Psychologie - Astrid Nestler

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Psychologie - Astrid Nestler
PSYCHOLOGIE Wer passt zu mir?
Eine Frage
der Größe
Ob wir unser Herz an einen Vierbeiner verlieren,
hängt nicht selten von dessen Körpergröße ab. Was aber
passiert, wenn man die auf den ersten Blick gar nicht
erkennt? Der Fotograf Matthaeus Kruzynski hat einen
Versuch unternommen und Rassen verschiedener Größe
auf Augenhöhe gebracht. Achten Sie nur einmal
auf den mimischen Ausdruck der Tiere:
Für wen würden Sie sich jetzt entscheiden?
text: astrid nestler
Matthaeus Kruzynski arbeitet seit 1983 weltweit hinter der Kamera. Seine Modeaufnahmen erscheinen
in „Elle“, „Madame“ und „Harper’s Bazaar“. Daneben engagiert sich der DOGS-Fotograf für verschiedene Projekte in
Ausstellungen und Büchern. Ein großformatiger Coffeetable-Band für Hundeliebhaber ist sein großer Wunsch.
Dafür porträtiert er weiterhin Hunde auf eine klare, reduzierte und untypische Art. Fairness geht ihm dabei vor
Kunst: Alle Hunde sind stets entspannt und werden artgerecht behandelt, versichert Kruzynski.
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RUSTY, Collie,
Körpergröße 65 cm.
BASHA, Jack-Russell-Shih-Tzu-Mix,
Körpergröße 28 cm.
JAMIE LYNN, Dalmatiner,
Körpergröße 55 cm.
Und
wie
groß
seid
Ihr?
PULI, Puli-Mix,
Körpergröße 46 cm.
CHARLY, Basset,
Körpergröße 36 cm.
STELLA, Weimaraner,
Körpergröße 61 cm.
SMOKEY, Rhodesian Ridgeback,
Körpergröße 72 cm.
LULU, Dackel-Foxterrier-Mix,
Körpergröße 35 cm.
War ein Liebling für Sie dabei? Vielleicht der mit dem
kuscheligen Fell oder der mit dem coolen Blick? Ein eleganter
Mini-Dalmatiner wäre sicherlich ebenso reizvoll wie ein
sportlicher Zwerg-Weimaraner. Da es die meisten Rassen aber
nur in einer Größe gibt, ziehen wir viele erst gar nicht in
Betracht. Das erleichtert einerseits die Auswahl, verstellt aber
andererseits den Blick auf Hunde, die von ihrem Wesen
her möglicherweise gut oder besser zu uns passen würden.
M
opsliebhaber schwärmen vom unwiderstehlichen Charme ihres Hausgenossen, Dackelfans schätzen Mut und Eigensinn des kleinen
Raubeins. Dennoch sind Charaktereigenschaften nicht immer ausschlaggebend bei der
Wahl der passenden Rasse. Was, wenn der Mops vierzig Kilo wöge
und der Dackel ähnlich imposant daherkäme? Ihre menschliche
Fangemeinde hätte ganz andere Mitglieder. Die meisten Hundebesitzer haben nämlich eine klare Meinung darüber, welche Hundegröße am besten zu ihnen passt. So kommt es, dass „viele Leute
bestimmte Rassen, zu denen sie sich emotional hingezogen fühlen,
dennoch übersehen, einfach weil sie das Gefühl haben, dass sie mit
einer bestimmten Art oder Größe von Hund nicht richtig aussehen
würden“, meint der amerikanische Psychologieprofessor Stanley
Coren. Auch sind sich Anhänger großer und kleiner Rassen untereinander nicht immer grün. Für die einen ist ein Tier unter fünfzig
Zentimeter Schulterhöhe gar kein echter Hund. Beinahe jeder
Kleinhundbesitzer kann von Erfahrungen mit stürmischen Großhunden berichten und hat Ressentiments gegen Großhundhalter.
Die Besitzer großer Hunde sind in der Regel Outdoortypen,
den Mops hingegen nimmt man mit zum Italiener. Ähnlich wie
bei der menschlichen Partnerwahl entscheiden wir beim Hundekauf nach Sympathie. Moden spielen ebenfalls eine Rolle. Derzeit
liegen die Kleinen groß im Trend, berichtet Udo Kopernik, Sprecher
des Verbands für das Deutsche Hundewesen (VDH). Zwar seien
großwüchsige Rassen wie Schäferhund und Golden Retriever keineswegs vom Aussterben bedroht, aber ihre Geburtenzahlen sind
seit einigen Jahren rückläufig. Vor allem auf dem Großstadttrottoir
begegnen uns immer mehr Bulldoggen, Möpse und Chihuahuas.
Eine weitere uralte Rasse feiert ihr Comeback: der Cavalier King
Charles Spaniel. Mit einer Schulterhöhe von gut dreißig Zentimetern
und einem Gewicht von unter acht Kilogramm zählt er ebenfalls
deutlich zu den Kleinhunden. Der VDH verzeichnet in seiner Statistik für die Achtzigerjahre nur etwa dreihundert Cavalier-Welpen
in Deutschland, im Jahr 2012 waren es immerhin dreimal so viele:
1100. Der Leipziger Trendforscher Sven Gábor Jánszky bietet dafür
folgende Beobachtung: „Die Tendenz geht klar zu kleinen und
niedlicheren Hunden.“ Er meint damit auch kleine Mischlinge.
Einen runden Kopf sollen sie haben und eine kurze Schnauze.
Außerdem, dem klassischen Kindchenschema entsprechend, große
Augen. Die Französische Bulldogge zum Beispiel erfüllt all diese
Kriterien. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass der Frenchie,
Udo Kopernik zufolge, „inzwischen den Golden Retriever auf der
Beliebtheitsskala abgelöst hat“. Nicht nur das. Im neuen HundeRanking spiegele sich das wachsende Bedürfnis der Menschen nach
Flexibilität und Mobilität, meint Volker Albus, Professor an der
Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Der Mensch sei ständig
unterwegs, überall und nirgendwo zu Hause. Einen Begleiter wünsche man sich trotzdem. „Vierbeiner, die bei der Lufthansa auf
Frauchens Schoß reisen dürfen, sind heute daher klar im Vorteil.“
Im Idealfall sei dem „Gesinnungshund“, wie Albus das nennt,
die Lebenseinstellung seines Halters direkt an Form und Fellkleid
abzulesen. Die meisten Hundebesitzer, fand die Sozialpsychologin
Silke Wechsung heraus, wählen ihren Hund immer noch nach dem
Aussehen. Insbesondere Rassehunde fungieren mitunter als Statussymbol. Es sei einfacher, einen schicken Hund zu präsentieren als
ein teures Auto, bestätigt Kopernik. Dass Status bei der Wahl des
Hundes eine große Rolle spielen kann, weiß auch der emeritierte
Sozialpsychologe Reinhold Bergler. Seit den Achtzigerjahren
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erforscht er die Psychologie der Mensch-Hund-Beziehung. „Schoßhündchen waren bereits während der Renaissance beliebt. Wer
sich solche kleinen Hunde hält, möchte sein eigenes Selbstbewusstsein stärken“, so Bergler. Und deshalb sollen die kleinen Lieblinge
auch modisch etwas hermachen. Manche, längst nicht alle, tragen
Halsbänder mit Glitzersteinchen und bunte Mäntelchen.
Große, stattliche Hunde repräsentieren Männlichkeit. Auch
wer große Hunde liebt, ist nicht immer frei von Eitelkeiten. „So wie
andere Liebesobjekte müssen Hunde zwei entgegengesetzte Funktionen erfüllen“, glaubt der Wiener Philosoph Robert Pfaller. Entweder sie besäßen eine ideale Eigenschaft, die ihre Besitzer selbst
gern hätten, „zum Beispiel Schönheit, Drolligkeit, Schnelligkeit,
Gefährlichkeit oder Würde“. Oder sie müssten umgekehrt verkörpern, was ihre Besitzer eigentlich loswerden wollten: „Aggressivität,
Bissigsein, Doofsein, Hektik“. Große Hunde wie Boxer, Dobermann
oder Schäferhund werden mit sportlichen Menschen assoziiert
oder mit Machos. Denn mit einem Rottweiler an der Leine wirkt
jeder männlich, mit einem Zwerghund eher selten. Ein britischer
Psychologe soll einmal gesagt haben: „Ein Mann, der sich einen
kleinen Hund zulegt, ist mit seinem Sex zufrieden. Wer große Hunde besitzt, will körperliche Defizite überdecken.“
Das klingt nach Klischee, doch Ausnahmen bestätigen die Regel.
Auch Silke Wechsung, Projektleiterin in der Forschungsgruppe
„Psychologie der Mensch-Tier-Beziehung“ an der Universität Bonn,
meint: „Es gibt nicht nur diejenigen, die sich einen Hund aussuchen,
der besonders gut zu ihnen oder ihrem Lebensstil passt, sondern
auch jene, die versuchen, mit ihrem Hund eigene Defizite zu kompensieren oder ein ganz bestimmtes Bild von sich zu erzeugen.“
Zeige mir deinen Hund, und ich sage dir, welche Vorurteile
ich habe. Eine britische Studie ergab: Frauen, die sich mit einem
Pudel zeigen, gelten oft als wählerisch und schwierig. Tausend User
der App „Kloof “ gaben an, dass sie Pudelbesitzerinnen ebenso
wie Chihuahuabesitzerinnen zwar attraktiv fänden, ihnen aber nur
wenig bis keine Intelligenz zusprächen. Sie steckten sie deshalb in
die Schublade „Potenzieller One-Night-Stand“. Beagle-Frauchen
hingegen bewertete man ziemlich positiv, denn die Größe der Hunde wurde als richtig empfunden, deren ausgeglichenes Temperament begrüßt. Auch Golden-Retriever-Halterinnen wurden für besonders beziehungstauglich befunden. Das sahen die Frauen im
Übrigen ähnlich. Sowohl der Golden als auch sein Halter fanden
mehr als nur Gnade beim anderen Geschlecht. Gleichfalls punkten
konnten die Herrchen mit Siberian Husky oder Schäferhund.
Zurück zu Mops, Chihuahua, den Kleinen. Mal abgesehen von
Moden, Trends und Egotrips: Kleine Hunde haben handfeste Vorteile. Man kann sie fast überall mit hinnehmen, kaum einer hat
Angst vor ihnen, wenige Behörden zwingen ihnen einen Maulkorb
auf, Vermieter drücken insbesondere bei Winzlingen eher ein Auge
zu, und schlussendlich machen sie auch kleinere Häufchen.
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Kurzum, kleine Hunde lassen sich viel unkomplizierter in das
moderne Großstadtleben integrieren. Ein Deutsch Drahthaar, der
sich weigert, ins Auto zu steigen, kann die Tagesplanung kippen.
Ein Kleinspitz, der dasselbe Verhalten zeigt, eher nicht.
Dafür haben die Halter von kleinen Hunden des Öfteren große
Bedürfnisse, weiß der Zoofachhandel aus Erfahrung. So wird den
Minis eher selten Trockenfutter aus der praktischen Großpackung
vorgesetzt. Das Gourmetmenü in Form von Dosen oder Schälchen
muss es schon sein, dazu jeden Tag geschmackliche Abwechslung
durch eine andere Sorte. „Auch bei der Bio-Hundenahrung greifen
die Herrchen und Frauchen der Kleinen öfter zu als die Halter großer Hunde“, berichtet ein Fachmagazin der Heimtierbranche. Gleiches gilt für Ausstattung und Pflege: „Wo der großwüchsige Hund
einen Korb und ein Halsband hat, kommen Yorkshire Terrier, Chihuahua und Bichon Frisé leicht auf ein gutes Dutzend davon.“
Folglich unterscheidet der Fachhandel deutlich zwischen Kleinund Großhundehaltern. Das ist nicht dieselbe Sorte Kunde. „Denn
wo der Besitzer eines großen Hundes eher praktisch denkt, will der
Kleinhundefan mit immer neuen Angeboten verführt werden.“
Kleine und große Hunde werden unterschiedlich erzogen.
Wenn das Leben mit einem großen Hund sich anders anfühlt als
mit einem kleinen, liegt es auch daran, dass die Erwartungen, die
der Mensch an seinen Hund stellt, vielfach von den Körpermaßen
des Tieres abhängen. „Meine Chihuahuas müssen keinesfalls Platz
in einer Pfütze machen, von meinem Schäferhund erwarte ich
das durchaus“, erzählt Petra Führmann, Leiterin der Hundeschule
Aschaffenburg und Co-Autorin des Ratgebers „Kleine Hunde –
Große Freude“. Auch sie ist vor dem Charme der Minis nicht gefeit
und bekennt offen, ihre Zwerge gern zu verwöhnen. Eine Studie aus
dem Jahr 2010 (Arhant et al.) bestätigt, „dass eine Reihe von Interaktionen zwischen Hund und Halter von der Größe des Tieres abhängen“. So seien die Besitzer kleiner Hunde weniger konsequent
und setzten sich seltener durch. Die Folge: Kleine und große Hunde
verhalten sich unterschiedlich. Die kleinen sind weniger gehorsam,
ängstlicher, öfter aggressiv und leichter erregbar. Als Ursache nannten die Forscher, dass kleine Hunde oft wie Babys behandelt würden
und dadurch anders geprägt und sozialisiert wären. Das Klischee
vom Wadlbeißer scheint sich also zu bestätigen. Hinzu kommt,
dass viele Kleinhundbesitzer seltener die Hundeschule besuchen.
Ein Vierbeiner, der unter zehn Kilo wiegt, lässt sich ja körperlich
kontrollieren, indem man ihn festhält oder hochhebt. Das führt
allerdings dazu, dass die Zwerge den Umgang mit großen Artgenossen nicht lernen und diese schwerer einschätzen können.
Sozialer Austausch mit Artgenossen ist für jeden Hund wichtig,
aber den Mini dabei so zu managen, dass er nicht gefährdet wird,
und ihn gegebenenfalls zu beschützen, erfordert viel Fachwissen und
Übung. So unbeschwert wie die Besitzer von großen Hunden können Kleinhundhalter ihren Vierbeiner nicht mit anderen toben lassen. Ein stürmischer Labrador oder ein tapsiger Berner Senn ist
für einen Zwergpinscher eine Gefahr. Kraft und Motorik sind zu
unterschiedlich. Begegnungen mit Artgenossen sehen die Halter
großer Hunde viel entspannter. Müssen sie auch, denn auf den Arm
und in die Handtasche passen Ridgeback & Co. nun mal nicht.
Halten wir also fest: Das Augentier Mensch reagiert in erster
Linie auf die Optik. Deshalb wirken kleine Hunde anders auf uns
als große: weniger bedrohlich, niedlicher, schutzbedürftig. Das
Aussehen eines Hundes löst beim Menschen bestimmte Emotionen
aus und führt zu vorgefassten Meinungen. Sachliche Argumente
treten in den Hintergrund, das merkt man spätestens, wenn man
mit einem gut erzogenen Pitbull ein Restaurant betritt, in dem schon
ein knurrender Chihuahua sitzt. Die Größe sagt nämlich nichts
über das Wesen und den Charakter eines Tieres aus. Sie bedient
nur unterschiedliche Klischees. Damit muss jeder leben, der Mopsbesitzer ebenso wie die Halterin eines Großpudels.
KEINE FRAGE DER GRÖSSE
Die Unterschiede zwischen groß und klein
liegen eher im Auge des Betrachters, denn:
ALLE HUNDE TEILEN DIESELBEN BEDÜRFNISSE. Sie wollen
fressen, jagen, rennen und schnüffeln. Sie mögen feste Regeln
und das Leben in einer stabilen sozialen Gruppe.
ALLE HUNDE HANDELN NACH EIGENER LOGIK. In all seinen
Ausformungen zeigt der Hund rasseübergreifende Eigenschaften, die den größten Teil seines Verhaltens ausmachen und ihn
vom Menschen und allen anderen Tierarten unterscheiden.
ALLE HUNDE SIND GLEICHERMASSEN SCHLAU. Natürlich gibt
es Unterscheide zwischen den Rassen in Sachen Lernbereitschaft und Kooperation. Aber kleine Hunde sind nicht unbedingt
dümmer als ihre großen Artgenossen.
ALLE HUNDE MÜSSEN ERZOGEN WERDEN. Nicht die Körper-
größe macht einen Hund zum angenehmen Begleiter, treuen
Freund und geliebten Familienmitglied, sondern sein Verhalten.
Die Folgsamkeit eines Hundes ist auch der Schlüssel für seine
gesellschaftliche Akzeptanz.
ALLE HUNDE ZEIGEN ART- UND RASSETYPISCHE VERHALTENSMUSTER. Ein Collie ist nicht per se gefährlicher als ein
Foxterrier, nur weil er größer ist. Das Gegenteil ist sogar zutreffend: Terrier sind die Draufgänger der Hundewelt und meist angriffslustiger als sensible Hütehunde.
ALLE HUNDE KOSTEN ZEIT UND GELD. Wenn ein Dalmatiner
mehr Bewegung braucht als ein Pekinese, ist das nicht eine Frage der Größe, sondern des Temperaments. Außerdem möchte
auch ein Hund, der nicht viel laufen muss, um ausgeglichen zu
sein, beschäftigt werden. Und was die Kosten betrifft: Kleine
Hunde fressen zwar weniger als große, leben aber dafür länger.
ALLE HUNDE SIND INDIVIDUEN. Sie lassen sich nicht über
einen Kamm scheren. Jeder hat seine unverwechselbare Persönlichkeit, die ihn unterscheidet und unersetzlich macht.