Art as Evidence - Berlin - Das Unsichtbare sehen - Szene
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Art as Evidence - Berlin - Das Unsichtbare sehen - Szene
www.art-magazin.de - 31 / 01 / 2014 SZENE Art as Evidence Berlin Wie man den Überwachern auf die Schliche kommt beweist Trevor Paglen, der mit hochauflösender Abbildungstechnik geheime Militäranlagen und Satelliten dokumentiert: "They Watch the Moon", 2010, C-Print (Courtesy of Metro Pictures, New York; Altman Siegel, San Francisco; Galerie Thomas Zander, Köln) DAS UNSICHTBARE SEHEN Man muss kein Superheld sein, um zu wissen, wie Bespitzelung funktioniert – das zeigten am Donnerstagabend Überwachungskritiker, Fotografen und Filmemacher bei der Podiumsdiskussion "Art as Evidence" auf der Berliner Transmediale. // SOPHIE JUNG, BERLIN Auf dem Display meines Mobiltelefons blinkt die Nachricht eines obskuren Absenders mit dem Code 1337: "Welcome to your NSA partner network IMSI: 262032312462620", heißt es. Bizarr und erschreckend – nicht nur Vereinzelte, sondern gleich die ganze Besuchermenge, die an diesem Donnerstagabend die Transmediale Berlin aufsucht, scheint von der US-amerikanischen Überwachungsbehörde geortet, gehackt und gescannt worden zu sein. Dabei pilgerten weit über tausend Menschen in das Haus der Kulturen der Welt, um herauszufinden, wie sich genau solcher digitalen Überwachung entkommen lässt. Mit drei großen Stars unter den Kritikern der mächtigen National Security Agency wartet das Kuratorium der Transmediale an diesem Abend auf: die Dokumentarfilmerin Laura Poitras, eine Vertraute Edward Snowdens, den Künstler und Aktivisten Trevor Paglen und den Journalisten und Spezialisten für Computersicherheit Jacob Appelbaum. "Art as Evidence", unter diesem Titel bringt das Panel ein eklektisches Publikum aus der Programmierszene, der Kunstwelt, dem Journalismus und der Linksalternative zusammen. Von der erschreckenden SMS wurde eingangs jeder der Anwesenden begrüßt. Eine Community von 80 Hackern, die schon seit Tagen das Festivalspielhaus belagert, hat sich da wohl einen passenden Streich erlaubt. Da sitzen sie auf der Bühne, die drei Größen unter den Überwachungskritikern, die seit Edward Snowdens Whistleblower–Offensive zu medialer Prominenz aufgestiegen sind. Ihre Message an das Publikum ist einvernehmlich: Ein Superheld muss man nicht sein, um zu wissen, wie Bespitzelung funktioniert. "Man muss nur lernen, das Unsichtbare zu sehen", führt Trevor Paglen mit seinem ersten Vortrag ein. Seine abstrakten Landschaftsfotografien zeigen das Verborgene. Mit hochauflösender Abbildungstechnik lichtet er Wüsten und Reviere ab. Bei ihrer genauen Betrachtung aber erkennt Paglen seltsame Formationen in meilenweiter Entfernung, Gebäudestrukturen oder Verkehrsspuren. "Das ist der Anfang", sagt er und illustriert anhand von vermeintlich verlassenen Lagerhäusern und Pseudofirmen, wie man den Überwachern auf die Schliche kommen kann. Dass an manch einer Stelle ein kurzer Blick reicht, führt Paglen mit einer Sammlung von Abzeichen für Uniformen der Nachrichtendienstmitarbeiter vor. Jede einzelne Operationseinheit, und sei sie auch noch so geheim, hat nämlich ein eigenes Emblem. Genüssliche Häme tut sich im Publikum auf, ob der dummen Offensichtlichkeit und arroganten Ikonografie, mit der US-amerikanische Sicherheitsbehörden ihre verdeckte Arbeit kenntlich machen – "Doing God’s Work with Other People’s Money" zieht ein Schriftzug um das Bild eines Fantasy-Drachens, der das Abzeichen einer Luftstaffel schmückt. "Geheimdienste schauen anders auf Objekte als wir", betont hingegen Jacob Appelbaum. "Für sie kann jedes Ding zu einem potentiellen Abhörmedium werden". Deswegen klärt Appelbaum über den Blick der Überwacher auf. Er zählt eine ganze Reihe alltäglicher Gegenständen auf, USB-Stecker oder gewöhnliche Netzkabel, in die Überwachungstechniken eingesetzt werden können. "Das Schlimmste ist, dass man nie weiß, ob man Opfer ist, oder nicht", sagt er, "oder welcher Gegenstand gerade im Überwachungstrend liegt". Im Irak gab es jede Menge Fehlverhaftungen wegen des bloßen Besitzes einer Armbanduhr von Casio. "Es gibt die Technik des Sehens und es gibt die Technik des Fühlens", knüpft Laura Poitras an ihre beiden Vorredner an. Mit ihren einfühlsamen Dokumentarfilmen spürt die Journalistin den menschlichen Spuren von Überwachung und Gefangennahme nach. Sie verfolgt den Weg des Leichnams eines in Guantanamo gerstorbenen Häftlings in den Yemen oder sie begleitet einen Arzt im Irak. Über diese Erzählungen sei sich schließlich des großen Unrechts bewusst geworden, das US-amerikanische Sicherheitsbehörden seit den Anschlägen vom 11. September verfolgten. "Gibt es den Hoffnung, dass diese Überwachung enden wird?" fragt ein junger Mann aus dem Publikum. "Ja, gibt es", betonen die Podiumsredner in harmonischer Dreiheit. "Erst Sehen und Fühlen, dann Wissen und schließlich Aufklären" – dieser Methode solle man folgen, dann wird sich etwas ändern. Beifall im Saal.Zum Abschied erneut die Nachricht eines schleierhaften Absenders auf dem Display, dieses Mal sind es die Ziffern 4893. "Device has cooperated. Thank it." Zum Thema auf www.art-magazin.de: http://www.art-magazin.dehttp://www.art-magazin.de/kunst/68869 /transmediale_2014_berlin http://www.art-magazin.dehttp://www.art-magazin.de/szene/58576 /transmediale_berlin http://www.art-magazin.dehttp://www.art-magazin.de/kunst/26096 /transmediale_2010_berlin Zum Thema im Internet: http://www.transmediale.de