Heimat - Vereins für sozialpädagogische Jugendbetreuung eV

Transcrição

Heimat - Vereins für sozialpädagogische Jugendbetreuung eV
Verein für sozialpädagogische
Jugendbetreuung
Weggehen um anzukommen
Wie viel Heimat
brauchen wir?
Jahresbericht 2015
Impressum
Textbeiträge
Herausgeber
Andre Engelbrecht, Michael Schumm, Geschäftsstelle Nürnberg
Verein für sozialpädagogische Jugendbetreuung e.V.
Tanja Specker, Barbara Auch-Dressler (Vorstand vsj)
Sandra Thiede, Jürgen Stöcklmeier, AD Nürnberg-Fürth
Kontakt
Celia Stowasser, Betreutes Wohnen für UMF
vsj-Geschäftsstelle Nürnberg
Ute Stenzel, Jugendhilfestation Coburg
Pestalozzistraße 21 · 90429 Nürnberg
Sarah Huzli, Jana Funk, Christoph Jakob, WG Fürth
Telefon: (0911) 32 89 86 · Telefax: (0911) 32 62 536
Regina Adel, Familienwohngruppe Frauenaurach
E-Mail: [email protected] · Internet: www.vsj.de
Simone Fahmy, Ambulante Dienste Erlangen
Karin von Minding, IBJ Coburg
Vorstand
Hasan P., Betreutes Wohnen Nürnberg
Tanja Specker, Barbara Auch-Dressler
Cora Schwiebus
A. S. Betreutes Wohnen für UMF
Geschäftsführung
Daniel Boeder, Stanley Lauer AD Nürnberg-Fürth
Andre Engelbrecht, Michael Schumm
Satz & Layout
Redaktionelle Bearbeitung
Thomas Nester
Andre Engelbrecht
Jenny Hopf
Druck & Versand
Xenia Kroker
DCT GmbH Coburg
s Sparkasse
Nürnberg
Wir fördern Bildung
und Soziales in Nürnberg,
Stadt und Land.
Kinder aus dem
städtischen Zentralhort
Veilhofstraße
Inhalt
1 Vorwort
4
8 Berufliche Heimat vsj
Andre Engelbrecht, Michael Schumm
Jürgen Stöcklmeier
(vsj-Geschäftsstelle Nürnberg)
2 Grußwort des Vorstandes vsj e.V.
(Ambulante Dienste Nürnberg-Fürth)
6
9 Das Leben in einer
Jugendwohngruppe
Tanja Specker, Barbara Auch-Dressler
3 Heimat verbindet sich mit Orten,
Menschen, Zeiten und Gefühlen
7
10 My Home is my Castle –
Endlich eine eigene Wohnung
Daniel Boeder, Stanley Lauer
(Familienwohngruppe Frauenaurach)
auch schwieriges Wort
10
11 Fremde oder Freunde
Christoph Jakob
Ute Stenzel
12
12 Ein Heimatgefühl zwischen
Afghanistan und Deutschland
Sarah Huzli, Jana Funk
6 Meine Gefühlswelt, meine
(Betreutes Wohnen für UMF)
15
Simone Fahmy
Versuch einer Definition
32
A. S.
13 Wo ist Heimat? Wo liegt sie?
33
Hasan P.
(Ambulante Dienste Erlangen)
7 Der Begriff Heimat –
30
(Jugendhilfestation Coburg)
(WG Fürth)
Glaubenssätze: meine Heimat
29
(AD Nürnberg-Fürth)
(WG Fürth)
5 Eine neue Heimat auf Zeit
26
Cora Schwiebus
Regina Adel
4 Heimat – Ein schönes, dennoch
24
(Betreutes Wohnen Nürnberg)
22
Sandra Thiede
(Ambulante Dienste Nürnberg-Fürth)
Wenn wir aus Gründen der Lesbarkeit in einigen Textbei-
Den vorliegenden Jahresbericht können Sie sich im
trägen ausschließlich die männliche Form verwenden,
Internet unter www.vsj.de als pdf-Datei herunterladen.
sind damit Frauen und Männer gleichermaßen gemeint.
Die Formulierung „Betreuer“ beispielsweise schließt Betreuerinnen ein.
In einigen Artikeln haben wir die Namen der Jugendlichen
aus datenschutzrechtlichen Gründen geändert.
3
1
Vorwort
Liebe Leserinnen und Leser,
Michael Schumm und Andre Engelbrecht
„Und da bin ich daheim.“ Seit einigen Jahren
laufen im Bayerischen Fernsehen kurze Spots,
die Menschen aus unterschiedlichen Regionen
und gesellschaftlichen Milieus Bayerns zeigen,
die sich mit ihrer Heimat verbunden fühlen
und dies mit einem kurzen Statement und dem
oben zitierten Satz beenden. Ein Plädoyer für
die Vielfältigkeit unserer Gesellschaft und ein
friedliches und tolerantes Miteinander. Wie ist
es denn aktuell um den Begriff „Heimat“ bestellt? Was verbindet uns mit Heimat, was macht
sie für uns so wichtig, warum berufen wir uns
auf sie und was vermissen wir, wenn sie uns
abhandenkommt? Kann es zwei Heimaten geben und kann man eine neue Heimat finden?
Und warum wollen viele diese Heimat nicht mit
anderen teilen? Es gibt da unserer Ansicht nach
keine klaren Antworten. Für viele ist der Begriff „Heimat“ mit bestimmten Faktoren eng
verknüpft, die sehr vielfältig und unterschiedlich sein können, sei es Familie, Landschaft,
Gerüche, Traditionen, Sprache usw. Wir haben
im Laufe des letzten Jahres festgestellt, dass es
für unsere pädagogische Arbeit wichtig ist, sich
näher mit dem Begriff und seinen unterschied-
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lichen Facetten zu beschäftigen, und zwar nicht
nur unter Berücksichtigung der seit 2014 immer
stärker werdenden Flüchtlingsströme, sondern
weil es uns aufgrund unserer Arbeit schon immer wichtig war, darüber nachzudenken, welche
Faktoren zählen, um „heimisch“ zu werden, gerade wenn die Jugendhilfe stellvertretend ein
Zuhause für eine lange Zeit sein soll. Kollegen
wie Jugendliche haben sich darüber Gedanken
gemacht und, wie wir finden, vieles Bemerkenswertes zusammengetragen. Ein herzliches
Dankeschön an alle, die mit ihren Gedanken,
Artikeln und Bildern wieder zum Gelingen dieses
Jahresberichtes beigetragen haben.
In den bewegten Zeiten, in denen wir leben,
müssen sehr viele ihre angestammte Heimat verlassen, für lange Zeit oder auch für immer. Dies
ist an sich kein neues Phänomen. Allein durch
den Zweiten Weltkrieg und dessen Folgen, die
bis heute reichen, wurden Millionen heimatlos
und mussten in der Fremde neu anfangen, seien
es sogenannte Heimatvertriebene in Deutschland oder displaced persons, die nicht einmal
mehr irgendeine Staatsangehörigkeit vorweisen
konnten und von Land zu Land geschickt wurden. Auch damals wollte ein großer Teil der
Weltgemeinschaft die Flüchtlinge nur begrenzt
oder gar nicht aufnehmen. Und für viele Vertriebene war es sehr schwer, in der Fremde Fuß zu
fassen, obwohl die Sprache oft die gleiche war.
Die Mechanismen scheinen also immer noch die
gleichen zu sein?
Heimat ist für mich...
Wo ich mich zu Hause fühle und wo meine Menschen
und Tiere leben, die ich mag und die mich mögen.
Claudia 30 Jahre / Betriebswirtin und Fremdsprachenkorrespondentin
Vorwort
Im vergangenen Jahr beschäftigte uns daher
eigentlich nur ein Thema. Wie schaffen wir es,
den vielen Menschen, die vor Krieg, Not und
tausendfachem Elend zu uns geflüchtet sind,
halbwegs gerecht zu werden. Weder die staatlichen Stellen, noch wir Träger der sozialen Arbeit,
waren auf diesen Ansturm wirklich vorbereitet
und jeden Monat, der ins Land ging, wurden
die Zahlen dramatischer und die Aufgaben immer größer. Wir haben mit der Schaffung von
neuen Projekten für unbegleitete minderjährige
Flüchtlinge versucht, unseren Beitrag zu leisten,
und wurden dabei vielfältig institutionell und
privat unterstützt. Dafür möchten wir uns an
dieser Stelle ausdrücklich bedanken, denn ohne
die breite Unterstützung, die uns und den uns
anvertrauten jungen Menschen zuteilwurde, wären diese großen Aufgaben nicht zu bewältigen.
Die Mitarbeiter in den neuen Projekten haben
tolle Aufbauarbeit geleistet und lernen täglich
dazu, die neuen pädagogischen Herausforderungen zu bewältigen. Ein großer Dank gebührt
ihnen, genauso wie den Kollegen in den anderen Einrichtungen des Vereins, die in 2015
wieder großen Einsatz und Engagement für den
Verein und ihre Klienten gezeigt haben. Unser
ehrenamtlicher Vorstand hat uns intensiv fachlich begleitet und einen sehr wichtigen Beitrag
für das gute Miteinander im Verein geleistet. Wir
sagen vielen Dank für die gute und fruchtbare
Zusammenarbeit auf allen Ebenen.
Die Flüchtlingskrise hat, ob man es wahrhaben will oder nicht, viele Auswirkungen auf die
Entwicklung unserer Gesellschaft. Diese können
positiv sein, aber auch sehr leicht ins Negative
umschwenken. Viele Rückmeldungen aus unserer
täglichen Arbeit zeigen beide Entwicklungen.
Unkenntnis und Fehlinformationen schüren
Ängste, die in vielen Fällen unbegründet sind
und die sich in der Regel durch gute Kommunikation aus der Welt schaffen lassen. Das heißt
1
nicht, dass alles gut ist, sondern dass es natürlich eine Menge ungelöster Probleme gibt
und wir erst am Anfang einer sehr dynamischen
Entwicklung stehen.
Versinken wir deswegen in Schockstarre oder
versuchen wir, es positiv anzupacken und die
Chancen, die sich daraus ergeben, zu nutzen? Es
ist mit Sicherheit kein leichter Weg, auf dem wir
auch auf die hohe Kooperations- und Integrationsbereitschaft aller Flüchtlinge angewiesen
sind. Aber trotz aller Untergangs- und Überforderungsszenarien können wir viel gemeinsam
erreichen. Wegschauen und nur abwehren ist
keine Lösung.
In diesem Sinne wünschen wir Ihnen viel Spaß
beim Lesen unserer „Heimatkunde“.
Andre Engelbrecht, Michael Schumm
Heimat ist für mich...
Heimat kann ein Ort, ein anderer Mensch, ein Gefühl sein. Heimat kann überall sein, da wo wir uns
zugehörig und geliebt fühlen, wo wir uns frei entfalten dürfen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass
man in einer „2“. Heimat genauso glücklich werden
kann, wie in der, in der man geboren wurde. Warum
geben wir nicht voller Liebe und Zuversicht anderen
Menschen die Chance, bei uns eine neue Heimat zu
finden?
Karin von Minding-Hofmann
5
2
Grußwort des Vorstandes vsj e.V.
Herzlich willkommen allen unseren Flüchtlingen, denen wir ein neues Zuhause geben, sie bei
ihrer Integration unterstützen und ihnen helfen
wollen, Erlebtes zu verarbeiten!
Herzlich willkommen all den neuen Mitarbeitern,
die im Laufe des Jahres zu uns kamen!
Herzlich willkommen der neuen Vorständin Barbara Auch-Dressler!
Das Jahr 2015 war gekennzeichnet von vielen
Veränderungen im Verein. Unser langjähriger
Vorstand Heinz Ernst stellte sich nicht wieder
zur Wahl, um seinen verdienten Ruhestand genießen zu können!
Annerose Forster aus der Geschäftsstelle verabschiedete sich Mitte des Jahres nun endgültig
aus der Berufstätigkeit!
Die politische Situation in Europa zwang uns zu
handeln und so entschieden wir uns, für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Angebote zu
schaffen. An all unseren Standorten entstanden
neue Einrichtungen!
Barbara Auch-Dressler, Tanja Specker
Danke an alle Mitarbeiter für das große Engagement, um in dieser kurzen Zeit so viel zu
bewegen und aufzubauen!
Danke an alle neuen Mitarbeiter, die teilweise
unter schwierigen Bedingungen starten mussten!
Danke an die langjährigen Mitarbeiter, deren
herausragende Arbeit wir sehr zu schätzen wissen und würdigen.
Name: Carina Werner
Im August 2012 bin ich nach
Nürnberg gezogen und seit
Oktober 2015 bin ich beim vsj
in der Geschäftsstelle tätig.
Bisher konnte ich in den
verschiedensten
Bereichen
Erfahrungen im Büro und der
Verwaltung sammeln und jetzt
macht es Spaß, sie einsetzen zu können.
„Ich freue mich darauf, vielen Menschen
beim Helfen zu helfen.“
6
Danke auch an alle anderen Beteiligten, die uns
Jugendliche immer wieder anvertrauen, unsere
Arbeit unterstützen und mit denen wir kooperieren!
Tanja Specker, Barbara Auch-Dressler
Heimat ist für mich...
Da, wo meine Eltern sind. Ob wir in der Türkei wären
oder irgendwo, wäre mir egal.
Marc 15 Jahre / Schüler
Heimat verbindet sich mit Orten, Menschen,
Zeiten und Gefühlen
3
Bericht aus dem 2-wöchigen Urlaub der Jugendhilfeeinrichtung
Familienwohngruppe Reuer-Janeck
Ich sitze mit meinem Kaffee in der Hand hier im
Garten unserer schönen Ferienwohnung auf der
Nordseeinsel Wangerooge. Die Vögel begrüßen
den Morgen mit einem fröhlichen Zwitschern
und ich habe Zeit, den gestrigen Tag Revue passieren zu lassen…
Um 4.30 Uhr ging es am Samstag los. Alle Sachen waren bereits gepackt, sodass die Fahrt
beginnen konnte. Mit müden Kindern im Gepäck setzte sich der 9-Sitzer in Bewegung. Im
Dunkeln verließen wir das neblige Frauenaurach, genossen den Sonnenaufgang während der
Fahrt, mit der Fähre über die Nordsee dann den
ersten Nordwind in der Nase, um anschließend
in der Ferienwohnung erschöpft anzukommen.
Das Haus wurde sofort von den Kids gestürmt
um alles zu entdecken und zu erkunden. Es gab
viele Zimmer und bereits zu Beginn ging es los:
WER SCHLÄFT WO? „Ich will ganz oben das Zimmer“, „ja da ist der Fernseher, da will ich hin“,
„ich will aber unten schlafen“, „ und ich will auf
keinen Fall im mittleren Zimmer sein“… So ging
das dann ca. 20 Minuten hin und her, bis eine
einigermaßen gute Lösung gefunden war. Und
schon ging es los, jeder richtete gleich sein Zimmer ein. Ein riesen „Gewusel“ im ganzen Haus
und mitten drin die Betreuer die einigermaßen
versuchten, alles zu koordinieren, sodass nicht
alles im Chaos endete. Nach ca. zwei Stunden
war alles eingeräumt und versorgt. Ein erstes
Wohlgefühl machte sich bei allen breit.
7
3
Heimat verbindet sich mit Orten, Menschen,
Zeiten und Gefühlen
Mit dem anschließenden Abendessen und dem
ersten kleinen Erkundungsrundgang in dem Feriendorf wurde dieses Gefühl verstärkt und jeder
fiel abends glücklich und zufrieden ins Bett.
Wenn wir an neue Orte kommen, richten wir
uns ein, wir gestalten unsere Umgebung schön,
sodass wir uns wohlfühlen. Kann dann auch so
eine Ferienwohnung eine Art Heimat für uns
sein?
Auf den ersten Blick ist der Begriff „Heimat“
vielleicht mit dem Ort verbunden, in dem man
aufgewachsen ist, oder der Ort, an dem man
sich zu Hause bzw. wohlfühlt. Für mich umfasst
der „Begriff“ Heimat jedoch ein viel größeres
Spektrum.
Name: Regina Adel
Alter: 26
Beruf:Sozialarbeiterin B.A.
(FH)
Seit Juli 2015 arbeite ich
in der Familienwohngruppe
Reuer-Janeck des vsj e.V. Besonders gefällt mir hier der
Inklusionsgedanke (Jugendhilfekinder, Flüchtlinge,
Autistin) sowie das familiäre Zusammenleben und
-arbeiten.
Schon als Jugendliche war ich immer in der
Jugendarbeit tätig, weshalb ich nach meiner Arzthelferinnenausbildung dann auch Soziale Arbeit
studierte. Das Praxissemster absolvierte ich in einem
Jugendzentrum, welches mich auch danach nicht mehr
so schnell los wurde und ich dort auf Honorarbasis
weiterarbeitete. Um mein Spektrum in der Jugendarbeit zu erweitern, arbeitete ich danach in einer
Flüchtlingswohngruppe für minderjährige Mädchen
und im Anschluss führte es mich zur Familienwohngruppe Reuer-Janeck.
„Jugendliche aus unterschiedlichsten Familien, Herkunftsländern, mit verschiedensten Vergangenheiten
und Bedürfnissen, stellen uns immer wieder vor
Herausforderungen, aus denen wir alle - Kind und
Erwachsener - lernen und wachsen können.“
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Heimat verbindet sich mit Orten, Menschen,
Zeiten und Gefühlen.
Wenn ich nun meinen Arbeitsplatz in der Familienwohngruppe Reuer-Janeck mit allen
Jugendhilfekindern betrachte, bestärkt dies
auch nochmals meine Aussage. Für die Kinder
ist zunächst einmal ihre Heimat bei ihren Eltern,
in ihrem Geburtsort, gebunden an das Haus/die
Wohnung in dem/der sie groß geworden sind.
Dennoch haben sie auch hier bei uns eine Heimat gefunden. Sie leben und wohnen hier, haben
täglich unterschiedliche Personen um sich herum, in der Schule, bei Freunden sowie zu Hause.
Also verschiedene Orte, die zusammengenommen wichtige Stationen für die Kinder sind.
Heimat verbindet sich mit Orten, Menschen,
Zeiten und Gefühlen
An diesen verschiedenen Orten begegnen sie
Menschen, die ihnen wichtig werden oder geworden sind, und verbreiten ein Wohlgefühl,
welches die Kinder gerne zu diesen Menschen
zurückkommen lässt. Diese Menschen wachsen
einem ans Herz und werden in Erinnerung bleiben, sowie zu neuen Begegnungen mit anderen
Menschen führen, die wiederum Gefühle hervorrufen werden.
Gefühle werden durch Orte, Menschen und Zeiten
ausgelöst, positive wie negative. Selbst wenn
wir Negatives in unserer Vergangenheit erlebt
haben, wie die Jugendlichen in der Familienwohngruppe, so gehören auch negative Gefühle
zu ihrer Heimat. Dennoch haben sie auch Gutes
dort erfahren können, was zu einem Wohlgefühl
und somit auch zu einem Heimatgefühl führt.
Zeitabschnitte verbergen ebenfalls Heimat in
sich. Im Hinblick auf die Jugendlichen in unserer
Familienwohngruppe, haben alle ihr persönliches Heimatgefühl in der Zeit bei ihren Eltern,
bzw. Erziehungsberechtigten. Nun beginnt für
die Kids ein neuer Zeitabschnitt in der Familienwohngruppe, und sie können sich wieder eine
weitere und neue Heimat aufbauen.
Zusammengefasst ist Heimat also an Orte, Menschen, Gefühle sowie Zeiten gebunden.
Im Hinblick auf diese Definition kann doch also
auch ein Urlaubsort jemandem eine Heimat bieten. Heimat kann man mitnehmen, Heimat liegt
in einem, Heimat trägt man mit sich herum wie
einen Reisekoffer. Ich kann also meine Heimat
in einen Koffer packen, an neuen Orten auspacken, neue Erfahrungen und Gefühle dazulegen,
und Erinnerungen und Begegnungen aus dieser
Zeit mitnehmen.
3
Name: Marcus Christian
Müller
Alter: 26 Jahre
Beruf:Erzieher
Seit dem 01. Oktober 2015
unterstütze ich die Familienwohngruppe Reuer-Janeck bei
ihrer täglichen Arbeit. Schon
im Bewerbungsgespräch wurde
mir klar, dass das Konzept einer Familienwohngruppe
sehr interessant für mich ist.
Nach meiner Ausbildung an der Fachakademie für
Sozialpädagogik in Hof, bei der ich viele Erfahrungen in verschiedenen Arbeitsfeldern sammeln durfte,
wollte ich eine neue Herausforderung. Nun bin ich
seit kurzer Zeit in Erlangen und fühle mich super
in das Team integriert.
Von klein auf hörte ich von meiner Oma immer einen
Spruch, der sich bei mir eingeprägt hat.
„Zwei Dinge sollen Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel.“ - J. W. von Goethe
Wir benötigen Wurzeln, um fest stehen zu können, auch
wenn um uns mal alles stürmt und tobt. Flügel aber
brauchen wir zum Träumen und damit wir uns nicht
alleine mit der Bodenhaftung zufrieden geben.
Diese Zeilen sind sehr gut als Inspiration für die
eigene Lebensgestaltung, denn es ist nie zu spät,
an dem zu arbeiten, was es uns ermöglichen kann,
glücklich und zufrieden zu leben.
Dementsprechend ist Heimat meiner Meinung
nach ein sehr flexibler Begriff, der keine klaren
Grenzen beinhaltet, wodurch er für jeden Menschen individuell gestaltet werden kann, und
das ein Leben lang.
Regina Adel
Heimat ist für mich...
Ein Ort, an den ich gerne zurückkehre und wo ich die Zeit habe,
zu mir zu finden.
Ulli 50 Jahre / Lehrer, Coach, Familienhelfer
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Heimat
Heimat – Ein schönes, dennoch auch schwieriges Wort
Ein mit Bedeutung aufgeladenes Wort. Was ist
Heimat? Jedem fällt dabei sofort etwas ein, jeder hat eine Vorstellung davon. Aber wie soll
man Heimat erklären? Ist Heimat einfach der
eigene Herkunftsort? Nein, Heimat ist mehr.
Mehr als Heim, mehr als Heimatstadt, mehr als
Heimatland. Heimat ist eigen, konturlos, verschwimmend in Farben und Formen, ausufernd
und ungreifbar wie ein Traum.
In so einer „Heimat“ arbeite ich. Einer Jugendwohngruppe mit sieben jungen Erwachsenen,
meistens im Alter von ungefähr 14 bis 19. Nicht
unbedingt das Erste, was eines der Kinder als
Heimat nennen würde, trotzdem vorübergehend
der Ort, an dem sie leben. Heimat zu erleben
sollte eine universelle Erfahrung sein, eine, die
jedem Menschen widerfährt. Stellt sich die Frage: Wie entsteht Heimat? Und welche Bedeutung
hat sie für unsere jungen Erwachsenen?
Name: Jana Funk
Alter: 30
Beruf:Sozialpädagogin B.A.,
Erzieherin
Seit Juni 2015 bin ich ein fester Teil des Wohngruppenteams
in Fürth.
Im Anschluss an die Erzieherausbildung habe ich Soziale Arbeit an der
Evangelischen Hochschule in Nürnberg studiert. Während und nach dem Studium war ich als pädagogische
Aushilfe und später als Teilzeitkraft in der WG
Fürth tätig.
Berufserfahrungen konnte ich in unterschiedlichen
Einrichtungen der stationären Jugendhilfe sammeln.
Mein Semesterpraktikum absolvierte ich in einem Beratungszentrum der Drogenhilfe.
„Durch die Fähigkeit, sich dort wohlzufühlen,
wo man ist, entsteht Heimat.“
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Heimat zeigt sich oft im Individuellen. Manchmal würzen unsere Schützlinge das Essen nicht
auf die von uns erwartete Art und Weise, sondern wie sie es früher in ihren Familien erlebt
haben. Sie gestalten ihre Zimmer nicht nach
unserem Geschmack, wollen Dinge in den Wohngruppen verändern, die uns erst nicht passen
oder ungewohnt sind. Diese kleinen, oft als störend empfundenen Momente, können einen Teil
dazu beitragen, dass dieses Gefühl des „DaheimSeins“ stärker wird. Nicht immer entspricht
Verhalten, Ordnung oder Geschmack unserem
Bild der WG.
Ich kann mich noch gut an eine Situation mit
einem frisch eingezogenen Mädchen erinnern.
Heimat
4
Mein Name ist Christoph Jahn
und ich arbeite seit September
in der WG in Fürth. Ich bin
Sozialpädagoge und war zuvor
acht Jahre lang als Inklusionsberater und Jobcoach tätig, habe
also Menschen mit Behinderung
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt qualifiziert. Während
dessen und zuvor habe ich auch erlebnispädagogisch
mit Auszubildenden und Schülern gearbeitet.
Fantastischerweise gehören zu mir zwei Kinder und
eine Frau. Wenn ich nicht mit ihnen am Wandern oder
am Spielplatz bin, bin ich auf dem Skateboard zu
finden oder in meiner Werkstatt in der ich Möbel und
Schmuck aus alten Skateboards herstelle.
Heimat? Heimat hat in der letzten Zeit einen komischen Beigeschmack bekommen -Heimat ist für mich
an keinen Ort gebunden. Heimat ist dort, wo man
sich wohl fühlt.
Menschen diese Fähigkeit mitzugeben, sich
wohlfühlen zu können.
Sie hatte ein kleines Bild an die Wand gehängt.
Im Querformat. Es hing immer schief und als ich
es bemerkte sprach ich sie darauf an. Das Bild
sei doch schief, sie müsse es gerade aufhängen. Sie lächelte und antwortete mir, es sei so
gewollt. Daheim hing es auch immer schief und
dieser „Fehler“ gab ihr das Gefühl von daheim.
Dieses Gefühl des Zu-Hause-Seins entsteht, wenn
man die Fähigkeit hat, sich dort wohlzufühlen,
wo man ist. Wenn man kleine Erinnerungen oder
Verhaltensweisen beibehält, die im Bezug zur
Vergangenheit stehen. Wenn man sich auf neue
Umgebungen einlässt. Wer das nicht kann, ist
nie daheim - selbst wenn er seinen Geburtsort niemals verlassen hat. Heimat kann man
sich machen. Egal wo. Und man kann helfen,
„Erst die Fremde lehrt uns, was wir an der Heimat besitzen“, schrieb Theodor Fontane. Wer
von uns kennt das nicht? Ein längst ausgezogener ehemaliger Jugendlicher, heute erwachsen,
besucht seine alte WG und erklärt voller Überzeugung, wie gut er es hatte, und fragt sich, wie
er nur unzufrieden sein konnte? Erst mit etwas
Abstand vergisst man die Fehler, den Ärger und
das Nervige der (alten) Heimat. Ich denke, das
Ziel ist erreicht, wenn einer unser ehemaligen
Schützlinge vor der Tür steht und sagt: Er vermisse seinen alten Wohnort oder wie gut die
Zeit war. Denn dann vermisst er ein ehemaliges Zuhause. Vermisst einen Platz, der, wenn
auch nur kurz, seine Heimat gewesen ist. Und
ist es nicht genau das, was wir wollen? Einem
Menschen das Gefühl geben, bei uns „daheim“
gewesen zu sein? Wenn das das Ergebnis unserer
Arbeit ist, war es gute Arbeit.
Christoph Jakob
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5
Eine neue Heimat auf Zeit?
Die Verselbständigungsgruppe Maxstraße Fürth stellt sich vor!
„Party, Spaß, Freiheit, ausschlafen und jeden
Tag Nudeln“ – das sind oft die ersten Antworten, die wir von Jugendlichen bekommen, wenn
wir sie nach ihren Vorstellungen von der ersten
eigenen Wohnung fragen. Dass sie neben den
schönen Dingen im Leben auch noch Verantwortung übernehmen, den Haushalt eigenständig
führen und ihre finanzielle Existenz sichern
müssen, ist vielen nicht ganz klar. Wie auch? Sie
haben in der Regel noch nicht alleine gewohnt
und können sich daher auch nur in Ansätzen
vorstellen, welche Herausforderungen damit
verbunden sind. Die langjährige Erfahrung des
Wohngruppenteams Fürth hat gezeigt, dass die
Schritte hin zur eigenständigen Lebensführung für viele Jugendliche mit einer großen
Unsicherheit verbunden sind und sie die Verantwortungsübernahme teilweise überfordert. Es
kam daher die Idee auf, den Übergang zwischen
einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung und dem Leben in den eigenen vier Wänden als Übungsfeld
für heranwachsende junge Menschen bewusst
zu gestalten und ihnen mithilfe pädagogischer
Unterstützung die Möglichkeit zu geben, die
Anforderungen im Verselbständigungsprozess
schrittweise zu erproben und zu festigen.
Nach konzeptionellen Überlegungen und einer
langen Renovierungsphase konnte nun im Oktober 2015 die Verselbständigungsgruppe in der
Maxstraße 24 in Fürth mit einem Platzangebot
für zwei Jugendliche eröffnet werden. Die Erdgeschosswohnung des Wohnhauses, in welchem
sich auch die heilpädagogische Jugendwohngruppe befindet, verfügt über zwei geräumige
und voll möblierte Einzelzimmer für die Jugendlichen, eine voll ausgestattete Wohnküche, ein
saniertes Badezimmer mit Dusche, eine Waschmaschine sowie einen geräumigen Flur mit
Garderobe.
Das Angebot richtet sich an Jugendliche ab 16
Jahren, bei denen nach intensiven Erfahrungen
in einer stationären Jugendhilfemaßnahme die
Rückkehr in das familiäre Umfeld nicht möglich
ist und im Rahmen des Hilfeplanverfahrens die
Verselbständigung in die eigene Wohnung angestrebt wird. Des Weiteren werden Jugendliche
aufgenommen, die in ihrem bisherigen Lebenskontext keine angemessene Unterstützung und
Begleitung im Verselbständigungsprozess erfahren konnten.
Betreut werden die jungen Menschen täglich
von Montag bis Freitag nach zeitlicher Absprache von einer aus dem Wohngruppenteam eigens
dafür freigestellten pädagogischen Fachkraft.
Mit zunehmenden Entwicklungsfortschritten
im Verselbständigungsprozess wird die Betreuungszeit an die individuellen Bedürfnisse der
Jugendlichen angepasst. In den Nächten und am
Wochenende stehen für Notfälle die anwesenden
Mitarbeiter der Wohngruppe zur Verfügung.
Die jungen Menschen finden in der Verselbständigungsgruppe individuell auf ihre Ressourcen
und ihren Bedarf abgestimmte Unterstützung
in der Haushaltsführung, der Strukturierung
des Tagesablaufes, im Umgang mit Finanzen, im
Aufbau eines sozialen Netzwerkes und in Schul-,
12
Eine neue Heimat auf Zeit?
5
Ausbildungs- und Ämterangelegenheiten. Die
pädagogische Fachkraft steht ihnen auch in
Konflikt- und Krisensituationen beratend und
begleitend zur Seite und unterstützt die Jugendlichen zum Betreuungsende hin bei der
Suche nach einer Wohnung oder einer geeigneten Anschlussmaßnahme sowie bei der Klärung
der materiellen Absicherung und psychosozialen Versorgung. Angebote der Freizeitgestaltung
mit dem Mitbewohner bzw. der angeschlossenen
Wohngruppe bilden einen weiteren Betreuungsschwerpunkt.
Ein wichtiges Augenmerk unserer pädagogischen Arbeit richtet sich auf die Partizipation
von Jugendlichen. Wir fördern und fordern die
jungen Menschen, aktiv an der Ausgestaltung
ihres weiteren Lebensweges teilzuhaben. Aufgrund dessen war es uns besonders wichtig,
die beiden Jugendlichen in die Gestaltung der
Wohnung und in den Ablauf der Betreuung mit
einzubeziehen. Wir möchten den Jugendlichen
durch Transparenz, Wertschätzung und Akzeptanz einen Raum eröffnen, in welchem sie sich
erproben können und ihre Einstellungen und Be-
dürfnisse kennen- und vertreten lernen, unter
anderem auch, um sich wohlfühlen zu können.
Ob sich die Jugendlichen in ihrem neuen „Zuhause auf Zeit“ gut eingelebt haben und was
der Begriff „Heimat“ für die beiden bedeutet,
haben sie uns verraten:
Sarah Huzli und Jana Funk
Interview mit unseren Bewohnerinnen
Eine neue Heimat auf Zeit? Was haltet ihr von
der Überschrift und was bedeutet Heimat für
euch? Heimat: mehr als nur Ort?
Christina: Ich finde die Überschrift unpassend,
weil für mich Heimat etwas Dauerhaftes bedeutet. Außerdem muss ich mir keine Gedanken um
einen „neuen Platz“ machen.
Sandra: Für mich ist Heimat nicht nur ein Ort,
sondern auch ein Gefühl der Sicherheit und des
Wohlfühlens. Dazu schließe ich Freunde und Familie mit ein.
Ihr wohnt jetzt seit fast vier Wochen in der
Verselbständigungswohngruppe. Wie geht es
euch und wie habt ihr euch eingelebt? Wie
fühlt es sich an, den weiteren Schritt zu gehen?
Christina: Es ist richtig schön hier, man kann
vieles aus der WG oben selbstständig anwenden
und lernt viel dazu, was man im Alltag sonst
noch so wissen muss.
Sandra: In der neuen Wohnung geht es uns
ausgesprochen gut. Hier können wir Ruhe und
Freiheit genießen. Natürlich haben wir auch mal
anstrengende Tage, aber an solchen unterstützen wir uns gegenseitig, um gut mit unserer
neuen Situation klarzukommen.
Was ist euch in der Wohngruppe besonders
wichtig, um euch wohlzufühlen?
13
5
Eine neue Heimat auf Zeit?
Welche Erwartungen habt ihr an das Zusammenleben?
Christina: Dass man sich an gegenseitige Absprachen hält, und dass auch weiterhin die
Privatsphäre akzeptiert wird.
Sandra: Ich finde es gut, nicht mehr um 22.00 Uhr
auf dem Zimmer sein zu müssen. Wichtig ist
mir, dass ich neue Erfahrungen sammeln kann
und dass dies unter Einhaltung von Absprachen
und gegenseitigem Respekt möglich ist. Auch
die Einhaltung von Privatsphäre ist mir wichtig,
d. h. anklopfen und nicht ins Zimmer gehen,
wenn man nicht da ist. Auch der Betreuer darf
nicht einfach ins Zimmer, selbst wenn man da
ist.
Die heilpädagogische Wohngruppe war für
mehrere Monate oder auch Jahre euer Zuhause. Was fehlt euch und was war wichtig für
euch, mitzunehmen?
Christina: Manchmal fehlt mir das Zusammensitzen mit den anderen, da man viele schon
Name: Manuela SüSS
Alter: 25 Jahre
Beruf:Ab 2016 Sozialpädagogin
B.A.
Ab Oktober 2012 habe ich mein
Semesterpraktikum
in
der
Heilpädagogischen
Jugendwohngruppe Fürth absolviert.
Danach war ich dort weiterhin
als Aushilfskraft tätig.
Seit Oktober dieses Jahres arbeite ich nun in der
Verselbständigungsgruppe in Fürth. Es freut mich,
dort zwei junge Frauen, die ich bereits in der Wohngruppe erleben durfte, bei ihrem nächsten Schritt
Richtung Selbstständigkeit begleiten zu dürfen
Heimat ist für mich jeder Ort, an dem es Menschen
gibt, bei denen ich sein kann wie ich bin.
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lange kennt und man auch nicht immer alleine
ist, sondern jemanden um sich hat, mit dem
man etwas unternehmen kann, wenn einem der
Sinn danach steht.
Sandra: Was ich vermisse ist das Zusammenleben mit gewissen Mitbewohnern und vertrauten
Betreuer/innen, die ich über die Jahre als Familie betrachte und dass immer jemand da war,
mit dem man sich unterhalten konnte und Spaß
haben konnte. Ich nehme viele wundervolle Erfahrungen und Erlebnisse mit.
Nach der Zeit in der Verselbständigungswohngruppe werdet ihr voraussichtlich eine
kleine Wohnung beziehen. Wie und wo stellt
ihr euch eure erste eigens geschaffene Heimat vor?
Christina: Ich würde gerne wieder in meine alte
Heimatstadt ziehen und auch etwas abseits der
Stadt wohnen wollen, da man dort auch etwas
mehr Ruhe hat und trotzdem einige Leute um
sich hat, aber dort auch nicht zu viel los ist.
Sandra: Ich würde gerne mit einer Freundin oder
meinem Freund zusammen in eine Zwei- bis DreiZimmer-Wohnung. Am liebsten auf dem Land mit
guter Anbindung an die Stadt.
Meine Gefühlswelt, meine Glaubenssätze:
meine Heimat
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Das Gefühlskissen als eine Methode des Erlanger Teams
Manchmal rattert in den Büroräumen in der
Äußeren-Brucker-Straße in Erlangen die Nähmaschine, manchmal ist es sehr still, wenn
Mitarbeiter mit ihren Klienten an einem Gefühlskissen arbeiten, besonders wenn das Kissen
in einer mühevollen Handarbeit genäht wird.
Mal fliegt eine Farbenpracht durch das Büro,
manchmal wird es auch dunkel. Die Methode
des Gefühlskissens hat schon viele Klienten und
Jugendamtsmitarbeiter begeistert, da dieses
Kissen Gefühle sichtbar und greifbar macht.
In der Begleitung von Menschen wird in den ambulanten Diensten immer wieder der Fokus auf
die Gefühle gelegt, die einen Menschen beeinflussen und manchmal behindern, notwendige
Schritte zu gehen.
Im übertragenen Sinne gehen wir mit den Klienten der Frage nach, ob sie sich in sich mit ihren
Gefühlen beheimatet fühlen, oder ob dies nur
der Wohnort ist, an dem sie geboren und aufgewachsen sind und ob sie den Wunsch haben, sich
eine eigene (emotionale) Heimat zu schaffen.
Bin ich mit der (von meinen Eltern bzw. meiner Vergangenheit geprägten) Heimat zufrieden,
oder möchte ich mich auf den Weg machen, die
Heimat zu suchen, die ich mir selbst aussuchen
und gestalten kann?
Generell geht es bei der Methode des Gefühlskissens um ein Freiraumschaffen. Einen Abstand zu
bekommen, in dem es mir möglich wird, Dinge
aus der Distanz zu betrachten. Was man mit
einer Kur, einem Urlaub etc. schafft – nämlich
herauszutreten aus der Alltagssituation – wird
innerhalb der Arbeit mit dem Gefühlskissen
möglich.
Viele Menschen werden aber tagtäglich von ihren Erfahrungen und Erlebnissen, die sie bisher
gesammelt haben, gesteuert. Die Psychosynthese, begründet vom Psychiater Robert Assagioli,
geht davon aus, dass der Mensch eine Vielzahl
von Rollen innehat, die er tagtäglich ständig
wechselt und von einer in die nächste Rolle
„hüpft“. So wie Assagioli es als Ziel ansieht,
sich immer wieder selbst hinter all den Rollen
kennenzulernen, so ist es auch in der Arbeit
mit dem Gefühlskissen das Ziel, zum eigenen
Ich zu gelangen. Denn nur das eigene „Ich“,
welches autonom entscheiden kann, wann es
sich in welchen Rollen und Beeinflussungen aufhält, ist frei. Es soll darum gehen, sich selbst
klar zu werden, wann ich als „Ich“ handle und
wann ich eine Beeinflussung von außen (z. B.
durch generationsübegreifende Glaubenssätze),
also dem „Rucksack“, den jeder Mensch mit sich
herumträgt, zulasse. Diese emotionale Einflussnahme auf das eigene Verhalten soll anhand
eines selbst entworfenen und selbst genähten
Kissens verbildlicht werden.
Die Methode des Gefühlskissens schafft eine
wunderbare Möglichkeit, dem Verworrenen und
Unsichtbaren eine Gestalt zu geben, um etwas
Diffuses klarer werden zu lassen und damit in
Beziehung dazu treten zu können, indem es externalisiert wird.
Bei Erwachsenen ist dieses Etwas oft erst einmal
gar nicht konkret ausgeprägt und sichtbar. Es
ist eher ein Gefühl der Fachkraft, dass das ganze Handeln meines Gegenübers stark von den
Erlebnissen der Vergangenheit und Glaubenssätzen beeinflusst wird. Oftmals haben wir es bei
unserer Arbeit mit traumatisierten Menschen
zu tun. Es ist eher etwas Verschwommenes,
auch etwas, bei dem wir als sozialpädagogische
Fachkräfte eher an die Notwendigkeit einer therapeutischen Unterstützung denken. Es geht um
die Dinge, die tief im Klienten versteckt und
verdrängt sind, aber das Verhalten extrem stark
beeinflussen. Wir haben besonders oft Menschen
vor uns, die keinerlei Zugang zu sich selbst und
Angst haben, in sich selbst hineinzulauschen.
Wenn man dem Klienten die Sicherheit und die
Zuversicht gibt, dass es gut ist, das kennenzu-
15
6
Meine Gefühlswelt, meine Glaubenssätze:
meine Heimat
lernen, was mich so behindert, sind die meisten
bereit dazu, sich auf den Weg zu machen.
In der Arbeit mit Kindern ist das Etwas oftmals
einfacher und schneller zu sehen. Es taucht oft
viel direkter auf und wird als störendes Verhalten von den Eltern beschrieben. Ängste, Wut
etc. geben Hinweise auf das Etwas und es kann
dadurch von Anfang an konkret benannt werden.
D. h. man kann im ersten Schritt direkt von
der Wutwolke oder der Angst etc. sprechen und
überlegen, wie die Wut/ Angst etc. aussehen
würde, wenn diese sichtbar wäre.
Im zweiten Schritt kann man das Kind fragen,
was denn diese Wutwolke an Botschaften mitbringt. Was sagt Sie, dass du so wütend wirst?
Wie kann sie dich genau da verletzen oder kitzeln, dass du austickst?
Im Folgenden sind die konkreten Schritte für
das Anfertigen eines Gefühlkissens aufgelistet.
Alle Schritte sollen allerdings nur Vorschläge darstellen. Generell ist diese Methode tief
humanistisch geprägt und greift das auf, was
vom Klienten kommt. Schritte können also auch
durcheinandergeworfen werden. Wir haben sie
als Schritte bezeichnet, um eine Vorstellungen
vom Prozess dieser Methode zu erhalten.
Schritt 1 (Das imaginäre Kennenlernen und
das Beobachten)
Rein imaginär versucht man zunächst, sich eine
Situation vorzustellen, in der man immer wieder anders handelt, wie man eigentlich möchte.
Jetzt gilt es, sich eine Gestalt vorzustellen, die
Gestalt, die eventuell neben einem sitzt, einem ins Ohr flüstert, einen umarmt. In diesem
Schritt ist es noch nicht wichtig zu schauen,
was diese Gestalt einem für Botschaften zuruft oder einflüstert. Wenn es dennoch schon
auftaucht, wird es notiert. Generell ist es ein
„In-die-Fantasie-gehen“, dem Etwas eine Gestalt zu geben. Kurzum: Man versucht so viel wie
16
möglich von diesem Etwas zu erfahren,…
Schritt 2 (Die Namensfindung)
Wenn die Gestalt eine Form angenommen hat
sollte sie einen Namen bekommen. Es wird extrahiert und sichtbar. Erst das Sichtbare kann
ich kennenlernen und in Beziehung treten. Wenn
das Etwas nicht mehr gefühlsmäßig in mir ist,
kann ich mit diesem in Beziehung treten und
aktiv eine Beziehungsarbeit starten.
Schritt 3 (Das Nähen)
Im dritten Schritt steigt man in das wirkliche
Sichtbarmachen ein. Man sucht einen passenden
Stoff und bringt das imaginäre Bild auf Papier,
sodass man eine Vorlage für das Kissen hat.
Schritt 4 (Die Versöhnung mit der Vergangenheit und In-Beziehung-Gehen)
Oftmals fallen einem nur die negativen Aspekte des Etwas ein. Es ist aber wichtig, auch zu
schauen, vor was einem das Etwas geschützt hat
und was die positiven Seiten waren/sind und
weshalb es überhaupt da ist. Dieser Schritt ist
wichtig, um dem Klienten zu einer Aussöhnung
mit der Vergangenheit zu ermöglichen.
Oftmals wird es dem Klienten wichtig sein, dass
Liselotte – die Wutwolke
Meine Gefühlswelt, meine Glaubenssätze:
meine Heimat
das Etwas nicht ganz verschwindet. Dennoch ist
es Ziel, dass der Klient bestimmen darf, wann
das Etwas nah sein darf und wann nicht. Er muss
die Oberhand darüber gewinnen! Er soll entscheiden dürfen, wann das Etwas zu ihm spricht
und wann es still zu sein hat!
Schritt 5 (Botschaften und Glaubenssätze)
In den Schritten 1 - 4 geht es vorwiegend um
das beobachtbare Verhalten des Klienten als
Folge der Beeinflussung des Etwas. Im Laufe
der Nähphase soll der Klient aber dafür sensibilisiert werden, welche Botschaften und Sätze
auftauchen, wenn das Etwas kommt. Es soll immer wieder nachgespürt werden, welche Sätze
das Etwas einem sagt, ins Ohr ruft oder einem
in die Gedanken legt. Diese werden gesammelt
und notiert.
Schritt 6 (Ein Etwas von Generationen?)
Zu einem späteren Zeitpunkt kann man schauen, ob es dieses Etwas auch in vielfältigen
Ausführungen und ähnlichen Kopien in der
Herkunftsfamilie gibt. Ist es ein GenerationenEtwas, welches nicht nur mich heimsucht? Wenn
dies zutrifft, wird dem Klienten dadurch klarer,
dass andere Familienmitglieder eventuell vom
gleichen Etwas beeinflusst werden und
es noch nicht kennengelernt und steuern
gelernt haben. Oftmals entsteht dadurch
ein tiefes Verständnis beim Klienten, da
das Verhalten eben nicht mehr diesem
Menschen zugeordnet
6
wird, sondern der Grund dafür von diesem extrahiert und als Beeinflussung von außen erlebt
werden kann.
Schritt 7 (Die Botschaften des Kissens packen)
In diesem Schritt sollen alle Botschaften, Glaubenssätze und Aussagen gesammelt werden, die
im Laufe der vorhergehenden Schritte auftauchten. Ein Zettel wird pro Botschaft angefertigt.
Oft eignet es sich, einen kleinen Rucksack oder
Beutel anzufertigen, in den diese Botschaften
hineingelegt werden. Das soll bewusst machen,
welche Botschaften, das Etwas mitbringt, wenn
es kommt. Das Kissen bekommt einen Rucksack.
Schritt 8 (Platz des Kissens & Möglichkeiten)
Zum Schluss soll ein Platz für das Kissen gesucht
werden. Anderen Familienmitgliedern kann das
Kissen vorgestellt werden. Gemeinsam kann
überlegt werden, wann das Kissen hervorgeholt
wird, um die unsichtbare Beeinflussung des Kissens aufzudecken.
Es darf darauf herumgesprungen werden, es darf
gehauen werden… die Wut, wenn es ungefragt
gekommen ist, darf sichtbar gemacht werden.
Nicht nur vom Akteur, sondern auch von anderen
Familienmitgliedern.
Emotionale Heimaten werden also sichtbarer
und konkreter. Sie können dadurch wunderbar
neu entwickelt und gestaltet werden.
Simone Fahmy
Liselotte kann sehr gut die Wut in einem herauskitzeln. Sie taucht auf und kitzelt das Kind und hat
folgende Botschaften im Gepäck:
• dir hört keiner zu
• niemand lässt dich ausreden • du bist eh so ein Baby und keiner wird dich ernst nehmen
Liselotte ist nicht zu übersehen. Wenn sie auftaucht, wird es laut. Sie brüllt am Anfang, wenn sie noch weit entfernt ist, ihre
Botschaften – nur hörbar für den Betroffenen – wenn sie sich genähert hat, flüstert sie ihre Botschaften ununterbrochen so
gekonnt ins Ohr des Kindes, dass das Kind gar nicht anders kann als auszuflippen.
Vertreiben kann man sie nur, wenn man sie ertappt, wenn sie im Anmarsch um die Ecke kommt und von weiter Entfernung
schon ihre Botschaften herausbrüllt. Wenn das Kind dies erkennt, kann das Kind Liselotte als Kissen holen und auf ihr herumtrampeln.
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Highlights 2015
Betriebsausflug 2015
Trotz des sehr warmen Wetters haben sich
am 26.06.2015 ca. 20 wanderfreudige Kolleginnen und Kollegen auf die 11 km lange
Strecke Wannbach-Wichsenstein-Wannbach begeben. Neben einem wunderschönen Picknick
mit selbst gebackenem Kuchen und gesunden
Leckereien, gab‘s diesmal Kirschen direkt vom
Baum und eine wunderschöne Aussicht über die
Fränkische Schweiz zu genießen. Es gab untereinander viel zu erzählen und neue Kolleginnen
und Kollegen aus anderen Einrichtungen des
vsj kennenzulernen. Nach der durchaus anstrengenden Wanderung wurde der gemütliche Teil im Gasthof Mühlhäuser in
Wannbach fortgesetzt. Wir freuen uns schon auf‘s nächste Jahr.
EP-Freizeit des vsj e.V. vom 23.05. bis 26.05.2015
Auf der EP Freizeit 2015 haben die Jugendlichen aller Wohngruppen auch
dieses Jahr vielfältige Eindrücke und Erfahrungen sammeln können. Drei Tage
verbrachten die Jugendlichen in Abwesenheit jeglicher digitaler Medien und
elektronischer Geräte in der Natur.
Die Querfeldeinwanderung fand in der Umgebung von
Neustadt bei Coburg statt, vorbei am Stiefvater, dem
höchsten Berg der Gegend, und dem Plesdner Berg gelangte die Gruppe (mit kurzem Autotransport) nach
Schwürbitz am Main.
Unterwegs arbeiteten die Jugendlichen in Kleingruppen
auf Bauernhöfen, um im Gegenzug Lebensmittel für ein
Abendessen zu erhalten. Ein weiteres Highlight für die
Jugendlichen war ein Nachmittag auf einem Ponyhof. Mit
viel Freunde wurden die Pferde von den Jugendlichen
geputzt und ausgeführt. Außerdem konnten die Jugendlichen während der Wanderung zwei Esel und einen Hund
führen.
Das Übernachten im Gemeinschaftszelt und im selbst
gebauten Biwak brachte die Jugendlichen in Kontakt mit
ihren eigenen Ressourcen und Grenzen. Am Ende berichteten die Jugendlichen, dass es ihnen zwar schwergefallen
sei, sich für die Aufgaben der EP-Freizeit zu überwinden.
Sie erzählten allerdings auch mit Freude und Stolz von
ihren persönlichen Erfolgen.
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Highlights 2015
Teilzeitbetreute Wohngemeinschaft für minderjährige Flüchtlinge
eingeweiht
Am 25.11.2015 konnten wir im Rahmen einer kleinen
Einweihungsfeier unsere Teilzeitbetreute Wohngemeinschaft in der Schweiggerstraße in Nürnberg offiziell in
Betrieb nehmen. Bereits seit dem 01.10.2015 sind die
fünf Plätze belegt, die wir anbieten können. Vorausgegangen waren mehrere Monate Renovierungsarbeiten
und die in jetzigen Zeiten nicht ganz einfache Personalsuche, das Gott sei Dank sehr unbürokratischen
Genehmigungsverfahren durch die Regierung von
Mittelfranken und die Erstellung der pädagogischen
Konzeption. Die Teilzeitbetreute Wohngemeinschaft
Schweiggerstraße ist ein pädagogischer Ansatz, der die
Balance zwischen einer schon hohen Selbsständigkeit
und einer fachlich guten Betreuung herstellt.
Die Zukunftsstifung der Sparkasse hat die Ausstattung
der Einrichtung mit einer Zuwendung von 23.000,- € großzügig unterstützt und damit
maßgeblich dazu beigetragen, dass wir mit dem Projektstart bereits am 01.10.2015
beginnen konnten. Geschäftsführer Andre Engelbrecht bedankte sich im Namen des vsj
bei Herrn Jürgen Ziegler von der Zukunfsstiftung für die tolle Unterstützung. Die Gäste,
unter anderem Frau Claudia Aryabacki, die Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses der
Stadt Nürnberg, konnten sich ein Bild von den neuen Räumlichkeiten machten und erfuhren durch den Leiter der Einrichtung Christian Kuhn einiges über die pädagogischen
Ziele und Ansätze der Einrichtung.
6000,- € Förderung durch die Glücksspirale für ein neues Fahrzeug
Für die Anschaffung eines neuen Fahrzeuges für unsere Wohnprojekt für minderjährige Flüchtlinge hat
uns die Glücksspirale freundlicherweise 6.000,- € zur
Verfügung gestellt. Wir bedanken uns ganz herzlich
bei der Glücksspirale, aber auch bei den Kollegen
vom Paritätischen, die uns kenntnisreich und engagiert bei der Antragsstellung unterstützt haben. Im
Bild sehen Sie unseren nagelneuen Ford Fiesta, der
jetzt schon eifrig von den Kollegen genutzt wird.
Wir hoffen auf viele unfallfreie Kilometer im Dienste des vsj und
seiner Klienten.
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Highlights 2015
Neue Wohngruppe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
im Landkreis Coburg
Der vsj hat in enger Abstimmung mit dem
örtlichen Jugendamt des Landkreises in Oberfüllbach, Gemeinde Ebersdorf, eine Wohngruppe
für minderjährige Flüchtlinge eröffnet. Wir beherbergen seit dem 07.08.2015 acht junge Syrer
im Alter zwischen 15 und 18 Jahren. Wir freuen
uns sehr über die große Hilfsbereitschaft und
gute Aufnahme in die Dorfgemeinschaft, die
wir und die jungen Flüchtlinge in den letzten
Wochen erfahren durften. Es muss zwar noch
einiges improvisiert werden, weil in der Kürze
der Zeit nicht alle baulichen Voraussetzungen
erfüllt werden konnten, aber die Kollegen der
neuen Wohngruppe haben in den letzten Wochen wirklich Großartiges geleistet, um den
jungen Menschen das Ankommen in einer für sie
völlig neuen Umgebung zu erleichtern. Wir sind
auf einem guten Weg, ein schönes Zuhause zu
Name: Julius Heymann
Alter: 29
Beruf: Student
Ich studiere Soziale Arbeit
an der HS Coburg und schreibe
momentan meine Bachelorarbeit im Bereich Jugendliche
bzw. Jugendschutz. Seit August bin ich Teil des Teams
in Oberfüllbach. Dort übernehme ich vorrangig die
Nachtbereitschaften. Auf den vsj bin ich durch eine
Freundin aufmerksam geworden, die mich weiterempfohlen hat. Vorher war ich v. a. im Bereich der
Offenen Kinder- und Jugendarbeit tätig (Jugendtreffs, Praktikum in der Kommunalen Jugendarbeit
am Landratsamt Coburg). Darüber hinaus bin ich ein
leidenschaftlicher Musiker, der viel Zeit in sein
geliebtes Hobby investiert.
Daher übernehme ich zum Thema „Heimat“ gerne ein
Zitat eines anderen Musikers:
„Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl“
(Herbert Grönemeyer)
20
schaffen. Das Haus mit seinem tollen Garten
bietet dafür gute Voraussetzungen.
Der Verein hat für die Jugendhilfestation
Coburg und besonders für die neue Einrichtung einen Bus angeschafft, da zwar im
Alltag möglichst viel mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden soll, aber
angesichts der vorhandenen Verkehrsverbindungen, sind wir auch auf ein zuverlässiges
Fahrzeug angewiesen. Für die ganze Jugendhilfestation in Coburg ergeben sich dadurch
viele neue Möglichkeiten, seien es Ausflüge,
Wochenend- und Ferienfreizeiten und Transporte für unser Projekt Intensiv Betreutes
Jugendwohnen.
Wir wünschen allzeit gute Fahrt.
Highlights 2015
Das Leitungsteam des vsj verabschiedet Annerose Forster
Unsere langjährige Geschäftsführerin Annerose Forster wurde von den Mitgliedern des Leitungsteams des vsj in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet. Sie hat in den rund 30
Jahren ihrer Tätigkeit für den Verein fachlich und menschlich Außerordentliches geleistet
und viel zur positiven Entwicklung des vsj beigetragen. Sie war gesuchte Ansprechpartnerin
für alle Fragen, die die Mitarbeiter hatten, genauso wie
in den vielfältigen Arbeitskontakten nach außen. Ein
herzliches Dankeschön seitens
des Vorstandes des vsj und
der gesamten Belegschaft. Ihr
Nachfolger Michael Schumm
ist bestens eingearbeitet und
kann nahtlos die wichtige
Arbeit in der Geschäftsstelle
fortsetzen. Wir wünschen ihm
und Andre Engelbrecht viel
Erfolg bei der Bewältigung
der kommenden Aufgaben.
Heimat ist für mich...
Heimat ist mir ein Bedürfnis. Dort
wo ich geboren bin, wo die Menschen sind, mit denen ich aufwuchs
und zur Schule ging, den Krieg erlebte… Seit Jahrzehnten lebe ich
im Schwabenland. Bei Seniorentreffen hier beneide ich die, die den
gesamten Lebensweg miteinander
gegangen sind. Ich empfinde das als
großen Reichtum, als Gnade. Getragen sein und Verbundenheit erleben
durch alle Zeiten, Geburt, Leben und Tod. Ich habe
hier eine Heimat gefunden, trage aber eine tiefe Sehnsucht nach meinem geliebten Frankenland in mir.
Ria 88 Jahre / Malerin
21
7
Der Begriff Heimat –
Versuch einer Definition
„Heimat“: Ein großes Wort haben wir uns diesmal als Überschrift
für unseren Jahresbericht ausgesucht
Ein Wort, das lange etwas altmodisch klang, in
unserer flexiblen Zeit, die geprägt ist von der
Mobilität der Menschen. Und doch ist es ein
Wort, das plötzlich wieder modern geworden ist,
im Hinblick auf die Flüchtlingsströme, die ihre
Heimat verlassen, und auch als Gegenbewegung
der Globalisierung. Aber was ist das denn genau
„Heimat“?
an dem sie einschneidende Lebenserfahrungen in der Wachstumsphase gemacht
haben. Die Heimat kann aber auch eine
Wahlheimat sein – und damit ein Ort, von
dem der Mensch gebürtig nicht stammt,
an dem er sich aber angekommen und zu
Hause fühlt. (…) (Definition-online.de).
Der Duden gibt folgende Definition vor:
Wenn man heute im Internet nach einer Definition für diesen Begriff sucht, findet man (wie so
oft im Netz) unzählig viele verschiedene Definitionen. Hier nur ein paar Beispiele:
• Heimat ist die „menschliche, landschaftliche und geschichtliche Umwelt, in der sich
der Mensch identifiziert, rational und emotional bindet und sichert“ (W. Schmidt, in
Neumeyer 1992, 64).
• „Heimat ist ein vages, verschieden besetzbares Symbol für intakte Beziehungen. Das
mag ausgedrückt werden in Landschaft
oder Dialekt, in Tracht oder Lied – immer
geht es um Beziehungen zu Menschen und
Dingen. (H. Businger, in
Neumeyer 1992, 120).
• Die Heimat ist der Ort,
an dem ein Mensch
wohnt oder von dem er
ursprünglich stammt.
Dabei ist die Heimat ein
sehr subjektiv geprägter Begriff, der davon
abhängt, wo sich der
Einzelne
beheimatet
fühlt. Viele Menschen
geben als Heimat den
Ort an, an dem sie aufgewachsen sind oder
22
1.Land, Landesteil oder Ort, in dem man
geboren und aufgewachsen ist oder sich
durch ständigen Aufenthalt zu Hause fühlt
(oft gefühlsbetonter Ausdruck enger Verbundenheit gegenüber einer bestimmten
Gegend)
2.Ursprungs-, Herkunftsland eines Tieres,
einer Pflanze, eines Erzeugnisses, einer
Technik o. Ä.
Klar scheint auf jeden Fall zu sein, dass wir
uns von dem eigentlichen Begriff „Heimat“,
der bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts als ein
nüchternes Wort, welches im juristischen und
7
Der Begriff Heimat –
Versuch einer Definition
dort leben zu tun. Freunde habe ich hier
gefunden, aber meine Verwandtschaft
treffe ich in der Heimat. Wäre der Ort,
an dem ich aufgewachsen bin, auch noch
meine Heimat, wenn diese Menschen dort
ebenfalls wegziehen würden? Ich glaube
schon. Dort benutzt man dieselben „komischen“ Wörter wie ich, es gibt typische
Nachnamen, die hier jeden zum Schmunzeln bringen, dort gibt es Bräuche, die
man hier nicht kennt, und vor allen Dingen richtig leckere Milchhörnchen. Ich
würde die Heimat wahrscheinlich nicht
mehr so oft besuchen, aber sie bliebe
doch meine HEIMAT.
Sandra Thiede
geografischen Sinne gebraucht wurde, weit entfernt haben. „Heimat“ hat heutzutage viel mit
den Gefühlen der Menschen zu tun. Auffällig
ist, dass Heimat dann bedeutend wird, wenn
man sie verlässt (oder verlassen muss), auf Zeit
oder auch für immer. Dann bekommt man plötzlich Heimweh, nach einem Ort, nach Menschen,
Gerüchen oder auch Gerichten. Die meisten von
uns können recht klar sagen, was ihre Heimat
(oder manchmal auch ihre Heimaten) ist, aber
genau erklären, was denn Heimat ausmacht,
fällt uns schwer.
Ich möchte an dieser Stelle eine ganz persönliche Definition versuchen. Auch ich habe vor
über zehn Jahren meine Heimat verlassen und
bin nach Nürnberg gezogen. Längst fühle ich
mich hier heimisch und zu Hause. Ab dem Moment, in dem ich zum ersten Mal beim Bäcker
jemanden traf, den ich kannte und der mich daher freundlich grüßte, fühlte ich mich irgendwie
angekommen. Meine Kinder sind hier geboren
und das Gedankenspiel, hier wegzuziehen, löst
bei mir Unbehagen aus. Und trotzdem ist und
bleibt wahrscheinlich für immer meine Heimat
der Ort, an dem ich aufgewachsen bin. Natürlich hat dies auch viel mit den Menschen, die
Hallo!
Mein Name ist Noemi Eilingsfeld und ich bin seit Septemer
als Nachfolgerin von Frau
von Winkler für die Soziale
Gruppenarbeit Südwest in Eibach zuständig.
Seit meinem Abschluss 2013 als
Sozialpädagogin an der Georg-Simon-Ohm-Hochschule
in Nürnberg, habe ich einige Jahre im Elementarbereich gearbeitet. Meine Freizeit verbringe ich
mit Aktivitäten in der Natur, Yoga und mit meiner
Familie.
Heimat sind meine Familie, meine Wurzeln und meine
Erinnerungen an früher.
Heimat bedeutet für mich ein Gefühl von Sicherheit
und Geborgenheit, aber auch das „Aufmachen“ und
neue Wege gehen. Dabei neue Menschen kennenzulernen und sich neuen Aufgaben zu stellen, diese zu
verstehen und verstanden zu werden. Gemeinsamkeit,
Zugehörigkeit, Humor, Lachen und ein Angekommensein in der Gemeinschaft gehören für mich dazu und
um mit den Worten von Johann Wolfgang von Goethe
abzuschließen:
„All diese vortrefflichen Menschen zu denen Sie
nun ein angenehmes Verhältnis haben, das ist es,
was ich Heimat nenne.“
23
8
Berufliche Heimat vsj
Nach meinen ersten beiden Kurzbeschäftigungsverhältnissen als frisch gebackener
Diplom-Sozialpädagoge wollte ich unbedingt in
das spannende Feld der erzieherischen Hilfen,
um mit den damals sogenannten verhaltensauffälligen Jugendlichen zu arbeiten. Ich bekam
glücklicherweise die Stelle beim vsj im Betreuten
Wohnen und konnte am 01.01.1990 dort beginnen. Mein fester Vorsatz war, diese Arbeit auf
keinen Fall länger als zwei Jahre zu verrichten,
um mich dann neu zu orientieren und andere
berufliche Herausforderungen zu suchen.
Die ersten Begegnungen im Betreuten Wohnen mit den durchaus fordernden persönlichen
und fachlichen Herausforderungen bestärkten
damals zunächst meinen Wunsch nach einem
Wechsel der Arbeitsstelle.
Aber irgendwie ist es anders gekommen. Der vsj
ist meine berufliche Heimat geworden und bis
heute geblieben. Mittlerweile arbeite ich bereits
26 Jahre in diesem, wie ich meine „besonderen
Verein“ zunächst als pädagogischer Mitarbeiter
und später als Einrichtungsleitung. Verantwortlich für die „Treue“ sind sicher Zufälle, wie
wenige andere Angebote für Sozialpädagogen in
den 1990er Jahren, aber auch bewusste eigene
Name: Regina Machowski
Alter: 24 Jahre
Ausbildung: BA Pädagogin
Seit 01.10.2015 arbeite ich beim
vsj, Ambulante Dienste Nürnberg, Sandstraße 1
Ich freue mich schon auf die
neuen Herausforderungen und
Erfahrungen, die ich hier sammeln werde. Auch
fernab von seinem Heimatort, kann man sich unter
freundlichen Menschen und guten Freunden zu Hause
fühlen.
„Heimat findet man nicht an Orten, sondern in den
Herzen anderer Menschen.“ Edith Linvers
24
Entscheidungen für genau diese Tätigkeit bei
genau diesem Arbeitgeber.
Mir stellt sich hierzu die Frage: Was ist eigentlich eine „berufliche Heimat“?
Die Arbeit mit den Jugendlichen im Betreuten
Wohnen, später bei Erziehungsbeistandschaften und Sozialpädagogischer Familienhilfe und
als Einrichtungsleitung hat mir immer Spaß gemacht und ich konnte jederzeit erkennen, dass
das, was konzeptionell vorgesehen war und was
tatsächlich getan wurde für die Jugendlichen
und die Familien, eine wirkliche Hilfe und Unterstützung war.
Die Arbeit hatte also einen „Sinn“ und verschaffte mir stets auch eine Zufriedenheit mit dem,
was ich in der Gewissheit tun kann, nicht für
irgendjemandes Gewinnmaximierung zu arbeiten, sondern eine Aufgabe mit einem ethischen
Hintergrund zu haben.
Bei Heimat denke ich an Wohlfühlen, Identifikation und Mitwirken am Geschehen. Aber
bis vor nicht allzu langer Zeit wurde Heimat
vor allem auch mit Kitsch, Provinz, Spießigkeit,
konservativer bis reaktionärer Grundhaltung
verbunden. Zum Beispiel der Gartenzwerg und
das Oberbayern-Klischee. Diesen Heimatbegriff
meine ich ganz sicher nicht.
Heute, wo das angeblich Weltläufige, örtliche
und berufliche Mobilität als Erfolgsfaktoren voraussetzt, bekommt der Begriff der Heimat eine
neue Qualität. Auch in den beruflichen Biografien macht sich diese Entwicklung bemerkbar
– es gibt immer weniger patriarchalisch geprägte Unternehmen, denen man von der Lehre bis
zur Rente treu bleibt, in denen oft sogar Familiendynastien beschäftigt sind und in denen man
sich als „große Familie“ fühlt. Auch das ist und
war der vsj für mich nicht.
Berufliche Heimat vsj
8
gene politische und fachliche Einstellungen
verwirklichen. Hier wird meine Arbeit anerkannt
und als wichtig betrachtet.
Was ist also in den 26 Jahren geschehen, was
berufliche „Heimatgefühle“ ausgelöst hat?
Heimat prägt den Charakter, die Identität, die
Einstellungen von Menschen. Man eignet sich
etwas an, das typisch ist und den Ort verschieden zu ähnlichen Orten macht. Sie bestimmt zu
einem nicht unerheblichen Teil wie man denkt
und wer man ist. Ähnlich ist es auch mit dem vsj,
er ist anders und ganz speziell im Unterschied
zu anderen Jugendhilfeträgern, die im Prinzip
die gleichen Aufgaben erledigen. Er färbt mit
seiner Besonderheit zu einem gewissen Teil auch
auf die Mitarbeiter ab, sofern sie sich auf die
spezielle Vereinskultur einlassen.
Umgekehrt bietet der vsj die Möglichkeit – vielleicht verlangt er es auch wegen seiner eigenen
basisdemokratischen Kultur als Notwendigkeit
– durch aktive Gestaltung die Institution, den
Träger und die eigene Arbeitssituation weitgehend zu beeinflussen. Hier gilt es für jeden
Beschäftigten, die Balance zwischen eigenen
persönlichen Interessen, Interessen der Betreuten, des Jugendamtes und natürlich auch des
Trägers zu finden. Im bisher weitgehend gelungenen Prozess beim vsj bildete sich deshalb
diese eigene Unternehmenskultur heraus, in der
ich mich wiederfinden kann. Hier kann ich, ohne
allzu große Hürden überwinden zu müssen, ei-
Heimat bietet Sicherheit, Verlässlichkeit, sie
ist ein Ort, an dem gegenseitiges Vertrauen
herrscht. Aus meiner Sicht gilt dies auch für
den vsj. Er ist verständlich und durchschaubar.
Der vsj ist trotz ständigen Wachstums keine
unüberschaubare Großeinrichtung, sondern
operiert mit mehr oder weniger kleinen, überblickbaren Einrichtungen mit hoher Autarkie und
Selbstverantwortung in ihren Entscheidungsfindungsprozessen. Dies ermöglicht ein sinnvolles
und abschätzbares Handeln.
Um sich irgendwo heimisch fühlen zu können,
ist immer auch der Zeitfaktor wichtig. Ich muss
mich eine gewisse Zeit an einem definierten
Ort wohlgefühlt haben, um ihn als meine Heimat betrachten zu können. Heimat wird immer
persönlich erfahren, es ist mit dem eigenen
Empfinden verbunden.
Heimat ist da, wo es mir gut geht. Dort, wo ich
zufrieden mit den Rahmenbedingungen meiner
Arbeit bin, dort, wo ich einen Sinn erkennen
kann. Eine Beschäftigung, die als Job ausschließlich zum Geldverdienen ausgeübt wird,
kann für mich nicht zur beruflichen Heimat werden.
Heimat und auch die berufliche Heimat ist demnach etwas sehr Individuelles, das jeder selbst
für sich definieren muss.
Heimat ist für mich ein Gefühl, eine Hoffnung,
ein Bedürfnis, verbunden mit der Frage: Bin ich
hier am richtigen Platz?
Dies kann ich für mich frei nach dem Bayerischen
Rundfunk beantworten: Ich bin der Jürgen und
beim vsj bin i daham.
Jürgen Stöcklmeier
25
9
Das Leben in einer Jugendwohngruppe
Eine ehemalige WG-Bewohnerin berichtet
Für Jugendliche, die aus irgendeinem Grund
nicht daheim leben können, gibt es sogenannte
„Jugendwohngruppen“. Das hört sich zunächst
etwas undurchsichtig an. Deshalb möchte ich
euch diese Art zu wohnen ein wenig näherbringen.
In einer solchen Gruppe leben mehrere Jugendliche zusammen. Die Wohnsituation ist von
Wohngruppe zu Wohngruppe unterschiedlich. In
einer WG des vsj beispielsweise leben bis zu
sieben Jugendliche im Alter von 14 bis 19 Jahren. Jeder hat sein eigenes Zimmer, das bereits
möbliert ist, aber dennoch individuell gestaltet
werden kann.
Jeder Jugendliche hat ein Taschengeld, welches durch das Alter festgelegt ist. Davon kann
man Genussmittel, bestimmte Hygieneartikel
(zum Beispiel Make-up oder Markenartikel) oder
Freizeitwünsche finanzieren. Die WG finanziert
Name: Christoph Seiz
Alter: 25
Beruf:Sozialpädagoge
Seit Oktober 2015 bin ich
Teammitglied in der Teilzeitbetreuten
Wohngemeinschaft
für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.
Das gegenseitige Kennen- und Zusammenlernen vor
dem Hintergrund verschiedener kultureller Herkünfte und der nun gemeinsam verlaufende Weg hin zu
einer neuen Kultur und Heimat für alle, bilden für
mich den Kern und Reiz dieser Arbeit. Heimat ist
dabei für mich weniger ein bestimmter Ort, sondern
mehr ein Gefühl, das auf einem Fundament von gegenseitigem Respekt entsteht, und so ein friedliches
Zusammenleben der Menschen ermöglicht.
Es freut mich, von Anfang Teil dieses Projektes
zu sein, Erfahrungen in einem für mich neuen
Arbeitsfeld sammeln zu können und so auch eine
eigene, neue (berufliche) Heimat zu finden.
26
eine Grundhygieneausstattung, also „normales“
Shampoo/Duschgel etc., aber keine Markenartikel. Ebenso bekommt man Kleidergeld, das
monatlich 20,- € beträgt. Davon kann man
eigentlich alles kaufen, was man benötigt, ausgenommen Snapbacks, Halstücher und Taschen.
Die Wohngruppe wird vom Jugendamt finanziert.
Die Einrichtung bekommt einen bestimmten
Betrag pro Monat für die Jugendlichen, der
u. a. für Verpflegung, Schulmaterialien (auch
Schulausflüge und alles andere, das man für die
Schule braucht), Taschengeld, Kleidergeld und
Freizeitgestaltung ausgegeben werden kann.
Das Leben in einer Jugendwohngruppe
Die Jugendlichen werden von Sozialpädagogen
oder Erziehern betreut, die abwechselnd rund um
die Uhr in der Wohngruppe arbeiten. Sie dienen
den Jugendlichen als Vertrauens- und Kontaktpersonen in jeder Situation. Außerdem nehmen
sie auch die Rolle des Erziehungsberechtigten
ein, indem sie Formulare, Rücklaufzettel für die
Schule usw. der Minderjährigen unterschreiben
und die Verantwortung übernehmen. Sie kümmern sich auch um die Verwaltung der Finanzen,
also um den täglichen Einkauf, die Auszahlung
von Taschengeld und anderen Geldern und Neuanschaffungen bzw. Reparaturen.
9
Name: Anna Hoffmann
Alter: 29
Beruf:Diplom-Pädagogin
Angefangen habe ich beim vsj
bereits 2013 in der Heilpädagogischen Jugendwohngruppe
in Röttenbach als Aushilfe.
Seit September 2015 arbeite ich
nun in der teilzeitbetreuten Wohngemeinschaft für
UMF in Nürnberg.
Für mich ist die Arbeit in der Wohngemeinschaft sehr
spannend, da wir hier alles zusammen neu aufbauen
und das Arbeitsfeld UMF ist für mich auch neu.
Die Arbeit mit den Jugendlichen hier bedeutet für
mich neue Kulturen kennenzulernen und auch meine
Heimat und Kultur den Jungs näherzubringen.
Heimat ist für mich nicht unbedingt ein Ort,
sondern ein Umfeld, in dem ich mich wohlfühle,
fallen lassen kann und einfach ich selbst sein
kann, ohne mich verstellen zu müssen.
In der Wohngruppe ist es die Pflicht der Jugendlichen, einmal wöchentlich das Kochen für
die Gemeinschaft zu übernehmen, wobei die
Jugendlichen eigentlich nur darauf achten müssen, dass das Essen lecker und ausgewogen ist.
Man trägt meist am Wochenende der vorherigen
Woche in die „Kochliste“ ein, wann man was kochen möchte. In den Ferien kochen in der Regel
unsere Betreuer. Nach dem Essen muss der Koch
die Küche aufräumen, also Töpfe, Pfannen usw.
spülen, den Geschirrspüler einräumen, Tisch abwischen und den Boden kehren und wischen.
Außerdem gibt es Regelungen, wann man zu
Hause sein muss. Sonntag bis Donnerstag ist
das um 22.00 Uhr (unter 16 Jahren: 21.00 Uhr),
Freitag und Samstag um 0.00 Uhr (unter 16 Jahren: 22.00 Uhr). Ausnahmen können jederzeit
bei den Betreuern erfragt werden und werden
unter Berücksichtigung der Umstände entschieden. Zu den Normen zählt auch das Verbot von
Alkohol, Drogen und Waffen in der Wohngruppe.
Außerhalb der Einrichtung darf jeder Jugendli-
27
9
Das Leben in einer Jugendwohngruppe
che ab 16 Jahren nach dem Jugendschutzgesetz,
allerdings in Maßen, trinken. Das Rauchen in der
Wohngruppe ist nicht gestattet.
Es gibt auch verpflichtende Gruppenaktivitäten
in den vsj-Wohngruppen. In den Pfingstferien
findet eine erlebnispädagogische Freizeit (EP)
statt, die vier Tage dauert. Da fahren alle Wohngruppen (insgesamt vier Wohngruppen mit je
ca. sieben Mitbewohnern) zusammen weg und
nächtigen auf Campingplätzen in großen, oft
selbstgebauten Zelten. Während dieser Zeit
finden Aktivitäten statt, die die Jugendlichen
oft an ihre Grenzen treiben und diese vielleicht
auch erweitern. Ich war auf zwei EPs dabei und
habe von Floßfahrten bis Slacklining über sechs
Meter hohen Klippen bereits alles erlebt. Außerdem findet im Sommer eine Freizeit statt, in
der jede Wohngruppe für sich alleine wegfährt.
Das ist eher ein entspannter Urlaub mit festen
Betten und Dach über dem Kopf, der die Jugendlichen aber auch an den Rand ihrer Grenzen
bringen kann. Auf der letzten Freizeit wurde
auch geklettert und gewandert. Des Weiteren
findet circa einmal pro Monat an einem Sonntag ein Gruppenausflug statt. Was dort gemacht
wird, entscheiden Betreuer und Jugendliche
oft gemeinsam. Mal geht die Gruppe mit dem
diensthabenden Betreuer bowlen, ein anderes
Mal gehen alle zusammen wandern. Dem sind
hier keine Grenzen gesetzt. Einmal im Monat
findet auch ein Gruppenabend statt, an dem
wichtige Dinge besprochen werden oder eine
Gruppenarbeit zu einem bestimmten Thema angesetzt wird. All die genannten Veranstaltungen
werden in der Regel von den Betreuern organisiert.
Natürlich werden auch Geräte zur „Kommunikation mit der Außenwelt“ zur Verfügung gestellt.
Wir besitzen einen PC mit Internetzugang, der
von 14.00 bis 21.00 Uhr den Jugendlichen zugänglich ist – also ist für jeden eine Stunde
eingeplant. Dieser ist natürlich mit einem Jugendschutzprogramm versehen, was, wenn ich
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ehrlich bin, ziemlich nervig sein kann, da viele
harmlose Videos und für die Schule benötigten
Seiten für uns nicht zugänglich sind. Außerdem
gibt es ein Telefon, von dem aus man unbegrenzt in alle Netze telefonieren kann. Nur das
Versenden von SMS ist nicht erlaubt, da das zu
zusätzlichen Kosten führen würde.
Wie ihr sehen könnt, ist das Leben in einer
Jugendwohngruppe sehr strukturiert, was sehr
hilfreich für das weitere Leben sein kann. Allerdings hängt alles auch ein wenig von den
Jugendlichen ab; diese müssen schon mitarbeiten, wenn die Gruppe und vor allem auch die
Arbeit mit den Betreuern funktionieren sollen.
Deshalb gibt es immer gute und schlechte Zeiten.
Aber wenn die Gruppe stark ist und zusammenhält, können alle Krisen überstanden werden
und man kann sich „daheim“ fühlen.
Cora Schwiebus
Heimat ist für mich...
Ruhe und Geborgenheit.
Andrea 48 Jahre / Friseurin
My Home is my Castle – Endlich eine
eigene Wohnung
Etwa ein Jahr lang befanden sich Ahmed und
Ridwan, beides Flüchtlinge aus Somalia, auf
der Suche nach einer geeigneten Wohnung im
Nürnberger Stadtgebiet. Während es für andere
Jugendliche aus dem betreuten Wohnen schon
schwer genug ist, eine passende Wohnung zu
finden, waren für die die beiden Somalier noch
weitaus höhere Hürden zu überwinden. So störten sich potenzielle Vermieter entweder an der
Hautfarbe der beiden, an deren ausländerrechtlichem Status oder zeigten sich grundsätzlich
ablehnend gegenüber „solchen vom Amt“ – eine
auf Dauer zermürbende und nicht hoffnungsvoll
stimmende Situation. Vor diesem Hintergrund
erwies sich der Kontakt zu der immowelt.deInitiative „Verändere deine Stadt“ als wahrer
Glücksfall für Ahmed und Ridwan. Binnen kurzer
Zeit nach der Veröffentlichung ihres Mietgesuches meldeten sich die ersten Vermieter, um
Wohnraum anzubieten. Zwar mussten die beiden
auch hier aus ähnlichen bereits geschilderten
Gründen Rückschläge hinnehmen, da Vermieter
ihre Wohnungsangebote kurzfristig wieder zurückzogen, doch was ewig währte, wurde dann
irgendwann gut. Ein sehr engagiertes Ehepaar
ermöglichte Ahmed und Ridwan den lang ersehnten Umzug in die eigene Wohnung. Und
nicht nur das. Mit der Zurverfügungstellung
von Beständen aus ihrem eigenen Fundus an
Küchenutensilien und zum Teil auch Einrichtungsgegenständen und Möbeln boten sie den
beiden eine nicht selbstverständliche Starthilfe
für den Umzug in ihre neuen eigenen vier Wände. Inzwischen konnten Ahmed und Ridwan die
3-Zimmerwohnung auch nach ihren eigenen Vorstellungen dekorieren und gemütlich einrichten,
und fühlen sich dort auch sehr wohl. Mit dem
Ende dieser nervenaufreibenden Zeit beginnt für
die zwei nun ein neuer Lebensabschnitt, dem
sie zuversichtlich und hoffnungsfroh entgegenblicken.
Daniel Boeder, Stanley Lauer
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Name: Fiona Weix
Alter: 23
Beruf:Sozialpädagogin
Geboren
und
aufgewachsen
bin ich am wunderschönen
Untermain in der Nähe von
Miltenberg.
Nach Nürnberg verschlagen
hat es mich im Oktober 2011 durch mein Studium der
Sozialen Arbeit.
In diesem Rahmen habe ich dann auch mein Praxissemester 2013 in der Wohngruppe Fürth abgeleistet,
wo ich anschließend zwei tolle Jahre als Aushilfe
bleiben durfte. So bin ich zum vsj gekommen – und
geblieben.
Seit Oktober bin ich Teammitglied in der Teilzeitbetreuten Wohngemeinschaft für unbegleitete
minderjährige Flüchtlinge. Das Projekt von der Eröffnung an begleiten zu dürfen, ist sehr spannend
und macht vor allem unglaublich viel Spaß.
Das Thema Heimat ist quasi Grundlage unserer alltäglichen Arbeit mit den Jungs. Jeder von uns bringt
ein Stück Heimat mit in die Gemeinschaft. Denn Heimat ist nicht nur der Ort, an dem wir aufgewachsen
sind. Es ist eine tiefe Verbundenheit, zu Menschen,
die uns lieben und von denen wir uns verstanden
fühlen. Heimat prägt uns und wird daher auch immer
ein Teil von uns bleiben.
„Heimat ist da, wo man sich nicht erklären muss.“ Johann Gottfried von Herder
Heimat ist für mich...
In der „Fremde“ bei einem Seminar, ich durfte im
Verständnis und der Liebe völlig fremder Menschen
„baden“… Jeden Einzelnen trage ich jetzt als ein
Stück Heimat in meinem Herzen. Ansonsten: Heimat ist für mich das wundervolle Coburg, sein Umland mit seiner vielfältigen Natur, den wundervollen Bauwerken und liebenswerten Menschen, den
kulturellen Angeboten und natürlich den leckeren
fränkischen Spezialitäten!
Karin 57 Jahre / Pädagogin
Vielen Dank an Andrea Uhrig vom Immowelt
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Fremde oder Freunde?
„Du kennst mich doch, Du weißt, ich habe nichts gegen Fremde.
Einige meiner besten Freunde sind Fremde, aber diese Fremden
sind nicht von hier.“
Asterix und Obelix „Das Geschenk Cäsars“
Mit diesem Diskussionsbeitrag bringt Methusalix
es auf den Punkt. Solange die oder das Fremde
uns fern bleibt, haben wir damit kein Problem.
Wir üben uns in Toleranz und Nächstenliebe,
lassen großzügig oder gleichgültig zu, dass jeder seinen Glauben lebt, seine Kleidung trägt,
seine Freundschaften pflegt… – oder finden es
sogar wildromantisch, wenn im Urlaub der Ruf
des Muezzins zum Gebet die Kulisse des Andersartigen, Neuen und Aufregenden so malerisch
umrahmt. Das ist angenehm, solange wir uns davon distanzieren, die Grenzen selbst bestimmen
und den Austausch mit Gleichgesinnten aus der
Komfortzone heraus pflegen können.
Ganz anders sieht es da schon aus, wenn diese
Fremden das Fremde und Neue zu uns in unsere Dörfer, Städte und Gemeinden tragen. Wenn
sie gar Teil dieser Gemeinschaft werden wollen,
Name: Steffi Herrmann
Alter: 27 Jahre
Beruf:Sozialpädagogin
(B.A.), Kinder- und
Jugendmedien (M.A. 2016)
Seit August 2015 unterstütze
ich das IBJ-Team der Jugendhilfestation Coburg. Nach
meinem BA-Studium der Sozialen Arbeit an der Hochschule Coburg zog es mich
nach Erfurt für den Masterstudiengang der Kinderund Jugendmedien. Dadurch war es mir möglich, mich
zusätzlich auf den Kinder- und Jugendmedienschutz
zu spezialisieren.
„Die beiden schönsten Dinge sind die Heimat, aus
der wir stammen, und die Heimat, nach der wir
wandern.“
– Heinrich Jung-Stilling (18. Jh.) –
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wo sie doch so eindeutig „nicht von hier sind“
womit man sich (nicht nur, aber doch sehr nachdrücklich) in Franken fürs Erste auf jeden Fall
mal disqualifiziert hat.
Der vorsichtige Umgang mit Unbekanntem liegt
uns in den Genen und konnte zu allen Zeiten
das Überleben sichern. Daher ist es nicht weiter
verwunderlich, dass wir ängstlich, unsicher und
ablehnend reagieren, wenn wir uns damit konfrontiert sehen. Ebenfalls in die Wiege gelegt ist
uns jedoch die Neugier, mehr oder weniger mutig
auf Neues zuzugehen, das Bestreben, neue Erfahrungen zu machen, sich weiterzuentwickeln
und in der Interaktion mit unseren Artgenossen
gemeinsame Interessen zu pflegen.
Fremde oder Freunde?
11
Name: Elisabeth Söllner
Alter: 22 Jahre
Beruf:Sozialpädagogin B.A.
Wir freuen uns sehr, dass es
in der Gemeinde Ebersdorf offensichtlich viele „mutige“
Menschen gibt, die Ängste und
Vorbehalte überwinden und den
Jugendlichen in unserer neuen
Wohngruppe für unbegleitete
minderjährige Flüchtlinge im
Ortsteil Oberfüllbach mit Offenheit und Neugier begegnen.
Auch unsere Jungs sind, nicht
zuletzt aufgrund ihrer Erfahrungen mit Krieg und Gewalt und
dem Verlust ihrer Familie, unsicher und vorsichtig, aber auch
sie sind neugierig und offen
für neue Erfahrungen. Auf der
Basis dieser Gemeinsamkeiten
wird es gelingen, aufeinander
zuzugehen, sich auf gemeinsame Aktivitäten einzulassen, den kulturellen
Austausch zu pflegen und im Miteinander der
persönlichen Begegnung die Andersartigkeit
nicht nur zu akzeptieren, sondern als Bereicherung zu erleben. Erste Schritte sind gemacht,
und wer weiß, ob so nicht doch auch in Franken
aus Fremden Freunde werden können…..
An dieser Stelle ein großes Dankeschön an alle,
die uns ein Willkommen bereitet und ihre Unterstützung angeboten haben. Sei es durch
guten Rat, nette Worte, Verständnis, Sach- und
Geldspenden sowie die freundliche Aufnahme in
Sport- und Kulturvereine.
Ute Stenzel
Ich arbeite seit Anfang August 2015 beim vsj e.V. in der
heilpädagogischen Wohngruppe
in Oberfüllbach bei Coburg.
In unserer Wohngruppe leben
acht unbegleitet minderjährige Flüchtlinge, die ihre Heimat Syrien verlassen
haben.
Ich stimme der Aussage von Stefan Kuzmany zu:
„Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl.“
Heimat ist für mich, wenn ich nach Hause zu meinen
Eltern komme, die frische Landluft einatme und meine
Katze in den Arm nehmen kann. Wenn in der Weihnachtszeit alle Fenster mit Lichterbögen geschmückt
sind und es in den Zimmern nach Räucherkerzen
duftet, dann weiß ich, ich bin in meiner Heimat. Es
ist also ein Gefühl und nicht allein der Ort, der
mir sagt, ich bin daheim.
Name: Gerrit Lepper
Alter: 26
Beruf:Erzieher, seit Oktober
2013 Studium Soziale
Arbeit in Coburg
Seit September 2015 arbeite
ich in der Wohngruppe für
unbegleitete
minderjährige
Flüchtlinge in Oberfüllbach
(Landkreis Coburg). Während meines Praxissemesters
bekam ich die Möglichkeit zu einem ersten Kontakt
mit einigen Jugendlichen der Wohngruppe. Als ich
erfuhr, dass der vsj eine Wohngruppe im Landkreis
Coburg für diese Jungs gründet, entschied ich mich,
mich neben meinem Studium dort zu engagieren. Ich
freue mich über die Teilzeitstelle, die es mir auch
ermöglicht, in meinem erlernten und nach der Ausbildung in Bamberg (Tätigkeit in einer Wohngruppe)
ausgeübten Beruf zu arbeiten.
„Erziehen ist vor allem Sache des Herzens.“
Don Bosco
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Ein Heimatgefühl zwischen Afghanistan
und Deutschland
Jedes Land hat bestimmte Werte, Normen und
Sitten. Ich bin mit afghanischen Werten aufgewachsen. Afghanistan, mein Heimatland, hat
viel Kultur und ich vermisse hier in Deutschland afghanische Sitten und Lebensweisen,
z. B. die afghanische Kleidung, die ich hier in
Deutschland auf der Straße nicht tragen kann.
Ich vermisse Alltagskultur wie z. B. das Essen
und vor allem die Küche meiner Mutter und das
Leben und Lachen mit meiner Familie.
habe, konnte ich erfahren, dass auch andere
Lebensweisen schön sein können. Die deutsche
Kultur als neue und die afghanische Kultur als
alte sind aber schwer zu verbinden und zu vergleichen.
Deutsche Sitten, die ich kennengelernt habe,
finde ich sehr gut. Aber genauso gibt es afghanische Sitten und Werte, die mir in der deutschen
Kultur fehlen.
Mein Heimatland Afghanistan wird für mich immer
meine Heimat sein, mit allem Guten und Schlechtem. Seitdem ich in Deutschland lebe, habe ich
erfahren, dass man neben seinem Heimatland
auch ein zweites, anderes Heimatgefühl haben
kann. Für mich entsteht ein Heimatgefühl dort,
wo ich in Sicherheit leben kann, Freunde habe
und von der Gesellschaft respektiert und anerkannt werde. Wichtig hierbei ist für mich, dass
ich so leben darf wie die deutschen Bürger, mit
allen Rechten und Pflichten. Um diesen Zustand
vollständig zu erlangen, wünsche ich mir einen
sicheren Aufenthaltsstatus in Deutschland.
Das Miteinanderleben in Afghanistan ist ein
ganz anderes als in Deutschland. In meinem
Heimatland leben generationsübergreifend die
Familien zusammen in einem Haus. Das Zusammenleben und Zusammenhalten mit und in der
Familie ist in meiner Kultur sehr wichtig. Das
Alleineleben, wie viele es in Deutschland tun,
wäre in Afghanistan so nicht möglich. Zum einen, weil das nur die Eltern entscheiden können,
und weil die außenherum lebende Gesellschaft
denken würde, man wäre keine gute Person, da
man wahrscheinlich mit seiner Familie nicht
auskommt. Hier in Deutschland lebe ich alleine
ohne Familie und werde vom vsj e.V. betreut.
Das gefällt mir sehr gut.
Seitdem ich von Afghanistan weg bin und ich
eine neue, die deutsche Kultur kennengelernt
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In meiner Situation fühle ich mich wie zwischen zwei Kulturen. Afghanistan als Heimat,
die ich hier in Deutschland ein bisschen verliere
und unsicher zum leben ist und Deutschland als
Land der Unsicherheit, ob ich überhaupt bleiben
darf und es sich demnach lohnt, sich voll und
ganz darauf einzulassen.
Hier in Deutschland wünsche ich mir, dass ich
einen guten Beruf erlernen kann, eine Familie
gründe, gute Freunde habe und in Sicherheit
leben kann. Das wäre für mich Heimat.
Manchmal denke ich, wenn ich hier in Deutschland nicht bleiben kann, ist mein Leben nichts.
Nicht mehr ganz afghanisch und nicht ganz
deutsch.
A.S.
Wo ist Heimat? Wo liegt sie?
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Da, wo wir geboren sind? Wo wir am
längsten gelebt haben? Die Erinnerungen an die Kindheit? Vertraute Orte,
vertraute Sprache, vertraute Menschen?
Da, wo ich aufgewachsen bin? Da, wo
meine Familie und Freunde sind?
Ja, das alles kann der Begriff „Heimat“
umfassen. Aber Heimat kann auch ein
innerer Ort sein. Dann wird er zeit- und
grenzenlos.
Die geistige Heimat in der Kunst, Musik
und Literatur.
Der Ausdruck eines inneren Gefühls in
der Sprache der Musik und Literatur.
Für unsere Jugendlichen heute, heißt dies, sich
auszudrücken auf „ihrer Bühne“, mit ihren Worten, mit ihrer Musik. Ehrlich und ohne Schnörkel,
frisch von der Leber weg.
Ein Rap-Text unseres Jugendlichen Hasan P.
zeigt, wo Heimat auch sein kann, weit weg von
Familie und Herkunft. Der Text ist sehr spontan
in wenigen Minuten entstanden und deshalb
vielleicht auch so ehrlich und erfrischend.
Und die Botschaft? Vielleicht drückt es ein Zitat
von Karl Jaspers am besten aus:
Heimat ist da, wo ich verstehe und wo ich
verstanden werde.
Karl Jaspers (1883 - 1969), dt. Philosoph
Heimat ist für mich...
Name: Marian Hanner
Alter: 44
Beruf: Sozialarbeiter B.A.
Ich arbeite seit August 2015 beim
vsj e.V. im betreuten Wohnen
für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Erlangen
und Fürth. Auf die Arbeit mit
minderjährigen Flüchtlingen
bin ich aufgrund meiner eigenen Lebensgeschichte
gekommen. Im gleichen Alter wie sie flüchtete ich
in den 1990er Jahren vor dem totalitären, kommunistischen Regime in meinem Geburtsland Bulgarien.
Beim vsj erhielt ich nun die großartige Möglichkeit,
beides, Jugend- und Flüchtlingsarbeit, zu verbinden.
Dabei möchte ich meinen Klienten nicht bloß helfen,
sich in der Fremde zurechtzufinden, sondern vor
allem ihnen aufzeigen, wie sie daraus eine neue
Heimat entstehen lassen können. Denn Heimat ist
für mich nicht nur ein Ort auf Erden, sondern ein
tiefer Punkt in der eigenen Mitte, der stets auf‘s
Neue gesucht, gefunden und bewahrt werden muss.
Da, wo meine Familie ist, meine Freunde sind, wo
ich aufgewachsen bin. Wo mein Dialekt gesprochen
wird, bekannte Gesichter sind, Schäufele und Klöße,
fränkisches Essen.
Sven 38 Jahre / Pädagoge
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13
Wo ist Heimat? Wo liegt sie?
Mama! Papa!,
ich geb euch nicht die Schuld dafür,
dass ich kein leichtes Leben hab. Aber ich denke, mit euch hätte ich,
hätte ich es sicher nicht so schwer gehabt.
Ein bisschen Unterstützung ist das zu viel verlangt?
Es ist so hart zu leben, wenn das Geld nicht langt.
Vielen Dank an den vsj,
dank euch hab ich ein Dach übern Kopf,
Essen und nen Job.
Ich weiß nicht, wie ich es ohne euch geschafft hätte.
Danke für das weiche Bett, Kissen, Decke.
Im Sommer passt das Wetter,
im Winter ist es warm.
Hab ich mal Probleme nehmt ihr mich in den Arm.
Ihr wisst mit Menschen umzugehen und habt viel Geduld,
ich lieg tief in eurer Schuld.
Peter, du bist meine Respektperson.
Hut ab, ich finde, dass du dein Job gut machst.
Auch wenn du mal schlecht drauf bist, du lachst.
Ich frag mich immer, wie du das machst.
Wo zur Hölle holst du diese Kraft.
Hab ich ein Problem und sprech dich darauf an,
tust du alles was möglich und es dauert nicht lang,
bis du eine Lösung hast,
bis alles wieder passt.
Bau ich mal Scheiße sagst du, „hör auf, es wird gefährlich“,
du weißt, dass ich es schätz,
dass du dich so krass für mich einsetzt.
Du bist nicht nur ein Betreuer, du bist mein Freund,
ein Freund, der mich nebenbei betreut,
der auf mich aufpasst,
der raus haut, „zeig was du drauf hast“,
der ehrlich zu mir ist und es laut sagt,
obwohl er weiß, dass ich ne harte Faust hab.
Du machst ne klasse Arbeit als Betreuer,
für dich leg ich meine Hand ins Feuer.
Hasan P.
Heimat ist für mich...
Ein Platz, wo du immer gerne hingehst und Ruhe findest und
gerne zurückkommst. Dazu gehört natürlich die Familie.
Mihai 34 Jahre / Sportlehrer
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