Nähere Informationen - Universität Hamburg
Transcrição
Nähere Informationen - Universität Hamburg
Nele Maya Fahnenbruck Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Biographisches 09/2009-heute Promotion an der Universität Hamburg im Fach Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 10/2003-09/2008 Studium Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (Hauptfach), Volkskunde und Politikwissenschaft (Nebenfächer) an der Universität Hamburg Studienabschluss Magister im September 2008 (1,5) Forschungsschwerpunkte Sportgeschichte, Reitsportgeschichte, Nationalsozialismus, Weimarer Republik, Stadtgeschichte Publikationen 2009 Das Hamburger Spring-Derby von 1920-1939. Eine Analyse unter besonderer Berücksichtigung von Kontinuitäten und Wandel in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus. In: Krüger, Arnd et.al. (Hrsg.): Vergessen, verdrängt, abgelehnt – zur Geschichte der Ausgrenzung im Sport. Berlin 2009. S. 32-49. 2005 Faszination Pferde. Pferdebeurteilung. Stuttgart 2005. 2002 Reiten in Leipzig. Ein Reitfaden für Leipzig und Umgebung. Leipzig 2002. Veranstaltungen / Lehre / Vorträge 08/2011 Referentin bei der internationalen ISPHES-Tagung (International Society for the History of Physical Education and Sport) „From Gymnastics to Sports – Relations, Interactions, Contradictions in the Past and the Present: A Congress on the Occasion of the Founding of the German Turner Movement in 1811” in Frankfurt/Main 01/2010 Referentin bei der Ringvorlesung „Andocken IV“ der Universität Hamburg 11/2009 Referentin im Arbeitskreis „Sozial- und Wirtschaftsgeschichte“ der Universität Hamburg 10/2008 Referentin bei der 10. Hoyaer Tagung zur Sportgeschichte „Vergessen, verdrängt, abgelehnt – zur Geschichte der Ausgrenzung im Sport“ Stipendien 10/2009-09/2010 Promotionsstipendiatin der Landesgraduiertenförderung Hamburg 04/2006-09/2008 Studienstipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung Dissertationsprojekt „… reitet für Deutschland“: Pferdesport im Nationalsozialismus – zwischen Anpassung, Gleichschaltung und Funktionalisierung Eine gesellschaftshistorische Analyse des Pferdesports im Kontext der zeithistorischpolitischen Wandlungen, vor allem durch das NS-System, steht noch aus. Meine Arbeit soll diese Forschungslücke schließen. Gegenstand der Analyse bilden die (Pferdesport treibenden) Akteure und ihr soziales Feld (und damit ihr „Netz von Relationen“ im Sinne Bourdieus), die Reit- und Rennvereine und -verbände, darüber hinaus Pferdesportveranstaltungen und (NS-)Organisationen. In Fallstudien werden, sowohl für die Zeit vor 1933 als auch danach, soziale und politische Verflechtungen1 von Personen, Verbänden und (NS-)Organisationen analysiert.2 Davon ausgehend, dass Inhaber von Machtrollen nicht gesellschaftlich isoliert, sondern immer untereinander „verflochten“ vorkommen, kann so die Struktur der innerstädtischen Pferdesport treibenden, meist bürgerlich-elitären Gesellschaft in der Zeit von ca. 1850 bis 1933 am Beispiel Hamburgs dargestellt und soziale bzw. politische Verflechtungen herausgearbeitet werden. Inwiefern nach 1933 diese Strukturen und Beziehungen fortdauerten und Verflechtungen zwischen Pferdesportlern und Nationalsozialisten bestanden, kann mit Hilfe eines (bisher nicht existierenden) Gesamtüberblickes des Pferdesports3 im Nationalsozialismus beantwortet werden. Hier rücken die staatlichen und nichtstaatlichen Pferdsportorganisationen (Reiter-SS, Reiter-SA, Nationalsozialistisches Reiterkorps, Reiter der Wehrmacht/Kavallerie, ländliche Reitvereine etc.) in den Forschungsmittelpunkt. Erkenntnisleitende Fragestellungen, beispielsweise welche/ob Veränderungen für die Reit- und Pferdesportvereine im Zuge von 1933 eintraten, wie sich die personellen Strukturen darstellten und wie die nationalsozialistischen Vorstellungen von Pferdesport generell aussahen, werden hier strukturanalytisch zu beantworten versucht, sie geben Auskunft über Zusammenhänge, Kontinuitäten und Brüche auch über 1945 hinaus. 1 2 3 Nach Wolfgang Reinhards Konzept der „Verflechtungsanalyse“, vgl. insbes. ders., Freunde und Kreaturen. „Verflechtung“ als Konzept zur Erforschung historischer Führungsgruppen. In: ders.: Ausgewählte Abhandlungen. Berlin 1997, S. 289-310. Dabei wird auch Pierre Bourdieus Konzept von „Habitus“ und „sozialem Feld“ berücksichtigt. Dabei wird die Kategorie Pferdesport nicht sportartspezifisch, sondern gesamtgesellschaftlich betrachtet. Es lassen sich nunmehr etliche Forschungsergebnisse herausstellen, von denen an dieser Stelle einige zusammenfassend aufgezeigt werden sollen. Die nationalsozialistische Pferdesportpolitik wurde durch eine starke Vermischung und Nichttrennung von Partei und Staat geprägt; nicht klar abzugrenzende Kompetenzen und Zuständigkeiten waren auch für diesen Bereich des NS-Systems paradigmatisch. Dieser „Dual State“ (Ernst Fraenkel) macht sich insbesondere in dem Nebeneinanderbestehen und Übereinanderwirken von neuen NS-Pferdesportorganisationen und alten staatlichen Institutionen bemerkbar, die mit unterschiedlichsten und ständig wechselnden Befugnissen und Einflussmöglichkeiten ausgestattet waren. Die SA war z.B. für die Rekrutierung und Ausbildung des reitenden Nachwuchses der Wehrmacht zuständig. Sie hatte (auf Verfügung Hitlers vom 10. März 1936) mit dem „Nationalsozialistischen Reiterkorps“ (NSRK) eine Art „interne Dachorganisation“ der Reitvereine ins Leben gerufen.4 Ihr wurde die gesamte vormilitärische Reit- und Fahrausbildung angetragen; sie sollte, so Hitler, die Ausbildung des Nachwuchses „nach den Gesichtspunkten der Wehrmacht“ sicher stellen und darüber hinaus auch für die nachmilitärische Reit- und Fahrausbildung Sorge tragen. Um die dafür notwendigen Rekruten auszuheben, strebte die nationalsozialistische Pferdesportpolitik die Übernahme ganzer Reitvereine bzw. aller in Frage kommenden Reiter in das NSRK an. Dadurch sollte eine größtmögliche Erfassung der wehrpflichtigen Männer gewährleistet und diese vormilitärisch ausgebildet werden. Die zivilen Reitvereine bestanden auch nach 1933 fort: SA und SS standen in dauerhafter Konkurrenz um ihre Mitglieder; jedoch wurden – entgegen dem bisherigen Forschungsstand5 – die Vereine nicht in Gänze einer NS-Organisation zugeordnet und damit auch nicht geschlossen in SA- oder SS-Formationen überführt. Ländliche Reitvereine konnten nach wie vor be- und entstehen. „Gleichschaltung“ und „Führerprinzip“ verlangten jedoch von den Vorständen der Reitvereine ein Anpassen an die neue staatliche und gesellschaftliche Struktur. Stichproben zeigen deutliche Veränderungen der Vereinssatzungen: Der „Vereinsführer“ besaß fortan alleinige Entscheidungshoheit über den Verein, welcher von diesem nach dem „Führerprinzip“ geleitet werden sollte.6 Darüber hinaus musste den neuen Vorständen oftmals jeweils ein Vorstandsmitglied der SS und eines der SA angehören.7 SSbzw. SA-Mitglieder konnten somit gezielt Propaganda betreiben und nach und nach die Vorstände von Reitervereinen dominieren. Aber auch die jeweiligen Reitvereine, in denen die Lehrgänge und der Reitunterricht der SA-Führer sowie diverse nichtöffentliche SA- und SS4 Vgl. Der Reichsorganisationsleiter der NSDAP (Hg.), Organisationsbuch der NSDAP. München 1937, S. 371 f. 5 So u.a. bei Heinz Höhne, Der Orden unter dem Totenkopf. Die Geschichte der SS, München 1984, S. 129. 6 So in Hamburg z.B. bei dem „Reitverein Rotherbaum“ oder dem „Hamburger Renn-Club“. Vgl. StAHH 231-10/B 1982-15, StAHH 113-2/B II 17 b). 7 So bei dem „Hamburger Renn-Club“ oder dem „Hanseatischen Sport- und Zuchtverein“, vgl. StAHH 113-2/B II 17 b), StAHH 231-10/B 1973-86. Turniere abgehalten wurden, boten ihre Stätten oft eigeninitiativ an – und das bereits im Januar 1932.8 Die SS-Reiter, Mitglieder der Allgemeinen und später der Waffen-SS, gehörten zu den erfolgreichsten Reitern des Landes. Sie hatten (im Gegensatz zur SA, die eine quantitative Überlegenheit gegenüber der SS anstrebte) vor allem eine autoritative und repräsentative Funktion. In besonderer Konkurrenz standen diese zu den bis Mitte der 1930er Jahre im Turniersport dominierenden Wehrmachtsangehörigen, die bei den Olympischen Spielen 1936 alle Reiter der deutschen Equipe stellte. Explizit als Gegenstück zur traditionellen Kavallerieschule der Reichswehr/Wehrmacht in Hannover (ab 1937 nach Krampnitz verlegt) entworfen, wurde auf Initiative des Inspekteurs der SS-Reitschulen, SS-Brigadeführer Christian Weber, im Juli 1937 die SS-Hauptreitschule München eingeweiht. Hermann Fegelein leitete diese „Kaderschmiede“, die in der väterlichen Reitschule in München-Riem errichtet und bereits 1931 der SS zur Verfügung gestellt wurde. Fegelein, der 1933 der SS beitrat und einer ihrer wichtigsten Reiterführer war, gehörte nicht nur zu den besten Springreitern im Land (u.a. gewann er diverse nationale wie internationale Preise wie 1937 das Hamburger Spring-Derby oder 1939 den Preis des Imperiums in Rom), sondern auch zum engsten Umfeld von Hitler und Himmler.9 Um die „offizielle Vertretung der Schutzstaffel auf allen nationalen und internationalen Turnieren und Rennen“10 darstellen zu können, bemühte sich die SS besonders um erfahrene und vielversprechende Turnierreiter, zu denen u.a. SS-Hauptsturmführer Waldemar Fegelein, SS-Sturmbannführer Marten v. Barnekow (Olympiasieger von 1936) und SS-Sturmbannführer Günter Temme gehörten. Mitglieder der Reiter-SS stammten anfänglich vor allem aus den Kreisen des deutschen Hochadels und des gehobenen Bürgertums.11 Sie sollten eine „Eliteformation“ darstellen und das elitäre Selbstbild der SS formen, welches sich, wie René Rohrkamp jüngst resümierte, spätestens in den Kriegsjahren zu blindem und bedingungslosem Gehorsam der Soldaten wandelte.12 Jedoch: Der ‚vornehme’ Reitsport passte, auch dank seiner militärischen Ausrichtung, zu den strengen ideologischen Vorgaben der SS. Nicht zuletzt sollte die weltanschauliche Gesinnung der Reiter im Sinne des „nationalsozialistischen Geistes“ sein: „Treue zum Führer, Unterordnung und Disziplin, Einsatzbereitschaft und Gehorsam, Liebe zum Vaterland, Liebe zur 8 9 10 11 12 Vgl. BArch NS 23/403. Er heiratete im Juni 1944 die Schwester von Eva Braun und war somit der Schwager Hitlers, außerdem war er Verbindungsführer der SS im Führerhauptquartier während des Zweiten Weltkrieges. Vgl. u.a. Rieß, Volker: Hermann Fegelein. Parvenu ohne Skrupel, in: Smelser, Ronald/Syring, Enrico (Hg.), Die SS: Elite unter dem Totenkopf. 30 Lebensläufe, Paderborn u.a. 2000, S. 160-172. „Landvolk im Sattel“ Nr. 15/1939, S. 199. Dazu zählen so prominente Beispiele wie Hans-Georg von Charpentier, Bernhard zur Lippe-Biesterfeld, Hans von Salviati, Herbert Gilhofer, Albert Faßbender u. v. m. Vgl. Rohrkamp, René: „Weltanschaulich gefestigte Kämpfer“. Die Soldaten der Waffen-SS 1933-1945. Organisation – Personal – Sozialstrukturen. Paderborn 2010, S. 515 f. angestammten Scholle, Liebe zu Heim und Herd. Solange ein deutscher Reiter zu Pferde steigt, solange insonderheit ein S.S.-Reiter zu Pferde steigt, pflegt er den Geist der Kameradschaft, den Deutschlands Söhne im Weltkriege in so besonderem Maße gepflegt haben.“13 Unter Hermann Fegeleins Kommando waren die SS-Reiter bereits ab September 1939 maßgeblich an den Verbrechen der SS in den besetzten Ostgebieten beteiligt. Nicht als paramilitärische, sondern als militärische Organisation eingesetzt, setzten die berittenen Einheiten der Waffen-SS ganz entscheidend den systematischen Vernichtungskrieg gegen die polnische Bevölkerung in Gang.14 Bei den Nürnberger Prozessen blieb die Reiter-SS als Organisation unberücksichtigt; der Militärgerichtshof hat sie als reiterliche und turniersportliche Gruppierung von Beginn an aus dem Verfahren ausgeschlossen. Warum dies geschah, bleibt bis heute eine offene Frage. In meiner Dissertation versuche ich ein Stück zu ihrer Beantwortung beizutragen. Und auch die damit einhergehenden Fragenkomplexe sollen hinreichend bearbeitet werden, so dass hoffentlich bald eine weitere Forschungslücke als geschlossen betrachtet werden kann. 13 14 Das Schwarze Korps, 1/1935, S. 2. Vgl. dazu insbes. Cüppers, Martin: Wegbereiter der Shoah. Die Waffen-SS, der Kommandostab Reichsführer SS und die Judenvernichtung 1939-1945. Darmstadt 2005.