management - ESCH. The Brand Consultants

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MANAGEMENT
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impulse
JANUAR 2012
Rohrkrepierer
KOMMUNIKATION Wie macht man aus einer schlichten Aluflasche ein
Kultprodukt für Öko-Ästheten? Die Schweizer Firma Sigg hat es vorgemacht.
Dann wurde ihr das Image der moralischen Überlegenheit zum Verhängnis
[ Text: Julia Graven ]
D
ie schmalen Arme von Julia Roberts
wirbeln durch die Luft, die Worte
sprudeln nur so aus ihr heraus. Es
geht um „giftige Stoffe“, die sich aus
herkömmlichen Plastikflaschen lösen können –
und schließlich zu einer Gefahr für Menschen
werden. Oprah Winfrey, Amerikas bekannteste
Talkshow-Moderatorin, blickt erst ungläubig,
dann ernst und pikiert. Kurz bevor ein Einspielfilm das Thema vertieft, sagt Roberts den Satz,
der hängen bleibt: „Ihr müsst euch alle SiggFlaschen besorgen.“
Es ist der 22. April 2008. Sieben Millionen
Zuschauer haben eingeschaltet. Kurz darauf
geht der Onlineshop von Sigg in die Knie, die
Server halten dem Ansturm nicht mehr stand.
Halb Amerika scheint wild entschlossen, eine
der ökologisch korrekten Flaschen zu kaufen.
Kumicak + Namslau
Auf dem Weg zur Weltmarke
Der plötzliche Ansturm trifft die Geschäftsleitung im schweizerischen Frauenfeld, dem
Stammsitz von Sigg, völlig unerwartet. Selbst
im Dreischichtbetrieb kann die Nachfrage nicht
mehr befriedigt werden. Mehr als sechs Millionen Flaschen schafft das Werk nicht. Also wird
ein zweites geplant. Alle Zeichen stehen auf Expansion. 2008 verkauft Sigg fast doppelt so viele Flaschen wie im Jahr zuvor, 90 Prozent davon gehen ins Ausland. Die 85-Mann-Firma ist
auf dem Weg, eine Weltmarke zu werden.
Hinter dem Erfolg steht ein Marketing, das
die Aluflasche als schickes Accessoire für um-
weltbewusste Hipster verkauft. Dieses Image
der moralischen Überlegenheit wird später zur
Falle werden. Die Geschichte von Sigg ist daher
ein Lehrstück über Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Darüber, wie schwer es sich aufbauen
lässt. Und wie schnell man es verspielen kann.
Fragt man Sigg-CEO Walter Hinder heute
nach dem zweiten Werk, winkt er ab: unnötig.
Sigg hat andere Probleme. Den US-Markt nämlich. Der ist kollabiert. Im Mai 2011 musste Sigg
Switzerland USA Inc. Insolvenz anmelden.
Um den Absturz zu begreifen, gilt es, den Aufstieg von Sigg zu verstehen. Der begann 1998,
mit einer radikalen Entscheidung. Sigg hatte bis
dahin alles Mögliche hergestellt: Zinnwaren,
Pfannen, Raclettegrills, Schnellkochtöpfe. Nun
sollte es nur noch ein Produkt geben, die SiggBottle. Eine Flasche, die eigentlich nicht viel
mehr ist als ein Alurohr mit Schraubgewinde.
Keine Innovation, sondern ein uraltes Produkt,
das in der ursprünglichen Form bereits 1910,
zwei Jahre nach Firmengründung, entwickelt
wurde. Und doch schien ihr Potenzial so groß,
dass dafür alles andere aufgegeben wurde.
Aus der simplen Trinkflasche war ein Designklassiker geworden, der es bis ins Museum of
Modern Art in New York geschafft hat. Seit
1993 stehen dort neben Werken von Paul
Cézanne, Wassily Kandinsky oder Pablo Picasso
auch zwei Sigg-Flaschen: eine kleine rote und
eine lange weiße. Für Kurt Zimmerli, der sie als
Designer in den 1970er- und 1980er-Jahren
entwarf, ist gerade die extreme Schlichtheit
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entscheidend. „Eine Sigg-Flasche kommuni- schickten Prominenten auf Ökotrip umsonst
ziert sofort: Ich bin eine Trinkflasche, nicht Flaschen zu. Öko war schick, Al Gore hatte für
mehr und nicht weniger. Das mögen die Leute.“ sein Umweltengagement gerade den FriedensDas vielfach preisgekrönte Design war nur nobelpreis bekommen. „Und wir waren der ersein Grund, ganz auf die Aluminiumflaschen zu te Flaschenhersteller, der über Umwelt redete“,
setzen. Der andere war der Ökotrend, der in erinnert sich Wasik. Bereitwillig ließen sich die
den 90ern in der Mitte der Gesellschaft ankam. Berühmtheiten einspannen. Wenn Cindy CrawIn Deutschland etwa baten Kindergärtnerinnen ford und Cameron Diaz von Paparazzi vor dem
immer öfter darum, dem Nachwuchs Brote und Fitnessstudio abgelichtet wurden, hatten sie
Getränke mitzugeben – aber bitte ohne Verpa- ihre Sigg-Flasche dabei. Die Promis wurden zu
ckungsmüll. Die bunte Sigg-Flasche entwickel- lebenden Werbeträgern. „Sie haben die Werbetrommel für uns freiwillig gete sich zur Standardausrüstung
aus Überzeugung“, sagt
deutscher Kindergartenkinder.
Eine Sigg-Flasche rührt,
der heutige Sigg-Chef Hinder.
Im Rest der Welt war die Siggkommuniziert
Es schien, als hätte Sigg alles
Flasche allenfalls Wanderern
und Bikern ein Begriff. Das än- sofort: Ich bin eine richtig gemacht. Das sagt auch
derte sich 2003, als die US-ame- Trinkflasche, nicht Markenexperte Franz-Rudolf
Esch: „Je kleiner die Firma, desrikanische Private-Equity-Firma
mehr und nicht
to wichtiger ist es, sich auf weniRiverside bei Sigg einstieg und
weniger. Das
ge Produkte zu fokussieren und
eine globale Marketingstrategie
mögen die Leute sich mit origineller Kommuniausrollte. Als CEO wurde der
Kurt Zimmerli Designer
kation von den Wettbewerbern
Markenexperte Steve Wasik ander Sigg-Flaschen
geheuert. Er sollte den US-Markt
zu unterscheiden.“ Die Marke
erobern, denn der schien wie geüber Meinungsführer, Promischaffen für Sigg. Wasser trinken, und zwar so nente und Mundpropaganda bekannt zu maviel wie möglich, gilt hier als gesund. Ohne chen sei genau richtig. Esch lobt auch die klare
Wasserflasche geht kaum ein Amerikaner zur Ansprache der Zielgruppen über Design und
Ökoimage, denn „der Weg in neue Märkte
U-Bahn, ins Büro oder zum Sport.
Wasik, der vorher Softdrinks für Schweppes kann bei kleinen Marken wie Sigg nicht über
verkauft hatte, erkannte das Vermarktungspo- den Massenmarkt laufen“.
Besser von kleinen zu größetenzial der Sigg-Bottle. Sie war öko, funktional
ren Nischen. So arbeitete Sigg
und cool. Ein seltener Dreiklang. Der ruhig seimit Outdoorläden, Bionen Preis haben darf.
supermärkten und YogaWasik engagierte zwei PR-Agenturen. Die
studios zusammen.
sorgten dafür, dass Designer wie Donna
Auch Ökolabels
Karan Motive für
wie Patagonia
Sigg entwarkooperierfen. Und
ten; bei
sie
den
Werbewelt Relations
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25-Dollar-Flaschen war für sie eine ordentliche
Marge drin. Nach drei Jahren war die Marke so
stark, dass Wasik sich in den Massenmarkt traute. Ab 2008 lieferte Sigg an Target – die zweitgrößte Kaufhauskette der USA. „Die hatten
zwei Jahre um uns geworben, doch wir wollten
erst einmal die Marke etablieren“, sagt Wasik.
Als Kanada im April 2008 Bisphenol A (BPA)
in Babyflaschen verbot, schien das Sigg in die
Hände zu spielen. Schließlich steckt der hormonähnliche Stoff vor allem in Plastikflaschen. Er war der Grund,
Wenn die Kunden finden, weshalb Julia Roberts in der
dass da ein Problem ist, „Oprah Winfrey Show“ siedann ist da auch ein Problem ben Millionen Amerikanern
riet, sich lieber Sigg-Flaschen
Timothy Coombs University of Central Florida
zu besorgen.
Was Roberts nicht wusste:
Sigg-Flaschen waren keineswegs BPA-frei.
Steve Wasik wusste das durchaus, schon seit
zwei Jahren. Dem CEO schien das aber nicht
weiter erwähnenswert, schließlich waren es ja
nur minimale Spuren im Innenlack. Und eine
Studie im Auftrag von Sigg hatte ergeben, dass
sich das BPA nicht aus der Beschichtung löst.
Wer Sigg nach BPA fragte, wurde hingehalten, Vertraulichkeitsvereinbarungen mit dem
Lieferanten der Beschichtung wurden vorgeschoben. Das Unternehmen spielte auf Zeit. Es
wusste, dass viele Verbraucher wegen BPA vom
Plastik zum scheinbar sicheren Aluminium
wechselten. Beim Lackzulieferer wurde deshalb
eine neue Beschichtung bestellt, ohne BPA. Im
Sommer 2008 wurde das Werk in Frauenfeld
für ein paar Wochen geschlossen, um die
Produktion umz u s te l l e n .
Bald darauf
verließen die ersten BPA-freien Flaschen das
Werk in Richtung USA. Niemand hatte die
klammheimliche Umstellung bemerkt.
Bis Sigg die neuen Flaschen als BPA-frei bewarb. Wasik wollte nicht, dass die Kunden sich
wegen der neuen Beschichtung sorgten. Er sagt
bis heute: Das war der richtige Weg.
Es war der Weg ins Desaster. Schlagartig
erkannten die Kunden, dass die alten Flaschen
offenbar nicht BPA-frei gewesen waren. Innerhalb von Tagen war der Ruf von Sigg in den
USA ruiniert. Enttäuschte Kunden und Händler
ließen ihrem Ärger freien Lauf. Auf Facebook
wurde eine „Boycott Sigg“-Seite gegründet.
Eine Händlerin bloggte: „Ich will nicht mit Gebrauchtwagenverkäufern zusammenarbeiten.
Es geht doch ums Vertrauensprinzip.“
Das Vertrauen war dahin. Jahrelange Aufbauarbeit zerstört in Tagen. Musste es so weit
kommen? Einer der führenden Experten für
Risikokommunikation, Timothy Coombs von
der University of Central Florida, urteilt: „Sigg
hat die Sache zu nüchtern betrachtet. Sie haben
gesagt: Das BPA löst sich nicht von der Beschichtung, also ist da auch kein Problem.“ Die
Kunden hätten das Risiko aber emotional
betrachtet und gesagt: Das reicht uns nicht, wir
haben Angst. „Wenn die Kunden finden, dass
da ein Problem ist, dann ist da auch ein Problem“, sagt Coombs.
Wasik entschuldigte sich und
bot an, die Flaschen umzutauschen. Prompt unterlief ihm
der nächste Fehler. Die
Amerikaner schickten
300 000 Flaschen
ein, aber Sigg
übernahm
nicht
mal
das Porto. In Internetforen beschrieben wütende Mütter, wie sie ihre Sigg-Flaschen erst mit
dem Auto überrollen würden, bevor sie sie einschickten. Andere schrieben, sie würden nie
wieder Sigg kaufen, nicht wegen des BPA, sondern wegen der Lügen.
„Das wäre im Prinzip vermeidbar gewesen“,
sagt der neue CEO Walter Hinder, seit Frühjahr
2010 im Amt. „Mit einer anderen Kommunikationsstrategie wären wir sicher besser gefahren
und hätten Kosten gespart.“ Allein die alten
Flaschen, die noch im Lager in Connecticut
standen und nicht mehr verkauft werden konnten, bedeuteten Millionenverluste. Die Outdoormarke Patagonia kündigte die Partnerschaft. Wenig später wurden auch die Verträge
mit dem größten Kunden Target aufgelöst.
Werbewelt Relations; Agentur Focus/Dr.Tim Evans/SPL
Sammelklagen führen zur Insolvenz
Der Albtraum für die Schweizer Firma war damit aber noch nicht zu Ende. 2009 wurden
mehrere Sammelklagen eingereicht. Weil Sigg
sich mit den Anwälten nicht auf einen Vergleich
einigen konnte, meldete die Sigg Switzerland
USA Inc. im Mai 2011 Insolvenz an.
Das gelobte Land der Wassertrinker mag Hinder trotzdem nicht aufgeben. Er sieht dort immer noch das größte Potenzial. Mit einer neu
gegründeten Tochtergesellschaft soll Sigg den
Markt zurückgewinnen. Wie er das schaffen
will? „Durch solide Produkte mit guter Qualität
und innovativen Konzepten.“
PR-Experte Coombs rät zum aktiven Reputationsmanagement. „Sigg könnte mit Plastikgegnern oder BPA-Experten kooperieren und so
den Kunden klarmachen, dass die Firma aus
den Fehlern gelernt hat und in Zukunft besser
mit dem Thema umgehen will.“
Hinders Strategie sieht anders aus. Er findet
es wenig amüsant, auf die „alten Geschichten“
angesprochen zu werden. Das Thema BPA sei
abgehakt. Europa hat der Skandal nie erreicht.
In der Schweiz wurden nur ein paar Hundert
alte Flaschen eingeschickt. In Deutschland,
dem zweiten großen Markt neben den USA, ist
kaum bekannt, dass Sigg-Flaschen lange Zeit
die umstrittene Chemikalie enthielten. Obwohl
die Flaschen nach der Umstellung auf die neue
Beschichtung auch hier plötzlich als BPA-frei
beworben wurden, kam es zu keiner Welle des
Protests. Eine Umtauschaktion gab es nicht.
Noch immer trinken in Deutschland wohl
Tausende Kinder aus Sigg-Flaschen, deren Innenbeschichtung BPA enthält. 2010 befanden
sich in Deutschland sogar noch alte Flaschen
mit BPA im Verkauf. Sigg macht das nicht zum
Thema. Lieber schweigt man. Und hofft, dass
sich die Deutschen nicht doch irgendwann die
Frage stellen, warum die Ökoslogans von den
Sigg-Flaschen plötzlich verschwunden sind.
Umwelt wird bei Sigg heute nicht mehr so
sehr in den Vordergrund gestellt. Wie seine Vorgänger setzt Hinder auf den Promifaktor. An
den Sichtbetonwänden des schicken Hauptquartiers hängen Zeitungsausschnitte aus „Elle“,
„Vogue“ und „Glamour“. Vivienne Westwood,
Scarlett Johansson, Heidi Klum und Zac Efron
heißen die neuen Werbeträger aus der Glamourwelt. Seit dem BPA-Skandal setzt Sigg noch
mehr auf Design und Mode.
Damit will Hinder den Umsatz wieder an die
40 Mio. Euro aus dem Rekordjahr 2008 heranführen. Leicht ist das nicht. Der Franken ist
stark, die Konjunktur schwächelt. Hinzu kommen weitere Krisen. Im wichtigen Sigg-Markt
Japan etwa trinken viele Menschen wegen
Fukushima kein Leitungswasser mehr: Wer
weiß schon, was da alles drin ist.
BISPHENOL A: DIE UMSTRITTENE CHEMIKALIE
Sie steckt in Konservendosen, Wasserkochern, Zahnfüllungen.
Doch die gesundheitlichen Folgen der Chemikalie sind umstritten: In Babyflaschen darf sie nicht mehr verwendet werden
England, Mitte der
1930er-Jahre: Zwei
britische Biochemiker
suchen nach einer
Substanz, die das weibliche Sexualhormon
Östrogen nachahmen
kann. Sie finden Bisphenol A (BPA), eine
chemische Verbindung
aus Phenol und Azeton.
Medizinisch, so stellt
sich später heraus, ist
BPA wenig geeignet.
Die Chemikalie macht
trotzdem Karriere,
beim Herstellen von
Kunststoff. Jedes Jahr
produziert die Industrie rund 3,8 Millionen
Tonnen des Stoffes.
schlechter war oft die
Qualität ihrer Samen.
Das Problem: BPA
kann sich aus Produkten lösen und so vom
Menschen aufgenommen werden. BPA
steht im Verdacht,
Krebs, Fettleibigkeit
und Unfruchtbarkeit
zu begünstigen. Eine
Studie an 200 chinesischen Fabrikarbeitern
hat ergeben: Je mehr
BPA die Männer im
Blut hatten, desto
Kanada hat 2008 als
erstes Land BPA offiziell als gesundheitsschädlich eingestuft
und die Verwendung in
Babyflaschen verboten. Seit März 2011 hat
auch das deutsche
Verbraucherschutzministerium BPA in Babyflaschen untersagt. Das
Umweltbundesamt
empfiehlt Herstellern,
BPA vorsorglich durch
gesundheits- und umweltfreundliche Alternativen zu ersetzen,
um Mensch und Umwelt nicht zu belasten.
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