Wird Wohnen zum Luxusgut?

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Wird Wohnen zum Luxusgut?
kostenlos
20132GSG-Direkt
Wird Wohnen zum Luxusgut?
Wie gezielte Stadtentwicklung die Spaltung der Gesellschaft verhindern kann
GSG – wir planen mit an Oldenburgs Zukunft.
Inhalt
Wird Wohnen zum Luxusgut?
04
Finanzierbarer Wohnraum
wird immer geringer
12
Auf Wohnungssuche
in Oldenburg
06
Von hier stammen die
neuen Oldenburger
14
Das Zeitfenster
ist bis 2020 offen!
Dr. Ulrich Maly über Stadtplanung
Das Konzept "Soziale Stadt"
16
Rezepte für das
würdevolle Altern
Bezahlbares
Bauland beschaffen
18
Lösungsmodelle für ausdifferenzierten Wohnraum
Den steigenden Mietpreisen begegnen
08
10
Bertelsmann-Studie enthält Brisanz
Infografik zeigt Zuzüge
Für lebenswertes
und faires Wohnen
Wolfgang Hadrich über Zukunftsaussichten
Neubürger berichten
Über Barrierefreiheit und alternative Wohnformen
INHALT
3
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
das Onlineportal immowelt.de meldet für Oldenburg den
höchsten Anstieg der Mietpreise in Norddeutschland. Die
Bertelsmann-Stiftung ermittelt, dass nur fünf Prozent der
Wohnungen in der Stadt für ärmere Bevölkerungsgruppen
bezahlbar seien. Auf dem frisch erworbenen Fliegerhorst
soll in den kommenden Jahren ein kompletter neuer Stadtteil entstehen.
Wohnungspolitik ist in unserem Alltag so präsent wie nie.
Immer mehr Menschen fragen sich, wohin die Entwicklung
des Marktes noch führen wird. Für die GSG ist es eine
Zeit, in der wir uns klar positionieren – als eine sich dem
Gemeinwohl verpflichtet fühlende Wohnungsbaugesellschaft und als Partner, der bei der Planung und Realisierung
neuer Bauvorhaben Augenmaß bewahrt. Wir brauchen in
Oldenburg in naher Zukunft vor allem kleinere Wohnungen
zu erschwinglichen Preisen. Darum werden wir uns
kümmern.
Um geeignete Lösungen präsentieren zu können, lohnt ein
Blick über den Tellerrand. Wie machen das andere Städte?
Mit welchen Konzepten begegnen sie der Wohnraum­
problematik? Woher kommen überhaupt die Menschen,
die Oldenburg weiter anwachsen lassen? Und was erwarten
sie von der Stadt? Mit diesen Fragen werden wir es zu tun
haben. Erste Antworten finden Sie in dieser Ausgabe von
„GSG Direkt“.
Viel Spaß beim Lesen wünscht
Ihre GSG
Impressum
Herausgeber GSG OLDENBURG Bau- und Wohngesellschaft mbH, Straßburger Straße 8, 26123 Oldenburg.
V.i.S.d.P. Stefan Könner, GSG OLDENBURG.
Konzeption und redaktionelle Leitung Mediavanti oHG –
Agentur für Text und Konzept, Donnerschweer Straße 90,
26123 Oldenburg, ­www.mediavanti.de.
Gestaltung und Produktion STOCKWERK2 –
Agentur für Kommunikation, Donnerschweer Straße 90,
26123 Oldenburg, www.stockwerk2.de
Druck DRUCK-SERVICE Thomas Lamken, Oldenburg.
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photocase.com, S. 5: BildPix.de – Fotolia.com, S. 8: Lisa S. –
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photocase.com, S. 16: Robert Kneschke – Fotolia.com,
S. 18–19: Blickfang, ankiro, Rolf Stumpf, Arap (von links
nach rechts) – Fotolia.com
Arme Familien
4
Der Segregation
Einhalt gebieten
Der Titel ist nüchtern formuliert, doch der Inhalt birgt Brisanz: Die Studie der Empirica AG
im Auftrag der Bertelsmann Stiftung mit dem Titel „Wohnungsangebot für arme Familien
in Großstädten“ untersuchte die Lebenssituation in den 100 einwohnerstärksten Städten
Deutschlands. Die Ergebnisse überraschen kaum – in Metropolen geraten einkommensschwache Familien durch hohe Mieten oftmals unterhalb der staatlichen Grundsicherung.
Was ist Armut? Die Definition ist umstritten, in der Regel
wird „arm“ wirtschaftlich und mit einem niedrigen Grundeinkommen erklärt. In Deutschland fallen unter diese Erläuterung Geringverdiener ebenso wie Empfänger staatlicher
Transferleistungen. Bezugsgröße in den Analysen war bisher
immer der bundesweite Vergleich. So lautet das Ergebnis
fast aller Untersuchungen, dass etwa in Süddeutschland
weniger arme Haushalte bzw. Familien leben als in Ostdeutschland. Dabei ist beispielsweise ein Einkommen von
2.000 Euro in Zwickau ungleich mehr wert als in Hamburg.
Timo Heyn, Dr. Reiner Braun und Jan Grade, die Autoren der Studie „Wohnungsangebot für arme Familien in
Großstädten“, wählen deshalb einen anderen Ansatz. Sie
berechnen für die 100 größten deutschen Städte, was eine
nach regionalen Maßstäben einkommensschwache vierköpfige Familie monatlich ausgeben kann, nachdem sie die
Kosten für das mit Abstand teuerste Konsumgut beglichen
hat – das Wohnen. So soll die wohnbedingte Armut künftig
stärker in den Fokus rücken.
Die Studie belegt die Auswirkungen des Wohnungsmarkts auf das Budget von Familien, die weniger als 60
Prozent des ortsüblichen mittleren Einkommens erzielen:
So bleiben etwa einer Familie mit zwei Kindern in Jena
nach Überweisung der Miete rechnerisch nur 666 Euro pro
Monat. Das verfügbare Einkommen liegt also 43 Prozent
unter der staatlichen Grundsicherung, auf die eine vergleichbare Familie ohne Erwerbseinkommen Anspruch hat
und die bundesweit einheitlich 1.169 Euro beträgt. Dies
gilt auch für die Wohnsituation in Frankfurt/Main, Freiburg
und Regensburg. „Armut beeinträchtigt das Aufwachsen
von Kindern. Wir müssen vor Ort genauer hinschauen,
welche Familien mit Kindern mehr Unterstützung für gute
Bildungs- und Entwicklungschancen benötigen“, sagt Jörg
Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung. Möchte eine
Familie maximal 30 Prozent ihres Einkommens – das ist der
bundesweite Durchschnittswert – fürs Wohnen ausgeben,
tendiert mancherorts das Angebot auf dem Wohnungsmarkt gegen null. Insgesamt sind in den untersuchten
100 einwohnerstärksten Städten durchschnittlich nur zwölf
Prozent der Angebote für arme Familien finanzierbar. Im
Norden der Republik liegen Hamburg mit zwei und Olden­
burg mit fünf Prozent am Ende der Skala. Ganz anders
sieht es in Hildesheim aus, wo sich mit 30 Prozent des
Familieneinkommens mehr als 40 Prozent der angebotenen
Wohnungen finanzieren lassen.
In Oldenburg gilt eine vierköpfige Familie als arm, wenn
sie über maximal 1.644 Euro im Monat verfügt. Für eine
Wohnung im unteren Preissegment muss sie 520 Euro
ausgeben, das entspricht 31,6 Prozent ihres Einkommens.
­Danach verbleiben durchschnittlich 1.124 Euro – vier
Prozent weniger als der SGB-II-Regelsatz einer vierköpfigen
Familie (zwei Erwachsene, ein Kind unter sieben Jahren
sowie ein Kind zwischen sieben und 14 Jahren).
Die Studie vermittelt auch, wie der Wohnungsmarkt in
Deutschland die soziale Spaltung einer Stadt verstärken
kann. Denn in Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt
bleiben nur noch wenige Stadtteile,in denen einkommens­
schwache Familien bezahlbare Wohnungen finden.
Wichtig ist dabei, ob die durch die jeweilige Wohnkaufkraft
begrenzten Angebote eine größere oder kleinere räumliche
Wahlfreiheit ermöglichen oder Segregationstendenzen von
Familien verstärkt werden. Es stellt sich die Frage, ob arme
Familien bei der Wohnungssuche stärker als andere Haushalte auf bestimmte Stadtteile festgelegt sind.
STADTENTWICKLUNG
»Armut beeinträchtigt das
Aufwachsen von Kindern.«
Dr. Jörg Dräger, Vorstand Bertelsmann Stiftung, Foto: Arne Weychardt
Und tatsächlich: Die von armen Familien finanziell
erreichbaren Wohnangebote konzentrieren sich in den
Städten stärker als diejenigen für Familien mit einem
durchschnittlichen Einkommen. Im Schnitt der 100
­beobachteten Städte liegt die Konzentrationskennziffer der
familien­geeigneten und finanzierbaren Wohnungen bei
neun Prozent. Generell sind geeignete und finanzierbare
Wohnun­gen für arme Familien in den Städten räumlich
hoch konzentriert. Segregation, also die räumliche Ent­
mischung von Haushaltstypen innerhalb einer Stadt,
werde damit begünstigt, heißt es im Fazit der Studie der
Bertels­mann Stiftung. Dieser Entwicklung gilt es Einhalt zu
gebieten.
Beispiel Hildesheim
Oldenburg liegt zurück
In Hildesheim haben die Ergebnisse der BertelsmannStudie kontroverse Bewertungen hervorgerufen. Vor
allem an Bedarf und Qualität der Mietwohnungen entzündete sich eine rege Diskussion. Im November 2009
wurde die Stadt vom Land Niedersachsen als eine der
familienfreundlichsten des Landes ausgezeichnet. Das
spiegelt sich auch in der Einschätzung der Bertelsmann
Stiftung wider, wie deren Sprecherin Carina Schnirch
bestätigt: „Hildesheim fällt in vielen Punkten positiv auf.“
Demnach haben Familien in der Stadt weniger Schwierigkeiten, eine passende Bleibe zu finden. 43 Prozent
der Wohnungen in Hildesheim sind auch für ärmere
finanzierbar. Das ist deutschlandweiter Spitzenwert.
Anteil der familiengeeigneten und für geringe
­Ein­kommen finanzierbaren Angebote in den größten
­Städten Norddeutschlands
43%
22%
Hildesheim
16%
Hannover
Salzgitter
14%
12%
12%
Bremen
Kiel
Flensburg
10%
10%
9%
9%
Göttingen
Osnabrück
Lübeck
Wolfsburg
14%
Braunschweig
Bremerhaven
16%
5%
2%
Oldenburg
Hamburg
Quelle: Bertelsmann Stiftung, Sonderauswertung Mikrozensus 2011, Destatis
Streit um Studie
5
Der Mieterverein Hildesheim wirft einen anderen
Blick auf die Studie. „Sie geht am Bedarf vorbei. Wir
brauchen hier in Zukunft ein ganz anderes Angebot als
75-Quadratmeter-Wohnungen“, kritisiert Geschäfts­
führer Volkert Spieth. Dass an größeren und bezahlbaren Wohnungen in der Universitätsstadt kein Mangel
herrsche, bestätigt er allerdings. Nach seinen Worten
bilde die Studie nur die Quantität ab, lasse die Qualität
außen vor. Und gerade an Ausstattung und Zustand
herrsche bei etlichen dieser größeren Wohnungen
Nachholbedarf.
Der kritischen Sichtweise des Mietervereins will die
Gemeinnützige Baugesellschaft zu Hildesheim (GBG)
nicht folgen. „Wir können die Aussagen der Studie
grundsätzlich bestätigen“, erklärt Sprecher Frank Satow
in der Lokalpresse. So gebe es auch für einkommensschwache Familien geeignete Wohnungen – „allerdings
nicht unbedingt in Innenstadtlage.“ Dort verzeichne die
GBG eher Nachfragespitzen bei kleineren Wohnungen.
Neubürger
Von hier stammen die
neuen Oldenburger
Aus Niedersachsen
SchleswigHolstein
6
203
6.105
Mecklenburg82 Vorpommern
251
Oldenburg
Hamburg
400
Bremen
Branden-
burg
62
Niedersachsen
61
Berlin 151
SachsenAnhalt
715
NordrheinWestfalen
50
Sachsen
160
Hessen
Thüringen
89
RheinlandPfalz
1.300
Aus dem Ausland
Saarland
190
Bayern
BadenWürttemberg
Quelle: Landesbetrieb für
Statistik und Kommunikations­
technologie (LSKN), 2012
ZUWANDERUNG
An- und Abmeldungen
ins Umland
1 Oldenburg
2 Bad Zwischenahn
3 Edewecht
Zuzüge aus den
Bundesländern
Mobilität ist einer der Schlüsselbegriffe für
die Entwicklung von Städten. Die Menschen
sind heute weit mobiler als noch vor Jahrzehnten. Häufig aus beruflichen Gründen, oft
auch aus privaten Erwägungen wechseln sie
heute wesentlich häufiger ihren Wohnort.
Abmeldungen nach Oldenburg
4 Wardenburg
(Gesamt: 2.245)
5 Hatten
(Gesamt: 1.896)
7 Elsfleth
8 Rastede
9 Wiefelstede
9
Oldenburg profitiert seit langem von dieser
Flexibilität. Es übt eine große Anziehungskraft
auf Neubürger aus und zählt zu den wenigen
Städten in Norddeutschland, bei denen die
Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner
ansteigt. Experten rechnen in den kommenden
Jahren mit einem weiteren Bevölkerungsplus.
Woher kommen die neuen Oldenburgerinnen und Oldenburger? Aufschluss gibt der
Landesbetrieb für Statistik und Kommunikationstechnologie. Danach wurden für Oldenburg im Jahr 2012 insgesamt 10.084 Zuzüge
registriert (gegenüber 8.963 Abwanderungen).
Erwähnenswert ist die umfassende positive Bilanz innerhalb des Bundesgebietes (+613), von
Niedersachsen (+813) sowie auch des Auslandes (+512). Insgesamt ergibt sich ein hoher
Wanderungsgewinn von 1.125 Einwohnern.
Die Mehrzahl der Neubürgerinnen und
Neubürger stammt mit rund 6.100 aus Nieder­
sachsen, davon wiederum 4.900 aus dem
Nordwesten. Unterm Strich ergibt sich allein
für den ehemaligen Regierungsbezirk WeserEms ein Zuzugsgewinn von 485 Personen.
Dieser mache deutlich, so heißt es in der
Auswertung, dass die Stadt Oldenburg für die
„Nachbarn eine attraktive Zukunftsperspektive
mit adäquatem Wohnungs-, Arbeitsplatz- und
Ausbildungsangebot bietet.“
6 Hude
Anmeldungen aus Oldenburg
8
376
260
354
7
62
300
2
440
392
1
3
305
77
127
257
6
143
4
333
264
248
5
203
Auch wenn der Bevölkerungszuwachs insgesamt beeindruckend ist, hat Oldenburg doch ein Problem mit
der Abwanderung in die Gemeinden am Stadtrand. Dies
vor allem, weil der größte Anteil am negativen Umland­
wanderungs-Saldo bei der Altersgruppe zwischen 21 und
44 Jahren (-262 Personen) liegt, gefolgt von den Null- bis
Zwei-Jährigen (-88 Personen). Hier handelt es sich vorwiegend um Paare mit oder ohne Kinder, die im Umland
relativ günstig Bauland erworben haben. Zuwächse aus
den benachbarten Gemeinden sind in der Altersgruppe der
15- bis 20-Jährigen und besonders der 18- bis 24-Jährigen
zu verzeichnen. Es kann also weiterhin davon ausgegangen
werden, dass Oldenburg ein attraktiver Ausbildungsort ist.
Quelle: Stadt Oldenburg, 2012
7
8
Soziale Stadt
Für lebenswertes
und faires Wohnen
Die Frage bewegt Stadtplaner mit zunehmender Dringlichkeit: Wie lässt sich in allen Stadtteilen für alle Bevölkerungsgruppen eine hohe Wohnqualität ermöglichen? Nicht erst, seit
der Begriff Segregation Einzug in die Berichterstattung der Medien gehalten hat, ist das
Phänomen der sozialen und ethnischen Aufteilung insbesondere in deutschen Metro­polen
zu beobachten. Innenstädte sowie durch Sanierung aufgewertete Viertel erfreuen sich steigender Nachfrage. Mieter, die sich darauf folgende Mehrkosten für ihren Wohnraum
nicht leisten können, werden in andere, oft am Stadtrand gelegene Viertel verdrängt. Das Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – Soziale Stadt“ versucht
unter Beteiligung der Bevölkerung, dieser Tendenz entgegenzuwirken.
WOHNQUALITÄT
»Das Programm Soziale Stadt muss
wieder nachhaltig finanziert werden.«
René Bormann, Friedrich-Ebert-Stiftung Foto: Mark Bollhorst
9
„Unsere Städte müssen sich wieder stärker in Richtung
einer solidarischen und gleichberechtigten Gemeinschaft
entwickeln“, findet René Bormann. Der Leiter des Arbeitskreises Stadtentwicklung, Bau und Wohnen der FriedrichEbert-Stiftung fasst so die Überlegungen des Programms
Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – Soziale Stadt
zusammen. Es hat zum Ziel, den immer drängenderen
Problemen der sozialen und ethnischen Polarisation sowie
der Verarmung einzelner Stadtteile etwas entgegenzu­setzen.
Nachdem Anfang der 1990er Jahre in Berlin, Bremen,
Hamburg und Nordrhein-Westfalen positive Erfahrungen
mit dem Konzept gemacht worden waren, wurde es 1999
als Spezialprogramm der Städtebauförderung von Bund
und Ländern bundesweit auf den Weg gebracht – finanziert
mit Bundesmitteln, die je nach Problemlage auf die Länder
verteilt werden.
Auch bei der Sanierung zweier Viertel in Oldenburg spielte
die finanzielle Unterstützung aus diesem Etat eine entscheidende Rolle. Das Kennedyviertel wurde 1999, KreyenbrückNord 2009 in das Programm aufgenommen. Insgesamt
stellten Bund, Land und Kommune den „sozialpolitischen
Brennpunkten“ der Stadt 7,6 Millionen Euro zur Verfügung.
Wichtigstes Prinzip des Programms ist, dass nicht politi­
sche Instanzen Maßnahmen ergreifen. Im Gegenteil: Es gilt
der „bottom up“-Ansatz. Die Bewohner eines Stadtteils –
darunter Eigentümer, Mieter und Pächter – sollen mit ihren
individuellen Ansprüchen an das Wohnen von Beginn an
involviert sein. „Um sie zu aktivieren und Eigeninitiative zu
ermöglichen, werden sie bereits am Entwicklungskonzept
beteiligt“, erklärt Bormann. „Dabei haben sich Befragungen,
Gebietsbegehungen, Stadtteilkonferenzen sowie aufsuchende Informations- und Öffentlichkeitsarbeit als erfolgreich erwiesen.“ Zentrale Anlaufstelle sei das Quartiersmanagement.
Als Erfolgsbeispiel führt René Bormann das Projekt
Stadtteilmütter in Berlin-Neukölln an. Um erwerbslose
Migrantinnen zu fördern und zu integrieren, werden sie in
den Bereichen Sprache, Bildung, Erziehung und Gesundheit
qualifiziert. Nach Abschluss der Weiterbildung unterstützen
sie Eltern aus ihrem Viertel bei Erziehungsfragen oder vermitteln Kontakte zu Bildungseinrichtungen. So wirken die
Stadtteilmütter als Vorbild auf die Entwicklung der Kinder
ein und haben integrative Wirkung auf ihr Quartier. „Ein
toller lösungsorientierter Ansatz!“, freut sich Bormann. Das
Projekt sei so erfolgreich gelaufen, dass es auf neun weitere
Bezirke in Berlin und das Ruhrgebiet ausgeweitet wurde.
Dass das Konzept Soziale Stadt aufgeht, belegt eine
bundes­weite Zwischenevaluierung zum Zeitraum
2003/2004. Unter anderem kommt benachteiligten Stadtvierteln mehr Aufmerksamkeit aus Politik, Wirtschaft und
Gesellschaft zu. Ressortübergreifende Arbeitsstrukturen
werden etabliert, die nicht nur einen interdisziplinären Blick
auf Probleme ermöglichen, sondern auch die Zusammenarbeit und die finanzielle Unterstützungsbereitschaft von
öffentlicher Hand und Dritten anreizen. Abriss und Neubau,
Modernisierung und Verbesserung der öffentlichen Räume
ermöglichen eine größere Mischung der Bauformen und
Qualitäten und damit der Sozialschichten. „Das Programm
Soziale Stadt ist notwendig und in seiner grundsätzlichen
Orientierung richtig“, heißt es zusammenfassend in einer
Publikation zum zehnjährigen Bestehen des Programms aus
dem Jahr 2010. Den Städten biete es „ein Instrumentarium,
das über die klassische Städtebauförderung hinausgeht und
integrierte Ansätze zur Quartierspolitik ermöglicht“.
Und dennoch: Flossen bis 2009 allein 890 Millionen Euro
Bundesmittel in die Entwicklung benachteiligter städtischer
Räume, kürzte die Regierung von CDU/CSU und FDP die
Finanzmittel um mehr als 70 Prozent. Die Folge: Die soziale,
ethnische und letztlich räumliche Zersplitterung der Stadt
schreitet fort. Einerseits steigen Viertel durch hochwertige
Immobilien sowie Infrastrukturen in der Beliebtheit und
sind nur noch für wohlhabende Bewohner erschwinglich.
Andererseits entstehen benachteiligte Quartiere, in denen
oftmals nicht die eigentlichen Bedürfnisse bei der Suche
nach Wohnraum entscheidend sind (etwa die Anzahl der
Kinder oder das Bildungs- und Betreuungsangebot), sondern
ausschließlich die Kaufkraft.
Daher betont René Bormann: „Das Programm Soziale Stadt
muss wieder nachhaltig finanziert werden.“ Für lebenswertes
und faires Wohnen in den Städten der Zukunft.
Gastbeitrag von Wolfgang Hadrich
10
Bezahlbares
Bauland beschaffen
Die eigene Wohnung ist wie ein Grundnahrungsmittel – ohne sie zu leben, ist auf ­Dauer
weder angenehm noch gesund. Aber die Zahl der Menschen, die keine angemessene
­Wohnung in der für sie bezahlbaren Preisklasse finden, steigt. Mit fatalen Folgen. Die Städte müssen endlich die Notbremse ziehen und Baugrund zur Verfügung stellen, auf dem Wohnraum für Bewohner mit kleinem Budget geschaffen werden kann.
ZUKUNFTSAUSSICHTEN
»Wohnen darf niemals
zum Luxusgut werden.«
Wolfgang Hadrich, Mieterverein Oldenburg, Foto: privat
11
Kein Zweifel: Die Stadt Oldenburg selbst und die
Region um sie herum verfügen über ein erhebliches
Zukunftspotenzial. Unabhängig davon ist Oldenburg aufgrund seiner geografischen Lage, seiner hervorragenden
Infrastruktur und daraus resultierend seiner Wohn­qualität
in sämtlichen Altersgruppen außerordentlich beliebt.
Darüber können wir uns freuen. Viele andere Regionen
beneiden uns um die guten Zukunftsaussichten. Aber: All
diese Umstände führen dazu, dass die meisten Wohnquartiere innerhalb der Stadtgrenzen von Mietinteressenten
intensiv nachgefragt werden. Auf dem Wohnungsmarkt
gibt es deshalb seit einiger Zeit deutlich mehr Nachfrage als
Angebot. Zum Glück haben die lokalen Entscheidungsträger
in­zwischen erkannt, dass sich daran etwas ändern muss.
Oldenburg steht seit vielen Jahren für ein grundsätzlich vernünftiges Miteinander und ein einvernehmliches
Auskommen der verschiedenen Interessengruppen. Sowohl
der Mieterverein als auch die Vertretung der Haus- und
Grundeigentümer sowie die marktführenden Vermietungsund Verwaltungsgesellschaften haben sich jahrzehntelang
darum bemüht, unnötige Konfrontationen zu vermeiden
– trotz häufig unterschiedlicher Zielrichtungen. Das gilt im
Übrigen auch für das Verhältnis zwischen der Stadt Olden­
burg einerseits und dem Mieterverein Oldenburg und
Umgebung andererseits. Und das ist gut so.
Wir werden uns jetzt und in Zukunft verstärkt mit der
Frage beschäftigen müssen, wie Oldenburg für jeden
Interessenten auf dem Wohnungsmarkt – sozusagen vom
Studenten über den Angestellten bis zum Präsidenten –
bezahlbar bleiben kann. Dabei geht es vorrangig darum,
von Seiten der Wohnungsbauunternehmen sowie von
Seiten der Kommune ein ausreichend großes Angebot
an Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Es versteht sich
von selbst, dass es sich nicht nur um Wohnraum handeln
darf, der erst ab einem überdurchschnittlichen Monats­
ein­kommen bezahlbar ist. Auch die Normalverdienenden
müssen die Gelegenheit bekommen und behalten, in der
Stadt und der nahen Umgebung zu wohnen und damit Teil
des Gemeinwesens zu sein.
Nicht, dass ein falscher Eindruck entsteht: Der Mieter­
verein Oldenburg verschließt nicht die Augen vor der
Realität. Wir wissen selbstverständlich, dass Bauen seinen
Preis hat. Wir verkennen keineswegs die Kosten, die derzeit
auf dem boomenden Grundstücks- und Wohnungsmarkt
für die Beschaffung und Erschließung von Bauland anfallen.
Und uns ist natürlich auch bewusst, in welcher Weise sich
bei neuen Ein- und Mehrfamilienhäusern die geltenden
Vorschriften der Energieeinsparverordnung auswirken.
Gerade vor diesem Hintergrund und angesichts der Tat­
sache, dass zurzeit ein sehr starker Trend zu eigenen, eher
kleineren Wohnungen besteht, muss es aus unserer Sicht
eine zentrale Aufgabe der Städte und Gemeinden sein, sich
in jedem Fall um die Beschaffung und Erschließung von
bezahlbarem Bauland zu kümmern – auch in Oldenburg.
Hier sind Erfindungsreichtum und Kreativität gefragt. Und
um neue Konzepte zu entwickeln, muss man sich gelegentlich auch mal auf neuen Wegen versuchen.
In diesem Zusammenhang kommt dem Erhalt und der
Modernisierung des Altbestandes an Wohnungen und
Einfamilienhäusern eine ganz erhebliche – und vielfach
unterschätzte – Bedeutung zu. Davon sprechen wir übrigens schon seit vielen Jahren. Diese Objekte sind ab einem
bestimmten Alter relativ günstig zu erwerben oder auch zu
mieten. Wenn durch kreative Fördermodelle im Bereich der
Eigentumsbeschaffung oder auch der Mieterinvestitionen
durch steuerliche Anreize hier in möglichst unbürokratischer
Art und Weise Instrumente geschaffen werden, die geeignet sind, das Engagement der Eigentümer und der Mieter
vorzubereiten und zu fördern, dürfte nicht nur der Bedarf
im oberen und obersten Preissegment gedeckt werden
können. Dann wird sich auch der Markt der „Golf­fahrer“
unter den Mietern und Eigentümern bedienen lassen.
Wir meinen: Bei der weiteren Entwicklung der Stadt ist
Augenmaß dringend erforderlich. Es kann nicht Aufgabe
der Verwaltung sein, ausschließlich die Premiumklasse zu
bedienen. Auch der „Pendler“ muss die Gelegenheit haben,
sich in seinen eigenen vier Wänden wohlzufühlen. Wohnen
darf niemals zum Luxusgut werden. Darauf sollten sich alle
Verantwortlichen einigen.
Wolfgang Hadrich ist Rechtsanwalt und Vorsitzender des
Mietervereins Oldenburg und Umgebung e.V.
Auf Wohnungssuche
in Oldenburg
12
Zahlen und Statistiken gibt es viele über Oldenburgs Wohnungsmarkt. Doch wie stellt sich die Situation für Menschen dar, die tatsächlich auf Wohnungssuche sind? Wie es ihnen ergangen ist, erzählen vier Neu-Oldenburger in unterschiedlichen Lebensumständen. Sie konnten inzwischen – zum Teil mit Unterstützung der GSG – ihr neues Zuhause beziehen
und sind nun gespannt auf die Herausforderungen und Vorzüge des Stadtlebens.
Für die Kinder
Der frühe Vogel
Im Juli dieses Jahres sind meine Frau und ich vor allem
wegen der Kinder von Jever nach Oldenburg gezogen. So
können wir unsere Tochter (22) und unseren Sohn (20), die
beide an der hiesigen Universität studieren, in Bereichen
wie den Wohnkosten besser unterstützen. Zudem haben
wir hier vielfältigere Möglichkeiten als in der alten Heimat.
Vom ausgeprägten Einkaufs- und Kulturangebot bis zur
guten Verkehrsanbindung hat Oldenburg einiges zu bieten.
Meine Kinder sind wiederum von der nahegelegenen Uni
und dem Nachtleben begeistert. Auch zu meiner Arbeitsstelle als Bauleitender Monteur für Rohrpostanlagen in
Westerstede habe ich es durch den Umzug nicht mehr
weit. Bei der Wohnungssuche war uns als Familie wichtig,
einen Neubau zu beziehen. Im Internet erfuhren wir von
der GSG OLDENBURG, die Service ohne Maklergebühren
anbietet. Die Mieten sind in Oldenburg dennoch sehr
hoch. Die Suche an sich hat durch unser zielstrebiges Handeln und die Unterstützung der GSG nicht lange gedauert.
Da auch meine Frau Doris hier schnell einen Job gefunden
hat, wollen wir in Zukunft auf jeden Fall in Oldenburg
bleiben. Allerdings möchten wir als Eltern in einigen Jahren
eine kleinere Wohnung nehmen, dem Reisen zuliebe.
Je früher man mit der Wohnungssuche beginnt desto
besser! Bereits im August, zwei Monate vor dem offiziellen
Studienbeginn, begab ich mich nach Oldenburg, um eine
Wohngemeinschaft zu finden. Eine eigene Wohnung zu
beziehen kam für mich als Studentin finanziell nicht infrage.
Ich durchstöberte das Internetprotal wg-gesucht.de, fand
auf Anhieb interessante Angebote und vereinbarte gleich
Besichtigungstermine. Manchmal wurde mir wenige Tage
oder sogar nur Stunden vor dem Treffen abgesagt, weil
schon ein neuer Mitbewohner gefunden war. Letztlich
schaute ich mir an drei Tagen insgesamt sieben Wohnungen
an. Die erste war gleich ein Volltreffer: in Universitätsnähe,
mit zwei netten Studentinnen und einer günstigen Miete.
Tatsächlich erhielt ich wenig später die Zusage. Bei Freunden erlebte ich allerdings mit, dass die Suche unglücklich
verlaufen kann, wenn sie erst im letzten Moment gestartet
wird. Ich kann nur raten: früh genug beginnen und nicht
allzu anspruchsvoll sein. Man sollte sich genau überlegen,
was einem wirklich wichtig ist (z.B. Lage und Preis) und
immer die Augen offen halten. Zudem helfen Kontakte zu
Maklern und Oldenburgern weiter.
Laura Diversy (19),
Studentin
Foto: privat
Foto: Photohouse
Peter Hemken
(58), Monteur
NEUBÜRGER
Im August dieses Jahres bin ich als Hochschulabsol­
ventin aus dem mittelfränkischen Erlangen nach Oldenburg
gezogen. Mein Lebensgefährte wohnt hier schon seit über
einem Jahr und die Stadt hat mir immer gut gefallen. Ich
habe mich vorher ein bisschen über Oldenburg informiert,
über die Universität zum Beispiel, über das Engagement im
Bereich der Windenergie und auch über die Geschichte.
Um zusammenzuziehen, haben wir nach einer DreiZimmer-Wohnung in der Nähe der Uni Ausschau gehalten.
Bei der Wohnungssuche fiel uns auf, dass viele kleinere
Wohnungen im Zentrum Oldenburgs recht teuer sind. Wir
entschieden uns deshalb letztlich für eine Drei-ZimmerWohnung mit Balkon. Sie liegt nicht so zentral, wie wir es
erhofft hatten, sondern rund sieben Kilometer von der
Universität entfernt. Aber es gibt eine sehr gute Verkehrsanbindung. Insgesamt gesehen haben wir wohl Glück
gehabt, denn die Wohnung haben wir innerhalb von einer
Woche gefunden. Bis wir den Mietvertrag hatten, dauerte
es noch mal ein bis zwei Wochen.
Foto: Studioline Photography
Eva Schulte (30), Kunsthistorikerin
Wie von selbst
Neuer Job – neue Stadt. Meine Freundin Eileen und ich
sind im September letzten Jahres wegen unserer neuen
Arbeitsstellen aus der Wesermarsch nach Oldenburg ge­
zogen. Nach unseren Ausbildungen zum Industriemechaniker und zur Einkäuferin waren wir bereit, an einen neuen
Ort zu ziehen. Die Wohnungssuche gestaltete sich unkomplizierter und zügiger als erwartet – nach kurzer Recherche
im Internet stießen wir auf die GSG OLDENBURG und entdeckten sofort eine Wohnung nach unseren Vorstellungen.
Dann lief alles wie von selbst: die Kontaktaufnahme mit der
GSG, der Besichtigungstermin und letztlich die Unterzeichnung des Mietvertrags. Alexandersfeld ist unser neuer und
moderner Stadtteil mit kurzem Weg zur Innenstadt sowie
zur Autobahn. Wir legten bei unserer Wohnung Wert auf
Modernität, eine zentrale und dennoch ruhige Lage, sowie
einen erschwinglichen Mietpreis. Als leidenschaftliche
Fußballspieler schlossen wir uns kurz nach dem Umzug
dem Post SV an und knüpften schnell neue Kontakte. Ich
schätze besonders die günstige
Verkehrsanbindung, die nahe­­gelegenen Einkaufsmöglichkeiten und das vielfältige
Frei­­­zeitangebot der Stadt. Nach
einem Jahr fühlen wir uns hier
wirklich wohl!
Timo Burmann (21),
Industriemechaniker
Foto: privat
Glück gehabt
Foto: Fotostudio Schmidt
Das Gleichgewicht stabilisieren!
Hier stehen vier Beispiele für Menschen, die erfolgreich nach einer Woh­nung gesucht haben.
Beispiele, die Mut machen. Aber nicht alle Oldenburgerinnen und Oldenburger sind jung,
stehen im Berufsleben oder verfügen über Erspartes, um sich eine angemessene Wohnung
leisten zu können. Wir von der GSG erleben das täglich. Jeden dritten Mietvertrag s­ chließen
wir mit Beziehern von Transferleistungen ab. Für sie ist in dieser Stadt nur noch wenig passen­
der Wohnraum vorhanden. Folge: Die ersten von ihnen schauen sich bereits andernorts um.
Benachbarte Städte oder Kommunen mit Leerstand werden als Alternative ins Auge gefasst.
Einige nutzen auch die Möglichkeit, bei Freunden oder Verwandten zu wohnen. Dies führt
häufig zu unerwünschten Überbelegungen mit all ihren Begleiterscheinungen. Es muss Ziel einer verantwortungsvollen
Wohnungspolitik sein, auch diesen Menschen eine Perspektive in Oldenburg zu bieten. Um den sozialen Frieden zu
bewahren und die Stadt weiterhin attraktiv für alle Bewohnerinnen und Bewohner zu halten, wird es deshalb wichtig­ste
Aufgabe sein, beim Wohnungsangebot Ausgewogenheit herzustellen und das Gleichgewicht zu stabilisieren.
Birgit Schütte, Abteilungsleiterin Vermietung/Instandhaltung bei der GSG OLDENBURG
13
14
Gastbeitrag von Dr. Ulrich Maly
Das Zeitfenster
ist bis 2020 offen!
Wohnungspolitik ist top aktuell: Die Medien berichten, wie schwer es vielen Familien
fällt, eine bezahlbare Wohnung zu finden; Politik und Verbände diskutieren, was gegen die
steigenden Mieten zu unternehmen ist. Sie tun das völlig zu Recht. Eine angemessene und
bezahlbare Wohnung hat für die Menschen existenzielle Bedeutung. Und für die Städte ist
ein breit gefächertes, attraktives Wohnungsangebot für alle Haushalte und Einkommensschichten ein wesentlicher Standortfaktor.
STADTPLANUNG
»Mieter müssen vor wirtschaftlich nicht
gerechtfertigten Mietpreissteigerungen geschützt werden.«
Dr. Ulrich Maly, Präsident des Deutschen Städtetages, Foto: Deutscher Städtetag
15
Bei der Debatte um den Wohnungsmangel in Großund Universitätsstädten wird häufig ausgeblendet, dass
sich das Problem auf einige wirtschaftliche Boomregionen
beschränkt. Die Ausgangslage ist uneinheitlich und erfordert differenzierte Lösungsansätze im Mietrecht und in der
Förderung des Wohnungsbaus. Ein Beispiel: Es wird etwa
diskutiert, durch erhöhte Abschreibungssätze Investitionen
in den Wohnungsneubau steuerlich attraktiv zu machen.
Diese Begünstigungen kann ein Investor aber auch dort
in Anspruch nehmen, wo gar kein Wohnraummangel besteht. Besser wäre, nur für den Neubau auf angespannten
Wohnungsmärkten Investitionszulagen zu gewähren und
die knappen öffentlichen Mittel möglichst zielgerichtet
einzusetzen.
Richtig und wichtig wäre auch, über Kappungsgrenzen
für Wiedervermietungen zu verhindern, dass Mieten ins
Uferlose steigen. Vor allem bei Wohnungswechseln gibt
es teilweise horrende Mietaufschläge. Viele Haushalte
verkraften den Preisanstieg nicht, insbesondere die unteren
Einkommensgruppen werden überproportional belastet. So
müssen diese Haushalte inzwischen 40 Prozent und mehr
ihres Einkommens für das Wohnen aufwenden und werden
aus den Innenstädten an den Stadtrand verdrängt – wenn
sie überhaupt eine Wohnung finden. Deshalb müssen
Mieter vor wirtschaftlich nicht gerechtfertigten Mietpreissteigerungen geschützt werden.
Allen Verantwortlichen sollte jedoch bewusst sein: Mit
Änderungen des Mietrechts allein ist es nicht getan. Eine
angemessene Versorgung möglichst aller Haushalte mit
bezahlbarem Wohnraum kostet Geld. Da müssen neue
Wohnungen vor allem für Haushalte mit geringem Einkommen gebaut und bestehende Wohnungen saniert werden
– sei es, um den Energieverbrauch zu senken, sei es, um
altengerechtes Wohnen möglich zu machen. Dies alles wird
nicht ohne Förderung gehen. Nur so können Menschen in
wachstumsstarken Städten mit ausreichendem und bezahlbarem Wohnraum versorgt werden. Hierzu müssen vor
allem Grundstücke zu solchen Konditionen bereitgestellt
und die Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau so gestaltet werden, dass sich auch der Neubau von Wohnungen
im mittleren und preiswerten Segment rechnet. Wann
wollen private Träger, Genossenschaften und die öffentliche Hand bauen, wenn nicht jetzt, in einer historisch
einzigartigen Niedrigzinsphase? Es gibt vermutlich ein
Zeitfenster bis 2020 – das muss für den Bau eines
möglichst hohen Anteils kostengünstiger Wohnungen
genutzt werden.
Für die Städte und Gemeinden heißt das, gegebenenfalls
Preisabschläge beim Verkauf ihrer Grundstücke hinzunehmen. Auch sie müssen ihren Teil dazu beitragen, dass private wie öffentliche Träger bezahlbare Wohnungen bauen
können. Viele Städte leisten bereits jetzt durch kommunale
Förderprogramme einen eigenen Beitrag, um einkommensschwächere Haushalte und Familien mit Kindern zu
unterstützen. Die Länder sind gefordert, ihre Wohnraumförderprogramme finanziell angemessen auszustatten. Und
der Bund muss die finanzielle Basis für die soziale Wohnraumförderung sichern. Deshalb begrüßen die Städte die
aktuelle Einigung, wonach der Bund seine Ausgleichszahlungen an die Länder in Höhe von mehr als 500 Mil­
lionen Euro auch für die Jahre 2014 bis 2019 bereit stellt.
Zudem ist es dringend erforderlich, die seit 2009 unveränderten Wohngeldleistungen an die Einkommens- und
Mietentwicklung anzupassen – vor allem, um die betroffenen Haushalte mit Wohnungen zu versorgen. Nebenbei
werden so steigende finanzielle Belastungen für die kommunalen Haushalte verhindert, denn häufig müssen sie die
bestehende Lücke schließen. Das Wohngeld ist zu niedrig;
es droht seine Rolle als vorrangige soziale Leistung zu
verlieren. Das führt dazu, dass zunehmend die Kommunen
einspringen und die Unterkunftskosten von Menschen mit
geringen Einkommen übernehmen.
Auf Dauer aber ist es sinnvoller, preiswerten Wohnraum
zu schaffen, statt steigende Mieten durch hohe Sozial­
leistungen bekämpfen zu müssen. Deutschland geht aber
zurzeit den umgekehrten Weg: Das Land gibt im Jahr 1,5
Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau aus – und
15,5 Milliarden Euro für Wohngeld und Unterkunftskosten.
Das sollte sich dringend ändern.
Dr. Ulrich Maly ist Präsident des Deutschen Städtetages
und Nürnbergs Oberbürgermeister. Der Artikel erschien in der
Langversion am 2. Juli 2013 in der Süddeutschen Zeitung.
Barrierefreiheit
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16
Der
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suchen
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dringend
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Alter
aussehen
kann.
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WOHNFORMEN
»Modernisierung und Barrierefreiheit
müssen immer gemeinsam gedacht werden.«
Sonja Hopf, Internetportal nullbarriere.de, Foto: nullbarriere.de
17
Es entsprach dem traditionellen Bild von Familie, dass
mehrere Generationen vereint unter einem Dach lebten
und jeweils die Verantwortung für Kinder und Alte unter­
einander weitergaben. Die demografische Entwicklung
und veränderte Lebensentwürfe haben allerdings zu einem
grundlegenden Wandel innerhalb der Gesellschaft geführt.
Laut einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes werden
in 30 Jahren in Deutschland 24 Millionen Menschen leben,
die 65 Jahre alt oder älter sind – also rund doppelt so viele
wie heute.
Für Kommunen, Wohnbaugesellschaften oder die Wohlfahrts- und Hilfsorganisationen in Deutschland ist das Thema brisant: Wie werden die Menschen im Jahr 2030 leben?
Welche Bedürfnisse und Wünsche haben sie dann? Wie
werden Familien, Senioren und Menschen mit Einschränkungen in den Wohnalltag einer Stadt eingegliedert sein?
Angela Exner-Wallmeier von den Oldenburger Johan­
nitern sieht die Lösung nicht allein im Bau seniorengerechter Anlagen oder von Mehrgenerationenhäusern. „Viele
ältere Menschen können sich neue Wohnformen nicht
vorstellen. Wir müssen diese erst vorstellbar machen.“ Als
Leiterin von Jonas, der Johanniter-Nachbarschaftshilfe und
Seniorenberatung, arbeitet sie täglich an der Basis. „Es ist
nicht einfach, nach 60, 70 Jahren das Zuhause aufzugeben“,
sagt sie. „Darum tragen wir gegenüber diesen Menschen
eine hohe soziale Verantwortung. Allerdings kann nicht
jeder Wohnraum ebenerdig gebaut werden. Deshalb sind
hier Kreativität und vielfältige Ideen gefragt.“
Dem steigenden Bedarf an günstigem barrierefreien
Wohnraum mit fußläufig erreichbaren Versorgungsmöglichkeiten könne nicht mit einer Vielzahl an senioren- und
behindertengerechten Neubauten begegnet werden. „Wir
dürfen keine isolierten Räume schaffen. Es geht viel mehr
um die Frage, wie ich Gegenseitigkeit und nachbarschaftliche Unterstützung in Wohnvierteln halte oder wiederbelebe“, sagt die Jonas-Leiterin. Jonas ist ein gemeinsames
Projekt der Johanniter-Unfall-Hilfe und der GSG OLDENBURG Bau- und Wohngesellschaft mbH. Ein anderes ist
die gemeinsame Initiative Wohnen mit Service. Als Mieter
oder Eigentümer leben die Senioren in ihren eigenen vier
Wänden und dies mit einem hohen Maß an Unabhängigkeit und Selbstbestimmung bei gleichzeitiger Betreuung
und Sicherheit.
Für Sonja Hopf greifen Maßnahmen oft zu spät. „Die
­wenigsten Leute mögen sich selber in einen Zustand
hinein­denken, in dem sie nur noch eingeschränkt
beweglich und auf fremde Hilfe angewiesen sind“, sagt
die Diplom-Ingenieurin aus Berlin, die mit ihrem Mann die
Internet-Plattform nullbarriere.de betreibt. Deshalb müsse
das Thema Mobilität in der Gesundheit auch bei Städteplanern und Immobilienträgern oberste Priorität genießen.
„Für Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen mit
eingeschränkter Mobilität leben müssen, ist Barrierefreiheit
eine zwingende Voraussetzung, um am gesellschaftlichen
Leben teilnehmen zu können. Modernisierung und Barrierefreiheit müssen immer gemeinsam gedacht werden.“
Wo es möglich ist, kann ein Umbau der Wohnung den
Menschen mit Einschränkung schnelle Unterstützung
bieten. „Die Pflegekasse beteiligt sich an baulichen Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfeldes“, sagt Katrin
Hodler vom Niedersachsenbüro – Neues Wohnen im Alter.
„Diese müssen geeignet sein, die selbstständige Lebens­
führung wiederherzustellen, die Pflege zu ermöglichen oder
sie zu erleichtern.“ Die Initiative unterstützt die Kommunen
und Landkreise, die ihren alten Menschen selbstbestimmtes
Wohnen ermöglichen möchten. „Die Maßnahmen reichen
vom Einbau einer ebenerdigen Dusche, Türverbreiterungen, eines Treppenliftes und dem Anbau von Rampen
über den Einsatz von Hilfsmitteln bis hin zur Umorganisa­
tion der Wohnung.“
Antworten auf die Frage nach einem würdevollen Altern
gibt es viele. Das kann im vertrauten Umfeld genauso
ge­lingen wie in einer betreuten Einrichtung. Letztlich
kommt es immer auf die Mitmenschen an: Das persönliche
Gespräch und die helfende Hand sind durch nichts zu
ersetzen.
Wolfsburg
Kassel
Lösungsmodelle
Den steigenden
Mietpreisen begegnen
18
In jeder Stadt stellen sich die Entwicklung der Mietpreise und damit zusammenhängende
Herausforderungen anders dar. Vertreter von Wohnungsbau, Architektur, Stadtplanung und
Wissenschaft erzählen von Lösungsansätzen in verschiedenen Orten Deutschlands.
Wolfsburg
Kassel
Start zu neuer Wohnbauoffensive
Der Wolfsburger Wohnungsmarkt weist einen erheblichen Nachfrageüberhang auf. Zum einen sorgt die
konjunkturelle Entwicklung für eine erhöhte Anzahl an
Nachfragern auf dem Wohnungsmarkt. Zum anderen haben
sich durch die Pluralisierung der Lebensstile sowie das
höhere Qualifizierungsniveau der Beschäftigten in der
Automobilindustrie die Wohnwünsche wesentlich ver­
ändert.
Dem Anspruch der Zeit nachkommen
Lange Zeit hat die Nachfrage nach Wohnungen in Kassel
stagniert, nun steigt sie in allen Marktsegmenten und Lagen
wieder an. Insbesondere modernisierte und energetisch
optimierte Objekte sind gefragt. Die GWG – mit 8.600
Einheiten größter Anbieter von Wohnraum in der Stadt
– investiert deshalb bis 2017 über 100 Millionen Euro in
ihren Bestand. Dabei legt sie großen Wert auf die Wünsche
der Kunden und sichert so gleichzeitig die Zukunftsfähigkeit der Wohnungen.
Grundsätzlich gilt: Je besser der Standort und die
Ausstattung, desto höher die Nachfrage. In diesem Marktsegment steigen die Mieten seit 2009 zum Teil kräftig.
Daher sind Mietanpassungen mit einem ausgewogenen
Preis-Leistungs-Verhältnis das Ziel. Die finanzielle Situation
einkommensschwächerer Haushalte findet dabei besondere
Berücksichtigung.
Auch Lagen mit (bisher) geringer Standortattraktivität
und mittlerer bis guter Ausstattung erfreuen sich (leicht)
steigender Nachfrage. Speziell kleine Wohnungen für alte
und junge Singlehaushalte sind gefragt. Circa 83 Prozent
des Wohnungsbestands der GWG erfüllen dieses Anforderungsprofil und damit den Anspruch der Zeit.
Verena Lichtenstein, Referentin Wohnen
im Referat Strategische Planung, Stadt­
entwicklung und Statistik
Peter Ley, Geschäftsführer GWG Kassel
Foto: GWG Kassel
Foto: Stadt Wolfsburg
Die Stadt Wolfsburg beabsichtigt in einer großen Wohnbauoffensive mehrere tausend Wohnungen neu zu bauen.
Über einen „eigenen“ Weg der Landesförderung wird der
notwendige qualitative Neubau gefördert, die Bindungs­
verpflichtungen jedoch auf die Bestände übertragen.
Dadurch werden neue Nachfragegruppen angesprochen,
die eine Durchmischung der Wohnbevölkerung in den
Quartieren der 1940er bis 1970er Jahre unterstützen.
Durch die Mietbindung im Bestand soll das aktuell noch
vergleichsweise geringe Mietniveau gehalten werden.
LÖSUNGSMODELLE
Karlsruhe
Darmstadt
Chance für flexible Wohnformen
Ein prägnanter Grundriss und ein von ruhiger klassizistischer Formensprache geprägtes Stadtbild – so präsentiert
sich die ehemalige badische Hauptstadt, zeitweise Sitz einer
Exzellenzuniversität und Sitz der beiden hohen Gerichte
Deutschlands.
Wohnangebot ausdifferenzieren
Das Thema Wohnen und Mieten ist in Darmstadt wieder
auf die Agenda zurückgekehrt, nachdem die Preise in Folge
des Baubooms der 1990er Jahre lange Zeit stagniert hatten.
Der aktuelle Kostenanstieg entsteht durch die wachsende
Nachfrage bei zunächst gleich bleibendem Angebot. Denn
die Anzahl der Haushalte nimmt trotz stagnierender Bevölkerungszahlen zu. Grundsätzlich ist die Verteuerung stark
standortabhängig, konzentriert sich auf Ballungsräume und
dort auf die Kernstädte.
Seitdem das Forschungszentrum und die älteste Technische Hochschule vor ein paar Jahren zum Karlsruher
Institut für Technologie (KIT) mit etwa 24.000 Studierenden und 9.000 Mitarbeitern verschmolzen, ist die Attraktivität des Zentrums weiter gestiegen. Bezahlbaren Wohnraum zu finden und zu erstellen gestaltet sich zunehmend
schwieriger. Nahezu ein ganzes Stadtviertel südöstlich des
Zentrums mit 6.000 Wohnungen wurde aus dem Boden
gestampft, städtebauliche Qualitäten zu schaffen bislang
aber weitgehend versäumt. Bürokratie und Verwaltungsdenken haben es nicht zugelassen.
Gerade öffentliche Wohnungsunternehmen sind angehalten, ein ausreichend großes Segment niedrigpreisiger
Wohnungen zu sichern. In Darmstadt wird derzeit die
Postsiedlung aus den 1950er Jahren saniert. Dabei werden Zeitpunkt und Umfang bewusst im Quartier variiert.
Auch Abriss und Neubau sowie Nachverdichtung und
Auf­stockung spielen eine Rolle. So differenziert sich das
Angebot für verschiedene Zielgruppen aus – jedem Mieter
soll ein zu seinen Möglichkeiten passender Wohnraum
angeboten werden können. Von öffentlicher Seite sind zudem eine Anpassung der Sozialleistungen im Wohn­bereich
an die Marktentwicklung, die Förderung hoch­wertiger
energetischer Sanierungen, die kritische Überprüfung der
Stellplatzsatzungen und die bedarfsgerechte Ausweisung
von Wohnbauflächen im Bestand und am Stadtrand
notwendig.
Foto: ONUK
H. R. Hiegel, Architekt, Journalist und
Stadtplaner
Karlsruhe
Foto: Benjamin Schenk
Innovative Ideen zur Wohnraumschaffung werden
zurzeit von der KIT-Spitze angemahnt, der neue Ober­
bürgermeister und die neue Stadtplanungschefin setzen
erste Zeichen und ein neuer Weg erscheint am Horizont.
Flexible Wohnformen und unterschiedliche Ausstattungsintensitäten, wie in den vergangenen Jahren im HotellerieSektor erprobt, sollten eine Chance erhalten.
Dr. Christian von Malottki, Wissenschaft­
ler am Institut Wohnen und Umwelt
GmbH, einer Forschungseinrichtung des
Landes Hessen und der Stadt Darmstadt
Darmstadt
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Altersvorsorge nervt Sie?
Aber sich später ums Geld sorgen nervt garantiert noch
mehr. Darum: Kopf hoch. Auf zur LzO, qualifizierte Beratung
genießen und danach entspannt zurücklehnen.
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