The Long Ride In The East

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The Long Ride In The East
Nach gut vier Wochen kehrten wir Ende September 2012 an unseren Ausgangspunkt nach Montréal in der Provinz Québec zurück. In der Zwischenzeit legten wir 7‘200 Autokilometer zurück, davon 1‘500 km auf
Schotterpisten (Gravel Roads). Wir benutzten vier Fähren, um Flüsse und
Meere zu überqueren. Wir fuhren dem erst 2010 komplett fertiggestellten
und 2‘000 km Trans Labrador Highway durch die Provinzen Québec und
Labrador entlang, lernten Newfoundland kennen und folgten den historischen Pfaden der Provinzen Nova Scotia, Prince Edward Island und New
Brunswick. Der kanadische Osten faszinierte uns gleichermassen wie
schon die anderen Landesteile. - Taucht mit uns ein in die unendlichen
Weiten Ostkanadas. Erlebt in den folgenden zwölf Abschnitten die grossartigen und spannenden Augenblicke dieser eindrücklichen Reise …
(up/gp)
Québec
- STAGE ONE -
Es ist Ende August. Mit Swiss fliegen wir direkt in rund 8 Stunden die 6‘000 km von
Zürich nach Montréal in der Provinz Québec. Der Zeitunterschied beträgt -6 Stunden.
Die Einreise am Immigration Counter zieht sich hin, der Weg zur Gepäckausgabe ist
am internationalen Pierre-Elliott-Trudeau-Flughafen von Montréal schon eine kleine
Wanderung und der Gang durch die Tiefgaragenkatakomben zur Autovermietung will
kaum enden. Nach 1 ½ Stunden übernehmen wir dann unseren fast neuen Jeep
Cherokee Laredo mit 2‘600 km auf dem Tacho. Und los geht es. Doch Montréal mit
seinen 4 Millionen Einwohnern macht es uns nicht leicht. Die Strassen sind verstopft
und es geht die 35 km bis zur Stadtgrenze nur Schrittweise und Baustelle um Baustelle
voran. Nach weiteren 1 ½ Stunden sehen wir endlich die Stadtgrenze hinter uns und
wir folgen der ‚Chemin du Roi‘ auf der Westseite des St. Lorzen-Stroms nach TroisRiviéres, wo wir unsere erste Nacht im Super 8 Motel verbringen. Die ‚Chemin du Roi‘
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ist eine romantische Strasse, die parallel zum Highway verläuft und unbedingt zu empfehlen ist. Bevor wir uns nach dem langen Reisetag eine Mütze voll Schlaf gönnen, machen wir noch einen Abstecher in den nahe gelegenen Walmart und kaufen dort noch
Toilettenartikel und Getränke ein. Unser Tipp: Toilettenartikeln zu Hause lassen und
vor Ort kaufen, dadurch kann man beim Gepäck (max. 23 kg pro Person) Gewicht sparen!
Am Tag darauf cruisen wir weiter auf der ‚Chemin du Roi‘ Richtung Hauptstadt von
Québec. Kaum angekommen zieht uns Québec City in ihren Bann. Wir finden für drei
Tage Unterschlupf im Hotel ‚A la Maison du Général‘, das zentral in der Innenstadt
liegt. Das Auto muss für 14 CAN$ pro Tag ins 10 Gehminuten weiter gelegene öffentliche Parkhaus des Hôtel Du Ville (Rathaus). Québec City ist ein Juwel am tiefblauen St.
Lorenz-Strom. Die Stadt versprüht den gleichen Charme wie Paris: Kleine Gässchen,
buntes Treiben, viel Kunst, Kultur und Geschichte, bunte und bemalte Häuser, alte
und gut erhaltene Gebäude und mit der grossartigen, weitläufigen Citadelle de Québec
und der immer noch intakten und von Kanonen gespickten Stadtmauer rund um die
Altstadt. Das Luxushotel Frontenac, das Funiculaire, der Hafen und die altertümlichen
mit Blumen dekorierten Fussgängerzonen ziehen die Leute wie ein Magnet an. Mit einer Bootstour machen wir einen 2 ½-stündigen Ausflug auf dem St. Lorenz-Strom und
am Nachmittag werden wir Zeugen des stattfindenden Québec-Marathons und anderntags kommen wir in den Genuss einer grossartigen Militärparade der 35. Canadian
Brigade. Obwohl Québec mehr oder weniger die einzige Provinz in Kanada ist, die
Französisch als Hauptsprache hat, ist ein Durchkommen mit Englisch überhaupt kein
Problem.
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Trans Labrador Highway
- STAGE TWO -
Es wird Zeit unsere Reise fortzusetzen. Wir verlassen Québec City und wir besuchen
auf unserer Fahrt nach Norden noch die 83 Meter hohen und eindrücklichen Chute
Montmorency. In Tadoussac überqueren wir mit der kostenlosen Fähre den breiten
Saguenay River und weiter geht es nach Baie-Comeau. Als wir dann in Baie-Comeau
ankommen, beginnt unser Herz spürbar schneller zu schlagen. Jetzt sind wir am Ausgangspunkt des 2‘000 km langen abenteuerlichen Trans Labrador Highways (TLH) und
wir wissen noch nicht, was uns hier erwartet. Die Informationen aus dem Internet waren spärlich und zum Teil widersprüchlich und somit beginnen wir eine Fahrt ins mehr
oder weniger Unbekannte. Am Ausgangspunkt des TLH schauen wir uns ein letztes
Mal gegenseitig an und sagen uns dann: ‚Es wird schon schief gehen!‘. Ein letzter Blick
auf die Tankanzeige, dann stellen wir den Ganghebel auf ‚D‘ und anschliessend nimmt
unser Jeep die ersten Meter des TLH unter seine Räder.
Als erstes fällt uns eine riesige gelbe Tafel am rechten Strassenrand auf. Sie zeigt die
offenen und gesperrten sieben Streckenabschnitte bis in den hohen Norden. Uns fällt
jedoch ein Stein vom Herzen, als wir sehen, dass alle Teilstücke offen sind. Wir cruisen
noch ein erstes Stück von 50 km auf der noch geteerten, holprigen, löchrigen und
schmalen Strasse des TLH, bevor wir uns einen Platz zum Übernachten suchen. Dann
verbringen wir unsere erste Nacht im Freien an einem kleinen Lagerfeuer und geniessen die greifbare Stille und den sternenklaren Himmel.
Nach einer Dusche mit kaltem Wasser aus der Wasserflasche machen wir uns, nach
einem Frühstück bestehend aus Orangensaft und Cookie, auf den Weg. Schon bald
hört der Asphalt auf und die Schotterpiste übernimmt die Strassenhoheit. Der erste
Teil des TLH führt uns am sechstgrössten Staudamm der Welt, dem Manic 5, vorbei.
Wir kommen nach 320 km nach Relais-Gabriel am Lac Manicouagan. Dieser kraterTHE LONG RIDE IN THE
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förmige See entstand vor ungefähr 214 Millionen Jahren durch den Einschlag eines Meteoriten. Nach dem Einschlag hinterliess der Meteorit einen Krater mit einem Durchmesser von rund 100 Kilometern. Relais-Gabriel besteht aus einer kleinen Tankstelle
und einem winzigen kantineartigen Restaurant. Wir machen eine kurze Rast bei einem
einfachen Lunch und setzen danach unsere Fahrt fort. Wir rollen mit der erlaubten
Maximalgeschwindigkeit von 70 km/h über Fermont nach Labrador City. Hier verlassen wir die Provinz Québec und kommen in die Provinz Newfoundland and Labrador,
wobei wir uns hier nun im Teil Labrador befinden. Danach geht es mehrere hundert
Kilometer durch wilde, urige und unbewohnte Gegenden bis nach Churchill Falls. Danach weiter nach Happy Valley-Goose Bay, das am grossen Churchill River liegt. Kurz
vor Happy Valley-Goose Bay treffen wir wieder einmal auf eine Asphaltstrasse und wir
fühlen uns wie auf einem Federbett im siebten Himmel!
Wir verbringen zwei Tage in Happy Valley-Goose Bay, waschen für eine Hand voll Dollars unsere Kleider in einer der zwei öffentlichen Laundries, besuchen den Zivil- und
Militärflughafen der Royal Canadian Air Force (RCAF) mit seinen ausgestellten historischen und berühmten Militärflugzeugen wie die Voodoo, die Vulcan und der Catalina.
Anschliessend machen wir einen Abstecher nach North West River, der ältesten Gemeinde von Zentrallabrador und 1743 gegründet. Dieser kleine Ort, der nur von ein
paar Menschen bevölkert ist, verfügt über ein beeindruckendes Interpretation Centre
mit freiem Eintritt. Es zeigt dem Besucher die Geschichte und das Leben der Siedlung
in grossartigen Szenen und ausführlichen Beschreibungen. Beim Eintreten empfängt
uns, in einer ungewohnt herzlichen Art, eine jüngere Lady und frägt uns, ob wir an einer Führung interessiert sind. Wir bejahen dies dankend und danach erklärt sie uns
während einer ¾-Stunde das Entstehen der Gemeinde, die Kultur und die Art des Lebens von früher und heute. Auch das interessante Labrador Heritage Museum (Eintritt
2 CAN$) im Dorfkern fasziniert uns später ebenso. Das Museum ist in einem ehemaligen Gebäude der Hudson‘s Bay Company untergebracht, das 1863 hier seinen ersten
Aussenhandelsposten gründete. Es ist unglaublich mit wie viel Engagement, so weit
abseits, die Community diese Einrichtungen unterhält und pflegt. Wir sind wahrlich
fasziniert und erstaunt!
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Cartwright, Northern Labrador
- STAGE THREE -
Und wieder ist es Zeit unsere Abenteuerreise fortzusetzen. Wir verlassen Happy Valley-Goose Bay und erreichen das erst 2010 fertiggestellte Teilstück des TLH. Als erstes
macht uns eine gelbe Hinweistafel am Strassenrand darauf aufmerksam, dass auf den
nächsten 392 km kein Benzin zu bekommen ist und man nochmals seine Tankfüllung
überprüfen soll! Die vor uns liegende 250 km lange Schotterpiste verbindet Happy Valley-Goose Bay mit der Cartwright Junction. Bisher war Cartwright von dieser Seite her
nur mit der Autofähre zu erreichen. Die Strasse ist in gutem Zustand. Sie trägt die Bezeichnung Labrador Coastal Drive 510S. Wir stellen eindeutig fest, dass sie erst vor
kurzem gebaut worden sein muss. Es gibt nur wenige Schlaglöcher. Nach vier Stunden
und 250 km erreichen wir die Junction nach Cartwright. Wir biegen links ab und fahren die nächsten 90 km nach Norden zur Labrador Sea hoch. Cartwright ist ein ruhiger
und einsamer Ort mit knapp 500 Einwohnern. Wir lassen uns für zwei Tage im
Northside Motel nieder und geniessen das Beobachten von Walen, das Nichtstun und
den stahlblauen Himmel mit der warmen Sonne. Es ist kaum zu glauben, dass hier im
Winter eine Temperatur von bis -15° herrscht und das Meer eine Eisdecke von 2 m hat.
Nachdem wir nun gut erholt sind, sagen wir Goodbye to Cartwright und fahren die 90
km zurück zur Junction, wo wir unseren Weg nach links Richtung Osten fortsetzen.
Eigentlich wollen wir in Cartwright noch tanken, da unsere Tankanzeige auf einen
halbleeren Tank hinweist. Doch als wir an die einzige Tankstelle von Cartwright kommen, ist da ein von Hand geschriebener Zettel auf der Tanksäule angebracht: ‚Sorry,
out of Gas‘. Ein erneuter Blick auf unsere Tankanzeige und dann auf die Karte sagt uns,
dass es auch so reichen muss. Wir fahren zu. Kaum 50 km hinter der Junction wird die
Gravel Road merklich schlechter. Die Strasse ist mit grossen und tiefen Schlaglöchern
übersät und es kommt, was kommen muss: Die Kontrolllampe am Armaturenbrett
meldet einen Druckverlust in einem der vier Reifen! Nun beginnt der heikle Teil, wir
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müssen rasch möglichst herausfinden, welches Rad betroffen ist, bevor wir eine kaputte Felge haben. Wir steigen aus und gehen um das Auto, um herauszufinden, welches
Rad wohl betroffen sein mag. Doch es ist noch nichts zu sehen. Also wieder rein ins
Auto und ein Stück zu fahren, dann ein erneuter Halt nach 20 km. Und ein weiterer
Rundgang zeigt, dass sich ein Flat Tire (Platten) am linken Vorderrad anbahnt. Da gibt
es nichts zu diskutieren. Der nächste Ort ist noch 250 km entfernt und somit ist kein
Hinkommen möglich – also wieder einmal Rad wechseln. Unser Spare (Ersatzrad) entpuppt sich jedoch nur als Hilfsrad, das für diese Umgebung nicht wirklich geeignet ist.
Da aber nichts anderes zur Verfügung steht, muss es reichen. Und mit dementsprechender Vorsicht und Sorgfalt fahren wir nach dem Radwechsel weiter.
Am Abend, und knapp eine Woche später, erreichen wir die Nordatlantikküste und
somit das Ende des Trans Labrador Highways mit seinen 2‘000 km – und endlich wieder Asphalt unter den Rädern. Man weiss das erst richtig zu schätzen, wenn man 1‘500
km Gravel Road hinter sich hat. Wir machen nach 8 Stunden Autofahrt Halt in West
St. Modeste im Motel Ocean View Ressort. Unterdessen hat unser Spare (Notrad) bereits 300 km auf dem Buckel – und das über grobe Schotterpisten!
Newfoundland Alias ‚Newfie‘
- STAGE FOUR -
Der darauffolgende Morgen bringt uns mit leerem Tank nach Blanc-Sablon, wo wir, an
der vor uns auftauchenden Tankstelle, unserem zuverlässigen Jeep ‚einen grossen
Drink‘ spendieren. Beim Bezahlen plaudern wir noch so mit der netten Dame hinter
der Kasse und fragen sie, mehr beiläufig als beabsichtigt, nach der Abfahrtszeit der
Fähre nach Newfoundland. Daraufhin schaut sie auf die Uhr, schaut uns an und meint,
ohne zu scherzen, dass die Autofähre in 15 Minuten ablege. Oh, Schei… denken wir! Also nichts wie rein ins Auto und auf das Gaspedal gestampft. Wir bringen die verbleibenden 5 km in Rekordzeit hinter uns. Am Hafen angekommen, springen wir ins TiTHE LONG RIDE IN THE
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cket Office, ergattern in Windeseile einen Fahrschein für 30.25 CAN$, hüpfen wieder in
unseren Jeep und erreichen just in Time das Boarding unten am Kai. Und pünktlich
um 09:30h legen wir bereits ab. Glück gehabt! Aber wie konnte das mit der Uhrzeit
passieren? Die Antwort lautet: Blanc-Sablon liegt in der Dreizeitzonen-Ecke! West St.
Modeste, das nur ein dutzend Kilometer vor Blanc-Sablon liegt hat Labrador-Zeit (5h), Blanc-Sablon hat Québec-Zeit (-6h) und das gegenüberliegende Newfoundland
hat Newfie-Zeit (-4.5h). Und der Fahrplan richtete sich nach Québec-Zeit. Alles klar?! Nach 1 ½ Stunden erreichen wir mit der Autofähre Apollo der Woodward Group die
Küste von Newfoundland bei Saint Barbe. Bei schönstem Wetter fahren wir der Westküste entlang Richtung Süden auf der Viking Route. Auf der rechten Seite der St. Lorenz Golf und auf der linken Seite die immer höher werdenden Gebirgszüge. Nach 150
km treffen wir auf ein unscheinbares und einsames Repair Center am rechten Strassenrand, wo wir unseren Flat Tire nach rund 500 km endlich für 14.13 CAN$ flicken lassen
können. Die ganze Aktion dauert keine 10 Minuten und schon geht es wieder weiter.
Nach einer Stunde erreichen wir die berühmten Arches vor Sally’s Cove. Die ausgewaschenen Steinbögen mit der anrollenden Brandung und dem blauen Himmel ziehen
uns für eine Weile ihren Bann. Später erreichen wir Rocky Harbour, das im Zentrum
des fantastischen Gros Morne National Park liegt. Wir nehmen für zwei Tage ein Zimmer im Hilltop View Bed & Breakfast mit herrlichster Aussicht auf den St. Lorenz Golf.
Die beiden Tage verbringen wir mit der Besichtigung des Visitor Centers mit seinen
Ausstellungsräumen über die hiesige Gegend, eines Besuchs des South East Brooks
Wasserfalls und des lokalen Museums und wir machen einen Abstecher an die Bonne
Bay, wo wir unsere Füsse ins kalte St. Lorenz-Golf-Wasser stellen. Leider reicht die Zeit
nicht für einen Abstecher in den nahegelegenen Nationalpark. Was wir aber sehen und
an Informationen bekommen, sagt uns, dass eine mehrtägige Wanderung durch den
Park mit seinen fjordähnlichen Gebirgszügen, ein unvergessliches Abenteuer sein
muss.
Von Rocky Harbour führt uns der Weg nach Osten ins Landesinnere von Newfoundland. Bei Deer Lake erreichen wir den berühmten Trans Canada Highway (TCH), auch
bekannt als Highway No. 1. Der Highway beginnt in St. John’s auf Newfoundland und
endet im Westen auf Vancouver Island in Victoria. Er ist einer der weltweit längsten
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Highways mit 8‘030 km und wurde 1971 fertiggestellt. Als Standard gilt, dass er mindestens zwei asphaltierte Spuren hat, auf jeder Seite einen Pannenstreifen und mindestens
10 m freie Sicht zum allenfalls vorhandenen Wald. Wir folgen dem TCH bis zur Notre
Dame Junction, wo wir den Highway verlassen und links ab Richtung Norden nach
Twillingate cruisen. Das kleine Städtchen ist bekannt für Eisberg- und Walbeobachtungen. Wir verbringen einen wunderbaren Abend auf der Terrasse des Echoes of the
Ocean Bed & Breakfast mit einem traumhaften Sonnenuntergang über dem wolkenlosen Nordatlantik.
Am nächsten Morgen folgen wir der 250 km langen Küstenstrasse über New-WesValley nach Gambo. Hier treffen wir erneut auf den TCH und benutzen ihn für die
nächsten 300 km nach St. John’s. Wir kommen durch Landschaften, die unserer ähnlich sind. Wir durchqueren Mischwälder, sanfte Hügel und die gesamte Natur präsentiert sich in einem saftigen Dunkelgrün. Als wir in St. John’s ankommen, beginnt es
schon zu dämmern. Also machen wir uns auf die Suche nach einer Bleibe. Das ist ja,
wie gewohnt, keine Sache, denken wir. Dieses Mal aber falsch gedacht! Wieder einmal
haben wir den Jackpot geknackt, was den „optimalen“ Zeitpunkt betrifft. Wir müssen
feststellen, dass an diesem Wochenende ein grosses Baseball-Sportereignis stattfindet
und viele Hotels deswegen von Baseball-Teams und deren Fans ausgebucht sind. Erst
nach 2 ½ Stunden und fast am Verzweifeln, finden wir, für die nächsten drei Tage,
doch noch ein Dach über dem Kopf im Captain’s Quarters Hotel. Es ist ein charmantes
älteres Hotel, liegt nahe der Downtown und inklusive Gratisparkplatz. Also kann man
sagen, alles in allem, noch einmal Glück gehabt!
Nach einer ruhigen und erholsamen Nacht gehen wir die Treppe hinunter zum Frühstück. OK, wir müssen zugeben, das Frühstück präsentiert sich etwas eigenwillig für
ein Hotel. Toastbrotscheiben in Plastik abgepackt, Marmelade, Butter und etwas Cornflacks stehen zusammen mit Styroporbechern und –tellern sowie Plastikbesteck auf
dem in der Mitte des Raums stehenden Billiardtisch und auf dem Nebentisch an der
Wand steht noch eine Kanne mit Kaffee – Und der Mann mit dem Dreitagebart an der
gegenüberliegenden Theke schaut kurz zu uns auf und murmelt: Please help yourself.
Soviel zu einem Continental Breakfast - inklusive. Nach diesem ausgiebigen Frühstück
machen wir uns auf und beginnen die älteste Stadt Nordamerikas mit seinen 200‘000
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Einwohnern zu erkunden. Wir besichtigen den 1898 gebauten Cabot Tower auf dem
160 m hohen Signal Hill und das wichtigste Wahrzeichen der Stadt. Den Namen Cabot
bekam der Tower zu Ehren des Entdeckers John Cabot, der um 1498 Newfoundland
entdeckte. Später machen wir einen Abstecher zum Battery Point mit seinen vielen
Kanonen, die einst die Einfahrt des natürlichen Hafens von St. John’s verteidigten,
wandern danach auf dem schmalen Steinweg der Steilküste entlang zurück nach St.
John‘s, besuchen das eindrückliche und faszinierende Johnson Geo Centre, sind beim
Start der einzigen in ganz Nordamerika einmal jährlich stattfindenden Auto Rally dabei, welches uns stark an den Film ‚The Cannonball Run‘ von 1981 mit Burt Reynolds
erinnert, begeben uns für eine Stunde an Bord der Fregatte HMCS Charlottetown, um
uns mit der königlichen kanadischen Kriegsmarine zu befassen und fahren mit einer
Bootstour hinaus auf den Atlantik zum östlichsten Punkt des nordamerikanischen
Kontinents: Cape Spear! Dieser Ort ist gerade mal 3‘600 km von der portugiesischen
Küste entfernt – also etwas mehr als einen Steinwurf weit weg, könnte man scherzhaft
sagen. Wir bummeln durch die Stadt, bestaunen die Wandmalereien, machen Halt in
guten Coffee Shops und geniessen am Abend die Fischküche in gemütlichen Restaurants.
Hurricane ‚Leslie‘
- STAGE FIVE -
Leider vergehen die Tage in St. John’s viel zu schnell und es heisst Abschied nehmen.
Unsere Reise führt uns 160 km der Ostküste entlang nach Süden. Wir kommen durch
kahle und baumlose Ebenen. Die letzten 25 km fahren wir mit 20 km/h wieder einmal
auf einer schmalen und holprigen Gravel Road, bis wir dann schliesslich gegen Abend
den Leuchtturm von Cape Race sehen. Wir entschliessen uns, die Nacht hier draussen
im Freien zu verbringen. Ausser uns ist weit und breit keine Menschenseele. Nur einmal taucht gleich neben uns ein Moose auf, das sich aber durch uns gestört, bald wieder von Dannen macht. Die Nacht entwickelt sich zu einem spannenden Abenteuer.
Gegen 02:00 Uhr werden wir durch ein starkes Rütteln am Auto geweckt. Es fühlt sich
an, als würden wir mit 140 km/h durch tiefe Schlaglöcher fahren. Ein Blick aus dem
Fenster lässt uns aber feststellen, es handelt sich um ein heftiges Unwetter. Und wie
wir am nächsten Tag erfahren sollen, waren wir im Zentrum des Hurricanes ‚Leslie‘!
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Das Heulen des Windes und das Schaukel des Jeeps lassen uns für den Rest der Nacht
nicht mehr richtig schlafen. Auch beim Morgengrauen ist der Wind ungebrochen in
seiner Stärke. Die Autotüren können wir nur mit beiden Händen haltend und mit Füssen am Boden dagegenstemmend öffnen und schliessen. Aber wir schaffen es dennoch
unsere sieben Sachen einzupacken und fahren durch den Sturm weiter Richtung
Placentia. Auf unserem Weg kommen wir über Dämme und die hohen Wellen des Atlantiks begraben zeitweise die Strasse unter sich, so dass wir stellenweise knöcheltief
im Salzwasser fahren. Nach 90 km treffen wir wieder auf eine bewaldete Gegend. Und
was wir sehen, lässt uns erschaudern. Überall liegen Bäume kreuz und quer. Wir müssen auf unserem Weg unter schräg, über die Strasse, liegende Bäume durch oder ihnen
soweit links oder rechts ausweichen, wie es uns nur möglich ist.
Gegen Mittag erreichen wir dann Placentia. Der Ort gleicht einer Geisterstadt. Alle Geschäfte, öffentlichen Gebäude und Schulen sind geschlossen. Kein Mensch ist zu sehen, obwohl der Sturm zwischenzeitlich an Intensität verloren hat. Im Ortskern, gleich
bei der Lift Bridge, finden wir ein Hotel. Als wir im Bridgeway Hotel einchecken, fragen wir nach der Ursache des Unwetters. Die Lady hinter dem Counter erzählt uns
dann die ganze Geschichte: Der Hurricane ‚Leslie‘ habe zwischen St. John’s und hier
unter anderem Häuser abgedeckt, Lastwagen zum umstürzen gebracht und für einen
Stromausfall an der gesamten Ostküste gesorgt. Sie entschuldigt sich dafür, dass sie für
uns im Zimmer nur eine provisorische Lampe hätte, die notdürftig über ein benzinbetriebenes Notstromaggregat gespeist wird. Und dann drückt sie uns noch eine Taschenlampe in die Hand. - Nun ja, Not macht erfinderisch. Während unseres Aufenthalts lernen wir den 64-jährigen freundlichen Brasilianer Omena kennen, der mit seinem Motorrad, einer BMW 650, seit knapp 9 Monaten von der Südküste von Südamerika über Mittelamerika, Mexiko, USA, Kanada und Alaska nach Newfoundland unterwegs ist und zwischenzeitlich 80‘000 km zurückgelegt hat. Er erzählt, dass er jetzt auf
dem Rückweg sei und damit rechne in zwei Monaten wieder zu Hause zu sein. Crazy!
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Auch während des ganzen folgenden Tages bleibt der Strom weg. Und da es im ganzen
Ort nur ein Restaurant mit Notstromaggregat gibt, stehen die Leute dort Schlange, um
vom Take Away eine warme Mahlzeit zu bekommen. Es darf angenommen werden,
dass der heutige Tagesumsatz einem Monatsumsatz gleichkommt.
Nachdem sich das Wetter beruhigt hat und uns die Sonne von einem stahlblauen
Himmel, bei sommerlichen Temperaturen, entgegenlacht, entschliessen wir uns zu einem Spaziergang durch den Wald zum 100 m höher gelegenen Castle Hill und sehen
uns die Überreste des Forts Frederick an. Die Festung diente dazu, die Yankees davon
abzuhalten, hier ins Land einzufallen und unsicher zu machen. Der 360°-Ausblick von
hier oben ist einfach grandios und der darauffolgende Sonnenuntergang märchenhaft
– bis auf die bösartig angelegte Grossoffensive der blutrünstigen Stechmücken!
Atlantic Vision
- STAGE SIX -
Der heutige Tag gilt der grossen Überfahrt mit der Autofähre Atlantic Vision (2002)
von Argentia (Newfoundland) nach Sydney (Nova Scotia). Doch bis zum Boarding um
17:00 Uhr bleibt uns noch etwas Zeit und wir fahren die 65 km an die Südspitze nach
Cape Saint Mary’s, wo uns ein einzigartiges Vogelparadies an den Steilklippen erwarten
soll. Leider treffen wir auf eine dichte warme Dunstwolke, die vom Meer kommend jede Sicht nimmt. Zwar ein eindrückliches Phänomen, doch deswegen sind wir eigentlich nicht hier her gekommen. Obwohl wir noch 1 ½ Stunden in der Hoffnung ausharren, dass die Sicht doch noch besser werden könnte, bleibt der Dunst und wir kehren
der Mary den Rücken zu und fahren nach Argentia zurück. Die Küstenstrasse entschädigt uns jedoch ein wenig. Sie schlängelt sich an herrlich farbigen Küstenszenarien
vorbei und hinterlässt einen bleibenden Eindruck dieser grandiosen Landschaft.
Das Boarding, am späteren Nachmittag, für die Autofähre, geht rasch von statten. Zuerst müssen wir zwingend, und unter Argusaugen der Officers, durch eine QuarantäTHE LONG RIDE IN THE
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ne-Station fahren. Hier wird der Unterboden des Autos gewaschen. Damit soll verhindert werden, dass Newfie-Pflanzensamen nach Nova Scotia kommen. Dann rollen wir
in den riesigen dunklen Bauch des grossen Schiffes und bekommen einen Platz auf einem der vier Autodecks zugewiesen. Die Fähre fasst über 530 Fahrzeuge und bietet
über 1‘000 Passagieren Platz. Nach einem Rundgang auf dem Schiff machen wir es uns
später in unserer Kabine bequem und geniessen die 15-stündige Überfahrt. Pünktlich
um 19:00 Uhr verlassen wir Argentia. Dabei begleitet uns am wolkenlosen Himmel ein
weiterer herrlicher rotgoldener Sonnenuntergang über dem dunkelblauen Atlantik.
Nova Scotia
- STAGE SEVEN -
Punkt 10:00 Uhr macht die Fähre in Sydney an der Nordostspitze von Nova Scotia fest.
Nach einem ausgiebigen und guten Frühstück, mit Orange Jus, Bacon and Eggs, Pancakes and fresh Coffee, an Bord der Atlantic Vision fühlen wir uns nun richtig fit für
einen erlebnisreichen Tag. Das Entladen der Fahrzeuge zieht sich zwar etwas in die
Länge. Doch bald haben wir wieder Land unter den Füssen und wir machen uns auf,
die Festungsstadt Louisbourg an der Ostküste von Nova Scotia zu besuchen.
Nach gut einer Stunde erreichen wir unseren Bestimmungsort und lösen für 17.60
CAN$ pro Person eine Eintrittskarte. Der Shuttle-Bus bringt uns danach zur 2 km entfernten Festungsstadt Louisbourg, die nur mit dem Bus zu erreichen ist. Fortress of
Louisbourg ist eine grosse historische Anlage aus dem 18. Jahrhundert mit dutzenden
von Gebäuden. Die 1719 gegründete, nach König Ludwig XV. benannte Festungsstadt,
zu der ein geschützter Hafen gehört, entwickelte sich damals rasch. Im rekonstruierten
Teil der Festungstadt besichtigen wir unter anderem die Kaserne, Gewerbehäuser,
Werkstätten, Wohnhäuser, grosse Lagerkeller, geniessen ein nach alter Tradition gekochtes Mittagessen im Restaurant mit Löffel und Zinnteller, machen einen Abstecher
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in eine der vier Schmieden und werfen einen Blick in die Stadtbäckerei, wo noch heute
Brot nach alten Rezepten gebacken wird.
Am späteren Nachmittag ziehen wir uns zurück und machen uns auf in den nahegelegenen gleichnamigen Ort Louisbourg. Nachdem wir unser B&B im The Stacey House
für heute Nacht gefunden haben, besuchen wir das bekannteste Lobster-Restaurant im
Zentrum und bestellen unseren ersten Hummer im Kettler’s. Der Verzehr des Lobsters
entwickelt sich zu einem richtigen Abenteuer. Die nette Kellnerin muss wiederholt eine ‚helping Hand‘ reichen, damit wir mit dem Ding auf dem Teller zurechtkommen.
Aber schlussendlich macht uns das Abendessen um eine Erfahrung reicher und wir
kommen zur Erkenntnis: Wer Hunger hat, soll sich unbedingt eine einfachere Mahlzeit bestellen!
Prince Edward Island
- STAGE EIGHT -
Wir setzen unseren Weg auf Nova Scotia fort und die Strasse führt uns an Lochs
(Seen), an Glens (Bergschluchten) und an Vales (Tälern) vorbei und in lauter Windungen dem Meeresarm Bra d‘Or entlang. Immer wieder kommen wir an überfahrenen
Waschbären (Raccoons) vorbei und der erste Gedanken dabei ist: Die haben es auch
nicht geschafft - wie der arme Lobster gestern Abend! Am Nachmittag erreichen wir
New Glasgow. Gegenüber sehen wir bereits Prince Edward Island, auch PEI genannt.
PEI ist mit 5‘660 km2 ein bisschen kleiner als unser Kanton Bern. Mit der kostenlosen
Autofähre geht es in den nächsten 1 ½ Stunden über die Northumberland Strait nach
Wood Island auf PEI.
Auf der Insel angekommen folgen wir noch etwas der Küstenstrasse nach Osten und
treffen bald auf ein romantisches Plätzchen auf dem Land, wo uns ein Schild freundlich zum B&B von Ms Joan MacSwain ins Coastal Homestead einlädt. Als wir an die
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Tür klopfen, öffnet uns eine ältere Lady und beäugt uns zuerst etwas argwöhnisch.
Nachdem sie aber feststellt, dass wir harmlose Swiss Guys sind, heisst sie uns herzlich
willkommen. Wir erkundigen uns bei ihr nach einem Restaurant für das Abendessen.
Sie meint, das einzige im Umkreis von 10 km liegt in Murray River. Wir machen uns
nach einer erfrischenden Dusche auf den Weg und müssen bei unserer Ankunft feststellen, dass es wirklich das einzige Restaurant im weiteren Umkreis sein muss, denn
wir werden höflich aber bestimmt aufgefordert, an der Bar zu warten, bis ein Tisch frei
wird. Nach einer weiteren halben Stunde scheint uns das Glück wohlgesinnt und wir
bekommen ein Booth gleich am Fenster. Das Essen ist gut und die Bestellung einer
Flasche Wein entpuppt sich als ein aussergewöhnliches Unterfangen. Die Frage nach
der Wine List lässt auf der Stirn der jungen Kellnerin einige Falten entstehen. Sie verschwindet für ein paar Minuten und taucht mit einem soeben von Hand geschriebenen
kleinen Zettel wieder auf, auf dem sie fünf lokale Weine hingekritzelt hat. Wir entscheiden uns für einen hiesigen Weisswein mit dem Namen New White für 22 CAN$.
Nachdem offenbar nicht viel Wein getrunken wird, warten wir skeptisch und mit einer
gewissen Neugier auf die Flasche. Rachel, die Kellnerin, kommt bald darauf zurück
und schenkt uns ein. Nach dem ersten Schluck stellen wir mit Erstaunen fest, dass es
sich dabei um einen exquisiten Tropfen handelt. Nach einem üppigen und guten
Abendessen geht es zurück zur netten Ms MacSwain.
Heute wollen wir den Ostteil von Prince Edward Island kennenlernen. Wir verstauen
unsere paar Sachen im Jeep und fahren auf der Seesternroute der Küste entlang Richtung East Point dem nordöstlichsten Punkt auf PEI. Die Autostrasse schlängelt sich am
stark zerklüfteten Küstenstreifen entlang, es ist eine ausnehmend kurvenreiche Strecke. Ab und zu lassen wir eine Bucht aus und nehmen eine der geraden Verbindungsstrassen im Landesinneren zwischen zwei Punkten. Immer wieder begegnen wir überfahrenen Skunks (Stinktiere), Füchsen und Waschbären. Es ist kurz nach 12:00 Uhr, als
wir am East Point Lighthouse eintreffen. Es ist ein klarer sonniger Tag mit einer steifen
frischen Brise, die uns von Osten her ins Gesicht bläst. An der Snackbar bestellen wir
eine Gemüsesuppe, einen Hotdog und dazu zwei Kaffee. Frisch gestärkt besteigen wir,
für heruntergehandelte 4.50 CAN$ (statt 6 CAN$) pro Person, die enge Treppe bis zum
Top des 19.5 m hohen Leuchtturms und geniessen eine herrliche 360°-Rundumsicht.
Gegen das Landesinnere sehen wir am Horizont gigantische Windräder für die lokale
Stromerzeugung. Ein einzelnes Rotorblatt misst unglaubliche 15 m. Wir setzen unsere
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Reise an der Nordküste von PEI fort und fahren Richtung Westen und später Richtung
Südwesten und erreichen am späteren Nachmittag die Provinzhauptstadt Charlottetown. Nach einem kurzen Besuch des Visitor Centers am Hafen unten, halten wir auch
schon eine gute Adresse für ein B&B in Händen. Wir machen uns sogleich auf den Weg
an den Stadtrand, der 5 km weiter liegt. Bei Bob und Aldene, einem pensionierten
High-School-Lehrerehepaar, finden wir für die nächsten zwei Nächte eine bequeme
und ruhiggelegene Unterkunft in einem Einfamilienhausquartier.
Charlottetown
- STAGE NINE -
Charlottetown ist eine übersichtliche Kleinstadt mit 35‘000 Einwohnern. Man kommt
gut zu Fuss zurecht. Wir machen einen Stadtbummel, eine Bootstour bei rauer See mit
‚rocky Waves‘ zur Seal Island in der Northumberland Strait, wo wir eine Kolonie Seehunde beobachten, später besuchen wir das informative Interpretation Center, das uns
die Geschichte über die Entstehung Kanadas in eindrücklich aufgebauten Bühnen mit
der Darstellung von historischen Szenen lebendig näher bringt.
Am Abend gibt es zum Essen noch ein zweites kulinarisches Highlight zu entdecken:
Wir probieren eine erste Oyster (Auster) im Claddagh Oyster House. Und um ehrlich
zu sein, hinterlässt die Auster keinen bleibenden Eindruck. Sie schmeckt nach nicht
besonders viel und wir belassen es auch bei diesem einen Mal. Am anderen Morgen
lernen wir beim Frühstück Laurene und Claud aus Montréal kennen, die ebenfalls bei
Bob und Aldene übernachtet haben. Ein Paar um die 50 und sehr nett. Wir verstehen
uns auf Anhieb gut und bald stellt sich heraus, dass Claud vor 25 Jahren in Schaffhausen bei der Knorr als externer Process Engineer für eine Zeit arbeitete. Es ist schon faszinierend, wo und wie man in der Welt auf Leute trifft. Nach einem kurzen aber herzlichen Kennenlernen sagen wir Claud und Laurene bereits wieder auf Wiedersehen. Sie
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wollen heute weiter nach Québec City, um dort ein paar Tage zu verbingen und wir
setzen unsere Stadtbesichtigung von Charlottetown noch für einen weiteren Tag fort.
New Brunswick
- STAGE TEN -
Die beiden Tage in Charlottetown vergehen wie im Flug. Wir machen uns auf den Weg
und fahren 60 km nach Westen bis wir an den Brückenkopf der weltlängsten Brücke
über gefrierendes Meer stossen. Die Confederation Bridge ist 12.9 km lang, 60 m hoch,
wurde 1997 für 1.5 Milliarden CAN$ fertiggestellt und verbindet seither PEI mit New
Brunswick. Eine Überfahrt mit dem Auto kostet uns heute sage und schreibe 44.75
CAN$! Auf der Seite von New Brunswick fahren wir Richtung Bay of Fundy. In Hopewell Rocks besuchen wir die berühmten Gesteinsformationen, die durch gezeitenbedingte Erosionen entstanden sind und wie Pilze aussehen. Wegen des extremen Tidenhubs (bis zu 21 Meter) stehen die Felsen zweimal täglich im Wasser. Es ist ein beeindruckendes Naturschauspiel. Es ist kaum zu glauben, aber während wir so die Felsformationen betrachten, stehen plötzlich Laurene und Claud wieder vor uns. Wir begrüssen uns mit einem herzlichen und fröhlichen ‚hello again‘! Und spontan laden sie
uns für den kommenden Samstag zum Abendessen in Montréal bei sich zu Hause ein –
unserem letzten Abend in Canada. Nach dem Besuch der Bay of Fundy setzen wir unsere Tagesreise bis kurz nach Fredericton fort und übernachten ein letztes Mal im
Freien. Wir finden ein romantisches Lager in den weiten Wäldern von New Brunswick.
Uns wird klar, dass wir von nun an der modernen Zivilisation immer näher kommen
und sich unsere Reise langsam aber sicher dem Ende nähert. Aber noch ist es nicht
soweit! Während des Tages erreichen wir Hartland. Hartland ist für seine weltlängste
überdachte Holzbrücke bekannt. Mit Bewunderung betrachten wir das 391 m lange
und 1901 gebaute Meisterwerk. Etwas weiter erreichen wir den Ort Grand Falls. Dieser
Ort ist für seinen grossen Wasserfall mit 75 m Fallhöhe und für seine enormen Wassermengen bekannt. Aber wir trauen unseren Augen kaum. Was wir sehen, ist nur ein
kleiner Rinnsal, der sich todesmutig die 75 m hinunterstürzt. Was ist geschehen? Im
nahe gelegenen Visitor Center erhalten wir die Antwort darauf: Der Sommer 2012 war
in ganz Kanada ein Jahrhundertsommer mit wenig Regen und dadurch trockneten viele Flüsse aus und führen zur Zeit sehr wenig Wasser. Natürlich sind wir etwas entTHE LONG RIDE IN THE
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täuscht von dieser ‚trockenen‘ Szene, aber in so einem Fall ist nichts zu machen. Kurze
Zeit später hat das Schicksal aber Erbarmen mit uns und schickt uns eine kleine Aufmunterung zur Entschädigung. Als wir also so auf dem Highway unterwegs sind,
kommen wir an einer Ausfahrt vorbei die, und das ist kein Witz, mit Saint-Louis-duHa!-Ha! angeschrieben ist. Selbstverständlich hebt das im Nu unsere Laune bei einem
so witzigen Ortsnamen und wir halten uns die Bäuche vor Lachen. Sachen gibt’s, die
glaubt man fast nicht! In Saint-Port-Joli übernachten wir ein letztes Mal in einem B&B
bevor wir Montréal erneut erreichen. Thierry, der Besitzer des B&B, verwöhnt uns am
anderen Morgen mit einem 4-Gänge-Frühstück nach französischer Art. Danach rollen
wir nicht nur unsere Koffer zum Auto, wir rollen auch unsere Bäuche dorthin.
Montréal
- STAGE ELEVEN -
Bei schönstem Wetter cruisen wir von Québec kommend auf Montréal zu und erreichen am Nachmittag die Downtown, wo wir, von zu Hause aus über das Internet, ein
Zimmer im Quality Inn reserviert haben. Das Durchkommen mit dem Auto durch die
Stadt zeigt sich unverändert schwierig, wie zu Beginn der Reise schon. Aber endlich erreichen wir doch das Hotel, checken ein und liefern den Jeep beim Value Parking für
20 CAN$ pro Tag gleich gegenüber ab, wo unser Jeep in einem Hinterhof unter freiem
Himmel neben seinesgleichen abgestellt wird. Und wir fragen uns noch: Was wohl unser Jeep während dieser Nacht seinen SUV-Stadtkollegen so zu erzählen hat?
In den nächsten drei Tagen machen wir Montréal noch unsicher. Dazu gehört ein Spaziergang auf den 233 m hohen Mont Royal mit seiner grandiosen Aussicht über die bis
zum Horizont reichende Metropole, ein Abstecher ins 1967 errichtete Weltausstellungsgelände, wo wir uns die Biosphere-Kugel genauer anschauen, ein Besuch des
Olympic Centres mit seinem 165 m hohen Aussichtsturm für 16 CAN$ pro Person, ein
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Gang in den Untergrund mit seinen berühmten weitläufigen unterirdischen Shopping
Malls, die Besichtigung des alten Hafenviertels mit der Basilika Notre Dame und der
ältesten Bank Montréals und natürlich, last but not least, ein Besuch eines SouvenirGeschäfts. Am Abend verwöhnen wir uns mit einem Pint Guiness und einer Schüssel
voll Mussels (Miesmuscheln) gleich vis-à-vis vor unserem Hotel in einem der rustikal
eingerichteten Pubs.
Den letzten Abend verbringen wir, wie abgemacht, bei Claud und Laurene. Sie wohnen
am Stadtrand von Montréal. Nach 45 Minuten und 35 km stehen wir um 17:00 Uhr vor
ihrem Haus in einem gepflegten Vorort. Claud ist ein Meisterkoch und er verwöhnt
uns mit original Speis und Trank aus der Umgebung von Québec. Dazu gehören unter
anderem Entenbrust, Pasta mit Pilzfüllung, Ziegen- und Schafkäse sowie Trocken- und
Süsswein. Es ist ein gemütlicher und kurzweiliger Abend. Es gibt viel zu erzählen.
Doch leider vergehen die Stunden viel zu schnell. Nach einer letzten herzlichen Umarmung, und dem gegenseitigen Versprechen auf ein Wiedersehen, kehren wir für eine
letzte Übernachtung im Quality Inn in die Innenstadt zurück. Auch in Montréal wird
es später in der Nacht ruhiger auf den Strassen und so erreichen wir dieses Mal das
Hotel bereits nach 30 Minuten. Bevor wir uns den wohlverdienten Schlaf gönnen, packen wir noch unsere Koffer, legen die Reisedokumente bereit und geniessen von unserem Balkon einen letzten Blick auf das bunte montréaler Nachtleben.
Nach 7‘200 km geben wir, leider, unseren tapferen Jeep Grand Cherokee Laredo mit
fast 10‘000 km auf dem Tacho am internationalen Pierre-Elliott-Trudeau-Flughafen
von Montréal gegen 15:00 Uhr zurück. Zuverlässig und ohne jede Beanstandung hat er
uns auf THE LONG RIDE IN THE EAST durch dick und dünn, über Asphalt-, Sandund Schotterstrassen, über wellenüberspülte Dämme, durch Wind und Wetter und
durch den Heavy Traffic der Grossstädte bis zur Labrador Sea - und zurück gebracht.
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The End
- STAGE TWELVE -
Mit unseren Koffern machen wir uns auf den Weg zum Check-In Counter und während wir dann, nach dem Security Check, im Aufenthaltsbereich auf den Abflug warten, kommen immer mehr Reiseerinnerungen in uns hoch und mit einem wehmütigen
Blick auf das Rollfeld gerichtet, beginnen wir das Erlebte, wie ein Film vor unseren Augen, nochmals ablaufen zu lassen.
Noch ein Wort zum Wetter: Während der ganzen Zeit hatten wir spätsommerliche
Temperaturen. Den eingepackten dicken Pullover und die warmen Handschuhe mussten wir nicht ein einziges Mal aus dem Koffer nehmen. Meistens waren wir im T-Shirt
mit einer leichten Jacke unterwegs. Nur ohne Regenschirm und Scheibenwischer ging
es nicht ganz. Schlussendlich hatten wir aber nur an drei Tagen zeitweise Regen. Eine
Reise können wir daher zwischen Ende August und Ende September für den Ostteil
von Kanada unbedingt empfehlen. Und wer die Möglichkeit hat, zwischen Mitte September bis Mitte Oktober Ostkanada zu besuchen, der kommt in den Genuss des berühmten farbenfrohen Indian Summers mit seinen rot-gold-leuchtenden Wäldern.
Abschliessend bleibt uns nur noch eines zu sagen: Es war eine weitere aussergewöhnliche, fantastische und unvergessliche Reise durch einen anderen Teil dieses gigantischen, wunderschönen und eindrücklichen Landes: Kanada. – We like Canada and Canada likes us! Bye for now …
Eine Reiseerzählung von Urs und Gisela Petz, © September 2012
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