Psychologie - Astrid Nestler
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Psychologie - Astrid Nestler
PSYCHOLOGIE Wer passt zu mir? Eine Frage der Größe Ob wir unser Herz an einen Vierbeiner verlieren, hängt nicht selten von dessen Körpergröße ab. Was aber passiert, wenn man die auf den ersten Blick gar nicht erkennt? Der Fotograf Matthaeus Kruzynski hat einen Versuch unternommen und Rassen verschiedener Größe auf Augenhöhe gebracht. Achten Sie nur einmal auf den mimischen Ausdruck der Tiere: Für wen würden Sie sich jetzt entscheiden? text: astrid nestler Matthaeus Kruzynski arbeitet seit 1983 weltweit hinter der Kamera. Seine Modeaufnahmen erscheinen in „Elle“, „Madame“ und „Harper’s Bazaar“. Daneben engagiert sich der DOGS-Fotograf für verschiedene Projekte in Ausstellungen und Büchern. Ein großformatiger Coffeetable-Band für Hundeliebhaber ist sein großer Wunsch. Dafür porträtiert er weiterhin Hunde auf eine klare, reduzierte und untypische Art. Fairness geht ihm dabei vor Kunst: Alle Hunde sind stets entspannt und werden artgerecht behandelt, versichert Kruzynski. dogs 2/2014 17 dogs 2/2014 19 20 2/2014 dogs dogs 2/2014 23 24 2/2014 dogs RUSTY, Collie, Körpergröße 65 cm. BASHA, Jack-Russell-Shih-Tzu-Mix, Körpergröße 28 cm. JAMIE LYNN, Dalmatiner, Körpergröße 55 cm. Und wie groß seid Ihr? PULI, Puli-Mix, Körpergröße 46 cm. CHARLY, Basset, Körpergröße 36 cm. STELLA, Weimaraner, Körpergröße 61 cm. SMOKEY, Rhodesian Ridgeback, Körpergröße 72 cm. LULU, Dackel-Foxterrier-Mix, Körpergröße 35 cm. War ein Liebling für Sie dabei? Vielleicht der mit dem kuscheligen Fell oder der mit dem coolen Blick? Ein eleganter Mini-Dalmatiner wäre sicherlich ebenso reizvoll wie ein sportlicher Zwerg-Weimaraner. Da es die meisten Rassen aber nur in einer Größe gibt, ziehen wir viele erst gar nicht in Betracht. Das erleichtert einerseits die Auswahl, verstellt aber andererseits den Blick auf Hunde, die von ihrem Wesen her möglicherweise gut oder besser zu uns passen würden. M opsliebhaber schwärmen vom unwiderstehlichen Charme ihres Hausgenossen, Dackelfans schätzen Mut und Eigensinn des kleinen Raubeins. Dennoch sind Charaktereigenschaften nicht immer ausschlaggebend bei der Wahl der passenden Rasse. Was, wenn der Mops vierzig Kilo wöge und der Dackel ähnlich imposant daherkäme? Ihre menschliche Fangemeinde hätte ganz andere Mitglieder. Die meisten Hundebesitzer haben nämlich eine klare Meinung darüber, welche Hundegröße am besten zu ihnen passt. So kommt es, dass „viele Leute bestimmte Rassen, zu denen sie sich emotional hingezogen fühlen, dennoch übersehen, einfach weil sie das Gefühl haben, dass sie mit einer bestimmten Art oder Größe von Hund nicht richtig aussehen würden“, meint der amerikanische Psychologieprofessor Stanley Coren. Auch sind sich Anhänger großer und kleiner Rassen untereinander nicht immer grün. Für die einen ist ein Tier unter fünfzig Zentimeter Schulterhöhe gar kein echter Hund. Beinahe jeder Kleinhundbesitzer kann von Erfahrungen mit stürmischen Großhunden berichten und hat Ressentiments gegen Großhundhalter. Die Besitzer großer Hunde sind in der Regel Outdoortypen, den Mops hingegen nimmt man mit zum Italiener. Ähnlich wie bei der menschlichen Partnerwahl entscheiden wir beim Hundekauf nach Sympathie. Moden spielen ebenfalls eine Rolle. Derzeit liegen die Kleinen groß im Trend, berichtet Udo Kopernik, Sprecher des Verbands für das Deutsche Hundewesen (VDH). Zwar seien großwüchsige Rassen wie Schäferhund und Golden Retriever keineswegs vom Aussterben bedroht, aber ihre Geburtenzahlen sind seit einigen Jahren rückläufig. Vor allem auf dem Großstadttrottoir begegnen uns immer mehr Bulldoggen, Möpse und Chihuahuas. Eine weitere uralte Rasse feiert ihr Comeback: der Cavalier King Charles Spaniel. Mit einer Schulterhöhe von gut dreißig Zentimetern und einem Gewicht von unter acht Kilogramm zählt er ebenfalls deutlich zu den Kleinhunden. Der VDH verzeichnet in seiner Statistik für die Achtzigerjahre nur etwa dreihundert Cavalier-Welpen in Deutschland, im Jahr 2012 waren es immerhin dreimal so viele: 1100. Der Leipziger Trendforscher Sven Gábor Jánszky bietet dafür folgende Beobachtung: „Die Tendenz geht klar zu kleinen und niedlicheren Hunden.“ Er meint damit auch kleine Mischlinge. Einen runden Kopf sollen sie haben und eine kurze Schnauze. Außerdem, dem klassischen Kindchenschema entsprechend, große Augen. Die Französische Bulldogge zum Beispiel erfüllt all diese Kriterien. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass der Frenchie, Udo Kopernik zufolge, „inzwischen den Golden Retriever auf der Beliebtheitsskala abgelöst hat“. Nicht nur das. Im neuen HundeRanking spiegele sich das wachsende Bedürfnis der Menschen nach Flexibilität und Mobilität, meint Volker Albus, Professor an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Der Mensch sei ständig unterwegs, überall und nirgendwo zu Hause. Einen Begleiter wünsche man sich trotzdem. „Vierbeiner, die bei der Lufthansa auf Frauchens Schoß reisen dürfen, sind heute daher klar im Vorteil.“ Im Idealfall sei dem „Gesinnungshund“, wie Albus das nennt, die Lebenseinstellung seines Halters direkt an Form und Fellkleid abzulesen. Die meisten Hundebesitzer, fand die Sozialpsychologin Silke Wechsung heraus, wählen ihren Hund immer noch nach dem Aussehen. Insbesondere Rassehunde fungieren mitunter als Statussymbol. Es sei einfacher, einen schicken Hund zu präsentieren als ein teures Auto, bestätigt Kopernik. Dass Status bei der Wahl des Hundes eine große Rolle spielen kann, weiß auch der emeritierte Sozialpsychologe Reinhold Bergler. Seit den Achtzigerjahren dogs 2/2014 27 erforscht er die Psychologie der Mensch-Hund-Beziehung. „Schoßhündchen waren bereits während der Renaissance beliebt. Wer sich solche kleinen Hunde hält, möchte sein eigenes Selbstbewusstsein stärken“, so Bergler. Und deshalb sollen die kleinen Lieblinge auch modisch etwas hermachen. Manche, längst nicht alle, tragen Halsbänder mit Glitzersteinchen und bunte Mäntelchen. Große, stattliche Hunde repräsentieren Männlichkeit. Auch wer große Hunde liebt, ist nicht immer frei von Eitelkeiten. „So wie andere Liebesobjekte müssen Hunde zwei entgegengesetzte Funktionen erfüllen“, glaubt der Wiener Philosoph Robert Pfaller. Entweder sie besäßen eine ideale Eigenschaft, die ihre Besitzer selbst gern hätten, „zum Beispiel Schönheit, Drolligkeit, Schnelligkeit, Gefährlichkeit oder Würde“. Oder sie müssten umgekehrt verkörpern, was ihre Besitzer eigentlich loswerden wollten: „Aggressivität, Bissigsein, Doofsein, Hektik“. Große Hunde wie Boxer, Dobermann oder Schäferhund werden mit sportlichen Menschen assoziiert oder mit Machos. Denn mit einem Rottweiler an der Leine wirkt jeder männlich, mit einem Zwerghund eher selten. Ein britischer Psychologe soll einmal gesagt haben: „Ein Mann, der sich einen kleinen Hund zulegt, ist mit seinem Sex zufrieden. Wer große Hunde besitzt, will körperliche Defizite überdecken.“ Das klingt nach Klischee, doch Ausnahmen bestätigen die Regel. Auch Silke Wechsung, Projektleiterin in der Forschungsgruppe „Psychologie der Mensch-Tier-Beziehung“ an der Universität Bonn, meint: „Es gibt nicht nur diejenigen, die sich einen Hund aussuchen, der besonders gut zu ihnen oder ihrem Lebensstil passt, sondern auch jene, die versuchen, mit ihrem Hund eigene Defizite zu kompensieren oder ein ganz bestimmtes Bild von sich zu erzeugen.“ Zeige mir deinen Hund, und ich sage dir, welche Vorurteile ich habe. Eine britische Studie ergab: Frauen, die sich mit einem Pudel zeigen, gelten oft als wählerisch und schwierig. Tausend User der App „Kloof “ gaben an, dass sie Pudelbesitzerinnen ebenso wie Chihuahuabesitzerinnen zwar attraktiv fänden, ihnen aber nur wenig bis keine Intelligenz zusprächen. Sie steckten sie deshalb in die Schublade „Potenzieller One-Night-Stand“. Beagle-Frauchen hingegen bewertete man ziemlich positiv, denn die Größe der Hunde wurde als richtig empfunden, deren ausgeglichenes Temperament begrüßt. Auch Golden-Retriever-Halterinnen wurden für besonders beziehungstauglich befunden. Das sahen die Frauen im Übrigen ähnlich. Sowohl der Golden als auch sein Halter fanden mehr als nur Gnade beim anderen Geschlecht. Gleichfalls punkten konnten die Herrchen mit Siberian Husky oder Schäferhund. Zurück zu Mops, Chihuahua, den Kleinen. Mal abgesehen von Moden, Trends und Egotrips: Kleine Hunde haben handfeste Vorteile. Man kann sie fast überall mit hinnehmen, kaum einer hat Angst vor ihnen, wenige Behörden zwingen ihnen einen Maulkorb auf, Vermieter drücken insbesondere bei Winzlingen eher ein Auge zu, und schlussendlich machen sie auch kleinere Häufchen. 28 2/2014 dogs Kurzum, kleine Hunde lassen sich viel unkomplizierter in das moderne Großstadtleben integrieren. Ein Deutsch Drahthaar, der sich weigert, ins Auto zu steigen, kann die Tagesplanung kippen. Ein Kleinspitz, der dasselbe Verhalten zeigt, eher nicht. Dafür haben die Halter von kleinen Hunden des Öfteren große Bedürfnisse, weiß der Zoofachhandel aus Erfahrung. So wird den Minis eher selten Trockenfutter aus der praktischen Großpackung vorgesetzt. Das Gourmetmenü in Form von Dosen oder Schälchen muss es schon sein, dazu jeden Tag geschmackliche Abwechslung durch eine andere Sorte. „Auch bei der Bio-Hundenahrung greifen die Herrchen und Frauchen der Kleinen öfter zu als die Halter großer Hunde“, berichtet ein Fachmagazin der Heimtierbranche. Gleiches gilt für Ausstattung und Pflege: „Wo der großwüchsige Hund einen Korb und ein Halsband hat, kommen Yorkshire Terrier, Chihuahua und Bichon Frisé leicht auf ein gutes Dutzend davon.“ Folglich unterscheidet der Fachhandel deutlich zwischen Kleinund Großhundehaltern. Das ist nicht dieselbe Sorte Kunde. „Denn wo der Besitzer eines großen Hundes eher praktisch denkt, will der Kleinhundefan mit immer neuen Angeboten verführt werden.“ Kleine und große Hunde werden unterschiedlich erzogen. Wenn das Leben mit einem großen Hund sich anders anfühlt als mit einem kleinen, liegt es auch daran, dass die Erwartungen, die der Mensch an seinen Hund stellt, vielfach von den Körpermaßen des Tieres abhängen. „Meine Chihuahuas müssen keinesfalls Platz in einer Pfütze machen, von meinem Schäferhund erwarte ich das durchaus“, erzählt Petra Führmann, Leiterin der Hundeschule Aschaffenburg und Co-Autorin des Ratgebers „Kleine Hunde – Große Freude“. Auch sie ist vor dem Charme der Minis nicht gefeit und bekennt offen, ihre Zwerge gern zu verwöhnen. Eine Studie aus dem Jahr 2010 (Arhant et al.) bestätigt, „dass eine Reihe von Interaktionen zwischen Hund und Halter von der Größe des Tieres abhängen“. So seien die Besitzer kleiner Hunde weniger konsequent und setzten sich seltener durch. Die Folge: Kleine und große Hunde verhalten sich unterschiedlich. Die kleinen sind weniger gehorsam, ängstlicher, öfter aggressiv und leichter erregbar. Als Ursache nannten die Forscher, dass kleine Hunde oft wie Babys behandelt würden und dadurch anders geprägt und sozialisiert wären. Das Klischee vom Wadlbeißer scheint sich also zu bestätigen. Hinzu kommt, dass viele Kleinhundbesitzer seltener die Hundeschule besuchen. Ein Vierbeiner, der unter zehn Kilo wiegt, lässt sich ja körperlich kontrollieren, indem man ihn festhält oder hochhebt. Das führt allerdings dazu, dass die Zwerge den Umgang mit großen Artgenossen nicht lernen und diese schwerer einschätzen können. Sozialer Austausch mit Artgenossen ist für jeden Hund wichtig, aber den Mini dabei so zu managen, dass er nicht gefährdet wird, und ihn gegebenenfalls zu beschützen, erfordert viel Fachwissen und Übung. So unbeschwert wie die Besitzer von großen Hunden können Kleinhundhalter ihren Vierbeiner nicht mit anderen toben lassen. Ein stürmischer Labrador oder ein tapsiger Berner Senn ist für einen Zwergpinscher eine Gefahr. Kraft und Motorik sind zu unterschiedlich. Begegnungen mit Artgenossen sehen die Halter großer Hunde viel entspannter. Müssen sie auch, denn auf den Arm und in die Handtasche passen Ridgeback & Co. nun mal nicht. Halten wir also fest: Das Augentier Mensch reagiert in erster Linie auf die Optik. Deshalb wirken kleine Hunde anders auf uns als große: weniger bedrohlich, niedlicher, schutzbedürftig. Das Aussehen eines Hundes löst beim Menschen bestimmte Emotionen aus und führt zu vorgefassten Meinungen. Sachliche Argumente treten in den Hintergrund, das merkt man spätestens, wenn man mit einem gut erzogenen Pitbull ein Restaurant betritt, in dem schon ein knurrender Chihuahua sitzt. Die Größe sagt nämlich nichts über das Wesen und den Charakter eines Tieres aus. Sie bedient nur unterschiedliche Klischees. Damit muss jeder leben, der Mopsbesitzer ebenso wie die Halterin eines Großpudels. KEINE FRAGE DER GRÖSSE Die Unterschiede zwischen groß und klein liegen eher im Auge des Betrachters, denn: ALLE HUNDE TEILEN DIESELBEN BEDÜRFNISSE. Sie wollen fressen, jagen, rennen und schnüffeln. Sie mögen feste Regeln und das Leben in einer stabilen sozialen Gruppe. ALLE HUNDE HANDELN NACH EIGENER LOGIK. In all seinen Ausformungen zeigt der Hund rasseübergreifende Eigenschaften, die den größten Teil seines Verhaltens ausmachen und ihn vom Menschen und allen anderen Tierarten unterscheiden. ALLE HUNDE SIND GLEICHERMASSEN SCHLAU. Natürlich gibt es Unterscheide zwischen den Rassen in Sachen Lernbereitschaft und Kooperation. Aber kleine Hunde sind nicht unbedingt dümmer als ihre großen Artgenossen. ALLE HUNDE MÜSSEN ERZOGEN WERDEN. Nicht die Körper- größe macht einen Hund zum angenehmen Begleiter, treuen Freund und geliebten Familienmitglied, sondern sein Verhalten. Die Folgsamkeit eines Hundes ist auch der Schlüssel für seine gesellschaftliche Akzeptanz. ALLE HUNDE ZEIGEN ART- UND RASSETYPISCHE VERHALTENSMUSTER. Ein Collie ist nicht per se gefährlicher als ein Foxterrier, nur weil er größer ist. Das Gegenteil ist sogar zutreffend: Terrier sind die Draufgänger der Hundewelt und meist angriffslustiger als sensible Hütehunde. ALLE HUNDE KOSTEN ZEIT UND GELD. Wenn ein Dalmatiner mehr Bewegung braucht als ein Pekinese, ist das nicht eine Frage der Größe, sondern des Temperaments. Außerdem möchte auch ein Hund, der nicht viel laufen muss, um ausgeglichen zu sein, beschäftigt werden. Und was die Kosten betrifft: Kleine Hunde fressen zwar weniger als große, leben aber dafür länger. ALLE HUNDE SIND INDIVIDUEN. Sie lassen sich nicht über einen Kamm scheren. Jeder hat seine unverwechselbare Persönlichkeit, die ihn unterscheidet und unersetzlich macht.