14-21 Azoren

Transcrição

14-21 Azoren
Verloren
im endlosen
Mitten im Atlantik, 1500 Kilometer von Europa entfernt,
liegen die Azoren. Rund um die Inseln tummeln sich
Wale und Delfine, und auf dem Land findet man seltene
Pflanzen und Vögel. Jahrhundertelange Rodungen haben
jedoch die Lorbeerwälder und die Azorengimpel arg in
Bedrängnis gebracht.
Text: Andreas Stricker und Regula Bartholdi
14 Natürlich | 12-2003
S
eit Stunden schon pflügt sich das
Schiff durch die Wellen. Nichts als
Wasser, soweit das Auge reicht.
Vor über fünf Stunden hat die
Fähre die Insel Faial verlassen. Bald
müsste Flores am Horizont auftauchen,
doch umgeben von der unermesslichen
Weite des Meeres fällt einem die Vorstellung schwer, sich inmitten des azoreanischen Archipels zu befinden. Tief unter
dem Schiff türmt sich der atlantische
Rücken auf: jenes gigantische Unterwassergebirge, das sich von Norden nach
Süden über die halbe Erdkugel erstreckt.
Weil sich hier die amerikanische Kontinentalplatte im Westen von der eurasischen und der afrikanischen im Osten
stetig entfernt, entstehen in der Erdkruste
unter der Meeresoberfläche unablässig
Blick von Flores
auf die Insel Corvo
Blau
Reportage NATUR
meisten anderen Länder, besassen keine
weiteren Kenntnisse über die Azoren, als
dass es sich um eine Inselgruppe von
neun oder zehn Inseln handele, weit
draussen im Atlantik, etwas weiter als
halbwegs zwischen New York und Gibraltar. Das war alles.»
Risse, aus denen Magma strömt, erkaltet
und sich auftürmt. Genau unter den
Azoren schieben sich ausserdem die afrikanische und die europäische Platte übereinander. Dadurch gerät die Erdoberfläche in ständige Unruhe, es entstehen
tief im Wasser riesige Vulkangebilde, von
denen 9 ihre Spitzen über die Wasseroberfläche strecken: die Azoren.
Die Inseln mit dem mystisch klingenden Namen sind dem Rest der Welt weitgehend fremd geblieben. Schon 1867 bemerkte der amerikanische Schriftsteller
Mark Twain: «Ich glaube, die Azoren sind
(…) sehr wenig bekannt. In unserer
ganzen Schiffsgesellschaft gab es nicht
einen einzigen Menschen, der irgend
etwas über sie gewusst hätte. Einige aus
unserem Kreis, wohlbelesen über die
Twains Feststellungen lassen sich ohne
Weiteres auf die Europäer übertragen.
Den meisten sind die Inseln höchstens
aus den Wetterprognosen bekannt. Azoren, das klingt irgendwie nach schönem
Wetter: Das Azorenhoch, Teil des subtropischen Hochdruckgürtels, wächst im
Sommerhalbjahr an, drängt das Islandtief
zurück und sorgt dann vor allem in Westeuropa für sonnige und warme Tage.
Doch auf den Azoren selbst ist das Klima
eher feucht: Auch im Sommer muss
jederzeit mit Niederschlägen gerechnet
werden. Grund ist die feuchte Atlantikluft, die über den Inseln ansteigt, oft
kondensiert und dann für Bewölkung
oder Regen sorgt. Trotz des klingenden
Namens sind die Azoren also keine Destination für Badetouristen, zumal auch
Sandstrände weitgehend fehlen. Wenngleich sich auf São Miguel, Santa Maria
und Terceira ein gewisser Tourismus
etabliert hat, liegt der Rest des Archipels
touristisch grösstenteils brach.
Ist man mit motorisierten Verkehrsmitteln unterwegs, ist es empfehlenswert,
Bettler und Bauern
Die Azoren gehören zu den ärmsten Regionen Westeuropas, dennoch geht es den
Azoreanern heute materiell so gut wie nie
zuvor. Vor rund 130 Jahren bot sich Mark
Twain noch ein anderes Bild. Seinen Empfang auf Faial schildert er so: «Die Menge
auf dem Pier war schäbig – Männer und
Azoreanisches Wetterphänomen: Die feuchte Atlantikluft steigt an der Insel auf,
kondensiert und bildet Wolken, während der Himmel über dem Meer strahlend blau ist.
Foto: Andreas Stricker
Foto: gettyimages
Das Azorenhoch
sich die Geduld und das Improvisationsvermögen der Inselbewohner anzueignen: Stets muss damit gerechnet werden,
dass ein Schiff oder ein Flugzeug mit
grosser Verspätung oder überhaupt nicht
verkehrt, was oft, aber durchaus nicht
immer, auf das unberechenbare Wetter
zurückzuführen ist. Strassen oder Wanderwege können sich als unpassierbar
erweisen, etwa weil sie vor Jahren durch
ein Unwetter zerstört wurden, oder gar
weil sie, obwohl auf der Landkarte verzeichnet, noch nicht gebaut wurden.
Warten muss der Verkehr auch, wenn
an einem der zahlreichen Feiertage
irgendwo eine Prozession stattfindet. Das
kann Anlass sein, die einzige Durchgangsstrasse auf der Inselhälfte für Stunden zu sperren. Die Hauptstrassen werden ebenso aufwändig wie liebevoll mit
farbigen Mustern aus Blütenblättern verziert, Fahnen werden gehisst und Gardinen und Teppiche über die Fensterbrüstung gehängt, um die Heiligen zu
ehren, die als Holzfiguren durch die
Strassen getragen werden.
Natürlich | 12-2003 15
NATUR Reportage
London
Paris
Lissabon
Azoren
Die Strassen werden für den Umzug mit Blütenblättern verziert: Prozession auf São Miguel
Casablanca
Tripolis
Dakar
Die Azoren: Kurzportrait
Die Azoren sind ein Archipel von 9 Inseln
im Atlantik, rund 1500 Kilometer von Europa
und 3500 von Nordamerika entfernt. Sie
gehören als weitgehend autonome Region
zu Portugal.
Die Azoren teilen sich in 3 Gruppen auf: Die
Inseln Santa Maria und São Miguel bilden die
Ostgruppe; Terceira, Graciosa, São Jorge, Pico
und Faial zählen zur Zentralgruppe; die Westgruppe besteht aus Flores und Corvo.
Die Distanz von der westlichsten zur östlichsten Insel beträgt 600 Kilometer, wobei die
Gesamtoberfläche aller Inseln lediglich
2335 km2 beträgt, auf denen knapp 250000
Menschen leben. Die grösste Insel, São
Miguel, ist rund 60 Kilometer lang und beherbergt die grösste Stadt, Ponta Delgada, mit
immerhin 40 000 Einwohnern. Mit seinen
2351 Metern ist der direkt aus dem Meer heraussteigende Pico der höchste Berg Portugals. Ihren Namen haben die Azoren übrigens
von einem Vogel entliehen: Açores, portugiesisch für «Habichte», glaubten die Entdecker
einst über den Inseln zu erkennen. Vermutlich
waren es eher Bussarde, denn Habichte gibt
es auf den Azoren keine. Doch der Name ist
geblieben.
Rund 20 Wal- und Delfinarten
Dennoch wird den Walen auch heute
noch nachgestellt – mit Whale-Watching-Booten. Denn in den Gewässern um
die Azoren tummeln sich rund 20 ver-
Fotos: Max Zumsteg
Foto: Andreas Stricker
Frauen, Jungen und Mädchen, zerlumpt
und barfuss, und aus Instinkt, nach Erziehung und von Beruf alle Bettler». Doch er
bemerkte auch: «Wenn jemals irgendwo
die Chausseen und die Strassen und die
Aussenfronten der Häuser vollkommen
frei waren von jedem Anzeichen und jeder
Andeutung von Schmutz oder Staub oder
Schlamm oder Unsauberkeit irgendwelcher Art, so in Horta, so auf Faial. Die
Stadt und die Insel sind wahre Wunder an
Sauberkeit.»
Rom
Tangar
Madeira
Kanaren
Das ist bis heute so geblieben und gilt
für alle Inseln: Nirgends säumen Abfälle
die Strassenränder, und wenn an einem
der strahlend weiss gestrichenen Häusern
ein gräulicher Fleck zum Vorschein
kommt, wird dieser sogleich mit einer
dicken Farbschicht übermalt. Einzig die
zahllosen Häuserruinen, wie es sie in
praktisch allen Orten gibt, bilden einen
markanten Kontrast und zeugen von
den Auswanderungswellen vor noch gar
nicht so langer Zeit.
Wichtigster Erwerbszweig auf den
Inseln ist die Landwirtschaft, wobei heute
Fleisch- und Milchwirtschaft dominieren. Auch die Fischerei ist von Bedeutung; führt man sich allerdings die geographische Lage der Inseln vor Augen,
nimmt sie einen erstaunlich geringen
Stellenwert ein, was an der weitgehend
veralteten Flotte der azoreanischen Fischer liegt. Jahrhunderte lange Tradition
hatte auf den Azoren bis vor wenigen
Jahrzehnten der Walfang. Doch in den
Achtzigerjahren wurde er auf den Azoren
endgültig eingestellt. Dies geschah weniger auf Druck von Tierschutzorganisationen als aus wirtschaftlichen Gründen:
das Jagen von Walen rentierte mit den
überholten azoreanischen Walfangbooten
nicht mehr.
M
Madrid
Ein häufiges Mitglied der ursprünglich stark
verbreiteten Lorbeer-Wachholder-Wälder:
das endemische Blattreiche Johanniskraut
Die ursprüngliche Vegetation musste
vielerorts der Landwirtschaft weichen:
die Vulkaninsel Terceira, unten Weideland
und in der Höhe Lorbeerwald
16769-12
Gesundheitspraxis
SanaVital
Thomas Pfulg
dipl. Masseur
Münstergasse 70
3011 Bern
Tel. 031 312 21 26
Fax 031 312 21 27
E-Mail: [email protected]
– Klassische- und Sportmassage
– Fussreflexzonenmassage
– Akupunktmassage
– Therapie und Seminare nach
Dr. Hulda Clark
17011-12
14519-12
Sie verfügen über eine Ausbildung im medizinischen Bereich und
Sie interessieren sich für eine
Ausbildung in
klassischer Homöopathie
Wir bieten Ihnen die 3-jährige, berufsbegleitende Ausbildung
Beginn: August 2004
Verlangen Sie unsere ausführlichen Ausbildungsunterlagen:
Tel. 041 760 82 24 – Fax 041 760 83 30 – Internet: www.groma.ch/skhz.htm
anspruchsvoll – zeitgemäss - praxisorientiert
16962-12
14080-12
16763-12
Natürlich | 12-2003 17
AUSBILDUNG
Körper- und Atemtherapie LIKA®
Berufsbegleitende Aus- und Weiterbildung
Diplom Stufe 1 Grundausbildung 11 ⁄ 2 Jahre
Diplom Stufe 2 Aufbauausbildung 11 ⁄ 2 Jahre
(entspricht den Richtlinien des EMR)
Orientierungsseminare: März und August 2004
Ausbildungslehrgänge: Beginn: Januar und September 2004
Informationsabend:
19.Januar 2004, 19–21 Uhr (kostenlos)
zu unserem Aus- und Weiterbildungsangebot
Verlangen Sie unser Aus- und Weiterbildungsprogramm!
LIKA® GmbH, Lehrinstitut für PsychoDynamische Körper- und Atemtherapie
Gesamtleitung Edith Gross-Gstöhl, Lindhofstr. 92, 5210 Windisch
Tel. 056 441 87 38, Fax 056 442 32 52, www.lika.ch, [email protected]
16948-12
Fachschule für
· Fusspflege -Pédicure
· Fussreflexzonenmassage
· Klassische Ganzkörper-
pédi-suisse
Daniel
Grund- und Weiterbildungskurse - EMR
Richtlinien
CH-8820 Wädenswil - Seestrasse 128
13509-12
13561-12
Vitalität inTeneriffa
st!
e
T
e
g
e
autpfl
H
S
I
T
A
GR
Im klimatisch einmaligen Norden von Teneriffa,
fernab
von den grossen Touristenzentren, lassen sich
bewusstes Geniessen und Gesundheit aufs Beste verbinden.
Familiär geführtes Hotel mit 85 Appartements – alle
mit
Meerblick – und mit grossem Gesundheitszentrum:
Naturheilverfahren, Sauerstofftherapie, Osteopathie
und
eigenes Regenerationszentrum für Therapie nach F.X.
Gönnen Sie Ihrer
Gesichtshaut fünf
Tage Erholung von
der Chemie Ihrer
üblichen Crèmes.
Testen Sie GRATIS
und unverbindlich
SanoLife Skin-Repair, das die Haut
ohne chemische und sogar ohne
natürliche Wirkstoffe pflegt: mit PhiLambda-Technology®, der «Homöopathie des 21. Jahrhunderts».
Ja,
✂
ich bin an wirkstoff-freier Hautpflege interessiert. Senden Sie mir
bitte gratis und unverbindlich die 5-Tage-Testpackung SanoLife
NA 12/03 B
Skin-Repair.
Name
15879-12
– Maltherapie APK
– prozessorientierte
Kunsttherapie APK
Ausbildung
– Eintritt auf allen Stufen möglich
– laufend neue Ausbildungsgruppen
E i n f ü h r u n g s s e m i n a re und We i t e r b i l d u n g
Daten beim Sekretariat und auf www.heyoka.ch
Vorname
Strasse, Nr.
PLZ/Ort
Einsenden an: SanoLife GmbH, Bio-energetische Produkte, Dorngasse 39,
8967 Widen oder Tel. 056 633 20 25, Fax 056 633 23 18
11823-12
18 Natürlich | 12-2003
Institut HEYOKA
Mühlebachstrasse 45 8801 Thalwil
Tel. 01 720 44 82 / 079 629 75 52
E-Mail: [email protected]
13884-12
schiedene Wal- und Delfinarten; die
wichtigsten sind Pottwal, Pilotwal, Finnwal, Orca und der Grosse Tümmler. Die
Gründe rund um den Archipel seien
für diese wie eine «Oase mitten in der
Wüste», erklärt Rui Prieto, Spezialist
für Meeressäuger an der Universität
der Azoren in Horta. Auf ihrer langen
Wanderung vom Nordpol zu den Gewässern vor Nordafrika durchstreifen
die Tiere die nahrungsarme Tiefsee des
Atlantiks. Bei den Azoren jedoch sorgen
verschiedene Meeresströmungen sowie
das nahe Land mit seinen Untiefen für
einen Reichtum an Nahrung für die
Wale. Mit Whale Watching sollen vermehrt Besucher auf die Insel gelockt
werden - doch mit welchen Folgen für
die Tiere? Rui Prieto gibt zu bedenken,
dass jede Annäherung die Tiere stört.
Doch gleichzeitig spricht er den azoreanischen
Walbeobachtungsunternehmen ein Lob aus: Die allermeisten halten
sich an die nötigen Regeln, etwa was das
Annähern an die Tiere betrifft. Auch
hält sich laut Rui Prieto die Zahl der
Besucher in Grenzen. Im Gegensatz
etwa zu den Kanarischen Inseln, wo
jährlich rund eine Million Touristen
auf Walbeobachtungstour fahren würden, seien es auf den Azoren lediglich
15 000.
Foto: BirdLife International
Früher im ganzen Atlantikraum
weit verbreitet, auf den Azoren
noch immer häufig:
der Gelbschnabelsturmtaucher
Schreiende Cagarros
Sorgen machen sich azoreanische Naturschützer jedoch um eine ganz anderes
Tier: In der Fussgängerzone von Velas
stehen junge Frauen an einem Stand.
«Protege os cagarros» steht auf ihren
Plakaten: «Rettet die Cagarros». Gelbschnabel-Sturmtaucher heissen die albatrosähnlichen Vögel auf deutsch. Einst
bevölkerten sie weite Teile der Atlantikküsten, vom Golf von Mexiko bis
zum Mittelmeer und den Ostküsten Afrikas. An den meisten ursprünglichen
Orten sind die Cagarros heute nur noch
spärlich, wenn überhaupt noch vorhanden; auf den Azoren hingegen sind sie
äusserst zahlreich: Auf 50 000 bis 100 000
schätzt BirdLife International die Zahl der
Paare, die jährlich auf den Azoren brüten;
Verträgt kaum Beweidung:
Die endemische Azoren-Heidelbeere muss vielerorts der Landwirtschaft weichen.
dies bei einer mutmasslichen Weltpopulation von 140 000 bis 210 000. Die Sorge
der örtlichen Ornithologen um den
Cagarro gründet unter anderem auf
illegalen Abschüssen und häufigen Zusammenstössen mit Autos. Doch angesichts der immer noch sehr zahlreichen
Cagarros haben es die Vogelschützer
nicht leicht, die einheimische Bevölkerung von der Gefährdung dieser Vögel
zu überzeugen.
In den felsigen Küstenstreifen der
Azoren ist der bizarre Ruf unzähliger
Cagarros – manche Azoreaner sagen, er
ähnle dem Schrei eines Babys – im Sommer nächtelang zu hören, und wer das
seltsame kwääk-aua-aua-aua-kwääk je gehört hat, dem wird es noch lange in
Erinnerung bleiben. Ein Azorensommer
ohne den Cagarro, das wäre unvorstellbar.
Foto: Max Zumsteg
Zerstörung der Lorbeerwälder
Bei ihrer Entdeckung im 15. Jahrhundert
waren die Azoren fast ganz mit Wäldern
bedeckt. Heute, nach Jahrhunderten
langen intensiven und unkontrollierten
Rodens durch die Landwirtschaft, findet
man die einstige Vegetation lediglich
noch an wenigen unzugänglichen Orten
in Kratern, auf Klippen oder an Berghängen. Ernsthaft bedroht sind die ursprünglichen Lorbeer- und Wachholderwälder. Sie wurden zur Schaffung von
Weideland kahl geschlagen und sind
nur noch an wenigen geschützten Orten,
zum Beispiel auf der Insel Faial, erhalten
geblieben.
An den vulkanischen Kliffen und
Basaltfelsen der Küste wachsen vor allem
Gräser, überwiegend die Festuca petraea,
ein Süssgras. Häufig sind die Küsten
bewaldet, in der Vergangenheit von der
Wachsmyrte (Myrica faya) und der azoreansichen Picconie (Picconia azorica)
Natürlich | 12-2003 19
NATUR Reportage
Foto: Andreas Stricker
dominiert. Das natürliche Weideland im
Inselinnern zeichnet sich durch einen
grossen Pflanzenreichtum aus. Es ist geprägt von Honiggras (Holcus rigidus),
Schwingel (Festuca jubata) und Schmiele
(Deschampsia foliosa). Durch die zunehmende Viehwirtschaft bedroht, findet
sich natürliches Weideland jedoch nur
noch an einigen der höchsten Stellen auf
den Inseln über 700 Meter über Meer und
in Vulkankratern.
Das blattreiche Johanniskraut
Auf den Azoren gibt es rund 60 endemische Pflanzen (das heisst nur auf den Azoren wachsend). Sie finden sich auf Meereshöhe bis zur Spitze des Pico (2351 m),
dem höchsten Berg der Inseln. Die meisten
dieser Arten sind selten und oft auf kleinste und unwirtliche Gebiete beschränkt.
Der azoreanische Kleefarn (Marsilea azorica) beispielsweise wächst nur an einer
einzigen Stelle auf Terceira, azoreanischer
Augentrost (Euphrasia azorica) und Hornkraut (Ceratium azorica) beschränken
sich auf die Westgruppe. Auf allen Inseln
durch die Konkurrenz einwandernder
Pflanzen bedroht ist.
Die Azoren Heidelbeere (Vaccinium
Cylindraceum) ist ein belaubter Strauch
von bis zu 3,5 Metern Höhe, der auf
allen Azoreninseln mit Ausnahme von
Graciosa vorkommt. Sie wächst in der
Regel oberhalb von 300 Metern über
Meer, auf Pico bis 1800 Meter und ist
häufiger Bestandteil des Lorbeer-Wacholderwaldes. Sie kommt auch verstreut
in offenen Rasenflächen und auf sandigen
Ablagerungen vor. Die Azoren Heidel-
häufig ist das blattreiche Johanniskraut
(Hypericum Foliosum Aiton), ein niedriger Strauch mit eiförmig-lanzettlichen
Blättern, ziemlich grossen, gelben Blüten.
Er wächst vorwiegend oberhalb 400 Metern über Meer und ist ein häufiges Mitglied des Lorbeer-Wacholder-Waldes,
findet aber auch geeignete Bedingungen
in dichten Pitosporum-Beständen. Das
blattreiche Johanniskraut ist eine der
wenigen endemischen Pflanzen der Azoren, die nicht durch die weitreichende
Nutzung der natürlichen Vegetation oder
Ruhe und Hektik: Velas und Angra
treten, verbreiten ihren schwefligen Geruch im
ganzen Talkessel. Der Parque Terra Nostra
am Rand des Ortes ist nicht nur wegen seiner
exotischen Parkbäume einen Besuch wert,
sondern auch wegen seinem Natur-Schwimmbad: Das Wasser aus dem vulkanisch erwärmten Erdinnern ist gelblich und 38 Grad heiss.
Baden in heisser Quelle: Furnas
Dass der Vulkanismus auf den meisten Inseln
noch allgegenwärtig ist, wird einem vor allem in
Furnas vor Augen geführt. Heisse Quellen, die
an verschiedenen Stellen aus dem Boden
Ganz oben: Pico
Mit seinen 2351 Metern ist der Pico Portugals
höchster Berg. Einmal oben, bietet sich bei
schönem Wetter ein einzigartiger Überblick
auf sämtliche Inseln der Zentralgruppe.
20 Natürlich | 12-2003
Der äusserste Westen: Flores
Wer das beschauliche Leben auf den Azoren
eine Weile genossen hat und dann nach Flores
reist, muss hier nochmals einen Gang zurückschalten. Die kleine Insel markiert nicht nur den
äussersten Westen der Azoren, sondern von
ganz Europa. Für seine 4000 Einwohner bedeutet dies ein Leben in tiefer Abgeschiedenheit.
Einsamer ist es nur noch auf der Nachbarinsel
Corvo, die lediglich ein einziger gewaltiger
Vulkankrater ist, an dessen Fuss ein Ort mit
460 Einwohnern liegt.
Junges Land: Capelinho
Eine der spannendsten Gegenden der Azoren
liegt am anderen Ende Faials: die mystische
Landschaft um den jungen Vulkan Capelinho,
der erst 1957 entstanden ist. Weite Teile des
nahen Dorfes Capelos inklusive des Leuchtturmes wurden damals von Vulkanasche
überschüttet. Die recht hohen und ziemlich
steilen neuen Berge sind praktisch vollständig begehbar. Sie sind bis heute noch weitgehend unbewachsen.
Foto: Andreas Stricker
Angra do Heroísmo auf Terceira ist aus historischer Sicht die interessanteste Stadt der
Inseln. Für kurze Zeit galt sie sogar einmal als
Hauptstadt Portugals: Nachdem Portugal 1580
von Spanien vorübergehend annektiert worden war, flohen die Königstreuen auf die Azoren und erhielten mit Sitz in Angra die staatlichen Überreste ihres Landes aufrecht. Heute
zeugt vor allem die Architektur von der bewegten Vergangenheit Angras: Renaissancebauten aus dem 17. Jahrhundert säumen die Strassen im Zentrum, spanischen Baustils ist die
mächtige Kathedrale. Doch für Ruhesuchende
zeigt sich manch anderer Ort auf den Inseln
attraktiver als das enge und lärmige Angra.
So zum Beispiel Velas, der ruhige Hauptort
der wenig beachteten Insel São Jorge. Im Lavabecken baden die Einheimischen in Sichtweite
des Pico. Ein kleiner Park ziert, wie in so manchem Azorenstädtchen, das Zentrum.
Wurde 1957 von Vulkanasche verschüttet:
das Dorf Capelos
Ragt direkt aus dem Meer heraus
und ist mit seinen 2351 Metern
der höchste Berg von ganz Portugal:
der Pico
Reportage NATUR
beere erträgt kaum Beweidung. Ihre rosafarbenen bis fast weissen Blüten sind in
Trauben von 10 bis 20 Stück angeordnet.
In Blüte ist die Azoren Heidelbeere sehr
attraktiv.
Ein ernst zu nehmendes Problem auf
den Azoren ist die Invasion durch fremde,
invasive Pflanzen, die die einheimischen
Arten völlig verdrängen können. Gerade
in jüngster Zeit hat ihre Zahl zugenommen. Die auffälligste invasive Pflanze auf
den Azoren ist die Hortensie (Hydrangea
macrophylla). Da sie das Logo der Tourismusbüros ziert, wird die ursprünglich
aus Japan stammende Hortensie von
Unkundigen oft als typisch azoreanische
Pflanze angesehen. Auch sehr verbreitet
ist der ebenfalls aus Asien stammende
Wilde Ingwer (Hedychium gardneranum). Der schnelle Profit förderte in
der Holzwirtschaft schnell wachsende
Bäume, etwa Eukalyptus (Eucalyptus
globulus), Götterbaum (Ailanthus altissima) und Kiefer (Pinus pinaster).
Noch 120 Azorengimpel-Paare
Unter der Zerstörung der ursprünglichen
Lorbeerwälder hat auch die einheimische
Vogelwelt zu leiden, allen voran der
Azorengimpel (Pyrrhula murina), eine
endemische Unterart des eurasischen
Gimpels (Pyrrhula pyrrhula). Mit anderen Singvögeln zum landwirtschaftlichen
Schädling erklärt, begann Mitte des vorletzten Jahrhunderts eine regelrechte
Ausrottungskampagne, wie der Zoologe
Markus Kappeler 1990 in einer Abhandlung über den Azorengimpel schrieb. Die
letzte Zählung im Jahre 1999 ergab 120
Azorengimpel-Paare.
Wichtige Nahrungsquellen findet
der Azorengimpel in den immergrünen
Lorbeerwäldern, einer Pflanzengesellschaft
mit üppiger Moos-, Kraut- und Strauchschicht. Feldbeobachtungen haben ergeben, dass der Azorengimpel zwar ein
gewisses alternatives Nahrungsangebot annimmt, jedoch nie die Früchte der Krausblättrigen Klebsame (Pitosporum undulatum), welche neben dem Ingwer zu den
ärgsten Bedrängern des Lorbeerwaldes
gehört. Eine für ihn wichtige, einst
sehr verbreitete endemische Pflanze ist der
Kirschlorbeerbaum (prunus lusitanica ssp.
azorica). Gerade noch 7 dieser Bäume gibt
es im 4 Quadratkilometer grossen Naturreservat von Pico da Vara im Osten der
Insel São Miguel, erklärt Maria João
Pereira, Doktorin an der Universität der
Azoren in Ponta Delgada. Sie ist mit ihren
Mitarbeitern an einem Projekt zur Rettung
des Azorengimpels beteiligt. Ziel des
von der EU finanziell unterstützten Projektes ist, die Fläche des noch bestehenden
Lorbeerwaldes auszudehnen und die Population des Azorengimpels bis in 7 Jahren
auf 150 bis 200 Paare zu erhöhen.
■
Foto: Andreas Stricker
Wie aus dem Bilderbuch: die Lagoa das Furnas auf São Miguel
Foto: Max Zumsteg
Ernsthaft bedroht sind die ursprünglichen
Lorbeer- und Wacholderwälder: hier der Gewellte
Lorbeer (Klebsame), eine endemische Art
Quellen:
– Bussmann, Michael: «Azoren Reisehandbuch»,
Michael Müller Verlag, 2002
– Osang, Rolf: «Azoren», DuMont Reisetaschenbuch, 2001
– Schäfer, Hanno: «Flora of the Azores – A Field
Guide», Verlag Margraf
– Homepage des Autors:
www.stricker.net/andreas/bilder/azoren