Hohe Siege und tiefe Qualen – der spielende

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Hohe Siege und tiefe Qualen – der spielende
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Hohe Siege und tiefe Qualen –
der spielende, vitale Mensch
Im Spiegel der Kunst: Die Welt des Spiels ist so alt wie
die Menschheit selbst. Und wenn dem so ist, dann zeigt
das Glücksspiel wohl das Janusgesicht des schöpferischen
Menschen, gefangen zwischen gesättigter Vernunft und
der unzähmbaren Lust am Risiko. Ein kleiner subjektiver
Streifzug durch die große Welt kunstvoller Spielmythen.
W
ie gut erinnert sich der
Autor dieser Zeilen an
jene glücklichen Nachmittage, als sich nach Schulschluss
das Potsdamer Kinderzimmer in ein
Casino verwandelte.
Reise nach Roulettenburg
Es musste für uns Halbwüchsige die
Königin der Glücksspiele sein – das
Roulette. Ein kleiner Plastikkessel
aus dem Spielzeuggeschäft, dazu
eine auffaltbare Gummimatte als
„Spieltisch“, mit der roten und
schwarzen Raute, mit Pair und Impair, Manque und Passe, hinzu ein
paar bunte Plastikchips, und schon
konnten die Einsätze greifen und
die Kugel rollen. Bis es hieß: Rien ne
va plus – nichts geht mehr!
Ich weiß nicht, wie oft wir den Song
„Der Spieler“ von Achim Reichel
gehört haben – er lief zu dem spielerischen Geschehen in einer Endlosschleife vom Kassettenrekorder
und versetzte uns fast in Trance.
Noch heute ließe sich jede Zeile wie
im Schlaf herbeten: „Und der Spieler setzt alles auf eine Zahl – auf
den höchsten Sieg und auf die
tiefste Qual ...“ – Dass zuweilen in
pubertärer Verwegenheit auch um
das Taschengeld gezockt wurde
und dass nicht jeder der Mitspieler
am Ende auf die Glücksgöttin Fortuna gut zu sprechen war, ist noch
Großartig, wie Dostojewski seine
eigene Spielleidenschaft in seinem
Roman „Der Spieler“ in Weltliteratur verwandelt hat. Das im Jahre
1866 erschienene Meisterwerk
führt uns in eine „öde deutsche
Kleinstadt“ namens Roulettenburg.
Gemeint ist wohl Wiesbaden mit
seiner Spielbank, wo der russische
Schriftsteller 1865 an wenigen
Abenden seine gesamte Reisekasse
am Roulettetisch verzockte. Aber
auch Bad Homburg und BadenBaden kommen in Frage – auch hier
kannte Dostojewski fast jeden Spieltisch. Überliefert ist, dass seine Frau
ihre Kleider verpfänden musste, und
dass nur, damit sich die Kugel des
Achim Reichel. Sein Song „Der
Spieler“ versetzte Halbwüchsige
nach der Schule in eine Trance.
Dostojewskis großer Roman, noch
heute erschütterndes Dokument
einer verzehrenden Leidenschaft.
Glücksspiel in der Populärkultur:
Hier ein Foto aus dem US-Magazin
„Stag“ aus dem Jahr 1965.
Trance im Kinderzimmer
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heute ein beliebter und erheiternder
Erzählstoff auf Klassentreffen.
Dass keiner der Unseren in seinem
Leben eine Spielsucht entwickelt
und jeder die frühen Lektionen in
Risikomanagement gut gelernt hat,
sei nur am Rande erwähnt.
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Januar/IMA 2014
Spiegel der Branche
Glücks für den innerlich tief Zerrissenen weiter drehen konnte.
Der Fatalismus, mit dem der Romanheld Alexej Iwanowitsch bei Aufrechterhaltung seiner GentlemanFassade und bester Manieren seine
materielle Existenz aufs Spiel setzt,
erschüttert den Leser auch noch
150 Jahre später. Und natürlich darf
eine Romanze nicht fehlen – auch
hier verspricht eine Frau Erlösung,
nicht anders als in dem SpielerSong von Achim Reichel.
Aber das Glücksspiel-Metier ist
nicht nur von den Weihen der
Hochkultur umrankt, auch in der
Populär- und Trivialkultur werden
wir vielfältig in die Welt des Spiels
verstrickt. Fast kein Western ohne
Karten dreschende oder würfelnde
Rüpel. Und fast keine Detektivgeschichte ohne eine Spur, die den
Leser nicht auch in ein verruchtes
und nikotingeschwängertes Casino
am Rande der Stadt führte.
In der Glitzermetropole
In der Welt des Films hat die Kinogänger vor allem das epische Drama „Casino“ (1995) von Meisterregisseur Martin Scorsese erschüttert.
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„Der Traum von Monte Carlo“ von Max Beckmann, 1942, nach fast vier
Jahren künstlerischer Selbstbefragung auf die Leinwand gebannt.
Robert de Niro, Sharon Stone und
Joe Pesci lassen uns in der im früheren Stardust-Casino angesiedelten,
auf Fakten basierenden Story teilhaben am brutalen Kampf um
Macht und Geld in Las Vegas.
Neueren Datums ist die Ocean‘sTrilogie von Regisseur Steven Sonderbergh, die mit einem Staraufgebot – unter anderem George
Clooney, Brad Pitt, Matt Damon
und Al Pacino – und raffiniert konstruierten Casino-Raub-Geschichten
für maximalen Erfolg sorgte.
Szene aus Ocean‘s Thirteen mit dem skrupellosen
Casinobesitzer Willy Bank (Al Pacino). Gegenspieler
Danny Ocean hat einen perfiden Plan ausgeheckt.
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Dass auch die Großen der Malerei
die Tiefen und Untiefen des sein
Glück herausfordernden Menschen
zur Darstellung brachten, kann uns
nicht überraschen. In „Der Traum
von Monte Carlo“ hat Max Beckmann die Casino-Szene in ein hartes Kunstlicht getaucht. Die Frau,
lasziv auf dem Tischgrün liegend,
lässt uns in eine Karte blicken – ein
schwarzes Herz. Nicht das Herz der
Finsternis, vielmehr ein Hort freudiger Erregung, der das Blut des
Homo Ludens pulsieren lässt. ❒
Der Mythos von Las Vegas. Im Angesicht der Glitzerfassaden sieht sich der Homo Ludens – der spielende
Mensch – herausgefordert, Wagnisse einzugehen.
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