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UMBAU Was ist los in Detroit? Zukunft im Zelt? Detroit (Michigan, USA) steht wieder einmal im Rampenlicht: diesmal macht das ehemalige Wunder der Moderne mit seinem Untergang auf sich aufmerksam. Was sich auf den ersten Blick wie eine entspannte Entwicklung anhört – Revitalisierungsprojekte, bunte Wunderwelten, soziale Initiativen, Community Gardens und Kitchens – ist mehr oder weniger aus der Not entstanden: verfallene Häuser, verlassene Grundstücke, leerstehende Fabriken, Arbeitslosigkeit und Kriminalität. Die großen Umwälzungen während der letzten Jahrzehnte haben die Stadt zu einer Art belebtem Geisterdorf gemacht. Die wohlhabenden weißen BewohnerInnen haben sich in die Vorstädte aufgemacht, mitsamt der Wertschöpfung, die heute vor allem in Form von Dienstleistungen erbracht wird. Die „8-Mile-Road“ trennt die vorwiegend arme Bevölkerung im Stadtkern vom äußeren Fettgürtel – ein Film mit dem Rapper Eminem hat den Begriff als Synonym für kulturelle und soziale Barrieren aufgegriffen1. Wer dort hin will, muss mit dem Auto fahren. Das liegt nur bedingt an der gewollten Abgeschottetheit der äußeren BewohnerInnen: In Detroit wurde das erste Stück Straße in den USA asphaltiert, Henry Ford hat dort die Fließbandund Massenproduktion erfunden. Auf ein Leben ohne motorisierten Untersatz ist die Stadt gar nicht ausgelegt. Corine Vermeulen, aus der Serie/Your Town Tomorrow: Skyline, Atwater Street, 2007, Courtesy Corine Vermeulen THERESA HEITZLHOFER Shrinking Cities Detroit ist eine sogenannte „shrinking city“ – eine schrumpfende Stadt. 1950 lebten ca. 2 Mio. Menschen in Detroit, heute sind es etwa 900.000. Für die weltweite Untersuchung solcher Städte wurden vom Projekt Schrumpfende Städte2 historische Populationsdaten von über 8.000 Städten im Zeitraum von 1950-2000 ausgewertet. Die Portraits zeigen, dass Schrumpfung unter anderem von politischen Ereignissen, militärischen Konflikten, wirtschaftlichen und gesundheitlichen Entwicklungen oder geografischen Gegebenheiten ausgelöst werden kann. In den vergangenen 50 Jahren haben etwa 370 Städte mit 1 http://de.wikipedia.org/wiki/8_Mile am 2.6.2010 2 Ein Initiativprojekt der Kulturstiftung des Bundes (Deutschland) in Kooperation mit der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig, der Stiftung Bauhaus Dessau und der Zeitschrift Archplus. www.shrinkingcities.com am 1.6.2010 umwelt & bildung 2/2010 11 Kunst in Ruinen mehr als 100.000 EinwohnerInnen vorübergehend oder dauerhaft einen Bevölkerungsverlust von mehr als 10% hinnehmen müssen. Schrumpfende Städte sind mehr und mehr zu einem dauerhaften Phänomen geworden. Zwar sind die Bevölkerungsgewinne der wachsenden Städte deutlich höher als die Verluste der schrumpfenden Städte, aber die Anzahl der schrumpfenden Städte hat stark zugenommen. Die meisten schrumpfenden Städte waren in den vergangenen 50 Jahren vor allem in den westlichen Industrieländern zu finden, allen voran in den USA (59), in Großbritannien (27), Deutschland (26) und Italien (23). In 35 Jahren werden nur noch 10% der Weltbevölkerung in der so genannten westlichen Welt leben und einige Staaten müssen sich auf einen allgemeinen Bevölkerungsverlust vorbereiten.3 Kulturelle Impulse Diese „shrinking cities“ sind vielfach Ausgangspunkt für kulturelle Innovationen. In Detroit und Manchester, aber auch in den schrumpfenden Regionen von Russland und Deutschland haben z.B. die Krisen während der 80er Corine Vermeulen, aus der Serie / Your Town Tomorrow: Eight Mile wall and Dolores, 2009, Courtesy Corine Vermeulen Scott Hocking, Ziggurat, 2007–2008, Courtesy Scott Hocking, Susanne Hillberry Gallery UMBAU Neue Subsistenz in der Großstadt und 90er Jahre eine für jeden dieser Orte spezifische Musikkultur geschaffen. In Detroit blühte Techno, in Manchester New Wave und Hip Hop Music. Neben Musik breitet sich auch eine ganze Reihe anderer Kunstformen aus – Installationen im öffentlichen Raum, Malerei, Filmkunst – vielleicht wird Detroit eine verwertbare Marke am globalen Kunstmarkt? Die Kunsthalle am Karlsplatz in Wien hat diese Tendenzen aufgegriffen und eröffnete im Mai 2010 mit einer Ausstellung über Detroit eine Reihe, die sich mit Städten als Schauplätzen gesellschaftlichen Wandels auseinandersetzt. Weitere Städte als Metapher für den Wandel der Welt werden Saigon, Beirut und Lagos sein. Verwertbarer Verfall? „Detroit is the greasy enchilada4 smeared across the face of a dilemma, the sanctuary of the living dead, the home of Anywhere-ButHere travel agency, the outhouse at the end of the rainbow.“, lautet eine Textzeile aus einem Gedicht von Jim Gustafson, dessen Kopien BesucherInnen der Ausstellung abreißen und mitnehmen konnten. Die teils morbide Kunst lässt sich konsumistisch verwerten – mittlerweile kommen TouristInnen per Flugzeug um diesem Schauspiel beizuwohnen, riesige TechnoKonzerte erschüttern in ehemaligen Fabrikshallen die Nacht und tags darauf quellen die Mülltonnen über. „Eyerything changed, when the money came in“, bemerkt ein DJ in einem der vorgeführten Filmbeiträge. In Europa nächtigt er in noblen Hotels und „speist wie die Götter“ in Restaurants – ein kulinarisches Erlebnis, das sich die dort arbeitende Belegschaft nie leisten könnte. Spannende Fragen, die bleiben: Was ist los in Saigon (Ho-ChiMinh-Stadt, größte Stadt Vietnams, deren Bevölkerung sich seit 1950 mehr als verdreifacht hat), Beirut (Hauptstadt Libanons, die konfessionell vielfältigste Stadt des Nahen Ostens) und Lagos (größte Stadt in Nigeria, gehört zu den bevölkerungsreichsten Städten der Welt, deren Bevölkerung sich seit 1950 versechsundreißigfacht 5 hat )? Mag.a Theresa Heitzlhofer ist Humanökologin, Mitarbeiterin des FORUM Umweltbildung. E-Mail: theresa. [email protected] 3 ebd. 4 Enchiladas sind gefüllte, weiche Tortillas aus Maismehl, die mit einer Soße übergossen werden (http://de.wikipedia.org am 2. 6. 2010) 5 Alle unter: http://de.wikipedia.org am 2. 6. 2010 12 umwelt & bildung 2/2010