Stefan Reinecke: Hollywood goes Vietnam: Der Vietnamkrieg im

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Stefan Reinecke: Hollywood goes Vietnam: Der Vietnamkrieg im
Stefan Reinecke: Hollywood goes Vietnam: Der Vietnamkrieg im USamerikanischen Film
Marburg: Hitzeroth 1993 (Aufblende: Schriften zum Film , Bd.5), 182 S.,
DM 48,-
Die Filmkritik hat sich zu einer eigenen Disziplin entwickelt, die Terminologie der neuesten Theorie und gängigen Philosophie schnell übernehmend; seit den Tagen der Cahiers du Cinema hat sich da wenig geändert.
Das allein würde wohl nur zu einer marginalen Wissenschaft reichen, wenn
nicht hinzukäme, daß Filmkritiker in den meisten Fällen über eine geradezu stupende Detailkenntnis und eine Liebe zu ihrem Gegenstand verfügen. Das macht die Filmkritiken in den Feuilletons der führenden Zeitungen, von FR bis NZZ (man denke an Fritz Güttingers Kolumnen), so le-
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senswert; und auch wenn bei uns Filmkritiker nicht den Status einer Pauline Kael oder einer Dilys Powell haben, so ist das Niveau doch erfreulich
hoch. Filmkritik ist zur Kulturkritik geworden, und sie kann da erstaunlich
produktiv sein, von Suzanne Moore bis Fredric Jameson.
Stefan Reinecke ist mit seinem großangelegten Essay Hollywood goes Vietnam der besten Tradition dieser Filmkritik verpflichtet. Er kann gut schreiben, verfügt über eine souveräne Kenntnis seines Gegenstandes und beherrscht das neueste Vokabular (ohne jemals in schwerverständlichen Jargon zu verfallen) ebenso wie die Literatur von Kracauer bis Virilio. Der
wissenschaftliche Apparat (Anmerkungen und Bibliographie) ist für den
nicht-wissenschaftlichen Leser in erträglichem Rahmen gehalten, der
Filmwissenschaftler wird allerdings einiges an Sekundärliteratur, vor allem
amerikanische Titel, vermissen.
Reinecke beginnt seine Studie des Vietnamfilms, der das nationale Trauma
und die Seelenlage der Nation reflektiert, mit einem Kapitel über den
amerikanischen Western. Das mag manchen Leser überraschen, ist aber
neben der Etablierung von Genrekonventionen ein völlig richtiger Anfang;
denn in den Jahren als H9llywood zu Vietnam schwieg, erscheint nicht nur
dem amerikanischen Publikum der Western häufig als Kommentar zum
Vietnamkrieg. Man hätte sich dieses Kapitel beinahe noch ausführlicher
gewünscht, zumal der Verfasser auch hier sehr gute Kenntnisse besitzt und
im Laufe seiner Argumentation mehrfach auf den Western rekurrieren
wird, beispielsweise bei seinem Verweisen auf die John Ford-Parallelen bei
Coppola. Man vermißt an dieser Stelle nur, und das wäre meine einzige
substantielle Kritik an dem sonst exzellenten Buch, die Auseinandersetzung
mit Richard Slotkin. Aber der scheint mit seinen drei Büchern Regeneration Through Violence (1973), The Fatal Environment (1985), Gunfighter
Nation (1992) über die Gewalttätigkeit der amerikanischen Nation seit den
Tagen der Frontier bis zu den Tagen des Cowboydarstellers im Oval Office
leider kaum über Amerika hinaus bekannt zu sein, und sicherlich sind Slotkins Thesen nicht unumstritten. Freilich konnte Reinecke bei der Abfassung seines Buches den Band Gunjighter Nation nicht kennen - ein Buch,
das in vielem seine Argumentation unterstützt!
Den Hauptteil von Hollywood goes Vietnam bildet eine ideologiekritische,
cineastisch-ästhetische und psychologisierende Analyse (diese drei Aspekte
hat der Verfasser ohne je terminologie-lastig zu werden, bewundernswert
stilistisch sicher im Griff) von exemplarischen Vietnamfilmen The Deer
Hunter, Apocalypse Now, Rambo (II), Platoon, Gardens of Stone und Full
Meta/ lacket sowie Born on the Founh of July und Good Moming, Vietnam. In der Filmographie finden sich (auch zu den nur kurz erwähnten
Filmen) genaue Angaben und weiterführende Literatur.
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Dem Buch ist ein Nachwort von Georg Seeßlen beigegeben: "Der Aufklärer im Kino und die Bilder des Krieges" (S.144-159), dessen der Texteigentlich nicht bedarf, da er durchaus ohne Seeßlens Unterstützung bestehen
kann.
Der Marburger Hitzeroth-Verlag zeigt mit diesem gut gedruckten und
durchgehe nd reichhaltig illustrierten Band in seiner Reihe Aufblende:
Schriften zum Film einmal mehr, daß er ein hohes Niveau zu wahren vermag - ein Verlag, der mehr und mehr zu einer ersten Adresse für Filmliteratur avanciert.
Jens P. Becker (Kiel)