Staatsräson - Geldräson
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Staatsräson - Geldräson
~RSP Beiheft Nr. 83 Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Der Staat der Zukunft Vorträge der 9. Tagung des Jungen Forum Rechtsphilosophie in der IVR, Archives de Philosophie du Droit et de Philosophie Sodale 27._.29. April 2001 Archives for Philosophy ofLaw HERAUSGEGEBEN VON and Social Philosophy Gralf-Peter Calliess Archivo de Filosoffa Juridica y Social an der Freien Universität Berlin und Mattbias Mahlmann @ Franz Steiner Verlag lOOZ STAATSRÄSON- GELDRÄSON-MENSCHENRÄSON DIE SELBSTPREISGABE DES STAATES. BESONDERS IM VÖLKERRECHT. UND WEM SIE NÜTZT I. ENGLISCHE ZUSAMMENFASSUNG. EINLEITUNG UND THESEN ............................................ 85 Il. DER STAATSBEGRIFF UND SEINE KONKURRENZ ............................................................ 86 Ill. DER SIEG DES PARADIGMAS "MENSCH" IM VÖLKERRECHT UND DAS ENDE DES ALTEN ETATISMUS ......•........................ ······· ..................................................................................... 89 L Ranggewinn (Durchbrechung der Mediatisierung) des Individuums im Völkerrecht 89 2. 3. 4. 5. Gegenläufigkeit von Kriegsverbot und Humanitärer Intervention .......................... Die Strafgerichte und das gleichmachende Recht ................................................... Das Wirtschaftsvölkerrecht als Beispiel der Zwiespältigkeit der Entwicklung ...... Insbesondere das Welthandelsrecht ......................................................................... 91 92 93 95 IV. MACHT DER GRUNDRECHTE, AUFLÖSUNG DES .,ÖFFENTLICHEN INTERESSES" ......... 96 V. PREISGABE ALS ERFÜLLUNG- UND VERWECHSLUNG .............................................. 99 VI. VON DER ENTFESSELTEN ABSTRAKTION ZUR DIENSTBAREN ....................................... 102 L 2. 3. 4. Setzungen nach Funktionalität und zum Schutz des Existentiellen ........................ Vermutung und Fragen zur Analogie des Nominalismus ...................................... Politische Anwendungserwägungen und offenes Naturrecht............................. Fundamentalismus die verquere Antwort aufeine richtige Frage .................... 102 102 104 106 Martin Hochhuth, Freiburg im Breisgau Staatsräson - Geldräson - Menschenräson Die Selbstpreisgabe des Staates, besonders im Völkerrecht, und wem sie nützt There are parallel revolutions in two areas of public law: Within modern states, the interest of state as such (as weil as as government and administration e.g.) has lost legitimacy. Especially the "reason of state" would, at least in the German legal system, never be accepted as an argument, whereas any individual interest can be defended against the state. , ln public internationallaw, too, the individual's interests, accepted as Human Rights, push back those of the formerly sovereign state. lndividuals can sue it domestically or internationally and have its acts controlled by the judge. Many examples show this same reciprocity. One is "humanitarian intervention". Here, Human Rights entitle to wage a "just war", while the former right to start a war (ius ad bel/um) has ceased to exist in 1929. Thus the individual's existential interests replace the former sovereign's discretion. Other examples are international criminal tribunals and the restriction of "immunity-of-state"arguments in cases of crimes against humanity. This reciprocity is a progress. The idea of a "reason of state", contrary to the rule of law, often was but a mask of the prince's egotism or of nationalism. lt misunderstood the state as an end in itself (Selbstzweck). But the interests which replace it have to be properly defined. Especially economic interests are no ends in themselves.The author argues against tendencies to treat themassuch in German, EC- and WTO-jurisdiction. I. Einleitung und Thesen Revolution 1 des Öffentlichen Rechts? - Das Völkerrecht hebt den Einzelnen zu allgegenwärtiger Bedeutung, während der Staat, besonders durch internationale Verträge, nach außen handlungsunfähig wird (dazu 111.). Im innerstaatlichen Öffentlichen Recht Entsprechendes: Der Staat lähmt und fesselt sich_" durch die Gewähr einklagbarer Grund- und anderer Rechte (IV.). Das ist für die Menschen- und Bürgerrechte ein Gewinn und auch, wenn man es philosophisch betrachtet. Es scheint, daß das "eigentlich" Schutzwürdige, der Mensch und seine Interessen, sich endlich durchsetzt. Allerdings schleicht sich eine Verwechslung ein. Das Individuum wird auf das Wirtschaftssubjekt verengt; die Überschätzung und Übersicherung seiner geldwerten Anliegen bedroht die übrigen Güter (V.). Darum frage ich schließlich, ob die Philosophie, die jenen Fortschritt hervorgebracht hat, auch seinen Wucherungen abhelfen könnte (VI.). Vorab aber zum Staatsbegriff (11.). 2 2 :L Dieter Fleck, der einen Teil der völkerrechtlichen Seite dieser Vorgänge beschreibt, spricht ausdrücklich nur von "Evolution". Die Zurückhaltung ist übertrieben, weil die Leitsubstanz vertauscht, das Gebäude auf den Kopf gestellt wird, wie sich zeigen soll. (Fleck, Zur Rolle des Einzelnen im Völkerrecht, in: Knut lpsen/Christian Raapfforsten Stein/Armin Steinkamm [Hg.], Wehrrecht und Friedenssicherung, Festschrift für Klaus Dau, 1999, S. 73ft.). Tendenziell wie hier dagegen Eibe Riedel, "Paradigmenwechsel im internationalen Umwelrecht" in Rolf Stober (Hg.) Recht und Recht. Festschrift für Gerd Roellecke zum 70. Geburtstag, 1997, S. 245 ff., 250 f., 279. Jedes der kommenden Kapitel lohnte eine mehrbändige Monographie. Ich entschuldige mich deshalb jetzt beim Leser wie im November 1998 im Freiburger studium generale bei den ersten Hörern und im April 2001, auf der Tagung in Berlin, bei den vierten Hörern dieses Konzepts: Ich lasse wissentlich vieles weg, was "unbedingt" hineingehörte; - und, schlimmer: unwissentlich zweifellos viel mehr. Besonders schade ist es bei Pater Saladins Wozu noch Staaten (Bern 1995), bei Otfried Höftes Demokratie im Zeitalter der G/obalisierung (München 1999), das nur an etwa acht i '!, i ! i' 'i : ·i 86 Martin Hochhuth II. Der Staatsbegriff und seine Konkurrenz "Staat"3 ist die organisierte hoheitliche Gewalt. Das Wort kommt erst in der Renaissance auf. 4 Machiavelli nennt "stati" alle Gewalten, die Macht über Menschen besitzen, gleich ob als Monarchie oder als Republik verfasst. 5 Der nicht an seine Epoche gebundene Begriff6 ist überzeitlich von Nutzen. Das Völkerrecht arbeitet problemlos mit Jellineks "Drei Elementen: Staatsvolk, Staatsgebiet, Staatsgewalt" und auch das Staatsrecht kann mit dem alten Begriff auskommen. 7 Das Element "Staatsgewalf' bedeutet die stärkste und höchste Gewalt auf dem Territorium, d.h. die Fähigkeit sich durchzusetzen. Der Staat ist hiernach das rechtliche Ordnungsgefüge mit unabhängiger- nicht notwendig unbegrenzter (!) - Regelungsmachf3 und folglich auf seinem Territorium auch der prinzipiellen Kompetenzkompetenz und das heißt zugleich der potentiellen Allzuständigkeit Doch schon hier beginnt der Streit. Kelsen scheidet die Jurisprudenz von der Soziologie und will im Öffentlichen Recht einen Begriff des Staates als juristischer Person9 durchsetzen. Ist das nicht lebensfremd?- Nicht für Fragen des Sollens. Die nominalistische (konzeptualistische10), technische Begriffsauffassung Kelsens scheint mir die wissenschaftstaugliche. Nominalismus heißt rein funktionales Begriffsverständnis, ihre Auffassung als "Werkzeuge" des Kopfes, mit denen er bestimmte Probleme angeht, ohne Wahrheitsanspruch. Als Nominalist ergrüble ich also nicht, was der Staat "eigentlich" sein mag, sondern bestimme, wozu ich den Begriff gebrauchen will. ' Der Kritik an Kelsen ist zuzugeben, daß die gesellschaftlich-faktische Entscheidungs- und Handlungseinheit Bedingung der Rechtseinheit ist. 11 Gleichwohl ist "Reinheit der Rechtslehre" hier möglich. Denn sie trennt nicht, sondern unterscheidet nur, so wie man z.B. auch Leib und Seele unterscheidet, deren Trennung tödlich wäre. Für unsere folgenden Überlegungen soll der Staat die sich verändernde Rechtsordnung 12 Stellen vorkommt, und mehreren Büchern von Sibylle Tönnies (vgl. aber Fn. 91 ). Für Hinweise auf weitere Fehler bin ich dankbar. Gefördert haben diesen aus vier Skizzen zusammengesetzten Versuch S. Emmenegger, B. Fentzke, K. Hillebrand, M. Kohler, D. Murswiek, C. Rave, F. Reimer, . J. Vogel, A. Voßkuhle, R. Wahl und F. Wolter in Freiburg, M. Sideri in Basel sowie G. Calliess und M. Mahlmann in Berlin. 3 Die Frage, was der Staat sei, ist untrennbar von derjenigen nach seinem Verhältnis zum Recht. Vgl. Hans Kelsen, Der soziologische und der juristische Staatsbegriff, 2. Aufl. Tübingen 1928, S. 1 und Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., Berlin usw. 1966, S. 3-25 und 71-76. 4 Vgl. den Artikel "Staat" von Josef lsensee, Görres-Staatslexikon, Bd. V, 7. Aufl., Freiburg usw. 1989, Spalte 133-157. 5 Vgl. lsensee, ebenda, Spalte 134. 6 Vgl'. etwa Mitteis, Der Staat des hohen Mittelalters.- Carl Schmitt wendet ein, der Begriff sei an eine Epoche gebunden. Doch alle Begriffe "entstehen" irgendwann, d.h.: werden am konkreten Beispiel entworfen, selbst die der Naturwissenschaft oder der Mathematik. Bewähren sie sich zur Weltdeutung oder -bestimmung, so lösen sie sich vom Erfinder und u. U. auch von ihrer Epoche. 7 Für Zulässigkeit des ahistorisch abstrakten Begriffsgebrauchs auch lsensee (Fn. 4), Spalte 134. Stefan Brauers kleine Universalgeschichte der hoheitlichen Macht benutzt das Wort ebenfalls ganz selbstverständlich für Erscheinungen aller Zeitalter, vgl. Der Staat. Entstehung!Typen!Organisationsstadien Harnburg 1998. 8 Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 29. Aufl., München 1994, § 1 I, S. 1, 2. 9 Vgl. Kelsen (Fn. 3}, vor allem die Vorrede, dann S. 86 ff., 105 ff und passim. Kritik dagegen ist häufig, vgl. etwa lsensee (Fn. 4}, Spalte 137. 10 Konzeptualismus ist die genauere Bezeichnung, denn innerhalb der Nominalisten sind weitere Unterscheidungen geboten. 11 So lsensee, wie Fn. 5. 12 Vgl. die soeben (Fn. 3) zitierten Texte sowie vor allem Hans Kelsen, "Souveränität" bei K. Strupp/ Staatsräson - Geldräson - Menschenräson 87 sein. Das verdrängt nicht die Gesellschaftswissenschaften, sondern den Mythos, die Überhöhung. Dann lässt sich vielleicht ein Problem lösen, das die politische Theorie beherrscht hat und das Recht irritiert: die Idee der Staatsräson 13 • Um den Mythos des Staates wird seit je und voller Pathos gekämpft. Auf der einen Seite stehen Autoritäre und herkömmliche Etatisten, etwa in der älteren Literatur Lorenz von Stein, in der neueren Ernst Forsthoff. (Sätze wie ,,right or wrong: my country" oder auch "in Iove and war everything is fair" zeigen, daß es sich um kein akademisches Problem handelt.) Sie sind von Ernst Gassirars "Myth of the State" her zu lesen. Sie halten am Staat als etwas Substantiellem fest; die Ausnüchterung zum bloßen Funktionsbegriff scheint ihnen gefährlich. Cassirer zeigt den unbekannten Zusammenhang dieser Auffassungen mit Themas Carlyles Vorlesungen über Heldenverehrung und den offenkundigen mit Hagels Geschichtsphilosophie und Theorie des modernen Staates. Gleichwohl sind Carlyle und Hegel zu jung: Selbst Luther, als idealtypischer Vertreter des durch die Zeiten herrschenden autoritären Geistes vollzieht hier nur, was schon Paulus schreibt: "Ein jedermann sei Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat, denn es ist keine Obrigkeit, außer von Gott und jede Obrigkeit ist von Gott." Den Gegenpol des Mythosstreits bilden die Anarchisten. Den bewusstasten Angriff führen einige der Linkshegelianer, besonders Max Stirner. Noch bei Adorno, in der Weise, wie er die "Dialektik der Aufklärung" ausdeutet, findet sich gleichfalls eine negative, vielleicht anarchische Spur. 14 Nebulös greifen jene Wirtschaftsliberalen an, unbewusste Dreiviertelanarchisten, die wesentliche staatliche Funktionen einem anderen Mythos überlassen wollen: der unsichtbar, aber vernünftig waltenden Hand des Marktes. Ohne Staatsmythos wird sich die Staatsräson leichter ausnüchtern lassen, "ragion di stato", das Durch-Brechen, Hereinbrechen des für den Staat "Existentiellen" ins Recht(= de facto des Fürsten, der Staatsträger). Staatsräson ist folgerichtig, solange der Staat der Höchstbegriff des Denksystems, in diesem Falle der Rechts- und Staatslehre i~t. ln jedem Denkzusammenhang gilt eine Hauptsache, eine Leitsubstanz als in dem Sinne "wesentlich", daß sie im für sie existentiellen Fall alles Übrige 'i 1 I. I~ ~ i I II' il_ 13 14 H.J. Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Band 111, 1962, S. 278 ff., S. 279: "Der Staat als Ordnung ist das, was man "sein" Recht nennt, eine bestimmte Rechtsordnung; der Staat als Person, das heißt als Subjekt des Völkerrechts( ... ), stellt die Personifikation dieser Rechtsordnung dar. Oie Vorstellung des Staates als Übermensch oder übermenschlicher Organismus ist die Hypostasierung dieser Personifikation." Giovanni Botero, Oe/la Ragion di Stato definiert sie als "die Kenntnis der Mittel und Maßnahmen, die notwendig sind, einen Staat zu ·gründen, zu erhalten und zu vergrößern". Zitiert nach Herfried Münkler, Im Namen des Staates. Die Begründung der Staatsraison in der Frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 1987, S. 169. · Deutlicher als in jenem Buch ausgesprochen wird das Jahrzehnte später, 1968, im Streit mit Oahrendorf (Vgl. Adorno [Hg.], Spätkapitalismus oder lndustriegese/lschaft. Verhandlungen des 16. Deutschen Soziologentages, Stuttgart 1969, S. 100 ff., S. 103 f.). Hier klärt Adorno erst Marxens Verhäitnis zur Anarchie und beansprucht dann für sich (und Horkheimer}, die Herrschaftsdebatte neu angestoßen zu haben. (Vgl. i.Ü. Mathias Becker, Natur, Herrschaft, Recht/Das Rechtderersten Natur in der zweiten: Zum Begriff eines negativen Naturrechts bei Theodor Wiesengrund Adorno Berlin 1997, passim, insb. S. 194.) Man sieht allerdings auch an der angegeben Adorno-Stelle (vor allem S. 101 oben) wie er Heget wider Willen gleicht: Er schätzt "partikulare Praxis" deshalb geringer, weil sie "das Ganze" nicht oder nicht hinreichend ändere. Dieser Anspruch aber überfordert individuelle Praxis. - Und damit lähmt er sie. Lässt man diese Überforderung beiseite, dann findet sich bei M. Hochhuth, Relativitätstheorie des Öffentlichen Rechts, Baden-Baden 2000, der Versuch einer Staats- und Rechtslehre, mit der Adorno hätte einverstanden sein "müssen" (vgl. etwaS. 54 f. [einseht. Fn. 91], S. 130 und passim). 88 Martin Hochhuth beiseite drängt, auch Rechtsstrukturen. Ist der Staat nicht mehr der Höchstbegriff, so wird diese Stelle des Grund-Deutungsmusters, des Paradigmas im Nachdenken über das "Sollen" frei. Wer oder was sie innehat, der setzt im Zweifel seine "Räson" gegen alle anderen Positionen durch. Der jahrtausendelang, schon seit den Sophisten geführte Kampf der Paradigmen kann hier nicht nachgezeichnet werden. Die These lautet: Alle konkurrierenden Paradigmenansprüche, die erhoben worden sind, laufen letztlich auf etwas wie Ersatzstaaten hinaus. Sie würden nicht zu etwas der Sache nach anderem führen,· sondern zu einer Spielart des Bekannten. ln Wahrheit lässt das Anliegen der konkurrierenden Paradigmenansprüche sich besser so verwirklichen: Sie wollen im (nüchtern funktional verstandenen System) Staat die jeweiligen obersten Werte besetzen und seine Politik bestimmen. Ihn ablösen wollen sie allenfalls in utopischer Ferne, die, als Utopie, zunächst hier außer Betracht bleibt. Das gilt für die Weltanschauungsbewegungen, seien sie religiös oder unreligiös: Gottesstaaten, wie das amerikanische Utah, wie Tibet oder der Iran, machen es deutlich. Es gilt aber auch für glaubensfeindliche Paradigmenkonkurrenten: Die marxistische Arbeiterbewegung zielte zunächst auf Machtübernahme und erst dann auf das Überflüssigmachen all dessen, was den Namen Staat verdienen könnte. Selbst die Anarchosyndikalisten stellen sich zwar anderes vor, würden aber ihr Anliegen im Zweifel auch nicht ohne staatliche Strukturen durchsetzen können 15 • Ein dritter wichtiger konkurrierender Paradigmenanspruch liegt in den lnternationalismen, den Völkerbunds- und Weltstaatsbewegungen oder, speziell für den deutschsprachigen Raum wichtig, in der Europäischen Union: Das hier Angestrebte ist, soweit es funktioniert, staatsähnlich 16 . ln Wirklichkeit wird überall hier also nicht um "Staat oder nicht?" gestritten, sondern um seine Ausrichtung, seine Politik, seinen Umfang: Überall hier bleibt faktisch der Staat das Paradigma der Sollenswelt. 17 Besiegt hat den Staat im Kampf um die Position des Paradigmas jedoch der natürlich-konkrete Einzelne, das Individuum. Konstruktiv siegt es schon durch die Idee des Gesellschaftsvertrages 18 • Die atomistische Konstruktion dieser Denkfigur stellt nämlich fest, wer das Primäre ist. 19 Doch hat der theoretische Sieg allein wenig 15 16 17 18 19 Vgl. dazu das Anarchismus-Kapitel bei Hochhuth, (wie Fn. 14}, besonders S. 467 f. Diese Einschätzung erhält von zwei Seiten Widerspruch. Die eine leugnet den Staatscharakter der EU, weil ihr am herkömmlichen Staat liegt; sie sieht den Wandel, lehnt die entstandene Großstruktur aber ab. Die andern Leugner wollen zwar den Wandel zu einem europäischen Gesamtstaat Weil er aber nach verbreiteter Meinung dem geltenden deutschen Staatsrecht widerspräche, möchten sie das bereits kräftig herangewachsene Kind noch immer nicht beim Namen nennen, um der Kritik jener anderen Fraktion nicht recht zu geben. Zu den Positionen zwischen "Bundesstaat im Werden" und bloßem "Zweckverband" materialreich Armin v. Bogdandy, "Beobachtungen zur Wissenschaft vom Europarecht Strukturen, Debatten und Entwicklungsperspektiven der Grundlagenforschung zum Recht der Europäischen Union", Der Staat 2001, S. 3 ff., 9 ff. sowie ausführlicher noch ders., Supranationaler Föderalismus als Wirklichkeit und Idee einer neuen Herrschaftsform. Zur Gestalt der Europäischen Union nach Amsterdam, Baden-Baden 1999, besonders S. 22 ff. Zu recht rät Höffe, Demokratie ... (wie oben, Fn. 2, insb. Kapitel 9, "Weltordnung ohne Weltstaat?", S. 267 ff., 279), bei den längst gegebenen internationalen Strukturen "die Differenz zurStaatlichkeit" - die er sieht und detailliiert darlegt- "nicht (zu) überschärfen". Also wohl seit Epikur. Höffe, Demokratie im :Zeitalter der Globalisierung, 1999, S. 48 ff. lässt die Geschichte des Gesellschaftsvertrages zwar mit Solon beginnen und nennt zudem einige Sophisten. Sie eröffnen auch die einschlägige Textsammlung von Hasso Hofmann/Peter Badura!Aifred Voigt, Der Herrschaftsvertrag, 1965, sind aber wohl noch keine echten Vertragstheoretiker. Zu alttestamentlichen und germanischen Quellen vgl. Euchner, "Gesellschaftsvertrag, Herrschaftsvertrag", im Historischen Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3, Basel1974, Sp. 476 ff. Vgl. zur Darlegungslast beim "legitimatorischen Individualismus", Höfte aaO., S. 46. S. 48 ff. weist er die üblichen Einwände zurück. Staatsräson - Geldräson - Menschenräson 89 bewirkt. Der gefühlsmäßige musste ihm zur Seite treten. Nicht weltweit, aber jedenfalls im deutschsprachigen Raum hat er durch die Hitlerdiktatur stattgefunden. Besonders die vier Jahre des industriemäßigen Massenmordans (1941-45) dürften das, was Cassirer "Mythos des Staates" nennt, erledigt haben. Was tritt an seine Stelle? Was ist die entscheidende "Substanz" und bestimmt also die Staatsräson des Sonderfalles Deutschland? Nimmt man die Gleichsetzung des Staates mit der Rechtsordnung ernst, so folgt theoretisch etwas, was wir auch in den Behörden und Verwaltungsgerichten beobachten: Die Staatsräson ist das Recht. Zunächst aber zur Analo· gie im Völkerrecht. 111. Der Sieg des Paradigmas "Mensch" im Völkerrecht und das Ende des . alten Etatismus Das heutige Völkerrecht erweitert die Rechtssubjektivität und relativiert die Exklusivität der Staaten. Hauptbegünstigter dieser Erweiterung ist der Einzelne, und zwar in solchem Grade, daß man von einer Paradigmenverschiebung 20 sprechen kann. 1. Ranggewinn (Durchbrechung der Mediatisierung) des Individuums im Völkerrecht Im allgemeinen Valkarrecht durchbricht das Individuum in einer Fülle von "Rechteund Pflichtkonstellationen"21 seine vormals umfassende Mediatisierung durch den Staat. Ursprünglich konnte allein der souveräne Staat- in Nachfolge des souveränen Fürsten- Subjekt des Völkerrechtes sein. 22 Wo ausnahmsweise das Kriegs- oder das Fremdenrecht Individuen berechtigte oder verpflichtete, da allein mittelbar, nämlich über den Staat, dem sie angehörten. Auch wenn multilaterale Verträge den Einzelnen schützten oder ihm etwas auferlegten 23 , taten sie es auf dem Umweg über seinen Staat. Das hat die zweite Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts revolutioniert, und die Umwälzung dauert an, scheint sich sogar zu steigern. Optimistischere oder fortschrittlichere Völkerrechtler sehen den Einzelnen schon heute als - hinsichtlich der Inanspruchnahme fundamentaler und zum zwingenden Recht (ius cogens) zählender Menschenrechte- direkt als Subjekt des Völkerrechts anerkannt. 24 Zurückhaltendere, zu denen hier in Berlin etwa Seidel 25 gehört, sehen zwar jene Mediatisierung ebenfalls durchbrachen, schreiben aber dem Individuum gleichwohl keine, nicht einmal für diesen Bereich der Menschenrechte, Völkerrechtssubjektivität zu. 20 21 22 23 24 25 Paradigma, vom griechischen paradeigma, "Vorbild", heißt Grund-Deutungsmuster. Gemeint ist also der Leitbegriff, auf den hin in einem bestimmten System gedacht und von dem her kritisiert wird. So anschaulich Gerd Seidel, "Die Völkerrechtsordnung an der Schwelle zum 21. Jahrhunderts", Archiv des Völkerrechts (AVR) 2000, S. 23 ff., S. 36. Vgl. Wolfgang Graf Vitzthum, "Begriff, Geschichte und Quellen des Völkerrechts" in dem von ihm herausgegeben Völkerrecht, 2. Aufl., Berlin 2001, S. 14f., 28 und insb. 171 f. sowie Kay Hailbronner, "Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte", ebenda S. 161 ff., 169 und Volker Epping, "Völkerrechtssubjekte", in Knut lpsen (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Aufl., München 1999,2. Kapitel (S. 51 ff.), insb. § 7 (S. 79 ff.) sowie wiederum Seidel (vorige Fn.), S. 32 f.; alle mit weiteren Nachweisen (m.w.N.). _ Seidel (wie Fn. 21 ), S. 33 legt das für die Übereinkünfte gegen Sklaven-, Frauen- und Kinderhandel, Luftpiraterie, Geiselnahme, Rauschgifthandel und verbrecherische Angriffe auf Diplomaten oder andere Geschützte dar. So z.B. Karl Doehring, Völkerrecht, 1999, S. 435 m.w.N. Vgl. die ausdrückliche Abwehr Seidels (wie Fn. 21) am Schluss seiner Überlegungen zum Individuum, S. 36. 90 Martin Hochhuth Der Streit kann offenbleiben. Schon der Bereich, der zwischen den Autoren unstrittig ist, den sie nur verschieden bewerten, bestätigt ja den Wandel: Es ist der Rang, den das Völkerrecht heutzutage den Menschenrechten einräumt. 26 Sie sind rechtsverbindlich, zwingendes Recht. Das bedeutet, daß die,klassische Formel, nach der das Individuum nur" durch seine Staatsangehörigkeit in das "Licht des Völkerrechts" trat27 , nicht mehr gilt. Diese Aufwertung der Interessen und Belange des Einzelnen im allgemeinen Völkerrecht hat im regionalen Völkerrecht eine noch weitergehende Parallele: Die Europäer- und zwar nicht etwa nur die Angehörigen der Europäischen Union (EU), sondern die Angehörigen aller Staaten der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) - können nach Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges ihren jeweiligen Staat unmittelbar verklagen. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) ist inzwischen 28 voll und ausschließlich justiziell organisiert. 29 Ähnlich stark entwickelt sich die EU. Das Recht dieses längst bundesstaatsähnlichen Gebildes wird seit Anbeginn dadurch immer wirksamer und dichter, daß der Europäische Gerichtshof (EuGH) den Einzelnen als "Agenten", als Durchsetzer des europäischen Rechts anerkennt, der - auch hier - unmittelbar den Mitgliedsstaat, in dem er sich aufhält, verklagen kann. Auch den nicht selbst staatlich organisierten Völkern, Teilvölkern und Minderheiten kommen inzwischen, bei allem Streit im Einzelnen und Prinzipiellen, erweiterte, der Teilrechtsfähigkeit zumindest ähnliche Ansprüche zu, die nicht mehr ohne weiteres missachtet werden können. 30 Daneben haben die Staaten sich auch auf der Ebene des allgemeinen Völkerrechts durch ein bis dahin unvorstellbar dichtes Geflecht von Verträgen (ich sage mit Bedacht:) immobilisiert. Bei vielen dieser Bindungen, aber auch beim zügig voranschreitenden Völkergewohnheitsrecht, stehen nichtstaatliche Interessen im Vordergrund. Hierin allein läge noch nicht die Selbstpreisgabe des Staates als souveränen 31 Staates. Allerdings beginnt bereits die Gegenläufigkeit, die ich meine: der Aufstieg der natürlichen Person bei Abstieg des ursprünglich einzigen "Subjekts" des normativen Denkens. Wenn dann die Kompetenz nicht mehr nur an die Rechtssätze des Vertrages gebunden, sondern auch die Beurteilung 32 über die Einhaltung abgegeben ist, beginnt das System umzuschlagen. Die EMRK macht nur besonders anschaulich, was uns generell begegnet. 26 27 28 29 30 31 32 Vgl. dazu Doehring (wie Fn. 24), S. 413 ff. Auch Seidel, (wie Fn. 21 ), S. 32, gebraucht insofern Revolutionsvokabeln. Vgl. dazu Doehring, S. 413, Rdn. 967 m.w.N. Seit November 1998. Zu Entwicklung und Verfahren knapp Herbart Petzold/Jens Meyer-Ladewig, "Oe~ neue ständige Europäische Gerichtshof für Menschenrechte", NJW 1999, 1165 f. m.w.N. Zum Stand der Afrikanischen Menschen- und Völkerrechtecharta (in Kraft seit 1986) und der Amerikanischen Menschenrechtskonvention (in Kraft seit 1978) vgl. knapp und skeptisch Epping (wie Fn. 22) § 7 Rn. 9, S. 82; ausführlicher Knut lpsen, "lndividualschutz im Völkerrecht" ebenda S. 668 ff., insb. § 49 Rn. 16 ff. und 20 ff., und Hailbronner (wie Fn. 22) Rn. 286 ff. und 289 ff. alle mwN. Vgl. - auch zu den Gefahren, zu denen diese Anerkennung führt - Dietrich Murswiek, "Offensives und defensives Selbstbestimmungsrecht. Zum Subjekt des Selbstbestimmungsrechts der Völker", in: DerStaat 1984, S. 523 ff., 547 f. und ders., "Die Problematik. eines Rechts auf Sezession- neu betrachtet", AVR 1993, S. 307 ff. Zustimmend Hailbronner (wie Fn. 22), S. 206 f. und 259 ff.; vgl. auch S. 178 f. zur Problematik der Auslegung von Art. 27 IPBR; Doehring Rn. 785 ff.; Texte und Beispielsfälle bei Jörg Paul Müller/Luzius Wildhaber, Praxis des Völkerrechts, 3. Aufl. Bern 2001, S. 220 ff., 241 ff. Vgl. Thomas Schaber, Internationale Verrechtlichung der Menschenrechte, 1996, S. 76 ff. und passim. Den Rang der Frage nach dem Beurteiler illustriert vor allem das nächsten Beispiel; zum Prinzipiellen vgl. Fn. 41. Staatsräson - Geldräson - Menschenräson 2. 91 Gegenläufigkeit von Kriegsverbot und Humanitärer Intervention Zweites Beispiel ist die Rückkehr des gerechten Angriffskrieges. 1999 bombte die Nato zum Schutz der Menschenrechte die serbisch-jugoslawischen Einsatzgruppen aus dem Kosovo. 33 Der Schutz der Kurden im Nord- und der Schiiten im Südirak, der Somalia-Einsatz3 4, eventuell auch der Einmarsch Vietnams in Kambodscha, der die Blutherrschaft der "Roten Khmer'' beendigte, lassen sich ähnlich begründen. 35 Solche Fälle zeigen die Gegenläufigkeit von völkervertragsrechtlichem Kriegsverbot und humanitärer Intervention. Aus eigenem Recht darf heute kein Staat den Frieden mehr brechen, was ihm völkerrechtlich bis zur Völkerbundsatzung von 1919 ohne weiteres, eingeschränkt auch noch bis zum Kellog-Pakt (geschlossen 1928, in Kraft seit 1929)36 zustand.- Rechtlich. Moralische Verurteilungen des Angriffskrieges finden sich zwar von frühesten Epochen an 37 , doch wurde der Krieg als eine Normalität aufgefasst, für die in manchen Epochen ein "gerechter Grund" genannt werden musste, in anderen nicht einmal dies38 • Heute verbietet das Völkerrecht den Angriff unstrittig. Den Paradigmenwechsel nun zeigt die Entwicklung, die sich parallel zu dieser rechtlichen Kriegsächtung vollzogen hat: Der UNO-Sicherheitsrat hat zwar- auch das ist wohl bislang noch unstrittig - kein GewaltmonopoL Üblicherweise wird diese Sicht damit begründet, den Staaten bleibe nach wie vor das Selbstverteidigungsrecht; die UNO-Charta setzt es ausdrücklich voraus 39 . Und dennoch ist es mittelbar ausgehöhlt. Ausgehöhlt wird nämlich das Definitionsrecht eines jeden Staates, wann er sich oder einen anderen, oder etwas anderes, eine Volksgruppe oder ähnliches, als angegriffen 33 Die Angriffe begannen am 24. März und dauerten fast 80 Tage. Zur strittigen Völkerrechtslage vgl. Die Friedens-Warte 1999 (Band 74) mit diversen Beiträgen; sowie Knut lpsen, "Relativierung des >absoluten< Gewaltverbots. Zur Problematik der Erstanwendung zwischenstaatlicher Waffengewalt" in: FS Dau (Fn. 1), S. 103 ff. Vgl. auch die Beiträge bei Reinhard Merke!, Der Kosovo-Krieg und das Völkerrecht, FrankfurVM 2000. Eine Chronologie einschließlich der Vorgeschichte seit der Schlacht auf dem Amselfeld (1389) bei Philip und David Auerswald (Hg.), The Kosovo Conflict/A Diplomatie History Through Documents, Cambridge/Den Haag 2000, S. XIX ff. Knapper und m.E. teilweise zutreffender die Chronologie bei Heike Krieger (Hg.), The Kosovo Conflict and International Law. An Analytical Documentation, Cambridge 2001, S. XX ff.; zu Vorgeschichte und Verlauf der Intervention und den Einwänden, sie sei unmoralisch und unzweckmäßig gewesen, knapp Gert Krell, "Es ging darum, eine extreme Notlage abzuwenden", Frankfurter Rundschauvom 17. August 2001, 34 35 36 37 38 39 I L s. 7. Zu diesen und einigen anderen Humanitären Interventionen Dietrich Murswiek, "Souveränität und Humanitäre Intervention. Zu einigen neueren Tendenzen im Völkerrecht" DerStaat1996, S. 31 ff. ln allen Fällen sind die Rechtsfragen (Liegt ein Angriffs- oder ein Verteidigungskrieg oder .eine Humanitäre Intervention vor? - Völkerrechtsgemäß?) von den Motiven zu unterscheiden, die die eingreifenden Mächte bewegen. Zu ihnen zweifelnd Murswiek (wie vorige Fn.), S. 40. Otto Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 6. Aufl. 1997, stellt die schrittweise Ausweitung eingeschränkter Kriegsverbote zum umfassenden Gewaltverbot S. 75-85 dar. Vgl. kürzer Michael Bothe, "Friedenssicherung und Kriegsrecht", bei Vitzthum. (wie Fn. 22), insb. Rn. 3, S. 607, sowie Horst Fischer, "Gewaltverbot [usw.J", in Knut lpsen (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Aufl., München 1999, § 59 Rdn. 2 ff. Vgl. E. Biser, "Friede" im Hist. WB der Philosophie, Bd. 2 Basel 1972, Sp. 1114 ff., und 0. Kimminich, "Friede, ewiger'', ebenda, Sp. 1117 ff. Zum möglicherweise frühesten gesicherten Fall, dem - allerdings nach gewonnenen Kriegen - pazifistisch gewordenen Kaiser Aschoka vgl. Berber, Das Staatsideal im Wandel der Weltgeschichte, 2. Aufl. 1978, S. 63. So Doehring (wie Fn. 24), S. 239; ausführlich Konrad Repgen, "Kriegslegitimationen in Alteuropa/ . Entwurf einer historischen Typologie", Historische Zeitschrift 1985, S. 27 ff. ("Aiteuropa" bedeutet die Zeit von 1200-1800, wobei Repgen das Schwergewicht auf die frühe Neuzeit legt, also die Epoche ab 1500); sowie besonders Wilhelm G. Grewe, Epochen der VölkerrechtsgEJschichte, 2. Aufl. 1988, S. 131 ff., 240 ff., 428 ff., 623 ff. ln Art. 51 der UNO-Satzung, der das Kapitel VII beschließt. 92 Martin Hochhuth sieht. Betrachten wir Art. 2 Abs. 4-7 der UNO-Satzung, und verknüpfen wir diese Regelungen mit ihrem Kapitel VII, also der Regelung über "Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen". Es ist allein der Sicherheitsrat, der nach bisheriger Auslegung soll feststellen dürfen, ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliege. Nicht in allen Fällen aber lässt sich ein Angriff so eindeutig feststellen wie etwa als 1914 Deutschland in Belgien einmarschierte, oder wie zu Beginn des zweiten Golfkrieges, beim Einmarsch Iraks in Kuwait. Vielfach bestehen hier Unklarheiten oder lassen sich erzeugen. Ein Staat muss darum heute damit rechnen, daß der UNO-Sicherheitsrat, aber möglicherweise auch - inzwischen entsteht eine Völkerpraxis - dass nur eine hinreichend starke Staatengruppe einen Bruch des Friedens i.S. von Art. 2 Abs. 4 der UNOSatzung feststellt-· oder "feststellt"; eines Friedensbruches, der etwa darin liege, daß auf seinem Territorium größere Menschenzahlen ermordet oder auch "nur'' entrechtet werden. 40 Prinzipiell ist dieser Wandel zu begrüßen. Doch wer gibt das Maß? 41 Jedenfalls liegt hier der funktionale Ersatz für das alte völkerrechtliche "Recht zum Kriege", das ,,ius ad bel/um"- und dieser funktionale Ersatz stützt sich auf die neue Leit-Substanz: auf das Individuum und seine Rechte. 3. Die Strafgerichte und das gleichmachende Recht Das in den Nürnberger und Tokioter Prozessen von 1945 bis 48 grundstürzend Neue war über vierzig Jahre lang einmalig geblieben. Noch 1984 konnten Verdross und Simma schreiben, daß diese "bedeutsame Neuerung im VR ... sich allerdings erst noch durchsetzen muss". 42 Erst die Einsetzung von Gerichten für Jugoslawien43 1993 und Ruanda 1994 knüpfte daran an 44 . 1998 verhaftete englische Polizei im spanischen Auftrag das ehemalige Staatshaupt Pinochet mit menschenrechtl.icher Begründung45, beschloss die Völkergemeinschaft das Statut eines allgemeinen internationalen Strafgerichtshofes46 , und 2001 lieferte das besiegte JugoslawJen seinen Kriegsdiktator Milosevic (für eine Milliardensumme) den internationalen Strafrichtern im Haag aus. All das zusammengenommen ist eine weitere Revolution des Völkerrechts, selbst dann, wenn der Wandel sein Ziel, die weltweite Anerkennung eines ständigen internationalen Gerichtshofes, nicht erreichen sollte. Senon der bisherige Stand zeigt 40 41 42 43 44 45 46 ) Murswiek (wie Fn. 34) S. 41, warnt, das Siebte Kapitel der UNO-Satzung erhalte so "einen völlig anderen Charakter. Von einem Instrumentarium zur Sicherung des Friedens zwischen den Staaten mutiert es zu einer allgemeinen Polizeiermächtigung." Hinter der Frage nach Maß und Maßstab steckt stets die Frage nach demjenigen, der misst. Es ist die Urfrage des Öffentlichen Rechts. Juristisch formuliert lautet sie: "von wem wird das beurteilt?" (Quis iudicabit?). Philosophisch lautet die Frage, wer im betreffenden System das (im zugespitzten Grenzfall: das sich durchsetzende, sozusagen einzige) Subjekt ist. Es ist der, der das Wesentliche als Wesentliches definieren darf. Wer aber "das Wesentliche" oder "Eigentliche" definiert, entscheidet auch über die Wahrung oder Durchbrechung des Begriffsgebäudes. Zu den Folgen vgl. oben dem Abschnitt nach Fn. 14 (S. 87 unten, f.). "Universelles Völkerrecht", 3. Aufl., Berlin 1984, S. 266. Doehring, ebenda, S. 501 nennt dieses Tribunal denn auch "eine fast revolutionäre Neuerung des Völkerrechts". Dazu detailliert Doehring aaO., § 23, besonders Rn. 1169 ff., S. 498 ff.; vgl. auch Seidel (wie Fn. 21) s. 34. 1999 erlaubte das Oberhaus schließlich, den Verhafteten an Spanien auszuliefern. Die Regierung unterließ es, angeblich wegen der Gesundheit des alternden Diktators. Chile hatte gedroht, auf schon angebahnte bedeutende Käufe britischer Wehrtechnik zu verzichten. Seidel (wie Fn. 21 ), S. 36 weist darauf hin, dass sich das Statut von Rom für diesen Weltstrafgerichtshof "peinlich genau" an die Grundsätze von Nürnberg halte. l I Staatsräson- Geldräson ·- Menschenräson 93 ja den Fortschritt. Die Staatenimmunität wird schon offen zurückgedrängt. 47 Daneben wird doppelt ausgehöhlt, was der Sache nach zu ihr gehört. Erstens kann der Täter sich auf (staatlichen) Befehl kaum noch berufen. 48 Zweitens wird die Staatenimmunität auch indirekt ausgehöhlt: durch "Einmischung" in die Frage, was "ultra vires' ist, d.h. z.B. was der Staatschef Pinochet oder Milosevic als solcher durfte und was nicht. Beziehen wir das nun auf die Verschiebung der Räson, auf die innerhalb des Denkgebäudes "Re.cht" entscheidende "Substanz", so zeigt sich der Wandel. Die Staatsräson schützt den nicht mehr, der ihr dienen wollte. 49 Zwar: Gedanklich wird der Staat gerade von der kriminellen Einzelperson abgetrennt, wenn man urteilt, ein Funktionsträger handle ultra vires. Doch diese Rechtstechnik ist, auf unser Thema bezogen, oberflächlich; sie verkehrt, was wirklich geschieht. Denn wenn der König nicht Unrecht tun kann, "the king can do no wrang', dann bedeutet das nach der klassischen Staatsräsonauffassung, daß es kein "wronrJ', kein Unrecht gewesen sein kann, weil · es der "kinrJ' getan hat. Dies musste gelten, solange der König wirklich ein König war. Es bedeutet, das alte mythische Paradigma auszuhöhlen, wenn man die Privatperson des Staatsführers gedanklich von ihrem Amt so ablöst, daß Dritte darüber judizieren können, was "ultra vires' ist. Hier steckt jene Ausnüchterung durch Verrechtlichung, die nicht nur Forsthoff50 an Kelsens 51 rein juristischem Staatsbegriff stört. Aber nicht nur die Beurteilung von Verbrechen und Krieg wandeln sich. Bei der Auslegung nahezu aller Statuten oder Verträge oder auch des von supranationalen Organisationen Festgelegten steigen Individualpositionen zu einem unter dem klassischen Völkerrecht undenkbaren Rang. 4. Das Wirtschaftsvölkerrecht als Beispiel der Zwiespältigkejt der Entwicklung Die Europäische Union wurde genannt, weil sie mit ihrer seit Jahrzehnten bestehenden Möglichkeit unmittelbarer Klage durch den Marktbürger ein Beispiel für das bereitstellt, was ich mit dem Übergang von der Staatsräson zur Menschenräson meine. Doch zeigt sie auch jene Zwiespältigkeit der Entwicklung, die der Ausdruck "Geldräson" anzielt. Als Wirtschaftsgemeinschaft entworfen und gegründet kann man ihr nicht vorwerfen, daß sie als solche funktioniert. Es war tausendfach fruchtbar, schaffte etwa durch die Cassis-de-Oijon-Rechtsprechung illegitime heimliche Handelshemmnisse ab, so daß z.B. italienische Nudeln heute auch in Italien, deutsche 47 48 49 50 51 Vgl. Doehring, "Betrachtungen zum Statut eines Internationalen Strafgerichtshofs", FS Dau (wie Fn. 1) s. 63 ff., 64 f. Vgl. Doehring, ebenda sowie in seinem Lehrbuch (oben Fn. 24) § 23. Oder der wenigstens unwiderleglich vorgeben kann, er habe ihr dienen wollen. So rechnet z.B. auch lsensee, aaO. (wie Fn.4), Sp. 145 Kelsens Staatsbegriff unter die .normativistischen Simplifikationen". Forsthoff nennt die "im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts erfolgte allgemeine Rezeption der Meinung [ ... ], daß der Staat als juristische Person verstanden werden müsse" und daß ihm gerade als solcherdie .Souveränität[... ] zustehe", den wichtigsten Einschnitt in der späteren deutschen Staatsgeschichte. Vgl. die teilweise brillante Polemik im ersten Kapitel seines Staates-der lndustriegesel/schaft, München 1971, S. 13. Kelsen, 1881 geboren, nenne ich, weil er den juristischen Staatsbegriff besonders detailliert ausarbeitet. Forsthoff aaO. nennt als erste Quelle bereits eine Rezension des Historikers Albrecht in den Göttingisehen Gelehrten Anzeigen von 1837. Zur Durchsatzung dürfte auch Georg Jellineks Allgemeine Staatslehre beigetragen haben (vgl. dort etwa knapp S. 183 [9. Auflage 1976, Nachdruck des Neudrucks von 1928 der 3. Auflage 1913]). Zur epochalen Bedeutung dieses Buches vgl. Hasso Hofmann, "Jellinek," in: Görres-Staatslexikon, Bd. 111, 7. Aufl. Freiburg usw. 1987, Sp. 212 ff., 213 m.w.N. 94 Martin Hochhuth· Biere auch in Deutschland freie ausländische Konkurrenz haben. Und noch eine Einschränkung meiner Kritik: Unklarheit des Paradigmas, die Verwechslung des Menschen mit seinem Geldbeutel, droht auf jeder Rechtsebene: innerstaatlich, völkerrechtlich, und auch "dazwischen", in der EU. Wir beginnen bei ihr, weil der Streit der Kommission gegen die Buchpreisbindung oder für den Erhalt von Einwegverpakkungen52 irritieren muss. Als Drückerei von Gesundheitsstandards erscheint das PCP-Urtei1 53 ; der neuere Konflikt um das ebenso bedrohliche TBT (Tributylzinn) schürt ebenfalls den Verdacht, der Sinn -der Integration werde vereinseitigt und damit verkannt. 54 Doch gilt darum nicht etwa das Vorurteil "Europa =Öko-Dumping". So hat der EuGH letzten Monat z.B. das deutsche Stromeinspeisungsgesetz bestehen lassen, das Energie aus umweltfreundlicher Quelle fördert. 55 Und der Kampf um Arbeitnehmerentsenderichtlinie und Arbeitnehmerentsendegesetz spielt sich nicht zwischen Bundesrepublik und EU ab, sondern derzeit zwischen Kommission und Generalanwalt 56 Das Gesetz hindert im Ausland ansässige Firmen, die deutschen Lohn- Ünd Urlaubsstandards durch "Entsendung" von Arbeitern zu unterlaufen, die auf hiesigen Baustellen zu "heimatlichen" (im Vorlagefall etwa portugiesischen) Bedingungen arbeiten müssen. Dass es wirklich den Art. 39 (alt: 48) und 49 ff. (alt: 59 ff.) des EGVertrages widersprechen soll, vermag ich nicht zu erkennen. Die Kommission jedoch hat, nachdem die Arbeitnehmer-freundliche Position des Generalanwalts ~ekannt wurde, durch eine sog. begründet~ Stellungnahme die Bundesrepublik zur Rücknahme dieser Regelungen aufgefordert. 57 52 53 54 55 56 57 Vgl. FAZvom 30. 3. 2001: Beabsichtigte Klage der Kommission gegen die deutsche Mehrwegquote sowie· Kritik an den "Öko-Abgabe"-Piänen. Pentachlorphenol-Fall des EuGH, Slg. 1994, 11841 (Rs C-41/93). Der Art. 95 Abs. 4 EG (Art. 100a Abs. 4 a.F.) erlaubt dem Staat, zum Schutz der Umwelt, Arbeitsumwelt oder der Güter des Art. 30 (Art. 36 a.F.) von der Binnenmarktharmonisierung "nach oben" abzuweichen." Deutschland tat das. Die Kominission nahm es mit knapper Begründung hin (Schutz der Umwelt und Gesundheit insb. vor Dioxin, welches Krebs errege). Dem EuGH (auf Klage Frankreichs) genügte diese Begründung aber nicht, um den "nationalen Alleingang" zu erlauben; vgl. Rn. 31 ff. des Urteils .. (Vgl. die Anmerkungen von S. Breier, ZUR 1994, 247 ff., auch m.N. zum Hintergrund der Klage, und V. Fröhling, JuS 1996,688 ff.) Es handelt sich jedoch um keine unterschiedslose Freigabe des Giftes, vgl. das PCP~Urteil der 6. Kammerdes EuG vom 1. 10. 1998 (Sig. I S. 6005/6025 ff., C-127/97, Fall Burstein). Das Bundes-Umweltministerium teilt mit, die Europäische Kommission habe den Alleingang zum völligen Verb0t des Giftes mit der Begründung gestoppt, die deutschen Bedenken seien inhaltlich nicht neu; vgl. Frankfurter Rundschau v. 2. 8. 2001, S. 1 und 3. - Fachinstitute hatten laut Bericht neue wissenschaftlichen Erkenntnisse vorgetragen. Ob sie allerdings scharf genug von den schon bekannten abgrenzbar sind (also "neu" iSv. Art. 95 V EG), ist eine Wertungsfrage wie jede Wor.tlautauslegung. Ebenso die Frage, ob "Erkenntnisse" i.S. v. Art. 95 V die chemische Zusammensetzung betreffen müssen, oder es auch genügt, wenn sie Verbreitungswege und Verbreitungsgrad des Stoffes (etwa in Textilien) nachweisen. Angesichts der hohen Gesundheits-, Umwelt- und Verbraucherschutzziele der Union (vgl. etwa Art. 2; 3 II Buchstaben I, p, t; 6 EG) hätten die Begriffe · des Art. 95 V im vorliegenden Fall gesundheits- und umweltfreundlicher verstanden werden können. Damit hatder EuGH (Urt. v. 13. März 2001 - Rs. C-379/98- Preußenelektra AG /Schleswag AG) nicht nur für die Umwelt Maßstäbe gesetzt, sondern zugleich seine Beihilfe-Rechtsprechung präzisiert. Das Arbeitsgericht Wiesbaden (1 Ca 1672/97) hat mit Beschluss v. 10. 2. 1998 den EuGH nach Art. (damals noch 177 jetzt) 234 EG mit diesem Streit befasst. Generalanwalt Jean Mischo hält die deutsche Regelung in seiner Schlussantragsschrift vom 13. 7. 2000 für unproblematisch. ];) ""' bot~ I{ Vgl. Presseerklärung der Kommission v. 30. Juli 2001, dazu etwa FR v. 1. 8. 2001. Um die "infringement proceedings" nicht zu gefährden, werden die Gründe der "begründeten Stellungnahme" gegenüber dem Unionsbürger geheimgehalten, wie einer Antwort der Direction Generale "Interna! Market" vom 31. 8. 2001 zu entnehmen ist, die mir vorliegt. -'· ~ Staatsräson - Geldräson - Menschenräson 5. 95 Insbesondere das Welthandelsrecht Ähnlich zwiespältig wirkt das sonstige, das eigentliche Völkerrecht. Den Fortschritten im Menschenrechts- und Kriegsrechtsbereich tritt das internationale HandelsrechtGATT und heute WTO - zur Seite. Auch hier anscheinend ein Fortschritt, wenn "objektiv schlechtere" Erzeugnisse nach und nach vom Weltmarkt verschwinden; vielleicht auch, wenn sie schließlich von den Landes- und Dorfmärkten gedrängt· werden. Wie aber, wenn die Produkte, die die Welthandelsordnung zum Untergang verurteilt nicht schlechter, sondern nur etwas teurer hergestellt sind, dafür aber ortsnah und in überschaubaren, weniger naturschädlichen Verfahren? - Auch die 1994 erneuerte Anti-Dumping-Übereinkunft, Teil des GATT, berücksichtigte weder ökologisches noch soziales Dumping. 58 Ähnliche Fragen erheben sich, wenn man das Lebensmittelrecht59 zum Anschauungsgebiet für die Internationalisierung der Rechtsordnung nimmt. Wie das Europäische Recht erlaubt der Wortlaut von WTO und GATT60 Handelsbeschränkungen ohne weiteres nicht nur zum Gesundheits-, sondern sogar zum Pflanzenschutz. 61 Die Krabben- und Thunfischfälle sprechen für sich, und man darf wohl die Wertung wagen, auch der Gesundheitsschutz habe es etwas schwerer als der Handel. 62 Da es nicht am Wortlaut der Vertragsnormen liegt, könnte es Ausdruck der Zauberlehrlings-Regel sein: Das zweifellos sinnvolle Werkzeug "Güter- und Warentausch" emanzipiert sich· von den ·natürlichen Individuen, für die es da ist. Die ohnehin nötige Verselbständigung gegenüber den realen Endzwecken und denen, die sie legitimerweise definieren "potenziert sich" noch "durch Erweiterung des nationalen zu einem internationalen Bezugsrahmen"63 . Dieangesichts der Komplexität des Handels- und des Völkerrechts unvermeidliche Handels-Spezialisierung des Personals64 auf WTO/GATT-Ebene dürfte ein zentraler Faktor sein; und möglicherweise ein Ansatzpunkt für Reform. ss 58 59 60 61 62 63 64 65 So ausdrücklich Benedek, Die Welthandelsorganisation (WTO), München 1998, S. 28. Vgl. auch den Text des Anti-Dumping-Abkommens, ebenda, S. 243 tf. Zum europäisch-amerikanischen Streit darüber, ob die Kennzeichnung genveränderter Organismen ein illegales Handelshemmnis sei vgl. Burchardi, "Labelling of Genetically Modified Organisms: a Possible Conflict with the WTO?" in ZLR 2001, Heft 1, S. 83 tf. Vgl. den ausführlichen Katalog "Allgemeiner Ausnahmen" in Art. XX GATT (abgedruckt etwa bei Benedek [wie Fn. 58]). Vgl. die Übereinkunft "über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen" ("sanitary and phytosanitary measures~ "SPS') bei Benedek unter B II 7, S. 182 tf. Eingehend dazu A. Epiney, "Welthandel und Umwelt- Ein Beitrag zur Dogmatik der Art. 111, IX, XX GATT", DVBI. 2000, S. 77 ff. So auch Epiney ebenda (wie Fn. 61), S. 86. Auch das von Burchardi aaO. (wie Fn. 59) bearbeitete Problem belegt es. Vgl. Reiner Schmidt, Mitbericht zum "Verfassungsstaat im Geflecht der internationalen Beziehungen", VVDStRL 36, Berlin 1978, S. 65 ff., S. 106 (Leitsatz 10). Die Entscheidertafeln oder Paneele (englisch panels) müssen laut Art. 8 I der Streitbeilegungsvereinbarung (Dispute Settlement Understanding, DSU) immer solche Spezialisten für internationales Handelsrecht oder -politik enthalten. Andere Festlegungen finden sich (mit Ausnahme von ArtJ 8 X) nicht. Meinhard Hilf berichtet (Vortrag an der Freiburger juristischen Fakultät am 13. 6. 2001), noch 1973 habe die Welthandelsspezialisten sogar das Erscheinen eines Juristen überrascht: es gehe doch nicht um Recht, sondern nur um Handel! - Es dürfte sich empfehlen, bei Streitigkeiten mit Umwelt-Einschlag (analog zu Art. 8 X DSU) Umweltspezialisten beizuziehen. Die entsprechende Regelung für Streitigkeiten mit Entwicklungsländern, jener Art. 8 X, könnte m.E. der Grund dafür sein, dass 4 von 6 Streitbeilegungen zu Gunstendes Entwicklungslandes ausgehen (diese Zahl, Stand 1997, nennt m.w.N. Thomas Cottier, "Dispute Settlement in the WTO: Characteristics and Structural lmplications for the European Union", CMLR 1998, 325, 336 Vgl. die vorige Fn. 96 Martin Hochhuth Die sogenannte Globalisierung bietet noch weitere Anschauung für Paradigmenverwechslung. Ein Aspekt, die internationale Schuldenkrise, ist inzwischen in die Debatte geraten, so daß wir ihn hier aussparen können. 66 Das krasseste Beispiel jedoch, und zu ihm findet sich in der deutschen völkerrechtlichen Literatur überraschend wenig Material, bildet das MAl (Multilateral Agreement on lnvestmen~. 67 Dieses Abkommen, wenn auch von Globalisierungsskeptikern, besonders von französischer und kanadischer Seite, gerade noch vereitelt, zeigt gleichwohl die zu beschreibende Tendenz auf: Es hätte für die Setzung nationaler Standards, die die Wirtschaft in irgendeiner Weise belastet hätten, zur Entschädigung verpflichtet, diesbezügliche Politik damit auf finanziellem Umwege verunmöglicht. IV. Macht der Grundrechte, Auflösung des "öffentlichen Interesses" I Ebenso deutlich zeigt das innerstaatliche Re~ht den Sieg des "Paradigmas Mensch" über alle Formen des Etatismus. Schon die Bindung des Staates an - einklagbare - Grundrechte überhaupt ist eine Selbstrücknahme. Das wird klar, wenn man sie mit der Alternative, der bloßen Rechtsgewährung vergleicht, etwa am Beispiel des deutschen Asylgrundrechts mit der Asylrechtslage in nahezu allen anderen Staaten der Welt68 : So gewährte etwa die Schweiz nach der alten Rechtslage 69 auch bereits politisches Asyl. Jedoch tat sie es "nur" gemäß einer Maxime, und nicht, weil der Verfolgte einen materiellen Asylanspruch gegen die Eidgenossenschaft gehabt hätte.7° Die gerichtliche Einforderbarkeit eines verfassungskräftigen subjektiven Rechts bindet den Staat aber in höherem Grade, a,ls es eine - und sei es auch gesetzliche - Regel tut, die zudem leicht geändert werden kann.7 1 66 67 68 69 70 71 Zur internationalen Schuldenkrise und der völkerrechtlichen Zulässigkeit der "Konditionalität" (Schuldenerlass als Gegenleistung für bestimmte - oft bedenkliche - wirtschaftspolitische Maßnahmen) Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 1995, S. 2321'. Vgl. Tony Clarke/ Maude Barlow, MAl. The Multilateral Agreement on Investment and the Threat to Canadian Sovereignty, Toronto (Stoddart) 1997; Fritz Glunk, Das MAl und die Herrschaft der Konzerne. Die Veränderung der Welt durch das multilaterale Abkommen über Investitionen, München (DTV), 1998. Kay Hailbronner nennt von den europäischen Staaten nur Frankreich, das einen "vergleichbare[n] verfassungsrechtliche[n] Anspruch" gewähre. Vgl. "Asyl, Asylrecht" in M. Honecker/H. Dahlhaus/J. Hübner/T. Jähnichen/H. Tempel, Evangelisches Sozis/lexikon, 2001. Im Artikel "Asylrecht" des Wörterbuches von Strupp!Schlochauer (wie oben Fn. 12) Band I (1960} S. 89 ff., S. 91, schreibt Wolfgang Abendroth bezogen sogar auf die gesamte Welt, "die meisten Verfassungen" billigten "keineswegs den politischen Flüchtlingen ein subjektives öffentliches Recht auf Asyl zu", sondern beschränkten sich auf ein "institutionelles Bekenntnis". ln der Schweiz ist 1999 ein neues Asylgesetz in Kraft getreten. Diese alte Verfassungs- und Gesetzeslage beschreibt mit ausdrücklicher Betonung ihres Gegensatzes zur deutschen Giorgio Malinverni, Rn. 133 ff. zu Art. 69terund 9 ff. zu Art. 70 in J.-F. Aubert/ K. Eichenberger/J.-P. Müller/R. A. Rhinow/D. Schindler/H. Koller (Hrsg.) Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874 (Stand 1995). Vgl. insb. 69tertNr. 136, ("Die Gewährung ... soll letztlich nicht die Existenz des Staates selbst in Frage stellen.") mit der gleich unten zu beschreibenden Aporie der Selbstpreisgabe, in die ein Staat sich durch echte Grundrechte bringt. Der Unterschied bestand prinzipiell, was aber nicht auf die Ergebnisse durchschlug: Die tatsächliche Asylgewähr in der Schweiz war unter der alten Rechtslage zumindest nicht zurückhaltender als etwa die deutsche. Die völkerrechtliche Bindung an die Genfer Flüchtlingskonvention macht zudem die Verwendung des Ausdrucks "Maxime" völkerrechtlich für einen Teil der Fälle m.E. fragwürdig. Staatsräson - Geldräson - Menschenräson 97 Die Selbstrücknahme steigert sich zur Selbstpreisgabe, wo klagbare Grundrechte sogar ohne Vorbehalt formuliert sind. Muster- und Extremfall ist Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG, das Recht zur Waffendienstverweigerung im Krieg. Es gälte selbst noch dann, wenn der Bundesrepublik ein ungerechtfertigter Angriff von außen die Verteidigung aufzwänge und ihr kein einziger Wehrpflichtiger bliebe. Grund solcher Prei$gabe ist eben jene Paradigmenverschiebung: Verfassungs-Höchstwert ist die Person, zu der das Gewissen gehört, und nicht der Staat, nicht einmal der Staat des Grundgesetzes selbst.72 Ähnlich bindet die vom Grundgesetz konstituierte Republik sich auch durch noch andere Grundrechte an "Menschenräson", selbst dort wo sie in vorbehaltloser Ausübung den Staat- oder das was herkömmlicherweise als Staat verstanden wirdbedrohen könnten.7 3 Ein anderer Gipfel der Grundrechtsbindung ist das Übermaßverbot des Art. 19 Abs. 2 GG, das m.E. mit einer starren Opfergrenze i.S. der viel gescholtenen und missverstandenen "Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne" übereinstimmt. 74 (Selbstverständlich ist diese Gleichsetzung umstritten. Doch scheint es selektiv- d.h. für einzelne Grundrechte - unvermeidbar, die feste Opfergrenze anzunehmen.75) Und auch das Verwaltungsrecht bietet, seit das Grundgesetz es prägt, zahlreiche Beispiele. Von der Zurückdrängung "besonderer Gewaltverhältnisse" bis zur genannten" Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne": das staatliche Recht hemmt oder immobilisiert Verwaltung und Regierung. Die "konservative" Theorie hat das als Steuerungs- oder Politikunfähigkeit kritisiert, aber auch "linke" Autoren, wie etwa Bäumlin und Ridder, greifen diese Tendenz und die logisch zugehörige Richtermacht an 76 • Auch bei den Grundrechten jedoch begegnet uns die erwähnte Kehrseite, die Paradigmen vertauschung. So hält die Spannung zwischen Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 und 3 GG), Demokratie- und Sozialstaatsprinzip i.V.m. Art. 15 GG nach einer verbreiteten 77 und wie mir scheint aus dem Text eindeutigen Auffassung die Wirtschaftsordnung der politischen Gestaltung offen, sogar die "gemeinwirtschaftliche Alternative", wie es z.B. Bryde ausdrückt78 . Zieht man weitere Vorschriften zum Vergleich mit dem Eigentumsrecht heran, so bevorzugt das GG solche Positionen, die einen ideellen Wert haben, wie etwa Gewissen, freie Rede, Kunst und Wissenschaft, indem es sie mit geringeren oder überhaupt keinen Vorbehalten ausstattet. Auch nennt die Unabänderlichkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG aus dem Grundrechtsteil nur Art. 1, nicht aber Art. 14 GG. Die fachgerichtliche Eigentumsrechtsprechung folgt dieser Wertung jedoch nicht. Auch Nebenerwägungen (obiter dicta) des BVerfG 72 73 74 75 76 77 78 Verfassungshöchstwert des GG ist vielmehr die Freiheit des Einzelnen. Diesen Nachweis versucht jene Relativitätstheorie des Öffentlicher! Rechts (vgl. oben Fn. 14), insb. in§ 5 (S. 187-197). Zur Gewissensaporie insb. der§ 7, V (S. 282-292). "Eingebaute" Aporien wie diese unterscheiden das freiheitliche System des Grundgesetzes von "starken" Staaten. Allerdings macht gerade diese "Schvväche" es legitim und für die Rechtsunterworfenen vertrauenswürdig. - Und anscheinend langlebiger - vgl. dazu die Überlegungen im " Anschluß an Wolzendorff, Ulrich Preuß und Mestmäcker in der Relativitätstheorie (wie Fn. 14), insb. S. 483 f. mwN. Begründung, der Streit um mögliche Deutungen und Kasuistik der Wesensgehaltssperre m.w.N.: Relativitätstheorie, (wie Fn. 14), § 3 (S. 150 ff.); zur Verhältnismäßigkeit ebenda, S. 86 ff. und 485 f., deren Bezug zur allgemeinen Freiheitsvermutung S. 12ü-122. Vgl. im einzelnen ebenda (wie Fn. 74) Vgl. im Alternativkommentar zum GG, Band 1 der 2. Aufl., besonders S. 1331 ff. Zur Auseinandersetzung hiermit und mit anderen Kritikern in der Relativitätstheorie (wie Fn. 74), zu Bäumlin/Ridder insb. S. 123. Vgl. auch BVerfGE 50, 290, 336 ff. (1. 3. 1979, Mitbestimmungsurteil). Brun-Otto Bryde bei v. Münch/Kunig, GG, 5. Aufl. München 2000, Rdnr. 18 zu Art. 15 GG m.w.N. 98 Martin Hochhuth klingen anders, etwa die berühmte79 aus dem "Hamburger Deichordnungsurteil", dem Gesetzgeber stehe nicht frei, etwas an die Stelle des Privateigentums zu setzen, was diesen Namen nicht mehr verdiene80 . Die Formel scheint mir in drei Hinsichten richtig, aber in einer doch bedenklich. Sie scheint juristisch zunächst haltbar, denn die Verfassung "gewährleistet" das Eigentum ebenso wie das Erbrecht. Sie ist überdies praktisch, also wirtschaftspolitisch sinnvoll, wie m.E. der Vergleich mit allen eigentumsfeindlichen Systemen zeigt. Das BVerfG bringt zudem- drittens- das philosophische Argument der eigentumsfreundlichen Tradition. 81 Es lautet z.B. im Eröffnungssatz des Eigentumskapitels bei Hegel: "Die Person muss sich eine äußere Sphäre ihrer Freiheit geben, um als Idee zu sein."82 Gleichwohl lädt die Deichordnungsformel zu Missverständnissen ein. Denn außer dem Grundrecht auf "freie" Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1) hat das GG keines so schwach ausgestaltet, soweit der Definition 83 durch den Gesetzgeber überlassen, wie eben das Eigentums- (und Erb-) grundrechtnach Art. 14. Der Satz täuscht daher eine Substanzhaftigkeit, eine Festigkeit vor, die dem Eigentum von Verfassungs wegen gerade fehlt. Beispiele dieses Missverständnisses bot m.E. etwa die Bestandsschutzrechtsprechung, die in ihrem krassesten Bereich, dem des Bauans glücklicherweise inzwischen korrigiert ist84 , und erst recht die Gesetzgebung. Etwa die Gewähr von Übernahme- und Entschädigungspflichten nach §§40ft. BauGB bei "wesentlicher Wertminderung des Grundstücks", wenn der Bebauungsplan "die Erhaltung von Bäumen, Sträuchern und sonstigen Bepflanzungen" verlangt(§ 41 Abs. 2 Nr.2 BauGB), scheint mir eine ökologiewidrige Großzügigkeit, zu der Art. 14 GG nicht verpflichtet. Als weiteres Musterbeispiel nur angedeutet sei der Konflikt zwischen dem BVerfG und dem BGH um die Definition von Art. 14 GG.85 Zudem laufen quer zu dem Kampf um die Eigentümerfreundlichkeit86 des BGH jedoch noch andere Fronten, die man auf den ersten Blick nicht erwartet: Auch das körperliche Eigentum steht unter dem Druck der totalen "Liquidierung" LS. von Verflüssigung. Dem Gesetz- und sogar dem Satzungsgeber erlauben die Gerichte weitgehend zu definieren, durch Umgebungsprä79 ': So steht sie z.B. einer der .Bibeln" des Bürgerlichen Rechts als Motto voran, vgl. Baur/Stürner, , "Sachenrecht", 17. Aufl., München 1999, S. V. 80 BVerfGE 24, 367 ff.- Urt. v. 18. Dezember 1968- S. 389. 81 Zur - stets starken, vielleicht insgesamt sogar stärkeren - Gegenströmung vergleiche Arnold Künzlis Mein und Dein. Zur Ideengeschichte der Eigentumsfeindschaft, Köln 1986. 82 Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 41 (in der Ausgabe v. Moldenhauer/Michel S. 102). Die Hervorhebung ist von Hegel. Vgl. damit die Sätze bei BVerfGE 24, 367, 389 (mitabgedruckt bei Baur/Stürner aaO. S. V), die zu dem Zitierten hinführen. Baur/Stürner (§ 24, Rdnr. 9) vermuten folglich in dieser Rechtsprechung des BVerfG ebenfalls "Anlehnung an die Hegeische Rechtsphilosophie". Sie kehrt z.B. in BVerfGE 68, 193, 222 und 83, 201, 208 wieder. 83 'Eine dem Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG entsprechende Definitionsermächtigung an den Gesetzgeber fehlt bei den anderen Grundrechten. Ebenso sind die Ermächtigungen des Abs. 2, des Abs. 3 und des Art. 15 GG im übrigen Grundrechtskatalog ohne Parallele. Daher hat BVerfGE 31, 275, 284 f. zu recht auch solche Rechtspositionen als durch Gesetz abschaffbar bezeichnet, die bereits bestehen und als Eigentum geschützt sind. (Vgl. auch E 45, 297, 332; 78, 58, 75; 83, 201 212- allerdings obiter dicta). 84 BVerwGE 106, 228 ff., Urt. v. 12. März 1998 stellt die frühere Rechtsprechung dar, distanziert sich mit überzeugenden Gründen von ihr (vgl. S. 233 ff.), insb. etwa von BVerwGE 72, 362 und verweist auch auf andere bereits davon abrückende Entscheidungen. 85 Dazu instruktiv Brun-Otto Bryde, "Der Kampf um die Definition von Art. 14" in: BlankenburgNoigt, "lmplementation von Gerichtsentscheidungen", Opladen 1987, (Jb. für Rechtssoziologie und Rechtstheorie), S. 384 ff., S. 386 unten ff., S. 389. 86 Bryde (aaO. S. 389 mwN.) verweist darauf daß "auch Angriffe auf die Auslegung des Art. 14 unter dem Gesichtspunkt dogmatischer Sauberkeit von einer eigentumskritsichen Haltung ganz unverdächtiger Seite" geführt worden sind, etwa von Dürig. Staatsräson - Geldräson - Menschenräson 99 gung zur verformen und wegzunehmen, nur eben notfalls gegen Geld-Entschädigung. Der materielle Wert soll erhalten werden, aber nicht nur "alles Ständische und Stehende verdampft'', wie die berühmte Formulierungzweier Rechtstheoretiker des 19. Jahrhunderts lautet87 , sondern auch die Substanz. Die Rechtsprechung scheint mir, trotz zahlreicher hier wegzulassender Feinhei- · ten, insgesamt schief zu der oben angedeuteten Wertordnung des GG zu stehen, wenn sie Vermögenspositionen, oder alles das, was sich in geldwertesVermögen umsetzen lässt, stärker schü.tzt als sonstige Güter. Eine Tendenz zu allgemeiner Kommerzialisierung wohnt wohl schon dem Rechtsdenken an sich inne. Aus zwei Gründen: Erstens, weil es sich in einer Überzahl der Fälle mit i.w.S. handelbaren, oder doch wenigstens rechenbaren Gegenständen befasst (und auch immaterielle Güter wirksam nur mit materiellen Mitteln schützen kann, etwa durch das Zusprechen von Geld-"Ersatz") 88 . Gleichwohl scheinen mir die nichtkommerzialisierbaren Güter auch noch, selbst wenn man diese Prämisse als rechtsnotwendig anerkennt, unterbewertet. Ich kritisiere, wohlgemerkt, nicht das Ernstnehmen der ökonomischen Basis, die fast jede Freiheitsentfaltung braucht; jedoch scheinen mir die Wertungen der Verfassung nicht in der Schutzpraxis der Gerichte wiederzukehren. 89 Der zweite Grund scheint mir in der Notwendigkeit der Abstraktion zu liegen, die zu jedem Denken gehört, und folglich auch zum juristischen. Solche Eigendynamiken des rechtlichen Betriebes dürfen aber nicht den Höchstwert des rechtlichen Systems vergessen machen. V. Preisgabe als Erfüllung- und Verwechslung Lassen sich die Beispiele über einen begrifflichen Leisten schlagen? Selbstpreisgabe oder -aufgabe sahen wir bei der Waffendienstverweigerung, wo die als vorrangig anerkannte "Substanz" sich im Grenzfalle durchsetzt. (Das kann der Einzelmensch sein, es könnte, nach anderen Wertungen, die nicht vom Menschen geschaffene Natur sein; nahe läge auch, Kunstwerke in einem engen, sehr strengen Sinne ebenfalls hierher zu zählen, weil auch sie Selbstzwecke sind). Im Völkerrecht, sahen wir, bricht sich die philosophische ("weltanschauliche") Idee davon, was das "Wichtigste" sei, juristisch durch Relativierungen des bis dahin einzig anerkannten Handlungssubjektes, des Staates, Bahn. Im Rückblick auf den öffentlich-rechtlichen Abschnitt (und Kelsens auf das Recht reduzierten Staatsbegriff) wird es jedoch komplexer. Zunächst könnte man zwar versucht sein zu sagen, öffentliche Zwecke seien hier kaum noch durchsetzbar. Aber Relativierung ist noch nicht Preisgabe. Bloß relativ sind die vielen vorläufigen Verzichte auf Selbstentscheidung durch Verträge und Beitritte. Sie bedeuten nur Selbstbeschränkungen, denn sie sind prinzipiell rücknehmbar. Das zeigt die Analogie zur 87 88 89 Karl Marx/Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, Berlin (Dietz), 1990, S. 98. Die Unausweichlichkeil zeigt z.B. Medicus, "Entscheidungen des BGH als Marksteine für die Entwicklung des allgemeinen Zivilrechts", NJW2000, S. 2921 ff., S. 2922-2924. Der Gesetzgeber will dem jedoch abhelfen. So hat er z.B. die Strafdrohungen für die Körperverletzungsdelikte der§§ 223, 223a, b, 224, 225, 340 II StGB im Jahre 1994 erhöht um das Missverhältnis zu denen für Vermögensdelikte zu bereinigen, vgl. zur Begründung etwa Dreher/Tröndle, StGBKommentar, 47. Aufl. 1995, Rn. 1 zu§ 223 mwN. ln vergleichbarer Absicht soll ein "Zweites G zUr Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften" (vgl. den Regierungsentwurf auf der InternetSeite "www.bmj.bund.de" [Stand 24. September 2001]) die §§ 253 BGB, 117 BundesbergG, 6 HaftpflichtG und 36 LuftVerkehrsG entsprechend reformieren. (Vgl. die Begründung ebenda, S. 31 ff.) . T I' 100 Martin Hochhuth innerstaatlichen individuellen Freiheit, wenn man den Staat durch die Konstruktion des Gesellschaftsvertrages mit ihr verknüpft. ln diesen Fällen bleibt so etwas wie Souveränität übrig, solange die eingegangenen Bindungen noch lösbar wären. Verschiedene völkerrechtliche Begriffe bilden dieses Problemfeld ab. Etwa in der EU die Frage, was es für die Mitgliedstaaten bedeutet, noch "Herren der Verträge" zu sein; dann der Unterschied von der bloß internationalen Organisation zur supranationalen. Völkerrechtlich liegt Relativierung, nicht aber Preisgabe vor, solange die Rechtsmöglichkeit von Kündigung oder Austritt besteht. (Aber wieviel faktisches Vermögen muss zu dieser Rechtsmöglichkeit hinzutreten?) Andererseits sieht die herrschende (und m.E. richtige) Meinung im Völkerrecht eine Unumkehrbarkeit der Rechtsstandards. Die Frage, wie schnell und wie weit Völkergewohnheitsrecht entsteht, wenn Völkervertragsrecht gesetzt ist, ist noch nicht geklärt. Dass jedoch der entscheidende Umschwung bereits stattgefunden hat, sahen wJr etwa am Fall Pinochet, in dem der erreichte Stand gegen einen widerstrebenden Staat durchgesetzt wurde. Daran knüpft eine weitere Überlegung an: Verschwindet hier Souveränität, oder ist doch zurückgedrängt, so bedeutet das noch keine Aufgabe oder Zurückdrängung des Staates. Dieser feine Unterschied ist der Grund, aus dem Kelsen gegen die klassischen Substanzler der Staatsräson recht behält. Denn wer ist denn das "Selbst" dieser "Selbstpreisgabe"? Was heißt Staat? Wenn er die Rechtsordnung ist, dann verwirklicht er sich gerade, indem seine Rechtlichkeit sich durchsetzt. Es ist also ein zwiespältiger Vorgang auch hier, wenn die Politik immobil wird und durch Verrechtlichung verschwindet, innerstaatlich wie international: Hoheitliche Verletzungs-, aber auch Ausgleichsmöglichkeiten werden geschwächt.- Es gilt darum zu unterscheiden. Das GG wie auch das klassische Vernunftrecht gebieten Relativierungen, Erweiterungen und sogar Selbstpreisgaben des Grundparadigmas. Aber bei jeder einzelnen davon droht auch die sinnwidrige Abschleifung, die Paradigmenverwechslung. Sie bedroht unversehens den Fortschritt, für den die Jahrhunderte gestritten haben. Philosophisch kann man sagen, die natürliche Person werde utilitaristisch auf das Wirtschaftssubjekt verengt, der Bürger (citoyen) zum Marktteilnehmer (was schlimmstenfalls den bourgeois bedeuten kann). Dies zeigen alle Bereiche des Rechts, Kommerzialisierung auf der einen Seite, tendenzielle Geringachtung aller nicht in Geld umsetzbaren Güter auf der anderen, von der Umweltqualität über die Kinderaufzucht bis zum kulturellen Niveau. Aber, andererseits: bedeutet denn "Menschenräson" nicht weitgehend "Geldrä,son", also Mehrung des geldwarten Vermögens? Haben Hegel und das BVerfG nicht recht, die der Freiheit eine materielle Basis zugesellen 90 , äußeren Besitz, möglichst in der gesicherten Form als Eigentum? Das schon. Doch hat sich eine Absolutsatzung eingeschlichen durch die Unklarheit über das Eigentliche des Menschen. Im deutschsprachigen Raum kommt die erwähnte Ernüchterung angesichts des Missbrauchs aller über das leibhaftige Individuum erhabenen Abstraktionen, nicht nur der Nation, hinzu. Aus der Generation der unter Hitler erwachsengewordenen neigten vielleicht darum manche zur Überschätzung des Materiellen. Materialistische Verkommenheit haben schon die zeitgenössischen Gegner der Aufklärung vorhergesagt, viele gar als das eigentliche Ziel der Freiheitsbewegung unterstellt. Sie hielten Aufklärung pauschal für Nominalismus, hielten den Nominalismus pauschal für Utilitarismus und den Utilitarismus für Materialismus. Ähnlich gelagerte Irrtümer über die Freiheitsphilosophie kehren seit den 1980er-Jahren teilweise bei neuen Gegnern, z.B. bei manchen 90 Vgl. dazu soeben oben, bei den Fn. 80 und 82. Staatsräson - Geldräson - Menschenräson 101 der US-amerikanischen Neu-Gemeinschaftler ( communitarians) 91 , wieder. Der Irrtum hat einen Grund in der Sache: Es stimmt, daß jene Unerbittlichkeit des analytischen Denkens, das die wissenschaftliche Aufklärung trägt, sich leicht in einen undurchdachten Positivismus verirren und von dort aus zum Materialismus verflachen kann9 2 . Man will sich von keinem Schein mehr trügen lassen. Und man glaubt, weil man mit den vielen falschen Begriffen auch viele Wertsetzungen und Ziele, insbesondere moralische Ziele hat beerdigen müssen, alle Wertsetzungen seien entweder egoistisch oder aber, wenn sie etwas anderes zu sein versuchten, dann beliebig, spekulativ und illusionär. Eine solche Position, die Materiellem letztlich die Entscheidungen zuschreibt, ist jedoch schon logisch nicht haltbar. Denn nicht nur jeder Begriff ist Geist, sondern auch jede Wertung ist ja ein geistiger Vorgang. Eine Wertung kann nicht gewogel') oder anderweitig gemessen werden. Die Unterscheidung von Mittel und Zweck jedoch ist eine Wertung: Was an einer Sache, einem Leben, einer Organisation usw. die "Substanz" sein soll oder ist (die "Hauptsache"), und was bloßes Mittel sein soll, bloße Nebensache u.s~w., das muss ich setzen, also werten. Der Wertsatzung und damit dem Bereich des Ideellen entrinnen wir also nicht. Dennoch scheinen Handelswirtschaft und Geld die neuen, die wahren Paradigmen geworden zu sein. ln anderen Bereichen ist selbst das noch nicht abstrakt genug: Das neue Paradigma ist "das Funktionieren" überhaupt, ein unendlicher Regress, im Blick auf Funktion. Das Mittel ist insgesamt zum Zweck geworden. Autoren schon vom Beginn des 20. Jahrhunderts kritisierten die Sicht der Natur als bloßen Rohstoffs, des Individuums als Menschenmateria1. 93 Diese Verblendung, die den untergegangenen Sowjetmarxismus mit einem sozial, demokratisch, ökologisch und kulturell ungezügelten Kapitalismus 94 eint, würde die Lebensorte der Welt zu reinen Produktionsstandorten machen. 91 92 93 94 Vgl., auch zur geschichtlichen und systematischen Einordnung, Otfried Höfte, "Der Kommunitarismus als Alternative? Nachbemerkungen zur Kritik am moralisch-politischen Liberalismus", Zeitschrift f. philosophische Forschung 1996, S. 92 ff. Zahlreich sind einschlägige Texte von Sibylle Tönnies: Knapp: "Gemeinschaft von oben. Der amerikanische Kommunitarismus, eine antiliberale Bewegung?", FAZ vom 30. 12. 1994, S. 27. Umfassend: Der westliche Universalismus/ eine Verteidigung klassischer Positionen, 2. Aufl.1997, passim, besonders aber S. 235-251.- M.E. zu unkritisch: Kurt Seelmann, Rechtsphilosophie, 2~ Aufl. 2001, S. 184 f., 196 ff. (§ 10 IV) und Rainer Forst, "Kommunitarismus und Liberalismus- Stationen einerDebatte", S. 181 ff., in Axel Horineth (Hg.), Kommunitarismus. Eine Debatte überdie moralischen Grundlagen moderner Gesellschaften, 1995; alle mit weiterführenden Literaturangaben. Zum Utilitarismus: Nicolai Hartmanns Ethik, Kapitel 9 und 10 (in der 3. Aufl. von 1949 S. 81 bis 97). Er zeigt die Bewegung sowohl geschichtlich als auch systematisch in ihrem Zusammenhang. Dort wird auch deutlich, wie es zu obiger Irrtumskette kommt. Positiver akzentuiert ihn Otfried Höfte, Einführung in die utilitaristische Ethik, 2. Aufl. 1992. (Zu scharf scheint mir seine Hartmann-Kritik, vgl. S. 8 f. und öfter.) Vgl. etwa Egon Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit (3. Band von 1931, ich zitiere nach einer einbändigen Ausgabe o. Jahr, 54. bis 79. Tausend derGesamtauflage), S. 1514 f. DerTaylorismus mache uns auch im Frieden zu "Menschenmaterial". Vgl. dazu heute Richard Sennetts "biegsame" Menschen: in The Gorrasion of Character deutsch als Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus, Berlin 1998. Vgl. erneut Friedell, S. 1514: "Kongruent ist auch, trotzumgekehrtem Vorzeichen, die amerikanische und sowjetrussische Wirtschaftsgesinnung, indem sie beide Male die Wirtschaft von einem notwendigen Übel zum Selbstzweck und Lebensinhalt erhöht."- Das gebräuchliche Wort "Amerikanismus" wird dem Land Thoreaus, Melvilles und der vielfältigen freien Minderheiten nicht gerecht. Auch Ersatzausdrücke, etwa Tafts Begriff "Dollarimperialismus", sind noch missverständlicher. Vgl. etwa Kurt Schilling, Geschichte der sozialen Ideen! Individuum - Gemeinschaft - Gesellschaft, 2. erw. Aufl., Stuttgart 1966, S. 75 f., 430, vor allem 466 ff. m.w.N. (S. 469 das Taft-Zitat). Es versteht sich, daß er als "Amerikanismus" eine Geistesart und Politik angreift, nicht etwa die amerikanische ----, i i 102 Martin Hochhuth Die Verwechslung von Menschen- mit Geldräson muss glücklicherweise solange nicht zu einer Zerstörung der Lebensorte führen, wie ein Land insgesamt reich genug ist, so reich, daß diejenigen, die das Geld "verdienen", diejenigen miternähren können, die kein Geld "verdienen". Dieses Miternähren mag freiwillig geschehen, im Familien- und Freundeskreis, oder unfreiwillig, durch Abgaben. Allgemein verwaltete und zugeteilte Leistungen, wie etwa Kindergeld, wie kostenlose Kindergärten, Schulen und Universitäten, kostenlose oder zwangsumlagefinanzierte Krankenversorgung oder Straßenbahnen, können viel, vielleicht genug ausgleichen. VI. Von der entfesselten Abstraktion zur dienstbaren 1. Setzungen nach Funktionalität und zum Schutz des Existentiellen Sehen wir nun, daß die Logik95 eine bewusste Wertung fordert, so brauchen wir das Kriterium für sie. Es scheint mir im gemeinsamen systematischen Kern von Subsidiarität, Demokratie und Rechtsgebundenheit zu liegen. Di.eser Kern ergibt sich aus dem konsequenten Zuendedenken der nominalistischen, genauer: der konzeptualistischen Begriffskritik. Aus jener Wiedergewinnung der menschlichen Souveränität gegenüber ihren Denkwerkzeugen also, die allgemein auf alles Werkzeughafte erstreckt werd~n sollte. Kriterium ist danach der Mittelcharakter, der Grad der Abgeleitetheitvom "unhinterfragbar Gegebenen"96 , d.h. vom axiomatisch Gesetzten: den Endzwecken des Rechtssystems, also der Verfassung, oder aber des Denksystems (Naturrecht oder _neuere Konkurrenten des Naturrechts). Was ist im gegebenen Zusammenhang Mittel oder Zwischenziel, was ist demgegenüber Selbst- oder Endzweck? 2. Vermutung und Fragen zur Analogie des Nominalismus Hinter der Einsicht in die bloße Funktionalität und Fiktionalität aller Begriffe 97 steht allgemeiner die der Nüchternheit und Ökonomie des Denkens. 98 Als Tendenz lässt sie sich, wenn man will, bis ins Alte Testament zum Bilderverbot zurückverfolgen. Sie hat mit dem Logiker Ockham 99 (in manchem Aspekt auch mit Cusanus), später mit Hobbes, Kant, Feuerbach und dem anarchistischen Existenzdenker Max Stirnerauch ihre philosophische Tradition.1oo Sie wirkt in Theorie wie Praxis befreierisch. Kann man nun sagen: Das Verhältnis zwischen Freiheit und Verdinglichungen und Verkörperungen in der Philosophie zeige 95 96 97 98 99 100 Philosophie (zum Unterschied treffend Schmidt/Schischkoff, Philosophisches Wörterbuch, 22. Aufl. 1991, S. 18 ff., S. 19 rechts). Der Sache nach beginnt diese Gesellschaftskritik, ohne das Schlagwort, schon in der Epoche Tocquevilles. Wegen der Unentrinnbarkeif des Problems von Mittel und Zweck, dem logisch unendlichen Rückgang (regressus ad infinitum), in den es führt. Vgl. zum Versuch einer soiGhen zu "Zweiter Naivität" führenden Neu-Phänomenologie in: Hochhuth (oben, Fn. 14), S. 37 (unter bb} sowie S. 76. Zu den "Riesen, auf deren Schultern" dieser Ansatz sich stützt vgl. Matthias Kaufmann, "Ockhams direkter Realismus", in: Merker/ Mohr/ Siep (Hg.), Angemessenheit, Würzburg o.J., S. 21 ff., S. 23, 25. Also hinter dem Prinzip, das wir einleitend schon auf den Staat angewandt haben. Vgl. zu diesem "Prinzip Nominalismus" im Übrigen schon oben im Text, S. 86, nach der Fn. 10. Er ist der Kronzeuge durch das logische Prinzip, für das sich der Ausdruck "Ockhams Rasiermesser'' eingebürgert hat; vgl. Relativitätstheorie (wie Fn. 14}, S. 76 mwN. Der libertäre Zweig des Existenzdenkens, insbesondere Albert Camus, gehört erst recht hierher (vgl. zu ihm Relativitätstheorie passim, insb. S. 461 ). Staatsräson - Geldräson - Menschenräson 103 ebenfalls diesen Vorrang, nach dem das Eigentum oder Vermögen das Mittel zum Zweck bleibt, der Zweck aber der Mensch ist? Dazu, auch nur in Frageform, zwei Überlegungen, die jede für sich eine Untersuchung in Dissertationsstärke wert wären. Zunächst eine philosophiegeschichtliche These. Hier gilt besondere Vorsicht, denn der Historiker ist immer "rückwärts gekehrter Prophet", findet in der Historie eher, was er sucht, als das, was seine Vermutungen widerlegen könnte. Mit diesem Vorbehalt wage ich die These, die Philosophie zeige geschichtlich einen Wandel, grob gesagt "von der Naivität zur Kritik" und "von der Fremdbestimmung zur Selbstbestimmung" (nicht nur, aber vor allem bei den eben genannten Autoren). Dieser allmähliche Fortschritt, in immer neuen Anläufen mühsam errungen, oft abgeirrt, ist doch immer neu aufgenommen worden. Sein wichtigster Strang ist heute, nach dem Tode Adornos, versandet. Daneben erlaube ich mir auch eine philosophiesystematische Frage; eine Vermutung als Forderung: Wie verhält sich der Mensch zu seinem Werkzeug überhaupt, und was macht sein Werkzeug mit ihm? Die Frage gilt einmal den Formenschätzen 101 , in denen und mit denen er lebt: Den Begriffen, Ideen, den Sprachen (Mutter-, Fremdund Fachsprachen); aber auch den handfesteren Werkzeugen, wie etwa dem Geld und den politischen Systemen; und den ganz handfesten, Gebäuden, Geräten, Maschinen, Werkzeug im unbildlichen Sinn, also der Technik. Der Mensch hat sich in einigen Bereichen seiner Weltdeutung und -gestaltung vom Mythischen befreit, das ihn gefangen hielt; in anderen nicht. Er hat Kritik getrieben, vor allem Religionskritik, aber auch kritisches - nämlich wissenschaftliches Denken in allen Bereichen. Sogar "Kritikkritik", wie die linke Hagelschule es nannte, nämlich Metaphysikkritik. Aber er hat oft neue Werkzeuge wieder über sich gesetzt, die ihn ähnlich unfrei hielten, wie die früheren. So geschah es mit dem Begriff des "Staates". Auch wir leben wieder in einer Epoche, die selektiv unkritisch ist: gegenüber Eigendynamiken der Kommunikations- und Medienwelt, der Wirtschafts- und Tauschverkehrsweit und der gegenwärtigen politischen Strukturen und Systeme. Es ist die Sachzwangfalle (und z.B. die Systemtheorie will es uns darin auch noch gemütlich machen). Jene philosophiegeschichtliche Linie, die ich oben als fortschrittliche bezeichnet habe, muss hiergegen fruchtbar werden. Wir sollten sie fortsetzen: Die klassische politische Einheit, der Staat, .soll bei seiner Selbstrücknahme gegenüber den Strebungen des neuen Paradigmas "Mensch" differenzieren. Die Selbstmäßigung des Staates und der übergeordneten völkerrechtlichen Einheiten, die er bildet, zugunsten von allem, was nur Mittel ist (und nicht Selbstzweck, wie der Mensch selbst, wie die Natur, wie Kunst oder Wissenschaft) soll vorsichtiger stattfinden. Besonders zugunsten der Eigendynamik und Eigengesetzlichkeiten, Werkzeuge und Strukturen der Wirtschaft, der juristischen Personen insbesondere des Privatrechts, wie es die AG oder die GmbH sind, muss sie rechtsbewusster geschehen, gesellschaftskritischer. Die neuere Philosophie seit Hobbes und in unwiderleglicher Weise dann seit Kant und den Kantianern hat herausgearbeitet, daß als Sefbstzweck sinnvollerweise wohl am ehesten der Mensch gesetzt werden kann. Dem aber muss die Politik Rechnung tragen, und wir sahen oben, daß es in den Grundwertungen des Grundgesetzes auch so angelegt ist. 101 Cassirers Begriff der "symbolischen Formen" ist für das hier Gemeinte zu eng, weil das Problem sich gerade nicht auf das Symbolische, auch nicht aufs Begriffliche beschränkt. Besonders Technik und Organisationen sind einzubeziehen, um Kritik auch an sogenannten Sachzwängen üben zu können. r l' II 104 3. Martin Hochhuth Politische Anwendungserwägungen und offenes Naturrecht Erlauben Sie für die internationale Ebene eine Utopie: Hier könnte Deutschland in den skandinavischen und den Benelux-Staaten, Kanada, der Schweiz, Österreich und möglicherweise auch anderen hochentwickelten Staaten Verbündete finden und sich mit ihnen für einen selektiven, offen und offensiv vorgetragenen Öko- und SozialProtektionismus einsetzen. Das Arbeitnehmerentsendegesetz 102 ist insofern vorbildlich. Solcher Protektionismus, mit dem Wortlaut und Sinn sowohl des europäischen Unionsvertrages wie auch der WTO-Regeln vereinbar, hülfe Arbeitnehmern und Umwelt weltweit. 103 An zweien der problematischen Eigendynamiken, die die Wirtschaft derzeit bedrohen, lässt sich der Grundgedanke noch einmal verdeutlichen. An den internationalen Geldströmen und an dem Selbstzweck gewordenen, d.h. nicht mehr auf die Wirtschaftskraft der Unternehmen bezogenen, sondern überwiegend mit der Psyche der anderen Aktienhändler spekulierenden WertpapierhandeL Das Tausch-, Rechenund Bewertungsmittel Geld abstrahiert, zur Erleichterung des Tausches, von der Substanz des Getauschten oder Gekauften oder sonstwie Bewerteten. Dadurch wird alles zur Ware. Zwar zählen Markt und Geldwirtschaft im Idealfall, d.h. solange sie funktionieren, zu den besten Mitteln, um Güter und Leistungen zuzuordnen: Sie bringen alle anderen rechenbaren Mittel, Güter, An&prüche usw. dorthin, wo sie am nötigsten gebraucht und folglich am höchsten bezahlt werden. Das funktioniert aber bekanntlich nicht in jeder Hinsicht. Nicht alles ist ja käuflich, gerade die Dinge und Güter des höchsten Wertes haben oft keinen Preis (wie bislang noch Atemluft) oder sind, wie bislang in unseren Breiten noch das Wasser, besonders billig. Die Werkzeuge des Tausches (also das Geld, die Handelsregeln und Märkte, das Zivilrecht u.a.) müssen daher ebenso unter Kontrolle gehalten werden, wie das Werkzeug der Ordnung (d.h. der Staat). Die Behauptung, jede Relativierung ihrer Eigengesetzlichkeiten zerstöre ihre Nutzfunktion, ist ebenso falsch, wie sie beim politisch~n Gemeinwesen falsch war. Lorenz v. Stein und andere Etatisten bauten zum Schutz des Staates ein solches "Entweder-Oder'' auf; schon die Bindung an das Recht erschien ihnen als systemfremd. Heute haben wir es mit Absolutisten des Geldes zu tun. Doch der Ertrag jener kritischen Philosophie trifft auch hier: Wir sind die Zauberlehrlinge unserer Werkzeuge. Der Wandel des Paradigmas läuft auf generelle Mittelkritik hinaus. Gemeinsam 104 ist Ockham und Adorno die Idee allgemeiner Subsidiarität (Nachrangigkeit). Subsidiarität heisst für den Bereich der Theorie, also des Seins, insbesondere der Naturwissenschaften: Darlegungspflicht alles nicht Unmittelbaren, nicht Naturnotwendigen, Evidenten. Sie bedeutet wertungsmäßig, also praxisbezogen, d.h. für den Bereich des Sollens:, Nachrang des Abgeleiteten, Geschaffenen, Übergeord- 102 Zu ihm oben, im Text zwischen den Fn. 55 und 57. 103 "Utopie" nenne ich das wegen der Widerstände. Vgl. die resignierende Bestandsaufnahme und kurze Geschichte der "Internationalen Arbeitsorganisation" (ILO) bei Klaus Dieter Wolf, Die neue Staatsräson - Zwischenstaatliche Kooperation als Demokratieproblem in der Weltgesellschaft, S. 142 ff.- S. 143 f. (mit Fn. 38 m.w.N.) ausdrücklich zum Kampf- gerade der Entwicklungsländergegen die "provocative advocy of the 'new protectionism '" der hinter jeder Verknüpfung von Handel und Sozialstandards gesehen werde. Diese Länder wollen ihre Standortvorteile durch niedrige Arbeitskosten behalten. Sozial- und Ökodumping ist jedoch nicht der einzige Weg, ungleiche Handelsbilanzen auszugleichen oder zu vermeiden. 104 Zu dieser - nur auf den ersten Blick überraschenden - Gemeinsamkeit der beiden sonst so verschiedenen Autoren, sofern es um normative Strukturen geht, vgl. ebenfalls Relativitätstheorie (wie Fn. 14), S. 76. Staatsräson - Geldräson - Menschenräson 105 neten, Begrifflichen. Das aufgeklärte Denken trat ja den sich für objektiv ausgebenden Dynamiken der Obrigkeit entgegen nicht, weil sie staatliche waren, sondern weil und soweit ihnen eine funktionale Legitimität 105 fehlte. Entsprechend sind aber wirtschaftliche Positionen oder weltweite Geldströme keineswegs "Natur'', die es etwa vom Staat zu "befreien" gälte. Sie sind zu kritisieren und zu hegen 106 , damit sie ihrem Schöpfer, dem Menschen, weiter gut dienen; nicht umgekehrt. 107 Der Staat ist der Zügel, das Werkzeug, um diese und andere nützliche Werkzeuge am Durchgehen, am Sichvergaloppieren zu hindern. Nicht nur gegen anarchistische und marxistische, sondern auch gegen postmoderne und postnationale 108 Totsagungen ist er darum zu verteidigen. 109 Weil keine "unsichtbare Hand" zu unserem Wohle wirkt, bedarf es, auf absehbare Zeit, seiner sichtbaren. Analoge Maßstäbe finden wir in den zwar idealistischen aber jeweils auf das konkret-faktische Individuum bezogenen Wertungen der Verfassung: Als End- oder Selbstzwecke nach dem System des geschriebenen Grundgesetzes, also im Staat, erkennen wir diejenigen, um derentwillen er sich selber zurücknimmt; sei es, dass er sich preisgibt, sei es, dass er sich nur relativiert. 110 So finden wir eine (bei näherem Hinsehen nicht überraschende) Übereinstimmung zwischen dem System des geschriebenen Grundgesetzes und dem System des rationalen Naturrechts. Selbst- und Endzweck im Staat sowie der Philosophie ist der konkr~?te Mensch in seinem, mit dem pathetischen Ausdruck Ernst Blochs, "aufrechten Gang", also dem Vermögen- d.h. der ihm zuzusprechenden Anlage 111 - zu Freiheit und Würde. · 105 D.h. eine aus ihrer Sach-Nützlichkeit, aus ihrem handfest einsehbaren Zweck begründete Legitimität fehlte, - nach Ansicht der Kritiker. Natürlich wird dies stets umstritten bleiben. ln der Naturwissenschaft ist Probierstein die Möglichkeit konkreter Meß- oder Beobachtungen; der erste schwarze Schwan erledigt die Theorie, alle Schwäne seien weiss. Im Bereich des Sollens dagegen (d.h. in Recht, Moral und Politik) muß wie soeben (Seiten 101 und vor allem 102, Abschnitt 1) gesagt auch der Maßstab bewusst gesetzt werden. Vgl. zum dahinterstehenden Problem auch schon Fn. 41; zum Lösungsversuch noch unten im Text, mit Fn. 115. 106 Zur Erdung dieser sonst abhebenden Systeme schlagen, ganz im gemeinten Sinne, der Volkswirt Keynes für Wertpapiere und sein Schüler Tobin für Devisen maßvolle Spekulationsabgaben vor. Weitere Maßnahmen "auf UN- oder zumindest OECD-Ebene" insb. gegen den Derivate-Handel schlägt Christoph Erdmenger vor, "Giobalisierung der Finanzmärkte" in Forum Recht 1997, S. 76ft. mwN. S. 78 rechts auch der für ungezügelten Derivate-Handel passende Ausdruck "CasinoKapitalismus". 107 Vgl. dagegen die FAZ vom 3. 2. 1996, die S. 29 titelte: "Tietmeyer: Finanzmärkte kontrollieren die Politik". Der Artikel berichtet, der (damalige) Präsident der Deutschen Bundesbank habe auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos "erklärt[ ... ]", die Rolle der Finanzmärkte als Kontrollinstanz der Politik werde immer wichtiger, sie erhielten die Chance, die Politiker im Zuge der wachsenden politischen und wirtschaftlichen Integration zu disziplinieren etc. und belegt dies- und den Titel- mit einem wörtlichen Zitat. 108 Rainer Wahl bringt es ins Bild: "Der Staat ist das Standbein, die Mitgliedschaft in den internationalen (und supranationalen) Organisationen das Spielbein." Vgl. "Internationalisierung des Staates" in Joachim Bohnert/Christof Gramm/Urs Kindhäuser/Joachim Lege/Altred Rinken/Gerhard Robbers (Hg.) Verfassung- Philosophie- Kirche, Festschrift für A/exander Hollerbach zum 70. Geburtstag, Berlin 2001, S. 193 ff., 221. 109 Im gleichen Sinn ist Höfte zu verstehn, der nur für einen subsidiären Weltstaat argumentiert, weshalb der subjektnähere Einzelstaat seinen "rechtsmoralischen Rang" behält, Demokratie ... (wie Fn. 2), S. 304. 110 Besonders also, wie oben gesehen, der - wie sich aus den Schrankenregelungen ergibt - unterschiedliche änderungsfeste Mindestbestand einzelner Grundrechte. 111 Das ist nichts Empirisches, sondern wie gesagt etwas, was wir "setzen", also behaupten, durchsetzen. rr ' ' ! ' I' :'I 106 4. Martin Hochhuth Fundamentalismus die verquere Antwort auf eine richtige Frage Ein weiteres Argument gegen die Paradigmenverwechslung des triumphierenden Ökonomismus bringen uns jene Fundamentalismen 112 in Erinnerung, die nicht nur im arabischen Raum oder bei den "Milizen" in Michigan, sondern weltweit zu keimen scheinen. Wenn und soweit das Recht nicht kantianisch ist, nämlich den einzelnen Menschen und seine Selbstbestimmung als Selbst- und Höchstzweck setzt, dann droht jener logisch unausweichliche infinite Regress 113 , in dem alles nur Mittel zum Zweck ist. Das "Menschenmaterial" (etwa die konkurrierenden Arbeitnehmer an den konkurrierenden lndustriestandorten) wird dann gegeneinander ausgespielt, worin das im 19. Jahrhundert von Lasalle, Rodbertus und anderen beschriebene sog. "Eherne Lohngesetz" sich zeigt. Wer arbeitet, macht sich zum Mittel. Aber auch wer gerne arbeitet, will ja nicht nur Mittel, will kein Material sein; erst recht nicht, wer seine Arbeitszeit und-kraftentfremdet verkaufen muss. Das ist del"-bedrohte Unterschied zwischen Menschen und Waren. Die Fundamentalismen holen, hier liegt eine Verwandtschaft zu den erwähnten communitarians 114 , eine vorgebliche Substanz zurück. Sie versprechen dem, der zur jeweiligen Gruppe gehört, weil er so ist, wie er ist, Würde, Wert, Ernstgenommenwerden und Ansehen für diejenigen seiner Eigenschaften, die nichts mit tauschwerter Leistung zu tun haben: Weil die Mitglieder der Gruppe Araber oder Weiße, Schwarze, Muslime oder Katholiken sind, gehören sie dazu. Die meist lächerlichen und manchmal fürchterlichen Abgrenzungen nach außen, die für uns Außenstehende den Charakter dieser Gruppen auszumachen scheinen, dürfen nicht über ihren inneren Sinn hinwegtäuschen: Für die Gesellschaft sind sie Krankheitszeichen, für den Staat Sprengstoff. Aber sie retten ihre Mitglieder vor der.Gnadenlosigkeit einer totalen Funktionswelt, die von allem "Eigentlichen" des jeweiligen Individuums abstrahiert. 115 Ich nehme die Fundamentalismen damit nicht in Schutz; il ! 112 Zu ihnen profund Peter Sloterdijk, Weltmarkt und stiller Winkel - Versuch über die Stellung der europäischen Regionen im Weltexperiment des Kapitals (Manuskript für eine .Tele-Akademie" des Südwestfunksam 21. 4. 1996), S. 5, 17 ff., und passim. 113 D.h. wie gezeigt: alles wird nur noch als Mittel zu etwas Anderem gesehen (in Wahrheit: eingeschätzt), das aber auch seinerseits, bei .näherem"- meist ökonomischem -"Hinsehen" (in Wahrheit: materialistischem Umwerten) nur Mittel ist. Usw. · 114 Zu ihnen vgl. die bei Fn. 91 angegebenen Schriften. Daß der .rechte" Flügel des Existenzdenkans aus der Verdinglichungs-kritischen Linie der Philosophie ausschert (vgl. oben, Fn. 100), mag zumindest bei Carl Schmitt auch .kommunitaristische" und zugleich .fundamentalistische" Gründe haben. So rechnet Höffe (Demokratie ... [wie Fn. 2], S. 301 f.) Schmitts Kritik am Weltstaatsgedanken vom "Freund-Feind-Kriterium" her zur kommunitaristischen. Vgl. dazu auch Relativitätstheorie (wie Fn. 14, S. 442 ff.) mit insb. Fn. 1381 und 1409 (S. 451 f., zu Schmitts KatholizismusKampfschrift) .. 115 ln dieser Abstraktion zeigt sich das Gemeinsame aber auch der Unterschied der Deutungsmuster ("Paradigmen"), die heute um den Höchstrang ringen. Vom "Individuellen", seiner wie auch immer zu setztenden "Substanz" sieht das Geld ab, und auch die Rechtsnorm. Das erstere kennt nur Waren, das letztere nur Tatbestände. Der Abschnitt oben 111/3 hieß darum "Die Strafgerichte und das gleichmachende Recht". Denn die staatliche wie die internationale Norm knüpfen ihre Rechtsfolge auch dann an z.B. Entführung, Folter oder Mord, wenn sie von einem Staatshaupt begangen werden, oder im Namen des Glaubens oder von einer traditionell verwurzelten Mafia oder auch in einem außereuropäischen Land, dessen Regierung darauf wert legt, die Menschenrechte seien hier nicht heimisch, sondern eine abendländische Setzung. Gegen die Rechtsfolgen - Verbot oder gar Strafe - hilft dies nichts. (Sowenig wie die Idee Staatsräson half, denn der Staat ist ja die Rechtsordnung.) Höchstwert der Rechtsordnung ist der Mensch; von Bräuchen oder Religion abstrahiert das Recht, soweit nicht besondere Tatbestände vorliegen. (Diese Blindheit bedeutet Gleichheit; sie gehört gerade zu seinem Begriff.) Dieser Höchstwert Mensch aber ist keine reine Abstraktion mehr, sondern zugleich auch konkret. Er ist zwar auch ein Begriff und insofern ein Mittel (zur Erkenntnis, für juristische Verfahren) aber zugleich auch Zweck. Denn sowohl für das System ,1,,.~ ,. ' 1 l l j ~ l ~ J ' l 1 ~ l I I I I i' Staatsräson - Geldräson - Menschenräson 107 aber wir werden ihrer nur Herr werden, wenn wir den vernünftigen Teil ihres Anliegens 116 mit Hilfe des Gemeinwesens befriedigen: Die Strukturen dafür bestehen. Es sind die Verfassungsregeln, die die Räson des bis 1949 erkämpften demokratischen Grundrechts-Staates ausmachen, einschließlich seiner idealistischen, sozialen und humanistischen Vorrangverhältnisse: Es gilt, sie durchzusetzen. des GG wie auch für das VernuAftrecht endet der Regreß bei ihm. Er ist die individuelle leibhaftige Person als Trägerin eines Bündels benennbarer Rechtsgüter. (Sie sind gewählt oder wählbar und ihr Schutz ist, wie sich zeigen läßt, abgestuft nach verallgemeinerbarer Existentialität, d.h. nach Personennähe: Würde und Selbstbestimmung, Leben, Gesundheit, Familie oder sonstige Nähebindung usw.) Demgegenüber fehlt der Geldwirtschaft ein solcher immanenter Höchstwert, an den sie zurückgebunden bliebe. Ihre Abstraktion macht vor nichts von selber halt. 116 Vgl. dazu auch den Vortrag lring Fetschers im Teheraner Goethe-lnstitut über "Das Recht, man selbst zu bleiben" (in: Arbeit und Spiel. Essays zur Kulturkritik und Sozialphilosophie, Stuttgart 1983, S. 146 ff.), S. 152 und passim.