Geheimdienste, CIA, BND, Operation Alberich

Transcrição

Geheimdienste, CIA, BND, Operation Alberich
Operation Alberich
Islamisten präsentieren sich als
knallharte Kämpfer.
Foto: Islamistisches Werbevideo
_ von Jürgen Elsässer
Die Prism-Schleppnetzfahndung der US-Geheimdienste habe auch in Deutschland einige
Terroranschläge verhindert, heißt es. Das Beispiel der Sauerland-Bomber zeigt das Ge­
genteil: Der durch Internetüberwachung aufgedeckte Terrorplot w ar von einem CIA-Mann
überhaupt erst angestiftet worden.
Der bekannteste Anschlagsversuch, den die NSA-Überwacher vereitelt haben wollen, ging von der sogenannten
Sauerlandgruppe aus. Am 4. September 2007 überwältigt
ein GSG 9-Kommando drei junge Islamisten in der Gemein­
de Medebach im Sauerland. «Sechs Jahre ist es heute her,
dass junge Männer in die Türme des World Trade Centers
flogen», so begann im ZDF eine Reportage über den festge­
nommenen Rädelsführer Fritz Gelowicz. Und weiter: «Mas­
senmord - wie damals am 11. September und am liebsten
zum Jahrestag oder kurz danach, das, so glauben die Fahn­
der, war sein Plan.» Wurde damals also ein «deutsches
9/11» in letzter Minute abgewendet? Waren die Erkennt­
nisse der NSA dafür tatsächlich hilfreich? Dagegen spricht
zunächst, dass sich die Nachwuchsterroristen selbst bei
der Vorbereitung ihres Anschlages so auffällig verhielten,
dass sie ganz ohne Hightech aufgeflogen wären. Obwohl
gegen Gelowicz bereits im Jahre 2005 wegen Bildung ei­
ner kriminellen Vereinigung und Volksverhetzung ermittelt
und er kurzfristig festgenommen worden war, tauchte er
danach nicht etwa in den Untergrund ab, änderte auch
nicht sein Erscheinungsbild oder besorgte sich eine neue
Identität. Vielmehr fuhr der Islamist am Silvestertag 2006
mit Freunden «mehrfach auffällig» vor einer US-Kaserne in
Hanau hin- und her - so auffällig, dass das Observations­
kommando des Verfassungsschutzes das Auto anhalten und
die Personalien der Insassen aufnehmen ließ. Spätestens
am 6. Januar 2007 hätte Gelowicz merken müssen, dass der
Staatsschutz es wieder auf ihn abgesehen hat: Seine Ulmer
Wohnung wurde durchsucht. «Dass Fritz G. und seine mut­
maßlichen Komplizen sich von der Hausdurchsuchung nicht
abschrecken ließen, dass sie im Gegenteil erst danach be­
gannen, kanisterweise Explosivstoffe zu beschaffen, Häu­
ser und Garagen zu mieten, militärische Zünder zu besorgen
und in ihren [abgefangenen] E-Mails angeblich sogar die
Fahnder zu verhöhnen, w irft ernste Fragen auf», wunderte
sich die Frankfurter Allgemeine. Eines Tages ärgerten sich
die Drei über Zivilpolizisten. Daraufhin «stieg einer der Isla­
misten (...) an einer roten Ampel aus und schlitzte die Reifen
eines Verfolger-Wagens des Verfassungsschutzes auf». Ein
anderes Mal randalierten sie so wild vor einer Disco voller
US-Soldaten - einem potentiellen Anschlagsziel - , dass
eine Polizeistreife eingriff.
Der Beginn der
Operation gehtauf
Erkenntnisse des
Prism-Programms
zurück. Bei den
Chefrunden im
Bundeskanzleramt
wurde die Opera­
tion über Monate
hinweg fast jeden
Dienstag bespro­
chen, federführend
dafür war Thomas
de Maizière.
Ein Liberaler mahnt
Gerhart Baum (FDP), Bundes­
innenminister unter Kanzler
Helmut Schmidt, über seinen
Amtsnachfolger Schäuble: <€r
beschuldigt seine Kritiker der
Hysterie und erzeugt zugleich
eine hysterische Anti-TerrorAngst im Lande, um den Weg
für seine Vorschläge freizuräu­
men. Das erinnert mich an die
Situation in den USA nach den
Anschlägen in New York und
Washington.» (10.7.2007)
Obwohl «Terror-Fritz» (so Die Welt über Gelowicz) und
seine Kumpane also kaum Anstalten machten, sich ihren
Beschattern zu entziehen, lief über fast ein ganzes Jahr
eine Mega-Fahndung gegen sie, angeblich zur Verhinde­
rung des Anschlages. Die monatelange Inszenierung unter
dem Codenamen «Operation Alberich» - benannt nach dem
Zwerg unter der Tarnkappe aus der Siegfried-Sage - war
laut Spiegel der «größte Polizeieinsatz seit dem Deutschen
Herbst 1977» und beschäftigte ständig 500 Beamte aus ver­
schiedenen Landeskriminalämtern.
für Deutschland heraus. Anfang Mai berichtete der Focus
bereits relativ detailliert über die angebliche Gefährlichkeit
der später Festgenommenen, inklusive ihrer Kontakte nach
Zentralasien. Die entsprechenden Informationen stammten
- wie zu Beginn der Kampagne - von der Internetüberwa­
chung durch CIA und NSA, konnten also unabhängig davon
gar nicht überprüft werden. Wolfgang Schäuble, damals
noch Innenminister, lobhudelte im Rückblick: «Kein Land hat
eine so gute weltweite Aufklärung wie die Amerikaner, wir
profitieren täglich davon.»
Warum war der riesige Aufwand notwendig gewesen?
Hätten nicht zwei Observationsteams genügt, um dem
tollpatschigen Trio auf den Fersen zu bleiben? Die Beant­
wortung dieser Frage soll auf den Schluss des Artikels ver­
schoben werden. Schauen w ir uns zunächst die Regie der
«Operation Alberich» an. Sie wurde, so der Spiegel, «nicht
nur in Berlin, sondern auch in Washington» geführt. Und
weiter: «In Berlin arbeitete gar eine gemeinsame Arbeits­
gruppe deutscher Behörden und der CIA an dem Fall. Die
Kooperation sei so "eng wie nie" gewesen, so US-Heimatschutzminister Michael Chertoff. (...)»
In die heiße Phase ging «Alberich» ab Anfang Juni 2007.
Auf dem G8-Gipfel in Heiligendamm sprachen George W.
Bush und Merkel unter vier Augen über den Fall. «Amerika
fühlte sich bedroht, und die Bedrohung, so hatten es USGeheimdienstler ihrem Präsidenten aufgeschrieben, komme
aus Deutschland - wieder einmal, wie beim 11. September
2001», fasste der Spiegel zusammen. Die Bundesregierung
parierte und mobilisierte die Ängste der Bevölkerung. In der
Spiegel-Ausgabe vom 8. Juli 2007 erschien ein Interview
mit Schäuble unter der Überschrift «Es kann uns jederzeit
treffen». Schäuble weiter: «Wenn w ir sagen, dass die
Wahrscheinlichkeit eines Anschlags so hoch wie nie zuvor
ist, schwingt da keine Panikmache mit.»
Chronologie einer verdeckten Operation
Tatsächlich geht der Beginn der «Operation Alberich»
im Oktober 2006 auf Erkenntnisse des Prism-Programms
zurück: Der amerikanische Abhördienst NSA hatte im In­
ternet verdächtige E-Mails zwischen Deutschland und
Pakistan abgegriffen. Damit wurden die deutschen Behör­
den gefüttert und zum gemeinsamen Vorgehen gedrängt.
Bereits am 5. Januar 2007 zog das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) von Polizei und Geheimdiensten
in Berlin-Treptow die Ermittlungen gegen die angeblichen
Anschlagsvorbereitungen an sich. Bei den Chefrunden im
Bundeskanzleramt wurde die Operation über Monate hin­
weg fast jeden Dienstag besprochen, federführend dafür
war Thomas de Maizière, Amtschef von Bundeskanzlern
Angela Merkel.
Im April 2007 erhöhte Washington den Druck und gab
über die Berliner US-Botschaft eine erhöhte Terrorwarnung
Der Verfassungsschutzchef
Hans-Georg Maaßen (s. Foto)
gab am 18. Juli gegenüber dem
Bundestags-Innenausschuss an, die
NSA-Überwachung habe sieben
Terroranschläge in Deutschland
verhindert. Bundes­
innenminister Hans-Peter Friedrich
(CSU) hatte zuvor von fünf en
gesprochen. Nähere Angaben dazu
machten beide nicht. Im Falle der
Sauerland-Gruppe, die in diesem
Artikel behandelt wird, ist die
NSA-Verwicklung erwiesen.
Foto: HPI/D. Laessig
Agent Mevtüt Kar
M it den Festnahmen von Anfang September 2007 soll­
ten sich diese Kassandrarufe - scheinbar - als berechtigt
erweisen. Und heute dient das Beispiel der Sauerland-Bomber den Fürsprechern der NSA dazu, den letztlichen Nutzen
der illegalen Internetspionage zu betonen. Dabei wird ein
wichtiger Punkt übersehen: Die Islamisten um Fritz Gelowicz
wollten zwar einen Anschlag begehen. Doch so tollpat­
schig, wie sie waren, wären sie dazu nie und nimmer in der
Lage gewesen. Die entscheidende Hilfestellung leistete der
Türke Mevlüt Kar. Dieser arbeitete ab August 2002 für den
Geheimdienst MIT, der «den Informanten in Kooperation mit
der CIA geführt» habe, so die Æ/'/d-Zeitung im Juli 2009. Im
Jahre 2004 machte sich Kar in Istanbul an den durchrei­
senden Gelowicz heran und schleuste den Terror-Novizen
an den Hindukusch, wo er - anstatt seinem ursprünglichen
Wunsch gemäß vor Ort gegen die US-Amerikaner zu kämp­
fe n -v o n Instrukteuren der ebenfalls Geheimdienst-kontrollierten Splittergruppe Islamische Dschihad Union (IJU) zum
Bombenlegen in Deutschland animiert wurde.
Im weiteren besorgte Kar die Zünder für die Bombe,
die Gelowicz und seine Freunde für ein «deutsches 9/11»
bauen wollten. Unter der Überschrift «Mutmaßlicher CIAMann war "der Chef"» fasste der Stern im Februar 2009
zusammen: «Ein mutmaßlicher Kontaktmann des USGeheimdienstes CIA spielte bei der Attentatsvorbereitung
eine größere Rolle als bislang bekannt. (...) Demnach soll er
die Person mit dem Tarnnamen "sut" sein, über den die Be­
schaffung der 26 Sprengzünder maßgeblich gelaufen sein
soll. Fritz Gelowicz soll mit "sut" konspirativ kommuniziert
haben.» Aber Kar holte noch viel härtere Dschihadisten mit
ins Boot: «Was den Fall noch undurchsichtiger macht: Wich­
tigster Kontaktmann von Mevlüt K. in Deutschland war nach
BKA-Erkenntnissen der 26-jährige Somalier Ahmed H. aus
Ludwigshafen. Es handelt sich um jenen Ahmed H., der zur­
zeit wegen Mordes an drei georgischen Autohändlern vor
Gericht steht (...). Ahmed H., so geht aus BKA-Akten hervor,
hatte in der Zeit der Anschlagsvorbereitungen regelmäßig
telefonischen Kontakt zum "Chef" Mevlüt K., der sich in der
Türkei aufhielt. In den Gesprächen sei es immer wieder um
die Zünder gegangen.» Pikanterie am Rande: Mevlüt Kar
soll im selben Jahr 2007 auch bei der Schießerei beteiligt
gewesen sein, der am 25. April die Polizistin Michèle Kiese­
wetter in Heilbronn zum Opfer fiel - eine Bluttat, die mittler­
weile dem Nationalsozialistischen Untergrund angelastet
wird. (vgl. unsere Sonderausgabe COMPACT-Spezial Nr.1).
Neue Gesetze
Im Zuge der Terror-Hysterie rund um die SauerlandGruppe präsentierte Schäuble weitreichende Vorstöße für
Verfassungsänderungen, ja sogar zur möglichen Einfüh­
rung der Todesstrafe. «Das Grundgesetz würde doch zer­
brechen, wenn w ir es nicht anpassen würden, gerade bei
solchen zentralen Fragen (...). Die Amerikaner würden ihn
(Bin Laden) exekutieren*lind die meisten Leute würden sa­
gen: Gott sei Dank. (...) W ir sollten versuchen, solche Fra­
gen möglichst präzise verfassungsrechtlich zu klären, und
Rechtsgrundlagen schaffen, die uns die nötigen Freiheiten
im Kampf gegen den Terrorismus bieten.»
Diese Provokation des radikalen Badeners vom Juli
2007 stieß zunächst auf erhebliche Kritik. M it den Fest­
nahmen der Sauerland-Gruppe Anfang September 2007
jedoch wendete sich das Blatt. Schäuble konnte sich als
erfolgreicher Fahnder profilieren und nutzte die Publicity
für weitere Angstmache. Diesmal ging es ihm um einen An­
schlag mit schmutzigen Atombomben: «Viele Fachleute sind
inzwischen davon überzeugt, dass es nur noch darum geht,
wann ein solcher Anschlag kommt, nicht mehr ob.» Und als
ob das nicht schon Horror genug wäre, setzte er nach: «Es
hat keinen Zweck, dass w ir uns die verbleibende Zeit auch
noch verderben, weil w ir uns vorher schon in eine Weltun­
tergangsstimmung versetzen.»
Die SPD ging sofort nach der erfolgreichen Polizeiaktion
in die Knie. «Noch vor Tagen gaben sich die Sozialdemo­
kraten knallhart in der Ablehnung neuer Instrumente zur
Terror-Abwehr. Doch nach den gestrigen Festnahmen von
drei mutmaßlichen Attentätern bröckelt die Front», hieß es
auf spiegel.de. Mitte April 2008 brach der Widerstand der
SPD zusammen. Die sozialdemokratische Bundesjustizministerin Brigitte Zypries einigte sich mit Schäuble darauf,
Online-Durchsuchungen zu erlauben. Einziger Vorbehalt:
«Ermittler dürfen (...) auf Wunsch der SPD nicht in die Woh­
nung eines Verdächtigen eindringen, um Spähprogramme
auf Computern zu installieren.» (spiegel.de) Das ist auch gar
nicht nötig: Die entsprechende Software, der sogenannte
Bundestrojaner, kann auch über E-Mails eingeschleust wer­
den. Gleichzeitig beschlossen die Parteien der Großen Ko­
alition die Ergänzung des Großen Lauschangriffs durch die
optische Wohnraumüberwachung.
Von diesem Ergebnis her betrachtet ergibt sich die Ant­
wort auf die Frage im Anfangsteil, warum im Rahmen der
«Operation Alberich» eine derart riesige Polizeiaktion gegen
offenkundig so dilettantische Täter notwendig gewesen
war: Den US-amerikanischen Geheimdiensten und ihren
deutschen Helfern wie Schäuble ging es nicht darum, den
Bürgern durch entschlossenes polizeiliches Handeln die
Terrorangst zu nehmen - sondern diese überhaupt erst zu
erzeugen. M it dieser «Strategie der Spannung» schufen sie
das geeignete Klima zur Durchsetzung einer Totalüberwa­
chung, die sich gegen die gesamte Bevölkerung richtet. ■
Die M itglieder der SauerlandGruppe sollen Bombenanschläge in
Deutschland geplant haben.
Foto: Islam Werbevideo
Eingangsbereich des Islamischen
Informationszentrums HZ in Ulm, wo
Gelowicz häufig verkehrte.
Foto: Islam Werbevideo
Die deutsche Wirtschaft
wird ausspioniert
Erich Schmidt-Eenboom ist der wichtigste deutsche Aufklärer über
die Machenschaften der Geheimdienste. Im COMPACT-Interview
analysiert er das Näheverhältnis zwischen dem BND und dem Großen
Bruder aus Amerika.
Deutschland ist von der US-Abhörbehörde NSA und
ihrer britischen Schwester, dem Government Com­
munication Headquarters (GCHQ), offenbar total
überwacht worden. W elche Interessen haben die
angelsächsischen Dienste in Deutschland?
M it 65.000 Mitarbeitern späht die
National Security Agency w eltw eit
Kommunikationsströme aus.
Deutschland haben die Agenten
besonders genau im Auge. Sowohl
wegen der relativ engen Beziehun­
gen Berlins zu Russland, China und
dem Iran, als auch zur Wirtschafts­
spionage. Foto: wikipedia.org
In Wiesbaden wird
auf der Airbase
Erbenheim zurzeit
eine neue Gehelm­
dienstzentrale
für 184 Millionen
US-Dollar gebaut.
Sie wird die bisher
in Darmstadt ange­
siedelte 66th Mi­
litan/ Intelligence
Group aufnehmen.
Ehrung für im Dienst ums Leben
gekommene CIA-Agenten im Ein­
gangsbereich der Agentur-Zentrale
in Langley. Foto: CIA
Die Spionage ist nicht so total, wie es die breit diskutierte
Gefährdung der Privatsphäre von Bundesbürgern glauben
machen will. Sie ist jedoch in politischer, wirtschaftlicher
und gesamtgesellschaftlicher Hinsicht w eit intensiver als
gegenüber anderen europäischen Staaten einschließlich
der Russischen Föderation. Für die Vereinigten Staaten
und für Großbritannien gibt es eine Reihe von Gründen, die
Bundesrepublik vorrangig auszuspionieren: Berlin unterhält
enge politische und wirtschaftliche Beziehungen zur Volks­
republik China und war - insbesondere in energiepoliti­
schen Fragen - über Jahre hinweg näher an der Russischen
Föderation als andere EU-Staaten; Die Bundesrepublik hat
sich zu einem bedeutenden Rüstungsexporteur entwickelt,
der auch in Konkurrenz zu angelsächsischen Unternehmen
steht, und nicht zuletzt spielt Deutschland eine Schlüssel­
rolle bei der Bewältigung der internationalen Finanzkrise.
Wo befinden sich die Horchposten der deutschen und
ausländischen Dienste?
Der BND hat die beiden größten Abhörstationen der USA
auf deutschem Boden in Gablingen bei Augsburg 1999 und
in Bad Aibling 2004 übernommen. Weitere Bundesstellen
für Fernmeldestatistik befinden sich in Husum, Schöningen,
Butzbach und Brühl.
In Gablingen und Bad Aibling ist die NSA - weitestge­
hend ohne Personal und auf technische Erfassung konzen­
triert - weiter präsent. Im hessischen Griesheim unterhielt
sie eine Abhörstation, in die Näfchrichtendienstler aus Bay­
ern versetzt worden waren. In Wiesbaden wird auf der Air­
base Erbenheim zurzeit eine neue Geheimdienstzentrale für
184 Millionen US-Dollar gebaut, die jedoch nicht zur NSA
gehört, sondern die bisher in Darmstadt angesiedelte 66th
Military Intelligence Group aufnehmen wird.
Geheuchelte Empörung
Die Bundesregierung bestreitet, von der NSA-Überwachung gewusst zu haben.
Der BND beobachtet «fremde Dienste» systematisch. Über
die enge Zusammenarbeit mit der NSA kennt er deren tech­
nische Möglichkeiten, er weiß um deren großen Bestand
von 65.000 Mitarbeitern und analysiert die Aufklärungspri-
oritäten des großen Bruders. Der Verfassungsschutz stellt
Bedrohungsanalysen auf. So hat der Abteilungsleiter für
Spionageabwehr im Landesamt Baden-Württemberg, Ha­
rald Woll, 2002 sogar öffentlich den Vorwurf erhoben, die
NSA würde von Bad Aibling aus die deutsche Wirtschaft
ausspionieren. Der bayerische Ministerpräsident Edmund
Stoiber stieß in dasselbe Horn. Das Bundesamt für Sicher­
heit in der Informationstechnik in Bonn ist zuständig für
den Schutz der Regierungskommunikation und berät auch
die deutsche Industrie in Fragen der technischen Lauschab­
wehr. Dabei muss es sich mit allen potentiellen Angreifern
und ihren Fähigkeiten auseinandersetzen.
Das Auswärtige Amt hat als Ergänzung zum NATOTruppenstatut im Juni 2003 mit dem Oberkommandieren­
den der US-Streitkräfte in Deutschland eine Vereinbarung
abgeschlossen, die den amerikanischen Vertragsunterneh­
men der NSA und der Defense Intelligence Agency (DIA)
Steuer- und Zollprivilegien garantiert. Auf der Basis solcher
Vereinbarungen haben 207 amerikanische Firmen unter
genauer Bezeichnung ihrer Geschäftstätigkeit von der Ar­
beit mit menschlichen Quellen über nachrichtendienstliche
Analysen bis hin zur fernmeldeelektronischen Aufklärung
mitgeteilt, wie sie die US-Nachrichtendienste in der Bun­
desrepublik unterstützen. In summa: Im Staats- und Regie­
rungsapparat Deutschlands lagen umfassende Informatio­
nen zu den Geheimdienstpraktiken der USA auf deutschem
Boden vor.
W ie umfassend w ar die Bundesregierung informiert?
Im Auswärtigen Amt, im Bundesinnenministerium und im
Kanzleramt waren hinreichend viele Informationen zur den
NSA-Aktivitäten vorhanden. Sie wurden aus bündnispo­
litischen Rücksichten verschwiegen, bis die Enthüllungen
von Edward Snowden öffentliche Empörung und damit
Handlungsdruck auslösten. Die offene Frage ist, ob und in
welchem Umfang Ronald Pofalla die Kanzlerin selbst vor
Snowdens Alarmierung der Weltöffentlichkeit unterrichtet
hatte. Angela Merkel hat jedoch auch danach Ahnungslo­
sigkeit vorgespielt, obwohl sie die Möglichkeit hatte, aus
Ministerien und Nachrichtendiensten genaue Sachstandsberichte einzufordern.
M it riesigen Parabolspiegeln wird
Satellitenkommunikation über­
wacht. Foto: Archiv
Die NSA soll Einrichtungen der EU in Brüssel und
den USA ausspioniert haben. Dem GCHQ wird vorge­
worfen, 2009 den G-20-Gipfel in London überwacht zu
haben.
Auch die Politik der Europäischen Union ist für das Weiße
Haus von hohem Interesse und der Director of National In­
telligence weist im Einvernehmen mit dem US-Präsidenten
alle seine Nachrichtendienste regelmäßig an, mit allen
Mitteln ein detailliertes Lagebild über die Entwicklungen
in der EU zu gewinnen. Dieses Interesse wird während der
Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen noch zuneh­
men.
Die integrationsfeindliche Sonderstellung Großbritanniens
in der EU und sein Argwohn gegenüber der Achse Paris-Ber­
lin motivieren das GCHQ unter anderen, das Unterseekabel
bei Bude anzuzapfen und im Programm Tempora bis zu 600
Millionen Telefonverbindungen täglich nach nachrichten­
dienstlich brauchbaren Informationen zu durchsuchen. Die
Überwachung der Delegierten beim Treffen der 20 wichtigs­
ten Industrienationen - aufgrund von Vorgaben von Premier
Gordon Brown - , um im Vorfeld Verhandlungspositionen in
Erfahrung zu bringen, gehört zum Kerngeschäft jedes Nach­
richtendienstes. Es wäre naiv anzunehmen, dass bei den
G-20-Gipfeln in Peking (2005), Washington (2008) und Mos­
kau (2013) die Gastgeber nicht auch versucht hätten, ihren
nachrichtendienstlichen «Heimvorteil» zu nutzen.
Der Nutzen des BND für die NSA
Der BND darf seit 2001 bis zu 20 Prozent des Fernmeldeverkehrs überwachen. Tatsächlich sollen es nicht
einmal eine M illion Telefonate im letzten Jahr gew e­
sen sein, also nur ein Bruchteil davon. W eshalb nutzt
der BND seine Möglichkeiten nicht?
Im Auswärtigen
Amt im Bundes­
innenministerium
und Im Kanzleramt
waren hinreichend
Informationen zu
den NSA-Aktivitäten vorhanden.
Sie wurden aus
bündnispolitischer
Rücksicht ver­
schwiegen.
BND-Überwachung
2005 flog auf, dass Erich
Schmidt-Eenboom und sein
Forschungsinstitut für Friedens­
politik in Weilheim/Oberbayern
ab 1993 für geraume Zeit
umfassend vom BND überwacht
wurden. «Die Observation
selbst fand durch einen Pkw
statt, in dessen Sonnenblende
eine Kamera eingebaut war,
die auf den Eingangsbereich
des Instituts gerichtet war. So
wurden die Besucher gefilmt
und die Autokennzeichen
ermittelt. Besucher, die mit der
Bahn anreisten, wurden bei
ihrer Rückreise teilweise bis
nach Nürnberg verfolgt, um
ihre Identität festzustellen. (...)
M ittlerweile bin ich zwar abge­
klärter. Aber wenn mir jemand
erzählt, dass ich selbst beim
Saunabesuch mit Freunden vor
Beschattung nicht sicher war
(...); dass bekannt war, was
ich wann in den Kofferraum
gepackt habe oder was meine
Sekretärin eingekauft hat, das
war wirklich erschreckend.»
(Schmidt-Eenboom im Spiegel
vom 11. November 2005)
Foto: privat
Der Ansatz nachrichtendienstlicher Mittel richtet sich nach
dem Ertrag, den sie in der vergangenen Zeit erbracht haben.
Ein Dienst, dem, anders als einer NSA mit ihrem Jahresetat
von 100 Milliarden US-Dollar, nur begrenzte Ressourcen zur
Verfügung stehen, muss wechselnde Schwerpunkte setzen.
Insofern sind Schwankungen in der E-Mail-Überwachung
erklärlich, zumal in den technischen Abteilungen zugleich
andere Schwerpunkte, wie die Abwehr von Cyberattacken,
gesetzt wurden.
Mitarbeiter. Die Technikabteilung des BND delegiert von
Zeit zu Zeit wenige Spezialisten zum Militärnachrichten­
dienst Nationalchinas, während NSA und DIA dort stark
vertreten sind. Eine wie auch immer geartete Konfrontation
des BND mit den US-Diensten könnte schnell dazu führen,
dass er auf amerikanischen Druck hin seine Zugangsmög­
lichkeiten oder sogar seine Basis in Taiwan verliert.
W ie verzahnt sind die deutschen und US-Geheimdienste?
Vor 1990 durften westliche Dienste in Westdeutsch­
land ganz legal spionieren. Hat sich an diesem Zu­
stand substantiell etwas geändert?
Die Residentur in Washington ist die größte und höchstdo­
tierte Auslandsvertretung des BND. Die Geheimdienstchefs
beider Nationen besuchen sich regelmäßig, und Arbeits­
gruppen der Beschaffung, der Auswertung und der techni­
schen Aufklärung arbeiten projektbezogen zusammen.
Was kann der kleine und manchmal verschlafen w ir­
kende BND den US-Diensten überhaupt bieten?
Robert Aldrich hat in seiner 2010 publizierten Geschichte
des britischen GCHQ auf gleich drei Fälle hingewiesen, in
denen sich der BND den Respekt der NSA erarbeitet hat:
In den frühen 1980er Jahren durch die erfolgreiche Über­
wachung und Entschlüsselung des Funkverkehrs der Bon­
ner Botschaften der Warschauer-Vertrags-Staaten aus
Monschau, Mitte der 1980er Jahre mit dem Vorschlag zur
NATO-weiten Einführung eines Systems zur taktischen
Fernmeldeaufklärung (Sigdasys), und 1991 durch die Koope­
ration in Bad Aibling bei der Versorgung von Kroaten und
verschiedenen Moslemgruppierungen auf dem Balkan mit
Informationen. Vor 25 Jahren bereits war der BND - gegen
den Widerstand der Briten - zum privilegierten Partner der
NSA aufgestiegen, ein Status, den zuvor nur angelsächsi­
sche Dienste genossen. Edward Snowden enthüllt scheib­
chenweise. Die neuen Scheibchen von Anfang August, die
auf die Erfassung von 500 Millionen Metadaten durch den
BND für die NSA in Bad Aibling verweisen, sind der großen
Aufregung nicht wert, die sie zeitigten. Die massenhafte,
jedoch von personenbezogenen Oaten Deutscher bereinigte
Weitergabe von Verbindungsdaten aus Krisengebieten ist
die angesichts des globalen Anschwellens von Telekom­
munikation 2002 vertraglich fixierte logische Folge der vor
einem halben Jahrhundert begonnenen Zusammenarbeit.
Die ergänzende Information, dass die NSA an den BNDProgrammen Mira4 und Veras interessiert ist, unterstreicht
nur, dass der BND in bestimmten Nischen so gut aufgestellt
ist, dass er in technischer Hinsicht kein Nachrichtendienst
ist, der die Entwicklung verschlafen hat.
Könnte der Bundesnachrichtendienst überhaupt an
den US-Diensten vorbei oder sogar gegen sie ope­
rieren?
_ Erich Schmidt-Eenboom (*1953) hat
zahlreiche Bücher zum Thema Geheim­
dienste verfasst und ist häufig Gast in
Fernsehen und Rundfunk. 2011 war er
Co-Autor des Buches «Im Schatten des
Dritten Reichs. Der BND und sein Agent
Richard Christmann» (Christoph Links
Verlag, 255 Seiten, 19,90 Euro). Seine
Website: www.geheimdienste.info.
An den US-Diensten vorbei kann eine BND-Operation
schon deshalb nicht laufen, weil CIA, DIA und NSA auch
die Aktivitäten des deutschen Auslandsnachrichtendienstes
im Visier haben. Gegen die großen und in vielen Staaten
einflussreichen amerikanischen Geheimdienste zu arbeiten,
würde die Handlungsfähigkeit des BND außerordentlich
stark einschränken. In Taiwan ist der BND beispielsweise
mit nur zwei Mitarbeitern in einer illegalen Residentur prä­
sent, die CIA-Station in Taipeh hat dagegen mehr als 200
Schmutzige Deals mit Kohl
Als der Freiburger Historiker Josef Foschepoth im ver­
gangenen Jahr die These aufstellte, durch die Notstands­
gesetze seien 1968 nicht alle alliierten Siegerrechte zur
Überwachung der Telekommunikation erloschen, begegnete ihm viel Skepsis. Mittlerweile hat die Bundesregierung
eingeräumt, dass mit den USA und Großbritannien 1968,
mit Frankreich 1969 Verwaljungsabkommen unterzeichnet
wurden, die Eingriffe in die Telekommunikation zuließen.
Regierungssprecher Steffen Seibert verlautete, diese Ver­
einbarungen würden zwar formal weiter bestehen, sie seien
jedoch seit 1990 nie in Anspruch genommen worden. Als
marginalen Erfolg konnte Bundesinnenminister Hans-Peter
Friedrich bei seinem Besuch in Washington verbuchen, dass
die Vereinigten Staaten zur Suspendierung dieser Vereinba­
rung bereit sind. Anfang August wurde die Kündigung der
Verwaltungsabkommen mit den USA und Großbritannien
bekannt gegeben.
Die massenhafte Weitergabe von
Verbindungsdaten ist angesichts
des Anschwellens der Telekommu­
nikation die logische Folge der vor
50 Jahren begonnenen Zusammen­
arbeit,
Das klingt, als habe es 1990 konkrete Absprachen
gegeben.
Es gibt die Vermutung,'Bundesaußenminister Hans-Dietrich
Genscher habe den drei West-Alliierten nach Abschluss
der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen in einer geheimen Note
mitgeteilt, dass die Bundesrepublik von der Fortgeltung der
Verwaltungsabkommen aus 1968/69 ausgehe. Ein zwei­
tes Gerücht besagt, die Bundesregierung habe gegenüber
den USA, Großbritannien und Frankreich den Standpunkt
vertreten, dass ihre Abhörrechte nicht für die fünf neuen
Länder gelten, da es dort an der Grundlage «Schutz der
Stationierungsstreitkräfte» fehle. Zu der von der Kanzlerin
zugesagten vollständigen Aufklärung gehört auch die Ant­
wort auf die Fragen, welchen Preis die Bundesrepublik in
nachrichtendienstlicher Hinsicht für die Zustimmung zur
Wiedervereinigung zahlen musste, und ob es den partiel­
len Widerstand der Regierung von Helmut Kohl gegen die
Ausweitung der Abhörpraxis auf das Beitrittsgebiet gab. ■
Kalte Krieger in Pullach
Eine kleine Geschichte des BND von seiner Gründung durch Reinhard Gehlen bis zu
seinem aktuellen Chef Gerhard Schindler: Es gab immer w ieder Linienkämpfe zwischen
einer pro-amerikanischen und einer entspannungsfreundlicheren Strömung.
Man kann einem BND-Chef schlecht vorwerfen, dass er
ein «harter Hund» ist, wie die Weltbel Amtsantritt Gerhard
Schindlers Ende 2011 schrieb. Das wäre genauso albern, als
kreide man einem Metzger seinen täglichen Wurstkonsum
an. Deswegen sollte nicht darüber gemäkelt werden, dass
der heute 60-jährige FDP-Mann als Ministerialdirektor im
Bundesinnenministerium wesentlich an der Ausarbeitung
des sogenannten Otto-Katalogs beteiligt war - einem Ge­
setzespaket zur inneren Sicherheit, mit dem sein damaliger
Amtschef Otto Schily auf den 11. September 2001 reagierte.
Aber verdächtig ist schon, dass unter seiner Ägide die
Zusammenarbeit des BND mit dem Big Brother USA erheb­
lich intensiviert wurde - und zwar unter Missachtung deut­
scher Gesetze. Die Spionageorganisation NSA pries ihn in
einem Dokument vom Januar 2013 als «Schlüsselpartner»
und lobten seinen «Eifer». Weiter heißt es in dem Papier,
das der Spiegel am 20. Juli referierte: «Der BND hat dar­
an gearbeitet, die deutsche Regierung so zu beeinflussen,
Ü B ¡flilllijf
5S M M IIH T
dass sie Datenschutzgesetze auf lange Sicht laxer auslegt,
um größere Möglichkeiten für den Austausch von Geheim­
dienst-Informationen zu schaffen.» Datenaustausch mit den
USA ist also wichtiger als Datenschutz für deutsche Firmen
und Bürger?
M it dieser Orientierung entspricht Schindler ganz dem
Gründungsprofil des-BND. Der westdeutsche Geheimdienst
entstand aus der bereits 1946 von der US-Besatzungsmacht
initiierten Organisation Gehlen, benannt nach Reinhard
Gehlen aus der Abteilung Fremde Heere Ost der NSWehrmacht. Dieser Vorlauf erklärt, warum Gehlen bei der
BND-Gründung 1956 sehr viele alte Kameraden in die neue
Behörde mitbrachte. Doch das entscheidende Auswahlkri­
terium bei der Personalpolitik war nicht, ob einer früher
Hitler-Anhänger gewesen war - sondern ob er den USBesatzern dienstbar sein oder von diesen, etwa mit Verweis
auf beschlagnahmte NS-Akten, entsprechend konditioniert
werden konnte. «Der BND war kein nationaler Nachrichten-
Modell des BND-Neubaus in Berlin.
Foto: bbr.bund.de
Baustelle der neuen BND-Zentrale
in der Berliner Chaussée Straße.
Foto: Alexander Obst, Wikipedia
Heuchler
«Für mich selbst bedeutet
Privatheit ein Frühstück mit
meiner Frau, der morgendliche
Dauerlauf und die Gedanken,
die ich mir dabei mache. Für
Sicherheitsbehörden ist der
private Bereich, in dem sich
Menschen unbehelligt frei
entfalten können, vor allem
dreierlei: Verantwortung, Ver­
pflichtung, Herausforderung.»
(BND-Chef Gerhard Schindler
in der Süddeutschen Zeitung,
22.7.2013)
Bundesnachrichtendienst
Foto: bnd.bund.de
dienst», sagte deswegen selbst Professor Wolfgang Krie­
ger, der in der BND-internen Arbeitsgruppe zur Geschichts­
aufarbeitung mitwirkt, bei einer Tagung zu Jahresende
2012. Vielmehr habe es sich bei der im bayrischen Pullach
angesiedelten Behörde um ein «institutionelles Novum»
gehandelt, nämlich «ein militärischer Nachrichtendienst im
Dienste der NATO», soll heißen: im Dienste der USA.
Das stieß durchaus auf Widerstand in der Bundesrepu­
blik. «Seit es den Pullacher Geheimdienst gab,» resümierte
der Spiegel 1971, «lagen BND und SPD in Fehde. Die SPD
hatte 1955 vor einer allzu pauschalen Übernahme der Or­
ganisation Gehlen in den Bundesdienst gewarnt (...); der
BND wiederum verschloss sich jedem SPD-Einfluss. Er war
ganz auf die Achse Gehlen-Adenauer eingeschworen. Es
gab kaum einen prominenten Sozialdemokraten, der sich
nicht von BND-Schatten verfolgt fühlte. Erich Ollenhauer
wurde beobachtet, der spätere Bundespräsident Gustav
Heinemann war Observations-Objekt, Egon Bahr folgten die
Spurenleser bis nach Ost-Berlin und Rom, Herbert Wehner
sah sich als Staatsfeind angeprangert.»
Die Sozialdemokraten schlugen zurück, als 1969 die
CDU/CSU erstmals die Macht in Bonn verlor und unter W illy
Brandt eine SPD-geführte Bundesregierung ans Ruder kam.
Brandt setzte mit Horst Ehmke seinen Kanzleramtsminister
als Ausputzer beim BND ein. Ehmke erinnert sich, dass er
einmal beim bayrischen Ministerpräsidenten Franz-Josef
Strauss wegen geheimer Waffengeschäfte der Pullacher
intervenierte. «Er wolle wohl nicht mehr lange leben», habe
ihm der CSU-Mann da gedroht. Ehmke erreichte immerhin
eine Säuberung der Spitze des BND, aber der Apparat blieb
intakt. Am Sturz von W illy Brandt 1974 soll er seinen Anteil
gehabt haben: Der BND wusste frühzeitig von der Spionage­
tätigkeit von Brandts Vertrautem Günter Guillaume für die
Stasi, ließ den Sozialdemokraten aber in die Falle laufen.
Unter Brandts Nachfolger Helmut Schmidt (1974 bis
1982) pendelte sich ein prekäres Gleichgewicht in den
Diensten ein. Die ersten Jahre der Kanzlerschaft von Hel­
mut Kohl waren von vielen Skandalen und Pleiten des BND
gekennzeichnet. «KGB und das Ministerium für Staatssi­
cherheit (MfS) in Ost-Berlin konnten über Jahre Maulwürfe
in Pullacher Spitzenpositionen platzieren, die Zugang zum
kompletten Personalbestand hatten», resümierte der Spie­
gel 1995 im Rückblick.
M it der Wiedervereinigung und dem Zusammenbruch
des Ostblocks wurden die Karten neu gemischt, auch beim
BND. Der Sozialdemokrat Konrad Porzner, einst enger Ver­
trauter von Herbert Wehner, war von Kohl 1990 an die Spit­
ze der Pullacher Behörde berufen worden, damit er «die Op­
position davon abhielt, die Fortexistenz des Dienstes nach
dem Ende des Kalten Kriegs allzu lautstark in Frage zu stel­
len». Bereits 1991 war seine Position jedoch angeschlagen,
nachdem im Hamburger Hafen Panzerfahrzeuge der aufge­
lösten Volksarmee der DDR aufgetaucht waren, die der BND
an Israel liefern wollte - ohne Wissen Porzners. Im Jahr
1994 geriet der Dienst erneut in die Schlagzeilen: Agent
«Adrian» alias W illi Liesmann inszenierte eine, so später die
Formulierung des Landgerichts München, «klassische poli­
zeiliche Tatprovokation»: M it Hilfe russischer Mafiosi wurde
Plutonium in die bayrische Landeshauptstadt geschmuggelt
und mit großem Trara abgefangen. «Das wäre ein guter
Punkt für die Partei bei den Wahlen», hatte Liesmann vorab
die Atomdealer zur Eile gedrängt. M it der «Partei» war die
CSU gemeint, und mit den «Wahlen» jene zum bayrischen
Landtag, zwei Wochen nach dem spektakulären Fund. Die
Informationen über die Inszenierung der Sache durch den
Dienst gelangten über einen BND-Vizepräsidenten zum
Spiegel, wohl um Porzner zu desavouieren und zum Rücktritt
zu zwingen - obwohl der SPD-Mann kein Interesse gehabt
haben dürfte, den CSU-Wahlkampf zu fördern.
Porzners Gegenspieler im BND war damals Volker
Foertsch, der «letzte Stay-Behind-Direktor des BND», also
der illegalen NATO-Terrortruppe Gladio, wie der Schweizer
Gladio-Forscher Daniele Ganser recherchiert hat. Foertsch,
ein alter Gehlen-Zögling, war in der CIA-Zentrale in Langley
geschult worden und 1985 zum Leiter der BND-Unterabtei-
Die Gladio-Fraktion manipulierte
den bayerischen Landtags-Wahl­
kampf und mobbfe den sozialde­
mokratischen BND-Chef Konrad
Porzner aus seinem Amt.
lung 12 - Aufklärung im Sowjetblock - und damit auch zum
Vorgesetzten der Unterabteilung 12C aufgestiegen, also des
deutschen Zweiges von Gladio. 1989 wurde er Abteilungs­
leiter 1 und damit für die gesamte Beschaffung zuständig,
wechselte aber nach ersten Konflikten mit Porzner 1994 auf
den Chefsessel der Abteilung 5, der Gegenspionage. In die­
ser Funktion war er mitverantwortlich für die Bespitzelung
von Journalisten und Experten wie Erich Schmidt-Eenboom
(vgl. Seite 26).
Nachdem Porzner erfahren hatte, dass es im BND «pri­
vate Dienstpolitik» zugunsten des britischen MI6 gegeben
hatte, beantragte er 1996 die Entlassung von Foertsch. Doch
im Kanzleramt hatte dieser in Gestalt von Geheimdienstko­
ordinator Bernd Schmidbauer und Kanzleramtschef Fried­
rich Bohl (beide CDU) mächtige Verbündete, die den Antrag
zurückwiesen. Porzner blieb nichts anderes übrig, als im
Juni 1996 seinerseits um Entlassung zu bitten.
Gehlen während das zweiten
Weltkrieges und danach.
Foto: Doku «The CIA & The Nazis»
«Sie entschuldigten
N -M A J REINHARD
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Kohl berief mit Hansjörg Geiger einen Vertrauten, dem
aber 1998 - nach dem Wahlsieg von Gerhard Schröder - mit
August Hanning wiederum ein eher der SPD geneigter Prä­
sident folgte. Erneut kam es zu einem Machtkampf inner­
halb des Geheimdienstes: Im Vorfeld und während des IrakKrieges unterlief die pro-amerikanische Fraktion des BND
die Beschlüsse und Weisungen der rot-grünen Bundesregie­
rung, die Aggression der USA nicht zu unterstützen. Zwei
BND-Agenten in Bagdad spielten dabei eine Schlüsselrolle.
Sie haben, so der diesbezügliche Bericht der Bundesre­
gierung, «mehr als 130 Meldungen» an die BND-Zentrale
geschickt, von denen Pullach «sieben Koordinaten enthal­
tende Berichte an die US-Seite übermittelte». Die Rede ist
von Zielkoordinaten für die Luftkriegsführung. Außerdem
sollen die beiden einen geheimen Verteidigungsplan der
irakischen Armee an die US-Streitkräfte weitergegeben ha­
ben. Zu dieser Zeit hatte die CIA keine eigenen Leute in der
Zweistrom-Metropole.
Betrieb Rot-Grün nur ein doppeltes Spiel - wortgewalti­
ges «Nein» zum Irak-Krieg auf der einen Seite, klandestine
Hilfe auf der anderen? Dagegen spricht, was der grüne Ab­
geordnete Hans-Christian Ströbele aus dem Parlamentari­
schen Kontrollgremium (PKGr) berichtete: Es gab demnach
2003 «eine klare und eindeutige Auftrags- und Weisungsla­
ge» der Bundesregierung an den BND, die US-Kriegführung
nicht zu unterstützen. Teile der BND-Führung hatten diese
Direkth/en aber wissentlich ignoriert: Über die Richtlinie
war beim BND «keinerlei Aufzeichnung» angefertigt, sie sei
nur teilweise an die Agenten weitergegeben und ihre Ein­
haltung auch nicht überprüft worden - ein für eine deutsche
Behörde vermutlich einmaliger Vorgang.
Für die These von der Wühlarbeit der pro-amerikani­
schen BND-Fraktion während des Irakkrieges spricht auch,
g E N -M A J
REINHARD
£ GEHLEN
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was ein Pullacher Mitarbeiter gegenüber der Süddeutschen
Zeitung von einem Gespräch zwischen BND-Leuten und
ihren US-Kollegen im Vorfeld des US-Angriffes berichte­
te: «Sie entschuldigten sich für Schröder und die Art und
Weise, wie die deutsche Regierung sich benommen hat.»
Weiter hätten sie gesagt: «Wir unterstützen den Krieg, w ir
unterstützen ihn voll und ganz.»
In Hannings Amtszeit fällt auch der Abschluss einer Ver­
einbarung zwischen NSA und BND. Dieses «Memorandum
of Agreement» wurde am 28. April 2002 vom ihm und M i­
chael V. Hayden (NSA) unterzeichnet. Es ging dabei unter
anderem um den gemeinsamen Betrieb einer Abhöranlage
im bayrischen Bad Aibling. Die dafür nötige Software wurde
im Jahr 2009 unter dem damaligen BND-Chef Ernst Uhrlau
(ebenfalls SPD) während der Großen Koalition noch einmal
verbessert.
Anders als das vom NSA-Überläufer Edward Snowden
enthüllte Prism-Programm, das erst 2006 startete, ging es
in dieser Vereinbarung nicht um eine weltweite Internet­
Schleppnetzfahndung, die auch das Abfischen deutscher
Telekommunikationsdaten einschloss, sondern lediglich um
eine Zusammenarbeit bei der Datengewinnung in Krisenge­
bieten wie Afghanistan. Dieser Unterschied wird in der ge­
genwärtigen Debatte absichtlich verwischt, und BND-Chef
Schindler ist bei dieser Vertuschung ein wichtiger Stichwortgeber. In einer BND-Stellungnahme vom 7. August hieß
es, und zwar bezogen auch auf Prism, «dass deutsche Te­
lekommunikationsverkehre und deutsche Staatsangehörige
(...) von diesen Erfassungen nicht betroffen» seien. Genau
das aber wird von Snowden anders gesehen - und er hat
zahlreiche Beweise dafür geliefert, die nun endlich geprüft
werden müssten. ■
sich für Schröder
und die Art und
Weise, wie die
deutsche Regie­
rung sich benom­
men hat.» Weiter
hätten sie gesagt:
«Wir unterstützen
den Krieg, wir un­
terstützen ihn voll
und ganz.»
Karel Meisner schrieb in COMPACT
8/2013 über neue Erkenntnisse
zum Naheverhältnis der Stasi mit
Joachim Gauck.
Das US-Militär in
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