Anne Albers-Dahnke Kino ohne Sex

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Anne Albers-Dahnke Kino ohne Sex
Anne Albers-Dahnke
Kino ohne Sex
Erschienen in: Magazin „dran“ 2001
Schwitzende Körper wälzen sich schon seit längerer Zeit nicht mehr in Großformat auf der
Leinwand. Jedenfalls in den Kinos, für die man nicht in bestimmten Etablissements absteigen
muss. Die Sparte der „Basic-Instinct“-Filme (1991) scheint out zu sein. In den Liebesfilmen der
Gegenwart geht es statt dessen ausgesprochen harmlos zu und dem Zuschauer bleibt das
minutenlange Rumgeaale zum größten Teil erspart. Beim deutschen Kassenerfolg „Im Juli“
durchreist ein Liebender die ganze Welt, um sie zu finden und alle Romantik ergießt sich in
einem Kuss vor dem Abspann. In „Der Krieger und die Kaiserin“ gibt es nach zwei Stunden die
erste und einzige scheue Berührung und beim „Eisbär“ harmloses Teenagergeknutsche eines
Killerpärchens.
Fragt sich nur warum! Warum haben Erotik und Leidenschaft die entscheidende Rolle in den
Liebesfilmen des 21.Jahrhunderts eingebüßt und worum dreht es sich stattdessen? Sehnsucht
ist meiner Meinung nach das Stichwort. Sehnsucht nach Erlösung, Sehnsucht nach
Verschmelzung und Sehnsucht nach Befreiung treibt die Liebenden um, die heute über die
Kinoleinwände geistern. Sie warten auf den Prinz, der sie aus emotionaler Taubheit wachküßt
und aus dem Leid des Lebens befreit oder auf die Prinzessin, die gute Fee, die eine neue Welt
mit ihm erschafft. Antwort auf die Sehnsucht ist immer die Liebe und ihre Macht, die fähig ist
einander zu retten. „Rette mich, dann rette ich Dich“, ist das Motto der Helden und Heldinnen
ohne Glamour und ohne Geld. Kultfilm dieses Genres ist „Das Million Dollar Hotel“, in dem
zwei gefallene, schmerzerfüllte Träumer, anders als die Welt um sie herum sich auf so
übermenschliche und unschuldige Art lieben, dass man wie betäubt aus dem Kino wankt.
Das ist nicht die vitale, saubere und Zähne bleckende Romantik Hollywoods. Hier begegnen
sich keine Supertypen und Klasseweiber, sondern verwundbare Seelenverwandte, die in der
Liebe ihr Asyl finden. Immer fängt es ähnlich an: von weitem erahnen sie sich, schweben,
tänzeln umeinander herum, prallen aufeinander und ringen so lange bis ihre inneren
Schutzwälle einstürzen und sie sich einander offenbaren können. Genauso intensiv, aber noch
viel märchenhafter ist dies in dem Film „Die fabelhafte Welt der Amélie“ dargestellt. Das ist
also die Intimität der Liebesfilme von heute: nicht mehr die Triebe wie in „Basic-Instinct“,
sondern das seelische Getriebensein führt Männer und Frauen zusammen. Sex scheint heute als
Erlösungsstrategie nicht mehr zu taugen, Rausch und Lust garantieren nicht den Himmel auf
Erden. Vielleicht, weil Sex eine Intimität von damals ist und inzwischen jedem Geheimnis der
unbeobachteten Zweisamkeit entkleidet wurde. Auf Fernsehmagazinen, Megaplakaten, in
Bildzeitungsschlagzeilen und in Vorabendserien gibt es nackte Tatsachen und Sex anderer
Leute ungefragt auf dem Präsentierteller. Sexualität ist so präsent und öffentlich, das sie sich
nicht mehr als Mittelpunkt von etwas Erfüllendem eignet, das zwei Menschen für sich alleine
beanspruchen möchten. Vielleicht ist Erotik auch deshalb so marode geworden, weil sie
inzwischen ganz andere Assoziationen weckt: Angst vor Missbrauch, Gewalt oder AIDS.
Sex garantiert also nicht das große Glück, aber die Liebe. Das glauben alle, nicht nur die
Prinzen und Prinzessinnen in den aktuellen Liebesfilmen. Interessant ist nur, dass Liebe ständig
scheitert, aber der Glaube an sie bleibt. Die Liebe ist im Alltag oft unmöglich umzusetzen und
zugleich doch der einzige Ausweg aus einem allzu oft als leer und leidvoll erfahrenen Dasein.
Leider taugt die romantische Vorstellung von der Liebe nicht als Basis einer Beziehung, denn
Gefühle sind unberechenbar. Deshalb enden die Filmromanzen auch immer dann, wenn die
Liebe zwischen Prinz und Prinzessin gerade begonnen hat, denn der erfüllten Sehnsucht folgt in
der Realität das Zähne zusammenbeißen und das Ringen mit den Gegensätzen, wenn die
Zweisamkeit von Dauer sein soll. Erst kommt die Erfüllung, dann der Abwasch. Die Balance
zwischen Leidenschaft und Pragmatismus halten ist die große Herausforderung, der sich die
Liebenden in den Filmen nicht stellen müssen. Die Erlösung, die sie erfahren, gibt es nach dem
Abspann nicht. Deshalb machen Filmromanzen auch nicht glücklich, sondern immer nur
sehnsüchtig. Die Erlösungssehnsucht, mit dem sich nicht nur im Kino Menschen aufeinander
stürzen, kommt einer Privat-Religion gleich. Die Liebe als Selbstzweck, die Liebe als Gott.
„Aber wäre die Partnerliebe ein Gott, so wären sie ein hartherziger Gott. Einer, der uns immer
wieder in die Kinos pilgern lässt, um seine Heilsbotschaften zu empfangen. Und danach lässt er
uns im Stich.“*
* aus der Zeitschrift „Chrismon“, Ausgabe 01/2001