5: Hilfe für den Ausstieg
Teil 6: Ich war eine Prostituierte
Teil 7: Der Aussteiger
beitssuche in Deutschland aufhalten. Sie zahlen zwar alle die Tagespauschale von 25 Euro an das
Finanzamt, aber können das in
den seltensten Fällen nachweisen.
Ich habe auch Klientinnen, bei denen es die Möglichkeit gibt, den
Steuernachweis und somit den
Nachweis der Selbstständigkeit
durch das Finanzamt im Nachhinein nachzuvollziehen, weil sie
dort mit ihrem Künstlernamen gemeldet sind. Aber das ist leider
nicht immer der Fall.
Bekommen die Frauen keine
Quittungen ausgestellt?
Der Betrag wird von den Betrieben
eingezogen, und Quittungen werden ihnen so gut wie nie gegeben.
Ich weiß nicht, ob das Fahrlässigkeit ist oder einfach im Tagesbetrieb untergeht. Ein weiteres Problem ist, dass die Mehrzahl der Migrantinnen nicht krankenversichert
ist oder sie ihre Krankenversicherung aus dem Heimatland nicht
nachweisen können, dies erschwert nochmals die Antragstellungen bei den Behörden. Oftmals
können sich die Frauen die Krankenversicherung in Deutschland
nicht leisten, weil sie sich privat
versichern müssten, und das kostet
rund 350 Euro im Monat. Das ist
für viele schlichtweg nicht zu bezahlen. Der ALG-II-Bezug kommt
daher meistens nur für die deutschen Frauen infrage, in seltensten
Fällen für die Migrantinnen.
wir der Frau unterstützend zur Seite. Leider können wir strukturelle
Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt nicht verändern. Gute Chancen zum Ausstieg hat eine Frau
mit einem entsprechenden sozialen Netz außerhalb des Milieus
und einer finanziellen Rücklage
für eventuelle Engpässe. Leider
stehen uns keine Stiftungsgelder
oder Wohnungen zur Verfügung,
womit wir in Not geratenen Frauen unverzüglich helfen könnten.
Wie versuchen Sie, den Frauen
dennoch zu helfen?
Wir bieten für den Ausstieg psychosoziale Begleitung und auch
Therapie im Falle einer Traumatisierung an. Wir sagen den Frauen
ehrlich, dass ein Ausstieg ein längerer und schwieriger Prozess ist.
Wir arbeiten mit der Gleichstellungsbeauftragten des Jobcenters
Koblenz zusammen, die über berufliche Alternativen informiert.
Wenn es nötig ist, helfen wir bei
Antragsstellungen, begleiten zu
Ämtern und helfen beim Verfassen
von Bewerbungen. Ein Ausstieg ist
ein Prozess, der meist über mehrere Monate geht, manchmal sogar
Jahre. In der ganzen Zeit stehen
Z
Sie erreichen Roxanne montags bis donnerstags von 9 bis
14 Uhr in der Schenkendorfstraße
24 in Koblenz, unter Tel.
0261/914 697 41 oder per E-Mail
an roxanne.koblenz@
profamilia.de. Beratung ist kostenlos und vertraulich.
Beratungsstellen in Deutschland
Es gibt sehr viele Hilfsorganisationen
für Frauen in Deutschland – weit
mehr, als wir auf dieser Seite abbilden konnten. Diese Organisationen
arbeiten eng mit der Polizei zusammen, sind bei Razzien mit vor Ort,
manche betreuen die Opfer von
Menschenhandel und andere helfen
Prostituierten, die aussteigen wollen. Sie organisieren Schutzwohnungen, helfen, Anträge für Sozialleistungen auszufüllen, und versuchen, den Frauen mit Bildungsangeboten eine Perspektive zu geben.
Hamburg
Koofra
Koordinierungsstelle gegen
Frauenhandel e. V.
Postfach 30 61 44
20327 Hamburg
Deutschland/Germany
Tel.: 040/679 997 57
www.koofra.de
Kiel
Contra
Fachstelle gegen Frauenhandel
in Schleswig-Holstein
Postfach 3520
24034 Kiel
Tel.: 0431/557 791 91 und
0431/557 791 90
E-Mail: [email protected]
www.contra-sh.de
Schwerin
Zora
Fachberatungsstelle für Betroffene von Menschenhandel und
Zwangsverheiratung
Postfach: 110134
19001 Schwerin
Tel.: 0385/521 32 20
Mobil: 0174/920 75 61
E-Mail: [email protected]
www.fhf-rostock.de
Berlin
Ban Ying e. V.
Beratungs- und Koordinationsstelle gegen Menschenhandel
Anklamer Strasse 38
10115 Berlin
Tel.: 030/440 637 374
E-Mail: [email protected]
www.ban-ying.de
Berlin
Hydra e. V.
Treffpunkt und Beratung für
Prostituierte
Köpenicker Straße 187/188
10997 Berlin
Tel.: 030/611 00 23
E-Mail: [email protected]
www.hydra-berlin.de
Bremen
Nitribitt e. V.
Ausstiegsberatungen für
Sexarbeiterinnen
Stader Str. 1
28205 Bremen
Tel.: 0421/448 662
www.nitribitt-bremen.de
Berlin
ONA e. V.
Unterstützung für Frauen aus
Mittel- und Osteuropa
ONA–Zufluchtswohnung
Postfach 870218
13162 Berlin
Tel.: 030/480 962 81
E-Mail: [email protected]
Soest
Theodora
Ausstiegsberatung für junge Frauen in
Ostwestfalen-Lippe
Landesverband der Evangelischen
Frauenhilfe in Westfalen e. V.
Geschäftsstelle
Feldmühlenweg 19
59494 Soest
Tel.: 02921/3710
E-Mail: [email protected]
www.frauenhilfe-westfalen.de
Koblenz
Roxanne
Dortmund
Dortmunder Mitternachtsmission e. V.
Beratungsstelle für Prostituierte, ehemalige
Prostituierte und Opfer von Menschenhandel
Dudenstraße 2-4
44137 Dortmund
Tel.: 0231/144 491
E-Mail: [email protected]
www.standort-dortmund.de/
mitternachtsmission
Beratung und Hilfe für Prostituierte
Schenkendorfstraße 24
56068 Koblenz
Tel.: 0261/914 697 41
E-Mail: [email protected]
http://www.profamilia-rlp.de/de/beratungsstelle-fuer-prostituerte-in-koblenz.html
Plauen
Karo e. V.
Verein gegen Zwangsprostitution, Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung
Am unteren Bahnhof 12
08527 Plauen
Tel.: 03741/276 851
E-Mail: [email protected]
www.karo-ev.de
Boppard
Solwodi Deutschland e. V.
Frauenrechtsorganisation
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Tel.: 06741/2232
www.solwodi.de
Solwodi hat unter anderem
Beratungsstellen in:
56014 Koblenz, Postfach 20 14 46
Tel.: 0261/33 791
55027 Mainz, Postfach 37 41
Tel.: 06131/67 80 69
67012 Ludwigshafen, Postfach
21 12 42, Tel: 0621/52 91 277
Nürnberg
Kassandra e. V.
Beratungsstelle für Prostituierte
Breite Gasse 1
90402 Nürnberg
Tel.: 0911/376 52 77
E-Mail: [email protected]
www.kassandra-nbg.de
Stuttgart
Kobra
Beratungsstelle gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen
Hölderlinstr. 20
70174 Stuttgart
Tel.: 0711/162 970
www.kobra-ev.de
München
Jadwiga
Fachberatungsstelle für Rechte
der Opfer von Frauenhandel
Schwanthalerstraße 79
80336 München
Tel.: 08938/534 455
www.jadwiga-online.de